Herzbeben
Roman
Die attraktive Vulkanologin Keeley hat nach der Trennung von ihrem untreuen Ehemann mit der Liebe abgeschlossen. Es kommt ihr gerade recht, dass ein Vulkan auf Hawaii kurz vor dem Ausbruch steht. Doch da bringt der charmante Kunsthändler Ian ihr Herz zum Beben.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Herzbeben “
Die attraktive Vulkanologin Keeley hat nach der Trennung von ihrem untreuen Ehemann mit der Liebe abgeschlossen. Es kommt ihr gerade recht, dass ein Vulkan auf Hawaii kurz vor dem Ausbruch steht. Doch da bringt der charmante Kunsthändler Ian ihr Herz zum Beben.
Klappentext zu „Herzbeben “
Die attraktive Vulkanologin Keeley hat nach der Trennung von ihrem untreuen Ehemann entschieden, der Liebe endgültig abzuschwören. Und nun kommt ihr gerade recht, dass einer ihrer Feuerberge auf Hawaii kurz vor dem Ausbruch steht. Doch da bringt der charmante Kunsthändler Ian ihr Herz zum Beben ...
Die attraktive Vulkanologin Keeley hat nach der Trennung von ihrem untreuen Ehemann entschieden, der Liebe endgültig abzuschwören. Und nun kommt ihr gerade recht, dass einer ihrer Feuerberge auf Hawaii kurz vor dem Ausbruch steht. Doch da bringt der charmante Kunsthändler Ian ihr Herz zum Beben ...
Lese-Probe zu „Herzbeben “
Herzbeben von Jill Smolinski1
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Nach fünf gemeinsamen Jahren war ich immer noch in meinen Mann verliebt. Was an sich ja
sehr schön gewesen wäre, wenn ich nicht vorgehabt hätte, die Scheidung einzureichen. Am vierten Juli.
Für den Fall, dass jemandem der Symbolcharakter entgeht - das ist der amerikanische Unabhängigkeitstag. Und ich würde damit sagen: Okay, Süßer, ich gebe dich frei. Geh deiner Wege und tu, was du willst. Zum Beispiel fernsehen, surfen und - ach, weiß der Teufel, was sonst noch alles - dich an den Eiern kratzen, was du ständig getan hast, während wir zusammen waren, und dabei stets von zwei haselnussbraunen Augen (meinen) durchbohrt wurdest, was dir den ganzen Spaß verdorben hat.
Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn meine Augen blau wären. Vielleicht hättest du dir dann einreden können, dass nicht ich, sondern der weite Himmel dich so vorwurfsvoll ansieht. Nur der blaue Himmel, der seufzend von einem Bein auf das andere tritt und sich darüber beschwert, dass du schon vor zwei Stunden zu Hause sein wolltest.
Aber nein, stattdessen haselnussbraune Augen mit grünen und dunkleren Punkten darin - Erdfarben, die dir zuriefen: »Komm gefälligst zurück, du treuloser Mistkerl, und bring Milch mit, wir haben keine mehr.«
An jenem bewussten vierten Juli, dem ersten Feiertag seit unserer Trennung oder vielmehr, seit Kam sich von mir getrennt hatte, hatten wir vereinbart, uns unseren Sohn Dante für diesen Tag zu teilen. Ich würde mir die Parade mit ihm ansehen, Kam ihn zum Feuerwerk mitnehmen. Keine Mühe wurde gescheut, damit ich nicht zu seinem Haus kommen und Gefahr laufen musste, IHR zu begegnen.
Die Übergabe von Dante sollte Punkt zwei Uhr mittags an der nordöstlichen Ecke der Peach und der Flower Avenue statt~ nden, vor der Kona Kofferie (heute ein Starbucks, aber zwischen allen Bewohnern der Big Island bestand die stillschweigende Vereinbarung, diese Veränderung zu ignorieren). Dort sollte Kam warten und sich die vorüberziehenden Festwagen und Bands ansehen, bis ich ihm den Jungen brachte.
Was Kam - Abkürzung für Kamohoali'i, der Haigott - nicht wusste, war, dass ich mir einen Plan zurechtgelegt hatte.
Das Kernstück dieses Plans bildete Regatta - langbeinig, schlank und mit einer Vorliebe für knallroten Lippenstift. Was eigentlich nichts zur Sache tat, wenn man davon absieht, dass Ray-Ban-Sonnenbrillen wie für sie gemacht schienen. Regatta war meine beste Freundin und zugleich meine Haarstylistin. Wir hatten keine Geheimnisse voreinander.
Wir hatten uns Folgendes ausgedacht: Ich würde mit meinem Sohn die Parade besuchen und dann am ausgemachten Treffpunkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite Posten beziehen, wo ich alles überblicken, aber selbst nicht gesehen werden konnte. Viertel vor zwei würde Regatta dann Kam »zufällig« über den Weg laufen, sich eine Weile mit ihm unterhalten, eventuell auch ein bisschen mit ihm flirten. Schließlich kennen sie sich ja schon eine ganze Weile. Dann würde sie beiläufig bemerken: »Ach übrigens, ich habe hier etwas von Keeley für dich«, und ihm den Umschlag mit den Scheidungspapieren unter die Nase halten.
Und ich würde sein ungläubiges Gesicht bewundern können - vor allem, wenn ich mir ein Fernglas mitnahm. Dante wäre in aller Unschuld eines vierjährigen Kindes so von der Parade abgelenkt, dass er nichts von dem Drama bemerkte, das sich um ihn herum abspielte. Und ich könnte all denen, die mir ständig versicherten, sie würden gut verstehen, wie gedemütigt ich mir doch vorkommen müsse, triumphierend von meinem Rachefeldzug berichten.
Der Plan war brillant, wies aber leider eine elementare Schwachstelle auf: mich, Keeley Baker-Kekuhi, Weltmeisterin der umgeworfenen Entscheidungen.
Oh, ich war durchaus pünktlich am Treffpunkt und hatte es sogar geschafft, mich mit Dante hinter einer Frau von der Breite einer Reklametafel zu verstecken, die ein blau-rot-weißes Muumuu trug. Die Parade war schon fast vorüber, als ich Kam kommen sah. Was aber nicht unbedingt mit dem Moment zusammenfiel, in dem mein ursprünglicher Plan ein unvorhergesehenes Eigenleben anzunehmen begann.
Auch auf die Gefahr hin, wie ein Teenager ins Schwärmen zu geraten, sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass Kam geradezu überwältigend gut aussieht. Nachdem ich ihm wochenlang aus dem Weg gegangen war - nicht ganz einfach mit einem gemeinsamen Kind -, musste mir diese Tatsache wohl entfallen sein. Er stand ungefähr zwölf Meter von mir entfernt, die Hände in die Taschen seiner Shorts geschoben, ohne Hemd, mit einem flachen, braunen Bauch, von dem ein Tennisball abprallen würde, das Haar unter einem Tuch verborgen.
Wie üblich war sein Lächeln mein Untergang. Seine Mutter pflegte zu sagen, er habe das Gesicht eines Engels und das Grinsen eines Teufels. Kennengelernt hatte ich ihn, als ich Lavaproben sammelte. Das ist mein Beruf; ich bin Vulkanologin. Er führte eine Touristengruppe auf dem Berg herum und schien, während ich eifrig arbeitete, plötzlich aus dem Nichts aufzutauchen. Nie werde ich vergessen, wie sich seine Lippen zu jenem teuflischen Grinsen verzogen, ehe er fragte: »Was tut ein hübsches Mädchen wie Sie denn an einem Ort wie diesem?«, und ich spürte, wie meine Knie weich wurden. Jetzt sah ich, wie er Regatta anlächelte, die plangemäß auf ihn zusteuerte.
Ich sah, wie die beiden sich - ebenfalls nach Plan - angeregt miteinander unterhielten.
Was mir dann durch den Kopf schoss, hörte sich ungefähr so an: Ich mache einen Riesenfehler, er will mich immer noch, er ist im Moment nur total durcheinander, hat er ja selbst gesagt, also warum reiße ich ihm nicht einfach diese Flip-Flops von den Füßen, knabbere an seinen Zehen und arbeite mich dann langsam weiter aufwärts - und ähnliche schlüpfrige Gedanken, die nichts mit meinem Plan zu tun und schon gar nichts im Kopf einer Frau verloren hatten, die drauf und dran war, die Scheidung einzuleiten.
Ich musste Regatta aufhalten. Glücklicherweise hielt mich ein Rest von Selbstbeherrschung davon ab, quer über die Straße zu stürmen. Das und ein riesiger Wagen in Form eines Früchtekorbes, der die Flower Avenue entlangschaukelte.
Ich spähte lange genug hinter der Frau in dem Muumuu hervor, um aus vollem Hals »Regatta!« zu brüllen, aber man glaubt gar nicht, was im Lärm tanzender Bananen alles untergeht. Sie hörte noch nicht einmal das Klingeln ihres Handys, nachdem ich hastig ihre Nummer eingetippt hatte.
Die Situation drohte aus dem Ruder zu laufen. Die Früchte verschwanden um die Ecke, dann marschierte eine Kapelle an mir vorbei. Ich versuchte, durch verzweifeltes Winken Regattas Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
Vergebens. Sie war zu Punkt zwei des Plans - Flirten - übergegangen. Anscheinend war sie unfähig, gleichzeitig eine Haarsträhne um ihren Finger zu wickeln und auf das zu achten, was um sie herum vor sich ging. Ich entschloss mich, es mit einer Kurznachricht zu versuchen. Bingo! Sie blinzelte verwirrt zu mir herüber, ehe sie ihr Handy aus der Tasche kramte.
Kurz darauf klingelte meines. Ich sagte nur: »Mir sind Bedenken gekommen«, dann setzte sich die Frau, hinter der ich Deckung gesucht hatte, plötzlich hin, und die Kapelle teilte sich wie das Rote Meer, so dass Dante und ich direkt zu Regatta und Kam hinüberstarrten. Es war ein merkwürdig intimer Moment, so, als ob wir auf einer Party beieinanderstehen und Cocktailhäppchen essen würden.
»Was soll ich machen?«, fragte sie. »K-a-m steht d-i- r-ek-t n-e-b-e-n m-i-r.«
»Reggie, er kann mich sehen. Und er beherrscht das Alphabet.«
»Wie wär's mit Rauchzeichen?«
»Lass den Quatsch. Blas die ganze Sache ab.«
»Keeley«, seufzte sie, »das ist dein großer Moment. Pack ein Mal in deinem Leben eine Gelegenheit beim Schopf.«
Ich konnte Kam im Hintergrund fragen hören: »Ist das Keeley am Telefon? Gib sie mir mal.«
Mit einem übertriebenen Schulterzucken in meine Richtung reichte sie ihm das Handy.
»Keel, du siehst toll aus«, sagte er. »Ich steh auf rote Haare.«
»Mahalo«, erwiderte ich brummig. Zumindest hoffte ich, dass es so klang.
»Ist das ein rückenfreies Top? Du hast keinen BH darunter an, stimmt's?«
»Um Himmels willen - es ist heiß, falls du es nicht gemerkt haben solltest, und ich trage Sommerklamotten.« »Ich kann deine Brustwarzen sehen.«
»Kannst du nicht. Gib mir noch mal Regatta.« Ich sah, wie er sich reckte und die Augen zusammenkniff, um mich und meinen Busen besser begutachten zu können.
»Das sind eindeutig Brustwarzen. Ein durchsichtiges Top. Wieso hast du so was nie getragen, als wir noch zusammen waren?«
»Du behauptest im Ernst, du könntest meine ...« Ich brach mitten im Satz ab. »Das ist ein Paisleytop, okay? Und zufällig sitzen zwei Pünktchen genau da, wo ... na, du weißt schon.«
»Verstanden. Nippelhütchen. Wird ja immer besser.« Er winkte; vermutlich ein freundlicher Gruß an meine Brustwarzen. Dante winkte zurück.
»Und jetzt gib mir Regatta.«
Kam reichte ihr das Handy zurück, ohne auch nur einen Moment damit aufzuhören, mich anzüglich anzugrinsen. Regatta schnippte vor seinen Augen mit den Fingern, um ihn aus seinen Tagträumen zu reißen. Eine Pfadfindertruppe marschierte vorbei, Baströckchen über den Uniformen und einen Karren zwischen sich, in dem ein Riesenghettoblaster »Rollin' With My Homies« dröhnte.
»Keeley? Sollen wir nun, oder sollen wir nicht?«, erkundigte sich Regatta.
»Ja ... nein, warte ... ach, ich weiß es nicht.«
»Er wickelt dich also wieder nach allen Regeln der Kunst ein«, stellte sie trocken fest, einen Arm vor die Brust gepresst.
»Nein, nur - ist das nicht zu bösartig?«
»Ausgleichende Gerechtigkeit, Babe. Du willst es ihm heimzahlen, und er hat es verdient.«
Dann hörte ich seine Stimme. »Was habe ich verdient?«
Hier ist eine kleine Geschichte: Es war einmal ein Mädchen aus dem Mittleren Westen, das einen Hawaiianer heiratete, weil es dachte, sie wären vom Schicksal füreinander bestimmt. Doch dann fing er an, eine andere zu vögeln.
Als ich vor fünfzehn Jahren zum ersten Mal auf die Inseln kam, hatte ich keine Ahnung, wie man eine Geschichte erzählt. Jetzt höre ich mich bald an wie eine Einheimische. In Detroit, wo ich herkomme, gibt es keine Märchen und Legenden, obwohl die Gegend wie geschaffen für solche Geschichten ist - etwa, wie die großen Götter mit den Füßen das Land so flach gestampft haben. Wie sie von Stadt zu Stadt gezogen sind, Vororte wie Pilze aus dem Boden schießen ließen und dann die weißen Einwohner zu sich lockten, indem sie auf ihren Flöten Pat-Boone-Songs spielten. Und wie sie dann weiterzogen und uns im Stich ließen, weil es kalt dort ist und nichts passiert.
Der Theorie meiner Schwester Sandra zufolge liegt es nicht am Land, dass wir keine Legenden kennen, sondern am Zeitgeist. Sie meint, unsere ganze Generation dröhne sich dermaßen mit Cocoa Puffs und Samstagmorgencartoons zu, dass keiner mehr die Energie aufbringt, unser Leben in Worte zu fassen. Dazu kommt natürlich, dass das Leben anderer Leute wesentlich unterhaltsamer ist. Vorausgesetzt, es entspricht nicht der Realität.
Während der Zeit, in der meine Ehe zerbrach, sprachen Sandra und ich fast jeden Tag miteinander. Nun ja, sprechen ist vielleicht nicht das richtige Wort. Wir kommunizieren per E-Mail. Und wenn ich so darüber nachdenke, fällt mir auf, dass ich Sandra nicht mehr gesehen habe, seit sie 1982 nach Ecuador gegangen ist.
ICH: Diese Trennungsgeschichte zerrt an meinen Nerven. Ich vermisse Sex. Und bin pleite.
Diese Nachricht, die ich Freitagabend in meinen Computer getippt habe, war knallrot unterlegt. Steht für »Dringend«. Nicht dass das nötig gewesen wäre. Sandra - oder vielmehr Wanderlust@~ ipnet.com - musste pausenlos online sein, weil ich nie länger als ein paar Minuten auf eine Antwort zu warten brauchte.
WANDERLUST: Halt die Ohren steif. Kauf dir einen Vibrator. Schneid Gutscheine aus Zeitschriften aus. Sammel grüne Rabattmarken. Erinnerst du dich noch an grüne Rabattmarken?
ICH: Klar. Weißt du noch, wie lange wir gespart haben, um eine Nähmaschine zu bekommen?
WANDERLUST: Eine Nähmaschine?
ICH: Ja, weißt du das nicht mehr? Siehst du die ganzen tollen Sachen an der Wand des Green Stamp Store nicht mehr vor dir? Hast du vergessen, wie neidisch unsere Brüder waren, als wir uns etwas aussuchen durften und sie nicht?
WANDERLUST: Keel, wir haben keine Brüder.
ICH: Hmmm.
WANDERLUST: Honey, haben wir die Nähmaschine nicht am Ende gegen einen Fernseher getauscht?
ICH: Tja, jetzt, wo du es sagst ...
WANDERLUST: Das waren nicht wir, das stammt aus einer Brady-Bunch-Folge. Unsere Marken reichten nur für einen Fry Daddy.
ICH: O Gott, du hast recht.
WANDERLUST: Ich habe immer recht.
ICH: Heißt das, dass wir auch nie in einer Band gesungen haben, die Silver Platters hieß?
WANDERLUST: Ich fürchte ja.
ICH: Scheiße.
So was passiert mir öfter, als ich es mir eingestehen mag. Es war Sandra, die mir ins Gedächtnis rufen musste, dass unsere Mutter niemals eine Schürze trug und sich auch nicht ausschließlich in Schwarz- und Grautöne kleidete.
Es war schon nach zwei. Zeit und Parade wurden knapp. »Bleib dran«, sagte ich zu Regatta. Mir brannte eine Frage auf den Lippen, mit der ich im nächsten Moment herausplatzen würde, und ich wollte mich niemandem anvertrauen. Noch nicht einmal ihr.
Ich wandte mich an die Frau in dem Muumuu. Sie würde die Antwort wissen. »Was meinen Sie, ist ein Monat eine lange oder eine kurze Zeit?«, fragte ich.
Sie musterte mich wortlos von Kopf bis Fuß - oder vielmehr andersrum, angefangen bei meinen Sandalen, dann an meinen zu dünnen Beinen empor, zum Top und schließlich zu meinem herzförmigen Gesicht, in dem die Augen vermutlich so groß und rund waren, dass die Nase fast dazwischen verschwand, so sehr brannte ich darauf, die Weisheit in mich aufzusaugen, die ich so dringend brauchte. »Was wäre Ihnen denn lieber?«, erwiderte sie gelassen.
»Ich weiß es nicht. Ich weiß überhaupt nichts mehr.« »Ach, manawa löihi, Kindchen, die Zeit ist lang. Und sie fließt so träge dahin wie Lava aus einem Berg.«
»Aber wenn die nächsten Monate nun zu schnell vergehen?«, überlegte ich laut. »Eine Scheidung kann endgültig sein und das Leben eines Menschen unwiederruflich verändern.«
»Das Leben kann sich auch im Bruchteil einer Sekunde ändern.«
Ich klemmte das Telefon ans Ohr. »Reggie, ich bin mir nicht mehr sicher, ob heute der richtige Tag ist.«
»Es ist deine Entscheidung, aber vergiss nicht, was er getan hat. Du kannst nicht so tun, als wäre alles noch in schönster Ordnung.«
»Ich weiß, ich weiß.« Ich starrte auf meine Füße. Ich brauchte dringend eine Pediküre.
»Und wenn ich dir nun ein Zeichen verspreche, das dir verrät, was du tun sollst, was dann?«, wollte Regatta wissen.
»Vergiss es. Du weißt, was ich von diesem Voodookram halte«, erwiderte ich.
»Ich meine ein richtiges Zeichen.«
»Zum Beispiel? Ein Orkan? Ein Vulkanausbruch? Ich bin Wissenschaftlerin, falls du das vergessen hast.« »Jeden Morgen bei Sonnenaufgang nimmt das Schicksal die Wissenschaft bei der Hand, und sie machen einen kleinen Spaziergang«, sagte Regatta in ihrem weisesten und nervtötendsten Tonfall.
»Was soll das denn nun wieder heißen? Okay, okay, nehmen wir einmal an, der Kohala bricht aus, und wir werden alle von einem glühenden Lavastrom mitgerissen. Und nehmen wir weiter an, das wäre wirklich ein Zeichen des Schicksals. Woher soll ich wissen, dass es für mich bestimmt war?«
»Glaub mir, was ich meine, ist dein Zeichen. Aber du musst dich beeilen.«
»Gilt das Angebot nur für begrenzte Zeit? Verfällt dann mein Schicksalsgutschein?«
»Versprich mir eins.« Ich sah, wie sie sich von Kam abwandte und eine Hand um das Handy legte, damit er ihre Worte nicht verstehen konnte. »Wenn du ein Zeichen erhältst, das dir beweist, dass es noch ein Leben nach Kam gibt, dann gibst du mir in puncto Papiere grünes Licht.«
»Das ist doch Unsinn.«
»Ho'ohiki. Schwöre es.«
»Reggie...«
»Ho'ohiki. Jetzt sofort.«
»Na schön, ich schwöre es. Aber dann musst du mir schwören, dass du für Dante sorgst, wenn sich die Erde auftut und mich verschlingt.«
»Mach dich ruhig lustig«, knurrte Regatta. »Aber schau mal nach rechts - ans Ende der Parade.«
Und tatsächlich, da sah ich es. Mein Zeichen!
Mein Unterkiefer und mein Handy fielen gleichzeitig herunter. Ich erwartete, gleich einen Engelschor singen zu hören, doch stattdessen dröhnte plötzlich »Julie, Do Ya Love Me« aus Lautsprechern. Und auf einer überdimensionalen, aus Krepp und Maschendraht gefertigten Jukebox standen Bobby Sherman, Davy Jones und Peter Tork; in Lebensgröße und aus Fleisch und Blut, wie man so schön sagt. Sie mussten inzwischen an die hundert sein, aber Davy hatte sich gut gehalten. Sogar aus der Entfernung konnte ich seine Grübchen sehen. Sie standen unter einem Banner mit der Aufschrift KDIG PRÄSENTIERT DIE TEEN IDOL REUNION TOUR und winkten wie männliche Ausgaben der Miss Amerika in die Menge. Mein Mund wurde beim Anblick meiner ersten großen Lieben strohtrocken. Na ja, zumindest auf zwei von ihnen traf diese Bezeichnung zu.
Dante hatte mein Handy aufgehoben. »Mom«, er zerrte an meinem Arm, »es ist Tante Regatta. Sie will wissen, ob die Sache klargeht.«
»Frag sie, was Peter Tork in meinem Zeichen zu suchen hat. Oder nein, Baby, lass es lieber sein.« Ich nahm ihm das Telefon ab.
Dann gab ich Regatta mein Okay, und sie hob auf der anderen Straßenseite beide Daumen.
»Komm«, sagte ich zu Dante. »Ich bringe dich jetzt zu deinem Daddy.«
Und danach, gerade als ich Regatta den Umschlag aus der Tasche ziehen sah, schob sich der Wagen der Teen Idol Reunion Tour zwischen uns und versperrte mir die Sicht.
Davy Jones sah in meine Richtung, und dann - Hand aufs Herz, ich schwöre es - beugte er sich vor und warf mir eine Kusshand zu. Ich bedachte ihn mit meinem sittsamsten Lächeln und spielte dabei verschämt mit dem Diamantring, den ich als Glücksbringer um den Hals trug.
Übersetzung: Nina Bader
Copyright © by Knaur Verlag.
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.
Nach fünf gemeinsamen Jahren war ich immer noch in meinen Mann verliebt. Was an sich ja
sehr schön gewesen wäre, wenn ich nicht vorgehabt hätte, die Scheidung einzureichen. Am vierten Juli.
Für den Fall, dass jemandem der Symbolcharakter entgeht - das ist der amerikanische Unabhängigkeitstag. Und ich würde damit sagen: Okay, Süßer, ich gebe dich frei. Geh deiner Wege und tu, was du willst. Zum Beispiel fernsehen, surfen und - ach, weiß der Teufel, was sonst noch alles - dich an den Eiern kratzen, was du ständig getan hast, während wir zusammen waren, und dabei stets von zwei haselnussbraunen Augen (meinen) durchbohrt wurdest, was dir den ganzen Spaß verdorben hat.
Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn meine Augen blau wären. Vielleicht hättest du dir dann einreden können, dass nicht ich, sondern der weite Himmel dich so vorwurfsvoll ansieht. Nur der blaue Himmel, der seufzend von einem Bein auf das andere tritt und sich darüber beschwert, dass du schon vor zwei Stunden zu Hause sein wolltest.
Aber nein, stattdessen haselnussbraune Augen mit grünen und dunkleren Punkten darin - Erdfarben, die dir zuriefen: »Komm gefälligst zurück, du treuloser Mistkerl, und bring Milch mit, wir haben keine mehr.«
An jenem bewussten vierten Juli, dem ersten Feiertag seit unserer Trennung oder vielmehr, seit Kam sich von mir getrennt hatte, hatten wir vereinbart, uns unseren Sohn Dante für diesen Tag zu teilen. Ich würde mir die Parade mit ihm ansehen, Kam ihn zum Feuerwerk mitnehmen. Keine Mühe wurde gescheut, damit ich nicht zu seinem Haus kommen und Gefahr laufen musste, IHR zu begegnen.
Die Übergabe von Dante sollte Punkt zwei Uhr mittags an der nordöstlichen Ecke der Peach und der Flower Avenue statt~ nden, vor der Kona Kofferie (heute ein Starbucks, aber zwischen allen Bewohnern der Big Island bestand die stillschweigende Vereinbarung, diese Veränderung zu ignorieren). Dort sollte Kam warten und sich die vorüberziehenden Festwagen und Bands ansehen, bis ich ihm den Jungen brachte.
Was Kam - Abkürzung für Kamohoali'i, der Haigott - nicht wusste, war, dass ich mir einen Plan zurechtgelegt hatte.
Das Kernstück dieses Plans bildete Regatta - langbeinig, schlank und mit einer Vorliebe für knallroten Lippenstift. Was eigentlich nichts zur Sache tat, wenn man davon absieht, dass Ray-Ban-Sonnenbrillen wie für sie gemacht schienen. Regatta war meine beste Freundin und zugleich meine Haarstylistin. Wir hatten keine Geheimnisse voreinander.
Wir hatten uns Folgendes ausgedacht: Ich würde mit meinem Sohn die Parade besuchen und dann am ausgemachten Treffpunkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite Posten beziehen, wo ich alles überblicken, aber selbst nicht gesehen werden konnte. Viertel vor zwei würde Regatta dann Kam »zufällig« über den Weg laufen, sich eine Weile mit ihm unterhalten, eventuell auch ein bisschen mit ihm flirten. Schließlich kennen sie sich ja schon eine ganze Weile. Dann würde sie beiläufig bemerken: »Ach übrigens, ich habe hier etwas von Keeley für dich«, und ihm den Umschlag mit den Scheidungspapieren unter die Nase halten.
Und ich würde sein ungläubiges Gesicht bewundern können - vor allem, wenn ich mir ein Fernglas mitnahm. Dante wäre in aller Unschuld eines vierjährigen Kindes so von der Parade abgelenkt, dass er nichts von dem Drama bemerkte, das sich um ihn herum abspielte. Und ich könnte all denen, die mir ständig versicherten, sie würden gut verstehen, wie gedemütigt ich mir doch vorkommen müsse, triumphierend von meinem Rachefeldzug berichten.
Der Plan war brillant, wies aber leider eine elementare Schwachstelle auf: mich, Keeley Baker-Kekuhi, Weltmeisterin der umgeworfenen Entscheidungen.
Oh, ich war durchaus pünktlich am Treffpunkt und hatte es sogar geschafft, mich mit Dante hinter einer Frau von der Breite einer Reklametafel zu verstecken, die ein blau-rot-weißes Muumuu trug. Die Parade war schon fast vorüber, als ich Kam kommen sah. Was aber nicht unbedingt mit dem Moment zusammenfiel, in dem mein ursprünglicher Plan ein unvorhergesehenes Eigenleben anzunehmen begann.
Auch auf die Gefahr hin, wie ein Teenager ins Schwärmen zu geraten, sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass Kam geradezu überwältigend gut aussieht. Nachdem ich ihm wochenlang aus dem Weg gegangen war - nicht ganz einfach mit einem gemeinsamen Kind -, musste mir diese Tatsache wohl entfallen sein. Er stand ungefähr zwölf Meter von mir entfernt, die Hände in die Taschen seiner Shorts geschoben, ohne Hemd, mit einem flachen, braunen Bauch, von dem ein Tennisball abprallen würde, das Haar unter einem Tuch verborgen.
Wie üblich war sein Lächeln mein Untergang. Seine Mutter pflegte zu sagen, er habe das Gesicht eines Engels und das Grinsen eines Teufels. Kennengelernt hatte ich ihn, als ich Lavaproben sammelte. Das ist mein Beruf; ich bin Vulkanologin. Er führte eine Touristengruppe auf dem Berg herum und schien, während ich eifrig arbeitete, plötzlich aus dem Nichts aufzutauchen. Nie werde ich vergessen, wie sich seine Lippen zu jenem teuflischen Grinsen verzogen, ehe er fragte: »Was tut ein hübsches Mädchen wie Sie denn an einem Ort wie diesem?«, und ich spürte, wie meine Knie weich wurden. Jetzt sah ich, wie er Regatta anlächelte, die plangemäß auf ihn zusteuerte.
Ich sah, wie die beiden sich - ebenfalls nach Plan - angeregt miteinander unterhielten.
Was mir dann durch den Kopf schoss, hörte sich ungefähr so an: Ich mache einen Riesenfehler, er will mich immer noch, er ist im Moment nur total durcheinander, hat er ja selbst gesagt, also warum reiße ich ihm nicht einfach diese Flip-Flops von den Füßen, knabbere an seinen Zehen und arbeite mich dann langsam weiter aufwärts - und ähnliche schlüpfrige Gedanken, die nichts mit meinem Plan zu tun und schon gar nichts im Kopf einer Frau verloren hatten, die drauf und dran war, die Scheidung einzuleiten.
Ich musste Regatta aufhalten. Glücklicherweise hielt mich ein Rest von Selbstbeherrschung davon ab, quer über die Straße zu stürmen. Das und ein riesiger Wagen in Form eines Früchtekorbes, der die Flower Avenue entlangschaukelte.
Ich spähte lange genug hinter der Frau in dem Muumuu hervor, um aus vollem Hals »Regatta!« zu brüllen, aber man glaubt gar nicht, was im Lärm tanzender Bananen alles untergeht. Sie hörte noch nicht einmal das Klingeln ihres Handys, nachdem ich hastig ihre Nummer eingetippt hatte.
Die Situation drohte aus dem Ruder zu laufen. Die Früchte verschwanden um die Ecke, dann marschierte eine Kapelle an mir vorbei. Ich versuchte, durch verzweifeltes Winken Regattas Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
Vergebens. Sie war zu Punkt zwei des Plans - Flirten - übergegangen. Anscheinend war sie unfähig, gleichzeitig eine Haarsträhne um ihren Finger zu wickeln und auf das zu achten, was um sie herum vor sich ging. Ich entschloss mich, es mit einer Kurznachricht zu versuchen. Bingo! Sie blinzelte verwirrt zu mir herüber, ehe sie ihr Handy aus der Tasche kramte.
Kurz darauf klingelte meines. Ich sagte nur: »Mir sind Bedenken gekommen«, dann setzte sich die Frau, hinter der ich Deckung gesucht hatte, plötzlich hin, und die Kapelle teilte sich wie das Rote Meer, so dass Dante und ich direkt zu Regatta und Kam hinüberstarrten. Es war ein merkwürdig intimer Moment, so, als ob wir auf einer Party beieinanderstehen und Cocktailhäppchen essen würden.
»Was soll ich machen?«, fragte sie. »K-a-m steht d-i- r-ek-t n-e-b-e-n m-i-r.«
»Reggie, er kann mich sehen. Und er beherrscht das Alphabet.«
»Wie wär's mit Rauchzeichen?«
»Lass den Quatsch. Blas die ganze Sache ab.«
»Keeley«, seufzte sie, »das ist dein großer Moment. Pack ein Mal in deinem Leben eine Gelegenheit beim Schopf.«
Ich konnte Kam im Hintergrund fragen hören: »Ist das Keeley am Telefon? Gib sie mir mal.«
Mit einem übertriebenen Schulterzucken in meine Richtung reichte sie ihm das Handy.
»Keel, du siehst toll aus«, sagte er. »Ich steh auf rote Haare.«
»Mahalo«, erwiderte ich brummig. Zumindest hoffte ich, dass es so klang.
»Ist das ein rückenfreies Top? Du hast keinen BH darunter an, stimmt's?«
»Um Himmels willen - es ist heiß, falls du es nicht gemerkt haben solltest, und ich trage Sommerklamotten.« »Ich kann deine Brustwarzen sehen.«
»Kannst du nicht. Gib mir noch mal Regatta.« Ich sah, wie er sich reckte und die Augen zusammenkniff, um mich und meinen Busen besser begutachten zu können.
»Das sind eindeutig Brustwarzen. Ein durchsichtiges Top. Wieso hast du so was nie getragen, als wir noch zusammen waren?«
»Du behauptest im Ernst, du könntest meine ...« Ich brach mitten im Satz ab. »Das ist ein Paisleytop, okay? Und zufällig sitzen zwei Pünktchen genau da, wo ... na, du weißt schon.«
»Verstanden. Nippelhütchen. Wird ja immer besser.« Er winkte; vermutlich ein freundlicher Gruß an meine Brustwarzen. Dante winkte zurück.
»Und jetzt gib mir Regatta.«
Kam reichte ihr das Handy zurück, ohne auch nur einen Moment damit aufzuhören, mich anzüglich anzugrinsen. Regatta schnippte vor seinen Augen mit den Fingern, um ihn aus seinen Tagträumen zu reißen. Eine Pfadfindertruppe marschierte vorbei, Baströckchen über den Uniformen und einen Karren zwischen sich, in dem ein Riesenghettoblaster »Rollin' With My Homies« dröhnte.
»Keeley? Sollen wir nun, oder sollen wir nicht?«, erkundigte sich Regatta.
»Ja ... nein, warte ... ach, ich weiß es nicht.«
»Er wickelt dich also wieder nach allen Regeln der Kunst ein«, stellte sie trocken fest, einen Arm vor die Brust gepresst.
»Nein, nur - ist das nicht zu bösartig?«
»Ausgleichende Gerechtigkeit, Babe. Du willst es ihm heimzahlen, und er hat es verdient.«
Dann hörte ich seine Stimme. »Was habe ich verdient?«
Hier ist eine kleine Geschichte: Es war einmal ein Mädchen aus dem Mittleren Westen, das einen Hawaiianer heiratete, weil es dachte, sie wären vom Schicksal füreinander bestimmt. Doch dann fing er an, eine andere zu vögeln.
Als ich vor fünfzehn Jahren zum ersten Mal auf die Inseln kam, hatte ich keine Ahnung, wie man eine Geschichte erzählt. Jetzt höre ich mich bald an wie eine Einheimische. In Detroit, wo ich herkomme, gibt es keine Märchen und Legenden, obwohl die Gegend wie geschaffen für solche Geschichten ist - etwa, wie die großen Götter mit den Füßen das Land so flach gestampft haben. Wie sie von Stadt zu Stadt gezogen sind, Vororte wie Pilze aus dem Boden schießen ließen und dann die weißen Einwohner zu sich lockten, indem sie auf ihren Flöten Pat-Boone-Songs spielten. Und wie sie dann weiterzogen und uns im Stich ließen, weil es kalt dort ist und nichts passiert.
Der Theorie meiner Schwester Sandra zufolge liegt es nicht am Land, dass wir keine Legenden kennen, sondern am Zeitgeist. Sie meint, unsere ganze Generation dröhne sich dermaßen mit Cocoa Puffs und Samstagmorgencartoons zu, dass keiner mehr die Energie aufbringt, unser Leben in Worte zu fassen. Dazu kommt natürlich, dass das Leben anderer Leute wesentlich unterhaltsamer ist. Vorausgesetzt, es entspricht nicht der Realität.
Während der Zeit, in der meine Ehe zerbrach, sprachen Sandra und ich fast jeden Tag miteinander. Nun ja, sprechen ist vielleicht nicht das richtige Wort. Wir kommunizieren per E-Mail. Und wenn ich so darüber nachdenke, fällt mir auf, dass ich Sandra nicht mehr gesehen habe, seit sie 1982 nach Ecuador gegangen ist.
ICH: Diese Trennungsgeschichte zerrt an meinen Nerven. Ich vermisse Sex. Und bin pleite.
Diese Nachricht, die ich Freitagabend in meinen Computer getippt habe, war knallrot unterlegt. Steht für »Dringend«. Nicht dass das nötig gewesen wäre. Sandra - oder vielmehr Wanderlust@~ ipnet.com - musste pausenlos online sein, weil ich nie länger als ein paar Minuten auf eine Antwort zu warten brauchte.
WANDERLUST: Halt die Ohren steif. Kauf dir einen Vibrator. Schneid Gutscheine aus Zeitschriften aus. Sammel grüne Rabattmarken. Erinnerst du dich noch an grüne Rabattmarken?
ICH: Klar. Weißt du noch, wie lange wir gespart haben, um eine Nähmaschine zu bekommen?
WANDERLUST: Eine Nähmaschine?
ICH: Ja, weißt du das nicht mehr? Siehst du die ganzen tollen Sachen an der Wand des Green Stamp Store nicht mehr vor dir? Hast du vergessen, wie neidisch unsere Brüder waren, als wir uns etwas aussuchen durften und sie nicht?
WANDERLUST: Keel, wir haben keine Brüder.
ICH: Hmmm.
WANDERLUST: Honey, haben wir die Nähmaschine nicht am Ende gegen einen Fernseher getauscht?
ICH: Tja, jetzt, wo du es sagst ...
WANDERLUST: Das waren nicht wir, das stammt aus einer Brady-Bunch-Folge. Unsere Marken reichten nur für einen Fry Daddy.
ICH: O Gott, du hast recht.
WANDERLUST: Ich habe immer recht.
ICH: Heißt das, dass wir auch nie in einer Band gesungen haben, die Silver Platters hieß?
WANDERLUST: Ich fürchte ja.
ICH: Scheiße.
So was passiert mir öfter, als ich es mir eingestehen mag. Es war Sandra, die mir ins Gedächtnis rufen musste, dass unsere Mutter niemals eine Schürze trug und sich auch nicht ausschließlich in Schwarz- und Grautöne kleidete.
Es war schon nach zwei. Zeit und Parade wurden knapp. »Bleib dran«, sagte ich zu Regatta. Mir brannte eine Frage auf den Lippen, mit der ich im nächsten Moment herausplatzen würde, und ich wollte mich niemandem anvertrauen. Noch nicht einmal ihr.
Ich wandte mich an die Frau in dem Muumuu. Sie würde die Antwort wissen. »Was meinen Sie, ist ein Monat eine lange oder eine kurze Zeit?«, fragte ich.
Sie musterte mich wortlos von Kopf bis Fuß - oder vielmehr andersrum, angefangen bei meinen Sandalen, dann an meinen zu dünnen Beinen empor, zum Top und schließlich zu meinem herzförmigen Gesicht, in dem die Augen vermutlich so groß und rund waren, dass die Nase fast dazwischen verschwand, so sehr brannte ich darauf, die Weisheit in mich aufzusaugen, die ich so dringend brauchte. »Was wäre Ihnen denn lieber?«, erwiderte sie gelassen.
»Ich weiß es nicht. Ich weiß überhaupt nichts mehr.« »Ach, manawa löihi, Kindchen, die Zeit ist lang. Und sie fließt so träge dahin wie Lava aus einem Berg.«
»Aber wenn die nächsten Monate nun zu schnell vergehen?«, überlegte ich laut. »Eine Scheidung kann endgültig sein und das Leben eines Menschen unwiederruflich verändern.«
»Das Leben kann sich auch im Bruchteil einer Sekunde ändern.«
Ich klemmte das Telefon ans Ohr. »Reggie, ich bin mir nicht mehr sicher, ob heute der richtige Tag ist.«
»Es ist deine Entscheidung, aber vergiss nicht, was er getan hat. Du kannst nicht so tun, als wäre alles noch in schönster Ordnung.«
»Ich weiß, ich weiß.« Ich starrte auf meine Füße. Ich brauchte dringend eine Pediküre.
»Und wenn ich dir nun ein Zeichen verspreche, das dir verrät, was du tun sollst, was dann?«, wollte Regatta wissen.
»Vergiss es. Du weißt, was ich von diesem Voodookram halte«, erwiderte ich.
»Ich meine ein richtiges Zeichen.«
»Zum Beispiel? Ein Orkan? Ein Vulkanausbruch? Ich bin Wissenschaftlerin, falls du das vergessen hast.« »Jeden Morgen bei Sonnenaufgang nimmt das Schicksal die Wissenschaft bei der Hand, und sie machen einen kleinen Spaziergang«, sagte Regatta in ihrem weisesten und nervtötendsten Tonfall.
»Was soll das denn nun wieder heißen? Okay, okay, nehmen wir einmal an, der Kohala bricht aus, und wir werden alle von einem glühenden Lavastrom mitgerissen. Und nehmen wir weiter an, das wäre wirklich ein Zeichen des Schicksals. Woher soll ich wissen, dass es für mich bestimmt war?«
»Glaub mir, was ich meine, ist dein Zeichen. Aber du musst dich beeilen.«
»Gilt das Angebot nur für begrenzte Zeit? Verfällt dann mein Schicksalsgutschein?«
»Versprich mir eins.« Ich sah, wie sie sich von Kam abwandte und eine Hand um das Handy legte, damit er ihre Worte nicht verstehen konnte. »Wenn du ein Zeichen erhältst, das dir beweist, dass es noch ein Leben nach Kam gibt, dann gibst du mir in puncto Papiere grünes Licht.«
»Das ist doch Unsinn.«
»Ho'ohiki. Schwöre es.«
»Reggie...«
»Ho'ohiki. Jetzt sofort.«
»Na schön, ich schwöre es. Aber dann musst du mir schwören, dass du für Dante sorgst, wenn sich die Erde auftut und mich verschlingt.«
»Mach dich ruhig lustig«, knurrte Regatta. »Aber schau mal nach rechts - ans Ende der Parade.«
Und tatsächlich, da sah ich es. Mein Zeichen!
Mein Unterkiefer und mein Handy fielen gleichzeitig herunter. Ich erwartete, gleich einen Engelschor singen zu hören, doch stattdessen dröhnte plötzlich »Julie, Do Ya Love Me« aus Lautsprechern. Und auf einer überdimensionalen, aus Krepp und Maschendraht gefertigten Jukebox standen Bobby Sherman, Davy Jones und Peter Tork; in Lebensgröße und aus Fleisch und Blut, wie man so schön sagt. Sie mussten inzwischen an die hundert sein, aber Davy hatte sich gut gehalten. Sogar aus der Entfernung konnte ich seine Grübchen sehen. Sie standen unter einem Banner mit der Aufschrift KDIG PRÄSENTIERT DIE TEEN IDOL REUNION TOUR und winkten wie männliche Ausgaben der Miss Amerika in die Menge. Mein Mund wurde beim Anblick meiner ersten großen Lieben strohtrocken. Na ja, zumindest auf zwei von ihnen traf diese Bezeichnung zu.
Dante hatte mein Handy aufgehoben. »Mom«, er zerrte an meinem Arm, »es ist Tante Regatta. Sie will wissen, ob die Sache klargeht.«
»Frag sie, was Peter Tork in meinem Zeichen zu suchen hat. Oder nein, Baby, lass es lieber sein.« Ich nahm ihm das Telefon ab.
Dann gab ich Regatta mein Okay, und sie hob auf der anderen Straßenseite beide Daumen.
»Komm«, sagte ich zu Dante. »Ich bringe dich jetzt zu deinem Daddy.«
Und danach, gerade als ich Regatta den Umschlag aus der Tasche ziehen sah, schob sich der Wagen der Teen Idol Reunion Tour zwischen uns und versperrte mir die Sicht.
Davy Jones sah in meine Richtung, und dann - Hand aufs Herz, ich schwöre es - beugte er sich vor und warf mir eine Kusshand zu. Ich bedachte ihn mit meinem sittsamsten Lächeln und spielte dabei verschämt mit dem Diamantring, den ich als Glücksbringer um den Hals trug.
Übersetzung: Nina Bader
Copyright © by Knaur Verlag.
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.
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Autoren-Porträt von Jill Smolinski
Jill Smolinski ist Journalistin und Sachbuchautorin und hat u.a. für Vogue, Harper's Bazaar und Mademoiselle geschrieben. Sie veröffentlichte Sachbücher und mehrere Romane, darunter der SPIEGEL-Bestseller 'Die Wunschliste'. Jill Smolinski lebt mit ihrem Sohn in Los Angeles.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jill Smolinski
- 2010, Überarb. Neuausg., 487 Seiten, Maße: 11,5 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Nina Bader
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426505525
- ISBN-13: 9783426505526
- Erscheinungsdatum: 09.09.2010
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