High
Genial unterwegs an Berg und Fels
"Mein Name ist David Lama. Meine Freunde nennen mich Fuzzy. Ich bin 20 Jahre alt. Mein Vater stammt aus Nepal. Meine Mutter kommt aus Tirol. Ich kann klettern. Ich möchte bestimmt nicht unbescheiden sein, aber es gibt auf der Welt nicht viele,...
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Produktinformationen zu „High “
"Mein Name ist David Lama. Meine Freunde nennen mich Fuzzy. Ich bin 20 Jahre alt. Mein Vater stammt aus Nepal. Meine Mutter kommt aus Tirol. Ich kann klettern. Ich möchte bestimmt nicht unbescheiden sein, aber es gibt auf der Welt nicht viele, die besser klettern als ich."
Die Geschichte des west-östlichen Meisterkletterers David Lama ist die Geschichte eines Jungen, der schon früh herausgefunden hat, wofür er lebt: Felsen, Berge, Abenteuer. In den Bergen muss David nie nachdenken, um zu wissen, was er tun muss. An einem Finger kann er seinen Körper nach oben ziehen, alles passiert intuitiv - wie atmen. Abitur, Freundin, Führerschein - wozu? Ein Tag ist dann perfekt, wenn man eine Wand vor sich hat, die noch keiner geschafft hat. Ein Sommer ist dann perfekt, wenn man wochenlang nur dort unterwegs ist, wo kein Auto hinfährt, kein Handy Empfang hat. Ein Leben ist dann perfekt, wenn man alles ausprobiert. Die Hauptstadt Tirols heißt Innsbrooklyn und die Routen in den Alpen Banana Pancake und Desperation of the Northface. Und von dort aus geht's weiter nach Kirgisistan, Patagonien, in den Himalaya. Überallhin, wo es das gibt, was David sucht: geniale Felsen, maximale Freiheit, ultimativen Fun.
Klappentext zu „High “
Die Geschichte des west-östlichen Meisterkletterers David Lama ist die Geschichte eines Jungen, der schon früh herausgefunden hat, wofür er lebt: Felsen, Berge, Abenteuer. In den Bergen muss David nie nachdenken, um zu wissen, was er tun muss. An einem Finger kann er seinen Körper nach oben ziehen, alles passiert intuitiv wie atmen. Abitur, Freundin, Führerschein wozu? Ein Tag ist dann perfekt, wenn man eine Wand vor sich hat, die noch keiner geschafft hat. Ein Sommer ist dann perfekt, wenn man wochenlang nur dort unterwegs ist, wo kein Auto hinfährt, kein Handy Empfang hat. Ein Leben ist dann perfekt, wenn man alles ausprobiert. Die Hauptstadt Tirols heißt Innsbrooklyn und die Routen in den Alpen Banana Pancake und Desperation of the Northface. Und von dort aus geht s weiter nach Kirgisistan, Patagonien, in den Himalaya. Überallhin, wo es das gibt, was David sucht: geniale Felsen, maximale Freiheit, ultimativen Fun.
David Lama ist Kult
"Mein Name ist David Lama. Meine Freunde nennen mich Fuzzy. Ich bin 20 Jahre alt. Mein Vater stammt aus Nepal. Meine Mutter kommt aus Tirol. Ich kann klettern. Ich möchte bestimmt nicht unbescheiden sein, aber es gibt auf der Welt nicht viele, die besser klettern als ich."
Die Geschichte des west-östlichen Meisterkletterers David Lama ist die Geschichte eines Jungen, der schon früh herausgefunden hat, wofür er lebt: Felsen, Berge, Abenteuer. In den Bergen muss David nie nachdenken, um zu wissen, was er tun muss. An einem Finger kann er seinen Körper nach oben ziehen, alles passiert intuitiv - wie atmen. Abitur, Freundin, Führerschein - wozu? Ein Tag ist dann perfekt, wenn man eine Wand vor sich hat, die noch keiner geschafft hat. Ein Sommer ist dann perfekt, wenn man wochenlang nur dort unterwegs ist, wo kein Auto hinfährt, kein Handy Empfang hat. Ein Leben ist dann perfekt, wenn man alles ausprobiert. Die Hauptstadt Tirols heißt Innsbrooklyn und die Routen in den Alpen Banana Pancake und Desperation of the Northface. Und von dort aus geht's weiter nach Kirgisistan, Patagonien, in den Himalaya. Überallhin, wo es das gibt, was David sucht: geniale Felsen, maximale Freiheit, ultimativen Fun. Jo, lässig, passt scho.
"Mein Name ist David Lama. Meine Freunde nennen mich Fuzzy. Ich bin 20 Jahre alt. Mein Vater stammt aus Nepal. Meine Mutter kommt aus Tirol. Ich kann klettern. Ich möchte bestimmt nicht unbescheiden sein, aber es gibt auf der Welt nicht viele, die besser klettern als ich."
Die Geschichte des west-östlichen Meisterkletterers David Lama ist die Geschichte eines Jungen, der schon früh herausgefunden hat, wofür er lebt: Felsen, Berge, Abenteuer. In den Bergen muss David nie nachdenken, um zu wissen, was er tun muss. An einem Finger kann er seinen Körper nach oben ziehen, alles passiert intuitiv - wie atmen. Abitur, Freundin, Führerschein - wozu? Ein Tag ist dann perfekt, wenn man eine Wand vor sich hat, die noch keiner geschafft hat. Ein Sommer ist dann perfekt, wenn man wochenlang nur dort unterwegs ist, wo kein Auto hinfährt, kein Handy Empfang hat. Ein Leben ist dann perfekt, wenn man alles ausprobiert. Die Hauptstadt Tirols heißt Innsbrooklyn und die Routen in den Alpen Banana Pancake und Desperation of the Northface. Und von dort aus geht's weiter nach Kirgisistan, Patagonien, in den Himalaya. Überallhin, wo es das gibt, was David sucht: geniale Felsen, maximale Freiheit, ultimativen Fun. Jo, lässig, passt scho.
Lese-Probe zu „High “
Mein Name ist David Lama. Meine Freunde nennen mich Fuzzy. Ich bin 20 Jahre alt. Mein Vater stammt aus Nepal. Meine Mutter kommt aus Tirol. Ich kann klettern. Nichts auf der Welt macht mir mehr Spaß.Eins Es ist Mitternacht, und Daniels Uhr piepst. Sie hängt über meinem Kopf vom Dach des Zelts. In fünf Minuten geht meine Uhr los, eine Suunto X6. Sie hängt daneben. Besser jetzt aufstehen, als das digitale Gedudel noch einmal anhören zu müssen.
Wir haben drei Stunden geschlafen. Was heißt geschlafen? Nach dem langen Marsch von El Chalten zum Camp haben wir uns einfach ins Zelt geworfen und sind weggedämmert.
Ich krieche aus dem Schlafsack und strecke die Nase aus dem Zelt. Saukalt. Der Wind hat ziemlich viel Schnee an die Wände des Zelts gepresst. Im Schnee pissen gehen, dann mache ich Wasser heiß. Zum Frühstück gibt es Steinpilztopf "Schwarzwald". Unser Proviant ist nicht unbedingt Feinschmeckerware, aber er hat einen Vorteil: Er wiegt nicht viel. Die Jungs von Travellunch wissen, was wir brauchen, wenn wir am Berg unterwegs sind: möglichst wenig Gewicht im Rucksack. Eine Tasse Kaffee, Daniel trinkt Tee. Noch einmal checken wir die Ausrüstung durch. Stirnlampen auf die Helme montieren. Um eins geht's los.
Es sollte jetzt ganz leise sein hier draußen, aber es ist laut. Der Wind pfeift und heult. Der Sound des Windes ist erstaunlich vielfältig, er brummt in Bass- und pfeift in Tinnitus-Tonlage. Der Berg ist die Orgel des Winds, und uns verpasst er seine Ohrfeigen. Scheißwetter.
Wir klettern, weil Charly gesagt hat, dass das Wetter gut wird. Wenn Charly sagt, dass das Wetter gut wird, dann wird das Wetter auch gut. Im Moment weiß das Wetter allerdings noch nichts davon.
Charly Gabl sitzt in Innsbruck. Er leitet die ZAMG, die "Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik". Seine Prognosen sind verlässlich - fast hätte ich gesagt, wasserdicht, aber das passt ja nun gar nicht für das beschissene Wetter in Patagonien. Gestern haben wir via
... mehr
Satellitentelefon mit Charly gesprochen. Er sagte: "Schönwetterfenster im Anzug. Burschen, schaut's, was geht." Also schauen wir, was geht.
Der Cerro Torre ist wunderschön. Vielleicht der schönste Berg der Welt, und das sage ich, obwohl ich Superlative hasse. Es ist mein Traum, den Cerro Torre, dieses Denkmal der Senkrechten, frei zu klettern. Der Freikletterstil fordert, dass sich der Alpinist ohne technische Hilfsmittel fortbewegt und Haken nur in den Fels schlägt, um sich zu sichern. Auf der Route, die wir vorhaben, hat das noch keiner geschafft.
Die Sache ist auch nicht einfach, die alpinistischen Herausforderungen sind groß. Der Berg ist im Westen von einer permanenten Eisschicht überzogen. Auch die Ostwand ist stellenweise vereist. Sobald es zu warm ist, brechen riesige Eiskaliber ab und donnern in die Tiefe. Da hängst du besser nicht in der Falllinie.
Die Dimensionen der Wände sind anders als alles, was man aus den Alpen kennt. Höher. Länger. Abgeschiedener. Komplizierter. Vor allem aber ist das Wetter unberechenbar. In Patagonien, im äußersten Süden Argentiniens, sind die Verhältnisse permanent schwierig. Wolken, Sturm, Regen, Schnee. Frühjahr, Sommer und Herbst schieben sich auf nur wenige Monate zusammen: Dezember, Januar, Februar. Nur dann herrschen die Bedingungen, die du brauchst, um einen Plan wie den unseren zu verwirklichen. Der Plan lautet: Die sogenannte Kompressor-Route frei zu klettern.
Der freie Kletterstil entspringt einer Schule des Alpinismus, die mir gut gefällt. Als Sportkletterer bin ich gewöhnt, so zu klettern, und mit der Philosophie, den Berg so wenig wie möglich mit künstlichen Hilfsmitteln zu behelligen, kann ich durchaus etwas anfangen. Aber ich bin kein Purist. Ich habe Respekt vor den Meistern des technischen Kletterns, und ich will nicht ausschließen, selbst gewisse Routen in diesem Stil zu klettern, wenn freies Klettern nicht möglich ist. Ich will mir nicht Regeln auferlegen um der Regeln willen.
Keine Regel soll mir verbieten, großartige Erlebnisse zu haben.
Freies Klettern ist aufwendig. Um die Route am Torre machen zu können, die wir uns vorgenommen haben, müssen wir zuerst einmal auf den Gipfel und uns einen Eindruck verschaffen, ob frei klettern überhaupt möglich ist. Dann die richtige Linie finden und einrichten, das heißt, jene Haken zu setzen, mit denen wir uns beim freien Klettern absichern werden. Erst dann kann man überhaupt an die tatsächliche Begehung denken. Vielleicht kriegen wir die Chance. Vielleicht kriegen wir sie auch nicht. Nützen wollen wir sie auf jeden Fall.
Die Idee, den Cerro Torre frei zu klettern, war in Chile zur Welt gekommen. Ein Jahr zuvor waren wir, eine Gruppe von Freunden, auf Expedition in Cochamo gewesen - geniales Klettern. Wände ohne Ende, und viele davon noch unberührt. Jede Menge Abenteuer. Irgendwann sagte der Ötztaler Hansjörg Auer: "Der Cerro Torre, das wär doch was für dich, oder, Fuzzy? Der Berg, der kann schon was."
Hansjörg hatte den Cerro Torre vor ein paar Jahren schon einmal über die Kompressorroute gemacht. Er steckte mich mit seiner Begeisterung sofort an. Ich selbst kannte den Cerro Torre nur von Fotos, hatte ein paar Geschichten gehört und den einen oder anderen Clip auf YouTube gesehen. Aber der Gedanke wuchs. Er keimte. Ich konnte das Abenteuer riechen, wenn ich nur die Augen zumachte.
Als ich zurück in Österreich war, fragte ich Daniel bei einer Skitour: "Bist dabei?"
Daniel Steuerer, ein alter Kumpel aus Innsbruck, hatte wie üblich kein Geld, aber dafür hatte er Zeit, und er meinte: "Klar bin ich dabei, wenn du mir ein Flugticket besorgst."
Wir kauften uns Bücher über den Torre. Daniel las jedes einzelne, er fraß sie geradezu in sich hinein. Ich ging die Sache langsamer an. Ich las Kapitel für Kapitel, wollte nicht zu schnell fertig sein. Und ich war froh, dass Daniel so abfuhr auf das Projekt: Er war der einzige meiner Kollegen, mit dem ich mir vorstellen konnte, mehrere Monate auf engstem Raum zu verbringen. Es waren schließlich nicht nur die alpinistischen Herausforderungen, die wir teilen mussten, es geht auch darum, eine gute Zeit zu haben.
Daniel ist 22, blond, und die Haare hängen ihm immer in die Augen. Er ist zu faul, sich zu rasieren, deshalb wächst ihm am Kinn ein braunblonder Wuschel. So wie er aussieht, käme niemand auf die Idee, dass er Alpinist ist, aber Daniel hat jede Menge Energie. Sobald er gewisse Dinge angefangen hat, treibt ihn sein Ehrgeiz dazu, sie auch fertig zu machen. Darin sind wir uns sehr ähnlich. Er ist ein Beißer, und das ist gut: Wenn er mit mir unterwegs ist, muss er nämlich immer beißen - die Zähne zusammenbeißen!
Daniel war viele Jahre mein Trainingspartner in der Halle gewesen, als wir gemeinsam an Jugendwettkämpfen teilnahmen. Er war einer meiner stärksten Konkurrenten, bis ihn eine Verletzung am Ellbogen dazu zwang, mit dem Spitzensport aufzuhören. Die Liebe zum Klettern verlor Daniel freilich nie. Er war es, der mich für das Alpine begeisterte. Wir machten Touren in den Alpen, wir reisten gemeinsam ins Yosemite Valley und hatten viel Spaß. Und während ich auf Wettkämpfen unterwegs war, lag Daniel in der Hängematte und las Siddharta.
Nachts um eins steigen wir in die Tour ein. Die erste Seillänge: ein schöner, gerader Riss. Was normalerweise ein Spaziergang ist, schmeckt mir heute nicht besonders. In den Rissen klebt Schnee. Der Fels ist vereist. Die Bedingungen sind alles andere als gut.
Wir wollen in der Nacht so weit hinauf, wie es nur irgendwie geht. Bei unseren ersten zwei Versuchen hat uns der Eisschlag gezwungen umzudrehen, aber dieses Mal wollen wir dieser Gefahr einen Schritt voraus sein. Wenn das Wetterfenster kommt, müssen wir in der Poleposition sein. Das Risiko, bei diesen Verhältnissen zu klettern, wird bereits am späten Vormittag unvertretbar hoch. Der Fels erwärmt sich durch die starke Sonneneinstrahlung extrem schnell, das Eis am Fels beginnt abzuschmelzen. Immer größere Eisbrocken lösen sich, und das ist dann echt ungemütlich.
Ich steige voraus. Daniel ist zwar ein guter Kletterer, aber in diesem Gelände bewege ich mich sicherer - und vor allem schneller. Das ist wichtig, denn wir haben keine Zeit zu verschenken. Aber bei diesen Bedingungen fühle auch ich mich nicht richtig wohl. Der Wind. Der Wind ist so stark, dass an freies Klettern nicht zu denken ist.
Wir sagen nichts außer den nötigen Seilkommandos: "Stand" - "Seil aus" - "Kannst kommen". Wenn ich beim Stand ankomme und Daniel nachsichere, sehe ich in der blauen Dunkelheit nur ein Licht, das schnell näherkommt. Es hat keinen Sinn, mehr zu sagen. Der Wind schluckt jedes Wort und trägt es fort.
Es ist mitten in der Nacht. Es ist stockdunkel, saukalt, und es stürmt, dass jeder Reihenhausbesitzer Angst um sein Dach kriegen würde. Aber wir sind guter Laune. Wenn alles klappt, klettern wir jetzt bis zur Bolt-Traverse, und dann kommt das Wetterfenster, Charly steht dafür gerade.
In der dritten Länge folge ich einem Riss im Granit. Der Riss ist ein Hund. Ich kann lange keine Sicherung legen, aber ich denke nicht darüber nach. Wir haben zwar nicht sonderlich viel geschlafen, aber ich fühle mich recht gut. Wir geben Gas. Wir müssen früh bei der Bolt-Traverse sein. Dort beginnt das erleuchtende Klettern, aber auch die richtige Gefahr. Denn wenn Charlys gutes Wetter kommt, beginnt zwangsläufig auch der Eisschlag.
Der Cerro Torre ist ein alpinistischer Mythos. Als eine französische Seilschaft 1952 die Erstbesteigung des Fitz Roy schaffte, berichtete sie, dass der in Sichtweite aufragende Cerro Torre "ein unmöglicher Berg" sei. Die Italiener Walter Bonatti und Carlo Mauri bezweifelten das und erreichten 1958 über die Westwand des Torre eine beachtliche Höhe. Sie schafften es aber nicht in die eigentliche Gipfelregion - den Turm aus Eis.
Im Jahr darauf, 1959, starteten der Italiener Cesare Maestri und der Osttiroler Toni Egger jenen Versuch, über den die Kletterwelt bis heute diskutiert. Maestri und Egger stiegen über Ost- und Nordwand auf und schafften es angeblich bis zum Gipfel. Beweise dafür gibt es keine. Egger, in dessen Rucksack sich der Fotoapparat mit dem Gipfelfoto befunden haben soll, wurde beim Abstieg von einer Eislawine erfasst und in die Tiefe gerissen - mit ihm verschwand auch der Beweis für die Erstbesteigung. Maestri behauptete konsequent, oben gewesen zu sein, aber die Zweifel wuchsen, und 1970 waren sie so laut geworden, dass Maestri keinen anderen Ausweg mehr sah, als die Besteigung zu wiederholen - er kündigte an, den Torre auf einem neuen Weg bezwingen zu wollen.
Diesmal unternahm Maestri den Aufstieg über die Südostkante, aber das Wetter war so katastrophal, dass er abbrechen musste. Wenige Monate später kehrte er zurück. Mit einem massiven Kompressor und etwa 300 Bohrhaken arbeitete er sich Meter für Meter hinauf. Diesmal erreichte er mit zwei Kollegen das Ende der Felswand unterhalb des Gipfels, verzichtete aber darauf, den "Gipfelschneepilz", wie er ihn nannte, zu besteigen - der werde ohnehin, so Maestri, "eines Tages weggeblasen".
Maestri feierte den Gipfelsieg und verließ Patagonien. Sein Kompressor blieb in der Wand, er hängt bis heute eine Seillänge unter dem Eispilz. Aber die Diskussionen, ob der Cerro Torre als bestiegen gelten durfte, waren damit nicht zu Ende. Sicher ist, dass Maestris Route als "Kompressorroute" ins alpinistische Vokabular eingegangen ist.
Als unzweifelhafte Erstbesteigung wird unterdessen die erstaunliche Geschichte der Seilschaft von Casimiro Ferrari geführt, die 1974 drei Wochen in einem Zelt hoch oben in der Wand auf besseres Wetter warten musste und erst kurz bevor die Essensreserven knapp wurden, den Gipfel doch noch schaffte - inklusive Beweisfoto. Seither ist es nur handverlesenen Bergsteigern gelungen, neue Routen auf den Gipfel des Cerro Torre zu machen. Was wir vorhaben, hat jedoch noch keiner geschafft: die Kompressorroute von Maestri frei zu klettern.
Mitte November kamen wir in Patagonien an. Als wir den Flughafen hinter uns gelassen hatten, war da nichts als Gras und eine erstaunliche, verwirrende Weite. Kein Berg. Wo sollten wir hier klettern? Die einzige Straße führte in der einen Richtung nach El Calafate, in der anderen nach El Chalten. El Chalten war unser Ziel. Wir stiegen in den Bus, der auf uns gewartet hatte.
Entlang der Straße standen Zäune, damit die Guanakos nicht auf die Straße laufen. Diese südamerikanischen Kamele sind nicht besonders schlau. Sie versuchen über die Zäune zu hüpfen, bleiben hängen und verenden. Das bemerkst du schon von Weitem: Wo die Kondore tief kreisen, hängen Guanakos im Zaun.
In El Chalten leben vielleicht tausend Menschen. Vor ein paar Jahren waren es angeblich nicht mehr als hundert. Inzwischen hat der Tourismus angezogen, es kommen Trekking-Freunde und Bergwanderer, und für die ist El Chalten der letzte Vorposten der Zivilisation. Hier können sie wohnen, essen, schlafen und Bier trinken.
Wir mieteten uns in einem kleinen Zimmer ein, bei Eduardo. Daniel konnte vom Bett aus den Himmel sehen. Ich sah von meinem Bett aus Daniel und seine Ausrüstung, die über dem Bett an der Wand hing. Das Zimmer, gemütlich. Im Haus nebenan ein zehn Quadratmeter großer Megastore, der täglich bis zwei Uhr früh offen hatte.
Keine Ahnung, wie die Geschäfte überleben. Ich habe nie Kunden gesehen, nur Mitarbeiter. Der einzige Laden, der gut geht, ist die Cervecería. Ein paar Holztische unter einem offenen Dachstuhl und ein sehr leichtes Bier, das sie selbst brauen. Aber das tranken wir so gut wie nie. Wir tranken die argentinische Nationalmarke "Quil- mes". Nicht so wässrig. In der Cevercería lernte ich übrigens Spanisch: "Una cerveza, por favor". Und: "Una mas".
Sie spielten genialen Salsa in der Cervecería, so dass sich jede Tageszeit wie später Nachmittag anfühlte. Das passte zu El Chaltén. Wenn das Wetter schlecht war - und das Wetter war oft schlecht -, saßen wir meistens an den Holztischen, tranken Bier und unterhielten uns mit den Mädels, die in der Cervecería arbeiteten. Eine von ihnen hieß Andrea. Sie war so groß wie ich und hatte bestimmt 80 Kilo. Aber ihr Lächeln. Und wenn sie loslachte. Da war, was mich in El Chaltén vom ersten Moment an begeisterte: die spontane Lebensfreude! Die Menschen hatten Spaß an dem, was sie taten, sie stellten keine Fragen und sie dachten nicht an morgen. Was dir in den Sinn kommt, machst du. Aber vielleicht machst du morgen auch wieder das Gegenteil, weil du nämlich Lust darauf hast. Niemand fragte uns, warum wir plötzlich hier waren und in der Cervecería herumhingen. Niemand fragte uns, wo wir gestern gewesen waren und morgen hingehen würden.
Das gefiel mir. Die Typen taten nicht so, als ob sie cool wären. Sie waren cool.
Gleich nach der Ankunft war das Wetter genial, und uns saß der Tatendrang im Genick. El Chalten ist vom Torre etwa 30 Kilometer weit entfernt, das ist zu weit, um bei Schönwetter aus dem Bett zu hüpfen und klettern zu gehen.
Noch am ersten Tag marschierten wir in den Nationalpark zum Bridwell Camp und trugen das Kletterzeug hinein. Das Bridwell Camp ist das erste Lager auf dem Weg von El Chalten zum Torre, es liegt auf der Höhe der letzten Bäume und wird heutzutage nur mehr selten benutzt.
Die Alpinisten, die den Cerro Torre besteigen wollten, bauten ihre Lager am Anfang noch möglichst nahe beim Berg. Aber dort hielten sie es nicht lange aus. Der Wind ist so stark, dass du nichts mehr hörst, nichts mehr spürst, nichts mehr denken kannst. Auf dem Gletscher waren die Böen so wuchtig, dass es mich dreimal umschmiss. Je näher am Berg, desto stärker der Wind. Klettern kannst du angeblich bis Windstärke 9, das sind rund 80 Stundenkilometer. Auf dem Torre bläst es nicht selten mit Windstärke 20. Das Bridwell Camp liegt im Windschatten der Bäume. Der Mann - Jim Bridwell, eine amerikanische Big-Wall-Legende - wusste, warum.
Über den Fluss, der den Nationalpark durchquert, haben ein paar Tiroler einen Seilübergang gebaut, er heißt logischerweise "Tirolese". Die Strecke bis hierher ist sauschön, sie zieht auch eine Menge Touristen an. Auf dem Gletscher sahen wir dann noch vereinzelte Ice-Trek- ker. Die zahlen 100 Euro für eine halbe Stunde, in der sie mit den Steigeisen auf dem Gletscher herumstapfen. Wir hatten ein paar witzige Begegnungen, als wir in Turnschuhen im Eilzugtempo über den Gletscher rasten, so dass die Ice-Trekker ihren Mund vor Staunen nicht mehr zukriegten.
Am Anfang gab uns der Ehrgeiz die Sporen. Weiter, Burschen, weiter. Wir kehrten vom Bridwell Camp nach El Chalten zurück, übernachteten, und machten uns tags darauf sofort wieder auf die Socken, diesmal weit auf den Gletscher hinauf, gewaltige Eiswelt, tiefe Spalten, unfassbares Panorama. Hier trennen sich die Wege derer, die auf den Cerro Torre wollen, von demjenigen, die den Fitz Roy anvisieren. Norweger, die auf den Torre wollten, hatten etwas weiter oben ein Camp eröffnet, das seither "Norwegercamp" heißt. Eine polnische Seilschaft, die den Fitz Roy im Visier hatte, schlug eines auf dem Weg nach Osten auf, seither das "Polencamp". Unser Stützpunkt lag weiter talauswärts und hieß "Nipo Nino", weder Polen noch Norwegen. Manche nennen den Platz, der ein bisschen windgeschützt zwischen riesigen Granitblöcken liegt, auch "Sandy Beach", weil sich zwischen den Blöcken richtige Sandbänke aus Granitabrieb gebildet haben. In diesem Sand schaufelten wir ebene Flächen, auf denen wir unser Zelt aufstellten.
Als wir abends in El Chalten ins Bett kippten, waren wir gerädert und fertig. Schon die drei Stunden zum Bridwell Camp waren anstrengend gewesen, weil wir wirklich schweineviel Gepäck zu schleppen gehabt hatten, jeder grob geschätzt 25 bis 30 Kilo, und zum Nipo Nino dauerte es bei dröhnendem Wind insgesamt etwa sieben Stunden. Daniel brach zweimal in eine kleine Spalte ein, so dass er bis zum Knie im Wasser stand. Das machte den Marsch auch nicht komfortabler.
An den ersten Abenden kontrollierte ich vor dem Einschlafen immer noch mein iPhone. Ich rief den Kalender auf und schaute, was für morgen auf dem Programm stand - als würde dort überraschend ein Treffen mit meinem Manager Peter stehen oder eine Trainingseinheit in der Kletterhalle Tivoli. Mein europäisches Pflichtbewusstsein ließ sich nicht so einfach abstellen. Oder, besser gesagt, es brauchte Zeit, bis es sich ganz gemächlich selbst abschaltete. In Argentinien braucht alles seine Zeit.
Wir lernten zu warten. Warten, warten, warten. Warten, dass das Wetter besser wird, warten, dass der Wind nicht mehr so stark bläst, warten, dass Charly von der Wetterwarte einmal etwas anderes meldet als "keine Chance, Burschen".
Wir lernten die Gegend besser kennen. Wir wanderten in Richtung Cerro Torre, weil wir wandern wollten, und nicht, um einen weiteren Kletterversuch zu starten. Wir entdeckten beim Aufstieg zum Bridwell Camp den alten Weg, der nach einem Waldbrand gesperrt war, und folgten ihm durch ein Labyrinth weißer Stämme mit schwarzen Schmauchspuren, die elegant und unwirklich aussahen. Wir kamen durch Senken, in denen weißer Granitsand lag wie in japanischen Gärten, und wir ließen uns manchmal durch die Schönheiten des Waldes treiben, wie man sie in den Alpen nie und nimmer zu Gesicht bekommt.
Nach dem ersten Aufstieg von El Chalten zum Bridwell Camp, der noch drei Stunden gedauert hatte, meisterten wir die Strecke beim dritten Versuch mit dem 15-Kilo- Rucksack schon in einer Stunde vierzig, und weil die Strecke irgendwann fad zu werden drohte, absolvierte ich sie nur noch mit strenger Zeitkontrolle: Mein Rekord mit dem Fünf-Kilo-Rucksack belief sich ein paar Wochen später auf eine Stunde nullzwei, aber dafür musste ich tatsächlich rennen wie ein Marathonläufer.
Richtig anstrengend wird der Weg erst nach dem Nipo Nino. Der Weg zur "Schulter", dem Ausgangspunkt fürs Klettern, dauert sechs Stunden. Zuerst eineinhalb Stunden durch echt beschissenes Gelände. Eine Geröllhalde, wo du einen Schritt vorwärts gehst und einen halben Schritt zurückrutschst. Ziemlich steil. Am Ende der Halde kommst du zum Norweger-Biwak. Von hier ist es nicht mehr weit bis "Media Luna". Media Luna ist ein schöner Name für ein imposantes Schneefeld, das sich wie ein Halbmond um die gleichnamige Felswand krümmt. Es ist etwa 50 Grad steil und 400 Meter lang. Media Luna ist gewaltig. Man fühlt sich sehr klein hier.
Du musst sehr zeitig losgehen, damit der Schnee von Media Luna noch hart ist. Sonst sinkst du bis zu den Knien ein, und wenn es davor frisch geschneit hat, noch tiefer. Das Gehen wird dann ziemlich anstrengend.
Hinter Media Luna geht es über den Gletscher unter die Ostwand des Torre. Ein Schneefeld, vielleicht 120 Meter lang, 50 Grad steil, ein kurzes kombiniertes Stück, ein weiteres Schneefeld, dann stehst du auf der Schulter. Wir deponierten ein kleines Zelt und Ausrüstung im Bergschrund an der Basis der Granitwand, die hier senkrecht in den Himmel wächst. An dieser Stelle beginnt die eigentliche Kletterei.
Während der ersten drei Wochen war an etwa sieben einzelnen Tagen geniales Wetter. Wir stiegen dreimal ein, um den Berg kennenzulernen und alles für den großen Tag vorzubereiten. Wir hatten einen Fotografen und mehrere Kameraleute im Team, weil Red Bull (mein Sponsor) die Expedition aufwendig dokumentieren wollte. Die Bergführer des Kamerateams, Markus Pucher aus Kärnten und Peter Ortner aus Lienz, mussten Fixseile spannen, damit die Filmleute bis zur Bolt-Traverse mit aufsteigen konnten.
Beim ersten Versuch blieben wir drei Tage auf der Schulter und kletterten zweimal. Ein hoher Himmel, dass es dir das Herz zusammendrückt, und der Berg, der so gigantisch ist, so viel größer, als du dir einen Berg bisher vorgestellt hast. In den Alpen wäre allein die Tour vom Nipo Nino bis zur Schulter eine eigene Tour. Hier beginnt die Tour erst, wo sie in den Alpen längst zu Ende wäre.
Das Wetter war herrlich, als ich einstieg, Sonne, blauer Himmel, aber dann begann es plötzlich zu pfeifen und zu donnern. Aus den "Iced Towers", die auf den Cerro Torre hinaufwachsen, brachen riesige Trümmer ab und zischten senkrecht hinunter. Ich dachte, das muss sich Clint Eastwood ausgedacht haben. Granaten aus Schnee. Bomben aus Eis.
Ich glaube, wir hätten an diesem Tag den Gipfel schaffen können. Aber genauso gut hätte uns an diesem Tag das Eis erwischen können. Wir waren relativ spät dran, weil wir auf die Kameraleute hatten warten müssen, und ich bin fast sicher, dass wir's versucht hätten, wenn wir früher in der Wand gewesen wären. Jetzt bin ich froh, dass wir es gelassen haben. Das Risiko, dass es nicht gut ausgeht, wäre zu groß gewesen.
Als wir nach dem zweiten Mal Klettern zurück nach El Chalten marschierten, hatte es Pipa, einer der argentinischen Helfer, die sich um die Kameraleute kümmerten, ganz furchtbar eilig. Er musste einen Funkspruch an die Agentur absetzen, die um sieben zusperrt, und der letzte Punkt, von dem aus man El Chalten per Funk erreichen kann, ist der Mirador Torre, der vom Dorf drei Kilometer entfernt ist. Wir kamen von der Schulter des Cerro und waren schon ziemlich fertig, aber Pipa schlug ein gescheites Tempo an, und da ich nicht wusste, dass er noch seinen Funkspruch absetzen muss, dachte ich, er will uns zeigen, wie gut er angasen kann. Und wenn einer angast, muss er damit rechnen, dass ich auch angase. Wir also im Laufschritt in die Ebene hinaus, von dort ist es noch einmal ein kurzer Aufstieg zum Mirador Torre, wir waren wirklich platt, als wir dort ankamen, übrigens kurz vor sieben. Pipa funkte, ich begriff und machte Pause.
Als die anderen nachkamen, feixte Daniel. "Hast dir's wieder besorgen müssen mit dem Pipa. Das schaffen wir aber auch ..."
Weg war er. Ich hörte nur noch, wie Daniel rief: "Schau mal, ob du mir nachkommst."
Ich natürlich möglichst schnell hinterher, überholte ihn, Vollgas weiter. Es war nicht besonders steil, aber doch steil genug, und was wir uns lieferten, war nichts anderes als ein Sprint bergab. Ich sprang über eine Wurzel, dahinter ein Absatz, ein Baum, der an einer Felskante klebte, es ging ein Stück hinunter, und ich knöchelte mit dem rechten Fuß um, und weil ich gedacht hatte, ich würde mit dem rechten Fuß den Sprung nur abfangen und mit dem linken sofort weiterfedern, fuhr mein ganzes Gewicht in den umgeknickten Knöchel und zack - waren die Seitenbänder ab.
20 Sekunden später war Daniel da und hörte mich fluchen, und noch lauter hörte er mich fluchen, als ich versuchte zu gehen. Als ich sagte, "wird schon wieder, das tut nur am Anfang so weh", tröstete ich mehr mich als ihn.
Ich humpelte den Rest der Strecke also mehr, als ich ging, war aber trotzdem nicht langsam, so weit geht das Leiden nicht. Als ich ankam, war der Fuß schon geschwollen wie ein Luftballon, doch weil ich keinen Bluterguss sah, dachte ich, die Bänder wären nur überdehnt. Zu Hause bei Eduardo lagerte ich den Fuß hoch und schmierte ihn mit Voltaren ein.
Am nächsten Tag ging gar nichts mehr - außer mit zwei Teleskopstöcken bewaffnet in die Cervecería zu humpeln.
Der Cerro Torre ist wunderschön. Vielleicht der schönste Berg der Welt, und das sage ich, obwohl ich Superlative hasse. Es ist mein Traum, den Cerro Torre, dieses Denkmal der Senkrechten, frei zu klettern. Der Freikletterstil fordert, dass sich der Alpinist ohne technische Hilfsmittel fortbewegt und Haken nur in den Fels schlägt, um sich zu sichern. Auf der Route, die wir vorhaben, hat das noch keiner geschafft.
Die Sache ist auch nicht einfach, die alpinistischen Herausforderungen sind groß. Der Berg ist im Westen von einer permanenten Eisschicht überzogen. Auch die Ostwand ist stellenweise vereist. Sobald es zu warm ist, brechen riesige Eiskaliber ab und donnern in die Tiefe. Da hängst du besser nicht in der Falllinie.
Die Dimensionen der Wände sind anders als alles, was man aus den Alpen kennt. Höher. Länger. Abgeschiedener. Komplizierter. Vor allem aber ist das Wetter unberechenbar. In Patagonien, im äußersten Süden Argentiniens, sind die Verhältnisse permanent schwierig. Wolken, Sturm, Regen, Schnee. Frühjahr, Sommer und Herbst schieben sich auf nur wenige Monate zusammen: Dezember, Januar, Februar. Nur dann herrschen die Bedingungen, die du brauchst, um einen Plan wie den unseren zu verwirklichen. Der Plan lautet: Die sogenannte Kompressor-Route frei zu klettern.
Der freie Kletterstil entspringt einer Schule des Alpinismus, die mir gut gefällt. Als Sportkletterer bin ich gewöhnt, so zu klettern, und mit der Philosophie, den Berg so wenig wie möglich mit künstlichen Hilfsmitteln zu behelligen, kann ich durchaus etwas anfangen. Aber ich bin kein Purist. Ich habe Respekt vor den Meistern des technischen Kletterns, und ich will nicht ausschließen, selbst gewisse Routen in diesem Stil zu klettern, wenn freies Klettern nicht möglich ist. Ich will mir nicht Regeln auferlegen um der Regeln willen.
Keine Regel soll mir verbieten, großartige Erlebnisse zu haben.
Freies Klettern ist aufwendig. Um die Route am Torre machen zu können, die wir uns vorgenommen haben, müssen wir zuerst einmal auf den Gipfel und uns einen Eindruck verschaffen, ob frei klettern überhaupt möglich ist. Dann die richtige Linie finden und einrichten, das heißt, jene Haken zu setzen, mit denen wir uns beim freien Klettern absichern werden. Erst dann kann man überhaupt an die tatsächliche Begehung denken. Vielleicht kriegen wir die Chance. Vielleicht kriegen wir sie auch nicht. Nützen wollen wir sie auf jeden Fall.
Die Idee, den Cerro Torre frei zu klettern, war in Chile zur Welt gekommen. Ein Jahr zuvor waren wir, eine Gruppe von Freunden, auf Expedition in Cochamo gewesen - geniales Klettern. Wände ohne Ende, und viele davon noch unberührt. Jede Menge Abenteuer. Irgendwann sagte der Ötztaler Hansjörg Auer: "Der Cerro Torre, das wär doch was für dich, oder, Fuzzy? Der Berg, der kann schon was."
Hansjörg hatte den Cerro Torre vor ein paar Jahren schon einmal über die Kompressorroute gemacht. Er steckte mich mit seiner Begeisterung sofort an. Ich selbst kannte den Cerro Torre nur von Fotos, hatte ein paar Geschichten gehört und den einen oder anderen Clip auf YouTube gesehen. Aber der Gedanke wuchs. Er keimte. Ich konnte das Abenteuer riechen, wenn ich nur die Augen zumachte.
Als ich zurück in Österreich war, fragte ich Daniel bei einer Skitour: "Bist dabei?"
Daniel Steuerer, ein alter Kumpel aus Innsbruck, hatte wie üblich kein Geld, aber dafür hatte er Zeit, und er meinte: "Klar bin ich dabei, wenn du mir ein Flugticket besorgst."
Wir kauften uns Bücher über den Torre. Daniel las jedes einzelne, er fraß sie geradezu in sich hinein. Ich ging die Sache langsamer an. Ich las Kapitel für Kapitel, wollte nicht zu schnell fertig sein. Und ich war froh, dass Daniel so abfuhr auf das Projekt: Er war der einzige meiner Kollegen, mit dem ich mir vorstellen konnte, mehrere Monate auf engstem Raum zu verbringen. Es waren schließlich nicht nur die alpinistischen Herausforderungen, die wir teilen mussten, es geht auch darum, eine gute Zeit zu haben.
Daniel ist 22, blond, und die Haare hängen ihm immer in die Augen. Er ist zu faul, sich zu rasieren, deshalb wächst ihm am Kinn ein braunblonder Wuschel. So wie er aussieht, käme niemand auf die Idee, dass er Alpinist ist, aber Daniel hat jede Menge Energie. Sobald er gewisse Dinge angefangen hat, treibt ihn sein Ehrgeiz dazu, sie auch fertig zu machen. Darin sind wir uns sehr ähnlich. Er ist ein Beißer, und das ist gut: Wenn er mit mir unterwegs ist, muss er nämlich immer beißen - die Zähne zusammenbeißen!
Daniel war viele Jahre mein Trainingspartner in der Halle gewesen, als wir gemeinsam an Jugendwettkämpfen teilnahmen. Er war einer meiner stärksten Konkurrenten, bis ihn eine Verletzung am Ellbogen dazu zwang, mit dem Spitzensport aufzuhören. Die Liebe zum Klettern verlor Daniel freilich nie. Er war es, der mich für das Alpine begeisterte. Wir machten Touren in den Alpen, wir reisten gemeinsam ins Yosemite Valley und hatten viel Spaß. Und während ich auf Wettkämpfen unterwegs war, lag Daniel in der Hängematte und las Siddharta.
Nachts um eins steigen wir in die Tour ein. Die erste Seillänge: ein schöner, gerader Riss. Was normalerweise ein Spaziergang ist, schmeckt mir heute nicht besonders. In den Rissen klebt Schnee. Der Fels ist vereist. Die Bedingungen sind alles andere als gut.
Wir wollen in der Nacht so weit hinauf, wie es nur irgendwie geht. Bei unseren ersten zwei Versuchen hat uns der Eisschlag gezwungen umzudrehen, aber dieses Mal wollen wir dieser Gefahr einen Schritt voraus sein. Wenn das Wetterfenster kommt, müssen wir in der Poleposition sein. Das Risiko, bei diesen Verhältnissen zu klettern, wird bereits am späten Vormittag unvertretbar hoch. Der Fels erwärmt sich durch die starke Sonneneinstrahlung extrem schnell, das Eis am Fels beginnt abzuschmelzen. Immer größere Eisbrocken lösen sich, und das ist dann echt ungemütlich.
Ich steige voraus. Daniel ist zwar ein guter Kletterer, aber in diesem Gelände bewege ich mich sicherer - und vor allem schneller. Das ist wichtig, denn wir haben keine Zeit zu verschenken. Aber bei diesen Bedingungen fühle auch ich mich nicht richtig wohl. Der Wind. Der Wind ist so stark, dass an freies Klettern nicht zu denken ist.
Wir sagen nichts außer den nötigen Seilkommandos: "Stand" - "Seil aus" - "Kannst kommen". Wenn ich beim Stand ankomme und Daniel nachsichere, sehe ich in der blauen Dunkelheit nur ein Licht, das schnell näherkommt. Es hat keinen Sinn, mehr zu sagen. Der Wind schluckt jedes Wort und trägt es fort.
Es ist mitten in der Nacht. Es ist stockdunkel, saukalt, und es stürmt, dass jeder Reihenhausbesitzer Angst um sein Dach kriegen würde. Aber wir sind guter Laune. Wenn alles klappt, klettern wir jetzt bis zur Bolt-Traverse, und dann kommt das Wetterfenster, Charly steht dafür gerade.
In der dritten Länge folge ich einem Riss im Granit. Der Riss ist ein Hund. Ich kann lange keine Sicherung legen, aber ich denke nicht darüber nach. Wir haben zwar nicht sonderlich viel geschlafen, aber ich fühle mich recht gut. Wir geben Gas. Wir müssen früh bei der Bolt-Traverse sein. Dort beginnt das erleuchtende Klettern, aber auch die richtige Gefahr. Denn wenn Charlys gutes Wetter kommt, beginnt zwangsläufig auch der Eisschlag.
Der Cerro Torre ist ein alpinistischer Mythos. Als eine französische Seilschaft 1952 die Erstbesteigung des Fitz Roy schaffte, berichtete sie, dass der in Sichtweite aufragende Cerro Torre "ein unmöglicher Berg" sei. Die Italiener Walter Bonatti und Carlo Mauri bezweifelten das und erreichten 1958 über die Westwand des Torre eine beachtliche Höhe. Sie schafften es aber nicht in die eigentliche Gipfelregion - den Turm aus Eis.
Im Jahr darauf, 1959, starteten der Italiener Cesare Maestri und der Osttiroler Toni Egger jenen Versuch, über den die Kletterwelt bis heute diskutiert. Maestri und Egger stiegen über Ost- und Nordwand auf und schafften es angeblich bis zum Gipfel. Beweise dafür gibt es keine. Egger, in dessen Rucksack sich der Fotoapparat mit dem Gipfelfoto befunden haben soll, wurde beim Abstieg von einer Eislawine erfasst und in die Tiefe gerissen - mit ihm verschwand auch der Beweis für die Erstbesteigung. Maestri behauptete konsequent, oben gewesen zu sein, aber die Zweifel wuchsen, und 1970 waren sie so laut geworden, dass Maestri keinen anderen Ausweg mehr sah, als die Besteigung zu wiederholen - er kündigte an, den Torre auf einem neuen Weg bezwingen zu wollen.
Diesmal unternahm Maestri den Aufstieg über die Südostkante, aber das Wetter war so katastrophal, dass er abbrechen musste. Wenige Monate später kehrte er zurück. Mit einem massiven Kompressor und etwa 300 Bohrhaken arbeitete er sich Meter für Meter hinauf. Diesmal erreichte er mit zwei Kollegen das Ende der Felswand unterhalb des Gipfels, verzichtete aber darauf, den "Gipfelschneepilz", wie er ihn nannte, zu besteigen - der werde ohnehin, so Maestri, "eines Tages weggeblasen".
Maestri feierte den Gipfelsieg und verließ Patagonien. Sein Kompressor blieb in der Wand, er hängt bis heute eine Seillänge unter dem Eispilz. Aber die Diskussionen, ob der Cerro Torre als bestiegen gelten durfte, waren damit nicht zu Ende. Sicher ist, dass Maestris Route als "Kompressorroute" ins alpinistische Vokabular eingegangen ist.
Als unzweifelhafte Erstbesteigung wird unterdessen die erstaunliche Geschichte der Seilschaft von Casimiro Ferrari geführt, die 1974 drei Wochen in einem Zelt hoch oben in der Wand auf besseres Wetter warten musste und erst kurz bevor die Essensreserven knapp wurden, den Gipfel doch noch schaffte - inklusive Beweisfoto. Seither ist es nur handverlesenen Bergsteigern gelungen, neue Routen auf den Gipfel des Cerro Torre zu machen. Was wir vorhaben, hat jedoch noch keiner geschafft: die Kompressorroute von Maestri frei zu klettern.
Mitte November kamen wir in Patagonien an. Als wir den Flughafen hinter uns gelassen hatten, war da nichts als Gras und eine erstaunliche, verwirrende Weite. Kein Berg. Wo sollten wir hier klettern? Die einzige Straße führte in der einen Richtung nach El Calafate, in der anderen nach El Chalten. El Chalten war unser Ziel. Wir stiegen in den Bus, der auf uns gewartet hatte.
Entlang der Straße standen Zäune, damit die Guanakos nicht auf die Straße laufen. Diese südamerikanischen Kamele sind nicht besonders schlau. Sie versuchen über die Zäune zu hüpfen, bleiben hängen und verenden. Das bemerkst du schon von Weitem: Wo die Kondore tief kreisen, hängen Guanakos im Zaun.
In El Chalten leben vielleicht tausend Menschen. Vor ein paar Jahren waren es angeblich nicht mehr als hundert. Inzwischen hat der Tourismus angezogen, es kommen Trekking-Freunde und Bergwanderer, und für die ist El Chalten der letzte Vorposten der Zivilisation. Hier können sie wohnen, essen, schlafen und Bier trinken.
Wir mieteten uns in einem kleinen Zimmer ein, bei Eduardo. Daniel konnte vom Bett aus den Himmel sehen. Ich sah von meinem Bett aus Daniel und seine Ausrüstung, die über dem Bett an der Wand hing. Das Zimmer, gemütlich. Im Haus nebenan ein zehn Quadratmeter großer Megastore, der täglich bis zwei Uhr früh offen hatte.
Keine Ahnung, wie die Geschäfte überleben. Ich habe nie Kunden gesehen, nur Mitarbeiter. Der einzige Laden, der gut geht, ist die Cervecería. Ein paar Holztische unter einem offenen Dachstuhl und ein sehr leichtes Bier, das sie selbst brauen. Aber das tranken wir so gut wie nie. Wir tranken die argentinische Nationalmarke "Quil- mes". Nicht so wässrig. In der Cevercería lernte ich übrigens Spanisch: "Una cerveza, por favor". Und: "Una mas".
Sie spielten genialen Salsa in der Cervecería, so dass sich jede Tageszeit wie später Nachmittag anfühlte. Das passte zu El Chaltén. Wenn das Wetter schlecht war - und das Wetter war oft schlecht -, saßen wir meistens an den Holztischen, tranken Bier und unterhielten uns mit den Mädels, die in der Cervecería arbeiteten. Eine von ihnen hieß Andrea. Sie war so groß wie ich und hatte bestimmt 80 Kilo. Aber ihr Lächeln. Und wenn sie loslachte. Da war, was mich in El Chaltén vom ersten Moment an begeisterte: die spontane Lebensfreude! Die Menschen hatten Spaß an dem, was sie taten, sie stellten keine Fragen und sie dachten nicht an morgen. Was dir in den Sinn kommt, machst du. Aber vielleicht machst du morgen auch wieder das Gegenteil, weil du nämlich Lust darauf hast. Niemand fragte uns, warum wir plötzlich hier waren und in der Cervecería herumhingen. Niemand fragte uns, wo wir gestern gewesen waren und morgen hingehen würden.
Das gefiel mir. Die Typen taten nicht so, als ob sie cool wären. Sie waren cool.
Gleich nach der Ankunft war das Wetter genial, und uns saß der Tatendrang im Genick. El Chalten ist vom Torre etwa 30 Kilometer weit entfernt, das ist zu weit, um bei Schönwetter aus dem Bett zu hüpfen und klettern zu gehen.
Noch am ersten Tag marschierten wir in den Nationalpark zum Bridwell Camp und trugen das Kletterzeug hinein. Das Bridwell Camp ist das erste Lager auf dem Weg von El Chalten zum Torre, es liegt auf der Höhe der letzten Bäume und wird heutzutage nur mehr selten benutzt.
Die Alpinisten, die den Cerro Torre besteigen wollten, bauten ihre Lager am Anfang noch möglichst nahe beim Berg. Aber dort hielten sie es nicht lange aus. Der Wind ist so stark, dass du nichts mehr hörst, nichts mehr spürst, nichts mehr denken kannst. Auf dem Gletscher waren die Böen so wuchtig, dass es mich dreimal umschmiss. Je näher am Berg, desto stärker der Wind. Klettern kannst du angeblich bis Windstärke 9, das sind rund 80 Stundenkilometer. Auf dem Torre bläst es nicht selten mit Windstärke 20. Das Bridwell Camp liegt im Windschatten der Bäume. Der Mann - Jim Bridwell, eine amerikanische Big-Wall-Legende - wusste, warum.
Über den Fluss, der den Nationalpark durchquert, haben ein paar Tiroler einen Seilübergang gebaut, er heißt logischerweise "Tirolese". Die Strecke bis hierher ist sauschön, sie zieht auch eine Menge Touristen an. Auf dem Gletscher sahen wir dann noch vereinzelte Ice-Trek- ker. Die zahlen 100 Euro für eine halbe Stunde, in der sie mit den Steigeisen auf dem Gletscher herumstapfen. Wir hatten ein paar witzige Begegnungen, als wir in Turnschuhen im Eilzugtempo über den Gletscher rasten, so dass die Ice-Trekker ihren Mund vor Staunen nicht mehr zukriegten.
Am Anfang gab uns der Ehrgeiz die Sporen. Weiter, Burschen, weiter. Wir kehrten vom Bridwell Camp nach El Chalten zurück, übernachteten, und machten uns tags darauf sofort wieder auf die Socken, diesmal weit auf den Gletscher hinauf, gewaltige Eiswelt, tiefe Spalten, unfassbares Panorama. Hier trennen sich die Wege derer, die auf den Cerro Torre wollen, von demjenigen, die den Fitz Roy anvisieren. Norweger, die auf den Torre wollten, hatten etwas weiter oben ein Camp eröffnet, das seither "Norwegercamp" heißt. Eine polnische Seilschaft, die den Fitz Roy im Visier hatte, schlug eines auf dem Weg nach Osten auf, seither das "Polencamp". Unser Stützpunkt lag weiter talauswärts und hieß "Nipo Nino", weder Polen noch Norwegen. Manche nennen den Platz, der ein bisschen windgeschützt zwischen riesigen Granitblöcken liegt, auch "Sandy Beach", weil sich zwischen den Blöcken richtige Sandbänke aus Granitabrieb gebildet haben. In diesem Sand schaufelten wir ebene Flächen, auf denen wir unser Zelt aufstellten.
Als wir abends in El Chalten ins Bett kippten, waren wir gerädert und fertig. Schon die drei Stunden zum Bridwell Camp waren anstrengend gewesen, weil wir wirklich schweineviel Gepäck zu schleppen gehabt hatten, jeder grob geschätzt 25 bis 30 Kilo, und zum Nipo Nino dauerte es bei dröhnendem Wind insgesamt etwa sieben Stunden. Daniel brach zweimal in eine kleine Spalte ein, so dass er bis zum Knie im Wasser stand. Das machte den Marsch auch nicht komfortabler.
An den ersten Abenden kontrollierte ich vor dem Einschlafen immer noch mein iPhone. Ich rief den Kalender auf und schaute, was für morgen auf dem Programm stand - als würde dort überraschend ein Treffen mit meinem Manager Peter stehen oder eine Trainingseinheit in der Kletterhalle Tivoli. Mein europäisches Pflichtbewusstsein ließ sich nicht so einfach abstellen. Oder, besser gesagt, es brauchte Zeit, bis es sich ganz gemächlich selbst abschaltete. In Argentinien braucht alles seine Zeit.
Wir lernten zu warten. Warten, warten, warten. Warten, dass das Wetter besser wird, warten, dass der Wind nicht mehr so stark bläst, warten, dass Charly von der Wetterwarte einmal etwas anderes meldet als "keine Chance, Burschen".
Wir lernten die Gegend besser kennen. Wir wanderten in Richtung Cerro Torre, weil wir wandern wollten, und nicht, um einen weiteren Kletterversuch zu starten. Wir entdeckten beim Aufstieg zum Bridwell Camp den alten Weg, der nach einem Waldbrand gesperrt war, und folgten ihm durch ein Labyrinth weißer Stämme mit schwarzen Schmauchspuren, die elegant und unwirklich aussahen. Wir kamen durch Senken, in denen weißer Granitsand lag wie in japanischen Gärten, und wir ließen uns manchmal durch die Schönheiten des Waldes treiben, wie man sie in den Alpen nie und nimmer zu Gesicht bekommt.
Nach dem ersten Aufstieg von El Chalten zum Bridwell Camp, der noch drei Stunden gedauert hatte, meisterten wir die Strecke beim dritten Versuch mit dem 15-Kilo- Rucksack schon in einer Stunde vierzig, und weil die Strecke irgendwann fad zu werden drohte, absolvierte ich sie nur noch mit strenger Zeitkontrolle: Mein Rekord mit dem Fünf-Kilo-Rucksack belief sich ein paar Wochen später auf eine Stunde nullzwei, aber dafür musste ich tatsächlich rennen wie ein Marathonläufer.
Richtig anstrengend wird der Weg erst nach dem Nipo Nino. Der Weg zur "Schulter", dem Ausgangspunkt fürs Klettern, dauert sechs Stunden. Zuerst eineinhalb Stunden durch echt beschissenes Gelände. Eine Geröllhalde, wo du einen Schritt vorwärts gehst und einen halben Schritt zurückrutschst. Ziemlich steil. Am Ende der Halde kommst du zum Norweger-Biwak. Von hier ist es nicht mehr weit bis "Media Luna". Media Luna ist ein schöner Name für ein imposantes Schneefeld, das sich wie ein Halbmond um die gleichnamige Felswand krümmt. Es ist etwa 50 Grad steil und 400 Meter lang. Media Luna ist gewaltig. Man fühlt sich sehr klein hier.
Du musst sehr zeitig losgehen, damit der Schnee von Media Luna noch hart ist. Sonst sinkst du bis zu den Knien ein, und wenn es davor frisch geschneit hat, noch tiefer. Das Gehen wird dann ziemlich anstrengend.
Hinter Media Luna geht es über den Gletscher unter die Ostwand des Torre. Ein Schneefeld, vielleicht 120 Meter lang, 50 Grad steil, ein kurzes kombiniertes Stück, ein weiteres Schneefeld, dann stehst du auf der Schulter. Wir deponierten ein kleines Zelt und Ausrüstung im Bergschrund an der Basis der Granitwand, die hier senkrecht in den Himmel wächst. An dieser Stelle beginnt die eigentliche Kletterei.
Während der ersten drei Wochen war an etwa sieben einzelnen Tagen geniales Wetter. Wir stiegen dreimal ein, um den Berg kennenzulernen und alles für den großen Tag vorzubereiten. Wir hatten einen Fotografen und mehrere Kameraleute im Team, weil Red Bull (mein Sponsor) die Expedition aufwendig dokumentieren wollte. Die Bergführer des Kamerateams, Markus Pucher aus Kärnten und Peter Ortner aus Lienz, mussten Fixseile spannen, damit die Filmleute bis zur Bolt-Traverse mit aufsteigen konnten.
Beim ersten Versuch blieben wir drei Tage auf der Schulter und kletterten zweimal. Ein hoher Himmel, dass es dir das Herz zusammendrückt, und der Berg, der so gigantisch ist, so viel größer, als du dir einen Berg bisher vorgestellt hast. In den Alpen wäre allein die Tour vom Nipo Nino bis zur Schulter eine eigene Tour. Hier beginnt die Tour erst, wo sie in den Alpen längst zu Ende wäre.
Das Wetter war herrlich, als ich einstieg, Sonne, blauer Himmel, aber dann begann es plötzlich zu pfeifen und zu donnern. Aus den "Iced Towers", die auf den Cerro Torre hinaufwachsen, brachen riesige Trümmer ab und zischten senkrecht hinunter. Ich dachte, das muss sich Clint Eastwood ausgedacht haben. Granaten aus Schnee. Bomben aus Eis.
Ich glaube, wir hätten an diesem Tag den Gipfel schaffen können. Aber genauso gut hätte uns an diesem Tag das Eis erwischen können. Wir waren relativ spät dran, weil wir auf die Kameraleute hatten warten müssen, und ich bin fast sicher, dass wir's versucht hätten, wenn wir früher in der Wand gewesen wären. Jetzt bin ich froh, dass wir es gelassen haben. Das Risiko, dass es nicht gut ausgeht, wäre zu groß gewesen.
Als wir nach dem zweiten Mal Klettern zurück nach El Chalten marschierten, hatte es Pipa, einer der argentinischen Helfer, die sich um die Kameraleute kümmerten, ganz furchtbar eilig. Er musste einen Funkspruch an die Agentur absetzen, die um sieben zusperrt, und der letzte Punkt, von dem aus man El Chalten per Funk erreichen kann, ist der Mirador Torre, der vom Dorf drei Kilometer entfernt ist. Wir kamen von der Schulter des Cerro und waren schon ziemlich fertig, aber Pipa schlug ein gescheites Tempo an, und da ich nicht wusste, dass er noch seinen Funkspruch absetzen muss, dachte ich, er will uns zeigen, wie gut er angasen kann. Und wenn einer angast, muss er damit rechnen, dass ich auch angase. Wir also im Laufschritt in die Ebene hinaus, von dort ist es noch einmal ein kurzer Aufstieg zum Mirador Torre, wir waren wirklich platt, als wir dort ankamen, übrigens kurz vor sieben. Pipa funkte, ich begriff und machte Pause.
Als die anderen nachkamen, feixte Daniel. "Hast dir's wieder besorgen müssen mit dem Pipa. Das schaffen wir aber auch ..."
Weg war er. Ich hörte nur noch, wie Daniel rief: "Schau mal, ob du mir nachkommst."
Ich natürlich möglichst schnell hinterher, überholte ihn, Vollgas weiter. Es war nicht besonders steil, aber doch steil genug, und was wir uns lieferten, war nichts anderes als ein Sprint bergab. Ich sprang über eine Wurzel, dahinter ein Absatz, ein Baum, der an einer Felskante klebte, es ging ein Stück hinunter, und ich knöchelte mit dem rechten Fuß um, und weil ich gedacht hatte, ich würde mit dem rechten Fuß den Sprung nur abfangen und mit dem linken sofort weiterfedern, fuhr mein ganzes Gewicht in den umgeknickten Knöchel und zack - waren die Seitenbänder ab.
20 Sekunden später war Daniel da und hörte mich fluchen, und noch lauter hörte er mich fluchen, als ich versuchte zu gehen. Als ich sagte, "wird schon wieder, das tut nur am Anfang so weh", tröstete ich mehr mich als ihn.
Ich humpelte den Rest der Strecke also mehr, als ich ging, war aber trotzdem nicht langsam, so weit geht das Leiden nicht. Als ich ankam, war der Fuß schon geschwollen wie ein Luftballon, doch weil ich keinen Bluterguss sah, dachte ich, die Bänder wären nur überdehnt. Zu Hause bei Eduardo lagerte ich den Fuß hoch und schmierte ihn mit Voltaren ein.
Am nächsten Tag ging gar nichts mehr - außer mit zwei Teleskopstöcken bewaffnet in die Cervecería zu humpeln.
... weniger
Autoren-Porträt von David Lama
David Lama, 1990 in Innsbruck als Sohn einer Österreicherin und eines nepalesischen Bergführers geboren, schaute aus seiner Wiege und sah die Alpen. Als Dreijähriger war er zum ersten Mal in Nepal. Als Sechsjähriger macht er einen Kletterkurs bei Himalaya-Legende Peter Habeler, der Spitzenkletterer Reinhold Scherer wurde sein Trainer. Mit 14 wird Lama Jugendweltmeister, mit 15 jüngster Weltcupsieger, mit 18 der jüngste Doppeleuropameister in der Geschichte des Klettersports jetzt erobert er die Gipfel der Welt. Lama lebt in Götzens/Tirol.
Bibliographische Angaben
- Autor: David Lama
- 2010, 219 Seiten, mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Maße: 13,5 x 21,7 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Knaus
- ISBN-10: 3813503860
- ISBN-13: 9783813503869
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