"Hinter goldenen Gittern", "Die verbotene Oase" und "Hinter dem Schleier der Tränen"
Zum ersten Mal im Paket: der erschütternde und fesselnde Lebensbericht einer Haremstochter in drei Bänden!
Choga Regina Egbeme erzählt ihre Geschichte als Haremstochter in Afrika. ...
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Produktinformationen zu „"Hinter goldenen Gittern", "Die verbotene Oase" und "Hinter dem Schleier der Tränen" “
Zum ersten Mal im Paket: der erschütternde und fesselnde Lebensbericht einer Haremstochter in drei Bänden!
Choga Regina Egbeme erzählt ihre Geschichte als Haremstochter in Afrika.
Hinter goldenen Gittern:
Mit 42 Jahren entscheidet sich die Deutsche Lisa Hofmayer, nach Afrika zu gehen, um dort die 33. Frau eines afrikanischen Mannes in Nigeria zu werden. In ihrer neuen Großfamilie findet sie ungeahnten Lebensmut. Schon bald wird ihre Tochter Choga geboren. Als sie 16 Jahre alt ist, wird Choga an einen 30 Jahre älteren Mann verheiratet, der sie brutal missbraucht. Aber mit Hilfe ihrer Mutter gelingt Choga die Flucht.
Die verbotene Oase:
Fortsetzung des Bestsellers ''Hinter goldenen Gittern'': Choga Regina Egbeme hat eine Zuflucht gefunden.
Hinter dem Schleier der Tränen:
Gemeinsam mit ihren Gefährtinnen baut Choga Regina Egbeme eine Farm als ''Heilstation'' in Zentralnigeria auf, die von der islamischen Nachbargemeinschaft niedergebrannt und zerstört wird. Doch die Frauen geben nicht auf und kämpfen um ihr Zuhause, während der Hass auf sie täglich wächst - denn die Frauen sind an Aids erkrankt.
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Hinter goldenen Gittern von Choga Regina Egbeme Die fremde Schwester
Auf Mutters Nachttisch im Harem stand immer das Foto eines zehnjährigen Mädchens. Niemals lag ein Staubkorn darauf. Mit diesem Bild bin ich aufgewachsen.
»Das ist deine Schwester« , hatte Mutter mir irgendwann einmal erklärt. »Du kannst stolz auf sie sein.« Magdalena trug einen Kranz aus weißen Blumen in den blonden Haaren. Mutter erzählte mir, dass es Margeriten seien, die in Deutschland den Sommer über an den Rändern der Felder und auf den Wiesen blühten.
Ich stellte mir oft vor, wie Magdalena über eine grüne Wiese lief und Margeriten pflückte. Manchmal habe ich auch von ihr geträumt, habe versucht, sie zu fangen. Aber sie war immer viel schneller als ich. Nichts hatte ich mir sehnlicher gewünscht, als meine deutsche Schwester kennen zu lernen. In meiner Vorstellung war Magdalena immer das Mädchen auf der Wiese.
... mehr
Dann kam eines Tages ein Brief von ihr. Magdalena hatte sich entschlossen, uns zum ersten Mal zu besuchen. Sie hatte ein Foto beigelegt. Ich blickte in das Gesicht einer völlig fremden Frau. Aus dem Mädchen mit den neugierigen blauen Augen und den halblangen blonden Haaren, die ihr in sanften Locken auf die Schultern fielen, war eine Frau mit kastanienbraunem, kurzem Haar geworden, die mich durch ihre strenge Brille nachdenklich ansah. Das Mädchen aus meiner Kindheit war inzwischen eine 41 Jahre alte Lehrerin aus Deutschland. Mir wurde bang. Denn zum ersten Mal wurde mir richtig bewusst, dass ein großer Teil meines Lebens bereits vorüber war.
Meine eigene Jugend, meine Sorglosigkeit, ja, auch ein Teil meiner Hoffnungen.
Mutters Freundin Amara begleitete mich zum Flughafen. Es war Karfreitag. Um mich herum tobten Kinder, Frauen lachten und Männer begrüßten sich lautstark. Alle Menschen wirkten so glücklich, als ob sie etwas ganz Besonderes geschenkt bekämen. Und ich stand mitten unter ihnen. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Kopfschmerzen und Durst plagten mich gleichzeitig. Das Herz schlug mir bis zum Hals, ich schwitzte. Immer wieder starrte ich auf das Foto in meinen feuchten. Händen, hob die Augen und suchte die Menschenmenge ab, die aus dem Ankunftsbereich herausströmte. Zufriedene Gesichter strahlten mich an, Reisende, die nach acht Stunden endlich aus dem Flugzeug steigen durften und sich in die Arme von Verwandten stürzten.
Das Foto brauchte ich nicht, um Magdalena zu erkennen. Es waren ihre Augen. Mamas Augen - sie hatte immer diesen leicht fragenden Blick gehabt. Als wollte sie alles ganz genau wissen. Erkennen, ob man es gut mit ihr meint. Manchmal lag auch ein wenig Angst in ihren Augen.
Amara hat dieser Angst einen Namen gegeben: »Die Menschen wissen gar nicht, dass sie diese Furcht in sich tragen. Aber ich kann sie sehen - die Furcht derer, die einen Verlust erlitten haben, über den sie nicht hinwegkommen. Sie steht ihnen ins Gesicht geschrieben, verrät ihre Sorge, wieder etwas Ähnliches erleiden zu müssen.« Ich kann sie inzwischen auch erkennen, diese Unsicherheit. Sie wohnt in den Augen unzähliger Menschen. Auch in Magdalenas. Vielleicht sogar in meinen eigenen, das kann ich natürlich nicht selbst beurteilen.
In der Menge der fremden Menschen suchte Magdalena nicht mich, sondern Mutter. Sie lief direkt an mir vorbei, ich roch ihr Parfüm, der weiche Stoff ihrer Kleidung streifte flüchtig meine Hand. Sie war zum Greifen nah. Und doch schien sie weiter entfernt als in all den Jahren zuvor. Plötzlich schoss mir eine unglaublich banale Frage durch den Kopf: Wie sollte ich sie ansprechen? Konnte ich einfach »du« sagen? Mit einem Mal fiel mir kein einziges deutsches Wort mehr ein. Mein Hirn war leer und mein Herz so voll.
Amara spürt, wenn Menschen zusammengehören. Sie verstellte meiner deutschen Schwester daher einfach den Weg. »Welcome to Nigeria, Magdalena! «, sagte sie.
Und ich stand da wie ein Dummkopf, ein paar Schritte von ihr entfernt, während die Leute mich immer wieder zur Seite drängten. Dabei hatte ich mir extra für den Flughafen richtige Schuhe angezogen, obwohl ich gar nicht daran gewöhnt bin, welche zu tragen. Ich passte wohl nicht richtig auf, wurde angerempelt und fiel hin. Da sah sie auf mich herunter, wie ich reglos und völlig verdattert am Boden lag. In meinem schönen weißen Kleid. In diesem Augenblick kam ich mir vor wie ein kleines Kind.
Wie sie mich angesehen hat! So voller Mitgefühl. Mutter hat mich auch immer so angesehen, wenn mir wieder einmal etwas sehr Dummes passiert war.
Im Fallen war mir das Foto aus der Hand geglitten. Nun lag es neben mir. Magdalena stellte ihre Koffer ab und bückte sich, um mir die Hand zu reichen. Das war unsere erste Berührung.
Sie half mir hoch und sagte meinen Namen: »Choga Regina?« Ich nickte stumm, mit zusammengepressten Lippen. Weil ich mich so schämte für diesen misslungenen Auftritt. Ich wollte es wieder gutmachen und ihre Koffer tragen.
»Die sind nicht schwer«, wehrte sie ab. Vom ersten Augenblick an sprach sie mit mir Deutsch. So wie Mutter es immer getan hatte.
Gehen in Deutschland eigentlich alle so schnell?, fragte ich mich stumm. Ich hatte immer das Gefühl, Mutter würde rennen, wenn sie aus ihrer Heimat zurückkam. Ich konnte auch Magdalenas Tempo nicht mithalten. Denn ich habe dieses Beinproblem. Bei mir dauert alles ein bisschen länger. Die verbotene Oase von Choga Regina Egbeme
Besuch zu Weihnachten
Eine Gruppe von Frauen und Kindern, die nach eigenen Regeln lebt, verkörpert nicht eben das Idealbild einer nigerianischen Familie. Erst recht nicht auf dem Dorf, wo Patriarchen das uneingeschränkte Sagen haben: Völlig ohne Mann gilt eine Frau praktisch nichts.
Dass die Mehrzahl von uns HIV-positiv war, hüteten wir daher als unser Geheimnis und mieden auch weitgehend den Kontakt zu unseren Nachbarn, die ohnehin knapp eine halbe Stunde Fußmarsch entfernt wohnten.
Die Eingangshalle unseres Farmhauses, das sich ursprünglich ein Engländer vor Jahrzehnten hatte erbauen lassen, war weihnachtlich geschmückt. Aus grünen Zweigen hatten wir Girlanden gemacht, auf den Tischen standen Kerzen. Alle Kinder erwarteten selbst gebastelte Geschenke. Die Speisen hingegen unterschieden sich nicht besonders von der alltäglichen Kost. Mama Ngozi, nach Bisi die Zweitälteste, hatte jedoch drei unserer liebevoll großgepäppelten Hühner geschlachtet. Das Haus war voller Lachen und Fröhlichkeit. Unsere gelöste Weihnachtsstimmung zeigte, dass wir aus dem Gröbsten raus waren.
Die vergangenen acht Monate waren hart gewesen. Ostern 2000 waren wir auf der Farm in Jeba angekommen, auf der ich als Kind schon einmal gelebt hatte. Meine deutsche Mutter Lisa Hofmayer hatte sie mir kurz vor ihrem Tod überschrieben. Das zu ihren Zeiten liebevoll gepflegte Juwel auf der Hochebene des Jos-Plateaus in Zentralnigeria fanden wir völlig verwahrlost vor - die Felder verwildert, das Haus verfallen. Jahrelang hatte niemand hier gelebt. Mama Ngozi und ihre
Schwester Mama Funke hatten sich nur gelegentlich darum kümmern können, während sie bei ihren Töchtern in der Nachbarschaft gewohnt hatten. Entsprechend hart hatten wir um unsere neue Existenz kämpfen müssen. Das Land war hier zwar sehr fruchtbar, aber kaum eine meiner Gefährtinnen war an schwere Feldarbeit gewöhnt.
Bis auf vier sind wir alle aus der Millionenstadt Lagos gekommen. Außer mir hatte niemand eine Ausbildung; meine Gefährtinnen hätten das Leben von Bettlerinnen führen müssen. Ngozi und Funke hatten nie im Harem meines Vaters in Lagos gelebt. Erst unsere Rückkehr auf die Farm nach Jeba hatte uns wieder zusammengeführt. Dabei brachten sie ihre Ziehtöchter Florence und Elisabeth mit. Wir waren zwölf Frauen und sieben Kinder. Uns jüngere eint dasselbe Schicksal: In unseren Körpern lauert unser größter Feind, der HI-Virus. Nur die vier Ältesten hat die Seuche verschont - meine Patentanten Mama Ada und Mama Bisi sowie Mama Ngozi und Mama Funke.
Wir genossen den Anblick der festlich gedeckten Tafel, als wir ein zaghaftes Klopfen an der Eingangstür hörten. Mama Bisi und ich wechselten einen überraschten Blick. Wir erwarteten keinen Besuch. Mein Sohn Josh sprang als Erster vom Stuhl und riss die Tür schwungvoll auf. Wie um diese Jahreszeit üblich, blies der Harmattan den rötlichen Saharastaub über das Land. Mit dem Öffnen der Tür wehte eine feine Wolke herein. Im matten Licht der Nachmittagssonne zeichneten sich die Umrisse einer Gestalt ab. Sie trug ein Bündel auf dem Kopf und ein Kind auf dem Rücken. Ihre Kleidung bestand wie unsere aus einer schlichten weißen Bluse und einem weißen Wickelrock.
»Wer bist du?« , fragte Josh mit der Unvoreingenommenheit eines fünfjährigen Kindes. Die Einsamkeit der Frau, die ausgerechnet an Weihnachten gekommen war, machte ihn keineswegs beklommen.
Neben mir erhob sich Mama Bisi ganz langsam. »Efe?«, flüsterte sie. Meine kleine rundliche Ziehmutter eilte um die Tische herum, die Arme zur Begrüßung ausgestreckt. »Efe! O Gott, mein Kind, wo kommst du denn her? «, rief sie.
Durch unsere Reihen lief ein Raunen. Die wenigsten von uns kannten Efe. Als Zehnjährige war meine Halbschwester gemeinsam mit mir aus dem Harem unseres Vaters Papa David auf die Farm gezogen, hatte sie jedoch wenige Monate nach ihrem 15. Geburtstag wieder verlassen, weil sie verheiratet wurde. In unseren gemeinsamen fünf Jahren war so viel geschehen, dass uns Entfernung und Zeit niemals wirklich hatten trennen können.
Efe war heimgekehrt.
Das Herz schlug mir bis zum Hals. Gebeugt und beladen wirkte sie wie jemand, den niemand mehr haben wollte. Sie tat mir unendlich Leid. Zuletzt hatte ich Efe vor neun Jahren gesehen. Auf meiner eigenen Hochzeit in Lagos. Damals war sie so glücklich gewesen, hatte ihren Erstgeborenen dabeigehabt, einen süßen Anderthalbjährigen mit Puppengesicht. Der Sohn, den sie nun mitbrachte, war etwa vier Jahre alt. Wo aber waren der Ältere und ihr Mann, Papa Sunday?
Doch jetzt war nicht der Moment zu fragen, sondern zu helfen. Niemand ahnte, was diese beiden zu uns geführt hatte. Die weit über 60-jährige Bisi schloss ihre jüngste Tochter weinend in die Arme. Efes Sohn sah sehr krank aus. Seinen traurigen Augen fehlte jeder Glanz. Stark unterernährt konnte er sich kaum auf den Beinen halten. Efes schmaler Körper zitterte. Meine zwei Jahre ältere Halbschwester war am Ende ihrer Kräfte.
Dennoch fragte sie: »Sind wir willkommen?«
So etwas in diesem Augenblick zu fragen - das konnte nur Efe. Sie nahm sich selbst stets weniger wichtig als alle anderen. Schon früher hatte sie sich immer ihrer zwei Jahre älteren Schwester Jem untergeordnet. Da Jem sich der Ehe mit dem 40 Jahre älteren Papa Sunday widersetzt hatte, ordnete unser gemeinsamer Vater Papa David an, dass stattdessen Efe ihn hei
raten musste. Ich werde den Augenblick nie vergessen, als Efe es erfuhr - sie spielte gerade im Hof mit Steinen ... Als halbes Kind folgte sie ihrem Mann nach Kaduna. Papa Sunday leitete eine der Familien, die Keimzellen der Kirche des Schwarzen Jesus, die mein Vater in den fünfziger Jahren gegründet hatte.
Efe blickte sich scheu um. Unser Familienfest zählte jetzt nicht; wir alle hatten eine neue Aufgabe: einer Schutzlosen und ihrem kranken Kind ein Zuhause zu schaffen. Bisi und ich geleiteten die beiden in die alte Bibliothek, die mein Zimmer geworden war. Es kam nicht in Frage, den Kranken im Salon einzuquartieren, unserem Kinderzimmer. Wir entrollten Matten am Boden, wo sie sich erschöpft ausstreckten. Früher hatte es hier einmal Betten gegeben. Sie waren in jenen Jahren abhanden gekommen, in denen die Farm unbewohnt gewesen war.
Mama Bisi deckte ihre Tochter und ihren Enkel liebevoll zu und gab ihnen frischen Tee und etwas zu essen. Der junge trank durstig, wollte aber nichts essen. Wenigstens Efe nahm die angebotenen Speisen dankend an.
Mama Ada empfing uns vor der Tür. »Kommen die beiden etwa aus Ibadan? «, fragte meine Patentante entsetzt.
Soweit wir wussten, hatte Efe zuletzt im fernen Südwesten Nigerias gewohnt. Sollte sie mit ihrem kranken jungen tatsächlich diesen weiten Weg zu uns zurückgelegt haben - rund 1000 Kilometer? Was hatte sie zu einer solch strapaziösen Flucht veranlasst?
Ich konnte unsere Weihnachtsfeier, über die mein Sohn sich so freute, mit einem Mal kaum noch genießen. Meine Gedanken waren bei Efe und ihrem jungen, dessen Namen ich nicht einmal kannte. Später schlich ich mich leise in mein Zimmer, wo die beiden schliefen. Vorsichtig ließ ich mich neben dem Jungen nieder. Hinter dem Schleier der Tränen von Choga Regina Egbeme
Die Blüten der Wunderblume
Die Geschichte meines Lebens ist ein bisschen so wie die Wunderblume. Die heißt eigentlich Bougainvillea, aber Mama Bisi sagte einmal: »Ihre Kraft versiegt nie. Ist das etwa kein Wunder?«
Meine Lieblingspflanze ist ein Busch, der das ganze Jahr über in verschwenderischer Pracht blüht. Während gleichzeitig Knospen entstehen, fallen verwelkte Blüten zu Boden. In meiner Kindheit hatte Bisi mir erklärt, dass die zarten Kelche aus spitz zulaufenden Blättern gar nicht die Blüte sind, sondern rote Blätter. Die tatsächliche Blüte sitzt in ihrer Mitte und ist unscheinbar weiß und klein. Sie hätte nie so viele Bienen und Schmetterlinge angelockt. Dafür braucht sie die Hochblätter, die sie umgeben und gleichzeitig schützen. Die Wunderblume hakt sich mit kleinen Dornen an umstehenden Büschen fest. So rankt sie sich dem Sonnenlicht entgegen und wird mehrere Meter hoch.
Die Wunderblume birgt also ein doppeltes Geheimnis: Ohne die Hilfe anderer würde sie nicht so groß werden. Hätte sie nicht die roten Blätter, fände kein Insekt ihren Nektar. Frost verträgt sie nicht; dann fallen alle Blüten zu Boden.
Meine Mutter Lisa stammte von einem Bauernhof in Deutschland. Im Alter von 41 Jahren wanderte sie nach Westafrika aus. Sie heiratete meinen Vater David und lebte mit ihm in einem ungewöhnlichen Harem in Lagos, Nigeria. Mama Lisa, wie sie genannt wurde, war die einzige Weiße unter seinen vielen Frauen, und deshalb fiel ihr eine Sonderrolle zu. Sie reiste oft und überließ mich meinen »Lieblingsmamas«: Bisi war Vaters vierte Frau und Ada seine z8. Ich wuchs hinter hohen Mauern auf; die Glasscherben auf ihren Kronen glitzerten im Sonnenlicht wie Edelsteine. Ich glaubte, dies sei mein Zuhause.
Als ich sieben war, lernte ich meine neue Heimat kennen. Mutter hatte eine Farm gekauft. Sie lag mitten im Herzen von Nigeria auf einer weiten, sanft hügeligen Hochebene. Der Boden war so fruchtbar, dass pro Jahr zwei Ernten möglich waren. Mutter hatte sich damit keinen Traum erfüllt. Papa David blieb mit den meisten seiner Frauen und ihrer kaum zu überblickenden Kinderschar weiterhin im Harem. Um sie zu ernähren, bewirtschaftete Mama Lisa mit ihren Mitfrauen Ada und Bisi sowie einigen Helferinnen die abgeschieden gelegene Farm in der Nähe von Jeba. Es war ein arbeitsames Leben, aber das Pflichtbewusstsein meiner deutschen Mutter, Bisis liebevolle Fürsorglichkeit und Adas Arbeitseifer schweißten die drei Frauen zusammen. Ihre enge Gemeinschaft wurde mir zum Vorbild.
Doch unser Glück währte nur sieben Jahre. Bis zu jenem Tag, an dem Felix Egbeme auf der Farm auftauchte. Er sollte sie übernehmen, denn mein Vater wollte meine Mutter wieder bei sich im Harem haben. Papa David war krank geworden und meine deutsche Mutter sollte ihm in der schwersten Phase seines Lebens beistehen. Als 14-Jährige war mir der 32 Jahre ältere Felix nur unsympathisch. Ich hasste ihn auch noch nicht, als meine Eltern mich mit z G gegen meinen Willen mit ihm verheirateten. Ich hoffte nur, irgendwie davonzukommen, aber ich wurde vor schwere Prüfungen gestellt.
Mutter, Bisi und Ada halfen mir, hochschwanger aus dieser Ehe zu entfliehen. Amara, eine Freundin meiner Mutter, nahm mich in Lagos in ihrer Frauengemeinschaft auf. Mit zg gebar ich meinen Sohn Josh und erfuhr, dass er durch mich HIV-positiv zur Welt gekommen war. Felix hatte seine Krankheit an mich weitergegeben. Die Naturheilerin Amara gab mir neuen Lebensmut, indem sie mich anlernte. Als Josh ein Jahr alt war, schickte mich meine Mentorin zu ihrer Freundin Ezira in den Regenwald. In einer dreijährigen Ausbildung lehrte die weise Frau mich, wie ich meinem bereits an Aids erkrankten Kind mit den Mitteln der Natur helfen konnte. Mein Leben hatte einen neuen Sinn bekommen.
Anschließend kehrte ich zurück nach Lagos. Meine Mutter war bereits todkrank. Ich erzählte ihr, dass ich Heilerin geworden war. Sie überreichte mir die Besitzurkunde für ihre Farm, und ich spürte, die Neuigkeiten aus meinem Leben erreichten sie zu spät, als dass sie sich noch darüber hätte freuen können.
Mit schwacher Stimme sagte sie: »Du hast etwas aus dir gemacht, Choga Regina. Darauf kannst du stolz sein.«
»Ach Lisa, wie hört sich denn das an? Siehst du denn nicht, dass unsere Kleine eine glänzende Zukunft vor sich hat?« Mit dem Elan, der in Bisis Erwiderung lag, wollten wir diese Zukunft gestalten: Bisi, Ada und ich sammelten sechs HIV-positive Witwen des inzwischen verstorbenen Felix, und vier ihrer Kinder um uns. Mit ihnen und Josh kehrten wir zurück auf die Farm und verwandelten sie in eine Oase der Geborgenheit.
»Auf Chogas compound liegt kein Segen«, sagten manche Leute in Jeba. Einige meinten sogar, es sei ein Fluch. Sie wollten nicht einsehen, dass gerade wir einen Platz zum Leben brauchten. Einen Ort, der uns Sicherheit gab.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2004 by Ullstein Buchverlag GmbH, Berlin
Erschienen im Ullstein Taschenbuch.
Umschlaggestaltung: Zeichenpool, München
Umschlagmotiv: Shutterstock.com (Shutterstock Images)
Gesamtherstellung: CPI Moravia Books, s.r.o., Pohorelice
Printed in the EU
ISBN 978-3-8289-9495-9
Meine eigene Jugend, meine Sorglosigkeit, ja, auch ein Teil meiner Hoffnungen.
Mutters Freundin Amara begleitete mich zum Flughafen. Es war Karfreitag. Um mich herum tobten Kinder, Frauen lachten und Männer begrüßten sich lautstark. Alle Menschen wirkten so glücklich, als ob sie etwas ganz Besonderes geschenkt bekämen. Und ich stand mitten unter ihnen. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Kopfschmerzen und Durst plagten mich gleichzeitig. Das Herz schlug mir bis zum Hals, ich schwitzte. Immer wieder starrte ich auf das Foto in meinen feuchten. Händen, hob die Augen und suchte die Menschenmenge ab, die aus dem Ankunftsbereich herausströmte. Zufriedene Gesichter strahlten mich an, Reisende, die nach acht Stunden endlich aus dem Flugzeug steigen durften und sich in die Arme von Verwandten stürzten.
Das Foto brauchte ich nicht, um Magdalena zu erkennen. Es waren ihre Augen. Mamas Augen - sie hatte immer diesen leicht fragenden Blick gehabt. Als wollte sie alles ganz genau wissen. Erkennen, ob man es gut mit ihr meint. Manchmal lag auch ein wenig Angst in ihren Augen.
Amara hat dieser Angst einen Namen gegeben: »Die Menschen wissen gar nicht, dass sie diese Furcht in sich tragen. Aber ich kann sie sehen - die Furcht derer, die einen Verlust erlitten haben, über den sie nicht hinwegkommen. Sie steht ihnen ins Gesicht geschrieben, verrät ihre Sorge, wieder etwas Ähnliches erleiden zu müssen.« Ich kann sie inzwischen auch erkennen, diese Unsicherheit. Sie wohnt in den Augen unzähliger Menschen. Auch in Magdalenas. Vielleicht sogar in meinen eigenen, das kann ich natürlich nicht selbst beurteilen.
In der Menge der fremden Menschen suchte Magdalena nicht mich, sondern Mutter. Sie lief direkt an mir vorbei, ich roch ihr Parfüm, der weiche Stoff ihrer Kleidung streifte flüchtig meine Hand. Sie war zum Greifen nah. Und doch schien sie weiter entfernt als in all den Jahren zuvor. Plötzlich schoss mir eine unglaublich banale Frage durch den Kopf: Wie sollte ich sie ansprechen? Konnte ich einfach »du« sagen? Mit einem Mal fiel mir kein einziges deutsches Wort mehr ein. Mein Hirn war leer und mein Herz so voll.
Amara spürt, wenn Menschen zusammengehören. Sie verstellte meiner deutschen Schwester daher einfach den Weg. »Welcome to Nigeria, Magdalena! «, sagte sie.
Und ich stand da wie ein Dummkopf, ein paar Schritte von ihr entfernt, während die Leute mich immer wieder zur Seite drängten. Dabei hatte ich mir extra für den Flughafen richtige Schuhe angezogen, obwohl ich gar nicht daran gewöhnt bin, welche zu tragen. Ich passte wohl nicht richtig auf, wurde angerempelt und fiel hin. Da sah sie auf mich herunter, wie ich reglos und völlig verdattert am Boden lag. In meinem schönen weißen Kleid. In diesem Augenblick kam ich mir vor wie ein kleines Kind.
Wie sie mich angesehen hat! So voller Mitgefühl. Mutter hat mich auch immer so angesehen, wenn mir wieder einmal etwas sehr Dummes passiert war.
Im Fallen war mir das Foto aus der Hand geglitten. Nun lag es neben mir. Magdalena stellte ihre Koffer ab und bückte sich, um mir die Hand zu reichen. Das war unsere erste Berührung.
Sie half mir hoch und sagte meinen Namen: »Choga Regina?« Ich nickte stumm, mit zusammengepressten Lippen. Weil ich mich so schämte für diesen misslungenen Auftritt. Ich wollte es wieder gutmachen und ihre Koffer tragen.
»Die sind nicht schwer«, wehrte sie ab. Vom ersten Augenblick an sprach sie mit mir Deutsch. So wie Mutter es immer getan hatte.
Gehen in Deutschland eigentlich alle so schnell?, fragte ich mich stumm. Ich hatte immer das Gefühl, Mutter würde rennen, wenn sie aus ihrer Heimat zurückkam. Ich konnte auch Magdalenas Tempo nicht mithalten. Denn ich habe dieses Beinproblem. Bei mir dauert alles ein bisschen länger. Die verbotene Oase von Choga Regina Egbeme
Besuch zu Weihnachten
Eine Gruppe von Frauen und Kindern, die nach eigenen Regeln lebt, verkörpert nicht eben das Idealbild einer nigerianischen Familie. Erst recht nicht auf dem Dorf, wo Patriarchen das uneingeschränkte Sagen haben: Völlig ohne Mann gilt eine Frau praktisch nichts.
Dass die Mehrzahl von uns HIV-positiv war, hüteten wir daher als unser Geheimnis und mieden auch weitgehend den Kontakt zu unseren Nachbarn, die ohnehin knapp eine halbe Stunde Fußmarsch entfernt wohnten.
Die Eingangshalle unseres Farmhauses, das sich ursprünglich ein Engländer vor Jahrzehnten hatte erbauen lassen, war weihnachtlich geschmückt. Aus grünen Zweigen hatten wir Girlanden gemacht, auf den Tischen standen Kerzen. Alle Kinder erwarteten selbst gebastelte Geschenke. Die Speisen hingegen unterschieden sich nicht besonders von der alltäglichen Kost. Mama Ngozi, nach Bisi die Zweitälteste, hatte jedoch drei unserer liebevoll großgepäppelten Hühner geschlachtet. Das Haus war voller Lachen und Fröhlichkeit. Unsere gelöste Weihnachtsstimmung zeigte, dass wir aus dem Gröbsten raus waren.
Die vergangenen acht Monate waren hart gewesen. Ostern 2000 waren wir auf der Farm in Jeba angekommen, auf der ich als Kind schon einmal gelebt hatte. Meine deutsche Mutter Lisa Hofmayer hatte sie mir kurz vor ihrem Tod überschrieben. Das zu ihren Zeiten liebevoll gepflegte Juwel auf der Hochebene des Jos-Plateaus in Zentralnigeria fanden wir völlig verwahrlost vor - die Felder verwildert, das Haus verfallen. Jahrelang hatte niemand hier gelebt. Mama Ngozi und ihre
Schwester Mama Funke hatten sich nur gelegentlich darum kümmern können, während sie bei ihren Töchtern in der Nachbarschaft gewohnt hatten. Entsprechend hart hatten wir um unsere neue Existenz kämpfen müssen. Das Land war hier zwar sehr fruchtbar, aber kaum eine meiner Gefährtinnen war an schwere Feldarbeit gewöhnt.
Bis auf vier sind wir alle aus der Millionenstadt Lagos gekommen. Außer mir hatte niemand eine Ausbildung; meine Gefährtinnen hätten das Leben von Bettlerinnen führen müssen. Ngozi und Funke hatten nie im Harem meines Vaters in Lagos gelebt. Erst unsere Rückkehr auf die Farm nach Jeba hatte uns wieder zusammengeführt. Dabei brachten sie ihre Ziehtöchter Florence und Elisabeth mit. Wir waren zwölf Frauen und sieben Kinder. Uns jüngere eint dasselbe Schicksal: In unseren Körpern lauert unser größter Feind, der HI-Virus. Nur die vier Ältesten hat die Seuche verschont - meine Patentanten Mama Ada und Mama Bisi sowie Mama Ngozi und Mama Funke.
Wir genossen den Anblick der festlich gedeckten Tafel, als wir ein zaghaftes Klopfen an der Eingangstür hörten. Mama Bisi und ich wechselten einen überraschten Blick. Wir erwarteten keinen Besuch. Mein Sohn Josh sprang als Erster vom Stuhl und riss die Tür schwungvoll auf. Wie um diese Jahreszeit üblich, blies der Harmattan den rötlichen Saharastaub über das Land. Mit dem Öffnen der Tür wehte eine feine Wolke herein. Im matten Licht der Nachmittagssonne zeichneten sich die Umrisse einer Gestalt ab. Sie trug ein Bündel auf dem Kopf und ein Kind auf dem Rücken. Ihre Kleidung bestand wie unsere aus einer schlichten weißen Bluse und einem weißen Wickelrock.
»Wer bist du?« , fragte Josh mit der Unvoreingenommenheit eines fünfjährigen Kindes. Die Einsamkeit der Frau, die ausgerechnet an Weihnachten gekommen war, machte ihn keineswegs beklommen.
Neben mir erhob sich Mama Bisi ganz langsam. »Efe?«, flüsterte sie. Meine kleine rundliche Ziehmutter eilte um die Tische herum, die Arme zur Begrüßung ausgestreckt. »Efe! O Gott, mein Kind, wo kommst du denn her? «, rief sie.
Durch unsere Reihen lief ein Raunen. Die wenigsten von uns kannten Efe. Als Zehnjährige war meine Halbschwester gemeinsam mit mir aus dem Harem unseres Vaters Papa David auf die Farm gezogen, hatte sie jedoch wenige Monate nach ihrem 15. Geburtstag wieder verlassen, weil sie verheiratet wurde. In unseren gemeinsamen fünf Jahren war so viel geschehen, dass uns Entfernung und Zeit niemals wirklich hatten trennen können.
Efe war heimgekehrt.
Das Herz schlug mir bis zum Hals. Gebeugt und beladen wirkte sie wie jemand, den niemand mehr haben wollte. Sie tat mir unendlich Leid. Zuletzt hatte ich Efe vor neun Jahren gesehen. Auf meiner eigenen Hochzeit in Lagos. Damals war sie so glücklich gewesen, hatte ihren Erstgeborenen dabeigehabt, einen süßen Anderthalbjährigen mit Puppengesicht. Der Sohn, den sie nun mitbrachte, war etwa vier Jahre alt. Wo aber waren der Ältere und ihr Mann, Papa Sunday?
Doch jetzt war nicht der Moment zu fragen, sondern zu helfen. Niemand ahnte, was diese beiden zu uns geführt hatte. Die weit über 60-jährige Bisi schloss ihre jüngste Tochter weinend in die Arme. Efes Sohn sah sehr krank aus. Seinen traurigen Augen fehlte jeder Glanz. Stark unterernährt konnte er sich kaum auf den Beinen halten. Efes schmaler Körper zitterte. Meine zwei Jahre ältere Halbschwester war am Ende ihrer Kräfte.
Dennoch fragte sie: »Sind wir willkommen?«
So etwas in diesem Augenblick zu fragen - das konnte nur Efe. Sie nahm sich selbst stets weniger wichtig als alle anderen. Schon früher hatte sie sich immer ihrer zwei Jahre älteren Schwester Jem untergeordnet. Da Jem sich der Ehe mit dem 40 Jahre älteren Papa Sunday widersetzt hatte, ordnete unser gemeinsamer Vater Papa David an, dass stattdessen Efe ihn hei
raten musste. Ich werde den Augenblick nie vergessen, als Efe es erfuhr - sie spielte gerade im Hof mit Steinen ... Als halbes Kind folgte sie ihrem Mann nach Kaduna. Papa Sunday leitete eine der Familien, die Keimzellen der Kirche des Schwarzen Jesus, die mein Vater in den fünfziger Jahren gegründet hatte.
Efe blickte sich scheu um. Unser Familienfest zählte jetzt nicht; wir alle hatten eine neue Aufgabe: einer Schutzlosen und ihrem kranken Kind ein Zuhause zu schaffen. Bisi und ich geleiteten die beiden in die alte Bibliothek, die mein Zimmer geworden war. Es kam nicht in Frage, den Kranken im Salon einzuquartieren, unserem Kinderzimmer. Wir entrollten Matten am Boden, wo sie sich erschöpft ausstreckten. Früher hatte es hier einmal Betten gegeben. Sie waren in jenen Jahren abhanden gekommen, in denen die Farm unbewohnt gewesen war.
Mama Bisi deckte ihre Tochter und ihren Enkel liebevoll zu und gab ihnen frischen Tee und etwas zu essen. Der junge trank durstig, wollte aber nichts essen. Wenigstens Efe nahm die angebotenen Speisen dankend an.
Mama Ada empfing uns vor der Tür. »Kommen die beiden etwa aus Ibadan? «, fragte meine Patentante entsetzt.
Soweit wir wussten, hatte Efe zuletzt im fernen Südwesten Nigerias gewohnt. Sollte sie mit ihrem kranken jungen tatsächlich diesen weiten Weg zu uns zurückgelegt haben - rund 1000 Kilometer? Was hatte sie zu einer solch strapaziösen Flucht veranlasst?
Ich konnte unsere Weihnachtsfeier, über die mein Sohn sich so freute, mit einem Mal kaum noch genießen. Meine Gedanken waren bei Efe und ihrem jungen, dessen Namen ich nicht einmal kannte. Später schlich ich mich leise in mein Zimmer, wo die beiden schliefen. Vorsichtig ließ ich mich neben dem Jungen nieder. Hinter dem Schleier der Tränen von Choga Regina Egbeme
Die Blüten der Wunderblume
Die Geschichte meines Lebens ist ein bisschen so wie die Wunderblume. Die heißt eigentlich Bougainvillea, aber Mama Bisi sagte einmal: »Ihre Kraft versiegt nie. Ist das etwa kein Wunder?«
Meine Lieblingspflanze ist ein Busch, der das ganze Jahr über in verschwenderischer Pracht blüht. Während gleichzeitig Knospen entstehen, fallen verwelkte Blüten zu Boden. In meiner Kindheit hatte Bisi mir erklärt, dass die zarten Kelche aus spitz zulaufenden Blättern gar nicht die Blüte sind, sondern rote Blätter. Die tatsächliche Blüte sitzt in ihrer Mitte und ist unscheinbar weiß und klein. Sie hätte nie so viele Bienen und Schmetterlinge angelockt. Dafür braucht sie die Hochblätter, die sie umgeben und gleichzeitig schützen. Die Wunderblume hakt sich mit kleinen Dornen an umstehenden Büschen fest. So rankt sie sich dem Sonnenlicht entgegen und wird mehrere Meter hoch.
Die Wunderblume birgt also ein doppeltes Geheimnis: Ohne die Hilfe anderer würde sie nicht so groß werden. Hätte sie nicht die roten Blätter, fände kein Insekt ihren Nektar. Frost verträgt sie nicht; dann fallen alle Blüten zu Boden.
Meine Mutter Lisa stammte von einem Bauernhof in Deutschland. Im Alter von 41 Jahren wanderte sie nach Westafrika aus. Sie heiratete meinen Vater David und lebte mit ihm in einem ungewöhnlichen Harem in Lagos, Nigeria. Mama Lisa, wie sie genannt wurde, war die einzige Weiße unter seinen vielen Frauen, und deshalb fiel ihr eine Sonderrolle zu. Sie reiste oft und überließ mich meinen »Lieblingsmamas«: Bisi war Vaters vierte Frau und Ada seine z8. Ich wuchs hinter hohen Mauern auf; die Glasscherben auf ihren Kronen glitzerten im Sonnenlicht wie Edelsteine. Ich glaubte, dies sei mein Zuhause.
Als ich sieben war, lernte ich meine neue Heimat kennen. Mutter hatte eine Farm gekauft. Sie lag mitten im Herzen von Nigeria auf einer weiten, sanft hügeligen Hochebene. Der Boden war so fruchtbar, dass pro Jahr zwei Ernten möglich waren. Mutter hatte sich damit keinen Traum erfüllt. Papa David blieb mit den meisten seiner Frauen und ihrer kaum zu überblickenden Kinderschar weiterhin im Harem. Um sie zu ernähren, bewirtschaftete Mama Lisa mit ihren Mitfrauen Ada und Bisi sowie einigen Helferinnen die abgeschieden gelegene Farm in der Nähe von Jeba. Es war ein arbeitsames Leben, aber das Pflichtbewusstsein meiner deutschen Mutter, Bisis liebevolle Fürsorglichkeit und Adas Arbeitseifer schweißten die drei Frauen zusammen. Ihre enge Gemeinschaft wurde mir zum Vorbild.
Doch unser Glück währte nur sieben Jahre. Bis zu jenem Tag, an dem Felix Egbeme auf der Farm auftauchte. Er sollte sie übernehmen, denn mein Vater wollte meine Mutter wieder bei sich im Harem haben. Papa David war krank geworden und meine deutsche Mutter sollte ihm in der schwersten Phase seines Lebens beistehen. Als 14-Jährige war mir der 32 Jahre ältere Felix nur unsympathisch. Ich hasste ihn auch noch nicht, als meine Eltern mich mit z G gegen meinen Willen mit ihm verheirateten. Ich hoffte nur, irgendwie davonzukommen, aber ich wurde vor schwere Prüfungen gestellt.
Mutter, Bisi und Ada halfen mir, hochschwanger aus dieser Ehe zu entfliehen. Amara, eine Freundin meiner Mutter, nahm mich in Lagos in ihrer Frauengemeinschaft auf. Mit zg gebar ich meinen Sohn Josh und erfuhr, dass er durch mich HIV-positiv zur Welt gekommen war. Felix hatte seine Krankheit an mich weitergegeben. Die Naturheilerin Amara gab mir neuen Lebensmut, indem sie mich anlernte. Als Josh ein Jahr alt war, schickte mich meine Mentorin zu ihrer Freundin Ezira in den Regenwald. In einer dreijährigen Ausbildung lehrte die weise Frau mich, wie ich meinem bereits an Aids erkrankten Kind mit den Mitteln der Natur helfen konnte. Mein Leben hatte einen neuen Sinn bekommen.
Anschließend kehrte ich zurück nach Lagos. Meine Mutter war bereits todkrank. Ich erzählte ihr, dass ich Heilerin geworden war. Sie überreichte mir die Besitzurkunde für ihre Farm, und ich spürte, die Neuigkeiten aus meinem Leben erreichten sie zu spät, als dass sie sich noch darüber hätte freuen können.
Mit schwacher Stimme sagte sie: »Du hast etwas aus dir gemacht, Choga Regina. Darauf kannst du stolz sein.«
»Ach Lisa, wie hört sich denn das an? Siehst du denn nicht, dass unsere Kleine eine glänzende Zukunft vor sich hat?« Mit dem Elan, der in Bisis Erwiderung lag, wollten wir diese Zukunft gestalten: Bisi, Ada und ich sammelten sechs HIV-positive Witwen des inzwischen verstorbenen Felix, und vier ihrer Kinder um uns. Mit ihnen und Josh kehrten wir zurück auf die Farm und verwandelten sie in eine Oase der Geborgenheit.
»Auf Chogas compound liegt kein Segen«, sagten manche Leute in Jeba. Einige meinten sogar, es sei ein Fluch. Sie wollten nicht einsehen, dass gerade wir einen Platz zum Leben brauchten. Einen Ort, der uns Sicherheit gab.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2004 by Ullstein Buchverlag GmbH, Berlin
Erschienen im Ullstein Taschenbuch.
Umschlaggestaltung: Zeichenpool, München
Umschlagmotiv: Shutterstock.com (Shutterstock Images)
Gesamtherstellung: CPI Moravia Books, s.r.o., Pohorelice
Printed in the EU
ISBN 978-3-8289-9495-9
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Bibliographische Angaben
- Autor: Choga R. Egbeme
- 779 Seiten, Maße: 13 x 19 cm, Gebunden
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828994954
- ISBN-13: 9783828994959
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