Krebs
Es ist Krebs. Was fängt man mit diesem Befund an? Lebt man weiter im Bewusstsein, dass er ein Todesurteil ist? Oder ergreift man jede noch so kleine Chance? Werner Schneyder erinnert sich in diesem Buch an den Ausbruch der Krankheit bei seiner Frau,...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Krebs “
Es ist Krebs. Was fängt man mit diesem Befund an? Lebt man weiter im Bewusstsein, dass er ein Todesurteil ist? Oder ergreift man jede noch so kleine Chance? Werner Schneyder erinnert sich in diesem Buch an den Ausbruch der Krankheit bei seiner Frau, an ihren Verlauf, an das Ende. Persönlich, offen, ohne Pathos, aber mit der tiefen Verzweiflung desjenigen, der dem geliebten Menschen beim Sterben zusehen muss, erzählt Werner Schneyder von den letzten zwei gemeinsamen Jahren. Ein Leben, eine Lebenspartnerschaft werden der Medizin überantwortet. Er stellt die Fragen, die in Momenten der Normalität kaum jemand auszusprechen wagt: Welche Maßnahmen sind überhaupt sinnvoll? Welche nur Quälerei? Ist Leben um jeden Preis wirklich noch Leben? Haben wir zu sterben verlernt?
Seine Nacherzählung ist in ihrer literarischen Brillanz nicht nur schonungslose Krankengeschichte, sondern auch kritische und fragende Reflexion über die verschiedenen Möglichkeiten des Arzt-Patienten-Verhältnisses, über die Verhältnismäßigkeiten von Therapien, über Grenzsituationen der Existenz. Werner Schneyders Buch ist auch eine letzte Liebeserklärung, ein Plädoyer für Partnerschaft.
Klappentext zu „Krebs “
Es ist Krebs. Was fängt man mit diesem Befund an? Lebt man weiter im Bewusstsein, dass er ein Todesurteil ist? Oder ergreift man jede noch so kleine Chance? Werner Schneyder erinnert sich in diesem Buch an den Ausbruch der Krankheit bei seiner Frau, an ihren Verlauf, an das Ende. Persönlich, offen, ... ohne Pathos, aber mit der tiefen Verzweiflung desjenigen, der dem geliebten Menschen beim Sterben zusehen muss, erzählt Werner Schneyder von den letzten zwei gemeinsamen Jahren. Ein Leben, eine Lebenspartnerschaft werden der Medizin überantwortet. Er stellt die Fragen, die in Momenten der Normalität kaum jemand auszusprechen wagt: Welche Maßnahmen sind überhaupt sinnvoll? Welche nur Quälerei? Ist Leben um jeden Preis wirklich noch Leben? Haben wir zu sterben verlernt?Seine Nacherzählung ist in ihrer literarischen Brillanz nicht nur schonungslose Krankengeschichte, sondern auch kritische und fragende Reflexion über die verschiedenen Möglichkeiten des Arzt-Patienten-Verhältnisses, über die Verhältnismäßigkeiten von Therapien, über Grenzsituationen der Existenz. Werner Schneyders Buch ist auch eine letzte Liebeserklärung, ein Plädoyer für Partnerschaft.
Lese-Probe zu „Krebs “
Krebs von Werner Schneyder LESEPROBE Eine Nacherzählung
Ich habe lange gezögert, mich zu vagen oder präzisen Erinnerungen zu zwingen. Aber jetzt möchte ich erzählen, weil ich es dir erzählen möchte. Wenn ich jetzt dir, mit der ich noch Leben vor mir habe und von der ich genau gekannt sein möchte, erzähle, spreche ich über den Tod, dessen Abwehr durch Medizin, deren Beherrschung oder Nichtbeherrschung durch Ärzte.
Da sind Erfahrungen dabei, die ich gerne öffentlich machen möchte. Nicht als Anklage, nicht als Polemik. Als Feststellungen. Und vor allem als Fragen. Ich werde dir den Hergang so erzählen, dass ich die Freunde, sofern sie eingreifen, bei ihren echten Vornamen nenne, die vielen Freundinnen und Freunde – du kennst die meisten schon – nur als Gruppe. Andere Namen werde ich nur den Ärzten geben. Ich denke mir die Namen nicht aus, ich suche sie auch nicht im Telefonbuch, ich entnehme sie meinen Schachbüchern. Sie haben mit Siegen und Niederlagen, gelungenen oder irrigen Analysen zu tun, auch gutem oder schlechtem Benehmen, mit Genie und Wahnsinn. Insofern scheint mir der Namensmissbrauch legitim. Die Zuordnung ist absichtslos und zufällig.
Weißt du, ich wünschte mir auch, dass der eine oder andere Arzt diesen Text liest und sich bewusst, bewusster macht, vor welchem Hintergrund er seine medizinischen Entscheidungen trifft.
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Natürlich ist von Ärzten nicht zu verlangen, Privates zu recherchieren, um Entscheidungen in Relation zu Lebenssituationen setzen zu können. Aber sie sollten aus dem Verhalten von Patienten Schlüsse ziehen, wenigstens versuchen, sich in die Situation der Kranken zu projizieren, statt mechanische Exekutoren ihres medizinischen Credos zu sein.
Mach dir keine Sorgen, dass ich mich verbeiße. Im Gegenteil. Ich löse den Starrkrampf meines Kiefers, wenn von Onkologie die Rede ist.
Ich werde versuchen, so kühl zu bleiben wie möglich. Die Hand soll beim Tippen so ruhig sein wie die mit dem Messer des Krebschirurgen. Das ist ein Vorsatz. Ob er gelingt, ist offen.
Rothenthurn, drei Jahre danach. 1.
Wir sehen aus der Küche das Auto des Arztes kommen.
Ich habe Krebs, sagt sie.
Der Arzt wohnt eine Autostunde von unserem Haus und – wie ich immer sage – unserem See. Er hätte angerufen, wenn es nicht et was zu sagen gäbe, was man einem nur ins Gesicht sagen kann.
Habe ich Krebs?, fragt sie pro forma.
Ja. Es ist ein ganz aggressiver Tumor, sagt der Arzt. Er heißt Rainer und ist ein Freund. Jetzt sagt er, er, der ihr so oft und oft das Rauchen verboten hat:
Jetzt rauchst du erst einmal eine.
Ja, sagt sie und saugt.
Die Frage, ob dieser Rauch an allem Schuld trägt, stellt keiner. Wozu noch?
Es ist später Abend. Durch die breite Glastür des Wohnzimmers sehe ich hinter dem Balkon den nächtlichen See. Den See unserer vielen Sommer. Im Haus unserer Liebe zum See.
Du bist morgen um sieben Uhr in der Früh im Krankenhaus angemeldet, sagt Rainer, ich habe al - les bestellt.
Er meint das eine weitere Autostunde entfernte Krankenhaus der Landeshauptstadt.
Das kommt nicht in Frage, sage ich. Sie muss auf die Universitätsklinik. Sie muss zum – und jetzt fällt mir der Name des Krebspapstes nicht ein, der immer im Fernsehen diskutiert hatte, als es galt, einen von seinen Wahnideen besessenen Wunderheiler in die Schranken zu weisen.
Rainer akzeptiert meinen Einspruch nicht: Ich würde sie in einige Abteilungen dieses Krankenhauses nicht schicken, aber der Primarius der Urologie ist ein Ausnahmekönner. Da kommen Leute von überall her, um sich von dem operieren zu lassen.
Es ist ein Blasenkrebs.
Sie raucht. Wir schweigen.
Der See gluckst wie immer. Die Lichter vom anderen Ufer spiegeln sich wie immer.
Ich denke, wie das alles kam. Wie sie im Winter ihren runden Geburtstag gefeiert hatte, im großen Kreis ausgesuchter Freunde, in einem unvergesslich schönen Fest, wo gesungen wurde, musiziert, rezitiert, geredet. Wo sie eine kleine Rede hielt, die erste in der von mir überblickbaren Zeit von etwa vierzig Jahren, und wie sie die Rede hielt, so als hätte sie nie etwas anderes getan. Wo mir so klar war, wie viele sie lieben und warum. Ich denke, wie ich damals die fahle Haut unter der Schminke sah und fühlte: Sie hat allen Grund zur Freude und sie freut sich auch. Doch die Freude strengt sie an. Es geht ihr nicht gut. Liegt das an meiner Sentimentalität? Ich möchte immer noch und immer wieder das schöne Mädchen sehen, durchschimmern sehen, das sie war und das sie jetzt, genau jetzt, in diesem Mischlicht wieder ist. Aber sie ist eben nicht jünger geworden, wie ich auch. Welche Sorgen mache ich mir? Dann war der Sommer gekommen. Wir schwammen, lasen und tranken in der prallen Sonne. Die Haut wurde braun. Nichts deutete auf eine Krankheit hin. Oder doch? Manchmal die Erschöpfung, wenn Freunde nach Suff und Völlerei gegangen waren, eine vordem nie gekannte Erschöpfung, verbunden mit der Freude darüber, dass die nächsten Tage nichts los sein würde. Wir werden alt, dachte ich, warum auch nicht, es stimmt doch, man kann darüber nicht hinwegsehen, wozu auch?
Aber dann war sie eines Tages leichenblass vom Klo gekommen und hatte von mörderischen Blutungen erzählt. Blutungen, von denen sie für sich geklärt hatte, es könnten keine gynäkologischen gewesen sein.
Du rufst sofort den Arzt an, sagte ich. Ich meinte den Freund, der seit Jahren die Fragen beantwortet hatte, wenn dieses oder jenes Krankheitsbild eine erste Auskunft verlangte. Der Arzt hielt eine sofortige Untersuchung bei dem in der nahen Kreisstadt niedergelassenen Urologen für unerlässlich, fixierte unverzüglich einen Termin.
Wir standen vor unserem Haus. Der Sommervormittag war strahlend. Fassungslos, ja wütend, bemerkte ich, dass sie mit ihrem eigenen Auto fahren wollte. Ich sagte ihr, das würde ich auf keinen Fall erlauben. Wir rufen – ich hatte das Autofahren ein Leben lang nicht erlernen wollen – sofort ein Taxi. Nein, sagte sie, ich fahre selbst. Das war diese Bestimmtheit, diese Selbstbestimmtheit, der ich viel zu verdanken hatte. Natürlich auch Schmerz. Mit Schweißperlen auf der Oberlippe stieg sie ins Auto. Ich rief unseren Sohn an. Seit Jahren gab es zwischen uns nur eine uneingeschränkt vertrauensvolle Partnerschaft: unsere Beobachtung ihres Wohlbefindens. Es fielen die in solchen Situationen üblichen Worte: Es wird schon nichts Ernstes sein, oder so ähnlich.
Dann saß ich auf dem Balkon. Unfähig, etwas anderes zu tun, als Szenarien durchzuspielen. Grauenhafte. Tröstliche. Immer wieder die Frage, was ich denn hier allein täte, wenn.
Dann wieder der Befehl zum Wegschieben aller Horrorszenarien. Und der Vorwurf, mehr um sich selbst zu zittern als um sie.
Nach zwei Stunden war sie wieder da. Aus dem Auto stieg eine Tote. Das hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen: eine stehende, sprechende Tote, an ihr Auto gelehnt. Sie erzählte, der niedergelassene Urologe sei ein grober, unhöflicher Mensch gewesen, hätte die Untersuchung bald abgebrochen mit der Begründung, die Blutung sei so stark, da könne er mit den Möglichkeiten seiner Praxis nichts sehen und erkennen, eine Untersuchung im Krankenhaus der Kreisstadt sei erforderlich. Dort war der Mann extern für Urologie zuständig.
Es gäbe nachmittags auch schon einen Termin, sagte sie. Auf der Fahrt nach Hause hätte sie zweimal einfach nicht mehr weitergekonnt, hätte sie stehen bleiben müssen.
Du fährst am Nachmittag auch nicht mit dem Taxi, da bringt dich die Rettung hin, die ich jetzt sofort bestelle, da fahre ich auch mit, sagte ich zu der Toten, die es ganz langsam aufhörte zu sein. Ich wollte sie auf den Balkon führen, ein beruhigendes Glas Rotwein einschenken, sie aber fragte, ob es in der Zwischenzeit einen wichtigen Anruf gegeben hätte. Sie wird mich noch vom Totenbett aus fragen, ob ich nicht vergessen hätte, heute nur die halbe Tablette zu nehmen, dachte ich mir. Sie wird sich um mich kümmern, solange sie atmet. Was kann ich für sie tun? Freilich, ich habe immer etwas getan für uns, für unser beider Leben. Ich war fleißig, bald auch erfolgreich, ich habe Geld verdient, wir konnten wunderbar leben. Aber all das hatte ich für uns getan. Was für sie?
Nein, es hätte keinerlei Fax, keine Anrufe gegeben, gab ich als Auskunft. Die Welt respektiert unsere Sommerpause. Jetzt trinken wir ein Glas Rotwein. Ich sah an ihr vorbei ins blaue Wasser, sah unseren Steg, die Wiese davor, und dachte immer wieder, was sollte ich hier alleine? Und dann schoss es mir ein: (…)
© Langen Müller Verlag
Mach dir keine Sorgen, dass ich mich verbeiße. Im Gegenteil. Ich löse den Starrkrampf meines Kiefers, wenn von Onkologie die Rede ist.
Ich werde versuchen, so kühl zu bleiben wie möglich. Die Hand soll beim Tippen so ruhig sein wie die mit dem Messer des Krebschirurgen. Das ist ein Vorsatz. Ob er gelingt, ist offen.
Rothenthurn, drei Jahre danach. 1.
Wir sehen aus der Küche das Auto des Arztes kommen.
Ich habe Krebs, sagt sie.
Der Arzt wohnt eine Autostunde von unserem Haus und – wie ich immer sage – unserem See. Er hätte angerufen, wenn es nicht et was zu sagen gäbe, was man einem nur ins Gesicht sagen kann.
Habe ich Krebs?, fragt sie pro forma.
Ja. Es ist ein ganz aggressiver Tumor, sagt der Arzt. Er heißt Rainer und ist ein Freund. Jetzt sagt er, er, der ihr so oft und oft das Rauchen verboten hat:
Jetzt rauchst du erst einmal eine.
Ja, sagt sie und saugt.
Die Frage, ob dieser Rauch an allem Schuld trägt, stellt keiner. Wozu noch?
Es ist später Abend. Durch die breite Glastür des Wohnzimmers sehe ich hinter dem Balkon den nächtlichen See. Den See unserer vielen Sommer. Im Haus unserer Liebe zum See.
Du bist morgen um sieben Uhr in der Früh im Krankenhaus angemeldet, sagt Rainer, ich habe al - les bestellt.
Er meint das eine weitere Autostunde entfernte Krankenhaus der Landeshauptstadt.
Das kommt nicht in Frage, sage ich. Sie muss auf die Universitätsklinik. Sie muss zum – und jetzt fällt mir der Name des Krebspapstes nicht ein, der immer im Fernsehen diskutiert hatte, als es galt, einen von seinen Wahnideen besessenen Wunderheiler in die Schranken zu weisen.
Rainer akzeptiert meinen Einspruch nicht: Ich würde sie in einige Abteilungen dieses Krankenhauses nicht schicken, aber der Primarius der Urologie ist ein Ausnahmekönner. Da kommen Leute von überall her, um sich von dem operieren zu lassen.
Es ist ein Blasenkrebs.
Sie raucht. Wir schweigen.
Der See gluckst wie immer. Die Lichter vom anderen Ufer spiegeln sich wie immer.
Ich denke, wie das alles kam. Wie sie im Winter ihren runden Geburtstag gefeiert hatte, im großen Kreis ausgesuchter Freunde, in einem unvergesslich schönen Fest, wo gesungen wurde, musiziert, rezitiert, geredet. Wo sie eine kleine Rede hielt, die erste in der von mir überblickbaren Zeit von etwa vierzig Jahren, und wie sie die Rede hielt, so als hätte sie nie etwas anderes getan. Wo mir so klar war, wie viele sie lieben und warum. Ich denke, wie ich damals die fahle Haut unter der Schminke sah und fühlte: Sie hat allen Grund zur Freude und sie freut sich auch. Doch die Freude strengt sie an. Es geht ihr nicht gut. Liegt das an meiner Sentimentalität? Ich möchte immer noch und immer wieder das schöne Mädchen sehen, durchschimmern sehen, das sie war und das sie jetzt, genau jetzt, in diesem Mischlicht wieder ist. Aber sie ist eben nicht jünger geworden, wie ich auch. Welche Sorgen mache ich mir? Dann war der Sommer gekommen. Wir schwammen, lasen und tranken in der prallen Sonne. Die Haut wurde braun. Nichts deutete auf eine Krankheit hin. Oder doch? Manchmal die Erschöpfung, wenn Freunde nach Suff und Völlerei gegangen waren, eine vordem nie gekannte Erschöpfung, verbunden mit der Freude darüber, dass die nächsten Tage nichts los sein würde. Wir werden alt, dachte ich, warum auch nicht, es stimmt doch, man kann darüber nicht hinwegsehen, wozu auch?
Aber dann war sie eines Tages leichenblass vom Klo gekommen und hatte von mörderischen Blutungen erzählt. Blutungen, von denen sie für sich geklärt hatte, es könnten keine gynäkologischen gewesen sein.
Du rufst sofort den Arzt an, sagte ich. Ich meinte den Freund, der seit Jahren die Fragen beantwortet hatte, wenn dieses oder jenes Krankheitsbild eine erste Auskunft verlangte. Der Arzt hielt eine sofortige Untersuchung bei dem in der nahen Kreisstadt niedergelassenen Urologen für unerlässlich, fixierte unverzüglich einen Termin.
Wir standen vor unserem Haus. Der Sommervormittag war strahlend. Fassungslos, ja wütend, bemerkte ich, dass sie mit ihrem eigenen Auto fahren wollte. Ich sagte ihr, das würde ich auf keinen Fall erlauben. Wir rufen – ich hatte das Autofahren ein Leben lang nicht erlernen wollen – sofort ein Taxi. Nein, sagte sie, ich fahre selbst. Das war diese Bestimmtheit, diese Selbstbestimmtheit, der ich viel zu verdanken hatte. Natürlich auch Schmerz. Mit Schweißperlen auf der Oberlippe stieg sie ins Auto. Ich rief unseren Sohn an. Seit Jahren gab es zwischen uns nur eine uneingeschränkt vertrauensvolle Partnerschaft: unsere Beobachtung ihres Wohlbefindens. Es fielen die in solchen Situationen üblichen Worte: Es wird schon nichts Ernstes sein, oder so ähnlich.
Dann saß ich auf dem Balkon. Unfähig, etwas anderes zu tun, als Szenarien durchzuspielen. Grauenhafte. Tröstliche. Immer wieder die Frage, was ich denn hier allein täte, wenn.
Dann wieder der Befehl zum Wegschieben aller Horrorszenarien. Und der Vorwurf, mehr um sich selbst zu zittern als um sie.
Nach zwei Stunden war sie wieder da. Aus dem Auto stieg eine Tote. Das hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen: eine stehende, sprechende Tote, an ihr Auto gelehnt. Sie erzählte, der niedergelassene Urologe sei ein grober, unhöflicher Mensch gewesen, hätte die Untersuchung bald abgebrochen mit der Begründung, die Blutung sei so stark, da könne er mit den Möglichkeiten seiner Praxis nichts sehen und erkennen, eine Untersuchung im Krankenhaus der Kreisstadt sei erforderlich. Dort war der Mann extern für Urologie zuständig.
Es gäbe nachmittags auch schon einen Termin, sagte sie. Auf der Fahrt nach Hause hätte sie zweimal einfach nicht mehr weitergekonnt, hätte sie stehen bleiben müssen.
Du fährst am Nachmittag auch nicht mit dem Taxi, da bringt dich die Rettung hin, die ich jetzt sofort bestelle, da fahre ich auch mit, sagte ich zu der Toten, die es ganz langsam aufhörte zu sein. Ich wollte sie auf den Balkon führen, ein beruhigendes Glas Rotwein einschenken, sie aber fragte, ob es in der Zwischenzeit einen wichtigen Anruf gegeben hätte. Sie wird mich noch vom Totenbett aus fragen, ob ich nicht vergessen hätte, heute nur die halbe Tablette zu nehmen, dachte ich mir. Sie wird sich um mich kümmern, solange sie atmet. Was kann ich für sie tun? Freilich, ich habe immer etwas getan für uns, für unser beider Leben. Ich war fleißig, bald auch erfolgreich, ich habe Geld verdient, wir konnten wunderbar leben. Aber all das hatte ich für uns getan. Was für sie?
Nein, es hätte keinerlei Fax, keine Anrufe gegeben, gab ich als Auskunft. Die Welt respektiert unsere Sommerpause. Jetzt trinken wir ein Glas Rotwein. Ich sah an ihr vorbei ins blaue Wasser, sah unseren Steg, die Wiese davor, und dachte immer wieder, was sollte ich hier alleine? Und dann schoss es mir ein: (…)
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Autoren-Porträt von Werner Schneyder
Dr. phil. Werner Schneyder, geb. 1937 in Graz, war nach Studium und Promotion Journalist, Dramaturg und freiberuflicher Autor. Ab 1974 machte er politisch-literarisches Kabarett mit Dieter Hildebrandt und allein. Er trat auf Bühnen und in TV-Sendungen auf und veröffentlichte Gedichte, Satiren, Feuilletons und Erzählungen. Werner Schneyder lebt in Wien und Kärnten.
Bibliographische Angaben
- Autor: Werner Schneyder
- 2008, 180 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Langen/Müller
- ISBN-10: 3784431275
- ISBN-13: 9783784431277
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