Ich denke, also bin ich verwirrt
Meine liebsten Welterklärungen
Warum denken? Na, weils schön macht. Vielleicht nicht unbedingt uns, aber das Leben. Christoph Süß unternimmt eine satirische Exploration der Philosophiegeschichte, und wir stellen fest: Unverständlichkeit kann sehr komisch sein. Sinn! Los!
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Produktinformationen zu „Ich denke, also bin ich verwirrt “
Warum denken? Na, weils schön macht. Vielleicht nicht unbedingt uns, aber das Leben. Christoph Süß unternimmt eine satirische Exploration der Philosophiegeschichte, und wir stellen fest: Unverständlichkeit kann sehr komisch sein. Sinn! Los!
Klappentext zu „Ich denke, also bin ich verwirrt “
Die Welt dreht sich und uns ist schlecht. Wir müssen in der Zeit der Unverständlichkeit leben, in einem Universum, das sowieso zu groß ist. Was soll man da über sich denken? Und warum eigentlich? Was ist der Sinn? Gibt es Glück? Wie antworteten die Leuchten des Abendlandes auf diese Fragen? Christoph Süß erzählt eine hoch-ironische, böse und sprühend andere Geistesgeschichte. Von den Jahrtausendklassikern der Griechen übers sonnige Mittelalter, in dem noch niemand mit Wissen belästigt wurde, von den letzten Alchimisten und den Drei von der Uni Tübingen bis zu dem Punkt, an dem schließlich modern die Post abgeht und nicht nur Geld, sondern auch die Welt verschwindet. Ja, und jetzt?
Lese-Probe zu „Ich denke, also bin ich verwirrt “
Ich denke, also bin ich verwirrt - Meine liebsten WelterklärungenvonChristoph Süß Zeit für Revolution
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Können Sie meine Stimme hören ? Also ich meine in Ihrem Kopf ? Ja ? Nun, vielleicht ist es nicht gerade meine Stimme, die Sie hören, wenn Sie diese Zeilen hier lesen. Aber irgendeine Stimme hören Sie, die Ihnen sozusagen diesen Text hier vorliest. Vermutlich ist es Ihre Stimme. Das ist völlig normal. Gewöhnlich würde man sich Sorgenmachen, wenn man fremde Stimmen im Kopf hört, aber solange Sie lesen, ist es nicht schlimm. Auch wenn Sie ansonsten in Ihrem Kopf Stimmen hören, ist das solange nicht beunruhigend, solange Sie ausmachen können, woher die Stimmen kommen. So lange es Erinnerungen, Ihre Gedanken, Lieder oder Ähnliches sind, gibt es kein Problem. Falls Sie aber unidentifizierbare Fremdstimmenhören, die Ihnen beispielsweise einflüstern, die Weltherrschaft an sich zu reißen oder Ihre Familie mit der Axt zu erschlagen – dann suchen Sie bitte zeitnah einen Arzt auf. Worauf ich hinaus will : Was Sie jetzt hier beim Lesensofort festmachen können, ist, dass es ein Außen und ein Innen gibt. Außen sind die Buchseiten, die gedruckten Buchstaben. Die sehen Sie, Ihre Augen leiten die Sinneseindrücke an Ihr Gehirn weiter. Innen, in Ihrem Schädelaber, setzen Sie diese Buchstaben zusammen zu Sinneinheiten, zu Wörtern und Sätzen, verleihen ihnen Bedeutung und lesen Sie sich selbst vor. Fast müsste man befürchten, Sie wären jetzt schon mindestens zu zweit in Ihrem Schädel, einer, der liest und einer, der lauscht. Aber diese kleine Schizophrenie soll uns jetzt erst einmal nicht kümmern. Wir haben zunächst nur festgestellt: Es gibt ein Außen. Das ist die Welt. Und es gibt ein Innen. Das ist Ihr Geist, der versucht, der Welt da draußen Sinn und Bedeutung zu verleihen. Tatsächlich aber ist das so etwas wie ein Wunder. Die Buchstaben, die Sie gerade lesen, sind, wenn Sie dieses Buch zuklappen und nicht darin lesen, einfach nur Stellen mit Druckerschwärze, umgeben von weißem Papier. Die Buchstaben, Bilder und Worte sind ohne Ihre lesende Mithilfe völlig bedeutungslos. ( Jetzt kommen Sie mir nicht witzig und mosern, sie seien, auch wenn Sie sie lesen, bedeutungslos. ) Die Bedeutung kommt von Ihnen. Gut, von mir auch. Während ich sie schreibe, haben sie für mich Bedeutung. Aber allein gelassen sind das einfach nur Flecken auf dem Papier – könnte auch ein Fliegenschisssein. Und auch die Tatsache, dass ich all diese Buchstaben zunächst in einen Computer getippt habe, bedeutet hinsichtlich der Bedeutung keinen Unterschied. Ohne Leser – nur Nullen und Einsen. Strom oder Nichtstrom auf einer Platine. Keine Bedeutung.Damit Sie jetzt das Wunder, das Sie gerade vollbringen, während Sie diese Zeilen lesen, noch mehr zu würdigen wissen, erzähle ich Ihnen ein berühmtes Gedankenexperiment des amerikanischen Philosophen John Searle. Die Geschichte vom chinesischen Zimmer. Ich nehme an, Sie können kein Chinesisch. Falls doch, setzen Sie im Folgenden immer dort, wo » Chinesisch «steht, irgendeine Sprache ein, die Sie nicht können. Falls Sie alle der ca. 6500 Sprachen sprechen, die derzeit auf dem Planeten benutzt werden, dann suchen Sie sich jemanden, der Randgruppen wie Sie über Ihre Rechte belehrt. So. Wo war ich ? Chinesisch ! Genau. Sie können also kein Chinesisch, befinden sich aber im chinesischen Zimmer. Nämliches hat an einer Wand zwei Luken. Auf einer steht » Frage « auf der anderen » Antwort «. Jetzt wirft jemand von draußen einen Zettel rein. Auf dem Zettel steht von mir aus : » Wie geht’s ? « Aber eben auf Chinesisch. Also haben Sie keine Ahnung, was auf dem Zettel steht. Sie sehen nur ein Zeichen, das Ihnen nichts sagt. Jetzt gehen Sie mit diesem Zettel zu einem langen, langen Regal. Dort sind alle chinesischen Schriftzeichenverzeichnet. Sie suchen nach Ihrem Zeichen – das ist öd und kann Ewigkeiten dauern. Aber wir haben Zeit. Schließlich haben Sie im Regal ein Fach gefunden, indem das Zeichen, das Sie suchen, verzeichnet ist. Siegreifen hinein, finden Ihr Zeichen und stellen fest, dass neben dem Zeichen ein weiterer chinesischer Satz notiert ist. Eine Antwort ? Sie wissen es nicht. Trotzdem malen Sie das Zeichen ab auf einen Zettel und werfenden dann bei der Luke, auf der » Antwort « steht, wieder hinaus. Auf diesem Zettel steht : » Mir ist todeslangweilig, weil ich die ödeste Beschäftigung der Welt habe. Aber gesundheitlich ist alles in Ordnung. « Aber dass das da steht, wissen Sie nicht, weil das eben auch auf Chinesisch auf dem Antwortzettel steht. Was ist passiert ? Für einen Chinesen außerhalb des chinesischen Zimmers sieht es nun so aus, als habe tatsächlich ein Gespräch zwischen Ihnen da drinnen und dem Zettelfrager außen stattgefunden. Da stand ja : » Wie geht’s ? « Und Sie haben geantwortet : » Mir ist todeslangweilig, weil ich … etc. « Auch wenn Sie kein Wort davon verstanden haben. Und damit haben Sie ( wenn auch sehrlangsam und unwillig ) genau das getan, was ein Computer tut. Sie haben einen formalen Vorgang durchgeführt. Sie wussten nicht, wozu der Vorgang dient. Sie haben nichts verstanden. Man kann also sagen, Computer sind geistlos. Bedeutung können bislang nur wir den Dingen als Extraeigenschaft draufbürsten. Wir sind eben geistreich. Das bedeutet nun aber nicht, dass » Geist « unabhängig von der Materie existieren muss, sondern nur, das man immer noch nicht so genau sagen, wie » Geist « entsteht. Geist ist in diesem Zusammenhang also, wenn es um Bewusstsein und Bedeutung geht ; übrigens ein etwas irritierender Begriff, wird doch auch als Geist eine körperlose Entität bezeichnet, die zwischen Himmel und Erde in ein Zwischenreich verbannt ist, verflucht dazu, herumzuspuken und in gruseligen englischen Schlössern Touristen anzulocken. Aber da sind wir tatsächlichschon beim Thema. Wenn wir einen Geist haben ( gerne auch Seele genannt ), der unabhängig von der materiellen Welt existieren kann, dann hat das ein paar durchaus folgenschwere Konsequenzen. Aber dazu kommen wir gleich. Halten wir zunächst noch einmal fest. Außen : Welt. Innen : Geist. Außen : Krempel ohne Sinn. Kontingentes Zeug. Keine Zusammenhänge. Materielle Dinge ohne irgendwelche Extras. Innen : Fetzige Sachen : Willen. Liebe. Leidenschaft. Ekstase. Langeweile. Schmerzen. Wahnsinn. Kurz – eine Welt mit Bedeutung. Tatsächlich hat Ihr Geist gar keine andere Wahl, als den Dingen, die er wahrnimmt, Sinn und Bedeutung zu verleihen, denn so funktioniert er nun mal. Aber für unseren nächsten Gedanken ist das jetzt auch erst einmal nicht so wichtig. Wichtig ist Folgendes : Wie können Sie sich sicher sein, dass es das Außen wirklich gibt ? Wie können Sie zum Beispiel sicher sein, dass es mich, den Autor, wirklich gibt ? Vielleicht bin ich ja ein Geist-Schreiber ( Ghostwriter) ? Das wäre Ihnen aber egal – Autor bleibt Autor. Irgendwer hat diese Zeilen geschrieben. Und da Sie nämliche lesen können, muss es mich geben, weil ich sie ja geschrieben habe. Aber vielleicht bin ich ja schon tot. Könnte doch sein. Die Welt des Straßenverkehrs ist gefährlich. Auf dem Weg zum Verlag könnte ich von einem herabfallenden Konzertflügel erschlagen worden sein. Aber gut – auch egal. Es ging um die Frage, ob es die Außenwelt gibt. Und wenn es mich gegeben hätte, reicht das schon als Antwort. Und die Frage ist sowieso seltsam. Immerhin sehen Sie die Welt doch ständig. Wenn Sie auf das Buch gucken, stellen Sie fest, dass es da ist. Wenn Sie sich im Zimmerumblicken, im Klo oder im Freibad oder im Zugabteil oder wo sonst immer Sie gerade diese Zeilen lesen, dann stellen Sie fest, dass da die Welt immer noch ist. Was auch oft schade ist, wenn man zum Beispiel in den Spiegelschaut und immer noch so aussieht, wie man aussieht. Aber Ihre Sinnesorgane signalisieren unablässig –die Welt ist da. Auch wenn Sie die Augen schließen. Sie fühlen Ihren Körper. Besonders die Stellen, wo es jetzt beim Lesen durch Fehlhaltung unangenehm zwickt und drückt. Sie spüren die Stellen, auf denen Ihr Körpergewicht lastet. Überhaupt, es fühlt sich auf eine bestimmte Art und Weise an, in Ihrem Körper zu sein. Und dieses Gefühl haben Sie gerade. Denn auch Ihr Körper ist ja ein Teil der Welt. Und da er so pausenlos seine Gegenwart funkt, sind Sie der Auffassung, die Welt sei da. Aber noch einmal – können Sie sich da sicher sein ?Man kann sich schon täuschen. Aber nicht so grundsätzlich, meinen Sie ? Na ja, dann denken Sie einmal an letzte Nacht. Da lagen Sie vermutlich still und brav in Ihrem Bett und schwitzten so mehr oder weniger regungslos vor sich hin. Also in Wirklichkeit. Also außen in der Welt. Aber innen, da ging’s wieder mal ganz anders zu. Sie liefen nackt vor einer Horde armenischer Zahnärzte davon, die Ihnen für billiges Geld einen zweiten Mund mit Goldzähnen in Ihren Hinterkopf hineinoperieren wollten. Das haben Sie nicht geträumt? Ach so, dann war das wohl mein Traum. Aber wie immer. Sie habengeträumt. Selbst, wenn Sie sich nicht daran erinnern können. Wir müssen jede Nacht träumen, mehrmals, um nicht dem Wahnsinn anheim zufallen. Falls Sie mal mehrere Nächte hintereinander tatsächlich nicht geträumt haben sollten, dann merken Sie das daran, dass Sie in einer Gummizelle festgeschnallt werden und ein Arzt beruhigend auf Sie einredet, während er Ihnen eine Spritze gibt. Im Traum können wir zwischen Innen und Außen nicht unterscheiden. Manche Träume kommen uns völligreal vor. Wir haben Sinneswahrnehmungen wie tagsüber. Wir fühlen uns. Die Welt. Wir reden mit Leuten. Aber all das findet gar nicht statt. Oder eben nur in unserem Kopf. Frage : Woher also wollen Sie jetzt mit absoluter Sicherheit wissen, dass Sie jetzt nicht träumen ? Antwort: Sie wissen es nicht. Sie können es nicht wissen, das kann nämlich niemand. Deswegen können Sie auch nicht mit absoluter Sicherheit wissen, ob es die Welt da draußen tatsächlich gibt. Alles, was Sie wahrnehmen, könnte eine Täuschung, eine Illusion sein. Gibt es die Welt ?
Oder anders gefragt, muss es denn die Welt da draußen unbedingt geben ? Könnte man die nicht auch insgesamt wegdenken ? Man kann. Denken Sie nur mal an den Film » Matrix «, in dem der gebeutelte Keanu Reeves feststellen muss, dass er inWirklichkeit sein ganzes Leben in einem Tank in Nährflüssigkeit verbracht hat, verdrahtet mit der Matrix, einerbösen Gaukelei, mit der eine künstliche Intelligenz die gesamte Menschheit bedröhnt, um sie unter ständiger Kontrolle zu halten. Zweifellos ist das, was im Film » Matrix« gezeigt wird, schon eigenartig genug. Die Wirklichkeit ist nicht echt, sondern nur eine totale Cyberspace-Simulation. Und die tatsächliche Wirklichkeit ist total deprimierend. Die Welt ist verstrahlt. Die letzten Menschenleben tief in der Erde und essen immer Haferschleim. Aber wenigstens gibt es noch eine Wirklichkeit. Denn die Täuschung könnte noch viel weitergehen. Der ganze schöne weite Kosmos könnte nichts weiter als eine paranoide Wahnvorstellung Ihres verwirrten Geistes In der Matrix ist Neo zwar ein messianischer Überflieger im Priestergewand, aber in der Realität kann er sich nicht mal eine Frisurleisten. Diese Denkbewegung heißt man in der Fachwelt Solipsismus. Die Vorstellung, dass ausschließlich man selber existiert und der ganze Rest nicht. Das klingt, gelinde gesagt, ein wenig egozentrisch, ist aber logisch nicht zu widerlegen. Denn das einzige Gegenargument lautet : Diese Vorstellung ist absurd. Aber möglich. Sie werden jetzt vielleicht denken, wenn die Welt nur in meiner Vorstellung existiert, dann würde ich mir doch nicht vorstellen, dass ich jetzt hier herumhänge und populär wissenschaftliches Gebrabbel über Philosophielese. Ich würde mir vorstellen, ich läge an einem weißen Sandstrand, während junge und begehrenswerte Menschen um meine Gunst buhlten. Oder irgendetwas in der Art. Und George W. Bush würde ich mir auch nicht vorgestellt haben. Überhaupt die Nachrichten, 0190er-Nummern und Gameshows. Daran will man doch nicht schuld sein. So was kann sich doch keiner ausdenken. Würde man sich die Welt selbst erzeugen, dann doch bitte so, dass man ein wenig Freude daran hat. Wie wahr. Aber dennoch bleibt es logisch so, dass alles Einbildung sein könnte. Und diese Tatsache war für den französischen Denker René Descartes Motivation genug, um einen der berühmtesten philosophischen Sätze aller Zeiten vom Stapel zu lassen : Ich denke, also bin ich. Herr Descartes suchte nämlich nach einem festen gedanklichen Untergrund, in den er einen mentalen Pflock einrammen konnte, um seine Theorie über die Welt zu befestigen. Aber zunächst fand er keinen, weil man sich, wie obenbeschrieben, über die Existenz der Welt eben nichtsicher sein kann. Sicher sein kann man sich aber, meinte Herr Descartes nach einigem Nachdenken, über die eigenen Gedanken. Die hat man ja, während man sie denkt. Und wenn man Gedanken hat, muss man selber der Denkeder Gedanken sein. Ergo : Man existiert. Der Rest ist fragwürdig. Aber während Sie denken : » Mann, so ein Nachdenken über Philosophie ist aber anstrengend «,denken Sie eben : » Mann, so ein Nachdenken über Philosophie ist aber anstrengend. « Und da können Sie sich auch, während Sie es denken, nicht darüber täuschen, dass Sie es denken. Und weil Sie eben denken, während Sie denken, ist eben das Denken auch der Beweis dafür, dass es Sie gibt. Immerhin. Da hat man ja schon mal etwas. Aber was ist jetzt mit der Welt da draußen ? Nun, auch Descartes war überzeugt, dass die da ist. Man merkt es ja schon allein dann, wenn man sich beim Bierholen an einer spitzigen Tischkante anhaut. Dann sagt die Welt mit voller Überzeugungskraft : Ich bin da. Gleichwohl, auch wenn die Welt mitunter wehtut, unsere Wahrnehmung ist eine heikle Sache, denn sie könnte genauso gutfalsch sein. Diesen Gedanken fand Herr Descartes seltsamerweise recht tröstlich. Warum ? Weil, wenn die Welt eine Täuschung sein könnte, ein Traum, dann bedeutet das, dass die Welt da draußen und unser Bewusstseinvoneinander getrennt sein müssen. Wären sie direkt verbunden, gäbe es die Möglichkeit nicht, mit dem Solipsismus herumzuargumentieren. Dann hätten wir nämlich überzeugende, nachprüfbare Beweise für die Existenz der Welt. Die aber haben wir nicht. Wir haben nur unsere Sinneswahrnehmungen und wie wir ja schon wissen, misstrauen die Philosophen seit Parmenides ihren Sinnen gerne zugunsten der Vernunft.W arum aber ist das jetzt für Herrn Descartes eine erfreuliche Tatsache, dass Welt und Bewusstsein voneinander getrennt sind ? Ganz einfach. Weil der Geist dannfrei ist. Frei von den Fesseln der Materie. In der Welt da draußen, außerhalb unserer Köpfe, da herrscht unbarmherzig das Gesetz von Ursache und Wirkung. Die Materie schubst sich so durch. Eins schubst das andere, ein Rädchen greift ins andere. Eine gewaltige Uhr. Federn, Räder, Spulen. Ein unvorstellbar großer hochkomplizierter Mechanismus. Aber ein Mechanismus. Deswegen nicht länger geheimnisvoll, sondern im Wesen verstehbar. Vorbei die Zeit der Flussgeister und Waldelfen, die die Welt solange beseelten. Jetzt regiert die Rationalität. Das aber bedeutet : Wenn die Welt ein großer Apparatist, dann kann man doch bestimmt ein wenig an den Stellschrauben drehen, um das ganze Welt-Ding ein wenig effizienter zu machen. Bald wird der Geist der industriellen Revolution durch Europa wehen. Anything goes. Der alte Bibelauftrag » Macht euch die Erde untertan ! «wird jetzt erst richtig in die Tat umgesetzt werden. Denn eine entseelte, apparatartige Welt kann man schließlich schuld gefühlfrei auch wie einen Apparat behandeln. Erst heute, in einer Zeit, in der es so aussieht, als würden wir den Apparat Welt kaputt gemacht haben, da stellen sichdie Schuldgefühle bei manchen wieder so langsam ein. Aber haben Sie keine Angst. Die Welt ist nicht kaputt zukriegen. Nur wir sterben vielleicht aus. Gut, das sehen wir dann. In der Welt, wie sie Herr Descartes sieht, regieren die Naturgesetze. Nämliche entdeckt demnächst der Kollege Isaak Newton in England, wie der Franzose Mathematiker und Naturphilosoph. Und auch, wenn die beiden über die Details der Naturgesetze im Zwist liegen, im Grunde ist man sich einig. Die Gesetze, die die Welt der Materie regieren, sind im Wesen erkennbar. Aber glaubeh at aus gedient. Für Freunde von Büchern wie » Die Nebel von Avalon « oder die Leser von Fritjof Capra ist dasein Sündenfall. Denn hat sich mittlerweile nicht herausgestellt, dass diese Haltung gegenüber der Welt doch eher un poetisch ist und geradewegs Richtung Selbstzerstörung führt
© Piper Verlag GmbH, München 2009
Oder anders gefragt, muss es denn die Welt da draußen unbedingt geben ? Könnte man die nicht auch insgesamt wegdenken ? Man kann. Denken Sie nur mal an den Film » Matrix «, in dem der gebeutelte Keanu Reeves feststellen muss, dass er inWirklichkeit sein ganzes Leben in einem Tank in Nährflüssigkeit verbracht hat, verdrahtet mit der Matrix, einerbösen Gaukelei, mit der eine künstliche Intelligenz die gesamte Menschheit bedröhnt, um sie unter ständiger Kontrolle zu halten. Zweifellos ist das, was im Film » Matrix« gezeigt wird, schon eigenartig genug. Die Wirklichkeit ist nicht echt, sondern nur eine totale Cyberspace-Simulation. Und die tatsächliche Wirklichkeit ist total deprimierend. Die Welt ist verstrahlt. Die letzten Menschenleben tief in der Erde und essen immer Haferschleim. Aber wenigstens gibt es noch eine Wirklichkeit. Denn die Täuschung könnte noch viel weitergehen. Der ganze schöne weite Kosmos könnte nichts weiter als eine paranoide Wahnvorstellung Ihres verwirrten Geistes In der Matrix ist Neo zwar ein messianischer Überflieger im Priestergewand, aber in der Realität kann er sich nicht mal eine Frisurleisten. Diese Denkbewegung heißt man in der Fachwelt Solipsismus. Die Vorstellung, dass ausschließlich man selber existiert und der ganze Rest nicht. Das klingt, gelinde gesagt, ein wenig egozentrisch, ist aber logisch nicht zu widerlegen. Denn das einzige Gegenargument lautet : Diese Vorstellung ist absurd. Aber möglich. Sie werden jetzt vielleicht denken, wenn die Welt nur in meiner Vorstellung existiert, dann würde ich mir doch nicht vorstellen, dass ich jetzt hier herumhänge und populär wissenschaftliches Gebrabbel über Philosophielese. Ich würde mir vorstellen, ich läge an einem weißen Sandstrand, während junge und begehrenswerte Menschen um meine Gunst buhlten. Oder irgendetwas in der Art. Und George W. Bush würde ich mir auch nicht vorgestellt haben. Überhaupt die Nachrichten, 0190er-Nummern und Gameshows. Daran will man doch nicht schuld sein. So was kann sich doch keiner ausdenken. Würde man sich die Welt selbst erzeugen, dann doch bitte so, dass man ein wenig Freude daran hat. Wie wahr. Aber dennoch bleibt es logisch so, dass alles Einbildung sein könnte. Und diese Tatsache war für den französischen Denker René Descartes Motivation genug, um einen der berühmtesten philosophischen Sätze aller Zeiten vom Stapel zu lassen : Ich denke, also bin ich. Herr Descartes suchte nämlich nach einem festen gedanklichen Untergrund, in den er einen mentalen Pflock einrammen konnte, um seine Theorie über die Welt zu befestigen. Aber zunächst fand er keinen, weil man sich, wie obenbeschrieben, über die Existenz der Welt eben nichtsicher sein kann. Sicher sein kann man sich aber, meinte Herr Descartes nach einigem Nachdenken, über die eigenen Gedanken. Die hat man ja, während man sie denkt. Und wenn man Gedanken hat, muss man selber der Denkeder Gedanken sein. Ergo : Man existiert. Der Rest ist fragwürdig. Aber während Sie denken : » Mann, so ein Nachdenken über Philosophie ist aber anstrengend «,denken Sie eben : » Mann, so ein Nachdenken über Philosophie ist aber anstrengend. « Und da können Sie sich auch, während Sie es denken, nicht darüber täuschen, dass Sie es denken. Und weil Sie eben denken, während Sie denken, ist eben das Denken auch der Beweis dafür, dass es Sie gibt. Immerhin. Da hat man ja schon mal etwas. Aber was ist jetzt mit der Welt da draußen ? Nun, auch Descartes war überzeugt, dass die da ist. Man merkt es ja schon allein dann, wenn man sich beim Bierholen an einer spitzigen Tischkante anhaut. Dann sagt die Welt mit voller Überzeugungskraft : Ich bin da. Gleichwohl, auch wenn die Welt mitunter wehtut, unsere Wahrnehmung ist eine heikle Sache, denn sie könnte genauso gutfalsch sein. Diesen Gedanken fand Herr Descartes seltsamerweise recht tröstlich. Warum ? Weil, wenn die Welt eine Täuschung sein könnte, ein Traum, dann bedeutet das, dass die Welt da draußen und unser Bewusstseinvoneinander getrennt sein müssen. Wären sie direkt verbunden, gäbe es die Möglichkeit nicht, mit dem Solipsismus herumzuargumentieren. Dann hätten wir nämlich überzeugende, nachprüfbare Beweise für die Existenz der Welt. Die aber haben wir nicht. Wir haben nur unsere Sinneswahrnehmungen und wie wir ja schon wissen, misstrauen die Philosophen seit Parmenides ihren Sinnen gerne zugunsten der Vernunft.W arum aber ist das jetzt für Herrn Descartes eine erfreuliche Tatsache, dass Welt und Bewusstsein voneinander getrennt sind ? Ganz einfach. Weil der Geist dannfrei ist. Frei von den Fesseln der Materie. In der Welt da draußen, außerhalb unserer Köpfe, da herrscht unbarmherzig das Gesetz von Ursache und Wirkung. Die Materie schubst sich so durch. Eins schubst das andere, ein Rädchen greift ins andere. Eine gewaltige Uhr. Federn, Räder, Spulen. Ein unvorstellbar großer hochkomplizierter Mechanismus. Aber ein Mechanismus. Deswegen nicht länger geheimnisvoll, sondern im Wesen verstehbar. Vorbei die Zeit der Flussgeister und Waldelfen, die die Welt solange beseelten. Jetzt regiert die Rationalität. Das aber bedeutet : Wenn die Welt ein großer Apparatist, dann kann man doch bestimmt ein wenig an den Stellschrauben drehen, um das ganze Welt-Ding ein wenig effizienter zu machen. Bald wird der Geist der industriellen Revolution durch Europa wehen. Anything goes. Der alte Bibelauftrag » Macht euch die Erde untertan ! «wird jetzt erst richtig in die Tat umgesetzt werden. Denn eine entseelte, apparatartige Welt kann man schließlich schuld gefühlfrei auch wie einen Apparat behandeln. Erst heute, in einer Zeit, in der es so aussieht, als würden wir den Apparat Welt kaputt gemacht haben, da stellen sichdie Schuldgefühle bei manchen wieder so langsam ein. Aber haben Sie keine Angst. Die Welt ist nicht kaputt zukriegen. Nur wir sterben vielleicht aus. Gut, das sehen wir dann. In der Welt, wie sie Herr Descartes sieht, regieren die Naturgesetze. Nämliche entdeckt demnächst der Kollege Isaak Newton in England, wie der Franzose Mathematiker und Naturphilosoph. Und auch, wenn die beiden über die Details der Naturgesetze im Zwist liegen, im Grunde ist man sich einig. Die Gesetze, die die Welt der Materie regieren, sind im Wesen erkennbar. Aber glaubeh at aus gedient. Für Freunde von Büchern wie » Die Nebel von Avalon « oder die Leser von Fritjof Capra ist dasein Sündenfall. Denn hat sich mittlerweile nicht herausgestellt, dass diese Haltung gegenüber der Welt doch eher un poetisch ist und geradewegs Richtung Selbstzerstörung führt
© Piper Verlag GmbH, München 2009
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Autoren-Porträt von Christoph Süß
Christoph Süß, 1967 in München geboren, Studienabbrecher im Fach Philosophie wegen überraschender Karriere als Kabarettist. Seit 1998 moderiert er im Bayerischen Fernsehen wöchentlich die Polit- und Satiresendung "Quer", außerdem "Süßstoff - Die Latenight aus dem Münchner Volkstheater". Süß lebt in München.
Bibliographische Angaben
- Autor: Christoph Süß
- 2009, 311 Seiten, 20 Schwarz-Weiß-Abbildungen, 20 Abbildungen, Maße: 12,5 x 19,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Piper Taschenbuch
- ISBN-10: 3492052975
- ISBN-13: 9783492052979
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