Jesus und Tiberius
Zwei Söhne Gottes
Zwei Söhne Gottes. Der Sohn Gottes? Das war zu Jesu Zeiten Tiberius, Kaiser des Römischen Reiches. Dann erst kam Jesus, der genauso genannt wurde und damit die Welt veränderte.
Carsten Peter Thiedes Doppelbiografie über Tiberius und Jesus eröffnet Ihnen...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Jesus und Tiberius “
Zwei Söhne Gottes. Der Sohn Gottes? Das war zu Jesu Zeiten Tiberius, Kaiser des Römischen Reiches. Dann erst kam Jesus, der genauso genannt wurde und damit die Welt veränderte.
Carsten Peter Thiedes Doppelbiografie über Tiberius und Jesus eröffnet Ihnen einen neuen und überraschenden Zugang zum historischen Jesus und zu seiner Zeit. Zugleich zeichnet er ein ganz ungewohntes Bild des Tiberius und des römischen Imperiums. Diese neue Betrachtung der scheinbar unvergleichbaren Kontrahenten führt zu überraschenden Perspektiven.
Carsten Peter Thiedes Doppelbiografie über Tiberius und Jesus eröffnet Ihnen einen neuen und überraschenden Zugang zum historischen Jesus und zu seiner Zeit. Zugleich zeichnet er ein ganz ungewohntes Bild des Tiberius und des römischen Imperiums. Diese neue Betrachtung der scheinbar unvergleichbaren Kontrahenten führt zu überraschenden Perspektiven.
Klappentext zu „Jesus und Tiberius “
Als der historische Jesus ungefähr im Jahr 7 v. Chr. geboren wird, herrscht noch Augustus als Kaiser. Im Jahr 14 n. Chr. beginnt die Regentschaft von Tiberius, und da er seinen Vorgänger zum »Divus«, zum »Vergöttlichten« ausrufen läßt, wird er zum »Filius Divi«, zum Sohn Gottes. Das aber ist genau der Titel, der im Lukasevangelium für den noch ungeborenen Jesus in Anspruch genommen wird. Carsten Peter Thiede erzählt das Leben des Religionsgründers und das des römischen Kaisers vor dem Hintergrund der religions- und machtpolitischen Auseinandersetzung zwischen Kaiserkult und jüdischem Messiasglauben. Diese parallele Betrachtung der scheinbar unvergleichbaren Kontrahenten gab es bisher nicht, und sie führt zu überraschenden Perspektiven. Denn mit diesem Blick auf den historischen Jesus wird eine Darstellung auch der römischen Sichtweise möglich, und manches verschüttete Quellenmaterial macht erstaunlich neuen Sinn. Bravourös vergegenwärtigt Thiede einen geschichtlichen Moment, der sich als einer der Wendepunkte der Weltgeschichte herausstellen wird: In der Tradition der Doppelbiographie, die von Plutarch erfunden und zuletzt von Alan Bullock zu einem vorläufigen Höhepunkt geführt wurde, erzählt er von einem Sohn Gottes, den die Weltgeschichte vergessen hat, und von einem, der Weltgeschichte schrieb.Lese-Probe zu „Jesus und Tiberius “
1 Einleitung: Die Söhne Gottes und die QuellenLustig in die Welt hinein
Gegen Wind und Wetter!
Will kein Gott auf Erden sein,
Sind wir selber Götter!
Wilhelm Müller, "Mut!" (drittes Quartett), aus: Die Winterreise, 1828
"Wir schwören bei Cäsar, Gott,
von einem Gott abstammend."
Papyrus Oxyrhynchus 1453, 30/29 v. Chr., auf Cäsar Octavian (Kaiser Augustus)
Fragezeichen
Brauchen wir einen realen, historischen Jesus, oder sollten wir uns damit zufriedengeben, daß Jesus im Bewußtsein vieler Menschen zur mythischen Hauptperson einer der Weltreligionen geworden ist? Neueste archäologische Entdeckungen, die Wiederentdeckung vergessener Quellen, unerwartete Erkenntnisse aus dem Zusammenspiel internationaler Forscher geben die Antwort: Die Zeit des Jesus von Nazareth gehört heute zu den Epochen, über die uns mehr bekannt ist als über jede andere der Antike. Daß es so ist, wissen jedoch nur wenige. Viel weiter verbreitet sind die alten Vorurteile aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nach denen es wenig Gewißheit über den Jesus der Geschichte gibt. Wer unbedingt will, so heißt es, möge sich an den Christus des Glaubens halten. Nach einem alten Scherz, der unter Historikern erzählt wird, wisse man zwar, daß Jesus gekreuzigt wurde, aber ob er jemals geboren wurde, sei schon weniger sicher.
Die Althistoriker, die Experten für antike Geschichte also, und die klassischen Philologen, die sich mit den Texten der Antike befassen, haben dieses Spiel lange mitgespielt: "Christiana non leguntur" hieß das geflügelte Wort: Christliches wird nicht gelesen. Schließlich gab und gibt es dafür an den Universitäten eine eigene Fakultät, die theologische.1 Unter den Theologen hatten die Spezialisten für das Neue Testament ihrerseits wenig Interesse daran, ihre Texte als Quellen der antiken Geschichte ernst zunehmen. Man behandelte sie lieber als etwas ganz Eigenes, das nach besonderen Spielregeln zu untersuchen sei. Sogar eine eigene Sprache, die es nie gab, wurde zu
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diesem Zweck unterrichtet: Neutestamentliches Griechisch.2
Befremdlicher als die Langsamkeit, mit der sich Altertumswissenschaften und Theologie aufeinanderzubewegen (manche Kritiker meinen, sie bewegen sich eher noch immer auseinander), ist der Verzicht auf Erkenntnisse, die längst schon einmal gewonnen waren.3 Die Selbstisolation in der neutestamentlichen Forschung hat auch eine ironische Seite: Je internationaler die vernetzte Welt in anderen Lebensbereichen wird, desto geringer wird hier die Bereitschaft, sich mit Forschungen zu befassen, die nicht in der eigenen Sprache veröffentlicht werden und nicht der eigenen Meinung entsprechen. Angelsächsische Wissenschaftler lesen in der Regel nichts Deutsches (von anderen Sprachen zu schweigen), deutschsprachige Forscher nehmen vielleicht den einen oder anderen englisch verfaßten Text zur Kenntnis, sind aber gegenüber der französischen, italienischen oder spanischen Literatur weitgehend immunisiert. Nicht erfunden ist der Fall eines deutschen Neutestamentlers, der sich weigerte, einen finnischen Aufsatz zur Kenntnis zu nehmen: Um gegebenenfalls seine Meinung ändern zu müssen, werde er diese Sprache nicht lernen. Der vergleichsweise geringe Aufwand, sich notfalls auch einmal etwas übersetzen zu lassen, war schon zuviel - man ist sich selbst genug.
Hier ist also noch manches nachzuholen. Unbequem mag das durchaus sein, denn es könnte ja zu dem Ergebnis führen, daß Althistoriker und klassische Philologen recht haben, wenn sie die neutestamentlichen Schriften für alt, für unverfälscht überliefert und historisch glaubwürdig halten und ohne Vorurteile neben die griechischen und römischen Historiker der gleichen Zeit stellen. Doch es lohnt sich auch um der Sache willen. Denn die Geschichte des Galiläers Jesus entstand nicht in einem historischen Vakuum. Sie gehört in die antike Geschichte ebenso wie das Leben des Augustus, unter dem er geboren wurde, und des Tiberius, unter dem er öffentlich auftrat und getötet wurde. Darum geht es in diesem Buch: das Panorama einer parallelen Geschichte zu entwickeln, in der Jesus von Nazareth nicht anders behandelt wird als der römische Kaiser Tiberius. Aber auch sein Gegenüber Tiberius könnte davon profitieren, denn sein Ruf hat unter den Verleumdungen seiner nachgeborenen Kritiker bis heute gelitten.
Die parallele Zeitgeschichte beginnt bereits mit der Geburt Jesu: Jesus wurde nicht im Jahr 0 geboren, sondern im Winter 7 v. Chr., unter dem Amtsvorgänger des Tiberius, jenem Gaius Iulius Caesar Octavianus, den man seit 27 v. Chr. "Augustus" nannte, auf deutsch den "Anbetungswürdigen", und der in der Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums eine Nebenrolle spielt (Lukas 2,1).4 Zu dieser Zeit war Tiberius Claudius Nero - so sein vollständiger Name - dreiunddreißig Jahre alt und noch einundzwanzig Jahre von seinem Machtantritt als Nachfolger des Augustus entfernt. Er war bereits "Pontifex", also ein Mitglied des Priesterkollegiums, das die Aufsicht über Religion und Kultus innehatte. Geschieden und seit 11 v. Chr. in zweiter Ehe mit Julia, einer Tochter des Augustus, verheiratet, hatte er gerade vier Jahre lang als Legat in Pannonien und Dalmatien gedient, also Teilen des heutigen Ungarn, Slowenien, Serbien und Kroatien. Ein Jahr vor der Geburt Jesu in Bethlehem wurde er Befehlshaber der Truppen in Germanien und feierte am 1.Januar 7 v. Chr. den "Triumph ex Germania", den Festzug vom Marsfeld über das Forum zum Kapitol, der einem siegreichen Feldherrn als höchste Ehre gewährt wurde: Tiberius war es, der in den Jahren vor der katastrophalen Niederlage des Varus gegen Hermann (Arminius) den Cherusker die römischen Truppen noch siegreich über den Rhein und die Elbe hinausgeführt hatte.
Die Jugend Jesu, sein öffentliches Wirken und seine durch den Präfekten Pilatus am 7. April 30 n. Chr. nach den Regeln römischen Rechts bewirkte Hinrichtung geschahen zu Lebzeiten dieses Tiberius und seit 14 n. Chr. unter dessen Kaiserherrschaft. Der Kaiser, 42 v. Chr. geboren, überlebte den in seinem Namen gekreuzigten Jesus um fast sieben Jahre; Tiberius starb am 16. März 37 n. Chr. in Misenum am Nordrand des Golfs von Neapel. Als Tiberius seinen Vorgänger und Adoptivvater Augustus am 17. September 14 n. Chr. vom Senat zum "Divus", zum Vergöttlichten, ausrufen ließ, wurde er selbst "Filius Divi", Sohn des Göttlichen. Im griechischsprachigen Osten lautete diese Bezeichnung schon viel eindeutiger "Hyios Theou", Sohn Gottes. Das entsprach wörtlich dem Titel, den schon der noch ungeborene Jesus im Lukasevangelium erhält (Lukas 1,35). So gab es im Bewußtsein der ersten Christen offensichtlich die politische und religiöse Konkurrenz zweier "Söhne Gottes".
Es ging also sehr früh schon um Machtkämpfe, um Religionspolitik, Intrigen und um den tödlichen Konflikt des römischen Kaiserkults mit dem jüdischen Gottes- und Messiasglauben. Bei einer "parallelen" Betrachtung der beiden auf den ersten Blick unvergleichbaren Kontrahenten werden die Konturen schärfer erkennbar; und auf diese Weise können nicht nur Tiberius und das Römische Reich ganz anders als üblich gesehen werden. Es ist auch möglich, Jesus und seine Rolle aus Sicht der Juden und der Römer zu verstehen. Damit gerät manches verschüttete Quellenmaterial wieder in den Blick. Und im Vergleich der Quellen über Tiberius stellt sich heraus, daß die Dokumente über Jesus nach gleichen Maßstäben verfaßt sind. Mit anderen Worten: Wir befinden uns nicht auf einem ungleichen Terrain, mit einem Kaiser und einem am äußersten Rand des Imperiums hingerichteten Juden. Der Konflikt zweier Söhne Gottes wird erkennbar als der Beginn eines Wandels in der Weltgeschichte.
Die Grundidee zu diesem Buch stammt immerhin schon aus der Antike. Plutarch, der Anfang des 2.Jahrhunderts n. Chr. mit seinen dreiundzwanzig parallelen Biographien (das bekannteste Beispiel: Alexander - Caesar) berühmt wurde, machte den Anfang. Im 20.Jahrhundert schuf Lord Alan Bullock ein Meisterwerk der Gattung, Hitler and Stalin. Parallel Lives. Kann man einen neuen Zugang zu einer der entscheidenden Epochen der abendländischen Geschichte gewinnen, wenn man nach solchen "Modellen" Jesus und den römischen Kaiser Tiberius einander gegenüberstellt?
Zerreißproben und Untergänge
Als Jesus auf die Welt kam, war seine Welt ein Teil des Römischen Reichs. Sie war nicht, wie man das lange glaubte, ein verlorener Winkel am östlichen Ende, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagten, sondern im Gegenteil ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor, ein mehrsprachiges, multikulturelles Gebiet, in dem sich Menschen entlang der große Handelsstraßen trafen - an der Via Maris zum Beispiel, die Syrien mit Ägypten verband und die jüdischen Kernlande durchquerte, oder in den bedeutenden Mittelmeerhäfen wie Caesarea und Jafo. Auf den folgenden Seiten soll ein Panorama der Konflikte gezeigt werden, in die Jesus und Tiberius hineingeboren wurden.
Kulturell lag der erste wesentliche Einschnitt schon lange zurück: Alexander der Große hatte zwischen 334 und 331 v. Chr. den östlichen Mittelmeerraum in sein Herrschaftsgebiet eingegliedert. Auf dem Weg nach Ägypten besuchte er 332 v. Chr. auch Jerusalem und opferte dem Gott der Juden im Tempel.5 Eine Hinwendung zur jüdischen Religion war mit diesem rituellen Akt nicht verbunden: Wenig später ließ sich Alexander öffentlich als Sohn des Gottes Zeus darstellen. Entscheidend war, daß mit Alexander und auch nach seinem frühen Tod 323 v. Chr. die griechische Sprache und griechisches Denken auch die jüdischen Gebiete von Galiläa, Samaria und Judäa erfaßte. Versuche frommer jüdischer Bewegungen, in der Zeit der Kriege und Aufstände unter den Nachfolgern Alexanders den Einfluß des "Hellenismus" zurückzudrängen, fruchteten nicht. Auch die ägyptischen und seleukidischen Reiche waren vom Geist des Griechentums geprägt, vor allem die Sprache nutzten alle diese Völker als ein Instrument der Macht, der Wirtschaft und des Handels und nicht zuletzt religiöser Einflußnahmen. Als beispielsweise 198 v. Chr. bei Caesarea Philippi (vgl. Markus 8,27; Matthäus 16,13), das damals noch Paneas hieß, die Ägypter von den Seleukiden unter Antiochus III. entscheidend geschlagen wurden, erhielten die Juden zwar erneut Privilegien, darunter die Genehmigung, allen Nichtjuden, den "Unbeschnittenen", den Zugang zum Tempel zu verbieten. Die Sprache jedoch, in der das geschah, war keine babylonische, auch nicht Hebräisch, sondern Griechisch.6
Die politischen Entwicklungen, die sich seit 198 v. Chr. mit dem Sieg der Seleukiden abgezeichnet hatten, wurden auch von den nachfolgenden Umstürzen nicht aufgehalten. Kaum hatte Antiochus einen überflüssigen Krieg gegen die Römer verloren, vergriff er sich an den Kultstätten seiner Untertanen, um die römischen Reparationsforderungen erfüllen zu können. Als er den Tempel der Elamiter (vgl. Apostelgeschichte 2,9) ausrauben wollte, wurde er umgebracht. Auch die Juden waren nun nicht mehr sicher. Als der abgesetzte Hohepriester Jason mit seiner Miliz Jerusalem überfiel und die Seleukiden mitsamt dem von ihnen eingesetzten Hohenpriester Menelaus vertrieb, griff 169 v. Chr. König Antiochus IV. ein. Dieser Seleukide hatte sich den griechischen Beinamen "Epiphanes" zugelegt, "die Erscheinung (Gottes)" - ein Wort, das wir heute noch im griechischen Namen des Dreikönigsfestes am 6.Januar erkennen: "Epiphanias". Wer aber entscheidet, wann, wo und in wem Gott sich offenbart? Die Christen im Westen des Römischen Reichs erklärten später, daß Gott selbst die Entscheidung traf und am Tag der drei Weisen aus dem Morgenland in seinem Sohn Jesus auch den nichtjüdischen Völkern erschien. Für alle Juden war jedoch der Anspruch des Fremdherrschers Antiochus IV., eine Erscheinung Gottes zu sein, nichts anderes als eine abscheuliche Gotteslästerung. Als er den Jerusalemer Tempel leerräumen ließ und den Tempelgottesdienst verbot, heidnische Tieropfer einführte und mitten in der Stadt seine eigene Burg baute, die "Akra", war Jerusalem zu einer griechischsprachigen Militärkolonie geworden. Die endgültige Hinwendung zu fremden Götterkulten im mittlerweile von Juden gänzlich verlassenen Jerusalem kam am 6. April 167 v. Chr., als der Tempel dem Olympischen Zeus geweiht wurde.
Einhundertsechzig Jahre vor der Geburt des Jesus von Nazareth, einhundertfünfundzwanzig vor der des Tiberius, waren das nicht nur vorübergehende Ereignisse. Im Bewußtsein der Juden setzte sich die Entweihung des Tempels, der zum Kultort des Zeus geworden war - als dessen Sohn sich zuvor Alexander der Große bezeichnet hatte - unauslöschlich fest.7 Für die künftigen Beziehungen der Juden zu anderen Kulturen in "Eretz Israel", ihren Kernlanden also, heute umgangssprachlich meist noch "Heiliges Land" genannt, war hier vielleicht erstmals unübersehbar ein Riß entstanden. Jene Juden, die sich für die fremden, griechischsprachigen Kulturen geöffnet hatten, ohne dabei ihre eigene Religion zu verleugnen, die Juden, die in der griechischen Sprache und in der Auseinandersetzung mit dem Denken und Glauben des Hellenismus eine Chance sahen, sich intellektuell weiterzuentwickeln, sie hatten sich nicht durchsetzen können gegen die orthodox-fromme Mehrheit in der Stadt des Tempels. Die Gewaltmaßnahmen der siegreichen Seleukiden trafen nun aber gerade die Frommen, die sich vom Hellenismus so weit wie möglich fernhalten wollten. Bedeutete es da nicht eine Verleugnung der gemeinsamen Jüdischkeit, die auf der "Tora" gründete, den fünf Büchern des Mose, wenn man in kritischer Zeit weiterhin griechisch las und schrieb und die hellenistische Kultur nicht grundsätzlich ablehnte? Der Konflikt, plötzlich und ungewollt in das Judentum eingedrungen, blieb ungelöst bis in die Zeit Jesu und darüber hinaus.
Die Römer hielten sich zu dieser Zeit aus den Konflikten zwischen Judentum und Hellenismus heraus. Ihr Sieg über Antiochus III. hatte ihnen den nötigen Einfluß auf die Seleukiden gesichert, und Mitglieder des Herrscherhauses gingen zum Studium nach Rom. Vor allem Antiochus IV. Epiphanes, die "Erscheinung Gottes", hatte sich in Rom nicht nur politisch ausbilden lassen. Als sein Bruder Seleukos IV. ermordet wurde, kehrte er aus der Reichshauptstadt zurück, um die Macht zu übernehmen. In Jerusalem ging die prohellenistische Gruppe unter dem Hohenpriester Jason rücksichtslos zur Sache. Die Priesterschaft und der Adel beantragten beim König die Errichtung eines Gymnasiums, also eines Sportgeländes, in der die Wettkämpfer nach antikem Brauch nackt auftraten. Einige der Juden gingen aus diesem Grund sogar so weit, sich die beschnittene Vorhaut durch einen operativen Eingriff künstlich wiederherzustellen zu lassen.8 Alles Jüdische wurde zurückgedrängt, und es wurde auch keinerlei Anstrengung unternommen, den Kult der Götter Herakles (Herkules) und Hermes (Merkur) zu unterbinden, die traditionell als Schutzgottheiten mit dem Gymnasium verbunden waren. Daß auch die Tempelpriester offenbar vergnügt mitmachten, berichtet das Zweite Buch der Makkabäer, das vor Ende des 2.Jahrhunderts v. Chr. entstand: "So kümmerten sich die Priester nicht mehr um ihre Altardienste. Von den neuen Gedanken völlig eingenommen, vernachlässigten sie die Opfer und beeilten sich, wenn das Diskuswerfen angekündigt war, an dem ungesetzlichen Spiel auf dem Sportplatz teilzunehmen."9
Der Konflikt zwischen dem Beharren auf dem Judentum und der Anpassung an den Hellenismus wurde nicht selten gewaltsam ausgetragen. Der Aufstand der Makkabäer gegen die Seleukiden und ihre Mitläufer 166 v. Chr. begann damit, daß ein noch altfrommer Priester namens Mattatias in der Stadt Modi'in einen Mitjuden erdolchte, der am heidnischen Götteraltar opfern wollte. Mattatias stach auch den königlichen Aufseher nieder, der den Kult überwachte. Damit war das Signal für den bewaffneten Widerstand gegen die Fremdherrscher, ihre Gottheiten und ihre "Gotteserscheinungen" gegeben.10 Unter der Führung des Mattatias-Sohnes Judas, der den Beinamen "der Hammer" erhielt ("Makkabi" /"Makkabäus"), sammelten die Söhne eine erfolgreiche Truppe um sich, die innerhalb eines Jahres alle Anhänger der Seleukiden, unter ihnen viele Juden, umbrachte oder vertrieb. Höhepunkt ihrer Aktion war die Rückeroberung des von heidnischen Götterbildern und den Spuren ihrer Opfer entweihten Tempels.
Die Gewaltsamkeit der erfolgreichen Revolte tat dem Ruf der Makkabäer keinen Abbruch - friedliche Revolutionen waren auch damals weitgehend unbekannt. Im Gegenteil, es war vor allem die erfolgreiche Rückeroberung des Tempels, die die Makkabäer bis heute zu den größten Helden aus der Zeit des Zweiten Tempels werden ließ: Den Namen Makkabi versteht man unter gläubigen Juden noch immer als einen Lobpreis Gottes, der sich aus der Zusammenfassung von Buchstaben des Verses 2. Mose / Exodus 15,11 ergibt - "M(i) ka(mocha) b(a'elim Adona)i", "Wer ist wie du unter den Göttern, Herr?"11 Wer aber nun vermutet, daß die Vertreibung aller Götter und ihrer Kulte, bis hin zum Sport unter dem Schutz von Herkules und Hermes, zugleich eine Verdrängung des Griechischen als der Sprache dieser Kultformen nach sich gezogen hätte, sieht sich allerdings getäuscht. Selbst die Heldentaten der Makkabäer wurden nicht in hebräischer oder aramäischer Sprache aufgezeichnet, sondern in gutem hellenistischem Griechisch.12
Befremdlicher als die Langsamkeit, mit der sich Altertumswissenschaften und Theologie aufeinanderzubewegen (manche Kritiker meinen, sie bewegen sich eher noch immer auseinander), ist der Verzicht auf Erkenntnisse, die längst schon einmal gewonnen waren.3 Die Selbstisolation in der neutestamentlichen Forschung hat auch eine ironische Seite: Je internationaler die vernetzte Welt in anderen Lebensbereichen wird, desto geringer wird hier die Bereitschaft, sich mit Forschungen zu befassen, die nicht in der eigenen Sprache veröffentlicht werden und nicht der eigenen Meinung entsprechen. Angelsächsische Wissenschaftler lesen in der Regel nichts Deutsches (von anderen Sprachen zu schweigen), deutschsprachige Forscher nehmen vielleicht den einen oder anderen englisch verfaßten Text zur Kenntnis, sind aber gegenüber der französischen, italienischen oder spanischen Literatur weitgehend immunisiert. Nicht erfunden ist der Fall eines deutschen Neutestamentlers, der sich weigerte, einen finnischen Aufsatz zur Kenntnis zu nehmen: Um gegebenenfalls seine Meinung ändern zu müssen, werde er diese Sprache nicht lernen. Der vergleichsweise geringe Aufwand, sich notfalls auch einmal etwas übersetzen zu lassen, war schon zuviel - man ist sich selbst genug.
Hier ist also noch manches nachzuholen. Unbequem mag das durchaus sein, denn es könnte ja zu dem Ergebnis führen, daß Althistoriker und klassische Philologen recht haben, wenn sie die neutestamentlichen Schriften für alt, für unverfälscht überliefert und historisch glaubwürdig halten und ohne Vorurteile neben die griechischen und römischen Historiker der gleichen Zeit stellen. Doch es lohnt sich auch um der Sache willen. Denn die Geschichte des Galiläers Jesus entstand nicht in einem historischen Vakuum. Sie gehört in die antike Geschichte ebenso wie das Leben des Augustus, unter dem er geboren wurde, und des Tiberius, unter dem er öffentlich auftrat und getötet wurde. Darum geht es in diesem Buch: das Panorama einer parallelen Geschichte zu entwickeln, in der Jesus von Nazareth nicht anders behandelt wird als der römische Kaiser Tiberius. Aber auch sein Gegenüber Tiberius könnte davon profitieren, denn sein Ruf hat unter den Verleumdungen seiner nachgeborenen Kritiker bis heute gelitten.
Die parallele Zeitgeschichte beginnt bereits mit der Geburt Jesu: Jesus wurde nicht im Jahr 0 geboren, sondern im Winter 7 v. Chr., unter dem Amtsvorgänger des Tiberius, jenem Gaius Iulius Caesar Octavianus, den man seit 27 v. Chr. "Augustus" nannte, auf deutsch den "Anbetungswürdigen", und der in der Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums eine Nebenrolle spielt (Lukas 2,1).4 Zu dieser Zeit war Tiberius Claudius Nero - so sein vollständiger Name - dreiunddreißig Jahre alt und noch einundzwanzig Jahre von seinem Machtantritt als Nachfolger des Augustus entfernt. Er war bereits "Pontifex", also ein Mitglied des Priesterkollegiums, das die Aufsicht über Religion und Kultus innehatte. Geschieden und seit 11 v. Chr. in zweiter Ehe mit Julia, einer Tochter des Augustus, verheiratet, hatte er gerade vier Jahre lang als Legat in Pannonien und Dalmatien gedient, also Teilen des heutigen Ungarn, Slowenien, Serbien und Kroatien. Ein Jahr vor der Geburt Jesu in Bethlehem wurde er Befehlshaber der Truppen in Germanien und feierte am 1.Januar 7 v. Chr. den "Triumph ex Germania", den Festzug vom Marsfeld über das Forum zum Kapitol, der einem siegreichen Feldherrn als höchste Ehre gewährt wurde: Tiberius war es, der in den Jahren vor der katastrophalen Niederlage des Varus gegen Hermann (Arminius) den Cherusker die römischen Truppen noch siegreich über den Rhein und die Elbe hinausgeführt hatte.
Die Jugend Jesu, sein öffentliches Wirken und seine durch den Präfekten Pilatus am 7. April 30 n. Chr. nach den Regeln römischen Rechts bewirkte Hinrichtung geschahen zu Lebzeiten dieses Tiberius und seit 14 n. Chr. unter dessen Kaiserherrschaft. Der Kaiser, 42 v. Chr. geboren, überlebte den in seinem Namen gekreuzigten Jesus um fast sieben Jahre; Tiberius starb am 16. März 37 n. Chr. in Misenum am Nordrand des Golfs von Neapel. Als Tiberius seinen Vorgänger und Adoptivvater Augustus am 17. September 14 n. Chr. vom Senat zum "Divus", zum Vergöttlichten, ausrufen ließ, wurde er selbst "Filius Divi", Sohn des Göttlichen. Im griechischsprachigen Osten lautete diese Bezeichnung schon viel eindeutiger "Hyios Theou", Sohn Gottes. Das entsprach wörtlich dem Titel, den schon der noch ungeborene Jesus im Lukasevangelium erhält (Lukas 1,35). So gab es im Bewußtsein der ersten Christen offensichtlich die politische und religiöse Konkurrenz zweier "Söhne Gottes".
Es ging also sehr früh schon um Machtkämpfe, um Religionspolitik, Intrigen und um den tödlichen Konflikt des römischen Kaiserkults mit dem jüdischen Gottes- und Messiasglauben. Bei einer "parallelen" Betrachtung der beiden auf den ersten Blick unvergleichbaren Kontrahenten werden die Konturen schärfer erkennbar; und auf diese Weise können nicht nur Tiberius und das Römische Reich ganz anders als üblich gesehen werden. Es ist auch möglich, Jesus und seine Rolle aus Sicht der Juden und der Römer zu verstehen. Damit gerät manches verschüttete Quellenmaterial wieder in den Blick. Und im Vergleich der Quellen über Tiberius stellt sich heraus, daß die Dokumente über Jesus nach gleichen Maßstäben verfaßt sind. Mit anderen Worten: Wir befinden uns nicht auf einem ungleichen Terrain, mit einem Kaiser und einem am äußersten Rand des Imperiums hingerichteten Juden. Der Konflikt zweier Söhne Gottes wird erkennbar als der Beginn eines Wandels in der Weltgeschichte.
Die Grundidee zu diesem Buch stammt immerhin schon aus der Antike. Plutarch, der Anfang des 2.Jahrhunderts n. Chr. mit seinen dreiundzwanzig parallelen Biographien (das bekannteste Beispiel: Alexander - Caesar) berühmt wurde, machte den Anfang. Im 20.Jahrhundert schuf Lord Alan Bullock ein Meisterwerk der Gattung, Hitler and Stalin. Parallel Lives. Kann man einen neuen Zugang zu einer der entscheidenden Epochen der abendländischen Geschichte gewinnen, wenn man nach solchen "Modellen" Jesus und den römischen Kaiser Tiberius einander gegenüberstellt?
Zerreißproben und Untergänge
Als Jesus auf die Welt kam, war seine Welt ein Teil des Römischen Reichs. Sie war nicht, wie man das lange glaubte, ein verlorener Winkel am östlichen Ende, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagten, sondern im Gegenteil ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor, ein mehrsprachiges, multikulturelles Gebiet, in dem sich Menschen entlang der große Handelsstraßen trafen - an der Via Maris zum Beispiel, die Syrien mit Ägypten verband und die jüdischen Kernlande durchquerte, oder in den bedeutenden Mittelmeerhäfen wie Caesarea und Jafo. Auf den folgenden Seiten soll ein Panorama der Konflikte gezeigt werden, in die Jesus und Tiberius hineingeboren wurden.
Kulturell lag der erste wesentliche Einschnitt schon lange zurück: Alexander der Große hatte zwischen 334 und 331 v. Chr. den östlichen Mittelmeerraum in sein Herrschaftsgebiet eingegliedert. Auf dem Weg nach Ägypten besuchte er 332 v. Chr. auch Jerusalem und opferte dem Gott der Juden im Tempel.5 Eine Hinwendung zur jüdischen Religion war mit diesem rituellen Akt nicht verbunden: Wenig später ließ sich Alexander öffentlich als Sohn des Gottes Zeus darstellen. Entscheidend war, daß mit Alexander und auch nach seinem frühen Tod 323 v. Chr. die griechische Sprache und griechisches Denken auch die jüdischen Gebiete von Galiläa, Samaria und Judäa erfaßte. Versuche frommer jüdischer Bewegungen, in der Zeit der Kriege und Aufstände unter den Nachfolgern Alexanders den Einfluß des "Hellenismus" zurückzudrängen, fruchteten nicht. Auch die ägyptischen und seleukidischen Reiche waren vom Geist des Griechentums geprägt, vor allem die Sprache nutzten alle diese Völker als ein Instrument der Macht, der Wirtschaft und des Handels und nicht zuletzt religiöser Einflußnahmen. Als beispielsweise 198 v. Chr. bei Caesarea Philippi (vgl. Markus 8,27; Matthäus 16,13), das damals noch Paneas hieß, die Ägypter von den Seleukiden unter Antiochus III. entscheidend geschlagen wurden, erhielten die Juden zwar erneut Privilegien, darunter die Genehmigung, allen Nichtjuden, den "Unbeschnittenen", den Zugang zum Tempel zu verbieten. Die Sprache jedoch, in der das geschah, war keine babylonische, auch nicht Hebräisch, sondern Griechisch.6
Die politischen Entwicklungen, die sich seit 198 v. Chr. mit dem Sieg der Seleukiden abgezeichnet hatten, wurden auch von den nachfolgenden Umstürzen nicht aufgehalten. Kaum hatte Antiochus einen überflüssigen Krieg gegen die Römer verloren, vergriff er sich an den Kultstätten seiner Untertanen, um die römischen Reparationsforderungen erfüllen zu können. Als er den Tempel der Elamiter (vgl. Apostelgeschichte 2,9) ausrauben wollte, wurde er umgebracht. Auch die Juden waren nun nicht mehr sicher. Als der abgesetzte Hohepriester Jason mit seiner Miliz Jerusalem überfiel und die Seleukiden mitsamt dem von ihnen eingesetzten Hohenpriester Menelaus vertrieb, griff 169 v. Chr. König Antiochus IV. ein. Dieser Seleukide hatte sich den griechischen Beinamen "Epiphanes" zugelegt, "die Erscheinung (Gottes)" - ein Wort, das wir heute noch im griechischen Namen des Dreikönigsfestes am 6.Januar erkennen: "Epiphanias". Wer aber entscheidet, wann, wo und in wem Gott sich offenbart? Die Christen im Westen des Römischen Reichs erklärten später, daß Gott selbst die Entscheidung traf und am Tag der drei Weisen aus dem Morgenland in seinem Sohn Jesus auch den nichtjüdischen Völkern erschien. Für alle Juden war jedoch der Anspruch des Fremdherrschers Antiochus IV., eine Erscheinung Gottes zu sein, nichts anderes als eine abscheuliche Gotteslästerung. Als er den Jerusalemer Tempel leerräumen ließ und den Tempelgottesdienst verbot, heidnische Tieropfer einführte und mitten in der Stadt seine eigene Burg baute, die "Akra", war Jerusalem zu einer griechischsprachigen Militärkolonie geworden. Die endgültige Hinwendung zu fremden Götterkulten im mittlerweile von Juden gänzlich verlassenen Jerusalem kam am 6. April 167 v. Chr., als der Tempel dem Olympischen Zeus geweiht wurde.
Einhundertsechzig Jahre vor der Geburt des Jesus von Nazareth, einhundertfünfundzwanzig vor der des Tiberius, waren das nicht nur vorübergehende Ereignisse. Im Bewußtsein der Juden setzte sich die Entweihung des Tempels, der zum Kultort des Zeus geworden war - als dessen Sohn sich zuvor Alexander der Große bezeichnet hatte - unauslöschlich fest.7 Für die künftigen Beziehungen der Juden zu anderen Kulturen in "Eretz Israel", ihren Kernlanden also, heute umgangssprachlich meist noch "Heiliges Land" genannt, war hier vielleicht erstmals unübersehbar ein Riß entstanden. Jene Juden, die sich für die fremden, griechischsprachigen Kulturen geöffnet hatten, ohne dabei ihre eigene Religion zu verleugnen, die Juden, die in der griechischen Sprache und in der Auseinandersetzung mit dem Denken und Glauben des Hellenismus eine Chance sahen, sich intellektuell weiterzuentwickeln, sie hatten sich nicht durchsetzen können gegen die orthodox-fromme Mehrheit in der Stadt des Tempels. Die Gewaltmaßnahmen der siegreichen Seleukiden trafen nun aber gerade die Frommen, die sich vom Hellenismus so weit wie möglich fernhalten wollten. Bedeutete es da nicht eine Verleugnung der gemeinsamen Jüdischkeit, die auf der "Tora" gründete, den fünf Büchern des Mose, wenn man in kritischer Zeit weiterhin griechisch las und schrieb und die hellenistische Kultur nicht grundsätzlich ablehnte? Der Konflikt, plötzlich und ungewollt in das Judentum eingedrungen, blieb ungelöst bis in die Zeit Jesu und darüber hinaus.
Die Römer hielten sich zu dieser Zeit aus den Konflikten zwischen Judentum und Hellenismus heraus. Ihr Sieg über Antiochus III. hatte ihnen den nötigen Einfluß auf die Seleukiden gesichert, und Mitglieder des Herrscherhauses gingen zum Studium nach Rom. Vor allem Antiochus IV. Epiphanes, die "Erscheinung Gottes", hatte sich in Rom nicht nur politisch ausbilden lassen. Als sein Bruder Seleukos IV. ermordet wurde, kehrte er aus der Reichshauptstadt zurück, um die Macht zu übernehmen. In Jerusalem ging die prohellenistische Gruppe unter dem Hohenpriester Jason rücksichtslos zur Sache. Die Priesterschaft und der Adel beantragten beim König die Errichtung eines Gymnasiums, also eines Sportgeländes, in der die Wettkämpfer nach antikem Brauch nackt auftraten. Einige der Juden gingen aus diesem Grund sogar so weit, sich die beschnittene Vorhaut durch einen operativen Eingriff künstlich wiederherzustellen zu lassen.8 Alles Jüdische wurde zurückgedrängt, und es wurde auch keinerlei Anstrengung unternommen, den Kult der Götter Herakles (Herkules) und Hermes (Merkur) zu unterbinden, die traditionell als Schutzgottheiten mit dem Gymnasium verbunden waren. Daß auch die Tempelpriester offenbar vergnügt mitmachten, berichtet das Zweite Buch der Makkabäer, das vor Ende des 2.Jahrhunderts v. Chr. entstand: "So kümmerten sich die Priester nicht mehr um ihre Altardienste. Von den neuen Gedanken völlig eingenommen, vernachlässigten sie die Opfer und beeilten sich, wenn das Diskuswerfen angekündigt war, an dem ungesetzlichen Spiel auf dem Sportplatz teilzunehmen."9
Der Konflikt zwischen dem Beharren auf dem Judentum und der Anpassung an den Hellenismus wurde nicht selten gewaltsam ausgetragen. Der Aufstand der Makkabäer gegen die Seleukiden und ihre Mitläufer 166 v. Chr. begann damit, daß ein noch altfrommer Priester namens Mattatias in der Stadt Modi'in einen Mitjuden erdolchte, der am heidnischen Götteraltar opfern wollte. Mattatias stach auch den königlichen Aufseher nieder, der den Kult überwachte. Damit war das Signal für den bewaffneten Widerstand gegen die Fremdherrscher, ihre Gottheiten und ihre "Gotteserscheinungen" gegeben.10 Unter der Führung des Mattatias-Sohnes Judas, der den Beinamen "der Hammer" erhielt ("Makkabi" /"Makkabäus"), sammelten die Söhne eine erfolgreiche Truppe um sich, die innerhalb eines Jahres alle Anhänger der Seleukiden, unter ihnen viele Juden, umbrachte oder vertrieb. Höhepunkt ihrer Aktion war die Rückeroberung des von heidnischen Götterbildern und den Spuren ihrer Opfer entweihten Tempels.
Die Gewaltsamkeit der erfolgreichen Revolte tat dem Ruf der Makkabäer keinen Abbruch - friedliche Revolutionen waren auch damals weitgehend unbekannt. Im Gegenteil, es war vor allem die erfolgreiche Rückeroberung des Tempels, die die Makkabäer bis heute zu den größten Helden aus der Zeit des Zweiten Tempels werden ließ: Den Namen Makkabi versteht man unter gläubigen Juden noch immer als einen Lobpreis Gottes, der sich aus der Zusammenfassung von Buchstaben des Verses 2. Mose / Exodus 15,11 ergibt - "M(i) ka(mocha) b(a'elim Adona)i", "Wer ist wie du unter den Göttern, Herr?"11 Wer aber nun vermutet, daß die Vertreibung aller Götter und ihrer Kulte, bis hin zum Sport unter dem Schutz von Herkules und Hermes, zugleich eine Verdrängung des Griechischen als der Sprache dieser Kultformen nach sich gezogen hätte, sieht sich allerdings getäuscht. Selbst die Heldentaten der Makkabäer wurden nicht in hebräischer oder aramäischer Sprache aufgezeichnet, sondern in gutem hellenistischem Griechisch.12
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Inhaltsverzeichnis zu „Jesus und Tiberius “
Inhalt:1 Einleitung: Die Söhne Gottes und die Quellen
- Fragezeichen
- Zerreißproben und Untergänge
- Bruderkriege und Gottessöhne
2 "Wegen ausschweifenden Lebenswandels": Skandale und Propheten
- Im Dickicht der Familien
- Bildungswege: Tiberius und der Vatergott
- Weisheit aus Gadara: Theodorus, Tiberius und Jesus
- Unglückliche Jahre: Die Frauen des Tiberius
- Bethsaida und die doppelte Julia
- Familienbildung - Jesus, die Ehe und die Enthaltsamkeit
3 Im Osten nur Neues: Varus, Tiberius und die Jugend des Jesus
- Ein Gang durch Nazareth
- Jesus und die Soldaten der Römer
- Galiläa und der Teutoburger Wald: Ein Freund des Tiberius siegt und stirbt
4 Meuterer und Rebellen: Der Kaiser und seine Gegner von Gallien bis Judäa.
- Ein Zwischenspiel
- Götter und fromme Herren
- Ein Mordfall und andere Unannehmlichkeiten
- Meinungsbildung: Eine Umfrage wird ausgewertet
- Machtverteilung und Schlüsselgewalt
- Schreiben und Trinken
5 "Der Frieden sollte gewahrt bleiben": Gegen Jesus und Sejan
- Die Beliebtheit und das Gesetz: Ein Gespräch mit dem Kaiser
- Geschichten und Geschichte
- Das Rätsel Sejan
6 Nach dem Leben ist vor dem Leben: Wie stirbt ein Sohn Gottes?
- Der Stein des Pilatus
- Tödliche Beleidigungen?
- Der Caprifischer: Das Netz des Tiberius wird enger
- Schuld und Unschuld: Vom Händewaschen zum Judenhaß
- Jesus, Augustus und Tiberius: Letzte Worte der Söhne Gottes
7 Epilog: "Weh mir, ich glaube, ich werde ein Gott!"
- Unruhige Jahre
- Die vierzig Tage des Jesus Christus
- Tiberius und ein Altar für den Messias Jesus
- Anmerkungen
- Register
Autoren-Porträt von Carsten Peter Thiede
Carsten Peter Thiede, 1952-2004, war Historiker und Papyrologe. Er lehrte als Professor für Umwelt und Zeitgeschichte des Neuen Testaments in Basel (STH) und hatte einen Lehrauftrag an der Ben-Gurion Universität des Negev, Beer-Sheva.
Bibliographische Angaben
- Autor: Carsten Peter Thiede
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2004, 416 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Luchterhand Literaturverlag
- ISBN-10: 3630880096
- ISBN-13: 9783630880099
Rezension zu „Jesus und Tiberius “
Es ist eine Freude zu lesen, wenn hier der Althistoriker dem Schulbetrieb von außen her sagen kann, dass oftmals der Kaiser eben doch nur nackt ist.(F.A.Z. zu "Ein Fisch für den römischen Kaiser")
Kommentar zu "Jesus und Tiberius"
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