Königin der Meere
Anne Bonny - Piratin der Karibik<br /><br />Charleston, 1715: Der 16-jährigen Anne ist es zu langweilig auf der Plantage ihres Vaters. Als der sie gegen ihren Willen verheiraten will, flieht sie und heuert als Mann verkleidet auf einem...
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Produktinformationen zu „Königin der Meere “
Anne Bonny - Piratin der Karibik<br />
<br />Charleston, 1715: Der 16-jährigen Anne ist es zu langweilig auf der Plantage ihres Vaters. Als der sie gegen ihren Willen verheiraten will, flieht sie und heuert als Mann verkleidet auf einem Piratenschiff an. Sie bringt es bis zum Kapitän und lehrt mit unerschrockenen Raubzügen die Männerwelt der Karibik das Fürchten. Doch ihre Schwäche für Jack Rackham wird ihr zum Verhängnis ...<br />
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Klappentext zu „Königin der Meere “
Anne ist schon als Kind ein Wildfang, lernt reiten und fechten. Ohne Wissen der Eltern heiratet sie. Doch ihr Liebster ist ein Nichtsnutz, und sie nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand. Als Mann verkleidet heuert sie auf einem Piratenschiff an. Durch Annes Geschick machen die Seeräuber mehr Beute denn je. Und als sie sich als Frau zu erkennen gibt, hält dies die Piraten nicht davon ab, Anne zum Kapitän zu wählen. Nun lehrt sie mit unerschrockenen Raubzügen die Männerwelt der Karibik das Fürchten. Selbst als sie gefasst wird, findet sie einen Ausweg. Katja Doubek beschreibt das Leben der schönen, klugen und wilden Anne Bonny die es wirklich gegeben hat in einem mitreißenden historischen Roman.
Lese-Probe zu „Königin der Meere “
Königin der Meere von Katja Doubek-1-
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Ein Septembertag wie geschaffen, Irland zu verlassen. In Schnüren prasselte der Regen auf das Kopfsteinpflaster. Wegen des
schlechten Wetters hatte die Kutschfahrt von Kinsale zum Hafen von Cork länger als geplant gedauert. Die Reisenden waren erschöpft. Rechtsanwalt William Cormac beugte sich vor und wies seine Tochter mit drohend erhobenem Zeigefinger zurecht.
»Anne, wenn du nicht sofort mit dem Geschrei aufhörst, nehme ich dich nicht mit auf das große Schiff.«
Das vierjährige Mädchen klammerte sich erschrocken an seine Mutter und schluchzte.
»Ich will aber meine Puppe haben!«
Margaret Mary Brennan putzte dem Kind die Nase und sagte mit sanfter Stimme: »Hör auf zu weinen, mein Liebling. Wenn wir an Bord sind und unsere Taschen ausgepackt haben, bekommst du deine Puppe.« Anne beruhigte sich.
»Aber dann gleich!«
»Dann gleich«, versprach ihre Mutter.
Die Kutsche hielt am Hafen. Cormac steckte seinem Diener Tom eine Münze zu.
»Bring unsere Sachen auf das Schiff und dann Gott befohlen.« Tom nickte ergeben. Der Abschied von seinem Herrn fiel ihm schwer. Er hob Anne aus dem Wagen und stellte sie behutsam auf den Boden.
»Auf Wiedersehen Miss Anne und gute Reise.« Er verbeugte sich vor der Mutter.
»Madam, Ihnen auch eine gute Reise.« Margaret Mary Brennan umarmte ihn.
»Tom, was soll denn das! Seit wann nennst du mich Madam? Für dich bin und bleibe ich Peg. Grüß Laura von mir, und sag ihr, ich werde ihren Bohneneintopf und den Hammelbraten vermissen. Vergiss uns nicht, und lass es dir gut gehen.« Sie nahm ihre Tochter an der Hand, raffte ihren Rock, leitete Anne an einer großen Pfütze vorbei und murmelte: »Feuchtigkeit ist die Wurzel aller Krankheiten. Wir sollten zusehen, dass wir ins Trockene kommen.«
William Cormac ging voran. Trotz des Regens waren die Wege rund um die Anlegeplätze voller Menschen. Aus den Schenken drangen Stimmengewirr und Musik. Hier trieben sich Menschenfänger herum, die nur darauf warteten, die Laderäume der für Fernreisen bestimmten Frachter und Passagierschiffe zu füllen. In Kneipen und Lagerhäusern gingen sie auf Menschenfang. Sie suchten Männer und Frauen, deren finanzielle Not groß genug war, sich freiwillig als Leibeigene ins ferne Amerika zu verdingen. Für ein Glas Bier und die Aussicht auf ein besseres Leben unterschrieben sie Verträge, die ihnen vier Jahre Fron einbrachten. Wer sich nicht vorsah, wurde betrunken gemacht und auf das nächstbeste Schiff geschleppt. Für die Werber zählte nur die Provision, und die bekamen sie auch ohne unterzeichnetes Schriftstück.
William Cormac marschierte zielstrebig auf das größte Gasthaus zu. Im »Blewe Anker« konnten sich Reisende mit Proviant für die lange Überfahrt eindecken.
»Für das tägliche Essen ist gesorgt, aber wenn du für dich und die Kleine noch Wünsche hast, sieh dich in Ruhe um. Denk aber daran, dass wir einige Wochen unterwegs sein werden. Kauf nichts leicht Verderbliches. « Cormac griff nach einem mit Tabak gefüllten Lederbeutel und legte ihn auf den Tresen. Der Wirt lächelte erfreut. Kunden wie dieser waren selten. Eifrig erfüllte er Margaret Marys Wünsche und lockte Anne mit Zuckerwerk.
»Davon ganz viel für mich«, bat das Mädchen. Der Vater schüttelte den Kopf.
»Eins darfst du haben, aber nicht mehr.« Die Unterlippe des Kindes begann zu zittern. Ihre Mutter verhinderte den drohenden Tränenausbruch.
»Wir kaufen genug für die ganze Reise, aber ich bestimme, wann du etwas davon bekommst.« Sie nahm drei warme Decken von einem Stapel und legte sie neben Cormacs Tabakbeutel.
»Peg, wir fahren in ein Land, in dem immer die Sonne scheint.« William Cormac griff nach den Plaids.
»Aber bis wir dort sind ... «, bat Margaret lächelnd.
Die Abraham lag leise schwankend im Hafen. Beim Anblick des mächtigen Schiffes vergaß Anne Puppe und Zuckerwerk und klatschte begeistert in die Hände.
»Daddy! Ein Haus, das schwimmen kann!« Cormac lachte.
»Ein Haus, das schwimmen kann, Prinzessin. Genau das ist es, und in diesem Haus werden wir jetzt eine Weile wohnen.«
Margaret Mary betrat unsicher die Planken.
»Will, ich hoffe, dass diese Schaukelei aufhört, wenn wir den Hafen verlassen. Mir ist jetzt schon nicht wohl.«
Mit Kurs auf Charleston, South Carolina, legte die Abraham ab. Cormac hatte Anne auf den Arm genommen und stand am Heck des Schiffes, bis Kinsale nur noch als winziger Punkt am Horizont zu sehen war.
»Daddy, warum weinst du? « Anne fuhr mit dem Zeigefinger über seine Wange.
»Ich weine nicht, Prinzessin. Mir bläst nur der Wind in die Augen«, log William Cormac und setzte seine Tochter ab.
»Komm, wir wollen schauen, was Mummy tut. Sicher hat sie schon alles ausgepackt und hergerichtet.«
Ein Blick in die Kabine belehrte ihn eines Besseren. Margaret Mary Brennan lag unter den neuen Wolldecken auf ihrem Bett, presste die Hände an ihre Schläfen und stöhnte.
» Oh, Will, gut, dass du kommst. Mir ist so elend.«
Die Seekrankheit hielt ihr Opfer fest im Griff. Während der ganzen Reise war Margaret Mary kaum in der Lage, die Kabine zu verlassen. William Cormac versorgte sie mit Brühe und leichten Speisen, die sie meist nicht einmal anrührte.
Unter den irischen Fronarbeiterinnen befand sich eine junge Frau namens Kathleen Briggs, sie kümmerte sich um die Wäsche der wohlhabenden Passagiere. Eines Tages beobachtete Cormac, wie sie ein Kleidchen von Anne zur Seite legte. Er winkte sie zu sich.
»Was hast du mit dem Kleid meiner Tochter vor? Wag nur nicht, es zu stehlen! Nur weil meine Frau krank ist, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht merke, wenn etwas fehlt!« Kathleen Briggs errötete und machte einen tiefen Knicks.
»Sir, um des gütigen Himmels willen, was denken Sie von mir. Ich habe beim Waschen einen Riss am Ärmel entdeckt und wollte ihn nähen.« Die Frau sah ihn so aufrichtig an, dass Cormac seinen Verdacht bereute.
»Willst du dir ein paar Münzen verdienen, wenn du mit deiner Arbeit fertig bist? Meine Frau leidet unter heftiger Seekrankheit. Sie könnte Hilfe gebrauchen.« Kathleen Briggs knickste noch tiefer als zuvor und nahm das Angebot an. Einmal in der Woche reinigte sie die Kabine und half der geschwächten Margaret Mary, die Haare zu waschen.
»Ich danke dir. Wenigstens juckt jetzt der Kopf nicht mehr. So elend wie in den letzten Wochen habe ich mich noch nie gefühlt. Kathleen, glaub mir, Feuchtigkeit ist die Wurzel aller Krankheiten - und wie soll es einem da auf dem Meer wohl gehen. Nichts als Wasser. Entsetzlich!« Kathleen tröstete sie.
»Madam, nur Geduld, nicht mehr lange, und wir sind wieder an Land, dann geht es Ihnen gleich besser. Und, Madam, ich wollte Sie etwas fragen, wenn wir an Land sind, Madam, haben Sie dann vielleicht Verwendung für mich? Ich kann kochen, putzen, Vieh versorgen, mich um Ihre Tochter kümmern. Wir waren viele zu Hause. Ich habe gelernt, hart zu arbeiten.« Margaret Mary schloss die Augen, um Kathleens flehendem Blick auszuweichen.
»Wir fangen ein neues Leben an, Kathleen. Wir wissen selbst noch nicht, wo es uns hinverschlägt. Ich fürchte, ich kann nichts für dich tun. « Kathleen Briggs knickste und verließ traurig die Kabine.
Anders als ihre Mutter genoss Anne die Überfahrt. Sie frühstückte jeden Morgen mit ihrem Vater und den anderen begüterten Passagieren in der Kajüte des Kapitäns und freundete sich mit einem gleichaltrigen Jungen an. Unter den wachsamen Augen der Gouvernante des Knaben spielten die Kinder in einer Ecke des Hecks, sahen den Matrosen bei ihrer Arbeit zu und lernten einfache Seemannsknoten zu fertigen.
Das Leben auf dem Schiff war aufregend und voller Überraschungen. Täglich gab es Neues zu entdecken. Kisten, Taue, die Takelage, der Segelmacher, der seine Arbeit in der Sonne verrichtete. Der Smutje in der Kombüse, der den Kindern von Zeit zu Zeit einen Leckerbissen zusteckte. Anne war glücklich auf der Abraham, sie lief zu ihrem Vater und umarmte ihn stürmisch.
»Daddy, wenn ich groß bin, kann ich dann auch Matrose werden? Oder lieber noch Kapitän. Kaufst du mir ein Schiff?«
»Wir werden sehen, Prinzessin.«
William Cormac wollte die Freude seiner Tochter nicht trüben durch einen Vortrag über das, was sich für junge wohlerzogene Damen aus gutem Hause schickt. Er lächelte, streichelte Anne über das rotlockige Haar und widmete sich wieder seiner Lektüre. Cormac verbrachte die meiste Zeit lesend und Pfeife rauchend auf dem Achterdeck. Immer wieder schweiften seine Gedanken zurück zu den Ereignissen, die seinem Leben eine unvorhersehbare Wendung gegeben hatten.
Alles hatte vor fünf Jahren begonnen. Seine Frau Gwendolyn war für einige Wochen verreist, und Margaret Mary Brennan bescherte ihm eine köstliche Nacht. Am frühen Nachmittag verließ William Cormac den vornehmsten Pub von Kinsale und trat den Heimweg an. Er zupfte die Kniebundhose zurecht, straffte die Schultern und erwiderte die ehrerbietigen Grüße einiger Passanten mit mildem Lächeln.
Kurz nach seiner Hochzeit mit Gwendolyn hatte er sich als Anwalt niedergelassen und seither einen hervorragenden Ruf erworben. Im kommenden Jahr würde es so weit sein; seiner Kandidatur als Bürgermeister stand nichts mehr im Weg. Stets hatte er sich als ein Mann mit strengen Moralvorstellungen präsentiert.
Den Bürgern der Stadt am Bandon River galt er als Hüter von Recht und Anstand. Aus der ganzen Grafschaft Cork kamen die Menschen zu ihm und baten um juristischen Beistand, den Cormac gegen ein angemessenes Entgelt gewährte.
Seine Tage verliefen nach einem Rhythmus, den er nur für Gerichtsverhandlungen und in äußersten Notfällen aufgab. Nach der Morgentoilette und einem Schälchen Haferbrei zog er sich in sein Arbeitszimmer zurück und widmete sich dem Aktenstudium. Um elf Uhr begab er sich in den Pub am Marktplatz. Hier traf er sich mit Kollegen, Freunden und Honoratioren, beackerte das Feld für seine politische Karriere, trank zwei Krüge Bier, aß einen Teller Irish Stew und kehrte nach Hause zurück. Am Nachmittag empfing er Klienten, jedoch niemals später als um fünf Uhr, denn dann war es Zeit, sich umzukleiden und bei einem Glas irischen Maltwhisky auf den Abend vorzubereiten.
Wenn William und Gwendolyn Cormac nicht ins Theater gingen oder eingeladen waren, pflegten sie zu Hause bei einem mehrgängigen Menü das, was die Hausherrin unter gehobener Konversation verstand.
Gwendolyn Cormac sah sich als eine Dame aus besseren Kreisen. Sie kam aus einer adligen, aber verarmten Familie der Grafschaft und hatte Williams Antrag keineswegs aus Liebe, sondern vor allem deshalb angenommen, weil er als vielversprechender junger Mann mit Aufstiegschancen galt. Cormac seinerseits wusste, dass seine Braut ihm Zugang zur ersten Klientel Corks und damit zu einem sehr komfortablen Leben verschaffen würde.
Gwendolyn füllte ihre Tage mit Besuchen bei Armen und Kranken. Frühling und Herbst vergingen mit der Organisation von Basaren zugunsten von Waisenkindern. Einmal in der Woche bildete sie mit fünf ausgewählten Damen einen Lesezirkel, eine einzigartige Institution in Kinsale, wie sie nicht müde wurde zu betonen.
Das Leben der Cormacs verlief in ruhigen und geordneten Bahnen und wäre glücklich zu nennen gewesen, hätten nicht zwei bittere Wermutstropfen dieses Glück getrübt. Nach siebenjähriger Ehe und vielen Gebeten zum Trotz hatte Mrs. Cormac noch immer keinem Kind das Leben geschenkt und litt heftig darunter. Noch heftiger quälte sie allerdings, dass ihr Mann es mit der Treue nicht so genau nahm.
William bemühte sich bei seinen Eskapaden um strengste Diskretion und weckte damit in seiner Gattin den unbezwingbaren Drang, ihn eines Tages in flagranti zu ertappen. Besessen von der Idee, ihr Mann könnte sie betrügen, verbrachte sie Stunden damit, ihm nachzuspionieren.
Dies war auch der Grund dafür, dass sie eben in diesem Juni 1699 ihren sechswöchigen Besuch auf dem väterlichen Landsitz um vier Tage verkürzte und ohne vorherige Anmeldung zurück nach Kinsale fuhr.
Dank der festen Regeln im Hause Cormac wusste Gwendolyn, dass ihr Mann sich bei ihrer Ankunft im Pub befinden und das Hausmädchen in der Remise mit der großen Weißwäsche beschäftig sein würde. Die Köchin, längst zurück vom täglichen Einkauf auf dem Markt, arbeitete in der Küche, und so hatte Gwendolyn ausreichend Zeit, die Räume ungestört nach verräterischen Spuren zu durchsuchen.
Die Kutsche rumpelte über das Kopfsteinpflaster und hielt vor dem Haus. Postillion Tom, Teil ihrer elterlichen Mitgift, öffnete den Schlag und reichte Gwendolyn die Hand. Schon beim ersten Blick auf den Vorgarten rümpfte Mrs. Cormac die Nase.
»Stell das Gepäck in den Flur, Margaret kann es später nach oben bringen. Du sieh zu, dass die Pferde abgeschirrt und versorgt werden.« Tom hievte gehorsam die beiden schweren Reisekisten vom Wagen und führte die Tiere in den Stall.
Gwendolyn Cormac hatte es so eilig, in das eheliche Schlafgemach zu kommen, dass sie sich nicht einmal Zeit für einen Blick in den Spiegel nahm. Sie drückte die Klinke herunter. Die Blumen auf der Kommode waren verwelkt, und auch sonst schien es, als hätte das Zimmer in den letzten Wochen niemand betreten.
»Gleich wissen wir es genau«, flüsterte sie und ging zum Bett.
In weiser Voraussicht hatte sie die Daunendecke ihres Mannes vor der Abreise mit frischem Leinen überzogen und am Fußende mit einem kleinen Kreuz aus schwarzer Kohle gekennzeichnet. Die weißen Laken blitzten so frisch und unberührt, wie sie sie hinterlassen hatte. Vorsichtig lüpfte sie das Federbett, und da war es, das schwarze Kreuz, das Zeichen, der Beweis!
»Er hat also tatsächlich kein einziges Mal in diesem Bett geschlafen. « Gwendolyn wunderte sich über die merkwürdige Kälte, die plötzlich von ihr Besitz ergriff. Sie stürmte in Margaret Brennans Kammer.
Die junge Frau stand erst seit einigen Monaten im Dienst des Ehepaares, und Gwendolyn war sicher, vom ersten Tag an lüsterne Blicke ihres Mannes beobachtet zu haben. Margaret war außergewöhnlich hübsch.
Dichtes rotes Haar umrahmte ein schmales Gesicht, von dessen milchweißem Teint sich die grünen Augen wie leuchtende Smaragde abhoben. Sie verrichtete ihre Arbeit gehorsam und hatte ein heiteres Gemüt.
Mit spitzen Fingern klaubte Gwendolyn ein paar schwarze Haare vom Kissen. Was bis eben noch ein hässlicher Verdacht gewesen war, fand jetzt Bestätigung. Sie schlug mit der Faust auf das Kissen.
Ihr Racheplan war wohldurchdacht. Im Speisezimmer holte sie zwei Gabeln, zwei Löffel und zwei Messer des schweren Silberbesteckes aus der Truhe und schlug die sechs mit ihrem Monogramm versehenen Teile in ein weiches Tuch. Sie eilte zurück in Margarets Kammer und schob das flache Bündel unter die dickste Stelle des Strohsacks, der als Matratze diente. Dann begab sie sich in die Küche.
»Mrs. Cormac! Sie sind schon zurück! Dem Herrgott sei Dank! Jetzt kehrt wieder Ordnung ein im Haus!« Die brave Köchin machte einen tiefen Knicks.
»Wenn die Katz aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse, nicht wahr, Laura? Aber jetzt ist Schluss damit. Jetzt ist die Katze wieder da und fährt ihre scharfen Krallen aus! « Gwendolyn Cormac verlor für einen Augenblick die Kontrolle über ihre Stimme. Die Köchin sah sie erschrocken an.
»Schau nicht so, Laura! Du brauchst keine Angst zu haben. Du bist doch keine tanzende Maus, oder?« Laura schüttelte energisch den Kopf.
»Na also, dann beruhige dich, und sag mir rasch, was du uns später servierst. Und außerdem richte mir bitte eine Kleinigkeit, ich bin hungrig von der Reise und kann nicht bis zum Abendessen warten.«
»Bitte gleich, bitte sofort, Madam!« Die Köchin knickste erneut.
»Wenn ich gewusst hätte, dass Sie schon heute kommen ... aber der Herr Gemahl hat mir nicht gesagt, dass er Sie so bald erwartet.«
»Das konnte er auch nicht, Laura, es ist eine Überraschung. Sei so gut, und ruf Margaret, dass sie das Gepäck heraufbringt, und dann machst du mir ein hübsches Tellerchen mit ein paar Leckereien zurecht! Ich erwarte dich in meinem Zimmer!«
Margaret klopfte zaghaft an die Tür.
»Ihre Koffer, Madam, darf ich eintreten?«
»Komm nur herein, Margaret! « Gwendolyn tat einen Schritt auf sie zu.
»Lass dich ansehen!« Sie maß ihr Gegenüber mit einem prüfenden Blick.
»Mir scheint, du hast ein wenig abgenommen, während ich fort war, hat mein Mann dich so auf Trab gehalten?« Das Mädchen wand sich, und Gwendolyn weidete sich an der Röte, die den Hals hinaufkroch und gleich darauf das ganze Gesicht überflutete.
»Nein ... ich meine, ich weiß es nicht ... oder besser, ja ... es war viel zu tun, so wie immer.«
»Nun, im Vorgarten wäre noch mehr zu tun gewesen, aber dafür hattest du offensichtlich keine Zeit. Wenn du heute mit allem anderen fertig bist, wünsche ich, dass du das Unkraut entfernst. Hinaus mit dir, und spute dich!« Margaret beeilte sich, dem Befehl Folge zu leisten.
Als William Cormac am frühen Nachmittag aus dem Pub kam, hatte Margaret es so einzurichten verstanden, dass sie das Unkraut direkt an der Straße zupfte.
»Sir, eine Überraschung, Sir! Mrs. Cormac ist schon heute aus der Sommerfrische zurückgekehrt. Sie ist in ihrem Zimmer, ruht sich von der Reise aus und kommt später zu Ihnen herunter, soll ich ausrichten.« William Cormac sah unwillkürlich zum Fenster seiner Frau hi nauf, dann schaute er Margaret fest ins Gesicht.
»Um nichts in der Welt darf sie etwas merken, hast du verstanden?«, sagte er leise. Margaret nickte fast unmerklich. »Selbstverständlich, Sir.«
Nur mit Mühe gelang es Cormac, seinen Besuchern mit der gewohnten Konzentration zu begegnen. Endlich war der letzte Mandant gegangen. Der Anwalt schenkte sich einen doppelten Whisky ein, atmete tief durch und versuchte, sich zu entspannen. Kaum hatte er es sich bequem gemacht, klopfte es an der Tür, und Gwendolyn trat ein.
»Meine Liebe! Was für eine Freude, dich zu sehen.« Er umarmte seine Frau und küsste sie auf die Stirn. »Man hat mir schon berichtet, dass du wieder da bist. Was ist der Anlass für deine frühe Rückkehr, es ist doch hoffentlich kein Ärgernis? Aber nein, das kann nicht sein, ich sehe dich frisch und erholt, jünger denn je.« Cormac merkte, dass seine Worte hölzern klangen.
»Nicht doch, es ist alles in Ordnung, ich hatte nur Sehnsucht nach dir. « Gwendolyn schmiegte sich an ihn und begann, munter und aufgeräumt von ihrer Zeit auf dem Land zu erzählen.
»Aber ich rede und lasse dich gar nicht zu Wort kommen. Wie ist es dir ergangen? Sicher hast du wie immer viel zu viel gearbeitet und zu wenig geschlafen.« Cormac sah seine Frau prüfend an. Ahnte sie etwas?
Das Abendessen verlief quälend. William Cormac bemühte sich, sein schlechtes Gewissen mit übertriebener Heiterkeit zu überspielen, und geriet doch jedes Mal ins Stocken, wenn Margaret das Zimmer betrat, um den nächsten Gang zu servieren und Wein nachzuschenken. Seine Frau gab sich betont interessiert an den Geschehnissen der jüngsten Vergangenheit. Sie fragte nach den Freunden; wen hatte ihr Mann getroffen, wo war er eingeladen gewesen, wie hatte er seine freie Zeit verbracht.
»Du warst nicht einmal im Theater? Bist kaum ausgegangen? Mir scheint, du hast das Leben eines Eremiten geführt.« William fühlte, wie unter dem Hemd Schweiß seine Achseln hinunterrann. Bevor er antworten konnte, klingelte Gwendolyn nach Margaret und stand auf.
»Du kannst den Tisch abräumen«, wies sie das Mädchen an, ging zu ihrem Mann und raunte ihm zu: »Ich ziehe mich zurück. Lass mir ein paar Minuten, mich frisch zu machen, bevor du heraufkommst.« Cormac traute seinen Ohren nicht. Noch nie hatte sie ihn so direkt aufgefordert, das Bett mir ihr zu teilen. Margarets Blick vermeidend, erhob auch er sich und verließ beinahe fluchtartig das Esszimmer. Zehn unsichere, von Gewissensbissen geplagte Minuten verbrachte er im Garten, zog hektisch an seiner Pfeife und flehte zum Himmel, dass seine Furcht vor Entdeckung unbegründet sein möge. Er ahnte nicht, dass diese Nacht, in der er seiner Frau ein vollendeter Liebhaber war, die letzte sein sollte, die er mit ihr verbrachte.
Am Vormittag des folgenden Tages rief Gwendolyn Laura und Margaret zu sich.
»Ich habe mir überlegt, dass es eine nette Idee wäre, ein Sommerfest zu geben. Es ist schon so lange her, dass wir eine größere Gesellschaft hatten. Tom wird den Garten mit Fackeln schmücken; mit dir, Laura, möchte ich die Speisen besprechen, und du, Margaret, sorgst dafür, dass das Geschirr in einwandfreiem Zustand ist und ...«, sie hielt kurz inne, »... und selbstverständlich auch das gute Besteck. Es muss sicher poliert werden. Am besten fängst du gleich damit an. « Gwendolyn stand auf und ging zur Truhe. Stück für Stück legte sie die edlen Teile auf den Tisch, trat einen Schritt zurück und runzelte die Stirn.
»... zwanzig, einundzwanzig, zweiundzwanzig. Wie kann das sein? Es müssen zwei Dutzend sein!« Sie sah die Köchin fragend an.
»Aber natürlich hatten wir immer von allem vierundzwanzig, Madam.« Sie bückte sich und durchstöberte die Truhe. »In der Küche, das schwöre ich, Madam, habe ich kein Stück davon.«
»Margaret! Hast du eine Idee, wo die fehlenden Teile sein könnten?« Das Mädchen zog die Schultern hoch und schüttelte den Kopf.
»Madam, seit ich hier bin, wurde noch nie mit diesem Besteck gegessen. Ich habe es nur ganz am Anfang einmal geputzt, und danach haben Sie es persönlich wieder eingeräumt.« Die grünen Augen spiegelten ihre Unschuld.
»Nun, Messer und Gabeln haben keine Beine! Margaret, du schaust bitte in alle Schränke und Truhen, und Laura, du suchst noch einmal gründlich in Küche und Vorratskammer. Gebt mir Bescheid, wenn ihr die fehlenden Stücke gefunden habt.«
Bis zum Abend waren alle Schübe und Laden des Hauses durchforstet, doch das Silber blieb verschwunden.
»William, ich habe eine unerfreuliche Angelegenheit mit dir zu bereden«, eröffnete Gwendolyn beim Essen das Gespräch. Jetzt kommt es, jetzt bezichtigt sie mich, ein Verhältnis mit Margaret zu haben, durchzuckte es ihren Mann.
»Sechs Teile meines guten Besteckes sind unauffindbar. Laura, Margaret und ich haben heute den halben Tag mit der Suche verbracht, aber das Silber ist wie vom Erdboden verschluckt.« Cormac sah seine Frau mit offenem Mund an. Er hatte eine Szene erwartet, und was er hörte, war die Frage nach silbernem Essgerät. Vor Erleichterung brach er in Gelächter aus.
»Gwendolyn, der Haushalt ist deine Domäne, meine Liebe, ich frage dich ja auch nicht, wo meine Akten und Federkiele sind, wenn ich sie verlegt habe.« Er lud eine große Scheibe des kalten Bratens auf seinen Teller. Seine Frau war verstimmt.
»Ich habe nichts verlegt! Im Gegenteil, ich finde höchstens Dinge! Manchmal sogar Dinge, die ich vielleicht nicht finden sollte! Aber mein Besteck habe ich nicht gefunden, obwohl wir zu dritt danach gesucht haben! Was also denkst du, könnte damit geschehen sein?«
»So wie du die Frage stellst, vermute ich, du willst darauf hinaus, dass die Sachen gestohlen worden sind. Aber wer um Himmels willen soll denn hier einbrechen, ohne dass wir irgendetwas bemerken, und ausgerechnet Teile von deinem Tafelsilber mitgehen lassen?« Cormac schüttelte ungläubig den Kopf.
»Ich habe kein Wort von Einbruch gesagt. Vielmehr vermute ich, dass es jemand aus dem Haus gewesen ist. Und da kommen nicht viele Personen in Betracht.« Gwendolyn holte mit einem künstlichen Seufzer Luft.
»Tom war es sicher nicht, für den lege ich beide Hände ins Feuer. Laura ist schon seit über sechs Jahren bei uns und hat sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Aber was ist mit Margaret? Wir kennen sie erst seit ein paar Monaten. Vielleicht hat sie meine Abwesenheit genutzt und den Griff nach Dingen gewagt, die ihr nicht gehören.« Aufmerksam beobachtete sie Williams Reaktion auf ihre Worte. Seine Hände zitterten.
»Margaret, nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Sie ist doch so ein ... «, das Ende des Satzes blieb ihm im Hals stecken.
»So ein was?« fragte Gwendolyn.
»Nun so ein ... so ein ehrliches Mädchen, denke ich.« Cormac leerte sein Glas.
»Ich bin da nicht so sicher, aber wir sollten das Ganze schnell aus der Welt schaffen. Wir rufen Margaret und gehen gemeinsam in ihr Zimmer. Finden wir das Besteck dort nicht, bin ich bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Finden wir das Silber allerdings bei ihr, wünsche ich, dass sie der Polizei übergeben wird. Einen infamen Diebstahl werde ich in meinem Haus nicht ungestraft dulden.« Mrs. Cormacs Augen funkelten. Überzeugt von der Unschuld des Mädchens erklärte sich ihr Mann sofort bereit, den Vorschlag anzunehmen.
Margaret machte keinerlei Anstalten, sich zu widersetzen.
»Ich bin betrübt, Madam, Sir, dass Sie mich für fähig halten, so etwas zu tun, aber da ich nichts zu verbergen habe, öffne ich Ihnen gerne meine Tür. « Mit diesen Worten gewährte sie Gwendolyn den Vortritt in ihre Kammer.
Margarets kleine Habe war schnell durchsucht.
»Bleibt nur noch das Bett, dann haben wir es hinter uns.« Die Hausherrin gab sich betont unbeteiligt, als Margaret bereitwillig das Kissen hob und die Decke zurückschlug.
»Und jetzt noch ein Blick unter die Matratze. William, heb bitte an! « Mit beherztem Griff nahm Cormac die Matratze hoch und verharrte ebenso starr vor Entsetzen wie die überrumpelte Margaret, als darunter ein in graues Vlies gewickeltes Bündel zum Vorschein kam.
»Das habe ich da nicht hingelegt! Ich schwöre es bei Gott und meiner Mutter, dass ich das nicht war. « Margaret Mary Brennan brach in Tränen aus, sank zu Boden und umfasste William Cormacs Knie voller Verzweiflung.
»Madam, Sir, bitte glauben Sie mir! Ich habe das nicht getan!« Das Mädchen schluchzte herzzerreißend. William, der sich aus ihrer Umklammerung gelöst hatte, hob sie vom Boden auf. Ein Blick in Margarets Augen verschaffte ihm Gewissheit - sie war unschuldig. Doch im Beisein seiner Frau gab es nichts, was er für sie tun konnte.
»Verschon uns mit deinen Schwüren und Tränen, und wag es nicht noch einmal, dich wie eine Klette an meinen Mann zu hängen. Du bringst ihn noch zu Fall!« Gwendolyns Stimme war schneidend kalt.
© 2009 C. Bertelsmann, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Ein Septembertag wie geschaffen, Irland zu verlassen. In Schnüren prasselte der Regen auf das Kopfsteinpflaster. Wegen des
schlechten Wetters hatte die Kutschfahrt von Kinsale zum Hafen von Cork länger als geplant gedauert. Die Reisenden waren erschöpft. Rechtsanwalt William Cormac beugte sich vor und wies seine Tochter mit drohend erhobenem Zeigefinger zurecht.
»Anne, wenn du nicht sofort mit dem Geschrei aufhörst, nehme ich dich nicht mit auf das große Schiff.«
Das vierjährige Mädchen klammerte sich erschrocken an seine Mutter und schluchzte.
»Ich will aber meine Puppe haben!«
Margaret Mary Brennan putzte dem Kind die Nase und sagte mit sanfter Stimme: »Hör auf zu weinen, mein Liebling. Wenn wir an Bord sind und unsere Taschen ausgepackt haben, bekommst du deine Puppe.« Anne beruhigte sich.
»Aber dann gleich!«
»Dann gleich«, versprach ihre Mutter.
Die Kutsche hielt am Hafen. Cormac steckte seinem Diener Tom eine Münze zu.
»Bring unsere Sachen auf das Schiff und dann Gott befohlen.« Tom nickte ergeben. Der Abschied von seinem Herrn fiel ihm schwer. Er hob Anne aus dem Wagen und stellte sie behutsam auf den Boden.
»Auf Wiedersehen Miss Anne und gute Reise.« Er verbeugte sich vor der Mutter.
»Madam, Ihnen auch eine gute Reise.« Margaret Mary Brennan umarmte ihn.
»Tom, was soll denn das! Seit wann nennst du mich Madam? Für dich bin und bleibe ich Peg. Grüß Laura von mir, und sag ihr, ich werde ihren Bohneneintopf und den Hammelbraten vermissen. Vergiss uns nicht, und lass es dir gut gehen.« Sie nahm ihre Tochter an der Hand, raffte ihren Rock, leitete Anne an einer großen Pfütze vorbei und murmelte: »Feuchtigkeit ist die Wurzel aller Krankheiten. Wir sollten zusehen, dass wir ins Trockene kommen.«
William Cormac ging voran. Trotz des Regens waren die Wege rund um die Anlegeplätze voller Menschen. Aus den Schenken drangen Stimmengewirr und Musik. Hier trieben sich Menschenfänger herum, die nur darauf warteten, die Laderäume der für Fernreisen bestimmten Frachter und Passagierschiffe zu füllen. In Kneipen und Lagerhäusern gingen sie auf Menschenfang. Sie suchten Männer und Frauen, deren finanzielle Not groß genug war, sich freiwillig als Leibeigene ins ferne Amerika zu verdingen. Für ein Glas Bier und die Aussicht auf ein besseres Leben unterschrieben sie Verträge, die ihnen vier Jahre Fron einbrachten. Wer sich nicht vorsah, wurde betrunken gemacht und auf das nächstbeste Schiff geschleppt. Für die Werber zählte nur die Provision, und die bekamen sie auch ohne unterzeichnetes Schriftstück.
William Cormac marschierte zielstrebig auf das größte Gasthaus zu. Im »Blewe Anker« konnten sich Reisende mit Proviant für die lange Überfahrt eindecken.
»Für das tägliche Essen ist gesorgt, aber wenn du für dich und die Kleine noch Wünsche hast, sieh dich in Ruhe um. Denk aber daran, dass wir einige Wochen unterwegs sein werden. Kauf nichts leicht Verderbliches. « Cormac griff nach einem mit Tabak gefüllten Lederbeutel und legte ihn auf den Tresen. Der Wirt lächelte erfreut. Kunden wie dieser waren selten. Eifrig erfüllte er Margaret Marys Wünsche und lockte Anne mit Zuckerwerk.
»Davon ganz viel für mich«, bat das Mädchen. Der Vater schüttelte den Kopf.
»Eins darfst du haben, aber nicht mehr.« Die Unterlippe des Kindes begann zu zittern. Ihre Mutter verhinderte den drohenden Tränenausbruch.
»Wir kaufen genug für die ganze Reise, aber ich bestimme, wann du etwas davon bekommst.« Sie nahm drei warme Decken von einem Stapel und legte sie neben Cormacs Tabakbeutel.
»Peg, wir fahren in ein Land, in dem immer die Sonne scheint.« William Cormac griff nach den Plaids.
»Aber bis wir dort sind ... «, bat Margaret lächelnd.
Die Abraham lag leise schwankend im Hafen. Beim Anblick des mächtigen Schiffes vergaß Anne Puppe und Zuckerwerk und klatschte begeistert in die Hände.
»Daddy! Ein Haus, das schwimmen kann!« Cormac lachte.
»Ein Haus, das schwimmen kann, Prinzessin. Genau das ist es, und in diesem Haus werden wir jetzt eine Weile wohnen.«
Margaret Mary betrat unsicher die Planken.
»Will, ich hoffe, dass diese Schaukelei aufhört, wenn wir den Hafen verlassen. Mir ist jetzt schon nicht wohl.«
Mit Kurs auf Charleston, South Carolina, legte die Abraham ab. Cormac hatte Anne auf den Arm genommen und stand am Heck des Schiffes, bis Kinsale nur noch als winziger Punkt am Horizont zu sehen war.
»Daddy, warum weinst du? « Anne fuhr mit dem Zeigefinger über seine Wange.
»Ich weine nicht, Prinzessin. Mir bläst nur der Wind in die Augen«, log William Cormac und setzte seine Tochter ab.
»Komm, wir wollen schauen, was Mummy tut. Sicher hat sie schon alles ausgepackt und hergerichtet.«
Ein Blick in die Kabine belehrte ihn eines Besseren. Margaret Mary Brennan lag unter den neuen Wolldecken auf ihrem Bett, presste die Hände an ihre Schläfen und stöhnte.
» Oh, Will, gut, dass du kommst. Mir ist so elend.«
Die Seekrankheit hielt ihr Opfer fest im Griff. Während der ganzen Reise war Margaret Mary kaum in der Lage, die Kabine zu verlassen. William Cormac versorgte sie mit Brühe und leichten Speisen, die sie meist nicht einmal anrührte.
Unter den irischen Fronarbeiterinnen befand sich eine junge Frau namens Kathleen Briggs, sie kümmerte sich um die Wäsche der wohlhabenden Passagiere. Eines Tages beobachtete Cormac, wie sie ein Kleidchen von Anne zur Seite legte. Er winkte sie zu sich.
»Was hast du mit dem Kleid meiner Tochter vor? Wag nur nicht, es zu stehlen! Nur weil meine Frau krank ist, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht merke, wenn etwas fehlt!« Kathleen Briggs errötete und machte einen tiefen Knicks.
»Sir, um des gütigen Himmels willen, was denken Sie von mir. Ich habe beim Waschen einen Riss am Ärmel entdeckt und wollte ihn nähen.« Die Frau sah ihn so aufrichtig an, dass Cormac seinen Verdacht bereute.
»Willst du dir ein paar Münzen verdienen, wenn du mit deiner Arbeit fertig bist? Meine Frau leidet unter heftiger Seekrankheit. Sie könnte Hilfe gebrauchen.« Kathleen Briggs knickste noch tiefer als zuvor und nahm das Angebot an. Einmal in der Woche reinigte sie die Kabine und half der geschwächten Margaret Mary, die Haare zu waschen.
»Ich danke dir. Wenigstens juckt jetzt der Kopf nicht mehr. So elend wie in den letzten Wochen habe ich mich noch nie gefühlt. Kathleen, glaub mir, Feuchtigkeit ist die Wurzel aller Krankheiten - und wie soll es einem da auf dem Meer wohl gehen. Nichts als Wasser. Entsetzlich!« Kathleen tröstete sie.
»Madam, nur Geduld, nicht mehr lange, und wir sind wieder an Land, dann geht es Ihnen gleich besser. Und, Madam, ich wollte Sie etwas fragen, wenn wir an Land sind, Madam, haben Sie dann vielleicht Verwendung für mich? Ich kann kochen, putzen, Vieh versorgen, mich um Ihre Tochter kümmern. Wir waren viele zu Hause. Ich habe gelernt, hart zu arbeiten.« Margaret Mary schloss die Augen, um Kathleens flehendem Blick auszuweichen.
»Wir fangen ein neues Leben an, Kathleen. Wir wissen selbst noch nicht, wo es uns hinverschlägt. Ich fürchte, ich kann nichts für dich tun. « Kathleen Briggs knickste und verließ traurig die Kabine.
Anders als ihre Mutter genoss Anne die Überfahrt. Sie frühstückte jeden Morgen mit ihrem Vater und den anderen begüterten Passagieren in der Kajüte des Kapitäns und freundete sich mit einem gleichaltrigen Jungen an. Unter den wachsamen Augen der Gouvernante des Knaben spielten die Kinder in einer Ecke des Hecks, sahen den Matrosen bei ihrer Arbeit zu und lernten einfache Seemannsknoten zu fertigen.
Das Leben auf dem Schiff war aufregend und voller Überraschungen. Täglich gab es Neues zu entdecken. Kisten, Taue, die Takelage, der Segelmacher, der seine Arbeit in der Sonne verrichtete. Der Smutje in der Kombüse, der den Kindern von Zeit zu Zeit einen Leckerbissen zusteckte. Anne war glücklich auf der Abraham, sie lief zu ihrem Vater und umarmte ihn stürmisch.
»Daddy, wenn ich groß bin, kann ich dann auch Matrose werden? Oder lieber noch Kapitän. Kaufst du mir ein Schiff?«
»Wir werden sehen, Prinzessin.«
William Cormac wollte die Freude seiner Tochter nicht trüben durch einen Vortrag über das, was sich für junge wohlerzogene Damen aus gutem Hause schickt. Er lächelte, streichelte Anne über das rotlockige Haar und widmete sich wieder seiner Lektüre. Cormac verbrachte die meiste Zeit lesend und Pfeife rauchend auf dem Achterdeck. Immer wieder schweiften seine Gedanken zurück zu den Ereignissen, die seinem Leben eine unvorhersehbare Wendung gegeben hatten.
Alles hatte vor fünf Jahren begonnen. Seine Frau Gwendolyn war für einige Wochen verreist, und Margaret Mary Brennan bescherte ihm eine köstliche Nacht. Am frühen Nachmittag verließ William Cormac den vornehmsten Pub von Kinsale und trat den Heimweg an. Er zupfte die Kniebundhose zurecht, straffte die Schultern und erwiderte die ehrerbietigen Grüße einiger Passanten mit mildem Lächeln.
Kurz nach seiner Hochzeit mit Gwendolyn hatte er sich als Anwalt niedergelassen und seither einen hervorragenden Ruf erworben. Im kommenden Jahr würde es so weit sein; seiner Kandidatur als Bürgermeister stand nichts mehr im Weg. Stets hatte er sich als ein Mann mit strengen Moralvorstellungen präsentiert.
Den Bürgern der Stadt am Bandon River galt er als Hüter von Recht und Anstand. Aus der ganzen Grafschaft Cork kamen die Menschen zu ihm und baten um juristischen Beistand, den Cormac gegen ein angemessenes Entgelt gewährte.
Seine Tage verliefen nach einem Rhythmus, den er nur für Gerichtsverhandlungen und in äußersten Notfällen aufgab. Nach der Morgentoilette und einem Schälchen Haferbrei zog er sich in sein Arbeitszimmer zurück und widmete sich dem Aktenstudium. Um elf Uhr begab er sich in den Pub am Marktplatz. Hier traf er sich mit Kollegen, Freunden und Honoratioren, beackerte das Feld für seine politische Karriere, trank zwei Krüge Bier, aß einen Teller Irish Stew und kehrte nach Hause zurück. Am Nachmittag empfing er Klienten, jedoch niemals später als um fünf Uhr, denn dann war es Zeit, sich umzukleiden und bei einem Glas irischen Maltwhisky auf den Abend vorzubereiten.
Wenn William und Gwendolyn Cormac nicht ins Theater gingen oder eingeladen waren, pflegten sie zu Hause bei einem mehrgängigen Menü das, was die Hausherrin unter gehobener Konversation verstand.
Gwendolyn Cormac sah sich als eine Dame aus besseren Kreisen. Sie kam aus einer adligen, aber verarmten Familie der Grafschaft und hatte Williams Antrag keineswegs aus Liebe, sondern vor allem deshalb angenommen, weil er als vielversprechender junger Mann mit Aufstiegschancen galt. Cormac seinerseits wusste, dass seine Braut ihm Zugang zur ersten Klientel Corks und damit zu einem sehr komfortablen Leben verschaffen würde.
Gwendolyn füllte ihre Tage mit Besuchen bei Armen und Kranken. Frühling und Herbst vergingen mit der Organisation von Basaren zugunsten von Waisenkindern. Einmal in der Woche bildete sie mit fünf ausgewählten Damen einen Lesezirkel, eine einzigartige Institution in Kinsale, wie sie nicht müde wurde zu betonen.
Das Leben der Cormacs verlief in ruhigen und geordneten Bahnen und wäre glücklich zu nennen gewesen, hätten nicht zwei bittere Wermutstropfen dieses Glück getrübt. Nach siebenjähriger Ehe und vielen Gebeten zum Trotz hatte Mrs. Cormac noch immer keinem Kind das Leben geschenkt und litt heftig darunter. Noch heftiger quälte sie allerdings, dass ihr Mann es mit der Treue nicht so genau nahm.
William bemühte sich bei seinen Eskapaden um strengste Diskretion und weckte damit in seiner Gattin den unbezwingbaren Drang, ihn eines Tages in flagranti zu ertappen. Besessen von der Idee, ihr Mann könnte sie betrügen, verbrachte sie Stunden damit, ihm nachzuspionieren.
Dies war auch der Grund dafür, dass sie eben in diesem Juni 1699 ihren sechswöchigen Besuch auf dem väterlichen Landsitz um vier Tage verkürzte und ohne vorherige Anmeldung zurück nach Kinsale fuhr.
Dank der festen Regeln im Hause Cormac wusste Gwendolyn, dass ihr Mann sich bei ihrer Ankunft im Pub befinden und das Hausmädchen in der Remise mit der großen Weißwäsche beschäftig sein würde. Die Köchin, längst zurück vom täglichen Einkauf auf dem Markt, arbeitete in der Küche, und so hatte Gwendolyn ausreichend Zeit, die Räume ungestört nach verräterischen Spuren zu durchsuchen.
Die Kutsche rumpelte über das Kopfsteinpflaster und hielt vor dem Haus. Postillion Tom, Teil ihrer elterlichen Mitgift, öffnete den Schlag und reichte Gwendolyn die Hand. Schon beim ersten Blick auf den Vorgarten rümpfte Mrs. Cormac die Nase.
»Stell das Gepäck in den Flur, Margaret kann es später nach oben bringen. Du sieh zu, dass die Pferde abgeschirrt und versorgt werden.« Tom hievte gehorsam die beiden schweren Reisekisten vom Wagen und führte die Tiere in den Stall.
Gwendolyn Cormac hatte es so eilig, in das eheliche Schlafgemach zu kommen, dass sie sich nicht einmal Zeit für einen Blick in den Spiegel nahm. Sie drückte die Klinke herunter. Die Blumen auf der Kommode waren verwelkt, und auch sonst schien es, als hätte das Zimmer in den letzten Wochen niemand betreten.
»Gleich wissen wir es genau«, flüsterte sie und ging zum Bett.
In weiser Voraussicht hatte sie die Daunendecke ihres Mannes vor der Abreise mit frischem Leinen überzogen und am Fußende mit einem kleinen Kreuz aus schwarzer Kohle gekennzeichnet. Die weißen Laken blitzten so frisch und unberührt, wie sie sie hinterlassen hatte. Vorsichtig lüpfte sie das Federbett, und da war es, das schwarze Kreuz, das Zeichen, der Beweis!
»Er hat also tatsächlich kein einziges Mal in diesem Bett geschlafen. « Gwendolyn wunderte sich über die merkwürdige Kälte, die plötzlich von ihr Besitz ergriff. Sie stürmte in Margaret Brennans Kammer.
Die junge Frau stand erst seit einigen Monaten im Dienst des Ehepaares, und Gwendolyn war sicher, vom ersten Tag an lüsterne Blicke ihres Mannes beobachtet zu haben. Margaret war außergewöhnlich hübsch.
Dichtes rotes Haar umrahmte ein schmales Gesicht, von dessen milchweißem Teint sich die grünen Augen wie leuchtende Smaragde abhoben. Sie verrichtete ihre Arbeit gehorsam und hatte ein heiteres Gemüt.
Mit spitzen Fingern klaubte Gwendolyn ein paar schwarze Haare vom Kissen. Was bis eben noch ein hässlicher Verdacht gewesen war, fand jetzt Bestätigung. Sie schlug mit der Faust auf das Kissen.
Ihr Racheplan war wohldurchdacht. Im Speisezimmer holte sie zwei Gabeln, zwei Löffel und zwei Messer des schweren Silberbesteckes aus der Truhe und schlug die sechs mit ihrem Monogramm versehenen Teile in ein weiches Tuch. Sie eilte zurück in Margarets Kammer und schob das flache Bündel unter die dickste Stelle des Strohsacks, der als Matratze diente. Dann begab sie sich in die Küche.
»Mrs. Cormac! Sie sind schon zurück! Dem Herrgott sei Dank! Jetzt kehrt wieder Ordnung ein im Haus!« Die brave Köchin machte einen tiefen Knicks.
»Wenn die Katz aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse, nicht wahr, Laura? Aber jetzt ist Schluss damit. Jetzt ist die Katze wieder da und fährt ihre scharfen Krallen aus! « Gwendolyn Cormac verlor für einen Augenblick die Kontrolle über ihre Stimme. Die Köchin sah sie erschrocken an.
»Schau nicht so, Laura! Du brauchst keine Angst zu haben. Du bist doch keine tanzende Maus, oder?« Laura schüttelte energisch den Kopf.
»Na also, dann beruhige dich, und sag mir rasch, was du uns später servierst. Und außerdem richte mir bitte eine Kleinigkeit, ich bin hungrig von der Reise und kann nicht bis zum Abendessen warten.«
»Bitte gleich, bitte sofort, Madam!« Die Köchin knickste erneut.
»Wenn ich gewusst hätte, dass Sie schon heute kommen ... aber der Herr Gemahl hat mir nicht gesagt, dass er Sie so bald erwartet.«
»Das konnte er auch nicht, Laura, es ist eine Überraschung. Sei so gut, und ruf Margaret, dass sie das Gepäck heraufbringt, und dann machst du mir ein hübsches Tellerchen mit ein paar Leckereien zurecht! Ich erwarte dich in meinem Zimmer!«
Margaret klopfte zaghaft an die Tür.
»Ihre Koffer, Madam, darf ich eintreten?«
»Komm nur herein, Margaret! « Gwendolyn tat einen Schritt auf sie zu.
»Lass dich ansehen!« Sie maß ihr Gegenüber mit einem prüfenden Blick.
»Mir scheint, du hast ein wenig abgenommen, während ich fort war, hat mein Mann dich so auf Trab gehalten?« Das Mädchen wand sich, und Gwendolyn weidete sich an der Röte, die den Hals hinaufkroch und gleich darauf das ganze Gesicht überflutete.
»Nein ... ich meine, ich weiß es nicht ... oder besser, ja ... es war viel zu tun, so wie immer.«
»Nun, im Vorgarten wäre noch mehr zu tun gewesen, aber dafür hattest du offensichtlich keine Zeit. Wenn du heute mit allem anderen fertig bist, wünsche ich, dass du das Unkraut entfernst. Hinaus mit dir, und spute dich!« Margaret beeilte sich, dem Befehl Folge zu leisten.
Als William Cormac am frühen Nachmittag aus dem Pub kam, hatte Margaret es so einzurichten verstanden, dass sie das Unkraut direkt an der Straße zupfte.
»Sir, eine Überraschung, Sir! Mrs. Cormac ist schon heute aus der Sommerfrische zurückgekehrt. Sie ist in ihrem Zimmer, ruht sich von der Reise aus und kommt später zu Ihnen herunter, soll ich ausrichten.« William Cormac sah unwillkürlich zum Fenster seiner Frau hi nauf, dann schaute er Margaret fest ins Gesicht.
»Um nichts in der Welt darf sie etwas merken, hast du verstanden?«, sagte er leise. Margaret nickte fast unmerklich. »Selbstverständlich, Sir.«
Nur mit Mühe gelang es Cormac, seinen Besuchern mit der gewohnten Konzentration zu begegnen. Endlich war der letzte Mandant gegangen. Der Anwalt schenkte sich einen doppelten Whisky ein, atmete tief durch und versuchte, sich zu entspannen. Kaum hatte er es sich bequem gemacht, klopfte es an der Tür, und Gwendolyn trat ein.
»Meine Liebe! Was für eine Freude, dich zu sehen.« Er umarmte seine Frau und küsste sie auf die Stirn. »Man hat mir schon berichtet, dass du wieder da bist. Was ist der Anlass für deine frühe Rückkehr, es ist doch hoffentlich kein Ärgernis? Aber nein, das kann nicht sein, ich sehe dich frisch und erholt, jünger denn je.« Cormac merkte, dass seine Worte hölzern klangen.
»Nicht doch, es ist alles in Ordnung, ich hatte nur Sehnsucht nach dir. « Gwendolyn schmiegte sich an ihn und begann, munter und aufgeräumt von ihrer Zeit auf dem Land zu erzählen.
»Aber ich rede und lasse dich gar nicht zu Wort kommen. Wie ist es dir ergangen? Sicher hast du wie immer viel zu viel gearbeitet und zu wenig geschlafen.« Cormac sah seine Frau prüfend an. Ahnte sie etwas?
Das Abendessen verlief quälend. William Cormac bemühte sich, sein schlechtes Gewissen mit übertriebener Heiterkeit zu überspielen, und geriet doch jedes Mal ins Stocken, wenn Margaret das Zimmer betrat, um den nächsten Gang zu servieren und Wein nachzuschenken. Seine Frau gab sich betont interessiert an den Geschehnissen der jüngsten Vergangenheit. Sie fragte nach den Freunden; wen hatte ihr Mann getroffen, wo war er eingeladen gewesen, wie hatte er seine freie Zeit verbracht.
»Du warst nicht einmal im Theater? Bist kaum ausgegangen? Mir scheint, du hast das Leben eines Eremiten geführt.« William fühlte, wie unter dem Hemd Schweiß seine Achseln hinunterrann. Bevor er antworten konnte, klingelte Gwendolyn nach Margaret und stand auf.
»Du kannst den Tisch abräumen«, wies sie das Mädchen an, ging zu ihrem Mann und raunte ihm zu: »Ich ziehe mich zurück. Lass mir ein paar Minuten, mich frisch zu machen, bevor du heraufkommst.« Cormac traute seinen Ohren nicht. Noch nie hatte sie ihn so direkt aufgefordert, das Bett mir ihr zu teilen. Margarets Blick vermeidend, erhob auch er sich und verließ beinahe fluchtartig das Esszimmer. Zehn unsichere, von Gewissensbissen geplagte Minuten verbrachte er im Garten, zog hektisch an seiner Pfeife und flehte zum Himmel, dass seine Furcht vor Entdeckung unbegründet sein möge. Er ahnte nicht, dass diese Nacht, in der er seiner Frau ein vollendeter Liebhaber war, die letzte sein sollte, die er mit ihr verbrachte.
Am Vormittag des folgenden Tages rief Gwendolyn Laura und Margaret zu sich.
»Ich habe mir überlegt, dass es eine nette Idee wäre, ein Sommerfest zu geben. Es ist schon so lange her, dass wir eine größere Gesellschaft hatten. Tom wird den Garten mit Fackeln schmücken; mit dir, Laura, möchte ich die Speisen besprechen, und du, Margaret, sorgst dafür, dass das Geschirr in einwandfreiem Zustand ist und ...«, sie hielt kurz inne, »... und selbstverständlich auch das gute Besteck. Es muss sicher poliert werden. Am besten fängst du gleich damit an. « Gwendolyn stand auf und ging zur Truhe. Stück für Stück legte sie die edlen Teile auf den Tisch, trat einen Schritt zurück und runzelte die Stirn.
»... zwanzig, einundzwanzig, zweiundzwanzig. Wie kann das sein? Es müssen zwei Dutzend sein!« Sie sah die Köchin fragend an.
»Aber natürlich hatten wir immer von allem vierundzwanzig, Madam.« Sie bückte sich und durchstöberte die Truhe. »In der Küche, das schwöre ich, Madam, habe ich kein Stück davon.«
»Margaret! Hast du eine Idee, wo die fehlenden Teile sein könnten?« Das Mädchen zog die Schultern hoch und schüttelte den Kopf.
»Madam, seit ich hier bin, wurde noch nie mit diesem Besteck gegessen. Ich habe es nur ganz am Anfang einmal geputzt, und danach haben Sie es persönlich wieder eingeräumt.« Die grünen Augen spiegelten ihre Unschuld.
»Nun, Messer und Gabeln haben keine Beine! Margaret, du schaust bitte in alle Schränke und Truhen, und Laura, du suchst noch einmal gründlich in Küche und Vorratskammer. Gebt mir Bescheid, wenn ihr die fehlenden Stücke gefunden habt.«
Bis zum Abend waren alle Schübe und Laden des Hauses durchforstet, doch das Silber blieb verschwunden.
»William, ich habe eine unerfreuliche Angelegenheit mit dir zu bereden«, eröffnete Gwendolyn beim Essen das Gespräch. Jetzt kommt es, jetzt bezichtigt sie mich, ein Verhältnis mit Margaret zu haben, durchzuckte es ihren Mann.
»Sechs Teile meines guten Besteckes sind unauffindbar. Laura, Margaret und ich haben heute den halben Tag mit der Suche verbracht, aber das Silber ist wie vom Erdboden verschluckt.« Cormac sah seine Frau mit offenem Mund an. Er hatte eine Szene erwartet, und was er hörte, war die Frage nach silbernem Essgerät. Vor Erleichterung brach er in Gelächter aus.
»Gwendolyn, der Haushalt ist deine Domäne, meine Liebe, ich frage dich ja auch nicht, wo meine Akten und Federkiele sind, wenn ich sie verlegt habe.« Er lud eine große Scheibe des kalten Bratens auf seinen Teller. Seine Frau war verstimmt.
»Ich habe nichts verlegt! Im Gegenteil, ich finde höchstens Dinge! Manchmal sogar Dinge, die ich vielleicht nicht finden sollte! Aber mein Besteck habe ich nicht gefunden, obwohl wir zu dritt danach gesucht haben! Was also denkst du, könnte damit geschehen sein?«
»So wie du die Frage stellst, vermute ich, du willst darauf hinaus, dass die Sachen gestohlen worden sind. Aber wer um Himmels willen soll denn hier einbrechen, ohne dass wir irgendetwas bemerken, und ausgerechnet Teile von deinem Tafelsilber mitgehen lassen?« Cormac schüttelte ungläubig den Kopf.
»Ich habe kein Wort von Einbruch gesagt. Vielmehr vermute ich, dass es jemand aus dem Haus gewesen ist. Und da kommen nicht viele Personen in Betracht.« Gwendolyn holte mit einem künstlichen Seufzer Luft.
»Tom war es sicher nicht, für den lege ich beide Hände ins Feuer. Laura ist schon seit über sechs Jahren bei uns und hat sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Aber was ist mit Margaret? Wir kennen sie erst seit ein paar Monaten. Vielleicht hat sie meine Abwesenheit genutzt und den Griff nach Dingen gewagt, die ihr nicht gehören.« Aufmerksam beobachtete sie Williams Reaktion auf ihre Worte. Seine Hände zitterten.
»Margaret, nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Sie ist doch so ein ... «, das Ende des Satzes blieb ihm im Hals stecken.
»So ein was?« fragte Gwendolyn.
»Nun so ein ... so ein ehrliches Mädchen, denke ich.« Cormac leerte sein Glas.
»Ich bin da nicht so sicher, aber wir sollten das Ganze schnell aus der Welt schaffen. Wir rufen Margaret und gehen gemeinsam in ihr Zimmer. Finden wir das Besteck dort nicht, bin ich bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Finden wir das Silber allerdings bei ihr, wünsche ich, dass sie der Polizei übergeben wird. Einen infamen Diebstahl werde ich in meinem Haus nicht ungestraft dulden.« Mrs. Cormacs Augen funkelten. Überzeugt von der Unschuld des Mädchens erklärte sich ihr Mann sofort bereit, den Vorschlag anzunehmen.
Margaret machte keinerlei Anstalten, sich zu widersetzen.
»Ich bin betrübt, Madam, Sir, dass Sie mich für fähig halten, so etwas zu tun, aber da ich nichts zu verbergen habe, öffne ich Ihnen gerne meine Tür. « Mit diesen Worten gewährte sie Gwendolyn den Vortritt in ihre Kammer.
Margarets kleine Habe war schnell durchsucht.
»Bleibt nur noch das Bett, dann haben wir es hinter uns.« Die Hausherrin gab sich betont unbeteiligt, als Margaret bereitwillig das Kissen hob und die Decke zurückschlug.
»Und jetzt noch ein Blick unter die Matratze. William, heb bitte an! « Mit beherztem Griff nahm Cormac die Matratze hoch und verharrte ebenso starr vor Entsetzen wie die überrumpelte Margaret, als darunter ein in graues Vlies gewickeltes Bündel zum Vorschein kam.
»Das habe ich da nicht hingelegt! Ich schwöre es bei Gott und meiner Mutter, dass ich das nicht war. « Margaret Mary Brennan brach in Tränen aus, sank zu Boden und umfasste William Cormacs Knie voller Verzweiflung.
»Madam, Sir, bitte glauben Sie mir! Ich habe das nicht getan!« Das Mädchen schluchzte herzzerreißend. William, der sich aus ihrer Umklammerung gelöst hatte, hob sie vom Boden auf. Ein Blick in Margarets Augen verschaffte ihm Gewissheit - sie war unschuldig. Doch im Beisein seiner Frau gab es nichts, was er für sie tun konnte.
»Verschon uns mit deinen Schwüren und Tränen, und wag es nicht noch einmal, dich wie eine Klette an meinen Mann zu hängen. Du bringst ihn noch zu Fall!« Gwendolyns Stimme war schneidend kalt.
© 2009 C. Bertelsmann, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Katja Doubek
Katja Doubek, geb. 1958, studierte Psychologie, Germanistik, Philosophie und Geschichte, ist heute als Psychotherapeutin tätig und verfaßte zahlreiche Sachbücher. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Wiesbaden und Sperlonga/Italien.Bibliographische Angaben
- Autor: Katja Doubek
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2011, 538 Seiten, Maße: 12,6 x 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: cbj
- ISBN-10: 3570400646
- ISBN-13: 9783570400647
Rezension zu „Königin der Meere “
"Eine Hommage an eine unabhängige, mutige Frau, die vor 300 Jahren allen Konventionen abschwor und ihren eigenen Weg ging - und (...) eine Hommage an alle Frauen, die das taten und tun. (...) Romantisch und spannend."
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