Ich bin nun mal dick
Ein Wohlfühlbuch
Wir kennen und lieben ihn aus "Ein Fall für zwei" und aus seiner Praxis "Dr. Sommerfeldt": Rainer Hunold, eine ebenso beliebte wie beleibte TV-Größe. In seinem Buch bricht er eine Lanze - nicht für das Dicksein,...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Ich bin nun mal dick “
Wir kennen und lieben ihn aus "Ein Fall für zwei" und aus seiner Praxis "Dr. Sommerfeldt": Rainer Hunold, eine ebenso beliebte wie beleibte TV-Größe. In seinem Buch bricht er eine Lanze - nicht für das Dicksein, aber für das Wohlfühlen im eigenen Körper. Nachdenkliches und Heiteres zum Thema Figur.
Klappentext zu „Ich bin nun mal dick “
Viele Dicke glauben, sich für ihr Dicksein rechtfertigen, ja, entschuldigen zu müssen. Spaß scheint es nur für Ranke und Schlanke zu geben, ansonsten heißt es: »Hau ab, Dicker, wir wollen unter uns sein in unserer schönen schlanken Welt!« Das bringt so manche Schramme auf die Seele, dabei ist Dicksein völlig okay. Hunold schreibt Nachdenkliches und Heiteres, etwa über zu kleine Umkleidekabinen, Ärzteratschläge, Frotzeleien von Freunden, Diätwahn oder den Sportunterricht. Kurzum: ein erfrischend gelassenes, reflektiertes und unterhaltsames Buch über ein Problem, das keines ist.
Lese-Probe zu „Ich bin nun mal dick “
Ich bin nun mal dick von Rainer Hunold1
Dick ist gut
Was meinen Sie? Dünn ist gut? Träumen Sie weiter: Dick ist gut! Fett sogar noch besser. Zumindest in der Sprache.
Ein dicker Kuss lässt ja wohl eher auf Zuneigung schließen als ein dünnes Lächeln. Fette Beute macht froh, ganz im Gegensatz zu dürren Argumenten. Sind zwei dicke Freunde, finden wir das großartig. Kein Zweifel: Ein dickes Ding nötigt uns Achtung ab, so wie ein dicker Fisch an der Angel nicht nur Angler glücklich macht. Macht Sie ein dickes Lob etwa nicht zufriedener als eine schmale Brieftasche? Wissen Sie etwa nicht mehr, wie Sie von der Stulle » mit dick Butter drauf « getröstet wurden, als Sie ein kleines Kind waren? Schmalhans war da ganz bestimmt nicht Küchenmeister. Aber wie Sie damals unbedingt das fette Grinsen Ihres zufriedenen Säuglings fotografieren mussten – daran erinnern Sie sich doch noch?
Und wie Sie sich geärgert haben, als bei Ihrem Nachbarn plötzlich so ein dickes Auto vor der Tür stand? Sie können das ruhig zugeben, wirklich, das ist nicht schlimm, ich kenne das auch, plötzlich merkt man, dass man neidisch ist auf etwas … Dickes.
Ist doch auch nachvollziehbar. Wer findet Dünnbrettbohrer schon attraktiv?
Na also, wir verstehen uns. Und mal so ganz von Mann zu Mann, hört ja gerade keiner zu, mit dicken Eiern durch die Welt zu toben ist ja nun wirklich geiler, als schmalbrüstig hinterm Ofen zu hocken. Apropos – hast du gestern die Fernsehmoderatorin gesehen? Was die für dicke Dinger hat – hammermäßig!
Dick im Geschäft zu sein – wer würde das bezweifeln – macht deutlich mehr Freude, als zu hören, dass der Betrieb im Rahmen der nötigen Umstrukturierung verschlankt werden muss.
Da kann man nur hoff en, nicht ohne fette Abfindung gehen zu müssen.
... mehr
( An dieser Stelle die besten Wünsche für alle stark ausgedünnten Rest-Belegschaften. )
Wie wir wissen, sind in der Landwirtschaft fettes Gras und fette Böden sehr beliebt. Über den IQ des Bauern, der immer mit den dicksten Kartoffeln auf dem Markt abhängt, müssen wir uns an dieser Stelle aber keine Gedanken machen. Schon eher darüber, dass dicker Spargel auch in diesem Jahr wieder deutlich mehr kostete als dünner Spargel. Pro Kilo natürlich, nicht etwa pro Stange, hallo, für wie blöd halten Sie mich eigentlich?
Dass ich gerade etwas schmallippig wirke, liegt an meiner hohen Sensibilität, da ist man natürlich sehr viel schneller genervt als diese Buddha-Typen mit dem dicken Fell, die gehen nicht so schnell an die Decke. Aber als Sensibelchen ist man eben auf ziemlich dünnem Eis unterwegs, also sozial gesehen. Wenn man da nicht aufpasst und zu oft an die Decke geht, wird auch die Luft ganz schön dünn, was die Beliebtheit bei Freunden angeht. Bloß gut, dass man mit einem dicken Blumenstrauß die Sache meistens wieder gerade rücken kann. Wobei dicke Blumensträuße natürlich nur möglich sind, wenn man entsprechend dicke Kohle hat, ein mageres Konto wäre da eher hinderlich.
Und so weiter und so weiter. Dickes und Fettes sind in der Sprache deutlich häufiger positiv besetzt als Dünnes, Dürres und Mageres. Seltsam, oder? Schließlich leben wir in einer Welt, in der dicke Menschen keine guten Karten haben. Dick zu sein heißt in der Regel, von seinen Mitmenschen als disziplinlos, willensschwach, nicht durchsetzungsfähig und unattraktiv wahrgenommen zu werden. Dick – ein ganz großes Pfui in der Welt der Schönen und Dünnen. Einer Welt, die vor allem von den nicht ganz so schönen und dünnen Konsumenten bunter Blätter und bizarrer Casting-Shows bis aufs Messer verteidigt wird.
Hochwillkommen bei diesen selbsternannten Koryphäen idealer Figuren und Gewichte sind alle, die durchfallen in den Disziplinen rigoroser Eitelkeit und seelenlosen Körperkults.
Sind sie doch wunderbare Hass- und Ekelobjekte. Ihre scheinbar unüberwindbare Entfernung vom Ideal lenkt wohltuend davon ab, dass der eigene Körper von der totalen Deckungsgleichheit mit einem Heidi-Klum-Modell leider etliche Zentimeter und Kilos getrennt ist. Schade, nicht so ganz vollkommen zu sein, aber was sind schon ein paar Zentimeter gegen die Lichtjahre, die einen XXL-Körper von Größe vierunddreißig unterscheiden?
Der Zeigefinger wird gern und schnell ausgestreckt. » Zeigt euch, Dicke – wir wollen uns gruseln und gut fühlen. Gruseln vor eurer Masse, gut fühlen, weil wir auf dem richtigen Weg sind. Zeigt euch, damit wir uns anschauen können, was wir nie-nie-nie sein wollen. Seid unser Spiegel, damit wir uns schön fühlen können, überlegen, wunderbar und der Vollkommenheit so nah.«
Fast scheint es, als hätten Dicke eine gesellschaftliche Aufgabe.
Ombudsmann und Ombudsfrau im permanenten Streit zwischen Selbstbild und dem von den Medien präsentierten Idealkörper, millionenfach ausgetragen in den Köpfen verunsicherter Frauen und Männer, die in ihrem Portfolio existentiell wichtiger Marken – Lacoste, Boss, Polo, Hilfiger und wie sie alle heißen – die Götzen » schlank « und » schön « als Tempelwächter installieren.
Der Schmerz, den die Abweichung des eigenen Spiegelbildes vom Fernsehbild des Supermodells verursacht, wird durch den Anblick dicker Menschen gelindert. Beschwichtigender, aufbauender Ekel hilft, den eigenen Makel zu ertragen. Dünne, wir lieben euch, wir sind dankbar für die grandiose Aufgabe, die ihr uns stellt, für das wundervolle Lebensgefühl, dass uns der nicht enden wollende Abruf unserer unerschöpflichen Empathieressourcen vermittelt. Ja, wir sind gern der grazile Vogel, der dem fetten Krokodil das Ungeziefer aus der schartigen Haut pickt.
Aber leider stimmt das Bild nicht. Ihr seid dünne Krokodile, wir sind fette Vögel. Und darum gibt es zwischen uns auch keine der im Tierreich so segensreichen Symbiosen. Schade. Unser Zusammenleben wäre sicher angenehmer.
Wobei Dicke eigentlich gar kein Problem haben mit Dünnen. Probleme haben Dicke nur mit der Reduzierung ihrer Person auf das Dicksein. Es geht nur noch darum. Ein Blick genügt. Dick ? Alles klar.
Kein Dünner wird derart in einer Schublade verstaut. Und die Schublade wird immer voller. Antriebsschwach. Unbeweglich. Langsam. Unsexy. Verfressen. Suchttyp. Nicht belastbar. Unsportlich. Dick eben.
Und die Dünnen? Dünn sieht man auch auf den ersten Blick. Aber das heißt diesmal nicht, dass Schluss ist mit der Wahrnehmung. Bei Dünnen hält man es für möglich, dass neben dem Dünnsein noch andere Eigenschaften vorhanden sein könnten. Dicke sind dick. Und zwar ausschließlich. Dünne können außer dünn auch noch unbeweglich oder supersportlich sein, aufgedreht oder antriebsschwach, charmant oder stoffelig, humorvoll oder stinkstiefelig, sexy oder uninteressant, energiegeladen oder couchkartoffelig, intelligent oder doof wie Brot. Dünne dürfen alles sein. Dicke nur dick.
Das ist wie mit den Auto- und den Motorradfahrern. Ein Autofahrer, der riskant fährt und sich nicht an die Verkehrsregeln hält, ist für die anderen Verkehrsteilnehmer ein Idiot. Also ein Einzelwesen, das sich schlecht benimmt. Kommt eben vor.
Fährt hingegen ein Motorradfahrer riskant und ohne Verkehrsregeln zu beachten, wird er nicht als Person beschimpft, sondern stellvertretend für eine ganze Bevölkerungsgruppe:
»Diese Idioten, die haben doch alle ein Rad ab, Scheißmotorradfahrer!«
Dicke sind so etwas wie die Motorradfahrer des Sozialverkehrs.
Dünne die Autofahrer. Der Anblick eines anorektischen jungen Mädchens löst Mitleid für genau diese Person aus. » Das arme Kind sollte aber wirklich mehr essen. Haben die Eltern keine Augen im Kopf?« Wagt sich hingegen ein stark übergewichtiger Junge ins Blickfeld, ist ganz sicher kein Mitleid angesagt.
»Wahnsinn, es gibt wirklich immer mehr fette Kinder. Warum machen die eigentlich alle keinen Sport? Haben die keinen Spiegel zu Hause?«
Das ist nicht fair. Auch Dicke haben ein Recht auf individuelle Wahrnehmung. Finde ich. Aber wen interessiert das schon? Die Welt besteht aus zwei Lagern, schwarz und weiß reichen als Farben völlig aus. So lebt es sich prima, und bitte keinen Stress, die ganze Diskutiererei bringt doch eh nichts.
Dick und sexy ? Haha, Märchen lese ich schon lange nicht mehr. Dünn und langweilig ? Können ja nicht alle Stimmungskanonen sein, aber der Arsch ist doch geil, oder? Dick und belastbar? Ach komm, der schwitzt doch schon, wenn er sich ein Papiertaschentuch aus der Tüte zieht. Dünn und unsportlich?
Na und – muss doch nicht jeder Weltrekord laufen können. So ist die Welt. Wenn Dünne irgendetwas nicht können, wird mit Verständnis reagiert und betont, dass das doch gar nicht so wichtig sei. Können Dicke irgendetwas nicht, wendet man sich mit Abscheu ab und hat schon immer gewusst, dass Dicke außer fressen und schlafen eben nichts richtig können. Dick ist eben unattraktiv. Sie nicken? Aha. Und wann waren Sie das letzte Mal in einem Zoo?
Zoologische Gärten und Tierparks sind gute Plätze, um die Qualität dieser Aussage zu überprüfen. Achten Sie doch mal darauf, vor welchen Gehegen die meisten Menschen stehen. Sind es die der Gazellen? Oder der Zwergwachteln? Falsch, ganz falsch. Interessant wird’s bei den dicken Tieren. Elefanten und Bären etwa. Da steht das geneigte Publikum und erfreut sich am Anblick schierer Masse. So etwas wie Wohlbehagen ist zu spüren, ein Grundvertrauen in die Ordnung der Welt scheint sich beim Anblick tonnenschwerer Dickhäuter und zotteliger Schwergewichte beruhigend in den Köpfen der Betrachter auszubreiten. Ein dünner Elefant ? Skandal ! Ein magerer Bär? Der ist doch bestimmt krank. Ein Walross mit schlanker Taille, ein Nashorn, bei dem man die Rippen zählen kann? Igitt! Kriegen die etwa nicht genug zu fressen?
Dick macht eben was her, dick liegt vorn. Jedenfalls bis zum Ausgang. Komische Welt, so’n Zoo, das müssen Sie zugeben. Oder ist die Welt auf der anderen Seite des Zaunes komisch?
Sie können ja mal darüber nachdenken, wenn Sie mögen.
Ich will ja gar nicht, dass Sie ab sofort Dicke ganz toll finden. Ich fände es nur schön, wenn Sie nach dem ersten Blick auch einen zweiten riskieren würden. Glauben Sie mir, es gibt viel zu entdecken. Mindestens so viel, wie Sie bislang bei Dünnen entdeckt haben. Das war nicht wenig. Habe ich recht?
2. Auflage 2009
© Westend Verlag Frankfurt/Main
in der Piper Verlag GmbH, München 2009
Wie wir wissen, sind in der Landwirtschaft fettes Gras und fette Böden sehr beliebt. Über den IQ des Bauern, der immer mit den dicksten Kartoffeln auf dem Markt abhängt, müssen wir uns an dieser Stelle aber keine Gedanken machen. Schon eher darüber, dass dicker Spargel auch in diesem Jahr wieder deutlich mehr kostete als dünner Spargel. Pro Kilo natürlich, nicht etwa pro Stange, hallo, für wie blöd halten Sie mich eigentlich?
Dass ich gerade etwas schmallippig wirke, liegt an meiner hohen Sensibilität, da ist man natürlich sehr viel schneller genervt als diese Buddha-Typen mit dem dicken Fell, die gehen nicht so schnell an die Decke. Aber als Sensibelchen ist man eben auf ziemlich dünnem Eis unterwegs, also sozial gesehen. Wenn man da nicht aufpasst und zu oft an die Decke geht, wird auch die Luft ganz schön dünn, was die Beliebtheit bei Freunden angeht. Bloß gut, dass man mit einem dicken Blumenstrauß die Sache meistens wieder gerade rücken kann. Wobei dicke Blumensträuße natürlich nur möglich sind, wenn man entsprechend dicke Kohle hat, ein mageres Konto wäre da eher hinderlich.
Und so weiter und so weiter. Dickes und Fettes sind in der Sprache deutlich häufiger positiv besetzt als Dünnes, Dürres und Mageres. Seltsam, oder? Schließlich leben wir in einer Welt, in der dicke Menschen keine guten Karten haben. Dick zu sein heißt in der Regel, von seinen Mitmenschen als disziplinlos, willensschwach, nicht durchsetzungsfähig und unattraktiv wahrgenommen zu werden. Dick – ein ganz großes Pfui in der Welt der Schönen und Dünnen. Einer Welt, die vor allem von den nicht ganz so schönen und dünnen Konsumenten bunter Blätter und bizarrer Casting-Shows bis aufs Messer verteidigt wird.
Hochwillkommen bei diesen selbsternannten Koryphäen idealer Figuren und Gewichte sind alle, die durchfallen in den Disziplinen rigoroser Eitelkeit und seelenlosen Körperkults.
Sind sie doch wunderbare Hass- und Ekelobjekte. Ihre scheinbar unüberwindbare Entfernung vom Ideal lenkt wohltuend davon ab, dass der eigene Körper von der totalen Deckungsgleichheit mit einem Heidi-Klum-Modell leider etliche Zentimeter und Kilos getrennt ist. Schade, nicht so ganz vollkommen zu sein, aber was sind schon ein paar Zentimeter gegen die Lichtjahre, die einen XXL-Körper von Größe vierunddreißig unterscheiden?
Der Zeigefinger wird gern und schnell ausgestreckt. » Zeigt euch, Dicke – wir wollen uns gruseln und gut fühlen. Gruseln vor eurer Masse, gut fühlen, weil wir auf dem richtigen Weg sind. Zeigt euch, damit wir uns anschauen können, was wir nie-nie-nie sein wollen. Seid unser Spiegel, damit wir uns schön fühlen können, überlegen, wunderbar und der Vollkommenheit so nah.«
Fast scheint es, als hätten Dicke eine gesellschaftliche Aufgabe.
Ombudsmann und Ombudsfrau im permanenten Streit zwischen Selbstbild und dem von den Medien präsentierten Idealkörper, millionenfach ausgetragen in den Köpfen verunsicherter Frauen und Männer, die in ihrem Portfolio existentiell wichtiger Marken – Lacoste, Boss, Polo, Hilfiger und wie sie alle heißen – die Götzen » schlank « und » schön « als Tempelwächter installieren.
Der Schmerz, den die Abweichung des eigenen Spiegelbildes vom Fernsehbild des Supermodells verursacht, wird durch den Anblick dicker Menschen gelindert. Beschwichtigender, aufbauender Ekel hilft, den eigenen Makel zu ertragen. Dünne, wir lieben euch, wir sind dankbar für die grandiose Aufgabe, die ihr uns stellt, für das wundervolle Lebensgefühl, dass uns der nicht enden wollende Abruf unserer unerschöpflichen Empathieressourcen vermittelt. Ja, wir sind gern der grazile Vogel, der dem fetten Krokodil das Ungeziefer aus der schartigen Haut pickt.
Aber leider stimmt das Bild nicht. Ihr seid dünne Krokodile, wir sind fette Vögel. Und darum gibt es zwischen uns auch keine der im Tierreich so segensreichen Symbiosen. Schade. Unser Zusammenleben wäre sicher angenehmer.
Wobei Dicke eigentlich gar kein Problem haben mit Dünnen. Probleme haben Dicke nur mit der Reduzierung ihrer Person auf das Dicksein. Es geht nur noch darum. Ein Blick genügt. Dick ? Alles klar.
Kein Dünner wird derart in einer Schublade verstaut. Und die Schublade wird immer voller. Antriebsschwach. Unbeweglich. Langsam. Unsexy. Verfressen. Suchttyp. Nicht belastbar. Unsportlich. Dick eben.
Und die Dünnen? Dünn sieht man auch auf den ersten Blick. Aber das heißt diesmal nicht, dass Schluss ist mit der Wahrnehmung. Bei Dünnen hält man es für möglich, dass neben dem Dünnsein noch andere Eigenschaften vorhanden sein könnten. Dicke sind dick. Und zwar ausschließlich. Dünne können außer dünn auch noch unbeweglich oder supersportlich sein, aufgedreht oder antriebsschwach, charmant oder stoffelig, humorvoll oder stinkstiefelig, sexy oder uninteressant, energiegeladen oder couchkartoffelig, intelligent oder doof wie Brot. Dünne dürfen alles sein. Dicke nur dick.
Das ist wie mit den Auto- und den Motorradfahrern. Ein Autofahrer, der riskant fährt und sich nicht an die Verkehrsregeln hält, ist für die anderen Verkehrsteilnehmer ein Idiot. Also ein Einzelwesen, das sich schlecht benimmt. Kommt eben vor.
Fährt hingegen ein Motorradfahrer riskant und ohne Verkehrsregeln zu beachten, wird er nicht als Person beschimpft, sondern stellvertretend für eine ganze Bevölkerungsgruppe:
»Diese Idioten, die haben doch alle ein Rad ab, Scheißmotorradfahrer!«
Dicke sind so etwas wie die Motorradfahrer des Sozialverkehrs.
Dünne die Autofahrer. Der Anblick eines anorektischen jungen Mädchens löst Mitleid für genau diese Person aus. » Das arme Kind sollte aber wirklich mehr essen. Haben die Eltern keine Augen im Kopf?« Wagt sich hingegen ein stark übergewichtiger Junge ins Blickfeld, ist ganz sicher kein Mitleid angesagt.
»Wahnsinn, es gibt wirklich immer mehr fette Kinder. Warum machen die eigentlich alle keinen Sport? Haben die keinen Spiegel zu Hause?«
Das ist nicht fair. Auch Dicke haben ein Recht auf individuelle Wahrnehmung. Finde ich. Aber wen interessiert das schon? Die Welt besteht aus zwei Lagern, schwarz und weiß reichen als Farben völlig aus. So lebt es sich prima, und bitte keinen Stress, die ganze Diskutiererei bringt doch eh nichts.
Dick und sexy ? Haha, Märchen lese ich schon lange nicht mehr. Dünn und langweilig ? Können ja nicht alle Stimmungskanonen sein, aber der Arsch ist doch geil, oder? Dick und belastbar? Ach komm, der schwitzt doch schon, wenn er sich ein Papiertaschentuch aus der Tüte zieht. Dünn und unsportlich?
Na und – muss doch nicht jeder Weltrekord laufen können. So ist die Welt. Wenn Dünne irgendetwas nicht können, wird mit Verständnis reagiert und betont, dass das doch gar nicht so wichtig sei. Können Dicke irgendetwas nicht, wendet man sich mit Abscheu ab und hat schon immer gewusst, dass Dicke außer fressen und schlafen eben nichts richtig können. Dick ist eben unattraktiv. Sie nicken? Aha. Und wann waren Sie das letzte Mal in einem Zoo?
Zoologische Gärten und Tierparks sind gute Plätze, um die Qualität dieser Aussage zu überprüfen. Achten Sie doch mal darauf, vor welchen Gehegen die meisten Menschen stehen. Sind es die der Gazellen? Oder der Zwergwachteln? Falsch, ganz falsch. Interessant wird’s bei den dicken Tieren. Elefanten und Bären etwa. Da steht das geneigte Publikum und erfreut sich am Anblick schierer Masse. So etwas wie Wohlbehagen ist zu spüren, ein Grundvertrauen in die Ordnung der Welt scheint sich beim Anblick tonnenschwerer Dickhäuter und zotteliger Schwergewichte beruhigend in den Köpfen der Betrachter auszubreiten. Ein dünner Elefant ? Skandal ! Ein magerer Bär? Der ist doch bestimmt krank. Ein Walross mit schlanker Taille, ein Nashorn, bei dem man die Rippen zählen kann? Igitt! Kriegen die etwa nicht genug zu fressen?
Dick macht eben was her, dick liegt vorn. Jedenfalls bis zum Ausgang. Komische Welt, so’n Zoo, das müssen Sie zugeben. Oder ist die Welt auf der anderen Seite des Zaunes komisch?
Sie können ja mal darüber nachdenken, wenn Sie mögen.
Ich will ja gar nicht, dass Sie ab sofort Dicke ganz toll finden. Ich fände es nur schön, wenn Sie nach dem ersten Blick auch einen zweiten riskieren würden. Glauben Sie mir, es gibt viel zu entdecken. Mindestens so viel, wie Sie bislang bei Dünnen entdeckt haben. Das war nicht wenig. Habe ich recht?
2. Auflage 2009
© Westend Verlag Frankfurt/Main
in der Piper Verlag GmbH, München 2009
... weniger
Autoren-Porträt von Rainer Hunold
Rainer Hunold studierte Kunstpädagogik, Bildhauerei und Germanistik, ehe er sich der Schauspielerei zuwandte. Ab 1975 erste Fernsehrollen: In 90 Folgen »Ein Fall für Zwei« und 140 Folgen »Dr. Sommerfeldt - Neues vom Bülowbogen« war Hunold beliebter Serienprotagonist. 1992 Grimme-Preis in Gold für »Kollege Otto«. Zudem ist er erfolgreicher Drehbuchautor.
Bibliographische Angaben
- Autor: Rainer Hunold
- 2009, 218 Seiten, Maße: 14,3 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: WEST END
- ISBN-10: 3938060271
- ISBN-13: 9783938060278
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