Halbnackte Bauarbeiter
Wenn deine Sexfantasie sich an der Dönerbude vor dir materialisiert und fragt: 'Willst du heute Nacht meine Fremdenführerin sein?', und du antwortest 'Ach, danke, vielleicht ein andermal, ich will gerade mit meiner Mitbewohnerin Golden Girls gucken', dann...
Wenn deine Sexfantasie sich an der Dönerbude vor dir materialisiert und fragt: 'Willst du heute Nacht meine Fremdenführerin sein?', und du antwortest 'Ach, danke, vielleicht ein andermal, ich will gerade mit meiner Mitbewohnerin Golden Girls gucken', dann kannst du dir selbst eine reinhauen oder dich auf die Suche machen. Ute Nehrbach, Romanheldin und Schnodder-Ich, tut einfach beides. Natürlich mit ungeahnten Früh- und Spätfolgen.
Halbnackte Bauarbeiter von MartinaBrandl
LESEPROBE
Sex und Moabit
Er war mir schon aufgefallen, alsich aus der Haustür auf die menschenleere Straße trat. Lasziv lehnte er aneinem parkenden Auto in der kalten Mainacht, und ich fragte mich: Was macht so einattraktiver junger Mann mitten im Frühling ausgerechnet vor meiner Haustür?Sollte er nicht bei seiner 18-jährigen süßen kleinen Freundin sein oder cool inirgendeiner Lounge herumhängen, um sich eine zu suchen? Während ich dasdachte, hatte ich plötzlich das Gefühl, er hätte in eben diesem Moment meineGedanken gelesen, denn er blickte mich unverwandt an und verzog den linkenMundwinkel zu einem ganz kleinen spöttischen Lächeln. Ich fühlte mich ertappt,schämte mich ein wenig und versuchte mich dafür zu bestrafen, indem ich im Kopfausrechnete, wie minderjährig ich damals hätte schwanger werden müssen, umheute seine Mutter zu sein. Schließlich konzentrierte ich mich wieder darauf,mich zu erinnern, welche Soße meine Mitbewohnerin Kirsten auf ihren Döner habenwollte.
Als ich bei »Sahara« ankam, fiel esmir wieder ein. Gar keine. Dafür ohne Zwiebeln, ohne Gurken, und Tomaten nur,wenn in der Mitte der Strunk rausgeschnitten war. Ichkenne niemanden, der so komplizierte Bestellungen aufgibt wie Kirsten, und normalerweiseweigere ich mich, so was von einem Dönerverkäufer zu verlangen. Aberschließlich hatte sie den Müll, die leeren Flaschen und das ganze Altpapier runtergebracht, die Küche gewischt und das Bad geputzt,während ich an unserem seit Wochen geplanten WG-Putztag erst um halb vieraufgestanden war und es dann gerade noch geschafft hatte, die auf dem Wohnzimmertischverstreuten DVDs zurück in die leeren Etuis zu stecken.
Inzwischen war ich schon wieder aufdem Rückweg, mit meiner dünnen Plastiktüte voll Döner, Schokolade und lauwarmemBecks-Bier, und in 10 Minuten fingGolden Girls an. Von weitem sah ich, dass meine kleine Sexfantasie sich von seinemAuto gelöst hatte und direkt auf mich zukam. Ich war froh, dass ich, bevor sichunsere Wege kreuzten, in den Hauseingang abbiegen konnte. Aber gerade als ichden Schlüssel ins Schloss steckte, sprach er mich an. Ob ich wisse, wo hier inder Nähe ein cooler Club sei, und ich antwortete wahrheitsgemäß, nirgends hierin der Nähe, da müsse er schon nach Mitte fahren. Wo das denn sei, in welcheRichtung er da müsse, er sei nur zu Besuch in Berlin, er komme grade aus seinemHotel und wolle irgendwas erleben und dann kam's:
»Willst du nicht mitkommen? MeinWagen steht gleich um die Ecke in der Tiefgarage. Du könntest ja für heuteNacht meine Fremdenführerin sein!«
Genau drei Gedanken schossen mirdurch den Kopf:
Eins: Das ist definitiv deine letzteChance, mit jemandem ins Bett zu gehen, der unter 40 ist und noch alle Haareauf dem Kopf hat.
Zwei: Wenn du Glück hast, sparst dudir den Club und ihr macht's gleich in der Tiefgarage.
Drei: In sechs Minuten kommt GoldenGirls.
Ich stammelte irgendwas von>Clubs sind eigentlich nicht so mein Ding, es ist schon spät, ich bin nichtrichtig angezogen<, und ich hasste mich für jede einzelne Silbe, die ich daausstotterte.
»Okay, schade«, sagte er. »Ich binmorgen auch noch hier, vielleicht laufen wir uns ja noch mal über den Weg.«
Er machte ein paar ganz langsameSchritte rückwärts und winkte verträumt.
Ich wischte mir unauffällig denSabber vom Mund und drehte mich wieder zur Haustür. Plötzlich spürte ich seinenAtem an meinem Hals. Ich ärgerte mich zu Tode, denn zu so einem Moment gehörtnatürlich auch ein Duft, und ich war mir sicher, er trug das atemberaubendste Aftershave, das je eine notgeile Fraugerochen hat. Aber erbarmungslos kroch die Dönerwolke aus meiner Tüte an unshoch und es stank erbärmlich nach Fett, nach Knoblauch und nach sieben Jahrekeinen anständigen Sex mehr gehabt.
Als ich mich endlich traute, mich zuihm umzudrehen, stand vor mir Johnny Depp. Genau dieselben braun-indianischen Augen,diese lässige Frisur, die sagt, ist mir egal, wie meine Haare aussehen, solangeich sie schütteln kann, in der Mitte der zum Reinbeißen muskulöse Hals, druntereine Jeansjacke und wieder etwas weiter oben der leicht spöttische, halbgeöffnete Mund. Der Kerl hatte sogar erotische Zähne! Ich konnte die ganze Zeitan nichts anderes denken, während er hauchte:
»Weißt du was: Ich will überhauptnicht in einen Club. Ich will hier bleiben. Bei dir. Ich hab dich gestern vomHotelzimmer aus gesehen und heute den ganzen Tag gewartet, bis du rauskommst.«
Ich nahm meine knisternde Imbisstütein die andere Hand, wie um Zeit zu schinden, und dachte an meine hungrige Mitbewohnerin,an einen gemütlichen Abend auf dem Sofa und daran, dass ich mir seit fünf Tagendie Beine nicht rasiert hatte.
Und dass ich nur noch drei Minutenhatte, bis Golden Girls anfing.
Er streckte mir seine braungebrannte, von drei makellosen Adern durchzogene Hand hin und sagte: »Komm.«
Was jetzt geschah, kann ich nur aufdie hirnvernebelnde Wirkung schieben, die der Dönerdunstanscheinend auf meinen Geist ausübte, oder ich erinnere mich falsch; jedenfallsmuss es eine andere Frau gewesen sein, die ich jetzt sagen hörte:
»Ein andermal gern.«
Wie in Trance durchschritt ich diegläserne Eingangstür und ging geradeaus in den Aufzug. Dennoch, ich konntenicht anders: Ich musste mich noch mal umdrehn.
Er stand immer noch da, traurig,unbeweglich, während die Aufzugstür sich langsam schloss. Der Döner war kalt,Golden Girls hatte schon angefangen und ich wusste, wenn ich oben wäre, würdeich erst mal die Unterhose wechseln und mir dann eins in die Fresse hauen.
»Hast du an die Tomaten gedacht?«, rief Kirsten mir aus dem Wohnzimmer entgegen, und ichüberlegte kurz, warum ich eigentlich die Einzige sein sollte, die was aufs Maulkriegt. »Wegen dem Strunk?«, setzte sie nach.
Ich wackelte blöde mit dem Kopf undäffte: »Wegen dem Strunk? Wegen dem Strunk?« Halblaut murmelte ich: »Sagst du dasauch im Bett: >Ich möchte mit dir schlafen, aber ich kann nicht wegen demStrunk<?«
»Was?«,rief Kirsten, »ich versteh kein Wort! Was treibst du denn so lange im Flur? Daswird doch alles kalt! Komm schnell, Rose erzählt von St. Olaf!«
Ich stellte meine Schuhe ordentlichins Regal und hängte meinen Schal auf. Ich bin ein Kontrollfreak. Ehe nichtalles seine Ordnung hat, komme ich nicht zur Ruhe. Wobei ich eher sagen müsste:ehe nicht alles meine Ordnung hat. Es geht mir nicht um Sauberkeit. DerBoden in meinem Arbeitszimmer hat drei Ebenen: Die oberste, ungefähr aufLeitzordner-Höhe, besteht aus Unterlagenstapeln, über die ich grade noch sohinwegsteigen kann. Dazwischen gibt es auf Normalnull fest eingetretene Wege,auf denen ich mich von Stapel zu Stapel bewege. Um die Fußspuren herum erhebtsich eine ca. zweieinhalb Zentimeter hohe Staubschicht. Ich habe mir in meinemMikrokosmos ein ausgeklügeltes System eingerichtet, innerhalb dessen ich michsicher fühle oder dessen Sklave ich hin. Das ist eine Frage der Betrachtung.Ich würde nie einen Unterlagenstapel schief stehen lassen. Sie sind alle schönparallel zueinander ausgerichtet. So pfriemle ich imKleinen vor mich hin und verliere dabei jegliches Zeitgefühl. Ich kann zumBeispiel nicht sagen, wie viele Monate seit dem letzten Mal Fensterputzen vergangensind, aber mit Sicherheit wäre ich Champion in dieser Fernsehshow, wo derKandidat ganz genau beschreiben muss, was er in welcher Jackentasche hat.
Linke Außentasche: Handy. Und zwar nur das Handy.
Im Winter zusätzlich ein PäckchenTempo-Taschentücher. Kein volles Päckchen; das würde die Tasche zu sehrausbeulen. Idealerweise drei bis vier Tücher. Das reicht zum Brilleputzen, wennman vom Kalten ins Warme kommt, und es sind immer noch genug übrig, falls manwo auf Toilette geht, und es gibt kein Klopapier. Wenn ich ein neues Päckchenanbrechen muss, nehme ich bis auf vier Tücher alle raus; wenn nur noch einsübrig ist, fülle ich auf.
Keine Bonbons, keineU-Bahnfahrkarten, keine Münzen. Die könnten das Handy zerkratzen oderverkleben, und beim Herausfingern der Fahrkarte könnte es mit rausfallen.
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© ScherzVerlag
- Autor: Martina Brandl
- 2007, 2. Aufl., 253 Seiten, Maße: 11,1 x 21,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: FISCHER Scherz
- ISBN-10: 3502110190
- ISBN-13: 9783502110194
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