Glück!
einem Buch!
Glück! von Wolf Schneider
LESEPROBE
ZWISCHENFRAGE:
Wie werde ich Lottomillionär - undwas hätte ich davon?
Unter allen Glücksspielen ist dasLotto das einfachste, das harmloseste und sogar das vergleichsweiserationalste. Kein Wunder, dass es auch das populärste ist: Rund 41 Prozent dererwachsenen Deutschen betreiben es, mindestens gelegentlich. Zum Lottospielenbraucht man kein Raffinement (wie fürs Pokern), keine Fachkenntnisse (wie fürSportwetten), keine Ortsveränderung (hin zur Spielbank) und keine Mutprobe (wieim Märchen der, der die Prinzessin erobern will). Man kann auch nicht betrogenwerden (wie bei Fußball- oder Pferdewetten) und sich nur sehr schwer ruinieren(anders als beim Poker und beim Roulette).
«Lebendiger als im Lotto war dieGleichheit aller nie», resümieren Christoph Lau und Ludwig Kramer in ihremgescheiten Büchlein über das Lottoglück. Das Glück aber liege nicht so sehr imRiesengewinn (denn der ist unendlich selten, und Zufriedenheit stiftet er auchnicht immer) - sondern in der Hoffnung. Der Lottospieler erhebt dassonst für ihn Unmögliche in den Rang des immerhin Möglichen, wenn auch extremUnwahrscheinlichen; «das eigentliche Lottoglück erschließt sich vor derZiehung».
Die fast immer enttäuschte Hoffnungwird leicht verschmerzt, denn schon am Montag blüht sie neu, und der Verlustist, dramatisch anders als beim Roulette, bescheiden - außer bei jenen etwafünf Prozent der Spieler, die mehr als 1000 Euro jährlich einsetzen und daherin der Fachwelt Heavy User heißen.
Den anderen 95 Prozent - kann ihnendas Spielen trotzdem Nachteile bringen? Ja, sagen die Autoren: Manche, die imLeben durchaus noch Chancen hätten, werden verleitet, andere Wege zum Glück undzum Erfolg gar nicht mehr zu suchen; und sehr viele spielen zwanghaft weiter- in der irrigen Meinung, nun hätten sie schon so viel investiert, dass dasGlück sich endlich einstellen müsse, oder, wenn sie stets dieselben Zahlensetzen, in der panischen Angst, nach dem Aufhören würden gerade die gezogen.
Da gab es auch jenen Buchhalter, derzwischen 1986 und 1988 aus der Firmenkasse 4,5 Millionen Mark entwendete, siein 300 Lottoscheine pro Woche umsetzte - und immerhin 1,8 Millionen Markgewann, 40 Prozent seines Einsatzes, ehe das Landgericht Essen ihn zu zweiJahren auf Bewährung verurteilte; mit dem mildernden Umstand, dass er «derVerlockung des Lottosystems,) erlegen sei.
Und wie glücklich werden dieGewinner? Die Autoren haben 14 deutsche Lottomillionäre gründlich befragtund ihre Ergebnisse mit Statistiken aus Dänemark und Norwegen abgeglichen. Resultat:Keiner drehte so durch wie einer der ersten Großgewinner der Lottogeschichte,ein Hausierer. Der verjubelte seine 800000 Mark binnen 22 Monaten mit Bardamenund Zechkumpanen; an die Kneipen, in denen er mit seinem Geld um sich warf,hängte er das Schild «Wegen Reichtum geschlossen».
Die meisten Lottomillionäreverhalten sich rational: ein kurzer Schock, dann überschäumende Freude, dannFormulierung der Wünsche (überwiegend in der Reihenfolge Haus - Weltreise - Auto)und meist ein kühles Abwägen: Wen wollen wir in unser jähes Glück einweihen undwen ausdrücklich nicht? Bald der Rückzug ins normale, ein bisschen opulentereLeben. Einig waren sich die Gewinner nur über eine Genugtuung: Am Bankschalterwurden sie deutlich freundlicher bedient.
Die riesige Mehrheit der Spielerbleibt mit der Hoffnung allein. « Die Chancen sind für alle gleich - schlecht»,heißt das Fazit der Autoren. Sie betonen wiederholt, dass die meisten Spieler nichtdie geringste Vorstellung vom Grad der Unwahrscheinlichkeit besäßen; Beispielefür diese Unwahrscheinlichkeit geben sie nicht. Da wäre also hinzuzufügen: DieChance, Lottomillionär zu werden, ist geringer als das Risiko, vom Blitzerschlagen zu werden, zu ertrinken oder in einem öffentlichen Verkehrsmittel umzukommen(den Tod im Auto gar nicht erst gerechnet).
Die Chance, auch nur sechs Richtigezu haben, beträgt bekanntlich 1: 14 Millionen (und mit dem Sechser hat man dieMillion ja keineswegs sicher). Aber was bedeutet das? Zum Beispiel: Wenn man14 Millionen Ein-Euro-Münzen (Durchmesser 22 Millimeter) Kante an Kante legte,etwa an einer Autobahn entlang, so würden sie eine Kette von 308 KilometernLänge bilden; und nun brauchte man während der zwei- bis dreistündigen Fahrtnur an der richtigen Stelle zu halten und aus der Kette die richtige Münze zugreifen, und schon hätte man den Sechser gezogen.
Oder so: Wer fünfzig Jahre lang jedeWoche einen Tipp abgäbe, hätte seine Chancen natürlich verbessert - auf 1:5385. Wer den Sechser gar ertrotzen wollte und allwöchentlich zehnmal tippte,müsste nach statistischer Wahrscheinlichkeit 26 900 Jahre lang spielen, hat dieZeitschrift Geo ausgerechnet - und bekäme dann halb so viel heraus, wieer einbezahlt hat.
Im Oktober 2006 lobte das DeutscheLotto den höchsten Jackpot seiner Geschichte aus, 35 Millionen Euro - nurzusammen mit der Superzahl, also für sieben Richtige. Die Wahrscheinlichkeitdes Gewinns wurde dadurch noch einmal um das Zehnfache vermindert, auf 1: 140Millionen; das entspräche einer mehr als 3000 Kilometer langen Kette vonEin-Euro-Münzen, von Barcelona nach Moskau ungefähr.
Unter diesen Umständen überhaupt zuspielen, war also irrational in besonders hohem Grade. Ergebnis: Die Einsätzestiegen um 50 Prozent, im Durchschnitt auf zwei Euro von jedem Deutschen.
© RowohltVerlag
- Autor: Wolf Schneider
- 2007, 304 Seiten, Maße: 15 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Rowohlt
- ISBN-10: 3498063928
- ISBN-13: 9783498063924
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