Ich bin Profiler
Eine Frau auf der Jagd nach Serienkillern und Psychopathen
Erstmals gewährt ein weiblicher Profiler Einblicke in die Jagd nach Serienkillern und Psychopathen. Pat Browns Arbeit beginnt dort, wo die Polizei am Ende ist. Mit ihrem Spürsinn und ihrer Erfahrung löst Pat Fälle, die oft schon vor...
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Produktinformationen zu „Ich bin Profiler “
Erstmals gewährt ein weiblicher Profiler Einblicke in die Jagd nach Serienkillern und Psychopathen. Pat Browns Arbeit beginnt dort, wo die Polizei am Ende ist. Mit ihrem Spürsinn und ihrer Erfahrung löst Pat Fälle, die oft schon vor Jahren als ungeklärt zu den Akten wanderten.
Klappentext zu „Ich bin Profiler “
Eine junge Frau, brutal ermordet. Eine Bibliothekarin, tot in einem Einbauschrank ihrer Wohnung. Ein Mann, erschossen und von einer Brücke gestoßen. Pat Browns Arbeit beginnt, wo die Polizei nicht weiterweiß. Dank ihres besonderen Spürsinns hat die erfahrene Profilerin viele Verbrechen gelöst, zum Teil Jahre, nachdem die Polizei die Suche aufgab. Dies sind ihre spannendsten Fälle.
Lese-Probe zu „Ich bin Profiler “
Ich bin Profiler von Pat Brown mit Bob AndelmanEINFÜHRUNG
Der einzige Zeuge des Verbrechens sprach kein Wort. Als ich endlich dazu kam, mit der Mutter des Opfers zu sprechen, war der Fall bereits Schnee von gestern. Drei Jahre lag der Mord an der attraktiven jungen Frau zurück; sie war in ihrer Wohnung erdrosselt worden, wo sie allein mit ihrem afrikanischen Graupapagei lebte. Als die Polizei eintraf, fand sie den Tatort geradezu friedlich vor. In der Wohnung war nichts angerührt worden - mit Ausnahme der Bewohnerin. Sie lag im Wohnzimmer tot auf dem Boden. Es gab vier potentielle Verdächtige in diesem Mordfall: zwei Männer, mit denen sie Beziehungen unterhielt, einen geschiedenen Ehemann, der außerhalb der Stadt lebte, und eine bis dato noch nicht identifizierte Person, möglicherweise ein Handwerker oder jemand aus der Nachbarschaft. Den Schlüssel, der die Identität des Mörders enthüllte, besaß einzig der schweigende Zeuge: der afrikanische Graupapagei. Sobald die Polizei den Tatort freigegeben hatte, verpackte die am Boden zerstörte Mutter die Besitztümer ihrer toten Tochter in Kisten und trug diese zusammen mit dem Papagei nach Hause. Sie lagerte die Kisten in der Garage ein und stellte sich den Käfig mit dem Papagei ins Schlafzimmer. Sie war gerade dabei, in den Schlaf hi nüberzugleiten, als eine entsetzte Stimme sie mit einem Schlag ins Bewusstsein zurückriss. »Was machst du hier? Was machst du hier? Auuuu!«, schrie die Stimme. Außer ihr und dem Papagei war niemand im Raum. Die Mutter berichtete der Polizei von dem Vorfall, stieß aber mit ihrer Behauptung, der Papagei ahme ihre Tochter und den Angriff auf sie nach, auf Skepsis. Sie sage die Wahrheit, beharrte die Mutter, der Papagei wiederhole dieselben Worte wieder und wieder. Niemand schenkte ihr Glauben, und mit der Zeit sprach der Papagei die Frage immer seltener aus, bis er sie
... mehr
schließlich vergaß.
Die Geschichte war merkwürdig, sie klang, als habe ein Dreh buchautor aus Hollywood sie sich ausgedacht. Mich aber interessierte sie, also befragte ich einen Ornithologen nach der Glaubwürdigkeit des Vogels. Es stellte sich he raus, dass afrikanische Graupapageien begabt da rin sind, Worte und Laute aufzuschnappen, vor allem ältere, erfahrene Vögel wie das Exemplar, um das es sich hier handelte. Ein solcher Papagei neigt dazu, Sätze, die mit emotionalem Aufwand vorgetragen werden, und ungewöhnliche Laute zu wiederholen. Der Experte hielt es durchaus für möglich, dass der Papagei das letzte Ereignis im Leben der jungen Frau wiedergegeben hatte. Wenn man dem Papagei trauen konnte, so handelte es sich bei dem Täter höchstwahrscheinlich um den Exmann. Das Opfer wäre wohl kaum derartig überrascht oder erschrocken gewesen, einen der Männer zu sehen, mit denen sie Beziehungen unterhielt, und sie hätte auch auf keinen Nachbarn oder Handwerker in so dramatischer Weise reagiert. Einzig der geschiedene Ehemann hätte ihr eine derartige Reaktion entlocken können. Es war zu spät, den Papagei zu vernehmen. Der Mörder würde nie einen Gerichtssaal von innen sehen. Schon sehr früh in meiner Laufbahn als Profiler begann ich zu begreifen, dass wir zwar am Ende des Fernsehkrimis mit einem Gefühl der Genugtuung das Gerät ausschalten, dass aber im wirklichen Leben Gerechtigkeit ein seltener Luxus ist. Etwas muss geschehen, um diese Wirklichkeit zu ändern, und ein Teil dieses »Etwas« ist das kriminalistische Profiling.
TEIL 1 - DIE GRENZE
Kapitel 1: Anne - Der Mord
Noch nie war in meiner Stadt jemand ermordet worden. Das erste Haus der Gemeinde - mein Haus - war im achtzehnten Jahrhundert auf dem endlosen Ackerland Marylands errichtet worden. Zahllose interessante Dinge hatten sich im Laufe der Jahrhunderte hier ereignet, aber die gewaltsame Ermordung eines Menschen hatte die Stadt noch nie erlebt. Ich war bis zum Sonntag unterwegs gewesen. An jenem Morgen kehrte ich in die Stadt zurück und war kaum ein paar Minuten zu Hause, als die grauenvolle Nachricht mich erreichte.
Das Telefon klingelte. Am Apparat war meine beste Freundin Terry, die nur zwei Häuser weiter wohnte.
»Hast du schon gehört?«, fragte sie fassungslos. In ihrer Stimme schwang Bestürzung mit.
»Was denn gehört?« Als ich in die Sixtieth Street eingebogen war, hatte ich nichts Ungewöhnliches bemerkt. Keine Feuerwehrzüge oder Krankenwagen säumten die Straße. Die Stadt wirkte heiter. Die einzige Bewegung verursachte der leichte Wind, der jedoch auf die drückende Hitze jenes schwülen Frühsommertages, des dritten Juni, so gut wie keine Wirkung hatte.
»In dem Bach beim Softball-Feld ist eine junge Frau gefunden worden - ermordet.«
»Was?«
»Ach, es ist einfach entsetzlich. Einer der Männer, die heute früh für die Softball-Liga spielten, hat einen Ball gesucht, der ins Wasser gefallen war, und dabei hat er die nackte Leiche einer Frau gefunden. Sie wurde direkt ans Ufer geschwemmt.« Mir wurde übel. Ich könnte sie gekannt haben, war mein erster Gedanke, sie könnte eine Nachbarin gewesen sein, eine Freundin oder die Mutter eines der Kinder aus dem Ort. Ich holte tief Luft.
»Wissen sie schon, wer sie ist?«
»Nein, noch nicht. Ich habe nur gehört, dass sie jung sein soll, Anfang zwanzig oder jünger. Man hat ihre Kleidung und einen Walkman gefunden, offenbar hatte sie gejoggt. Die Polizei nimmt an, dass sie gestern getötet wurde, vermutlich in der Abenddämmerung, denn bei Tageslicht hat sie kein Mensch gesehen. Sie scheint nicht aus dem Ort zu stammen. «
Die Hoffnung, dass ich sie nicht gekannt hatte, verschaffte mir ein wenig Erleichterung.
Mit dem nagenden, beklemmenden Gefühl, in irgendeiner Weise stärker mit dieser Sache verbunden zu sein, als ich sollte, legte ich den Hörer auf. Eine Minute lang beruhigte ich mich mit dem Gedanken, dass mir die Nachricht von einer solchen Tragödie einen Schock versetzt hatte und ich deshalb so empfand.
Oder vielleicht lag es da ran, dass der grausame Mord ausgerechnet in der Nähe des Spielfelds geschehen war, wo ich so viele fröhliche Stunden damit verbracht hatte, meinen Sohn und sein Baseball-Team anzufeuern. Aber das Gefühl, das ich hatte, war anders. Unheimlicher. Irgendetwas war im Haus nicht in Ordnung. Ein böser Geist war bei uns eingezogen, und der hatte mit dem Gespenst, den frühere Bewohner auf dem Treppenabsatz gesehen haben wollten, nicht das Geringste zu tun. Ich machte meinen Kindern etwas zum Mittagessen und versuchte, mich abzulenken. Die Kinder aßen ihre Sandwichs und gingen zum Spielen nach draußen. Während ich das Geschirr ins Spülbecken räumte, kam Walt Williams, unser neuester Untermieter, aus seinem Zimmer die Treppe hinunter und zur Küchentür he rein. Das Gefühl der Beklommenheit schwoll an.
Walt. Es hatte etwas mit Walt zu tun.
Jahre später sollte ich das Bild von Walt Williams, das ich damals der Polizei gezeigt hatte, wieder ausgraben und es anstarren. Es war das Foto, das ich während eines Kirchenausflugs zum Freizeitpark Six Flags in einer der Vorstädte Marylands, kurz vor Washington, D. C., gemacht hatte. Walt, ein vierundzwanzigjähriger Afro-Amerikaner, trug blaukarierte Shorts und ein weißes T-Shirt mit kurzen Ärmeln. Er hielt die Hand eines hingerissenen, kichernden Mädchens in der Vorpubertät, das sich allem Anschein nach in ihn verguckt hatte. Er grinste selbstgefällig, sah von dem Mädchen weg und reckte das Kinn in die Höhe. Mit seinem jungenhaften Gesicht und dem leicht pummeligen Körper wirkte er entweder arrogant oder unbeholfen, je nachdem, wie man das Foto deutete.
Meine Kinder waren auch auf dem Bild zu sehen, was mich etwas schaudern ließ; meine achtjährige Tochter Jennifer mit ihrem fransigen fliegenden Haar, das sie der Genmischung ihrer blonden Mutter und ihres jamaikanischen Vaters verdankt, und mein Sohn David, sechs Jahre alt, der eher hispanisch wirkt, was Lateinamerikaner grundsätzlich zu der Feststellung veranlasst:
»Oh, Ihr Mann stammt aus Mexiko!«
Walt, der seit einer Woche unser Mieter war, hatte sich diesem Ausflug in den Freizeitpark eher widerstrebend angeschlossen. Obwohl er zunächst Begeisterung bekundet hatte, als wir ihn fragten, ob er helfen wolle, die Teenager der Gemeinde zu beaufsichtigen, ließ er sich an dem Morgen, als mein Mann Tony und ich schon zum Aufbruch bereit waren, nicht blicken. Er war nicht zum Frühstück he run tergekommen und auch nicht im Flur erschienen.
»Walt?«, rief ich hi nauf zu seinem Zimmer über der Küche.
»Kommst du?«
»Oh«, vernahm ich eine gedämpfte Stimme durch die Tür.
»Ich habe noch geschlafen.«
»Dann beeil dich. Wir wollen in zehn Minuten los. Wir warten auf dich.«
Mein Mann verdrehte die Augen. Er war von Walts Einzug nicht gerade begeistert gewesen, aber ohne diesen hätte er einen zweiten Job annehmen müssen, um die Rechnungen bezahlen zu können. Ihm hatte die Vorstellung, jemanden im Haus zu haben, der nicht zur Familie gehörte, nie gefallen, aber unsere Studenten, die aus aller Herren Länder stammten und bar bezahlten, tolerierte er. Dass Walt bei uns wohnte, bereitete ihm mehr Unbehagen, denn seiner Meinung nach hätte ein werktätiger Mann dieses Alters nicht in einem möblierten Zimmer wohnen sollen. Auch war er der Ansicht, Walt sei zu alt, um verrückt nach Dungeons & Dragons und Comic-Heften zu sein.
»Na ja, er ist eben ein bisschen unreif«, hatte ich den neuen Mieter in Schutz genommen, der damals mit meiner Freundin Kim liiert war. Ein paar Wochen zuvor hatte Walt sich in ihrer Firma um einen Job in der Poststelle beworben, und sie war die Zuständige in der Personalabteilung, die seine Bewerbung prüfte und ihn einstellte. Jetzt waren die beiden ein Paar, und sie fragte uns, ob wir ihm nicht ein Zimmer vermieten könnten. Walt suchte nach einer neuen Unterkunft. Er wollte den Gottesdienst in unserer Kirche besuchen und in Kims Nähe wohnen. Kim war eine Seele von Mensch, die Art von Frau, die ständig Leuten dabei half, ihr Leben zu verbessern. Sie versicherte uns, er nähme keine Drogen, trinke keinen Alkohol und rauche nicht. Aus der Air Force war er in Ehren entlassen worden, und seine berufliche Laufbahn war ordentlich. Wir brauchten die Miete für das Zimmer wirklich dringend, da ich als Mut ter nicht berufstätig war, also ließ ich mich auf den Versuch ein und vereinbarte ein Vorstellungsgespräch. Er wirkte wie ein netter Kerl auf mich, und da mein Mann und ich gerade dabei waren, Jeremy, einen sechsjährigen Jungen aus der Pflegevermittlung von Delaware, zu adoptieren, baten wir Walt außerdem, sich auf dem örtlichen Polizeirevier die Fingerabdrücke abnehmen zu lassen. Ohne Zögern erklärte er sich dazu bereit, und wir beschlossen, ihm das Zimmer zu geben. »Er ist sonderbar«, sagte Tony ein paar Tage später. »Er spricht nicht mit Männern, wie Männer sonst untereinander reden. Ehrlich gesagt, ich glaube, er weicht mir aus.« Ich musste Tony recht geben: Walt war kein typischer Mann, keiner von denen, die sich in Gruppen von Männern wohlfühlen, Bier trinken, über Sport fachsimpeln und zusammen zum Golf oder zum Fischen gehen. Er interessierte sich mehr für Computerspiele. Walt war anders als andere Männer, aber gerade aus diesem Grund war ich bereit, ihm eine Chance zu geben. Statt sich auf Partys, in Bars und Abenteuer zu stürzen, machte Walt einen eher religiösen Eindruck und hatte strikte moralische Ansichten - so eine Art Pfadfinder. Es gab noch einen anderen Grund, der mich dazu brachte, nicht allzu streng über ihn zu urteilen: Seit wir von jedem neuen Mieter die Abnahme der Fingerabdrücke verlangten, waren die Bewerbungen unserer chinesischen Studenten ausgeblieben - sie fanden den Gang aufs Polizeirevier wohl allzu merkwürdig. Das Zimmer stand leer, und wir konnten es uns nicht leisten, wählerisch zu sein. Außerdem erinnerte ich mich da ran, dass eine Menge Leute ein bisschen »anders« waren, was sie schließlich nicht zu schlechten Menschen machte. Meine Freundin Kim mochte ihn, und sie war eine vernünftige Frau. Der Tag im Six-Flags-Park machte den Teenagern eine Menge Spaß, aber als ich mich umsah, stellte ich fest, dass uns ein Betreuer fehlte. Walt war verschwunden.
»Hast du Walt gesehen?«, fragte ich Tony.
»Nein.«
Wir beschlossen, rasch den Park abzusuchen, aber er war nirgends zu finden. Auch von den anderen Betreuern der Gemeinde hatte ihn niemand gesehen. Zwanzig Minuten vor unserem geplanten Aufbruch tauchte Walt plötzlich beim Ausgang auf. Sprachlos starrten Tony und ich die Erscheinung vor unseren Augen an. Walt trug jetzt eine lange schwarze Hose, ein durchsichtiges schwarzes Netzhemd und ein schwarzes Stirnband. Seine Hände steckten in fingerlosen schwarzen Handschuhen. Für einen Kirchenausflug mit Teenagern war er völlig unangemessen gekleidet, und die Tatsache, dass er verschwunden war und sich umgezogen hatte, brachte uns außer Fassung. Damals hatte ich nicht den Mut, Walt intensiv zu befragen und seinem seltsamen Verhalten auf den Grund zu gehen. Stattdessen fragte ich lediglich: »Wo bist du denn die ganze Zeit gewesen?« Er lächelte nur, warf sich seinen Rucksack über die Schultern und ignorierte die Frage, da zwei kichernde Mädchen aus der Gemeinde auf ihn zustürmten und ihn an den Armen packten. Tony und ich tauschten einen Blick, der »Was stimmt nicht mit diesem Burschen?« bedeutete, dann schüttelten wir die Köpfe, sammelten die Kinder ein und machten uns auf den Weg zum Wagen. Während wir aus der Parklücke fuhren, klappte ich auf der Beifahrerseite den Sonnenschutz he runter, als wollte ich meine Frisur überprüfen, und beobachtete dabei Walts Spiegelbild. Er saß reglos, mit verschränkten Armen zwischen Jennifer und David auf der Rückbank und schenkte ihrem Gespräch über die Fahrgeschäfte keine Beachtung. Von den übrigen Insassen des Wagens schien er weit entfernt, und seine Augen versteckten sich hinter einer dunklen Sonnenbrille. Irgendetwas stimmte definitiv nicht mit diesem Kerl.
Leider wohnte er aber inzwischen in meinem Haus und besaß gewisse Rechte. Das Gesetz gestattet Hausbesitzern nicht, ihre Familien zu schützen, indem sie ihre Mieter hinauswerfen, nur weil sie den Eindruck haben, diese seien ein bisschen merkwürdig. Ich konnte niemanden ohne Grund an die Luft setzen, und Walt hatte keine Regel der Hausordnung verletzt. Ich sagte mir, dass ich mich zu sehr auf seine Marotten statt auf seine Qualitäten konzentrierte. Walt war freundlich, oft gesprächig, und er war keiner, der sich beklagte. Wir hatten sogar ein paar Dinge gemeinsam: Wir konnten beide Karate, wir schrieben beide Erzählungen, und wir gingen beide gern ins Kino. Wir hatten einige angenehme Gespräche geführt, und Walt war zu keinem Mitglied der Familie je unfreundlich. Den Kindern gegenüber hatte er sich nie unangemessen verhalten, und sie waren sowieso nie mit ihm allein, das war also kein Prob lem. Ich beschloss, ihn einfach im Auge zu behalten. Sollten sich irgendwelche echten Alarmzeichen zeigen, so würden wir ihn bitten, auszuziehen und dabei die Kündigungsfrist einhalten, die der Gesetzgeber vorschrieb.
Deutsche Erstausgabe
Für die Originalausgabe: Copyright © 2010 by Pat Brown
Titel der amerikanischen Originalausgabe: »THE PROFILER«
Originalverlag: Voice
Originally published in the United States and Canada by Voice as PROFILER.
This Translated edition published by arrangement with Hyperion.
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2011 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
ISBN 978-3-404-60003-8
Die Geschichte war merkwürdig, sie klang, als habe ein Dreh buchautor aus Hollywood sie sich ausgedacht. Mich aber interessierte sie, also befragte ich einen Ornithologen nach der Glaubwürdigkeit des Vogels. Es stellte sich he raus, dass afrikanische Graupapageien begabt da rin sind, Worte und Laute aufzuschnappen, vor allem ältere, erfahrene Vögel wie das Exemplar, um das es sich hier handelte. Ein solcher Papagei neigt dazu, Sätze, die mit emotionalem Aufwand vorgetragen werden, und ungewöhnliche Laute zu wiederholen. Der Experte hielt es durchaus für möglich, dass der Papagei das letzte Ereignis im Leben der jungen Frau wiedergegeben hatte. Wenn man dem Papagei trauen konnte, so handelte es sich bei dem Täter höchstwahrscheinlich um den Exmann. Das Opfer wäre wohl kaum derartig überrascht oder erschrocken gewesen, einen der Männer zu sehen, mit denen sie Beziehungen unterhielt, und sie hätte auch auf keinen Nachbarn oder Handwerker in so dramatischer Weise reagiert. Einzig der geschiedene Ehemann hätte ihr eine derartige Reaktion entlocken können. Es war zu spät, den Papagei zu vernehmen. Der Mörder würde nie einen Gerichtssaal von innen sehen. Schon sehr früh in meiner Laufbahn als Profiler begann ich zu begreifen, dass wir zwar am Ende des Fernsehkrimis mit einem Gefühl der Genugtuung das Gerät ausschalten, dass aber im wirklichen Leben Gerechtigkeit ein seltener Luxus ist. Etwas muss geschehen, um diese Wirklichkeit zu ändern, und ein Teil dieses »Etwas« ist das kriminalistische Profiling.
TEIL 1 - DIE GRENZE
Kapitel 1: Anne - Der Mord
Noch nie war in meiner Stadt jemand ermordet worden. Das erste Haus der Gemeinde - mein Haus - war im achtzehnten Jahrhundert auf dem endlosen Ackerland Marylands errichtet worden. Zahllose interessante Dinge hatten sich im Laufe der Jahrhunderte hier ereignet, aber die gewaltsame Ermordung eines Menschen hatte die Stadt noch nie erlebt. Ich war bis zum Sonntag unterwegs gewesen. An jenem Morgen kehrte ich in die Stadt zurück und war kaum ein paar Minuten zu Hause, als die grauenvolle Nachricht mich erreichte.
Das Telefon klingelte. Am Apparat war meine beste Freundin Terry, die nur zwei Häuser weiter wohnte.
»Hast du schon gehört?«, fragte sie fassungslos. In ihrer Stimme schwang Bestürzung mit.
»Was denn gehört?« Als ich in die Sixtieth Street eingebogen war, hatte ich nichts Ungewöhnliches bemerkt. Keine Feuerwehrzüge oder Krankenwagen säumten die Straße. Die Stadt wirkte heiter. Die einzige Bewegung verursachte der leichte Wind, der jedoch auf die drückende Hitze jenes schwülen Frühsommertages, des dritten Juni, so gut wie keine Wirkung hatte.
»In dem Bach beim Softball-Feld ist eine junge Frau gefunden worden - ermordet.«
»Was?«
»Ach, es ist einfach entsetzlich. Einer der Männer, die heute früh für die Softball-Liga spielten, hat einen Ball gesucht, der ins Wasser gefallen war, und dabei hat er die nackte Leiche einer Frau gefunden. Sie wurde direkt ans Ufer geschwemmt.« Mir wurde übel. Ich könnte sie gekannt haben, war mein erster Gedanke, sie könnte eine Nachbarin gewesen sein, eine Freundin oder die Mutter eines der Kinder aus dem Ort. Ich holte tief Luft.
»Wissen sie schon, wer sie ist?«
»Nein, noch nicht. Ich habe nur gehört, dass sie jung sein soll, Anfang zwanzig oder jünger. Man hat ihre Kleidung und einen Walkman gefunden, offenbar hatte sie gejoggt. Die Polizei nimmt an, dass sie gestern getötet wurde, vermutlich in der Abenddämmerung, denn bei Tageslicht hat sie kein Mensch gesehen. Sie scheint nicht aus dem Ort zu stammen. «
Die Hoffnung, dass ich sie nicht gekannt hatte, verschaffte mir ein wenig Erleichterung.
Mit dem nagenden, beklemmenden Gefühl, in irgendeiner Weise stärker mit dieser Sache verbunden zu sein, als ich sollte, legte ich den Hörer auf. Eine Minute lang beruhigte ich mich mit dem Gedanken, dass mir die Nachricht von einer solchen Tragödie einen Schock versetzt hatte und ich deshalb so empfand.
Oder vielleicht lag es da ran, dass der grausame Mord ausgerechnet in der Nähe des Spielfelds geschehen war, wo ich so viele fröhliche Stunden damit verbracht hatte, meinen Sohn und sein Baseball-Team anzufeuern. Aber das Gefühl, das ich hatte, war anders. Unheimlicher. Irgendetwas war im Haus nicht in Ordnung. Ein böser Geist war bei uns eingezogen, und der hatte mit dem Gespenst, den frühere Bewohner auf dem Treppenabsatz gesehen haben wollten, nicht das Geringste zu tun. Ich machte meinen Kindern etwas zum Mittagessen und versuchte, mich abzulenken. Die Kinder aßen ihre Sandwichs und gingen zum Spielen nach draußen. Während ich das Geschirr ins Spülbecken räumte, kam Walt Williams, unser neuester Untermieter, aus seinem Zimmer die Treppe hinunter und zur Küchentür he rein. Das Gefühl der Beklommenheit schwoll an.
Walt. Es hatte etwas mit Walt zu tun.
Jahre später sollte ich das Bild von Walt Williams, das ich damals der Polizei gezeigt hatte, wieder ausgraben und es anstarren. Es war das Foto, das ich während eines Kirchenausflugs zum Freizeitpark Six Flags in einer der Vorstädte Marylands, kurz vor Washington, D. C., gemacht hatte. Walt, ein vierundzwanzigjähriger Afro-Amerikaner, trug blaukarierte Shorts und ein weißes T-Shirt mit kurzen Ärmeln. Er hielt die Hand eines hingerissenen, kichernden Mädchens in der Vorpubertät, das sich allem Anschein nach in ihn verguckt hatte. Er grinste selbstgefällig, sah von dem Mädchen weg und reckte das Kinn in die Höhe. Mit seinem jungenhaften Gesicht und dem leicht pummeligen Körper wirkte er entweder arrogant oder unbeholfen, je nachdem, wie man das Foto deutete.
Meine Kinder waren auch auf dem Bild zu sehen, was mich etwas schaudern ließ; meine achtjährige Tochter Jennifer mit ihrem fransigen fliegenden Haar, das sie der Genmischung ihrer blonden Mutter und ihres jamaikanischen Vaters verdankt, und mein Sohn David, sechs Jahre alt, der eher hispanisch wirkt, was Lateinamerikaner grundsätzlich zu der Feststellung veranlasst:
»Oh, Ihr Mann stammt aus Mexiko!«
Walt, der seit einer Woche unser Mieter war, hatte sich diesem Ausflug in den Freizeitpark eher widerstrebend angeschlossen. Obwohl er zunächst Begeisterung bekundet hatte, als wir ihn fragten, ob er helfen wolle, die Teenager der Gemeinde zu beaufsichtigen, ließ er sich an dem Morgen, als mein Mann Tony und ich schon zum Aufbruch bereit waren, nicht blicken. Er war nicht zum Frühstück he run tergekommen und auch nicht im Flur erschienen.
»Walt?«, rief ich hi nauf zu seinem Zimmer über der Küche.
»Kommst du?«
»Oh«, vernahm ich eine gedämpfte Stimme durch die Tür.
»Ich habe noch geschlafen.«
»Dann beeil dich. Wir wollen in zehn Minuten los. Wir warten auf dich.«
Mein Mann verdrehte die Augen. Er war von Walts Einzug nicht gerade begeistert gewesen, aber ohne diesen hätte er einen zweiten Job annehmen müssen, um die Rechnungen bezahlen zu können. Ihm hatte die Vorstellung, jemanden im Haus zu haben, der nicht zur Familie gehörte, nie gefallen, aber unsere Studenten, die aus aller Herren Länder stammten und bar bezahlten, tolerierte er. Dass Walt bei uns wohnte, bereitete ihm mehr Unbehagen, denn seiner Meinung nach hätte ein werktätiger Mann dieses Alters nicht in einem möblierten Zimmer wohnen sollen. Auch war er der Ansicht, Walt sei zu alt, um verrückt nach Dungeons & Dragons und Comic-Heften zu sein.
»Na ja, er ist eben ein bisschen unreif«, hatte ich den neuen Mieter in Schutz genommen, der damals mit meiner Freundin Kim liiert war. Ein paar Wochen zuvor hatte Walt sich in ihrer Firma um einen Job in der Poststelle beworben, und sie war die Zuständige in der Personalabteilung, die seine Bewerbung prüfte und ihn einstellte. Jetzt waren die beiden ein Paar, und sie fragte uns, ob wir ihm nicht ein Zimmer vermieten könnten. Walt suchte nach einer neuen Unterkunft. Er wollte den Gottesdienst in unserer Kirche besuchen und in Kims Nähe wohnen. Kim war eine Seele von Mensch, die Art von Frau, die ständig Leuten dabei half, ihr Leben zu verbessern. Sie versicherte uns, er nähme keine Drogen, trinke keinen Alkohol und rauche nicht. Aus der Air Force war er in Ehren entlassen worden, und seine berufliche Laufbahn war ordentlich. Wir brauchten die Miete für das Zimmer wirklich dringend, da ich als Mut ter nicht berufstätig war, also ließ ich mich auf den Versuch ein und vereinbarte ein Vorstellungsgespräch. Er wirkte wie ein netter Kerl auf mich, und da mein Mann und ich gerade dabei waren, Jeremy, einen sechsjährigen Jungen aus der Pflegevermittlung von Delaware, zu adoptieren, baten wir Walt außerdem, sich auf dem örtlichen Polizeirevier die Fingerabdrücke abnehmen zu lassen. Ohne Zögern erklärte er sich dazu bereit, und wir beschlossen, ihm das Zimmer zu geben. »Er ist sonderbar«, sagte Tony ein paar Tage später. »Er spricht nicht mit Männern, wie Männer sonst untereinander reden. Ehrlich gesagt, ich glaube, er weicht mir aus.« Ich musste Tony recht geben: Walt war kein typischer Mann, keiner von denen, die sich in Gruppen von Männern wohlfühlen, Bier trinken, über Sport fachsimpeln und zusammen zum Golf oder zum Fischen gehen. Er interessierte sich mehr für Computerspiele. Walt war anders als andere Männer, aber gerade aus diesem Grund war ich bereit, ihm eine Chance zu geben. Statt sich auf Partys, in Bars und Abenteuer zu stürzen, machte Walt einen eher religiösen Eindruck und hatte strikte moralische Ansichten - so eine Art Pfadfinder. Es gab noch einen anderen Grund, der mich dazu brachte, nicht allzu streng über ihn zu urteilen: Seit wir von jedem neuen Mieter die Abnahme der Fingerabdrücke verlangten, waren die Bewerbungen unserer chinesischen Studenten ausgeblieben - sie fanden den Gang aufs Polizeirevier wohl allzu merkwürdig. Das Zimmer stand leer, und wir konnten es uns nicht leisten, wählerisch zu sein. Außerdem erinnerte ich mich da ran, dass eine Menge Leute ein bisschen »anders« waren, was sie schließlich nicht zu schlechten Menschen machte. Meine Freundin Kim mochte ihn, und sie war eine vernünftige Frau. Der Tag im Six-Flags-Park machte den Teenagern eine Menge Spaß, aber als ich mich umsah, stellte ich fest, dass uns ein Betreuer fehlte. Walt war verschwunden.
»Hast du Walt gesehen?«, fragte ich Tony.
»Nein.«
Wir beschlossen, rasch den Park abzusuchen, aber er war nirgends zu finden. Auch von den anderen Betreuern der Gemeinde hatte ihn niemand gesehen. Zwanzig Minuten vor unserem geplanten Aufbruch tauchte Walt plötzlich beim Ausgang auf. Sprachlos starrten Tony und ich die Erscheinung vor unseren Augen an. Walt trug jetzt eine lange schwarze Hose, ein durchsichtiges schwarzes Netzhemd und ein schwarzes Stirnband. Seine Hände steckten in fingerlosen schwarzen Handschuhen. Für einen Kirchenausflug mit Teenagern war er völlig unangemessen gekleidet, und die Tatsache, dass er verschwunden war und sich umgezogen hatte, brachte uns außer Fassung. Damals hatte ich nicht den Mut, Walt intensiv zu befragen und seinem seltsamen Verhalten auf den Grund zu gehen. Stattdessen fragte ich lediglich: »Wo bist du denn die ganze Zeit gewesen?« Er lächelte nur, warf sich seinen Rucksack über die Schultern und ignorierte die Frage, da zwei kichernde Mädchen aus der Gemeinde auf ihn zustürmten und ihn an den Armen packten. Tony und ich tauschten einen Blick, der »Was stimmt nicht mit diesem Burschen?« bedeutete, dann schüttelten wir die Köpfe, sammelten die Kinder ein und machten uns auf den Weg zum Wagen. Während wir aus der Parklücke fuhren, klappte ich auf der Beifahrerseite den Sonnenschutz he runter, als wollte ich meine Frisur überprüfen, und beobachtete dabei Walts Spiegelbild. Er saß reglos, mit verschränkten Armen zwischen Jennifer und David auf der Rückbank und schenkte ihrem Gespräch über die Fahrgeschäfte keine Beachtung. Von den übrigen Insassen des Wagens schien er weit entfernt, und seine Augen versteckten sich hinter einer dunklen Sonnenbrille. Irgendetwas stimmte definitiv nicht mit diesem Kerl.
Leider wohnte er aber inzwischen in meinem Haus und besaß gewisse Rechte. Das Gesetz gestattet Hausbesitzern nicht, ihre Familien zu schützen, indem sie ihre Mieter hinauswerfen, nur weil sie den Eindruck haben, diese seien ein bisschen merkwürdig. Ich konnte niemanden ohne Grund an die Luft setzen, und Walt hatte keine Regel der Hausordnung verletzt. Ich sagte mir, dass ich mich zu sehr auf seine Marotten statt auf seine Qualitäten konzentrierte. Walt war freundlich, oft gesprächig, und er war keiner, der sich beklagte. Wir hatten sogar ein paar Dinge gemeinsam: Wir konnten beide Karate, wir schrieben beide Erzählungen, und wir gingen beide gern ins Kino. Wir hatten einige angenehme Gespräche geführt, und Walt war zu keinem Mitglied der Familie je unfreundlich. Den Kindern gegenüber hatte er sich nie unangemessen verhalten, und sie waren sowieso nie mit ihm allein, das war also kein Prob lem. Ich beschloss, ihn einfach im Auge zu behalten. Sollten sich irgendwelche echten Alarmzeichen zeigen, so würden wir ihn bitten, auszuziehen und dabei die Kündigungsfrist einhalten, die der Gesetzgeber vorschrieb.
Deutsche Erstausgabe
Für die Originalausgabe: Copyright © 2010 by Pat Brown
Titel der amerikanischen Originalausgabe: »THE PROFILER«
Originalverlag: Voice
Originally published in the United States and Canada by Voice as PROFILER.
This Translated edition published by arrangement with Hyperion.
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2011 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
ISBN 978-3-404-60003-8
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Bibliographische Angaben
- Autoren: Pat Brown , Bob Andelman
- 2011, 412 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Irene Anders
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404600037
- ISBN-13: 9783404600038
- Erscheinungsdatum: 13.04.2011
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