Gottes Spuren
Greift Gott direkt in das irdische Geschehen ein? Was ist die Kongregation für Selig- und Heiligsprechung? Bestseller-Autor und Vatikan-Korrespondent Andreas Englisch setzt sich mit dem Wunder in unserer Zeit auseinander. Neben bekannten wie Fatima...
Greift Gott direkt in das irdische Geschehen ein? Was ist die Kongregation für Selig- und Heiligsprechung? Bestseller-Autor und Vatikan-Korrespondent Andreas Englisch setzt sich mit dem Wunder in unserer Zeit auseinander. Neben bekannten wie Fatima oder Lourdes widmet er sich auch unbekannten Wundern - und dem Phänomen Exorzismus.
GottesSpuren von Andreas Englisch
LESEPROBE
Prolog
Ich kann mich genau an den Tag erinnern, an dem dieGeschichte dieses Buches beginnt, denn ich war damals mit meinem Sohn Leonardovon Papst Johannes Paul II. zu einer Privataudienz empfangen worden. Auf demRückweg versuchte ich ihm im Auto zu erklären, wer Petrus war - ein guterFreund von Jesus, der Kranke heilen und andere Wunder wirken konnte.
Mein Sohn war damals fünf Jahre alt. Der Besuch in demgroßen Haus bei dem Papst in Weiß hatte ihn ganz aufgewühlt. Er hörte sehrgenau zu und sagte dann: »Ach so, Petrus konnte also zaubern? So wieGlöckchen?«
»Glöckchen?Wer ist noch mal Glöckchen?«
»Na, Glöckchen, die Fee von Peter Pan. Sie kannzaubern.«
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, aber ichspürte, dass er damit im Grunde genau das gefragt hatte, was auch mich meinganzes Leben lang beschäftigt hatte: Wirkt Gott in dieser Welt Wunder?
Greift das unerklärliche Wesen, das wir Gott nennen,in unser Leben ein, immer wieder und überall auf der Welt? Kann man durch dieseWunder beweisen, dass Gott existiert? Rettet uns Gottes Schutz manchmal dasLeben?
Ist es ein Eingreifen Gottes, das Sterbenskranke dochüberleben und unfruchtbare Paare dennoch ein Kind bekommen lässt? Nichts hatmich je so gefesselt wie die Frage nach dem konkreten Wirken des Überirdischenin dieser Welt. Nichts fand ich je so spannend wie die Frage, ob es Wundergibt, denn Wunder scheinen mir nichts anderes als eine Spur Gottes zu sein: Mitjedem Eingriff in das irdische Geschehen hinterlässt dieses rätselhafte Wesenso etwas wie einen Fingerabdruck des Unerklärlichen. In meiner Kindheit undJugend hielt ich Wunder für seltsame Ereignisse, die sich vor unvorstellbarlanger Zeit zugetragen hatten: damals, als Jesus von Nazaret noch auf der Erdelebte, und vielleicht auch noch einige Zeit unmittelbar danach. Ich wuchs aufmit der Vorstellung, dass die Zeiten, in denen Wunder geschehen, endgültigvorbei seien. In meinem Alltag war ein Wunder für mich schlicht nicht mehrvorstellbar. Wer sollte noch heute über das Wasser gehen sowie mit drei Brotenund zwei Fischen fünftausend Menschen speisen können?
Doch meine Meinung änderte sich schlagartig, als ichim Jahr 1987 nach Rom kam, um meinen neuen Job als Auslandskorrespondent anzutreten.Auf den ersten Blick schien Rom eine ganz normale Stadt zu sein. Zwar mochte eshier mehr Sehenswürdigkeiten geben als anderswo, mehr Touristen, mehr Hotels -aber ansonsten war es doch eine ganz normale Stadt. Tatsächlich dauerte eseinige Monate, bis ich begriff, dass dieser Eindruck völlig falsch war. DieWahrheit versteckte sich nämlich gut: Rom gab sich alle Mühe, um mit seinenBürohäusern und den Staus auf den Straßen wie eine ganz normale Großstadt auszusehen,aber anders als in Lissabon oder Paris etwa war das hier alles nur Fassade. InWirklichkeit bestand die komplette Innenstadt aus einem einzigen gigantischenKloster, und hinter den Mauern war noch immer das Mittelalter lebendig. Immer nochgehörten der katholischen Kirche fast alle Gebäude - die moderne Stadt Romhatte nur versucht, sich dazwischenzuquetschen und mit seinen Geschäften undMietshäusern die wenigen Lücken auszufüllen, die das seit Ewigkeiten betende Romder Moderne ließ. Ja, Rom glich mehr einer Zauberstadt als einer richtigenMetropole: Es kam mir so vor, als sei die Zeit hier stehen geblieben. DieMenschen wirkten seltsam gebannt von der Allgegenwart unvorstellbargeheimnisvoller Schätze: In der ganzen römischen Innenstadt schienen seitJahrhunderten Menschen vor dem Unerklärlichen zu knien. Ich entdeckte Mönche,die die Reliquien des Heiligen Kreuzes Jesu Christi in der Basilika Santa Crocein Gerusalemme eifersüchtig hüteten und für viele Jahrhunderte nur amKarfreitag zuließen, dass Menschen staunend davor standen in der Hoffnung,geheilt zu werden. Ich sah betende Kranke, die auf Knien die Heilige Stiege amLateranspalast hinaufrutschten, und sprach mit Menschen, die meinten, tatsächlichgeheilt worden zu sein. Ich entdeckte Patres, die am Tiber die Spuren von demFegefeuer entronnenen und auf die Erde zurückgekehrten Menschen bewahren wollten,und ich fand schließlich die vatikanische Behörde für Wunder, die Congregatiode Causis Sanctorum, in der unerklärliche Wunder daraufhin untersucht werden,ob sie tatsächlich ein Einwirken Gottes bezeugen. Und wenn ich mit Bischöfen sprach,die die Kongregation davon überzeugen wollten, dass sie selbst ein Wundererlebt hatten - weil sie etwa eine Muttergottesstatue in der Hand gehaltenhatten, die blutige Tränen weinte -, dann lag das Unfassbare für mich vor allemdarin begründet, dass es sich nicht um Wunder handelte, die vor langer Zeitgeschehen waren, sondern um solche, die heute geschehen: Wunder, die derjenige,der davon berichtete, selbst gesehen und bestaunt haben wollte.
Meine Aufgabe am Hof der Päpste brachte mich plötzlichund ohne, dass ich etwas davon geahnt hätte, in einen direkten, unmittelbaren Kontaktmit Wundern. Ich wusste natürlich, was ein Papst ist - dass er den für einenMenschen schier unbegreiflichen Titel »Vertreter Gottes auf Erden« trägt. Aberich hatte mir bis dahin nur wenig Gedanken darüber gemacht, was das bedeuten sollte.Als ich in Rom anfing, regierte Johannes Paul II. im Vatikan, und ich erlebteimmer wieder, dass dieser Mensch Karol Wojtyła absolut sicher war, mit demewig unerklärlichen Gott - dessen bloße Existenz von Milliarden Menschen aufder Erde bestritten wird - in einen direkten Kontakt treten zu können. Es gabviele Episoden, die das belegten, aber an einem Tag erklärte Johannes Paul II.deutlicher denn je, was er meinte. Da war er schon alt, der Mann aus Wadowice,und von der Parkinson- Krankheit gezeichnet, aber bezwungen hatte ihn dasLeiden noch nicht. Er kämpfte, und er war ärgerlich an diesem Tag, dem 29. Mai1994, an dem er nach dem Angelusgebet mit entschlossenem Gesicht der Weltentgegenschrie: »Versteht das doch endlich; versteht, warum der Papst so leidenmuss.«
Mir lief damals ein Schauder über den Rücken, denn deralte Mann meinte damit klipp und klar, dass er gerade selbst ein Wundererlebte: dass Gott beschlossen hatte, ihn, den Menschen Wojtyła, leiden zulassen, weil die Menschen nicht nach den Gesetzen Gottes lebten.
Aber war das wirklich so? Spürte Karol Wojtyładen allmächtigen Gott? Konnte er mit ihm sprechen? Können Päpste im VatikanWunder nachweisen lassen? Gab es so etwas überhaupt, oder war das nichts weiterals eine gewaltige Lüge, eine Scharlatanerie, eine Illusion?
Dann wurde ein neuer Papst gewählt, und vor denüberraschten Augen der Welt bestieg ein Deutscher den Thron Petri. Ich hätteangenommen, dass der eher intellektuell veranlagte Joseph Ratzinger sehr vielvorsichtiger und nüchterner an die ganze Sache herangehen, dass er Wundern undErscheinungen, den Spuren Gottes also, mit einiger Skepsis begegnen würde, dochdann kam es ganz anders. Ausgerechnet dieser Papst aus Deutschland entschlosssich zu einem spektakulären Schritt, der die ganze Welt in Fassungslosigkeitstürzte: Als erster Papst der Geschichte empfing Benedikt XVI. die Exorzistender katholischen Kirche auf dem Petersplatz und bestärkte sie in ihrer Arbeit.
Was hatte das zu bedeuten?
Glaubte dieser bedeutende Theologe und herausragendewissenschaftliche Lehrer wirklich an die Macht der Gebete über das Böse? An denFluch und die konkrete Gefahr, die von Satan auf der Erde ausgeht? An Dämonenund Besessenheit? An das Wunder der Befreiung von bösen Geistern und somit andie Macht des Exorzismus?
Nur wer ihn näher kannte, wunderte sich nicht über dieHaltung des neuen Papstes. Familien, die im Borgo Pio jahrzehntelang zu seinemdirekten Lebensumfeld gehört hatten, berichteten in diesem Zusammenhang, dassJoseph Ratzinger selbst von einem ganz bestimmten Wunder zutiefst beeindrucktworden sei - von einem Wunder, das sich in seiner unmittelbaren Nachbarschaft zutragenhabe und über das man nur hinter vorgehaltener Hand sprach.
Und so war es auch Papst Benedikt XVI., der mich darinbestärkte, mich weiter mit jener Frage nach dem Unerklärlichen zu beschäftigen,die mich schon als jungen Korrespondenten in Rom bewegt hatte und die michschließlich zu so etwas wie einem Detektiv in Sachen Wunder werden ließ. DasErgebnis meiner Spurensuche halten Sie mit diesem Buch in den Händen. Und nichtzuletzt war ich auch meinem Sohn Leonardo noch eine Antwort schuldig auf seineFrage, ob Petrus tatsächlich so zaubern könne wie die Fee von Peter Pan.
ã C. Bertelsmann Verlag
- Autor: Andreas Englisch
- 2006, 384 Seiten, 16 farbige Abbildungen, mit Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: C. Bertelsmann
- ISBN-10: 357000855X
- ISBN-13: 9783570008553
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4 von 5 Sternen
5 Sterne 2Schreiben Sie einen Kommentar zu "Gottes Spuren".
Kommentar verfassen