Herzalarm
Herzspezialist Dr. Jack Hunt hat gerade eine Stelle in einer Klinik in Chicago angetreten, als man seinen Chef ermordet. Nun ist Jack Leiter der Kardiologie und damit Zielscheibe gefährlicher Intrigen: Ein Pharma-Riese versucht mit Mafia-Methoden, seine Interessen durchzusetzen.
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Produktinformationen zu „Herzalarm “
Herzspezialist Dr. Jack Hunt hat gerade eine Stelle in einer Klinik in Chicago angetreten, als man seinen Chef ermordet. Nun ist Jack Leiter der Kardiologie und damit Zielscheibe gefährlicher Intrigen: Ein Pharma-Riese versucht mit Mafia-Methoden, seine Interessen durchzusetzen.
Lese-Probe zu „Herzalarm “
Herzalarm von Paul Carson1
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Dr. Jack Hunt arbeitete am Entwurf seines Kündigungsschreibens, als die Profikillerin das Gebäude betrat.
Ein Namensschild, das ein wenig schief an der Brusttasche ihres nicht ganz sauberen weißen Kittels steckte, wies sie als Dr. E. Berenski aus, Ärztin der invasiven Kardiologie des Carter Hospitals, Chicago. Die falsche Identität verdankte sie einem Außenstehenden. In Wahrheit war die Frau eine Auftragskillerin namens Kate Hanzek, die aus Denver gekommen war, um ihr Opfer aufzuspüren und zu töten. Sie hatte gewartet, bis ein Rettungswagen mit kreischenden Reifen in die Zufahrt der Notaufnahme bog, und war der Bahre mit dem blutüberströmten Unfallopfer ins Gebäude gefolgt. Mit einem Stethoskop um den Hals und einer dunkelblauen Montur unter dem Kittel unterschied sie sich nicht von den vielen Ärztinnen und Ärzten der Notaufnahme des Carter Hospitals. »Aus dem Weg! Macht den Weg frei!«, rief einer der Rettungssanitäter. »Der Junge verblutet!«
In der Hektik fiel Kate Hanzek niemandem auf. Alle Aufmerksamkeit galt dem schwer verletzten Teenager, der in den Slums der Stadt vom Fahrer eines gestohlenen Wagens überrollt worden war.
»Er steht unter Schock. Wir konnten ihn nicht einmal an den Tropf hängen«, erklärte ein anderer Sanitäter, während die schwere Flügeltür zur Notaufnahme aufgerissen wurde. »Sein Brustkorb ist zerquetscht.«
Eines der Notaufnahmeteams machte sich an die Arbeit. Tropfleitungen und Sauerstoffmasken wurden herangezogen. »Gebt ihm einen Liter Crystalloid Stat. Wir brauchen einen Blutstatus.« Hektische Anweisungen wurden erteilt, während die Pfleger sich bemühten, das Herz-Kreislauf-System des geschundenen Körpers zu stabilisieren.
Das Carter Hospital beherbergte die beste pädiatrische Traumaversorgung der Stadt. Sie befand sich an einer Ecke der W Harrison inmitten der dichten Ansammlung renommierter medizinischer Abteilungen, und das Team war stolz auf den statistisch belegten Erfolg. Unbekannte Gesichter kamen und verschwanden so häufig wie die Rettungswagen mit den Verletzten aus der südlichen und westlichen Innenstadt und den Vororten, sodass Kate Hanzek keine Schwierigkeiten hatte, rasch und unbemerkt in der Betriebsamkeit im Parterre unterzutauchen.
Im neunten Stock, in der kardiologischen Abteilung, mühte sich Dr. Jack Hunt, die richtigen Worte zu finden. Lieber Professor Lewins, was bestimmte Vorgehensweisen in der kardiologischen Abteilung des Carter Hospitals betrifft, möchte ich meiner Besorgnis Ausdruck verleihen ...
Jack zerknüllte das Blatt und warf es in den Papierkorb. Erstens, dachte er, ist Lewins nicht »lieb«, und zweitens glaube ich nicht, dass er sich im Geringsten darum schert, was hier vor sich geht. Jack Hunt lehnte sich im Sessel zurück und seufzte, ehe er nach einem neuen Blatt Papier griff. Er blickte auf den Schreibtisch, auf das Foto seiner Frau und seines achtjährigen Sohnes, beide mit lachendem Gesicht. Ich tue es für euch, wisst ihr? Wenn ich hier gekündigt habe, werden wir nur noch ein einziges Mal umziehen, das verspreche ich euch.
Er begann wieder zu schreiben. Professor Lewins, zu meinem Bedauern muss ich Ihnen mitteilen ...
Kate Hanzek gelangte zu den Aufzügen im Parterre und drängte sich in eine Kabine, in der sich ein älterer Mann im Rollstuhl und sein Pfleger befanden. Der Pfleger blickte die Fremde flüchtig an und fragte: »Welche Etage?«
»Neunte, Herzstation«, antwortete sie ohne Zögern.
Ein nikotingelber Finger drückte auf die Sechs und die Neun, und zwei Lämpchen glühten auf.
Unauffällig tastete Kate Hanzek nach der Schusswaffe in ihrer
Kitteltasche, eine Heckler & Koch P7 aus Nickel, eine 9-mm-Pis-
tole mit zehn Zentimeter langem Lauf, die ihr schon manch guten Dienst erwiesen hatte. Es war eine teure Waffe, die auf dem freien Markt an die tausend Dollar kostete - nicht gerade die Art von Pistole, wie sie von gewöhnlichen Ganoven benutzt wurde. Hanzek verbarg die Ausbuchtung ihrer Kitteltasche mit dem Ellbogen und stützte die Stirn auf die Handfläche der Linken, als würde sie über ein schwieriges Problem nachdenken. Diese Haltung behielt sie bei, bis im sechsten Stock die Lifttür zur Seite glitt. Hanzek half sogar, den Rollstuhl hinauszuschieben, und richtete fürsorglich den Bademantel des Patienten.
»Danke, Frau Doktor«, murmelte der Mann, ehe die Tür sich schloss.
»Nichts zu danken«, erwiderte Hanzek mit einem Lächeln. Dann drückte sie vorsichtshalber selbst noch auf den Knopf zur Neunten und spürte den beruhigenden Ruck, als der Aufzug weiterfuhr. Sah man davon ab, dass der übliche Krankenhausgeruch nach starken Desinfektionsmitteln ihre Nase reizte, war alles bestens. Es lief genau nach Plan. Es war genau 13.15 Uhr, wie ein rascher Blick auf die Uhr ihr verriet. Pünktlich, keine Pannen, keine unerwarteten Sicherheitschecks - also auch keine Notwendigkeit, zum Alternativplan zu wechseln. Die Strategie, auf die sie sich geeinigt hatten, erwies sich als brauchbar.
Seit ich hier meine Stelle angetreten habe, ärgern mich die Schlampigkeiten in der Forschungsabteilung, das mittelmäßige medizinische Niveau und der Mangel an Kompetenz. Von einem Krankenhaus, das so hohes Ansehen genießt, hätte ich mehr erwartet ...
Jack Hunt hielt inne und suchte nach den passenden Worten, seinen Ärger und seine Enttäuschung nachhaltig auszudrücken. Wieder hatte er ein Jahr verschwendet; wieder musste er woanders an seiner Karriere weiterarbeiten.
Mit seinen jetzt neununddreißig Jahren stand insbesondere das Studium von Herzkrankheiten im Mittelpunkt seines beruflichen Interesses. Er hatte in renommierten medizinischen Instituten gearbeitet - in Sydney, London, Dublin, Philadelphia, New York und nun in Chicago. Überall hatte er neue Erfahrungen gesammelt und Aufsehen erregende Forschungsergebnisse veröffentlicht. Fünfmal waren ihm leitende Stellen angeboten worden, doch jedes Mal hatte er abgelehnt, weil er sich größeren, bedeutenderen Herausforderungen stellen wollte. Doch stets hatte man Jack Hunt geflissentlich übergangen, wenn es um die Besetzung hochkarätiger Stellen ging. Er war kein Team-Player, und die finanziellen Vorteile einer lukrativen Privatpraxis als Kardiologe interessierten ihn wenig. Er war Wissenschaftler - ein besessener Forscher, der sich nur glücklich fühlte, wenn er sich bislang ungelösten medizinischen Rätseln widmen konnte - mit einer solchen Besessenheit, dass der Chef eines Krankenhauses ihn mit nachsichtigem Lächeln als naiv bezeichnet hatte. Seine Ruhelosigkeit war Jack teuer zu stehen gekommen. Verglichen mit anderen Medizinern seines Alters war er ein armer Schlucker mit seinen knapp sechzehntausend Dollar auf dem Konto und einem fünf Jahre alten Volvo Kombi mit achtzigtausend Kilometern auf dem Tacho. Seine gesamte übrige Habe ließ sich problemlos in sechs Koffern unterbringen.
Die Herzstation des Carter Hospitals in Chicago galt als eine der besten der Welt. Die Klinik hatte viel versprochen, für Jack persönlich aber nur wenig gehalten. Es machte ihn wütend, dass ihm nun keine Wahl blieb, als sich wieder einmal nach einem geeigneten Job umzuschauen, zumal er sich nach einem dauerhaften Zuhause für sich und seine Familie sehnte. Beth, seine Frau, wünschte sich ein zweites Kind und war des Nomadenlebens müde, dem häufigen Wechsel von Krankenhaus zu Krankenhaus, von Stadt zu Stadt, Land zu Land. Hinzu kamen materielle Sorgen, denn Jack war bisher nie lange genug an einer Klinik geblieben, um eine Aufstiegschance zu haben.
Auch Danny, ihr gemeinsamer Sohn, wünschte sich ein festes Zuhause, um endlich eingeschworener Fan einer Fußballmannschaft werden zu können.
»Das ist der Mann.«
An diesem Morgen war in Zimmer 2852 des Hyatt ein Schwarzweißfoto über einen kleinen Tisch mit Eichenfurnier geschoben worden. Durch das Fenster waren ein Bürogebäude und der Chicago River zu sehen, auf dem Vergnügungsboote und Touristenschiffe fuhren und ihren Fahrgästen den Blick auf die berühmten Wolkenkratzer der Stadt gewährten.
Es war zwei Minuten vor zehn, doch an diesem Frühsommertag war es jetzt schon heiß und schwül. Kate Hanzek trug über den Knien abgeschnittene Jeans und ein schwarzes T-Shirt - ein augenfälliger Kontrast zum marineblauen Arbeitsanzug des Carter Hospitals, der auf dem Bett lag. Der ein wenig schmuddelige weiße Kittel mit dem falschen Namensschild hing in einem Kleiderschrank, dessen Türen geöffnet waren. In der rechten Tasche steckte ein Stethoskop. Verschiedene Stifte, zusammengeknüllte Zettel und ein eselsohriges Notizbuch, von einem Gummiband zusammengehalten - der übliche Kleinkram, den Ärzte stets dabeihatten -, beulten die linke Tasche aus. Neben dem weißen Kittel hing eine lange Regenhaut; sie sollte die Krankenhauskleidung verbergen, wenn Kate Hanzek das Hotel verließ. Eine mattbraune Perücke lag auf einem Wandbrett. Die geladene Heckler & Koch befand sich in Hanzeks Tasche, die auf dem Bett lag.
»Er gehört zum Stab der Kardiologie.«
Der Controller hatte Hanzek gerade über so viele Details unterrichtet, wie man ihn angewiesen hatte - grundlegende Fakten, sonst nichts. Der Controller war ein kleiner, untersetzter Koreaner, ein ordentlicher, aber unauffälliger Mann mit dunkelblauer Hose und T-Shirt unter einer weißen Leinenjacke. Sogar im Zimmer trug er eine dunkle Sonnenbrille, die seine Augen verbarg. Hanzek saß gleichmütig am Tisch vor dem Fenster und rauchte eine Marlboro. Im Hintergrund mühte sich lautstark eine Klimaanlage, die drückende Hitze zu vertreiben, während die Auftragskillerin das Foto studierte. Ein sympathisches Gesicht, dachte sie, sogar gut aussehend. Dichtes, dunkles Haar. Fest und selbstbewusst blickende Augen. Schade, dass er sterben muss, er sieht wirklich gut aus.
»Sein Name ist Dr. Jack Hunt.« Der Koreaner war in Eile. Wie die Profikiller, denen er Aufträge erteilte, war ihm wenig über die jeweiligen Zielpersonen bekannt, die eliminiert werden sollten, und
sie waren ihm auch egal. Er stand so weit unten in der Hierarchie, dass er nicht einmal wusste, wer den jeweiligen Mord in Auftrag gab und dafür bezahlte. »Er ist neununddreißig, Ire, über eins-achtzig, etwa fünfundachtzig Kilo. Vermeiden Sie also jeden Körperkontakt.«
Die Killerin nickte. Sie war einssiebenundsechzig und hielt sich mit regelmäßigen körperlichen Übungen in Bestform. Aber sie war keine Nahkämpferin.
»Zwei schnelle Schüsse. Einer in den Kopf, der andere in die Brust. Dann verschwinden Sie sofort. Wenn Sie rechtzeitig in der Klinik sind, müsste alles reibungslos über die Bühne gehen.« Der Koreaner wartete auf ihre Reaktion, doch es kam keine. »Scheint ein einfacher Job zu sein.«
Hanzek lächelte schwach. Ein einfacher Job. Was, zum Teufel, wusste dieser Kerl schon darüber, was einfach war und was nicht? Sie wischte sich mit einem Taschentuch die Stirn ab. Die Klimaanlage hatte ihren Geist aufgegeben, und es wurde drückend heiß im Zimmer.
»Der Fahrer setzt Sie in der Tiefgarage ab. Noch in der gleichen Stunde wird der Wagen in einer Schrottpresse enden.« Der Controller war mit seinen Ausführungen fast fertig. »Ich sage dem Fahrer, dass er Sie um zwölf Uhr im Foyer treffen soll. Sobald Sie Ihren Job erledigt haben, wird ein anderer Fahrer Sie in einem Ford Thunderbird zum O'Hare-Flughafen bringen.«
Der Aufzug hielt im neunten Stock, als Kate Hanzeks Plan mit einem Mal in sich zusammenstürzte. Beim Aussteigen hörte sie den schrillen Alarmton. Das durchdringende Geräusch erschreckte sie, und unversehens verlor sie die Orientierung. Sie blickte nach rechts und sah drei weiß bekittelte Ärzte, die zu einer offenen Tür rannten.
Ein Pfleger zog Hanzek am Ärmel. »Beeilen Sie sich. Es sind fast schon zwei Minuten vergangen!«
Kate Hanzek wusste nicht, dass der Herzalarm so lange ertönte, bis ein vollständiges Intensivteam bei dem betroffenen Patienten war. Die Kardiologen, die nicht selbst mit Notfällen beschäftigt waren, mussten alles stehen und liegen lassen und umgehend zur Alarmzone. Doch Hanzek wusste nicht, wo sich die Intensivstation befand, und sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was bei einem Herzalarm zu tun war. Für jemanden, der Menschen durch eine gut gezielte Kugel ins Herz vom Leben zum Tode beförderte, war ein Krankenhaus ein fremdes, verwirrendes Terrain.
»Beeilen Sie sich, um Himmels willen!« Eine junge Schwester rannte an Hanzek vorbei und warf der vermeintlichen Ärztin einen auffordernden Blick zu. Als sie die offene Stationstür erreichte, schaute die Schwester noch einmal zurück. Kate Hanzek, die wie angewurzelt dastand, entging die offensichtliche Verwunderung der Frau nicht.
Immer noch schrillte der durchdringende Alarmton, sodass Kate Hanzek die Ohren schmerzten. Sie wandte sich nach links, wie ihr Plan es verlangte, und wurde beinahe von zwei anderen Schwestern über den Haufen gerannt. Kurz entschlossen gab sie ihren ursprünglichen Plan auf und nahm den ersten Korridor rechts, doch laute Stimmen vor ihr zwangen sie, erneut die Richtung zu ändern. Sie eilte an einem offenen Büroraum vorbei, in dem das Personal an Computern saß. Hanzek entgingen die erstaunten Blicke nicht, mit denen sie gemustert wurde. Der Alarm schrillte noch immer. Der Auftragskillerin, der die Zeit davonlief, brach der Schweiß aus. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte jemand. Hanzek winkte hastig ab und wechselte erneut die Richtung. Ihr Herz raste, ihre Gedanken überschlugen sich. Verzweifelt versuchte sie, sich an den Lageplan der Herzstation zu erinnern.
Ja, jetzt fiel es ihr wieder ein. Die Tür zur Linken führte in einen Waschraum für Rollstuhlfahrer. Mit zitternden Händen und wild klopfendem Herzen drehte sie den Türknauf, riss die Tür auf, verschloss sie hinter sich und drückte die schweißnasse Stirn an die kühlen Kacheln. Verdammt! Sie hatte die Übersicht verloren. Wenn sie Jack Hunt nicht finden konnte, würde sie den Fahrer kaltmachen, diesen Mistkerl, weil der sie in diese Lage gebracht hatte. Hanzek atmete einige Male tief durch, um sich zu beruhigen.
Ein Blick aufs Handgelenk. 13.19 Uhr. Ihr blieb kaum noch Zeit.
Übersetzung: Lore Straßl
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Dr. Jack Hunt arbeitete am Entwurf seines Kündigungsschreibens, als die Profikillerin das Gebäude betrat.
Ein Namensschild, das ein wenig schief an der Brusttasche ihres nicht ganz sauberen weißen Kittels steckte, wies sie als Dr. E. Berenski aus, Ärztin der invasiven Kardiologie des Carter Hospitals, Chicago. Die falsche Identität verdankte sie einem Außenstehenden. In Wahrheit war die Frau eine Auftragskillerin namens Kate Hanzek, die aus Denver gekommen war, um ihr Opfer aufzuspüren und zu töten. Sie hatte gewartet, bis ein Rettungswagen mit kreischenden Reifen in die Zufahrt der Notaufnahme bog, und war der Bahre mit dem blutüberströmten Unfallopfer ins Gebäude gefolgt. Mit einem Stethoskop um den Hals und einer dunkelblauen Montur unter dem Kittel unterschied sie sich nicht von den vielen Ärztinnen und Ärzten der Notaufnahme des Carter Hospitals. »Aus dem Weg! Macht den Weg frei!«, rief einer der Rettungssanitäter. »Der Junge verblutet!«
In der Hektik fiel Kate Hanzek niemandem auf. Alle Aufmerksamkeit galt dem schwer verletzten Teenager, der in den Slums der Stadt vom Fahrer eines gestohlenen Wagens überrollt worden war.
»Er steht unter Schock. Wir konnten ihn nicht einmal an den Tropf hängen«, erklärte ein anderer Sanitäter, während die schwere Flügeltür zur Notaufnahme aufgerissen wurde. »Sein Brustkorb ist zerquetscht.«
Eines der Notaufnahmeteams machte sich an die Arbeit. Tropfleitungen und Sauerstoffmasken wurden herangezogen. »Gebt ihm einen Liter Crystalloid Stat. Wir brauchen einen Blutstatus.« Hektische Anweisungen wurden erteilt, während die Pfleger sich bemühten, das Herz-Kreislauf-System des geschundenen Körpers zu stabilisieren.
Das Carter Hospital beherbergte die beste pädiatrische Traumaversorgung der Stadt. Sie befand sich an einer Ecke der W Harrison inmitten der dichten Ansammlung renommierter medizinischer Abteilungen, und das Team war stolz auf den statistisch belegten Erfolg. Unbekannte Gesichter kamen und verschwanden so häufig wie die Rettungswagen mit den Verletzten aus der südlichen und westlichen Innenstadt und den Vororten, sodass Kate Hanzek keine Schwierigkeiten hatte, rasch und unbemerkt in der Betriebsamkeit im Parterre unterzutauchen.
Im neunten Stock, in der kardiologischen Abteilung, mühte sich Dr. Jack Hunt, die richtigen Worte zu finden. Lieber Professor Lewins, was bestimmte Vorgehensweisen in der kardiologischen Abteilung des Carter Hospitals betrifft, möchte ich meiner Besorgnis Ausdruck verleihen ...
Jack zerknüllte das Blatt und warf es in den Papierkorb. Erstens, dachte er, ist Lewins nicht »lieb«, und zweitens glaube ich nicht, dass er sich im Geringsten darum schert, was hier vor sich geht. Jack Hunt lehnte sich im Sessel zurück und seufzte, ehe er nach einem neuen Blatt Papier griff. Er blickte auf den Schreibtisch, auf das Foto seiner Frau und seines achtjährigen Sohnes, beide mit lachendem Gesicht. Ich tue es für euch, wisst ihr? Wenn ich hier gekündigt habe, werden wir nur noch ein einziges Mal umziehen, das verspreche ich euch.
Er begann wieder zu schreiben. Professor Lewins, zu meinem Bedauern muss ich Ihnen mitteilen ...
Kate Hanzek gelangte zu den Aufzügen im Parterre und drängte sich in eine Kabine, in der sich ein älterer Mann im Rollstuhl und sein Pfleger befanden. Der Pfleger blickte die Fremde flüchtig an und fragte: »Welche Etage?«
»Neunte, Herzstation«, antwortete sie ohne Zögern.
Ein nikotingelber Finger drückte auf die Sechs und die Neun, und zwei Lämpchen glühten auf.
Unauffällig tastete Kate Hanzek nach der Schusswaffe in ihrer
Kitteltasche, eine Heckler & Koch P7 aus Nickel, eine 9-mm-Pis-
tole mit zehn Zentimeter langem Lauf, die ihr schon manch guten Dienst erwiesen hatte. Es war eine teure Waffe, die auf dem freien Markt an die tausend Dollar kostete - nicht gerade die Art von Pistole, wie sie von gewöhnlichen Ganoven benutzt wurde. Hanzek verbarg die Ausbuchtung ihrer Kitteltasche mit dem Ellbogen und stützte die Stirn auf die Handfläche der Linken, als würde sie über ein schwieriges Problem nachdenken. Diese Haltung behielt sie bei, bis im sechsten Stock die Lifttür zur Seite glitt. Hanzek half sogar, den Rollstuhl hinauszuschieben, und richtete fürsorglich den Bademantel des Patienten.
»Danke, Frau Doktor«, murmelte der Mann, ehe die Tür sich schloss.
»Nichts zu danken«, erwiderte Hanzek mit einem Lächeln. Dann drückte sie vorsichtshalber selbst noch auf den Knopf zur Neunten und spürte den beruhigenden Ruck, als der Aufzug weiterfuhr. Sah man davon ab, dass der übliche Krankenhausgeruch nach starken Desinfektionsmitteln ihre Nase reizte, war alles bestens. Es lief genau nach Plan. Es war genau 13.15 Uhr, wie ein rascher Blick auf die Uhr ihr verriet. Pünktlich, keine Pannen, keine unerwarteten Sicherheitschecks - also auch keine Notwendigkeit, zum Alternativplan zu wechseln. Die Strategie, auf die sie sich geeinigt hatten, erwies sich als brauchbar.
Seit ich hier meine Stelle angetreten habe, ärgern mich die Schlampigkeiten in der Forschungsabteilung, das mittelmäßige medizinische Niveau und der Mangel an Kompetenz. Von einem Krankenhaus, das so hohes Ansehen genießt, hätte ich mehr erwartet ...
Jack Hunt hielt inne und suchte nach den passenden Worten, seinen Ärger und seine Enttäuschung nachhaltig auszudrücken. Wieder hatte er ein Jahr verschwendet; wieder musste er woanders an seiner Karriere weiterarbeiten.
Mit seinen jetzt neununddreißig Jahren stand insbesondere das Studium von Herzkrankheiten im Mittelpunkt seines beruflichen Interesses. Er hatte in renommierten medizinischen Instituten gearbeitet - in Sydney, London, Dublin, Philadelphia, New York und nun in Chicago. Überall hatte er neue Erfahrungen gesammelt und Aufsehen erregende Forschungsergebnisse veröffentlicht. Fünfmal waren ihm leitende Stellen angeboten worden, doch jedes Mal hatte er abgelehnt, weil er sich größeren, bedeutenderen Herausforderungen stellen wollte. Doch stets hatte man Jack Hunt geflissentlich übergangen, wenn es um die Besetzung hochkarätiger Stellen ging. Er war kein Team-Player, und die finanziellen Vorteile einer lukrativen Privatpraxis als Kardiologe interessierten ihn wenig. Er war Wissenschaftler - ein besessener Forscher, der sich nur glücklich fühlte, wenn er sich bislang ungelösten medizinischen Rätseln widmen konnte - mit einer solchen Besessenheit, dass der Chef eines Krankenhauses ihn mit nachsichtigem Lächeln als naiv bezeichnet hatte. Seine Ruhelosigkeit war Jack teuer zu stehen gekommen. Verglichen mit anderen Medizinern seines Alters war er ein armer Schlucker mit seinen knapp sechzehntausend Dollar auf dem Konto und einem fünf Jahre alten Volvo Kombi mit achtzigtausend Kilometern auf dem Tacho. Seine gesamte übrige Habe ließ sich problemlos in sechs Koffern unterbringen.
Die Herzstation des Carter Hospitals in Chicago galt als eine der besten der Welt. Die Klinik hatte viel versprochen, für Jack persönlich aber nur wenig gehalten. Es machte ihn wütend, dass ihm nun keine Wahl blieb, als sich wieder einmal nach einem geeigneten Job umzuschauen, zumal er sich nach einem dauerhaften Zuhause für sich und seine Familie sehnte. Beth, seine Frau, wünschte sich ein zweites Kind und war des Nomadenlebens müde, dem häufigen Wechsel von Krankenhaus zu Krankenhaus, von Stadt zu Stadt, Land zu Land. Hinzu kamen materielle Sorgen, denn Jack war bisher nie lange genug an einer Klinik geblieben, um eine Aufstiegschance zu haben.
Auch Danny, ihr gemeinsamer Sohn, wünschte sich ein festes Zuhause, um endlich eingeschworener Fan einer Fußballmannschaft werden zu können.
»Das ist der Mann.«
An diesem Morgen war in Zimmer 2852 des Hyatt ein Schwarzweißfoto über einen kleinen Tisch mit Eichenfurnier geschoben worden. Durch das Fenster waren ein Bürogebäude und der Chicago River zu sehen, auf dem Vergnügungsboote und Touristenschiffe fuhren und ihren Fahrgästen den Blick auf die berühmten Wolkenkratzer der Stadt gewährten.
Es war zwei Minuten vor zehn, doch an diesem Frühsommertag war es jetzt schon heiß und schwül. Kate Hanzek trug über den Knien abgeschnittene Jeans und ein schwarzes T-Shirt - ein augenfälliger Kontrast zum marineblauen Arbeitsanzug des Carter Hospitals, der auf dem Bett lag. Der ein wenig schmuddelige weiße Kittel mit dem falschen Namensschild hing in einem Kleiderschrank, dessen Türen geöffnet waren. In der rechten Tasche steckte ein Stethoskop. Verschiedene Stifte, zusammengeknüllte Zettel und ein eselsohriges Notizbuch, von einem Gummiband zusammengehalten - der übliche Kleinkram, den Ärzte stets dabeihatten -, beulten die linke Tasche aus. Neben dem weißen Kittel hing eine lange Regenhaut; sie sollte die Krankenhauskleidung verbergen, wenn Kate Hanzek das Hotel verließ. Eine mattbraune Perücke lag auf einem Wandbrett. Die geladene Heckler & Koch befand sich in Hanzeks Tasche, die auf dem Bett lag.
»Er gehört zum Stab der Kardiologie.«
Der Controller hatte Hanzek gerade über so viele Details unterrichtet, wie man ihn angewiesen hatte - grundlegende Fakten, sonst nichts. Der Controller war ein kleiner, untersetzter Koreaner, ein ordentlicher, aber unauffälliger Mann mit dunkelblauer Hose und T-Shirt unter einer weißen Leinenjacke. Sogar im Zimmer trug er eine dunkle Sonnenbrille, die seine Augen verbarg. Hanzek saß gleichmütig am Tisch vor dem Fenster und rauchte eine Marlboro. Im Hintergrund mühte sich lautstark eine Klimaanlage, die drückende Hitze zu vertreiben, während die Auftragskillerin das Foto studierte. Ein sympathisches Gesicht, dachte sie, sogar gut aussehend. Dichtes, dunkles Haar. Fest und selbstbewusst blickende Augen. Schade, dass er sterben muss, er sieht wirklich gut aus.
»Sein Name ist Dr. Jack Hunt.« Der Koreaner war in Eile. Wie die Profikiller, denen er Aufträge erteilte, war ihm wenig über die jeweiligen Zielpersonen bekannt, die eliminiert werden sollten, und
sie waren ihm auch egal. Er stand so weit unten in der Hierarchie, dass er nicht einmal wusste, wer den jeweiligen Mord in Auftrag gab und dafür bezahlte. »Er ist neununddreißig, Ire, über eins-achtzig, etwa fünfundachtzig Kilo. Vermeiden Sie also jeden Körperkontakt.«
Die Killerin nickte. Sie war einssiebenundsechzig und hielt sich mit regelmäßigen körperlichen Übungen in Bestform. Aber sie war keine Nahkämpferin.
»Zwei schnelle Schüsse. Einer in den Kopf, der andere in die Brust. Dann verschwinden Sie sofort. Wenn Sie rechtzeitig in der Klinik sind, müsste alles reibungslos über die Bühne gehen.« Der Koreaner wartete auf ihre Reaktion, doch es kam keine. »Scheint ein einfacher Job zu sein.«
Hanzek lächelte schwach. Ein einfacher Job. Was, zum Teufel, wusste dieser Kerl schon darüber, was einfach war und was nicht? Sie wischte sich mit einem Taschentuch die Stirn ab. Die Klimaanlage hatte ihren Geist aufgegeben, und es wurde drückend heiß im Zimmer.
»Der Fahrer setzt Sie in der Tiefgarage ab. Noch in der gleichen Stunde wird der Wagen in einer Schrottpresse enden.« Der Controller war mit seinen Ausführungen fast fertig. »Ich sage dem Fahrer, dass er Sie um zwölf Uhr im Foyer treffen soll. Sobald Sie Ihren Job erledigt haben, wird ein anderer Fahrer Sie in einem Ford Thunderbird zum O'Hare-Flughafen bringen.«
Der Aufzug hielt im neunten Stock, als Kate Hanzeks Plan mit einem Mal in sich zusammenstürzte. Beim Aussteigen hörte sie den schrillen Alarmton. Das durchdringende Geräusch erschreckte sie, und unversehens verlor sie die Orientierung. Sie blickte nach rechts und sah drei weiß bekittelte Ärzte, die zu einer offenen Tür rannten.
Ein Pfleger zog Hanzek am Ärmel. »Beeilen Sie sich. Es sind fast schon zwei Minuten vergangen!«
Kate Hanzek wusste nicht, dass der Herzalarm so lange ertönte, bis ein vollständiges Intensivteam bei dem betroffenen Patienten war. Die Kardiologen, die nicht selbst mit Notfällen beschäftigt waren, mussten alles stehen und liegen lassen und umgehend zur Alarmzone. Doch Hanzek wusste nicht, wo sich die Intensivstation befand, und sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was bei einem Herzalarm zu tun war. Für jemanden, der Menschen durch eine gut gezielte Kugel ins Herz vom Leben zum Tode beförderte, war ein Krankenhaus ein fremdes, verwirrendes Terrain.
»Beeilen Sie sich, um Himmels willen!« Eine junge Schwester rannte an Hanzek vorbei und warf der vermeintlichen Ärztin einen auffordernden Blick zu. Als sie die offene Stationstür erreichte, schaute die Schwester noch einmal zurück. Kate Hanzek, die wie angewurzelt dastand, entging die offensichtliche Verwunderung der Frau nicht.
Immer noch schrillte der durchdringende Alarmton, sodass Kate Hanzek die Ohren schmerzten. Sie wandte sich nach links, wie ihr Plan es verlangte, und wurde beinahe von zwei anderen Schwestern über den Haufen gerannt. Kurz entschlossen gab sie ihren ursprünglichen Plan auf und nahm den ersten Korridor rechts, doch laute Stimmen vor ihr zwangen sie, erneut die Richtung zu ändern. Sie eilte an einem offenen Büroraum vorbei, in dem das Personal an Computern saß. Hanzek entgingen die erstaunten Blicke nicht, mit denen sie gemustert wurde. Der Alarm schrillte noch immer. Der Auftragskillerin, der die Zeit davonlief, brach der Schweiß aus. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte jemand. Hanzek winkte hastig ab und wechselte erneut die Richtung. Ihr Herz raste, ihre Gedanken überschlugen sich. Verzweifelt versuchte sie, sich an den Lageplan der Herzstation zu erinnern.
Ja, jetzt fiel es ihr wieder ein. Die Tür zur Linken führte in einen Waschraum für Rollstuhlfahrer. Mit zitternden Händen und wild klopfendem Herzen drehte sie den Türknauf, riss die Tür auf, verschloss sie hinter sich und drückte die schweißnasse Stirn an die kühlen Kacheln. Verdammt! Sie hatte die Übersicht verloren. Wenn sie Jack Hunt nicht finden konnte, würde sie den Fahrer kaltmachen, diesen Mistkerl, weil der sie in diese Lage gebracht hatte. Hanzek atmete einige Male tief durch, um sich zu beruhigen.
Ein Blick aufs Handgelenk. 13.19 Uhr. Ihr blieb kaum noch Zeit.
Übersetzung: Lore Straßl
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Bibliographische Angaben
- Autor: Paul Carson
- 2011, 1, 366 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828996450
- ISBN-13: 9783828996458
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