Jesus Christus
Lebhaft und mit viel historischem Kolorit erzählt sie von dessen Kindheit. Der jüdische Junge...
Lebhaft und mit viel historischem Kolorit erzählt sie von dessen Kindheit. Der jüdische Junge wächst heran wie die anderen Kinder auch. Doch er trägt etwas in sich, dass ihn von gewöhnlichen Menschen unterscheidet. Wohin wird ihn sein Weg führen? »Rice Roman über Jesus Christus wird ihre bisherigen Leser verblüffen und neue begeistern.« (The New York Times)
Jesus Christus von Anne Rice
LESEPROBE
Ich warsieben Jahre alt. Was weiß man schon, wenn man sieben ist? Mein ganzes Leben lang, so dachte ich zumindest, lebten wir in der großenStadt Alexandria, in der Straße der Zimmerleute, wo auch die anderen Galiläerwohnten. Doch früher oder später würden wir in das Land unserer Väterzurückkehren. Es war später Nachmittag. Wir spielten, unsere Bande gegen seine,und als er mich wieder anrempelte, dieser gemeine Kerl, der viel stärker warals ich, und mich aus dem Gleichgewicht brachte, spürte ich, wie diese Kraftvon mir ausging, als ich ihn anschrie: »Du wirst niemals dein Ziel erreichen!«Worte, die ich selbst nicht verstand.
Und dastürzte er schon, das Gesicht kalkweiß, auf die sandige Erde, und alle schartensich um ihn. Die Sonne brannte herab, und meine Brust hob und senkte sich, alsich sah, wie schlaff und reglos er dalag.
Als hättejemand mit den Fingern geschnippt, wichen plötzlich alle zurück. In der ganzenStraße war es mit einem Mal ruhig geworden, nur noch das Hämmern derZimmerleute war zu hören. Nie zuvor hatte ich eine solche beängstigende Stillevernommen. »Er ist tot!«, sagte der kleine Joses. Unddann stimmten alle ein und riefen: »Er ist tot, er ist tot, er ist tot.«
Ich wusste,dass sie recht hatten. Leblos lag sein Körper auf demstaubigen Boden.
Eine tiefeLeere breitete sich in mir aus. Alle Kraft war aus mir herausgeflossen.
SeineMutter kam aus dem Haus gerannt, ihre Schreie hallten von den Hausmauern wider.Von überall her strömten die Frauen nun herbei.
MeineMutter hob mich hoch. Sie trug mich die Straße hinunter, durchquerte mit mirden Hof und trat in das dunkle Haus. Meine Cousinen und Cousins drängten sichhinter uns herein, und Jakob, mein größerer Bruder, zog den Vorhang vor. Mitdem Rücken zum Vorhang sagte er: »Jesus war es. Er hat ihn getötet.« Seine Stimme bebte vor Angst.
»Hör auf,solchen Unsinn zu reden!«, fuhr Mutter ihn an. Sie drücktemich so fest an sich, dass ich kaum Luft bekam. Josef war nun ebenfallserwacht.
Er war meinVater, weil er mit meiner Mutter verheiratet war, aber ich nannte ihn nieVater. Ich sollte ihn einfach nur Josef nennen. Warum, das wusste ich nicht.
Er hatteauf der Matte am Boden geschlafen. Den ganzen Tag über hatten er und seineBrüder an Philons Haus gearbeitet. In der Hitze desNachmittags hatten sie sich hingelegt, um sich auszuruhen. Er setzte sich auf.
»Was istdas für ein Geschrei da draußen?«, fragte er. Er sahmeinen Halbbruder Jakob an, seinen ältesten Sohn aus der Ehe mit seiner erstenFrau, die gestorben war, bevor er meine Mutter geheiratet hatte.
Jakobwiederholte, was er zuvor gesagt hatte.
»Jesus hat Eleasar getötet. Er hat ihn mit einem Fluch belegt, und daist er tot umgefallen.«
Josefstarrte mich an, das Gesicht noch schlaftrunken. In der Straße wurden dieSchreie immer lauter. Er fuhr sich mit der Hand durch seine Locken.
Inzwischenwaren meine kleineren Cousins durch die Tür geschlüpft und drängten sich umuns.
MeineMutter zitterte. »Nie könnte er so etwas tun«, sagte sie. »Niemals!«
»Ich habees mit eigenen Augen gesehen«, sagte Jakob. »Ich habe gesehen, wie er am SabbatVögel aus Ton geformt hat. Der Gelehrte hat ihm gesagt, dass er das am Sabbatnicht tun darf. Da hat Jesus die Vögel angeschaut, und plötzlich wurden sielebendig und flogen davon. Du hast es doch auch gesehen, Mutter. Und jetzt hater Eleasar getötet!«
MeineCousins bildeten einen Kreis aus blassen Gesichtern im Dämmerlicht des Zimmers:der kleine Joses, Judas, der kleine Symeon undSalome, alle besorgt, dass man sie im nächsten Moment hinausschicken könnte.Salome war genauso alt wie ich und stand mir am nächsten. Sie war wie eineSchwester für mich. Dann kam Kleopas herein, derBruder meiner Mutter, einer, der sich immer gern reden hörte. Auch mein Cousin Silas, der etwas älter als Jakob war, hatte den Raumbetreten. Er ging schnurstracks in die Ecke, gefolgt von seinem Bruder Levi,der ebenfalls sehen wollte, was vor sich ging.
»Josef,Jonathan bar Zakkai und seine Brüder stehen da draußen«,ergriff Kleopas das Wort. »Sie sagen, Jesus hat ihrenJungen getötet. Ich glaube jedoch, dass sie nur neidisch sind, weil wir denAuftrag neulich bekommen haben; überhaupt missgönnen sie uns, dass wir immermehr Arbeit haben, wo sie doch denken, dass sie die besseren Handwerker sind «»Ist der Junge wirklich tot«, fragte Josef und schnitt ihm das Wort ab, »oderlebt er noch?«
Salomelöste sich aus der Schar der Umstehenden und huschte zu mir, um mir etwas insOhr zu flüstern. »Mach ihn doch einfach wieder lebendig, Jesus, so wie du dieVögel lebendig gemacht hast!«
Symeonkicherte. Er war noch zu klein, um zu begreifen, was geschehen war. Der kleineJudas hingegen wusste um den Ernst der Lage und schwieg.
»Halt«,sagte Jakob, als Ältester der Anführer von uns Kindern. »Salome, sei still.«
Die Schreieder Menschenmenge draußen wurden immer lauter. Auch andere Geräusche drangenherein. Steine wurden an die Hausmauer geworfen. Meine Mutter begann zu weinen.»Hört auf damit!«, rief Onkel Kleopasund lief zur Tür hinaus, Josef ihm auf den Fersen.
Ich wandmich aus der Umklammerung meiner Mutter und huschte ebenfalls hinaus, noch ehesie mich zurückhalten konnte. Ich rannte an meinem Onkel und Josef vorbei und bahntemir einen Weg durch die Menge. Die Menschen brüllten durcheinander und balltendie Fäuste. Ich war so schnell, dass sie mich nicht einmal bemerkten, wie einFisch im Wasser schlängelte ich mich durch die wütende Menge, bis ich an Eleasars Haus angekommen war.
Die Frauenstanden mit dem Rücken zur Tür und sahen mich nicht, als ich das Zimmer betrat.Ich ging geradewegs zu der Stelle in dem dunklen, nur von einer Lampebeleuchteten Raum, wo sie ihn auf eine Matte auf den Boden gelegt hatten. SeineMutter kniete neben ihm und schluchzte, während sie sich auf die Schulter ihrerSchwester stützte.
Eleasarsah sehr blass aus, wie er leblos, die Arme seitlich am Körper, dalag. Er trugnoch immer die schmutzige Tunika, und seine Fußsohlen waren schwarz. Sein Mundstand offen, zwischen den Lippen schimmerten weiß seine Zähne. Der griechischeArzt - ein Jude - betrat den Raum und kniete sich neben dem Jungen nieder. Erbetrachtete ihn und schüttelte dann den Kopf.
Plötzlichfiel sein Blick auf mich, und er sagte: »Raus hier!«
EleasarsMutter drehte sich um, und als sie mich erkannte, begann sie zu schreien.
Ich beugtemich über ihn. »Wach auf, Eleasar«, sagte ich. »Wachauf.«
Ichstreckte die Hand aus und legte sie ihm auf die Stirn. Im nächsten Momentspürte ich, wie die Kraft durch meine Hand strömte, und ich schloss die Augen.Mir war schwindlig. Doch dann hörte ich, wie er atmete.
DasGeschrei seiner Mutter gellte mir in den Ohren. Auch ihre Schwester schrie, undplötzlich fielen alle Frauen in ihr Geschrei ein.
Kraftlossackte ich zu Boden. Der griechische Arzt starrte auf mich herab. Mir war übel.Im Zimmer herrschte ein so schummriges Licht. Immer mehr Menschen kamen herein.
Eleasarsetzte sich auf, und noch ehe jemand etwas unternehmen konnte, saß er auf mirund begann mich mit seinen Fäusten zu traktieren; immer wieder schlug er mirden Kopf gegen den Boden. »Sohn Davids, Sohn Davids«, höhnte er, »Sohn Davids, SohnDavids!« Wieder schlug er mir ins Gesicht, stieß mirin die Rippen, bis sein Vater ihn um die Taille packte und hochhob. Jede Fasermeines Körpers schmerzte, und ich rang nach Atem. »Sohn Davids!«, schrie Eleasar noch immer.
Plötzlichwurde auch ich hochgehoben und aus dem Haus getragen. Draußen herrschte nochimmer dichtes Gedränge. Ich schnappte nach Luft. In meinem Kopf dröhnte es. Aufder Straße war ein einziges Geschrei, schlimmer als zuvor. Jemand sagte, dassder Gelehrte komme, und ich hörte, wie Onkel KleopasJonathan, Eleasars Vater, auf Griechisch etwaszurief, woraufhin Jonathan zurückbrüllte: »Sohn Davids, Sohn Davids!«
Erst jetztwurde mir bewusst, dass Josef mich auf den Armen trug und sich mühsam einen Wegdurch die Menge zu bahnen versuchte, doch die aufgebrachten Menschen ließen ihnnicht durch. Kleopas schubste EleasarsVater zur Seite, woraufhin der sich auf Kleopasstürzen wollte, doch ein paar Männer packten ihn an den Armen und hielten ihnfest. Aus dem Haus heraus konnte ich noch immer Eleasartoben hören.
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© VerlagHoffmann und Campe
Übersetzung:Monika Köpfer
- Autor: Anne Rice
- 2007, 1, 350 Seiten, Maße: 21,6 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Monika Köpfer
- Verlag: Hoffmann und Campe
- ISBN-10: 3455400426
- ISBN-13: 9783455400427
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