Irgendwas is immer
Im Fernsehen macht Tine Wittler Wohnungen bunt und schön. Doch noch bunter wird's in ihren Romanen. So auch wieder mit den zwei Glücksritterinnen Marnie und Mona.
Die eine gründet das "Institut für alles", die andere macht Karriere mit der Show...
Im Fernsehen macht Tine Wittler Wohnungen bunt und schön. Doch noch bunter wird's in ihren Romanen. So auch wieder mit den zwei Glücksritterinnen Marnie und Mona.
Die eine gründet das "Institut für alles", die andere macht Karriere mit der Show "Renovieren um vier". Und beide haben ein gemeinsames "Objekt der Begierde".
Nein, keinen Mann - eine Bar.
Irgendwas is immer von Tine Wittler
LESEPROBE
Der erste Januar ist das Schlimmste,was einem mehr oder weniger erwachsenen Menschen passieren kann.
Wer zum Henker ist eigentlich aufdie Idee gekommen, dass man an Silvester völlig durchdrehen, mit Knallfröschenum sich werfen, Unmengen Schnaps trinken, ein bisschen sentimental werden, sichaber gleichzeitig total optimistisch fühlen und noch dazu gute Vorsätze fassenmuss, die einem am folgenden Tag überhaupt keinen Spaß mehr, aber dafür einschlechtes Gewissen machen?
Ich jedenfalls fühle mich an diesemersten Januar, als hätte mir jemand mit der Bratpfanne hinterrücks einen übergenuckt. Wie ich dabei aussehe, will ich gar nichtwissen, also ziehe ich mir die Bettdecke über den Kopf und versuche zu vergessen.Dummerweise kriege ich dabei schon bald keine Luft mehr und tauche ungehaltenwieder auf, in fieses, trübes Erster-Januar-Licht,das durch das ungeputzte Fenster wabert, weil ich in der Nacht natürlich nichtmehr dazu in der Lage gewesen bin, die Vorhänge zuzuziehen.
Anhand der Spur, die ich mit meinenKlamotten gelegt habe, kann ich recht präzise erkennen, in welchenSchlangenlinien ich ins Bett gekrochen sein muss. Der Umweg, den ich dabeigemacht habe, reicht locker für einen Halbmarathon.
So viel zu den guten Vorsätzen,»mehr Sport« wird also ebenfalls wieder dabei gewesen sein. Wie üblich. Sehrlobenswert.
Als ich mich in die Küche schleppe,stelle ich fest, dass ich auch dort ein paar Stunden zuvor nicht mehr Herrmeiner Sinne gewesen sein kann: Über den gesamten Korkfußboden schlängeln sichunzählige Wasserrinnsale; die Backofentür steht weit in den Raum hinein, warum auchimmer, und eine ungelenk aufgerissene Packung Frischkäse in der Spüle zeugtdavon, dass ich versucht habe, zum neuen Jahr noch schnell meinen viel zu langevernachlässigten Eiweißhaushalt in Ordnung zu bringen.
Nun gut.
Ächzend sinke ich an denKüchentisch.
Was, bitte, kommt als Nächstes?
Bestandsaufnahme.
Mein Name ist MarnieHilchenbach, so viel weiß ich noch. Ich bin dreißig Jahre alt, jedenfalls lautPapieren, und ich lebe in HamburgAltona. Allein,natürlich, denn wenn ich nicht allein lebte, wäre das Aufwachen nicht sogewesen, wie es gewesen ist, und jemand hätte mir längst liebevoll über denKopf gestreichelt, mir eine Aspirin ans Bett gebracht und mich scherzhaftgetadelt, weil ich so eine unvernünftige Silvesterpartybombe gewesen bin,obwohl ich das doch gar nicht nötig habe.
So viel zur Theorie.
In der Praxis bin ich verknallt ineinen Typen namens Eule, der zwar in der vergangenen Nacht zum ersten Mal mitmir geredet, dabei aber irgendwie doch einen seltsameren Eindruck hinterlassenhat als erwartet.
Und: Ich habe keinen Job.
Nicht mehr.
Nicht, dass das immer so gewesenwäre. Nein, bis vor kurzem war ich durchaus ein respektables Mitglied derGesellschaft; ich bin morgens ins Büro gefahren und selten vor acht von dortzurückgekehrt; ich habe mich dafür mit E-Shopping im Internet belohnt, weil ichso gut wie nie zu normalen Ladenöffnungszeiten auf die Straße kam; und meineFreunde waren hauptsächlich deshalb meine Freunde, weil sie ebenso wenig Zeitfür Freundschaften hatten wie ich.
Aber seit einigen Wochen ist dasalles anders, für mich und für 39 ehemalige Kollegen, die der New-Economy-Crash aus ihren gut bezahlten Jobs ins diffuseNirwana der Langeweile gespült hat.
Ich habe jetzt zwar Zeit, aber keinGeld, und einen Plan habe ich erst recht nicht.
Gut, es hätte da eine Möglichkeit gegeben,denn da ist noch Moritz, mit dem ich vor kurzem geschlafen habe, um überhauptmal wieder zu wissen, wie das geht. Moritz hat nicht nur eine schwangereFreundin, sondern auch eine Internetagentur, und in Letzterer hat er mir, damitich ihm Ersteres verzeihe, einen Job angeboten.
Wie ich in just diesem Moment vonmeinem Handy erfahren muss, habe ich diesen Job allerdings letzte Nacht - vermutlichin einem Anfall sturzbesoffenen Selbstrespekts - dankend abgelehnt. Denn als es»pling« macht und ich die Nachricht öffne, die mirMoritz soeben zugeschickt hat, steht da Folgendes:
»Auch dir ein Frohes Neues!!! Dasmit dem Job ist schade, aber Onlineredakteure sind ja grad nicht sooo schwer zu finden. :-) Kann verstehen, dass du wasanderes machen willst. Trotzdem bis bald? M.«
Ich stöhne auf und schlageverzweifelt mit dem Kopf auf die Tischplatte.
Super, Marnie.So, so. Du willst also was anderes machen. Aber was?
Wenn ich mich doch bloß erinnernkönnte!
Ich meine, nicht dass ich mich darumprügeln würde, meine Zeit demnächst wieder nonstop im glorreichen Hamsterradder globalen Netzseligkeit zu verbringen. Aber eine Situation wie meine ist nunmal leichter zu ertragen, wenn man sich sagen kann, dass man vielleicht nicht will,aber könnte.
Jetzt muss ich mir schon wiedersagen, dass ich vielleicht doch gewollt hätte, aber nun mal nicht mehr kann,jedenfalls nicht, ohne mein letztes bisschen Stolz zu verlieren, und das ist - sagenwir einfach: doof.
Was also macht man an einem erstenJanuar nach einem solchen Erwachen, wenn man außerdem für den Rest seinesLebens noch nichts vorhat?
Ich habe wirklich keine Ahnung. Fürden Moment beschränke ich mich darauf, meine Klamotten vom Schlafzimmerboden zuklauben und in die Waschmaschine zu stopfen, weil sie so nach Rauch stinken,und dann zünde ich mir eine Zigarette an und gehe einfach wieder ins Bett.Schade, dass die Kneipen noch zu sind.
© Scherz Verlag
- Autor: Tine Wittler
- 2007, 1, 382 Seiten, Maße: 14 x 21,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: FISCHER Scherz
- ISBN-10: 350211031X
- ISBN-13: 9783502110316
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
5 von 5 Sternen
5 Sterne 2Schreiben Sie einen Kommentar zu "Irgendwas is immer".
Kommentar verfassen