Hiobs Brüder
England, 1147: Auf einer Insel leben eingesperrt in einer Burg 17 Männer und Jungen wegen körperlicher und geistiger Gebrechen von der Gesellschaft getrennt. Nach einer Flut kehren sie aufs Festland zurück. Eine abenteuerliche Reise beginnt.
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Produktinformationen zu „Hiobs Brüder “
England, 1147: Auf einer Insel leben eingesperrt in einer Burg 17 Männer und Jungen wegen körperlicher und geistiger Gebrechen von der Gesellschaft getrennt. Nach einer Flut kehren sie aufs Festland zurück. Eine abenteuerliche Reise beginnt.
Lese-Probe zu „Hiobs Brüder “
Hiobs Brüder von Rebecca Gablé Mit Illustrationen von Jürgen Speh
Isle of Whitholm, Februar 1147 §
»Sieh dich um, du Ausgeburt der Hölle«, knurrte der Mönch. »Wirf einen letzten Blick auf die Welt. « Unwillkürlich folgte Simon der Aufforderung, obwohl er sich so fest vorgenommen hatte, genau das nicht zu tun. Er blieb stehen, wandte sich um und blickte zurück über die rastlose, aufgewühlte See. Der Wind fuhr ihm ruppig durch die Haare und wehte ihm eine Strähne ins Auge, aber der Junge konnte nichts tun, um sie zurückzustreichen, denn die Brüder hatten ihm die Hände auf dem Rücken gefesselt. Anscheinend fürchteten sie, der fünfzehnjährige, schilfdünne Knabe sei in der Lage, es mit vier gestandenen Benediktinern gleichzeitig aufzunehmen.
Ein Sonnenstrahl brach durch die bleifarbene Wolkendecke und tauchte das Meer und die flache Küste des Festlandes drüben in ein gleißendes, geradezu unirdisches Licht. Simon sah das Heidekraut aufleuchten, und der Turm der Klosterkirche, der eigentlich gedrungen und hässlich war, wirkte mit einem Mal filigran und schimmerte wie Elfenbein. Eine kleine Schafherde graste dicht zusammengedrängt unweit der klösterlichen Obstwiesen. Wie gelbe Wollflocken wirkten die Tiere aus der Ferne. Dann schob sich eine der schweren Wolken vor die Sonne, und das einsam gelegene St.-Pancras-Kloster versank wieder im Zwielicht. Nicht gerade überwältigend, hätte Simon gern gesagt, um der Welt, die ihn ausstieß, zu bekunden, dass er gut auf sie verzichten könne.
... mehr
Doch nicht einmal zu dieser trotzigen Lüge bekam er Gelegenheit, denn die Brüder hatten ihn geknebelt, damit er sie nicht verfluchen konnte. Der alte Mönch mit dem Glatzkopf und den weißen Haarbüscheln in den Nasenlöchern, der sich während des Exorzismus so in Rage gebetet hatte, dass er irgendwann ohnmächtig zusammengebrochen war, stieß den Jungen mit seinem knorrigen Gehstock zwischen die Schulterblätter. »Vorwärts !« Simon kehrte der Welt den Rücken. Das kleine, aber stabile Ruderboot, mit welchem die Brüder ihn hergebracht hatten, schaukelte auf den kurzen Wellen. Mit zwei dicken Leinen war es am Anlegesteg vertäut.
Vermutlich graute den wackeren Brüdern davor, ihr Bötchen könne abtreiben und sie hier stranden, nahm Simon an. Keine dreißig Schritte vom Bootssteg entfernt erhob sich ein Palisadenzaun mit einem mächtigen hölzernen Torhaus. »Der Schlüssel, Bruder Martin«, drängte der mit den Nasenhaaren. Es klang ungeduldig und ein bisschen nervös. Sie hatten wirklich Angst vor ihm, wusste Simon. Jetzt ganz besonders. Sie fürchteten, im letzten Augenblick könne noch irgendetwas schiefgehen, könne er sich mithilfe der finsteren Mächte, die ihm innewohnten, befreien und sie alle niederstrecken oder in Regenwürmer verwandeln. Bruder Nasenhaar hielt seinen Eschenstock einsatzbereit hoch, und die hellen Augen strahlten unnatürlich. »
Nun mach endlich«, drängte er seinen Mitbruder. Der nahm den größten Schlüssel, den Simon je im Leben gesehen hatte, vom Gürtel und steckte ihn in ein ebenfalls riesiges, schwarzes Vorhängeschloss. Erst als dessen Bolzen aus einer rostigen Öse gezogen war, konnten die beiden anderen Brüder den mächtigen Eisenriegel hochstemmen, der das Tor versperrte. Solche Schließkonstruktionen gehörten natürlich eigentlich auf die Innenseite eines Burgtors.
Aber hier war eben alles anders. Die beiden jungen Mönche mussten ihre gesamte Kraft aufbieten, um einen der schweren Torflügel weit genug zu öffnen. Als der Spalt so breit wie ein Mann war, traf Simon ein tückischer Stoß mit dem Stockende in den Nacken, er torkelte über die Schwelle und fiel auf die harte Erde. Da er seinen Sturz nicht mit den Händen abfangen konnte, landete er auf der Brust, und für einen Moment konnte er sich nicht rühren. Als er Bruder Nasenhaar brummen hörte: »Gott sei dir gnädig, Söhnchen«, fuhr sein Kopf herum, aber schon schlug das Tor hallend zu. Simon wälzte sich auf die Seite, spürte eiskalten Schlamm unter der Wange und weinte.
Er weinte lange und bitterlich. Er war zutiefst entsetzt über das, was ihm geschehen war. Er war einsam, und er hatte Angst. Vor der ewigen Verdammnis, die der ehrwürdige Abt ihm prophezeit hatte, aber noch ein bisschen mehr vor dem, was ihn hier erwarten mochte. Vor dem Rest seines Lebens. Er schluchzte, und als die Tränen ihm die Nase verstopften, bekam er mit einem Mal keine Luft mehr, denn der Knebel machte es ihm fast unmöglich, durch den Mund einzuatmen. Simon fing an zu keuchen, krümmte sich und versuchte erfolglos, sich auf die Knie aufzurichten. Gerade als die Panik sich seiner bemächtigen wollte, spürte er eine Hand auf dem Arm. »
Schsch. Nur die Ruhe, mein Sohn«, hörte er eine Stimme murmeln. Kräftige Arme umschlangen ihn von hinten, eine Hand strich ihm über die Stirn. Simon erstarrte vor Schreck und versuchte, über die Schulter zu erkennen, was für eine Kreatur es war, die ihn gepackt hielt, aber er konnte den Kopf nicht weit genug drehen, und außerdem war es fast dunkel im Torhaus. »
Schsch. Atme. Gleich wird es besser, du wirst sehen. « Es war eine gütige Stimme. Simon entspannte sich ein wenig, ließ sich in die Umarmung zurücksinken und betete, dass er nicht ausgerechnet jetzt einen Anfall bekommen möge. Allmählich wurde es besser. Die Erstickungsangst verging, und er atmete wieder ruhiger. Schließlich packten die Hände ihn unter den Achseln und hievten ihn auf die Füße. Im nächsten Moment wurde der Knoten des widerwärtigen Lumpens gelöst, mit dem sie ihn geknebelt hatten. Simon spuckte aus, rieb sich den Mund an der Schulter und drehte sich um.
»Danke. « Er fand sich Auge in Auge mit einem hageren Angelsachsen in einem zerschlissenen Mönchsgewand. Der Mann war jünger, als das graue Haar und der weiße Zottelbart auf den ersten Blick schließen ließen, vierzig vielleicht, und die blauen Augen funkelten wie vor jugendlichem Übermut. Seine Haltung war ein wenig gekrümmt, so als habe er zu viel Zeit über fromme Bücher gebeugt verbracht. »Alle fangen hier so an wie du, weißt du«, sagte er. »
Alle liegen am Tor und heulen. Aber so schlimm ist es gar nicht, glaub mir. Man gewöhnt sich daran. Wie ist dein Name, mein Sohn? « »Simon de Clare.«
Doch nicht einmal zu dieser trotzigen Lüge bekam er Gelegenheit, denn die Brüder hatten ihn geknebelt, damit er sie nicht verfluchen konnte. Der alte Mönch mit dem Glatzkopf und den weißen Haarbüscheln in den Nasenlöchern, der sich während des Exorzismus so in Rage gebetet hatte, dass er irgendwann ohnmächtig zusammengebrochen war, stieß den Jungen mit seinem knorrigen Gehstock zwischen die Schulterblätter. »Vorwärts !« Simon kehrte der Welt den Rücken. Das kleine, aber stabile Ruderboot, mit welchem die Brüder ihn hergebracht hatten, schaukelte auf den kurzen Wellen. Mit zwei dicken Leinen war es am Anlegesteg vertäut.
Vermutlich graute den wackeren Brüdern davor, ihr Bötchen könne abtreiben und sie hier stranden, nahm Simon an. Keine dreißig Schritte vom Bootssteg entfernt erhob sich ein Palisadenzaun mit einem mächtigen hölzernen Torhaus. »Der Schlüssel, Bruder Martin«, drängte der mit den Nasenhaaren. Es klang ungeduldig und ein bisschen nervös. Sie hatten wirklich Angst vor ihm, wusste Simon. Jetzt ganz besonders. Sie fürchteten, im letzten Augenblick könne noch irgendetwas schiefgehen, könne er sich mithilfe der finsteren Mächte, die ihm innewohnten, befreien und sie alle niederstrecken oder in Regenwürmer verwandeln. Bruder Nasenhaar hielt seinen Eschenstock einsatzbereit hoch, und die hellen Augen strahlten unnatürlich. »
Nun mach endlich«, drängte er seinen Mitbruder. Der nahm den größten Schlüssel, den Simon je im Leben gesehen hatte, vom Gürtel und steckte ihn in ein ebenfalls riesiges, schwarzes Vorhängeschloss. Erst als dessen Bolzen aus einer rostigen Öse gezogen war, konnten die beiden anderen Brüder den mächtigen Eisenriegel hochstemmen, der das Tor versperrte. Solche Schließkonstruktionen gehörten natürlich eigentlich auf die Innenseite eines Burgtors.
Aber hier war eben alles anders. Die beiden jungen Mönche mussten ihre gesamte Kraft aufbieten, um einen der schweren Torflügel weit genug zu öffnen. Als der Spalt so breit wie ein Mann war, traf Simon ein tückischer Stoß mit dem Stockende in den Nacken, er torkelte über die Schwelle und fiel auf die harte Erde. Da er seinen Sturz nicht mit den Händen abfangen konnte, landete er auf der Brust, und für einen Moment konnte er sich nicht rühren. Als er Bruder Nasenhaar brummen hörte: »Gott sei dir gnädig, Söhnchen«, fuhr sein Kopf herum, aber schon schlug das Tor hallend zu. Simon wälzte sich auf die Seite, spürte eiskalten Schlamm unter der Wange und weinte.
Er weinte lange und bitterlich. Er war zutiefst entsetzt über das, was ihm geschehen war. Er war einsam, und er hatte Angst. Vor der ewigen Verdammnis, die der ehrwürdige Abt ihm prophezeit hatte, aber noch ein bisschen mehr vor dem, was ihn hier erwarten mochte. Vor dem Rest seines Lebens. Er schluchzte, und als die Tränen ihm die Nase verstopften, bekam er mit einem Mal keine Luft mehr, denn der Knebel machte es ihm fast unmöglich, durch den Mund einzuatmen. Simon fing an zu keuchen, krümmte sich und versuchte erfolglos, sich auf die Knie aufzurichten. Gerade als die Panik sich seiner bemächtigen wollte, spürte er eine Hand auf dem Arm. »
Schsch. Nur die Ruhe, mein Sohn«, hörte er eine Stimme murmeln. Kräftige Arme umschlangen ihn von hinten, eine Hand strich ihm über die Stirn. Simon erstarrte vor Schreck und versuchte, über die Schulter zu erkennen, was für eine Kreatur es war, die ihn gepackt hielt, aber er konnte den Kopf nicht weit genug drehen, und außerdem war es fast dunkel im Torhaus. »
Schsch. Atme. Gleich wird es besser, du wirst sehen. « Es war eine gütige Stimme. Simon entspannte sich ein wenig, ließ sich in die Umarmung zurücksinken und betete, dass er nicht ausgerechnet jetzt einen Anfall bekommen möge. Allmählich wurde es besser. Die Erstickungsangst verging, und er atmete wieder ruhiger. Schließlich packten die Hände ihn unter den Achseln und hievten ihn auf die Füße. Im nächsten Moment wurde der Knoten des widerwärtigen Lumpens gelöst, mit dem sie ihn geknebelt hatten. Simon spuckte aus, rieb sich den Mund an der Schulter und drehte sich um.
»Danke. « Er fand sich Auge in Auge mit einem hageren Angelsachsen in einem zerschlissenen Mönchsgewand. Der Mann war jünger, als das graue Haar und der weiße Zottelbart auf den ersten Blick schließen ließen, vierzig vielleicht, und die blauen Augen funkelten wie vor jugendlichem Übermut. Seine Haltung war ein wenig gekrümmt, so als habe er zu viel Zeit über fromme Bücher gebeugt verbracht. »Alle fangen hier so an wie du, weißt du«, sagte er. »
Alle liegen am Tor und heulen. Aber so schlimm ist es gar nicht, glaub mir. Man gewöhnt sich daran. Wie ist dein Name, mein Sohn? « »Simon de Clare.«
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Autoren-Porträt von Rebecca Gable
Die 1964 geborene Rebecca Gable war nach dem Studium der Literaturwissenschaft, Sprachgeschichte und Mediävistik als Dozentin für mittelalterliche englische Literatur tätig. Heute arbeitet sie als freie Autorin und Literaturübersetzerin.Bibliographische Angaben
- Autor: Rebecca Gable
- 907 Seiten, Maße: 13,1 x 20,8 cm, Soft-Cover (Weltbild Reader)
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828996973
- ISBN-13: 9783828996977
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