Inszenierte Versöhnung
Reisediplomatie und die deutsch-israelischen Beziehungen von 1957 bis 1984. Dissertationsschrift
In den 1960er-Jahren präsentierten sich deutsche Politiker auf "privaten Pilgerreisen" in Israel als Vertreter eines moralisch erneuerten Deutschlands. Nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen (1965) belegten die nun offiziellen Reisen den deutschen...
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Produktinformationen zu „Inszenierte Versöhnung “
In den 1960er-Jahren präsentierten sich deutsche Politiker auf "privaten Pilgerreisen" in Israel als Vertreter eines moralisch erneuerten Deutschlands. Nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen (1965) belegten die nun offiziellen Reisen den deutschen Anspruch auf "Normalisierung"; die israelische Regierung dagegen bestand in den Gesprächen auf der besonderen moralischen Verantwortung der Deutschen. Hinter den Kulissen verstanden beide Seiten von Beginn an ihre Wiederannäherung als ein pragmatisches Projekt. Die Studie analysiert umfassend, wie die Wiederannäherung nach dem Zivilisationsbruch der NS-Diktatur in die Rhetorik von Moral und Versöhnung gekleidet wurde.
Klappentext zu „Inszenierte Versöhnung “
In den 1960er-Jahren präsentierten sich deutsche Politiker auf "privaten Pilgerreisen" in Israel als Vertreter eines moralisch erneuerten Deutschlands. Nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen (1965) belegten die nun offiziellen Reisen den deutschen Anspruch auf "Normalisierung"; die israelische Regierung dagegen bestand in den Gesprächen auf der besonderen moralischen Verantwortung der Deutschen. Hinter den Kulissen verstanden beide Seiten von Beginn an ihre Wiederannäherung als ein pragmatisches Projekt. Die Studie analysiert umfassend, wie die Wiederannäherung nach dem Zivilisationsbruch der NS-Diktatur in die Rhetorik von Moral und Versöhnung gekleidet wurde.
Lese-Probe zu „Inszenierte Versöhnung “
I.EinleitungAls der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz 2014 nach Israel reiste, zog er mit seiner öffentlichen Stellungnahme zur Verteilung von Wasserressourcen die Kritik vieler Parlamentarier in der Knesset auf sich und sorgte für einen Eklat. Mitglieder der Regierungspartei Likud hatten vorab angekündigt, Schulz' Rede vor der Knesset boykottieren zu wollen. Der Abgeordnete Moshe Feiglin erklärte, es sei unzumutbar, einer Rede in der Sprache jener Verbrecher zuzuhören, die seine Eltern in die Deportationszüge und Krematorien gebracht hätten. Schulz hatte zuvor die palästinensischen Gebiete besucht und berichtete nun davon, dass ihm ein Palästinenser in Ramallah erzählt habe, der Pro-Kopf-Wasserverbrauch der Israelis übersteige den der Palästinenser um das Vierfache. Noch während dieser Rede stürmte der Wirtschaftsminister Naftali Bennett mit den Worten "Ich akzeptiere keinen Lügenreigen, und schon gar nicht von einem Deutschen" demonstrativ aus dem Saal. Das deutsch-israelische Verhältnis ist auch im Jahr 2014 noch von der Ermordung der europäischen Juden bestimmt, die gut 70 Jahre zuvor von Deutschen geplant, organisiert und durchgeführt worden war, also von Ereignissen, die allgemein als "die Vergangenheit" bezeichnet werden.
In den ersten Jahrzehnten nach dem Holocaust wurden die Beziehungen zwischen deutschen und israelischen Politikern wie auch die zwischen Wissenschaftlern beider Länder häufig als "Brücke über den Abgrund" bezeichnet. Strittig war, ob diese Brücke gebaut werden könnte, ja gebaut werden sollte. Anhand privater und offizieller Besuche und der Biographien der reisenden Politiker wird in der vorliegenden Untersuchung nach der politischen Praxis gefragt, die zur Annäherung und zum "Brückenbau" führte - und danach, welche Risse in dieser Brücke immer wieder auftraten. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel, von den ersten Kontakten bis zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen und ihrer Ausgestaltung, müssen vor dem
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Hintergrund des Ost-West-Konfliks und des beginnenden Kalten Kriegs betrachtet werden. Denn die Bundesrepublik Deutschland und Israel verstanden ihre diplomatischen Beziehungen als ein pragmatisches Projekt, das sich auf politische Konstellationen und die Wahrnehmung wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Interessenlagen gründete. Im Sinne eines "Gabentauschs" erhielt Israel dringend benötigte finanzielle Hilfe zum Aufbau des Landes, und die Bundesrepublik konnte Legitimität und internationales Ansehen zurückgewinnen. Auch wenn es beiden Ländern vorrangig um ihre je eigenen, konkreten Interessen ging, betonten sie gegenüber der breiten Öffentlichkeit die weitreichende moralische Bedeutung der bilateralen Beziehungen.
Die Frage lautet daher, in welchem Maß die Annäherung zwischen beiden Staaten vom Bewusstsein der verübten Verbrechen und von der Sensibilität der deutschen Seite für die israelischen Traumata und Befindlichkeiten geprägt war. Aber es muss auch gefragt werden, bis zu welchem Grad die machtpolitischen Konstellationen des Kalten Krieges in die deutsch-israelischen Beziehungen hineinspielten. Während die Rhetorik der Politiker nahelegte, dass das bilaterale Verhältnis und seine Entwicklung vor allem von der Geschichte des Holocaust her zu verstehen sei, trat dieser Gesichtspunkt in den Besuchsprogrammen und den diplomatischen Notizen im Umfeld der Besuche zunehmend in den Hintergrund. So wird zu zeigen sein, dass die deutsche Außenpolitik, wie sie sich in den Israel-Reisen deutscher Politiker und einigen Gegenbesuchen israelischer Politiker artikulierte, zu jedem Zeitpunkt von den eigenen Interessen innerhalb des westlichen Bündnisses und, damit verknüpft, im Nahen Osten abhängig war.
Die rhetorische Gestaltung des bilateralen Verhältnisses soll anhand der Besuchskultur nachvollzogen werden. Der Schwerpunkt wird hier auf die bisher weitgehend unbeachteten sogenannten privaten Besuche ranghoher Politiker in den 1960er Jahren gelegt, die
Die Frage lautet daher, in welchem Maß die Annäherung zwischen beiden Staaten vom Bewusstsein der verübten Verbrechen und von der Sensibilität der deutschen Seite für die israelischen Traumata und Befindlichkeiten geprägt war. Aber es muss auch gefragt werden, bis zu welchem Grad die machtpolitischen Konstellationen des Kalten Krieges in die deutsch-israelischen Beziehungen hineinspielten. Während die Rhetorik der Politiker nahelegte, dass das bilaterale Verhältnis und seine Entwicklung vor allem von der Geschichte des Holocaust her zu verstehen sei, trat dieser Gesichtspunkt in den Besuchsprogrammen und den diplomatischen Notizen im Umfeld der Besuche zunehmend in den Hintergrund. So wird zu zeigen sein, dass die deutsche Außenpolitik, wie sie sich in den Israel-Reisen deutscher Politiker und einigen Gegenbesuchen israelischer Politiker artikulierte, zu jedem Zeitpunkt von den eigenen Interessen innerhalb des westlichen Bündnisses und, damit verknüpft, im Nahen Osten abhängig war.
Die rhetorische Gestaltung des bilateralen Verhältnisses soll anhand der Besuchskultur nachvollzogen werden. Der Schwerpunkt wird hier auf die bisher weitgehend unbeachteten sogenannten privaten Besuche ranghoher Politiker in den 1960er Jahren gelegt, die
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Inhaltsverzeichnis zu „Inszenierte Versöhnung “
InhaltI.Einleitung 9
II.Vorsichtige Kontaktaufnahme und beginnende Kooperation in den 1950er Jahren25
III.Von der Waffenhilfe zur Diplomatie - "Private" und offizielle Reisen in den 1960er Jahren49
1.Die antisemitische Welle in der Bundesrepublik 1959/1960 und ein erstes Gipfeltreffen 54
2.Ein Schwabe zu Besuch bei Schwaben - Der Altpräsident Theodor Heuss in Israel im Mai 196058
3."Deutschlands Ansehen wiederherstellen" - Eugen Gerstenmaier in Israel im November 196277
4."Hereingebracht wie ein Dieb in der Nacht" - Franz Josef Strauß89
5."Zwiespalt zwischen Vernunft und Gefühl" - Die Verhandlungen zur Aufnahme
diplomatischer Beziehungen94
6."The builder of Jsrael" - Altkanzler Adenauers Pilgerreise im Mai 1966119
7.Fazit142
IV.Konsolidierung der Hegemonie und "keine Neutralität der Herzen" - Die 1970er Jahre145
1."Ausgewogene Nahostpolitik" statt "einseitiger Vergangenheit"149
2.Der "erste Kanzlerbesuch seit Kaiser Wilhelm" - Willy Brandt im Heiligen Land 184
3.Gegenseitige Ernüchterung 204
4.Fazit220
V."Leopard" und "Gnade der späten Geburt" - Die frühen 1980er Jahre221
1.Ein Besuch, der nicht stattfand - Die Schmidt-Begin-Kontroverse235
2.Die "Gnade der späten Geburt" - Ein unbefangener Helmut Kohl auf Staatsbesuch241
3.Fazit258
VI.Zusammenfassung263
Abkürzungsverzeichnis269
Archive und Literatur271
Danksagung284
Personenregister286
Autoren-Porträt von Jenny Hestermann
Jenny Hestermann, Dr. phil., ist wiss. Mitarbeiterin am Fritz Bauer Institut.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jenny Hestermann
- 2016, 290 Seiten, 23 Abbildungen, Maße: 15,4 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: CAMPUS VERLAG
- ISBN-10: 3593506157
- ISBN-13: 9783593506159
- Erscheinungsdatum: 02.09.2016
Pressezitat
»Hestermanns bündige Untersuchung der Reisediplomatie im historischen Kontext, die Einbeziehung der Biographien der Akteure und der Reaktionen der Öffentlichkeit machen ihr Werk [...] besonders empfehlenswert.« Gerd Kühling, H-Soz-Kult, 30.11.2016»'Inszenierte Versöhnung' [ist] ein origineller, sorgfältig recherchierter und gedankenreicher Beitrag zur Erforschung der deutsch-israelischen Beziehungen im Gefolge des Holocaust.« Ofer AshkenaziMaximilian, Historische Zeitschrift, 21.08.2018
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