Ich bitte nicht um mein Leben
Marina wird 1965 in Teheran geboren. Sie ist 14 Jahre alt, als Ayatollah Khomeini im Iran die Macht übernimmt. In der Schule rebelliert die junge Christin gegen die islamistische Indoktrinierung, gibt eine verbotene Schülerzeitung heraus. Und...
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Marina wird 1965 in Teheran geboren. Sie ist 14 Jahre alt, als Ayatollah Khomeini im Iran die Macht übernimmt. In der Schule rebelliert die junge Christin gegen die islamistische Indoktrinierung, gibt eine verbotene Schülerzeitung heraus. Und dann geschieht das Unfassbare: Eines Abends wird sie abgeholt, im berüchtigten Evin-Gefängnis verhört und gefoltert. Ein Schnellgericht verurteilt sie zum Tode. In letzter Minute wird sie vor dem Erschießungskommando gerettet - von Ali, ihrem Gefängniswärter. Der Preis: Marina muss ihn heiraten. Erst als Ali von radikalen Revolutionswächtern ermordet wird, kann Marina der Gewaltherrschaft der Islamisten entkommen.
"Die Tränen ihrer gestohlenen Jugend fielen auf nackten Beton - auf den Boden einer Folterzelle... Marina Nemat schreibt eine Geschichte, die wahr und wichtig ist."
BILD
Der bewegende Bericht einer jungen Iranerin, die als Mädchen zum Tode verurteilt, aber von ihrem Gefängniswärter gerettet wurde.
Aus eigener Erfahrung kann Marina Nemat über den Terror der Ayatollahs und die bedrohliche Lage der christlichen Minderheit im Iran erzählen.
Ichbitte nicht um mein Leben von Marina Nemat
LESEPROBE
Am 15.Januar 1982 gegen einundzwanzig Uhr wurde ich verhaftet. Ich war sechzehn Jahrealt.
An diesemTag war ich früher als gewöhnlich aufgewacht und konnte nicht mehr einschlafen.Mein Schlafzimmer kam mir dunkler und kälter vor als sonst, ich blieb untermeiner Kamelhaardecke liegen und wartete, dass die Sonne aufging, doch es war,als ob die Dunkelheit nie wieder weichen wollte. An kalten Tagen wie diesemwünschte ich mir eine bessere Heizung für unsere Wohnung - zwei Ölöfen reichtennicht aus -, doch meine Eltern meinten immer, ich sei die Einzige, die unsereWohnung im Winter zu kalt fände.
DasSchlafzimmer meiner Eltern lag neben meinem, die Küche befand sich auf deranderen Seite des schmalen Flurs, der die beiden Seiten unsererVierzimmerwohnung verband. Ich hörte, wie sich mein Vater zur Arbeit fertigmachte. Obwohl er sich mit leichten, leisen Schritten durch die Wohnungbewegte, konnte ich an den schwachen Geräuschen, die er verursachte, seinen Wegvom Bad in die Küche verfolgen. Der Wasserkessel pfiff. Der Kühlschrank gingauf und zu. Wahrscheinlich aß er ein Marmeladenbrot zum Frühstück. Endlichkroch ein schwaches Licht durch mein Fenster. Mein Vater war bereits aus demHaus gegangen, und meine Mutter schlief noch. Sie stand normalerweise erstgegen neun Uhr auf. Ich hustete, drehte mich um und wartete. Wo blieb heute nurdie Sonne? Ich überlegte, was ich an dem Tag machen wollte, kam damit jedochnicht weit. Ich hatte das Gefühl, als stünde die Zeit für mich still. Ich standauf. Der Linoleum-Fußboden war noch kälter als die Luft, und die Küche kam mirnoch dunkler vor als mein Schlafzimmer. Mir war zumute, als würde es mir niewieder warm werden. Ob die Sonne je wieder aufginge? Ich trank eine Tasse Tee,danach hatte ich nur einen Gedanken: Ich wollte zur Kirche gehen. Ich zog denlangen braunen Wollmantel an, den meine Mutter für mich genäht hatte, bedecktemein Haar mit einem breiten beigefarbenen Schal und stieg die vierundzwanziggrauen Steinstufen zur Haustür hinunter, die auf eine belebte Geschäftsstraßehinausging. Die Läden waren noch geschlossen, die Straße noch nicht vom Verkehrverstopft. Ich ging zur Kirche, ohne nach rechts oder links zu blicken. Es gabnichts zu sehen. Bilder von Ayatollah Khomeini, hasserfüllte Slogans nahmen fastalle Fassaden ein: »Tod für Amerika! «, »Tod für Israel!«, »Tod den Kommunistenund allen Feinden des Islam!« oder »Tod den Antirevolutionären!« Bis zur Kirchewar es ein Fußweg von fünf Minuten. Als ich meine Hand auf die schwere hölzernePforte legte, landete eine Schneeflocke auf meiner Nase. Unter einerSchneedecke sah Teheran schon immer trügerisch harmlos und schön aus, und auchwenn das islamische Regime die meisten schönen Dinge verboten oder verbannthatte, konnte es nicht verhindern, dass Schnee fiel. Die Regierung hatteangeordnet, dass Frauen ihr Haar bedecken mussten, und Verbote erlassen fürMusik, Make-up, Abbildungen unverschleierter Frauen sowie für Literatur aus demWesten. All dies war für »satanisch« und daher gesetzeswidrig erklärt worden.Ich trat in die Kirche, schloss die Tür hinter mir, setzte mich in eine Eckeund blickte unverwandt auf Jesus am Kreuz. Die Kirche war leer, ich versuchtezu beten, doch die Worte, die mir im Kopf herumgingen, ergaben keinen Sinn.Nachdem ich etwa eine halbe Stunde so dagesessen war, brach ich auf, um imKirchenbüro bei den Priestern vorbeizusehen, und trafdort Andre, den netten Organisten. Wir kannten uns seit einigen Monaten, undich traf ihn häufig in der Kirche. Jeder wusste, dass wir uns gernhatten, doch wir waren beide zu schüchtern, eszuzugeben; vielleicht, weil Andre sieben Jahre älter war als ich. Ich erröteteund fragte ihn, warum er so früh am Morgen schon hier sei. Er wolle einenkaputten Staubsauger reparieren, antwortete er. »Ich habe dich vermisst«, sagteer, »wo warst du in den letzten Tagen? Jedes Mal, wenn ich bei dir angerufenhabe, sagte mir deine Mutter, es ginge dir nicht gut. Ich wollte heute bei euchvorbeikommen. «
»Mir ginges wirklich nicht gut. Vielleicht eine Erkältung.«
Er meinte,ich sähe blass aus und sollte besser noch ein paar Tage im Bett bleiben. Ichstimmte ihm zu. Dann bot er sich an, mich nach Hause zu fahren, doch ichbrauchte frische Luft und trat den Rückweg zu Fuß an. Wenn ich weniger Sorgengehabt hätte und nicht so niedergeschlagen gewesen wäre, hätte ich gerne mehrZeit mit ihm verbracht. Doch seit meine Schulfreundinnen Sarah und Gita sowieSarahs Bruder Sirus verhaftet und ins Evin-Gefängnis gebracht worden waren, war ich nicht mehrimstande, meinen normalen Beschäftigungen nachzugehen.
© WeltbildBuchverlag
Deutsch vonHolger Fock und Sabine Müller
Interview mit Marina Nemat
1982 wurden Sie als 16-Jährige inhaftiert und verbrachten zweiJahre als politische Gefangene in Evin, einem berüchtigten Gefängnis inTeheran. Nun gehen Sie mit Ihren Erinnerungen an die Öffentlichkeit. Wasbedeutet dieser Schritt für Sie?
Ich wäre krank geworden, hätte ich meine Erinnerungen nichtaufgeschrieben und veröffentlicht. Zunächst hatte ich sie nur aufgeschrieben,ohne die Absicht, sie zu publizieren. Ich wollte sie einfach nur loswerden.Dann erkannte ich, dass das nicht reicht. Als Überlebende hatte ich diePflicht, Zeugnis abzulegen. Als ich mich mit anderen politischen Gefangenen ausdem Iran unterhielt, die in Kanada lebten, erfuhr ich, dass kaum einer vonihnen jemals über seine Erlebnisse gesprochen hat.
Die Islamische Republik errichtete eine Herrschaft der Angst imganzen Land, indem sie Menschen folterte und tötete. Diese Angst ist es auch,die um ehemalige Gefangene herum eine Mauer des Schweigens entstehen ließ. IhreFamilien und Freunde fragten sie selten, was ihnen während der Gefangenschaftzugestoßen war. Dies gilt besonders für Frauen. Die Familien hatten vonVergewaltigungen in Gefängnissen gehört, und im Iran ist es wie in vielenanderen Ländern: Die Leute schämen sich, über eine Vergewaltigung zu sprechen.
All die Jahre meines Schweigens hindurch war ich ein Schatten der Person,die ich war, bevor ich ins Gefängnis kam. Mit der Veröffentlichung meinerErinnerungen hat ein neues Leben begonnen. Endlich fühle ich mich frei.
Sie kamen 1991 nach Kanada. Können Sie sich vorstellen, noch einmalin den Iran zurückzukehren?
Kanada ist für mich zur geliebten zweiten Heimat geworden. Und ichbin stolz, Kanadierin zu sein. Dennoch werde ich den Iran, meine erste Heimat,das Land, in dem ich geboren wurde, nie vergessen können. Ich liebe es sehr.Und wenn ich einmal dorthin zurückkehren könnte, ohne dass mir eine Festnahmedroht, würde ich es tun - und sei es nur als Besucherin.
Gibt es Verbindungen zu den Freunden von damals? Haben Sie zu derFamilie von Ali, Ihrem ersten Mann, noch einmal Kontakt aufgenommen?
Ich habe den Kontakt zu meinen Freunden unter den Mitgefangenen,die im Iran leben, nicht gehalten. Ich wollte nicht, dass sie meinetwegenSchwierigkeiten bekommen. Wir alle wussten, dass es besser für sie sein würde,wenn wir einander fern bleiben. Zu Alis Familie habe ich ebenfalls keinenKontakt aufgenommen. Es hatte einfach keinen Sinn, dies zu tun. Als ich ausEvin entlassen wurde, trennten sich unsere Wege, jeder ist dann seinen eigenengegangen.
Es ist erschreckend zu lesen, dass nach Ihrer Freilassung niemandnach Ihren Erlebnissen im Gefängnis gefragt hat. Wie sehen Sie das heute?Glauben Sie, jemand hätte Ihnen helfen können?
Meine Familie hätte mir nach meiner Freilassung helfen können, mitmeiner Vergangenheit fertig zu werden. Aber sie tat es nicht. Mir fehltejemand, der mir Mut gemacht hätte, über die Zeit im Gefängnis zu sprechen, jemand,der mir geduldig zugehört hätte. Aber alle hatten so furchtbare Angst vordiesem Regime und gaben mir zu verstehen, dass sie wollten, dass meineVergangenheit einfach vergessen wird. Sie wussten nicht, dass es vielleichtmöglich ist zu vergeben, dass es aber unmöglich ist zu vergessen. Ich versteheihre Angst, und ich mache ihnen keine Vorwürfe, auch wenn ich mir sicherwünsche, sie hätten mehr Interesse gezeigt und mich stärker unterstützt. Alldies hat mich sehr betrübt. Aber ich habe mich dieser Situation gestellt undgelernt, mit ihr umzugehen.
War es Ihnen möglich, nach den extrem traumatischen ErlebnissenIhrer Jugend in Ihrem neuen Leben in Kanada anzukommen?
Evin hat mich für immer verändert. Während der Jahre meinesSchweigens habe ich diese Wahrheit - wie alle anderen in meiner Familie auch -geleugnet. Ich habe so getan, als ob die Vergangenheit keine Rolle spielt. Abersie spielt eine Rolle. Sie hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich bin. Siehat mich geprägt. Ich blieb eine Gefangene meines eigenen Schweigens, selbst,nachdem ich bereits in Kanada lebte - und meine Memoiren bedeuten für mich dieFreiheit. Ich hätte in Evin sterben sollen, aber ich habe überlebt. Warum? Umder ganzen Welt meine Geschichte zu erzählen; damit sie von all demSchrecklichen erfährt, was sich in den Gefängnissen der Islamischen RepublikIran abspielt.
Können Sie sich vorstellen, weitere Bücher zu schreiben oderpolitisch zu arbeiten?
Ich hatte nie wirklich viel mit Politik zu tun, und ich werde nieeine Politikerin sein. Ich bin Schriftstellerin und engagiere mich für dieMenschenrechte, und ich freue mich darauf, weitere Bücher zu verfassen.
Wie auch immer: In der Welt von heute ist alles politisch. Im Iranführt der einzige Weg zur Demokratie über das Volk, Demokratie muss sich voninnen heraus entwickeln. Um dies erreichen zu können, müssen sich die Iraner,so langwierig und hart dies auch sein mag, mit der Geschichte der IslamischenRevolution und ihren furchtbaren Folgen auseinandersetzen. Die Welt mussverstehen, dass die Iraner, stellt man sie vor die Wahl zwischen einerUS-amerikanischen Invasion und der Islamischen Republik, sich für Letztereentscheiden werden. Man sollte sie nie zu einer solchen Entscheidung zwingen. DieIraner müssen ihren eigenen Weg zu Freiheit und Demokratie finden.
Die Fragen stellte Ulrike Künnecke, Literaturtest.
- Autor: Marina Nemat
- 2007, 1, 390 Seiten, mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Weltbild Lager
- ISBN-10: 3898976319
- ISBN-13: 9783898976312
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