Im Saal der Mörder
Ein Privatmuseum im Londoner Stadtteil Hampstead wird zum Schauplatz grausamer Verbrechen. Sie scheinen in Zusammenhang mit früheren Bluttaten zu stehen, die im ''Saal der Mörder'' des Museums dokumentiert sind. Commander Dalgliesh von Scotland Yard und...
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Ein Privatmuseum im Londoner Stadtteil Hampstead wird zum Schauplatz grausamer Verbrechen. Sie scheinen in Zusammenhang mit früheren Bluttaten zu stehen, die im ''Saal der Mörder'' des Museums dokumentiert sind. Commander Dalgliesh von Scotland Yard und sein Team übernehmen den Fall.
''Von Britanniens regierender Queen of Crime''
Der Spiegel
Ein kleines Privatmuseum im vornehmen Londoner Stadtteil Hampstead wird Schauplatz grausamer Verbrechen. Sie scheinen im Zusammenhang mit Bluttaten aus der Vergangenheit zu stehen, die im berühmten »Saal der Mörder« des Museums dokumentiert werden: Einer der uneinigen Erben des Museumsgründers wird verbrannt aus seinem Jaguar geborgen, die Leiche einer Frau in einem Koffer entdeckt, nachdem ihr Handy klingelte, und schließlich streckt der unbekannte Täter seine Finger auch nach Tally Clutton aus, der liebenswerten, resoluten alten Dame, die als guter Geist des Hauses in einem Cottage hinter dem Museum wohnt.
Im Saal der Mörder von Phyllis D. James
LESEPROBE
Nun übernahm Ackroyd die Führung. Was für ein erstaunlicher kleiner Mann, dachte Kate, während ihr Blick über den sorgfältig mit maßgeschneidertem Tuch verhüllten rundlichen Körper glitt, der vor lauter Ergriffenheit vibrierte. Sein Gesicht über der albernen gepunkteten Fliege zeigte die unschuldige Begeisterung eines Kindes. AD hatte dem Team von seinem ersten Besuch im Dupayne berichtet. Trotz chronischer Überlastung hatte er wertvolle Zeit geopfert, um Ackroyd ins Museum zu chauffieren. Kate wunderte sich nicht zum ersten Mal über das eigentümliche Phänomen der Männerfreundschaft, die offenbar nicht auf wahlverwandte Persönlichkeit oder gleiche Weltsicht gründete, sondern oft auf einem einzigen gemeinsamen Interesse oder einer geteilten Erfahrung beruhte, unkritisch, unaufdringlich, anspruchslos. Was um alles in der Welt hatten AD und Conrad Ackroyd gemeinsam? Jedenfalls war Ackroyd hier augenscheinlich in seinem Element. Er sprach frei, und seine Kenntnis der dokumentierten Mordfälle war wirklich umfassend. Den Fall Wallace behandelte er relativ ausführlich, und die Besucher entzifferten pflichtschuldig den Auszug aus dem Register des Schachklubs, in dem Wallace für den Vorabend des Mordes als Spieler eingetragen war, und verweilten in respektvollem Schweigen vor Wallaces unter Glas ausgestelltem Schachbrett.
»Diese Eisenstange in der Vitrine«, sagte Ackroyd, »ist nicht die Tatwaffe. Die wurde nie gefunden. Aber im Haus fehlte ein ganz ähnliches Gerät, das dazu diente, die Asche aus dem Kaminrost zu kratzen. Interessant sind auch diese beiden vergrößerten Polizeifotos von der Leiche, die in nur wenigen Minuten Abstand aufgenommen wurden. Auf dem ersten sehen Sie unter der rechten Schulter des Opfers Wallaces zusammengeknüllten Regenmantel, voller Blutflecken. Auf dem zweiten Foto hat man ihn entfernt.«
Mrs. Ballantyne besah sich die Fotos mit einer Mischung aus Abscheu und Mitleid. Ihr Mann und Professor McIntyre fachsimpelten über die Möbel und Bilder in dem überladenen Wohnzimmer, jene kaum benutzte kalte Pracht der gehobenen Arbeiterklasse, die sie als Sozialwissenschaftler offenbar mehr interessierte als Blut und eingeschlagene Schädel.
»Es war«, resümierte Ackroyd, »ein in dreifacher Hinsicht einzigartiger Fall. Zum einen widerrief das Revisionsgericht das ursprüngliche Urteil mit der Begründung, es sei nicht haltbar in Anbetracht der Beweislage, mit anderen Worten: Die Geschworenen hätten sich geirrt. Lordoberrichter Hewart, der dem Revisionsverfahren vorstand, muss das gehörig verärgert haben, denn nach seiner Philosophie war das britische Justizsystem nachgerade unfehlbar. Zum zweiten finanzierte Wallaces Gewerkschaft die Berufung, aber erst, nachdem sie mit allen Beteiligten in ihrem Londoner Büro zur Probe eine Art Miniaturprozess durchgespielt hatte. Und drittens war dies der einzige Fall, für den die anglikanische Kirche eigens ein Gebet herausgab, das dem Berufungsgericht zur rechten Entscheidung verhelfen sollte. Eine glänzende Fürbitte - zu der Zeit verstand sich die Kirche noch auf wortgewaltige Formulierungen -, die Sie hier im Schaukasten in der Liturgiefolge abgedruckt finden. Mir gefällt besonders der letzte Absatz. Und betet auch für die gelehrten Richter unseres gnädigen Herrn und Königs, auf dass sie getreu dem christlichen Gebote des Apostels Paulus folgen mögen: Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, welcher wird ans Licht bringen, auch was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Edward Hemmerde, der Vertreter der Anklage, war außer sich über dieses Gebet, und als es Wirkung zeitigte, hat er wahrscheinlich erst recht geschäumt.«
Ballantyne, der ältere der beiden Professoren, wiederholte sinnend: »Das Trachten der Herzen«, und die Gruppe wartete geduldig, während er ein Notizbuch zückte, kurzsichtig auf den gedruckten Gebetstext spähte und den letzten Satz abschrieb.
Den Fall Rouse behandelte Ackroyd weniger ausführlich; er beschränkte sich auf die von der Spurensicherung ermittelte mutmaßliche Ursache des Brandes und ließ Rouses zynischen Spruch über das Freudenfeuer gänzlich unerwähnt. Kate fragte sich, ob dies aus Klugheit oder Taktgefühl geschah. Sie hatte nicht erwartet, dass Ackroyd auf die Parallele zum Dupayne-Mord hinweisen würde, bewunderte aber nun das Geschick, mit dem er dieses heikle Thema umschiffte. Außer den Betroffenen hatte niemand von dem ominösen Automobilisten erfahren oder von der Bemerkung, die er Tally Clutton zugerufen hatte und die wie das unheimliche Echo auf Rouses Ausspruch klang. Während Ackroyd den Fall referierte, beobachtete Kate verstohlen Caroline Dupayne und James Calder-Hale, aber beide verrieten auch nicht das geringste Anzeichen gesteigerter Aufmerksamkeit.
Als Nächstes war der Koffermord von Brighton an der Reihe. Ein Fall, der Ackroyd weniger interessierte, da er sich nicht so leicht als zeittypisch einstufen ließ. Also konzentrierte er sich auf den Koffer.
»Das ist genau die Art Blechkoffer, mit denen arme Leute seinerzeit auf Reisen gingen. Die Prostituierte Violette Kaye hatte darin vermutlich ihr ganzes Hab und Gut verstaut, und am Ende wurde der Koffer ihr Sarg. Ihrem Geliebten Tony Mancini wurde im Dezember 1934 vor dem Assisengericht in Lewes der Prozess gemacht, der, dank der brillanten Verteidigung seines Anwalts Norman Birkett, mit Freispruch endete. Es war einer der wenigen Fälle, in denen das Gutachten des Gerichtsmediziners Sir Bernard Spilsbury erfolgreich angezweifelt wurde. Der Fall ist ein Musterbeispiel dafür, wie sehr es in einem Mordprozess auf Qualität und Ruf des Verteidigers ankommt. Norman Birkett - der spätere Lord Birkett von Ulverston - verfügte über eine ausnehmend schöne und einnehmende Stimme, eine höchst wirksame Waffe. Mancini verdankte Norman Birkett sein Leben, und wir wollen hoffen, dass er es seinem Retter gebührend lohnte. Vor seinem Tod gestand er übrigens, dass er Violette Kaye getötet hatte. Ob es vorsätzlicher Mord war, bleibt dahin gestellt.«
Kate hatte der Eindruck, die kleine Gruppe begutachte den Koffer mehr aus Höflichkeit denn echtem Interesse. Die dumpfe Luft nahm ihr schier den Atem. Wenn es doch endlich weiterginge! Der Saal der Mörder, ja das ganze Museum machten ihr schwer zu schaffen, seit sie das erste Mal einen Fuß ins Dupayne gesetzt hatte. Diese akribische Rekonstruktion der Vergangenheit war ihr wesensfremd. Nachdem sie jahrelang versucht hatte, die eigene Vergangenheit über Bord zu werfen, erlebte sie nun mit ohnmächtigem Zorn, wie klar und unerbittlich eben diese Vergangenheit sie Monat für Monat ein Stück weit einholte. Dabei war sie doch tot und erledigt, unwiderruflich. Ohne Hoffnung auf Wiedergutmachung oder auch nur verspätete Einsicht. Diese vergilbten Fotos ringsum dünkten sie nicht lebendiger als das Papier, auf dem sie gedruckt waren. Die abgebildeten Männer und Frauen hatten gelitten und Leid verursacht, doch inzwischen waren sie alle längst tot und vergessen. Was mochte den Gründer des Dupayne nur bewogen haben, sie mit so viel Sorgfalt zur Schau zu stellen? Wo sie doch für ihre Epoche bestimmt nicht mehr Bedeutung hatten als die Oldtimer, Kleider, Kücheneinrichtungen und Gebrauchsgegenstände jener Zeit. Einige der hier Abgebildeten waren unter gelöschtem Kalk begraben, andere auf einem Friedhof beigesetzt, aber von heutiger Warte aus hätten sie genauso gut allesamt in einer Gemeinschaftsgruft verscharrt sein können. Kate dachte: Wie kann ich mich sicher fühlen im Leben, außer in diesem Moment, der, noch während ich ihn durchmesse, Vergangenheit wird? Das Unbehagen, das sie schon beim Verlassen von Mrs. Faradays Haus verspürt hatte, beschlich sie aufs Neue. Es war unmöglich, dem Sog dieser frühen Jahre zu trotzen oder deren Macht zu brechen, solange man die eigene Vergangenheit leugnete.
Die Gruppe wollte gerade weitergehen, als die Tür aufflog und Muriel Godby hereintrat. Sie wirkte ein wenig erhitzt und eilte direkt zu Caroline Dupayne, die neben dem Koffer stand. Ackroyd, der schon im Begriff war, den nächsten Fall vorzustellen, hielt inne, und alles wartete.
Das beredte Schweigen und die vielen fremden Gesichter verwirrten Muriel, die offenbar gehofft hatte, ihre Nachricht diskret überbringen zu können. »Lady Swathling ist am Telefon, Miss Dupayne«, stammelte sie. »Ich habe ihr gesagt, Sie seien beschäftigt, doch sie lässt sich nicht abweisen.«
»Dann richten Sie ihr aus, ich sei immer noch beschäftigt. Ich rufe in einer halben Stunde zurück.«
»Aber sie sagt, es ist dringend, Miss Dupayne.«
»Also gut, ich komme.«
Caroline wandte sich zum Gehen, Muriel Godby folgte ihr, und die Gruppe wandte sich wieder Conrad Ackroyd zu. Und in dem Moment geschah es: Das Klingeln eines Mobiltelefons - so alarmierend und bedrohlich wie ein Feuermelder - zerriss die Stille. Es bestand kein Zweifel, woher es kam. Aller Augen richteten sich auf den Koffer. Kate war es, als ob die wenigen Sekunden, bevor jemand sprach oder etwas unternahm, sich zu Minuten dehnten, Minuten, in denen die Zeit gleichsam außer Kraft gesetzt war und die Gruppe zu einem Tableau erstarrte. Reglos wie Puppen standen sie, während das schrille Klingeln beharrlich anhielt.
Dann bemerkte Calder-Hale in forciert scherzhaftem Ton: »Da will uns offenbar jemand einen Streich spielen. Kindisch, aber erstaunlich wirkungsvoll.«
Muriel Godby ergriff die Initiative. »So ein Blödsinn!«, stieß sie hervor, und bevor jemand eingreifen konnte, stürzte sie, hochrot im Gesicht, zu dem Koffer, kniete nieder und hob den Deckel.
Ein Gestank so durchdringend wie chemisches Gas erfüllte den Raum. Kate, die hinter den anderen stand, erhaschte nur einen flüchtigen Blick auf einen zusammengekrümmten Torso und einen blonden Haarschopf, bevor Muriel den Deckel fahren ließ, der mit dumpfem Scheppern zufiel. Muriels Beine zitterten, ihre Füße scharrten über den Boden, als versuche sie aufzustehen, aber ihr Körper versagte den Dienst. Sie lag über den Koffer gebeugt, und die halb erstickten Laute, die sie von sich gab, klangen wie das Wimmern und Jaulen eines Not leidenden Hündchens. Das Klingeln war unterdessen verstummt. »O nein! O nein!«, stöhnte Muriel. Sekundenlang war auch Kate wie gelähmt gewesen. Doch dann siegte die Polizistin in ihr. Besonnen trat sie vor und nahm die Sache in die Hand.
Mit bewundernswert ruhiger Stimme wandte sie sich an die Gruppe: »Bitte treten Sie zurück!« Dann beugte sie sich zu Muriel hinunter, fasste sie um die Taille und versuchte, sie aufzurichten. Kate war kräftig gebaut, aber die stämmige Miss Godby war furchtbar schwer, und erst als Benton-Smith ihr zu Hilfe kam, gelang es, Muriel hochzuhieven und zu einem Sessel zu schleifen.
Kate wandte sich an Caroline Dupayne. »Ist Mrs. Clutton in ihrem Cottage?«
»Ich denke schon. Wahrscheinlich. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.«
»Dann bringen Sie Miss Godby hinunter ins Büro und kümmern sich um sie, ja? Man wird Sie so bald wie möglich ablösen.« Und an Benton-Smith gewandt, fuhr sie fort: »Lassen Sie sich von Miss Dupayne den Schlüssel geben und vergewissern Sie sich, dass die Eingangstür abgeschlossen ist und bleibt. Bis auf weiteres darf niemand das Haus verlassen. Dann benachrichtigen Sie Commander Dalgliesh und kommen wieder hierher zurück.«
© Droemer Verlag
Übersetzerin: Christa E. Seibicke
Autoren-Porträtvon Phyllis Dorothy James
Phyllis Dorothy James, 1991 zur Baroness James of HollandPark geadelt, wurde im Jahr 1920 geboren. Mit der Schriftstellerei begann siein den späten 50er Jahren unter schwierigen Voraussetzungen: Ihr Mann kehrteals Invalide aus dem Zweiten Weltkrieg zurück und Phyllis Dorothy wargezwungen, verschiedene Verwaltungsjobs anzunehmen, um die Familie zuunterstützen.
War es dennoch Glück im Unglück, dass ihr beruflicher Weg sie eines Tages indie Kriminalabteilung des Britischen Innenministeriums führte? Fragmente ihresersten Krimis »Cover her Face« entstanden nämlich genau in dieser Zeit und 1962wurde der Roman tatsächlich veröffentlicht. Dies war der Beginn einerbeispiellosen Karriere als Autorin.
»Im Saal der Mörder« ist nun ihr sechzehntes Buch und wieseine Vorgänger steht es seit Wochen auf Platz 1 derSunday-Times-Bestsellerliste. »P. D. James der Spitzenklasse«, urteilt TheSpectator. P. D. James ist also keineswegs in die Jahre gekommen. Vor wenigenWochen weilte sie auf Einladung des British Council seit langem wieder einmalin Berlin. Dynamisch beantwortet sie alle Fragen der Journalisten und lässtkeine Zweifel aufkommen, dass sie und ihr Werk inzwischen legendär gewordensind.
»Every novel needs truth«, so lautet ihr Standpunkt zu der immerwiederkehrenden Frage, ob Krimis auch »Literatur« sein können. Dem Großteil derLeser stellt sich diese Frage ohnehin nicht, sind P. D. James Romane dochKunst in Reinkultur. Ob Figuren, Situationen oder Schauplätze - nichts bleibtdem Zufall überlassen, sondern ist stets perfekt komponiert. Weit weg vomklassischen Whodunit gilt für die Welt der P. D. James: Es gibt nur wenigeunschuldige Opfer und nie einen komplett schuldigen Täter. Eben genau wie imrichtigen Leben.
- Autor: P. D. James
- 2005, 3. Aufl., 528 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Christa E. Seibicke
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 342662933X
- ISBN-13: 9783426629338
- Erscheinungsdatum: 01.06.2005
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