Gobi
Im Mai 2004 bricht er von Bayant-Ukhaa in der Ostgobi auf, mit einem Rucksack, einem speziellen Wassercontainer und einer GPS-Uhr. Von Jurte zu Jurte, unterstützt nur von Hirtennomaden, schlägt er sich nach Westen durch, die Ost- und Südgobi durchmessend, dann eine sich 300 km hinziehende leere Steinscherbenwüste. Er durchwandert die Westgobi und kehrt nach Überquerung des Altai-Gebirges schließlich nach Ulan Baator zurück.
Messner, der seinen strapaziösen Marsch auch als Versuch begreift, mit dem Altern zurechtzukommen, kehrt mit Erfahrungen und Einsichten heim, die jeden von uns angehen.
Gobi von Reinhold Messner
LESEPROBEWeggehen
Wie oft bin ich schon von zu Hause aufgebrochen? Verlorenund ängstlich, jedoch ohne je meine Angst zu zeigen! Ich habe die Zurückbleibendengetröstet, als Verlorenster von allen, und versprochen, in ein paar Monatenzurück zu sein.
Eben noch bin ich fünfzig gewesen und hatte Pläne für diefünfzig Jahre danach, jetzt bin ich sechzig und weiß, daß vieles von dem, wasich gemacht habe, mir nicht länger möglich ist. Es ist auch lächerlich, immerwieder bis zu den Rändern der Erde aufzubrechen. In meinem Alter! Wie großartig,wie tapfer, finden die einen: wie obsessiv, die anderen. Mich aber treibt dieNeugierde fort, und so suche ich weiter nach Erfahrungsmöglichkeiten, wielächerlich ich mich damit in den Augen der Welt auch mache.
Worum es mir geht, ist nicht die Wüste. Es gibt keine Notwendigkeit,sie zu durchqueren. Auch ich stehe ratlos vor ihr. Mit gemischten Gefühlen, mitmeinen Ängsten und Zweifeln vor dem Aufbruch. Worum es mir geht, ist die Fragenach der Natur des Menschen und meine Vorstellung von mir selber. Und wichtig warmir immer auch mein eigener Stil beim Unterwegssein. Von Anfang an. AlsFelskletterer, Höhenbergsteiger und Polwanderer. Auch als ich den Plan zu dieserletzten Wüstenreise faßte. Nicht mit Abgasqualm und Motorenlärm will ichunterwegs sein, sondern zu Fuß. Auf den eigenen Beinen, heißt meine Prämisse.
Ganz aus eigener Kraft will ich unterwegs sein und nur zufälligeHilfen vor Ort nutzen. Ohne Management im Hintergrund, ohne Kontakt zurAußenwelt, ohne Infrastruktur auch. Die Epoche der Nansens, Hedins, Amundsens,Scotts, Shackletons war großartig, aber diese »heroische Zeit«, die Zeit derHelden, die im Namen einer Nation ihr Leben wagten, ist endgültig vorbei. Damalsist es um das unerbittliche »Daß« gegangen, nicht um die nuancierte Frage des»Wie«. Genau dieses »Wie« aber ist es, was mich bewegt. Unsere Epoche fragtnach dem Stil, und wir werden ausschließlich danach beurteilt werden, wie wirunsere Sache gemacht haben. Ist die Zeit, die wir zum Leben haben, doch zukurz, um sie mit heroischen Idealen zu füllen. Um einer Eroberung willen setzeich vielleicht Mittel ein, aber nicht das Leben.
Nur das Knirschen der Steinscherben unter den Schuhsohlen wirdzu hören sein, denke ich, während ich plane. Sonst nichts. So will ich das!Seit es Geländewagen und die Unterstützung aus der Luft durch Hubschraubergibt, ist jede Gobi-Durchquerung machbar und lächerlich, wenn ich mich dabeinicht einschränke. Gerade weil die Technik heute im Übermaß zur Verfügungsteht, will ich auf sie verzichten, freiwillig. Darin und nur darin besteht meineRevolutionierung des Abenteuerbegriffs, geht es doch um die Umwandlung derWertvorstellungen beim Grenzgang.
Es stellt sich also nicht die Frage, wie es am bestengelingen kann, die Natur zu bezwingen. Ich will sie ja nicht besiegen. DieAufgabenstellung ist eine andere geworden: Es gilt, das Abenteuer alsnachhaltige Erfahrungsmöglichkeit zu retten. Dabei suche ich zugleich nachökologisch sauberen Lösungen, deren wichtigster Bestandteil der freiwilligeVerzicht auf eine umweltschädigende Technik ist. Auch auf die Ausbeutunglokaler Helfer und ihrer Kultur will ich verzichten. Und doch - auch dies einSignum unserer Zeit - bin ich mit modernster technologischer Unterstützungunterwegs: Ein einziges Hochtechnologiegerät habe ich dabei: eine Uhr, in dieein kleines GPS-Gerät eingebaut ist. Sie funktioniert mit Hilfe vonSatellitentechnologie, und ich brauche sie, um die eigene Position zubestimmen. Tag für Tag. Ich muß überall und jederzeit wissen, wo auf derLandkarte ich mich gerade befinde.
Nicht zuletzt war es meine Biographie, die mich in die Wüstegeführt hat. Zum Wesen meiner Existenz gehört es offensichtlich, immer wiedereiner Obsession zu folgen und diese von Mal zu Mal zur Profession zu machen, imFels, im Eis, im Sand. Die ausgesetzte Natur bleibt mein Beruf, wobei es mirimmer auch darum geht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, daheim wie unterwegs.Phasenweise ein Leben nur nach den Vorgaben der Natur zu führen, entsprichtmeinem Wesen. Es ist neben der Frage des Stils eine Grundbedingung meinerExistenz. Und wenn ich zurückkehre in die Zivilisation, bin ich nicht mehrderselbe. Ich sehe mich jedoch nie als Märtyrer der wilden Natur, ich bin vielmehrihr Zeuge. Mich interessieren jene Verhaltensmuster, die wir von Natur aus inuns tragen. Die Bedingtheit der menschlichen Freiheit, die keinerlei Grenzenanzuerkennen hat als das eigene Begrenztsein, ist mein Forschungsgebiet. Denndie Begegnung mit dem wilden Raum ist zugleich eine Begegnung mit mir alsMängelwesen. Als autonome Person, die dem eigenen individuellen Gesetz folgt,will ich mich dort erproben, wo es keine Regeln, keine Normen, keineMaßvorstellungen gibt. Nur die Natur und das menschliche Maß. (...)
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2005
- Autor: Reinhold Messner
- 2005, 1, 265 Seiten, mit farbigen Abbildungen, mit zahlreichen Abbildungen, Maße: 15,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3100494156
- ISBN-13: 9783100494153
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