Verbrannt / House of Night Bd.7
Roman
Die Dinge stehen schlecht im House of Night. Zoeys Körper atmet zwar noch, doch ihre Seele ist bereits auf dem Weg in die Anderwelt. Stark, ihr Krieger und Beschützer, ist wohl der Einzige, der sie noch einmal zurückholen könnte ...
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Produktinformationen zu „Verbrannt / House of Night Bd.7 “
Die Dinge stehen schlecht im House of Night. Zoeys Körper atmet zwar noch, doch ihre Seele ist bereits auf dem Weg in die Anderwelt. Stark, ihr Krieger und Beschützer, ist wohl der Einzige, der sie noch einmal zurückholen könnte ...
Klappentext zu „Verbrannt / House of Night Bd.7 “
Die tragischen Ereignisse beim Treffen des Hohen Rates in Venedig haben Zoey fast zerstört. Ihr Körper atmet zwar noch, doch ihre Seele ist bereits auf dem Weg in die Anderwelt. Stark, ihr Krieger und Beschützer, scheint der Einzige zu sein, der sie noch einmal zurückholen könnte. Doch dafür müsste er sterben. Auch ihre beiden Freundinnen Stevie Rae und Aphrodite könnten helfen. Warum zögern sie?
Lese-Probe zu „Verbrannt / House of Night Bd.7 “
Verbrannt von P.C. und Kristin CastEins
Kalona
Kalona hob die Hände. Er zögerte nicht. In ihm war kein irgend gearteter Zweifel, was er zu tun hatte. Nichts und niemand hatte das Recht, ihm im Weg zu stehen, und dieser Menschenjunge stand zwischen ihm und dem, was er begehrte. Er wünschte dem Jungen nicht ausdrücklich den Tod; er wünschte ihm aber auch nicht das Leben. Es war eine Sache der Notwendigkeit. Er verspürte weder Reue noch Gewissensbisse. Wie eh und je, seit er gefallen war, spürte Kalona ziemlich wenig. Gleichgültig drehte der geflügelte Unsterbliche dem Jungen den Hals um und setzte dessen Leben ein Ende.
»Nein!«
In dem Wort allein steckte solche Panik, dass Kalo- na das Herz gefror. Er ließ den leblosen Körper des Jungen fallen und wirbelte herum, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Zoey auf ihn zustürmte. Ihre Blicke trafen sich. In dem ihren sah er verzweifelten Unglauben. Er versuchte, Worte zu finden, mit deren Hilfe sie es begreifen könnte - mit deren Hilfe sie ihm vielleicht vergeben würde. Aber nichts, was er sagte, hätte ungeschehen machen können, was sie gesehen hatte, und selbst wenn er das Unmögliche hätte möglich machen können, es blieb keine Zeit dazu.
Zoey schmetterte ihm die geballte Macht des Elements Geist entgegen.
... mehr
Es traf den Unsterblichen mit einer Kraft, die über das rein physische Maß hinausging. Geist war seine Essenz, sein Kern, das Element, das ihn jahrhundertelang genährt hatte, mit dem er am vertrautesten war und das ihm die größte Macht verlieh. Zoeys Angriff durchbohrte ihn wie ein gleißender Pfeil und schleuderte ihn mit solcher Kraft in die Luft, dass er über die hohe Mauer geworfen wurde, die die Insel der Vampyre vom Golf von Venedig trennte. Eisiges Wasser schlug über ihm zusammen, erstickte ihn. Einen Augenblick lang war der Schmerz so betäubend, dass Kalona nicht dagegen ankämpfte. Vielleicht sollte er diesem aufreibenden Kampf um das Leben mit all seinem Drum und Dran ein Ende setzen. Vielleicht sollte er sich wie schon einmal von ihr besiegen lassen. Aber kaum kam ihm der Gedanke, da spürte er es. Zoeys Seele zerbarst - und so sicher wie sein Fall ihn von einer Welt in eine andere gebracht hatte, verließ ihr Geist das Reich des Diesseits.
Diese Erkenntnis traf ihn viel bitterer als ihr Angriff.
Nicht Zoey! Ihr hatte er nie ein Leid zufügen wollen. Durch alle Intrigen Neferets hindurch, im Angesicht aller Pläne und Machenschaften der Tsi Sgili hatte er sich an dem Wissen festgeklammert, dass er, komme, was wolle, seine enorme Macht als Unsterblicher einsetzen würde, um Zoey zu beschützen, denn schlussendlich war sie das, was in dieser Welt Nyx am nächsten kam - und diese Welt war die einzige, die ihm geblieben war.
Er kämpfte nun doch gegen Zoeys Angriff an. Während er seinen muskulösen Körper der Umklammerung der Wellen entwand, erfasste er schlagartig die ganze Wahrheit. Seinetwegen war Zoeys Geist entflohen, und das bedeutete, sie würde sterben. Mit seinem ersten Atemzug stieß er einen wilden Schrei der Verzweiflung aus, der ein Echo ihres letzten Wortes zu sein schien: »Nein!«
Hatte er wirklich geglaubt, er könnte seit seinem Fall keine richtigen Gefühle mehr entwickeln? Ein Narr war er gewesen, sich so unglaublich zu irren! Während er schlingernd dicht über der Wasseroberfläche dahinflog, tobten Gefühle in ihm, kratzten an seinem bereits verwundeten Geist, wüteten gegen ihn, schwächten ihn, brachten seine Seele zum Bluten. Sein Blick verschwamm und drohte, sich zu verfinstern. Er kniff die Augen zusammen, um am Rande der Lagune die Lichter erkennen zu können, die Land verhießen. Dorthin würde er es niemals schaffen. Er hatte keine Wahl - ihm blieb nur der Palast. Er nahm seine letzten Kraftreserven zusammen und schraubte sich durch die eisige Luft höher, bis er die Mauer überwinden konnte. Dahinter brach er auf der eisigen Erde zusammen.
Er wusste nicht, wie lange er dort in der kalten, friedlosen Finsternis lag und in seiner erschütterten Seele der Aufruhr tobte. Irgendwo weit hinten in seinem Verstand begriff er, dass das, was ihm zugestoßen war, nichts Unvertrautes war. Er war wieder einmal gefallen - diesmal eher geistig denn körperlich, obgleich auch sein Körper ihm nicht mehr zu gehorchen schien.
Schon ehe sie sprach, war er sich ihrer Gegenwart bewusst. So war es von Anfang an zwischen ihnen gewesen, ob er es sich wirklich gewünscht hatte oder nicht. Sie waren schlicht in der Lage, einander wahrzunehmen.
»Du hast zugelassen, dass Stark Zeuge wurde, wie du den Jungen getötet hast!« Neferets Ton war noch eisiger als das winterliche Meer.
Kalona drehte den Kopf, um mehr von ihr sehen zu können als nur das Vorderteil ihres Stilettostiefels, und er blinzelte, weil sein Blick noch immer benebelt war. Seine Stimme war ein tonloses Krächzen. »Unglücklicher Zufall. Zoey hätte nicht da sein dürfen.«
»Unglückliche Zufälle darf es nicht geben. Und dass sie da war, interessiert mich nicht. Tatsächlich kommt uns das Ergebnis dessen, was sie gesehen hat, sehr gelegen.«
»Du weißt, dass ihre Seele zersprungen ist?« Die Wirkung, die Neferets eisige Schönheit auf ihn hatte, war Kalona noch verhasster als die unnatürliche Schwäche seiner Stimme und die merkwürdige Lethargie seines Körpers.
»Ich würde sagen, die meisten Vampyre auf der Insel dürften es wissen. Wie bei Zoey üblich, war ihr Geist nicht gerade diskret darin, sich zu verabschieden. « Sie tippte sich nachdenklich mit dem langen scharfen Fingernagel ans Kinn. »Ich frage mich allerdings, wie viele der Vampyre gespürt haben, welch einen Schlag dir das Gör noch in allerletzter Sekunde verpasst hat.«
Kalona schwieg. Er bemühte sich mit aller Kraft, die zerfaserten Enden seines aufgeriebenen Geistes wieder zu festigen, aber die Präsenz der Erde, auf der sein Körper lag, war zu erdrückend, und ihm fehlte die Kraft, sich geistig nach oben zu recken und seine Seele aus den flüchtigen Fragmenten der Anderwelt zu nähren, die dort drifteten.
»Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemand von ihnen gespürt hat«, fuhr Neferet in kühlem, berechnendem Ton fort. »Niemand von ihnen ist der Finsternis - dir - so tief verbunden wie ich. Ist das nicht so, mein Geliebter?«
»Unsere Verbindung ist einzigartig«, gelang es Kalona zu krächzen, doch plötzlich wünschte er, die Worte wären nicht wahr.
»In der Tat ...« Sie schien noch immer in Gedanken versunken. Dann weiteten sich ihre Augen in einer neuen Erkenntnis. »Ich habe mich schon lange gefragt, wie es A-ya gelungen ist, dich, einen körperlich so starken Unsterblichen, derart zu verwunden, dass diese lächerlichen Cherokee-Hexen dich in die Falle locken konnten. Ich denke, die kleine Zoey hat mir gerade die Antwort geliefert, die du so sorgfältig vor mir verborgen hieltest. Dein Körper kann sehr wohl beschädigt werden - aber nur durch deinen Geist. Ist das nicht faszinierend?«
»Das wird wieder heilen.« Er legte so viel Kraft wie möglich in seine Stimme. »Bring mich nach Capri auf unsere Festung, aufs Dach, dem Himmel so nahe wie möglich, dann werde ich wieder zu Kräften kommen. «
»Das würdest du sicherlich - wenn ich die Absicht hätte, es zu tun. Aber ich habe andere Pläne, Geliebter. « Neferet reckte die Arme über ihn. Während sie weitersprach, woben ihre langen Finger komplizierte Muster in die Luft, wie bei einer Spinne, die ihr Netz spann. »Ich werde nicht zulassen, dass sich Zoey jemals wieder in unsere Angelegenheiten mischt.«
»Eine zerborstene Seele ist ein Todesurteil. Zoey stellt keinerlei Gefahr mehr für uns dar«, sagte er und folgte mit den Augen Neferets Bewegungen. Sie sammelte eine klebrige Finsternis um sich, die er nur zu gut kannte. Er hatte viele Menschenleben damit verbracht, diese Finsternis zu bekämpfen, um sich schließlich ihrer kalten Macht zu ergeben. Vertraut und rastlos pulsierte sie unter Neferets Fingern. Wie das Echo eines Todesstoßes schallte ein Gedanke durch seinen matten Geist: Sie sollte nicht in der Lage sein, die Finsternis so offenkundig zu beherrschen. Über solche Macht sollte eine Hohepriesterin nicht verfügen.
Aber Neferet war nicht mehr nur eine Hohepriesterin. Vor einiger Zeit hatte sie die Grenzen jenes Daseins überschritten, und es bereitete ihr keine Mühe, die sich windende Schwärze unter Kontrolle zu halten.
Sie ist auf dem besten Weg, unsterblich zu werden, erkannte Kalona, und mit dieser Erkenntnis gesellte sich ein weiteres Gefühl zu der Reue, Verzweiflung und Wut, die bereits in dem gefallenen Krieger der Nyx wühlten: Angst.
»Ja, man sollte denken, es sei ein Todesurteil«, sagte Neferet ruhig, während sie mehr und mehr der tintigen Stränge zu sich zog, »aber Zoey hat die schrecklich lästige Angewohnheit zu überleben. Diesmal will ich ganz sichergehen, dass sie stirbt.«
»Zoeys Seele hat aber auch die Angewohnheit, wiedergeboren zu werden«, sagte er, in der Hoffnung, Neferet würde den Köder schlucken und sich ablenken lassen.
»Dann werde ich sie jedes Mal aufs Neue vernichten! « Durch den Zorn, den seine Worte bei ihr auslösten, verstärkte sich ihre Konzentration nur noch. Die Schwärze, die sie spann, verdichtete sich und wand sich in der Luft, aufgebläht vor Macht.
»Neferet.« Er versuchte, zu ihr durchzudringen, indem er ihren Namen aussprach. »Ist dir eigentlich gänzlich bewusst, was du da zu beherrschen versuchst? «
Sie sah ihn an, und zum ersten Mal bemerkte Kalo- na den leichten Hauch von Scharlachrot in ihren dunklen Augen. »Natürlich ist mir das bewusst. Es ist, was geringere Wesen das Böse nennen.«
»Ich bin kein geringeres Wesen, doch auch ich habe es das Böse genannt.«
»Oh, aber schon seit Jahrhunderten nicht mehr.« Sie lachte grausam. »Mir scheint allerdings, in letzter Zeit hast du dich zu sehr mit den Schatten deiner Vergangenheit beschäftigt, statt in der herrlichen dunklen Macht der Gegenwart zu schwelgen. Ich weiß, wer die Schuld daran trägt.«
Mit immenser Anstrengung stemmte Kalona sich ins Sitzen.
»Nein, ich wünsche nicht, dass du dich bewegst.« Neferet schnippte mit den Fingern, und ein Strang aus Finsternis schlang sich um seinen Hals, zog sich zusammen, riss ihn wieder zu Boden und hielt ihn dort gefesselt.
»Was willst du von mir?«, keuchte er.
»Ich will, dass du Zoeys Geist in die Anderwelt folgst und dafür sorgst, dass keiner ihrer Freunde«- sie sprach das Wort voller Hohn aus - »einen Weg findet, ihn wieder zurück in ihren Körper zu locken.«
Den Unsterblichen durchfuhr ein Schock. »Nyx hat mich aus der Anderwelt verbannt. Ich kann Zoey nicht dorthin folgen.«
»Oh, du irrst dich, mein Geliebter. Schau, du denkst stets zu wörtlich. Seit Jahrhunderten ist für dich beschlossene Sache: Nyx hat dich verstoßen - du bist gefallen - du kannst niemals zurück. Nun, wörtlich betrachtet kannst du es tatsächlich nicht.« Als er sie ratlos ansah, seufzte sie dramatisch. »Dein prächtiger Körper wurde verbannt, mehr nicht. Hat Nyx irgendetwas über deine unsterbliche Seele gesagt?«
»Das war nicht notwendig. Wenn eine Seele zu lange von ihrem Körper getrennt ist, stirbt dieser.«
»Aber dein Körper ist nicht sterblich, das heißt, er und deine Seele können gefahrlos unendlich lange getrennt sein.«
Kalona gab sich alle Mühe, das Entsetzen, das bei ihren Worten in ihm aufkam, nicht nach außen hin zu zeigen. »Sicher, ich kann nicht sterben, aber das bedeutet nicht, dass ich keinen Schaden davontragen würde, wenn meine Seele meinen Körper zu lange verließe. « Verschiedene Möglichkeiten wirbelten ihm durch den Geist. Ich könnte altern ... dem Wahnsinn verfallen ... auf ewig zu einer leeren Hülle meiner selbst werden ...
Neferet zuckte mit den Schultern. »Dann wirst du dich bei deiner Aufgabe beeilen müssen, damit du in deinen wunderschönen unsterblichen Körper zurückkehren kannst, ehe er unwiderruflichen Schaden davonträgt. « Verführerisch lächelte sie ihn an. »Ich würde es zutiefst bedauern, wenn deinem Körper etwas zustieße, Geliebter.«
»Tu das nicht, Neferet. Du setzt Dinge in Gang, die einen Preis haben, und nicht einmal du wirst diese Art von Preis gerne zahlen.«
»Du wirst mir nicht drohen! Ich habe dich aus der Gefangenschaft befreit. Ich habe dich geliebt. Und dann habe ich mit ansehen müssen, wie du dieser einfältigen Halbwüchsigen hinterherhechelst. Ich will, dass sie aus meinem Leben verschwindet! Preis? Mit Freuden werde ich ihn zahlen! Ich bin nicht mehr die schwache, machtlose Hohepriesterin einer dogmatischen, betulichen Göttin. Verstehst du das nicht? Hättest du dich nicht von diesem Kind ablenken lassen, dann hättest du es erkannt, ohne dass ich es dir sagen muss. Ich bin eine Unsterbliche, genau wie du, Kalo- na!« Etwas Schauriges, Machtvolles ließ ihre Stimme anschwellen. »Wir sind ein perfektes Paar. Auch du hast das einmal geglaubt, und du wirst wieder zu diesem Glauben zurückfinden, wenn es keine Zoey Redbird mehr gibt.«
Kalona starrte sie an und begriff: Neferet war wahrhaftig, unwiderruflich wahnsinnig. Er fragte sich, war um dieser Wahnsinn ihre Macht und Schönheit nur zu vermehren schien.
»Also, hier ist, was ich beschlossen habe.« Nüchtern und methodisch setzte sie es ihm auseinander. »Ich werde deinen traumhaften, unsterblichen Körper irgendwo unter der Erde sicher verwahren, und währenddessen wird deine Seele in die Anderwelt reisen und dafür sorgen, dass Zoey niemals wieder hierher zurückkehrt.«
»Das wird Nyx niemals zulassen!«, entfuhr es ihm unwillkürlich.
»Nyx gewährt grundsätzlich jedem den freien Willen. Als ihre ehemalige Hohepriesterin hege ich nicht den geringsten Zweifel daran, dass sie dir erlauben wird, im Geiste in die Anderwelt zu reisen«, erklärte Neferet listig. »Denk daran, Kalona, meine wahre Liebe, indem du für Zoeys Tod sorgst, wirst du das letzte Hindernis aus dem Weg räumen, das uns davon abhält, Seite an Seite zu herrschen. Du und ich werden in dieser Welt der modernen Wunder unvorstellbar mächtig sein. Male es dir aus - wir werden uns die Menschen untertan machen und die Herrschaft der Vampyre zurückbringen, in all ihrer Schönheit, Leidenschaft und uneingeschränkten Macht. Die Erde wird unser sein. Wahrlich, wir werden der goldenen Vergangenheit neues Leben einhauchen!«
Kalona war klar, dass sie mit seinen Schwächen spielte. Im Stillen verwünschte er sich dafür, ihr so tiefen Einblick in seine tiefsten Begierden gegeben zu haben. Er hatte sich ihr anvertraut. Daher wusste Neferet, dass er, da er nicht Erebos war, niemals an Nyx' Seite in der Anderwelt hätte herrschen können und von dem Wunsch verzehrt wurde, hier, in dieser technisierten Welt, so viel wie möglich von dem, was er verloren hatte, nachzubilden.
»Du siehst, mein Geliebter, logisch betrachtet ist es nur recht und billig, wenn du Zoey folgst und das Band zwischen ihrem Körper und ihrer Seele durchtrennst. Es ist nur ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Erfüllung deiner größten Wünsche«, sagte sie im Plauderton, als sprächen sie lediglich über die Wahl des Stoffes für ihr neuestes Kleid.
Er versuchte, den gleichen ungezwungenen Ton anzuschlagen. »Wie soll ich Zoeys Seele denn finden? Die Anderwelt ist von solch unermesslicher Größe, dass nur die Götter und Göttinnen in der Lage sind, sie ganz zu durchqueren.«
Die Milde in Neferets Blick wich einer Ungeduld, durch die ihre grausame Schönheit schrecklich anzusehen war. »Wage nicht zu behaupten, du hättest keine Verbindung zu ihrer Seele!« Nach einem tiefen Atemzug fuhr die Tsi Sgili ruhiger fort: »Gib es zu, mein Geliebter: Du könntest Zoey immer finden, selbst wenn es niemand sonst könnte. Was wählst du, Kalo- na? An meiner Seite über die Erde zu herrschen oder ein Sklave deiner Vergangenheit zu bleiben?«
»Ich wähle es zu herrschen. Ich werde immer die Wahl treffen zu herrschen«, sagte er ohne Zögern.
Bei seinen Worten veränderten sich Neferets Augen. Das Grün darin wurde vollkommen von Scharlachrot verschluckt. Sie richtete die glühenden Augäpfel auf ihn - und er war gefesselt, verzaubert, gelähmt. »Dann höre mich an, Kalona, Gefallener Krieger der Nyx. Ich schwöre dir hiermit einen Eid, dass ich deinen Körper beschützen werde. Und wenn Zoey Redbird, Jungvampyrin und Hohepriesterin der Nyx, nicht mehr ist, so werde ich, das schwöre ich dir, diese dunklen Ketten lösen und deinem Geist erlauben zurückzukehren. Dann werde ich dich auf das Dach unserer Festung in Capri bringen, dann mag der Himmel dir wieder Kraft und Leben einhauchen, und du wirst dieses Reich an meiner Seite regieren, als mein Gefährte, mein Beschützer, mein Erebos.« Hilflos, unfähig, sie aufzuhalten, musste Kalona zusehen, wie sie einen langen, spitzen Fingernagel über ihre rechte Handfläche führte. Das austretende Blut hob sie in der hohlen Hand empor wie ein Opfer. »Dies Blut gibt mir die Macht; dies Blut bindet den Eid.« Überall um sie herum regte sich Finsternis, stieß auf ihre Handfläche nieder, wand sich, pulsierte und trank. Kalona spürte die Verlockung, die von der Finsternis ausging. Ihr machtvolles, verführerisches Wispern sprach zu seiner Seele.
»Ja!« Mit einem Aufstöhnen, das sich den Tiefen seiner Kehle entrang, gab sich Kalona der gierigen Finsternis hin.
Als Neferet weitersprach, war ihre Stimme nochmals angeschwollen, von Macht gesättigt. »Aus deiner eigenen Wahl heraus habe ich diesen Eid auf die Finsternis mit Blut besiegelt, doch solltest du versagen und ihn brechen -«
»Ich werde nicht versagen.«
Die Schönheit ihres Lächelns war nicht von dieser Welt; in ihren Augen wallte Blut. »Solltest du, Kalona, Gefallener Krieger der Nyx, diesen Eid brechen und darin versagen, Zoey Redbird, Jungvampyrin und Hohepriesterin der Nyx, zu vernichten, so wird dein Geist mir untertan sein, solange du ein Unsterblicher bist.«
Ohne dass er danach suchen musste, flog ihm die korrekte Antwort zu, eingeflüstert durch die verführerische Finsternis, die er jahrhundertelang gegen das Licht eingetauscht hatte. »Sollte ich versagen, so wird mein Geist dir untertan sein, solange ich ein Unsterblicher bin.«
»Also schwöre ich.« Noch einmal schnitt sich Neferet in die Handfläche und schuf so ein blutiges X. Wie Rauch von einem Feuer wehte der metallene Geruch zu ihm hin, als sie der Finsternis wieder ihre Hand darbot. »Also sei es!« Neferets Gesicht verzog sich vor Schmerz, als die Finsternis wieder von ihr trank, aber sie zuckte nicht zusammen. Sie blieb vollkommen reglos, bis die Luft um sie herum gesättigt waberte, wie aufgedunsen von ihrem Blut und ihrem Schwur.
Erst dann senkte sie die Hand. Ihre Zunge glitt aus ihrem Mund, leckte über die scharlachroten Linien und beendete die Blutung. Schließlich trat sie vor ihn hin, beugte sich herunter und legte ihm sanft die Hände um beide Wangen, ganz ähnlich wie er es bei dem Menschenjungen getan hatte, ehe er diesem den Tod gegeben hatte. Er konnte die Finsternis um sie förmlich mit den Hufen scharren hören wie einen wütenden Stier, der ungeduldig auf den Befehl seiner Herrin wartet.
Ihre blutroten Lippen näherten sich den seinen, hielten jedoch inne, ohne sie zu berühren. »Bei der Macht, die mein Blut durchströmt, und bei der Kraft der Leben, die ich genommen habe, befehle ich euch, meine feinen Fühler der Finsternis, zieht die Seele dieses eidgebundenen Unsterblichen aus seinem Körper und sendet sie eilig hinfort in die Anderwelt. Geht und tut wie befohlen, und ich verspreche euch ein unschuldiges Leben, das noch nicht durch euch getrübt wurde. Sei du mir treu, das Werk gedeih!«
Neferet holte tief Atem, und Kalona sah, wie die dunklen Fäden, die sie gerufen hatte, zwischen ihren vollen roten Lippen wimmelten. Sie atmete Finsternis ein, bis sie davon anschwoll, und dann legte sie ihren Mund auf seinen und blies ihm die Schwärze in einem finsteren, blutbefleckten Kuss mit solcher Kraft ein, dass seine bereits verwundete Seele von seinem Körper losgerissen wurde. Schreiend in lautloser Qual wurde Kalona nach oben geschleudert, immer höher und höher, in das Reich, aus dem seine Göttin ihn verbannt hatte, während sein Körper zurückblieb - leblos, gefesselt, durch Eid an das Böse gebunden und Neferet auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
Es traf den Unsterblichen mit einer Kraft, die über das rein physische Maß hinausging. Geist war seine Essenz, sein Kern, das Element, das ihn jahrhundertelang genährt hatte, mit dem er am vertrautesten war und das ihm die größte Macht verlieh. Zoeys Angriff durchbohrte ihn wie ein gleißender Pfeil und schleuderte ihn mit solcher Kraft in die Luft, dass er über die hohe Mauer geworfen wurde, die die Insel der Vampyre vom Golf von Venedig trennte. Eisiges Wasser schlug über ihm zusammen, erstickte ihn. Einen Augenblick lang war der Schmerz so betäubend, dass Kalona nicht dagegen ankämpfte. Vielleicht sollte er diesem aufreibenden Kampf um das Leben mit all seinem Drum und Dran ein Ende setzen. Vielleicht sollte er sich wie schon einmal von ihr besiegen lassen. Aber kaum kam ihm der Gedanke, da spürte er es. Zoeys Seele zerbarst - und so sicher wie sein Fall ihn von einer Welt in eine andere gebracht hatte, verließ ihr Geist das Reich des Diesseits.
Diese Erkenntnis traf ihn viel bitterer als ihr Angriff.
Nicht Zoey! Ihr hatte er nie ein Leid zufügen wollen. Durch alle Intrigen Neferets hindurch, im Angesicht aller Pläne und Machenschaften der Tsi Sgili hatte er sich an dem Wissen festgeklammert, dass er, komme, was wolle, seine enorme Macht als Unsterblicher einsetzen würde, um Zoey zu beschützen, denn schlussendlich war sie das, was in dieser Welt Nyx am nächsten kam - und diese Welt war die einzige, die ihm geblieben war.
Er kämpfte nun doch gegen Zoeys Angriff an. Während er seinen muskulösen Körper der Umklammerung der Wellen entwand, erfasste er schlagartig die ganze Wahrheit. Seinetwegen war Zoeys Geist entflohen, und das bedeutete, sie würde sterben. Mit seinem ersten Atemzug stieß er einen wilden Schrei der Verzweiflung aus, der ein Echo ihres letzten Wortes zu sein schien: »Nein!«
Hatte er wirklich geglaubt, er könnte seit seinem Fall keine richtigen Gefühle mehr entwickeln? Ein Narr war er gewesen, sich so unglaublich zu irren! Während er schlingernd dicht über der Wasseroberfläche dahinflog, tobten Gefühle in ihm, kratzten an seinem bereits verwundeten Geist, wüteten gegen ihn, schwächten ihn, brachten seine Seele zum Bluten. Sein Blick verschwamm und drohte, sich zu verfinstern. Er kniff die Augen zusammen, um am Rande der Lagune die Lichter erkennen zu können, die Land verhießen. Dorthin würde er es niemals schaffen. Er hatte keine Wahl - ihm blieb nur der Palast. Er nahm seine letzten Kraftreserven zusammen und schraubte sich durch die eisige Luft höher, bis er die Mauer überwinden konnte. Dahinter brach er auf der eisigen Erde zusammen.
Er wusste nicht, wie lange er dort in der kalten, friedlosen Finsternis lag und in seiner erschütterten Seele der Aufruhr tobte. Irgendwo weit hinten in seinem Verstand begriff er, dass das, was ihm zugestoßen war, nichts Unvertrautes war. Er war wieder einmal gefallen - diesmal eher geistig denn körperlich, obgleich auch sein Körper ihm nicht mehr zu gehorchen schien.
Schon ehe sie sprach, war er sich ihrer Gegenwart bewusst. So war es von Anfang an zwischen ihnen gewesen, ob er es sich wirklich gewünscht hatte oder nicht. Sie waren schlicht in der Lage, einander wahrzunehmen.
»Du hast zugelassen, dass Stark Zeuge wurde, wie du den Jungen getötet hast!« Neferets Ton war noch eisiger als das winterliche Meer.
Kalona drehte den Kopf, um mehr von ihr sehen zu können als nur das Vorderteil ihres Stilettostiefels, und er blinzelte, weil sein Blick noch immer benebelt war. Seine Stimme war ein tonloses Krächzen. »Unglücklicher Zufall. Zoey hätte nicht da sein dürfen.«
»Unglückliche Zufälle darf es nicht geben. Und dass sie da war, interessiert mich nicht. Tatsächlich kommt uns das Ergebnis dessen, was sie gesehen hat, sehr gelegen.«
»Du weißt, dass ihre Seele zersprungen ist?« Die Wirkung, die Neferets eisige Schönheit auf ihn hatte, war Kalona noch verhasster als die unnatürliche Schwäche seiner Stimme und die merkwürdige Lethargie seines Körpers.
»Ich würde sagen, die meisten Vampyre auf der Insel dürften es wissen. Wie bei Zoey üblich, war ihr Geist nicht gerade diskret darin, sich zu verabschieden. « Sie tippte sich nachdenklich mit dem langen scharfen Fingernagel ans Kinn. »Ich frage mich allerdings, wie viele der Vampyre gespürt haben, welch einen Schlag dir das Gör noch in allerletzter Sekunde verpasst hat.«
Kalona schwieg. Er bemühte sich mit aller Kraft, die zerfaserten Enden seines aufgeriebenen Geistes wieder zu festigen, aber die Präsenz der Erde, auf der sein Körper lag, war zu erdrückend, und ihm fehlte die Kraft, sich geistig nach oben zu recken und seine Seele aus den flüchtigen Fragmenten der Anderwelt zu nähren, die dort drifteten.
»Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemand von ihnen gespürt hat«, fuhr Neferet in kühlem, berechnendem Ton fort. »Niemand von ihnen ist der Finsternis - dir - so tief verbunden wie ich. Ist das nicht so, mein Geliebter?«
»Unsere Verbindung ist einzigartig«, gelang es Kalona zu krächzen, doch plötzlich wünschte er, die Worte wären nicht wahr.
»In der Tat ...« Sie schien noch immer in Gedanken versunken. Dann weiteten sich ihre Augen in einer neuen Erkenntnis. »Ich habe mich schon lange gefragt, wie es A-ya gelungen ist, dich, einen körperlich so starken Unsterblichen, derart zu verwunden, dass diese lächerlichen Cherokee-Hexen dich in die Falle locken konnten. Ich denke, die kleine Zoey hat mir gerade die Antwort geliefert, die du so sorgfältig vor mir verborgen hieltest. Dein Körper kann sehr wohl beschädigt werden - aber nur durch deinen Geist. Ist das nicht faszinierend?«
»Das wird wieder heilen.« Er legte so viel Kraft wie möglich in seine Stimme. »Bring mich nach Capri auf unsere Festung, aufs Dach, dem Himmel so nahe wie möglich, dann werde ich wieder zu Kräften kommen. «
»Das würdest du sicherlich - wenn ich die Absicht hätte, es zu tun. Aber ich habe andere Pläne, Geliebter. « Neferet reckte die Arme über ihn. Während sie weitersprach, woben ihre langen Finger komplizierte Muster in die Luft, wie bei einer Spinne, die ihr Netz spann. »Ich werde nicht zulassen, dass sich Zoey jemals wieder in unsere Angelegenheiten mischt.«
»Eine zerborstene Seele ist ein Todesurteil. Zoey stellt keinerlei Gefahr mehr für uns dar«, sagte er und folgte mit den Augen Neferets Bewegungen. Sie sammelte eine klebrige Finsternis um sich, die er nur zu gut kannte. Er hatte viele Menschenleben damit verbracht, diese Finsternis zu bekämpfen, um sich schließlich ihrer kalten Macht zu ergeben. Vertraut und rastlos pulsierte sie unter Neferets Fingern. Wie das Echo eines Todesstoßes schallte ein Gedanke durch seinen matten Geist: Sie sollte nicht in der Lage sein, die Finsternis so offenkundig zu beherrschen. Über solche Macht sollte eine Hohepriesterin nicht verfügen.
Aber Neferet war nicht mehr nur eine Hohepriesterin. Vor einiger Zeit hatte sie die Grenzen jenes Daseins überschritten, und es bereitete ihr keine Mühe, die sich windende Schwärze unter Kontrolle zu halten.
Sie ist auf dem besten Weg, unsterblich zu werden, erkannte Kalona, und mit dieser Erkenntnis gesellte sich ein weiteres Gefühl zu der Reue, Verzweiflung und Wut, die bereits in dem gefallenen Krieger der Nyx wühlten: Angst.
»Ja, man sollte denken, es sei ein Todesurteil«, sagte Neferet ruhig, während sie mehr und mehr der tintigen Stränge zu sich zog, »aber Zoey hat die schrecklich lästige Angewohnheit zu überleben. Diesmal will ich ganz sichergehen, dass sie stirbt.«
»Zoeys Seele hat aber auch die Angewohnheit, wiedergeboren zu werden«, sagte er, in der Hoffnung, Neferet würde den Köder schlucken und sich ablenken lassen.
»Dann werde ich sie jedes Mal aufs Neue vernichten! « Durch den Zorn, den seine Worte bei ihr auslösten, verstärkte sich ihre Konzentration nur noch. Die Schwärze, die sie spann, verdichtete sich und wand sich in der Luft, aufgebläht vor Macht.
»Neferet.« Er versuchte, zu ihr durchzudringen, indem er ihren Namen aussprach. »Ist dir eigentlich gänzlich bewusst, was du da zu beherrschen versuchst? «
Sie sah ihn an, und zum ersten Mal bemerkte Kalo- na den leichten Hauch von Scharlachrot in ihren dunklen Augen. »Natürlich ist mir das bewusst. Es ist, was geringere Wesen das Böse nennen.«
»Ich bin kein geringeres Wesen, doch auch ich habe es das Böse genannt.«
»Oh, aber schon seit Jahrhunderten nicht mehr.« Sie lachte grausam. »Mir scheint allerdings, in letzter Zeit hast du dich zu sehr mit den Schatten deiner Vergangenheit beschäftigt, statt in der herrlichen dunklen Macht der Gegenwart zu schwelgen. Ich weiß, wer die Schuld daran trägt.«
Mit immenser Anstrengung stemmte Kalona sich ins Sitzen.
»Nein, ich wünsche nicht, dass du dich bewegst.« Neferet schnippte mit den Fingern, und ein Strang aus Finsternis schlang sich um seinen Hals, zog sich zusammen, riss ihn wieder zu Boden und hielt ihn dort gefesselt.
»Was willst du von mir?«, keuchte er.
»Ich will, dass du Zoeys Geist in die Anderwelt folgst und dafür sorgst, dass keiner ihrer Freunde«- sie sprach das Wort voller Hohn aus - »einen Weg findet, ihn wieder zurück in ihren Körper zu locken.«
Den Unsterblichen durchfuhr ein Schock. »Nyx hat mich aus der Anderwelt verbannt. Ich kann Zoey nicht dorthin folgen.«
»Oh, du irrst dich, mein Geliebter. Schau, du denkst stets zu wörtlich. Seit Jahrhunderten ist für dich beschlossene Sache: Nyx hat dich verstoßen - du bist gefallen - du kannst niemals zurück. Nun, wörtlich betrachtet kannst du es tatsächlich nicht.« Als er sie ratlos ansah, seufzte sie dramatisch. »Dein prächtiger Körper wurde verbannt, mehr nicht. Hat Nyx irgendetwas über deine unsterbliche Seele gesagt?«
»Das war nicht notwendig. Wenn eine Seele zu lange von ihrem Körper getrennt ist, stirbt dieser.«
»Aber dein Körper ist nicht sterblich, das heißt, er und deine Seele können gefahrlos unendlich lange getrennt sein.«
Kalona gab sich alle Mühe, das Entsetzen, das bei ihren Worten in ihm aufkam, nicht nach außen hin zu zeigen. »Sicher, ich kann nicht sterben, aber das bedeutet nicht, dass ich keinen Schaden davontragen würde, wenn meine Seele meinen Körper zu lange verließe. « Verschiedene Möglichkeiten wirbelten ihm durch den Geist. Ich könnte altern ... dem Wahnsinn verfallen ... auf ewig zu einer leeren Hülle meiner selbst werden ...
Neferet zuckte mit den Schultern. »Dann wirst du dich bei deiner Aufgabe beeilen müssen, damit du in deinen wunderschönen unsterblichen Körper zurückkehren kannst, ehe er unwiderruflichen Schaden davonträgt. « Verführerisch lächelte sie ihn an. »Ich würde es zutiefst bedauern, wenn deinem Körper etwas zustieße, Geliebter.«
»Tu das nicht, Neferet. Du setzt Dinge in Gang, die einen Preis haben, und nicht einmal du wirst diese Art von Preis gerne zahlen.«
»Du wirst mir nicht drohen! Ich habe dich aus der Gefangenschaft befreit. Ich habe dich geliebt. Und dann habe ich mit ansehen müssen, wie du dieser einfältigen Halbwüchsigen hinterherhechelst. Ich will, dass sie aus meinem Leben verschwindet! Preis? Mit Freuden werde ich ihn zahlen! Ich bin nicht mehr die schwache, machtlose Hohepriesterin einer dogmatischen, betulichen Göttin. Verstehst du das nicht? Hättest du dich nicht von diesem Kind ablenken lassen, dann hättest du es erkannt, ohne dass ich es dir sagen muss. Ich bin eine Unsterbliche, genau wie du, Kalo- na!« Etwas Schauriges, Machtvolles ließ ihre Stimme anschwellen. »Wir sind ein perfektes Paar. Auch du hast das einmal geglaubt, und du wirst wieder zu diesem Glauben zurückfinden, wenn es keine Zoey Redbird mehr gibt.«
Kalona starrte sie an und begriff: Neferet war wahrhaftig, unwiderruflich wahnsinnig. Er fragte sich, war um dieser Wahnsinn ihre Macht und Schönheit nur zu vermehren schien.
»Also, hier ist, was ich beschlossen habe.« Nüchtern und methodisch setzte sie es ihm auseinander. »Ich werde deinen traumhaften, unsterblichen Körper irgendwo unter der Erde sicher verwahren, und währenddessen wird deine Seele in die Anderwelt reisen und dafür sorgen, dass Zoey niemals wieder hierher zurückkehrt.«
»Das wird Nyx niemals zulassen!«, entfuhr es ihm unwillkürlich.
»Nyx gewährt grundsätzlich jedem den freien Willen. Als ihre ehemalige Hohepriesterin hege ich nicht den geringsten Zweifel daran, dass sie dir erlauben wird, im Geiste in die Anderwelt zu reisen«, erklärte Neferet listig. »Denk daran, Kalona, meine wahre Liebe, indem du für Zoeys Tod sorgst, wirst du das letzte Hindernis aus dem Weg räumen, das uns davon abhält, Seite an Seite zu herrschen. Du und ich werden in dieser Welt der modernen Wunder unvorstellbar mächtig sein. Male es dir aus - wir werden uns die Menschen untertan machen und die Herrschaft der Vampyre zurückbringen, in all ihrer Schönheit, Leidenschaft und uneingeschränkten Macht. Die Erde wird unser sein. Wahrlich, wir werden der goldenen Vergangenheit neues Leben einhauchen!«
Kalona war klar, dass sie mit seinen Schwächen spielte. Im Stillen verwünschte er sich dafür, ihr so tiefen Einblick in seine tiefsten Begierden gegeben zu haben. Er hatte sich ihr anvertraut. Daher wusste Neferet, dass er, da er nicht Erebos war, niemals an Nyx' Seite in der Anderwelt hätte herrschen können und von dem Wunsch verzehrt wurde, hier, in dieser technisierten Welt, so viel wie möglich von dem, was er verloren hatte, nachzubilden.
»Du siehst, mein Geliebter, logisch betrachtet ist es nur recht und billig, wenn du Zoey folgst und das Band zwischen ihrem Körper und ihrer Seele durchtrennst. Es ist nur ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Erfüllung deiner größten Wünsche«, sagte sie im Plauderton, als sprächen sie lediglich über die Wahl des Stoffes für ihr neuestes Kleid.
Er versuchte, den gleichen ungezwungenen Ton anzuschlagen. »Wie soll ich Zoeys Seele denn finden? Die Anderwelt ist von solch unermesslicher Größe, dass nur die Götter und Göttinnen in der Lage sind, sie ganz zu durchqueren.«
Die Milde in Neferets Blick wich einer Ungeduld, durch die ihre grausame Schönheit schrecklich anzusehen war. »Wage nicht zu behaupten, du hättest keine Verbindung zu ihrer Seele!« Nach einem tiefen Atemzug fuhr die Tsi Sgili ruhiger fort: »Gib es zu, mein Geliebter: Du könntest Zoey immer finden, selbst wenn es niemand sonst könnte. Was wählst du, Kalo- na? An meiner Seite über die Erde zu herrschen oder ein Sklave deiner Vergangenheit zu bleiben?«
»Ich wähle es zu herrschen. Ich werde immer die Wahl treffen zu herrschen«, sagte er ohne Zögern.
Bei seinen Worten veränderten sich Neferets Augen. Das Grün darin wurde vollkommen von Scharlachrot verschluckt. Sie richtete die glühenden Augäpfel auf ihn - und er war gefesselt, verzaubert, gelähmt. »Dann höre mich an, Kalona, Gefallener Krieger der Nyx. Ich schwöre dir hiermit einen Eid, dass ich deinen Körper beschützen werde. Und wenn Zoey Redbird, Jungvampyrin und Hohepriesterin der Nyx, nicht mehr ist, so werde ich, das schwöre ich dir, diese dunklen Ketten lösen und deinem Geist erlauben zurückzukehren. Dann werde ich dich auf das Dach unserer Festung in Capri bringen, dann mag der Himmel dir wieder Kraft und Leben einhauchen, und du wirst dieses Reich an meiner Seite regieren, als mein Gefährte, mein Beschützer, mein Erebos.« Hilflos, unfähig, sie aufzuhalten, musste Kalona zusehen, wie sie einen langen, spitzen Fingernagel über ihre rechte Handfläche führte. Das austretende Blut hob sie in der hohlen Hand empor wie ein Opfer. »Dies Blut gibt mir die Macht; dies Blut bindet den Eid.« Überall um sie herum regte sich Finsternis, stieß auf ihre Handfläche nieder, wand sich, pulsierte und trank. Kalona spürte die Verlockung, die von der Finsternis ausging. Ihr machtvolles, verführerisches Wispern sprach zu seiner Seele.
»Ja!« Mit einem Aufstöhnen, das sich den Tiefen seiner Kehle entrang, gab sich Kalona der gierigen Finsternis hin.
Als Neferet weitersprach, war ihre Stimme nochmals angeschwollen, von Macht gesättigt. »Aus deiner eigenen Wahl heraus habe ich diesen Eid auf die Finsternis mit Blut besiegelt, doch solltest du versagen und ihn brechen -«
»Ich werde nicht versagen.«
Die Schönheit ihres Lächelns war nicht von dieser Welt; in ihren Augen wallte Blut. »Solltest du, Kalona, Gefallener Krieger der Nyx, diesen Eid brechen und darin versagen, Zoey Redbird, Jungvampyrin und Hohepriesterin der Nyx, zu vernichten, so wird dein Geist mir untertan sein, solange du ein Unsterblicher bist.«
Ohne dass er danach suchen musste, flog ihm die korrekte Antwort zu, eingeflüstert durch die verführerische Finsternis, die er jahrhundertelang gegen das Licht eingetauscht hatte. »Sollte ich versagen, so wird mein Geist dir untertan sein, solange ich ein Unsterblicher bin.«
»Also schwöre ich.« Noch einmal schnitt sich Neferet in die Handfläche und schuf so ein blutiges X. Wie Rauch von einem Feuer wehte der metallene Geruch zu ihm hin, als sie der Finsternis wieder ihre Hand darbot. »Also sei es!« Neferets Gesicht verzog sich vor Schmerz, als die Finsternis wieder von ihr trank, aber sie zuckte nicht zusammen. Sie blieb vollkommen reglos, bis die Luft um sie herum gesättigt waberte, wie aufgedunsen von ihrem Blut und ihrem Schwur.
Erst dann senkte sie die Hand. Ihre Zunge glitt aus ihrem Mund, leckte über die scharlachroten Linien und beendete die Blutung. Schließlich trat sie vor ihn hin, beugte sich herunter und legte ihm sanft die Hände um beide Wangen, ganz ähnlich wie er es bei dem Menschenjungen getan hatte, ehe er diesem den Tod gegeben hatte. Er konnte die Finsternis um sie förmlich mit den Hufen scharren hören wie einen wütenden Stier, der ungeduldig auf den Befehl seiner Herrin wartet.
Ihre blutroten Lippen näherten sich den seinen, hielten jedoch inne, ohne sie zu berühren. »Bei der Macht, die mein Blut durchströmt, und bei der Kraft der Leben, die ich genommen habe, befehle ich euch, meine feinen Fühler der Finsternis, zieht die Seele dieses eidgebundenen Unsterblichen aus seinem Körper und sendet sie eilig hinfort in die Anderwelt. Geht und tut wie befohlen, und ich verspreche euch ein unschuldiges Leben, das noch nicht durch euch getrübt wurde. Sei du mir treu, das Werk gedeih!«
Neferet holte tief Atem, und Kalona sah, wie die dunklen Fäden, die sie gerufen hatte, zwischen ihren vollen roten Lippen wimmelten. Sie atmete Finsternis ein, bis sie davon anschwoll, und dann legte sie ihren Mund auf seinen und blies ihm die Schwärze in einem finsteren, blutbefleckten Kuss mit solcher Kraft ein, dass seine bereits verwundete Seele von seinem Körper losgerissen wurde. Schreiend in lautloser Qual wurde Kalona nach oben geschleudert, immer höher und höher, in das Reich, aus dem seine Göttin ihn verbannt hatte, während sein Körper zurückblieb - leblos, gefesselt, durch Eid an das Böse gebunden und Neferet auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
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Autoren-Porträt von P. C. Cast, Kristin Cast
Cast, P.C.P.C. Cast ist die Autorin der zwölfbändigen House of Night-Serie. Sie wuchs in Illinois und Oklahoma auf und arbeitete viele Jahre als Lehrerin, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Ihre Bücher erreichten eine Gesamtauflage von über zwanzig Millionen Exemplaren und erschienen in mehr als vierzig Ländern. Die Autorin lebt mit ihrer Familie und ihren geliebten Katzen, Hunden und Pferden in Oregon. Blum, ChristineChristine Blum, aufgewachsen am Kaiserstuhl, studierte Literatur- und Kulturwissenschaften und übersetzt seit über fünfzehn Jahren aus dem Englischen und Russischen.
Bibliographische Angaben
- Autoren: P. C. Cast , Kristin Cast
- Altersempfehlung: Ab 14 Jahre
- 2012, 4. Aufl., 608 Seiten, Maße: 12,2 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Christine Blum
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596190614
- ISBN-13: 9783596190614
- Erscheinungsdatum: 21.08.2012
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