Hagen von Tronje
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Hagen von Tronje von Wolfgang Hohlbein
LESEPROBE
Siegfried
Der Sturm war vorüber, und wie manchmal vor und oft nach einembesonders
heftigen Unwetter lag der Fluß glatt und beinahe unnatürlich ruhig
da. Der Himmel hing niedrig; schwere, hell- und dunkelgraugetupfte
Wolken verdeckten die noch kraftlose Frühjahrssonne und nahmenihren
Strahlen das letzte Fünkchen Wärme, so daß der Biß des Windesdoppelt
schmerzhaft zu spüren war. Das Ufer war glatt und bis zu der verschwommenen
Trennlinie zwischen feuchtem Sand und spärlich wachsendem Graszehn
Schritte landeinwärts weiß und flach und leer geräumt, bar all der
Dinge, die der Fluß sonst unentwegt auf seiner rastlosen Wanderung
zum Meer hinab darauf ablud, und die Wellen, die kurz zuvor nochmit
ungebändigter Wut auf das Ufer eingeschlagen hatten, plätscherten
jetzt sanft, als müsse sich der Rhein von der vorangegangenenAnstrengung
erholen, vielleicht auch Kraft für einen neuen Ansturm sammeln.Die
Luft roch nach Nebel und Tau, obwohl weder das eine noch dasandere
zu sehen war, und weit im Norden türmten sich bereits neue,schwarze
Wolkenburgen auf. Feiner, grauer Dunst hing über dem Fluß und ließ
das gegenüberliegende Ufer nur wie durch einen zerrissenen Schleier
sichtbar werden. Obwohl sich der Winter in diesem Jahr früher als
gewohnt in die Berge zurückgezogen hatte, hing noch ein leiserGeruch
wie nach Schnee in der Luft; manche von den Tropfen, die der Sturm
in fast waagrechten Schleiern über das Land gepeitscht hatte,waren
weiß und glitzernd gewesen, und auch wenn die Flocken nichtliegengeblieben
waren, erinnerten sie doch nachhaltig daran, daß der Kampf nochnicht
vorüber war, das Frühjahr noch nicht endgültig gesiegt hatte undder
Winter jederzeit mit Eis und Kälte zurückkehren konnte.
Dumpfes Dröhnen mischte sich in das monotone Rauschen des Flusses,
rhythmisch wie die Stimme der Wellen, aber anders; schneller undirgendwie
ungeduldiger: kein Laut, wie ihn die Natur hervorbrachte, sondern
die harten, hastigen Geräusche von Menschen und ihrer Unruhe. Eine
Reihe dunkler Punkte tauchte auf dem Kamm des flachen Uferhügelsauf
und wuchs im gleichen Maße heran, in dem das Hämmern der Hufe anLautstärke
gewann. Eine Krähe stob schimpfend aus den Zweigen eines Buschesauf,
kreiste einen Moment lang über dem Unterholz, in dem sie vor demUnwetter
Schutz gesucht hatte, und schwang sich höher in die Luft, als das
Geräusch näher kam und aus den Punkten die Umrisse von Reiternwurden.
Erst fünf, dann sieben, schließlich ein ganzes Dutzend Berittener
erschien auf der Hügelkette, die den Rhein an dieser Stelle wieeine
Wehrmauer säumte, lenkte die Pferde zum Wasser hinunter undgaloppierte
dicht am Fluß entlang weiter, dabei den sandigen Uferstreifen wie
einen Weg benutzend. Die Hufe der Tiere hinterließen eine breitaufgeworfene
Spur im feuchten Sand; winzige Mulden, die von geduldignachsickerndem
Wasser zuerst in kleine runde Spiegel verwandelt und dannausgelöscht
wurden, als wolle der Fluß den Menschen zeigen, wie vergänglichall
ihr Tun war. Die Krähe schüttelte die letzten Wassertropfen ausihrem
schwarzen Gefieder, stieß noch einmal schimpfend auf den Flußhinab
und flog endgültig davon.
Die Männer waren am Ende ihrer Kräfte, so müde und erschöpft wiedie
Tiere, die sie ritten. Ihre Kleider waren durchnäßt und schmutzig,
die früher einmal glänzenden Metallteile ihrer Rüstungen blind und
fleckig geworden, ihre Mäntel und Satteldecken zerrissen unddurchgescheuert,
und der Sturm, der mit derselben Gleichgültigkeit über siehinweggetobt
war, wie er das Land beiderseits des Flusses gebeutelt hatte,hatte
einen verbissenen Ausdruck in ihre Züge gehämmert, ihre Haltungverkrampft
und die Hände an den feuchten Lederriemen des Zaumzeuges starrgemacht.
Viele von ihnen waren verwundet; manche trugen vom Regen dunkelgewordene
Verbände, andere hatten die Schnitt- und Stichwunden an Armen und
Händen unversorgt gelassen, aus Gleichmut oder auch mangelsGelegenheit,
sie zu verbinden. Mehr als nur einer schien sich mit letzter Kraft
auf dem Rücken seines Tieres festzuklammern, statt es zu lenken.Die
Körper der Pferde glänzten vor Schweiß, trotz der Kälte, die derweichende
Winter als letzte Erinnerung zurückgelassen hatte. Flockiger,weißer
Schaum stand vor ihren Nüstern, und ihr keuchender Atem war selbst
über dem Stampfen der Hufe deutlich zu vernehmen. Wie ihre Reiter
schien nicht eines von ihnen ohne Verletzungen oder große,schorfige
Stellen, voller Blut und wässerigen Eiters, davongekommen zu sein;
die Augen waren rot und entzündet, und die empfindlichen Lefzenvom
unbarmherzigen Biß des Zaumzeuges aufgerissen und blutig. Es waren
Tiere, die erbarmungslos gehetzt worden waren, Stunden undvielleicht
Tage, ohne mehr als die allernotwendigsten Pausen und vielleichtnicht
einmal diese.
Der Mann an der Spitze der Gruppe zügelte plötzlich sein Pferd,hob
die Hand und stieß einen kurzen, kehligen Laut aus. Nacheinanderbrachten
die Reiter ihre Tiere zum Stehen und formierten sich zu einemlockeren
Halbkreis um ihren Anführer. Die Pferde stampften unruhig; einpaar
versuchten auszubrechen und zum Fluß zu laufen, um zu trinken,aber
ihre Reiter hielten sie mit starker Hand zurück.
»Wir rasten hier«, befahl der Anführer. »Die Tiere brauchen einePause.«
(...)
© Heyne Verlag
- Autor: Wolfgang Hohlbein
- 2004, Überarb. Neuausgabe, 511 Seiten, Maße: 11,5 x 18,2 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453530241
- ISBN-13: 9783453530249
"Ein herausragendes, wichtiges Buch!" (Süddeutsche Zeitung)
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