Kriegsbriefe gefallener Studenten
Vom Hörsaal in den Schützengraben - die Feldpostbriefe von 130 jungen Soldaten dokumentieren "aus erster Hand", was Krieg wirklich ist
Die hier versammelten Feldpostriefe deutscher Studenten, die allesamt im Ersten Weltkrieg...
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Produktinformationen zu „Kriegsbriefe gefallener Studenten “
Vom Hörsaal in den Schützengraben - die Feldpostbriefe von 130 jungen Soldaten dokumentieren "aus erster Hand", was Krieg wirklich ist
Die hier versammelten Feldpostriefe deutscher Studenten, die allesamt im Ersten Weltkrieg gefallen sind, spiegeln die ganze Absurdität dieses grausamen Krieges wider - beginnend mit einer jubelnden Kriegsbegeisterung der ersten Monate über Entsetzen und Resignation bis zur völligen psychischen und physischen Erschöpfung in der Endphase 1918.
Der Herausgeber Philipp Witkop (1880 - 1942), Germanistikprofessor in Freiburg, schuf mit dieser erschütternden Sammlung eine "Weltkriegsgeschichte aus der Sicht des Schützengrabens" (Prof. Wolfgang Helbich, Historiker). Wer Einsichten in das Weltbild seiner Ur- und Ururgroßväter erhalten möchte, der findet sie hier. Es sind schonungslose Zeugnisse vom Leiden und Sterben, vom Hoffen und Bangen, vom Lieben und Zerstören.
Die hier versammelten Feldpostriefe deutscher Studenten, die allesamt im Ersten Weltkrieg gefallen sind, spiegeln die ganze Absurdität dieses grausamen Krieges wider - beginnend mit einer jubelnden Kriegsbegeisterung der ersten Monate über Entsetzen und Resignation bis zur völligen psychischen und physischen Erschöpfung in der Endphase 1918.
Der Herausgeber Philipp Witkop (1880 - 1942), Germanistikprofessor in Freiburg, schuf mit dieser erschütternden Sammlung eine "Weltkriegsgeschichte aus der Sicht des Schützengrabens" (Prof. Wolfgang Helbich, Historiker). Wer Einsichten in das Weltbild seiner Ur- und Ururgroßväter erhalten möchte, der findet sie hier. Es sind schonungslose Zeugnisse vom Leiden und Sterben, vom Hoffen und Bangen, vom Lieben und Zerstören.
Lese-Probe zu „Kriegsbriefe gefallener Studenten “
Kriegsbriefe gefallener Studenten von Philipp Witkop Vorwort
Wer dieses Buch liest, begibt sich in eine andere Kultur, ja fast in eine andere Welt. Es war nicht einfach eine andere Zeit. In den knapp 100 Jahren, seit die erste Auflage 1916 erschien und noch den Titel Kriegsbriefe deutscher Studenten trug, haben Wissenschaft und Technik sich schneller entwickelt als in den 15 Jahrhunderten zuvor, und auch die Politik hat sich erheblich gewandelt. Die Briefschreiber hatten nie von Computern oder Satelliten gehört, von Atombomben oder Drohnen, Penicillin oder Organtransplantation, Klimawandel oder DNA. Auch unser Denken, unsere Werte, unsere Weltsicht haben sich radikal geändert. Religion und Nationalismus haben für viele an Bedeutung verloren. Manche Behauptungen und Überlegungen der Damaligen können heutige Leser schwer nachvollziehen.
Der Herausgeber, Philipp Witkop (1880-1942), Germanistik- Professor in Freiburg i. B. und Verfasser von vielbändigen wissenschaftlichen Werken über Lyrik, beginnt sein Geleitwort von 1916 so: »Mehr denn je von einem deutschen Kriege sind wir von diesem überzeugt, daß seine ungeheueren Leistungen, Ergebnisse und Notwendigkeiten des deutschen Geistes, der deutschen Seele, des tiefsten deutschen Wesens sind [...] Und je ergriffener wir den Kampf und Heroismus des deutschen Geistes in all seiner Tragik und Schönheit miterleben, desto mehr sehnen wir uns, nicht in der Tat allein, auch im Wort von ihm dauernd Zeugnis zu haben [...] Und wir sind gewiss, [...] daß dieser Krieg ein einziges großes Heldengedicht des deutschen Volkes, des deutschen Geistes ist.«
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Die Bausteine des künftigen Heldenepos seien die »Feldpostbriefe unserer Kämpfer draußen, in denen Geist und Seele des deutschen Volkes vor den großen Horizonten des Kampfes und Todes Wort und Gestalt geworden sind«, und so habe er nicht nach interessanten Ereignissen oder militärischen Geschehnissen ausgewählt, sondern »immer nach dem tiefsten, heimlichen Ausdruck des Geistes suchend, nach jenen schlichten, innersten Bekenntnissen [...]«.
Die veröffentlichten Briefe sind also nicht nach Zufalls- oder Repräsentativitätsgesichtspunkten ausgewählt, sondern bewusst nach jenem »Ausdruck des Geistes«, als Teil des ganzen Werkes, das nach Kriegsende erscheinen und »zum dauern den nationalen Denkmal werden soll.« Zweifellos ist diese Auswahl der massivste Eingriff in die Fülle der ihm vorliegenden Briefe; bis zum Frühjahr 1918 waren es 20 000. Warum er seine Sammlung auf Studierende, von der 2. Auflage an auf gefallene Studenten beschränkte, ist offenkundig. Von ihnen erwartete er jugendlichen Patriotismus, aber vor allem die Aussage der Gebildeten (0,2 % der männlichen Deutschen studierten 1914, heute 5 %), nicht eines Querschnitts der Bevölkerung. Auch die veröffentlichten Briefe wurden nicht immer in der ursprünglichen Form präsentiert. Witkop schildert seine Editionskriterien (1916) sehr offen: »Die einzelnen Briefe habe ich zu ihrem stärksten inneren Ausdruck gezwungen, kein Wort verändernd oder hinzufügend, nur durch Verdichtung, indem ich alles Unwesentliche fortstrich, sei es ein Abschnitt, ein Satz, ein Wort, manchmal auch - der Klarheit oder der Steigerung willen - durch Umgruppierung einzelner Sätze.«
Gelegentlich scheint Witkop seine selbstgesetzten Regeln allerdings ignoriert zu haben, wenn er etwa auf den Seiten 87-98 (Finke) eine ungewöhnlich lange Briefserie veröffentlicht, die keines der von ihm gewünschten Elemente enthält, dafür aber die packende Kampfschilderung eines schriftstellerisch ambitionierten Studenten.
Die Veröffentlichung von Kriegsbriefen war im 1. Weltkrieg nicht ganz neu. Ein dänischer Schriftsteller, Karl Larsen, hatte 1897 eine Sammlung dänischer Briefe von Front und Heimat aus dem Krieg von 1864 publiziert, die 1907 übersetzt als Ein modernes Volk im Kriege in Deutschland erschien. Von Larsen kam die Anregung, die von führenden deutschen Persönlichkeiten begeistert aufgegriffen wurde und dazu führte, dass 1911 der preußische Kultusminister mit einer Verfügung sämtliche Beamten und Geistlichen des Königreichs aufforderte, bei der Bevölkerung Briefe und Tagebücher aus den drei Kriegen 1864 bis 1870/71 einzuwerben. Bis zum 1. April 1914 waren gut 8000 solche Dokumente zusammengekommen. Zu Beginn des Krieges beauftragte auch der Generalstab militärische Dienststellen mit der Einforderung von Feldpostbriefen. Kriegsbriefe zogen also viel Aufmerksamkeit auf sich, auch die des Freiburger Professors, der mit Unterstützung von Außen- und Kultusministerien arbeitete, die ihm auch die Listen der bis Herbst 1917 gefallenen Studenten zur Verfügung stellten, so dass er sehr erfolgreich Briefe sammeln konnte. Stimmungsmäßig ordnete Witkop die Dokumente grob dem Kriegsverlauf entsprechend: von der jubelnden Kriegsbegeisterung der ersten Monate über Entsetzen und Resignation bis zur psychischen und physischen Erschöpfung 1918. Entsprechend nahm die Unzufriedenheit zu - mit der Verpflegung, dem Warten, dem Schlafmangel, der taktischen Führung. Hierzu gehört auch die Kritik an der vielfachen Privilegierung der Offiziere. Einerseits ist bemerkenswert, dass Studenten, die ja als Offiziere, Fahnenjunker oder Zugführer zu den Bevorzugten gehörten, das Problem der sozialen Klassen aufgriffen, andererseits erklärt ihre Stellung, warum dies nicht noch häufiger geschah.
An erster Stelle steht in den Briefen der Krieg, jener weltweite Krieg, in den die Staatsmänner der Großmächte, der britische Historiker Christopher Clark nennt sie »Schlafwandler «, hineingetaumelt sind. Die in der Weimarer Zeit so prominente »Kriegsschuldfrage« ist für die Briefschreiber kein Thema, und wenn indirekt doch, dann ist es Zorn gegen die Leute, die Kriege vom Zaun brechen, aber nie in die vorderste Linie kommen. Dort aber ist's fürchterlich. Tote überall, soeben erschossen oder seit Tagen verwesend, Kälte und knietiefer Schlamm, Schanzen und endlose Märsche, Grabenkämpfe und Bajonettangriffe, Maschinengewehre, die Infanterieangriffe im Blut ersticken. Am allerschlimmsten für die Soldaten war nicht enden wollender feindlicher Artilleriebeschluss, den sie über sich ergehen lassen mussten, in unzureichender Deckung, ohne sich wehren zu können, hilflos, im Bewusstsein ständiger Todesgefahr.
Kein Briefschreiber beschönigte das Entsetzen und das Grauen im Zielgebiet des Trommelfeuers oder beim Sturmangriff auf feindliche Stellungen, bei dem im Kugelhagel die Kameraden rechts und links fielen, die Angreifer zurückgeschlagen wurden und erneut stürmen mussten. Die Zahl der getöteten deutschen Soldaten lag bei über 2 Millionen (1870/71 waren es knapp 50 000), für die Mittelmächte zusammen 4,2 Millionen, für die Alliierten 5 Millionen. Auch die Angst um das eigene Leben und die Sehnsucht, die Familie wiederzusehen, wurden nicht verschwiegen.
Der selten erschütterte Glaube an Vaterland, Nation, Deutschtum und die allem überlegene deutsche Kultur sowie das absolute Gottvertrauen und die Sicherheit eines Lebens nach dem Tode treten in den Kriegsbriefen deutlich hervor. Bedenkt man, wie hemmungslos hurra-patriotisch und die Gegner diffamierend auf beiden Seiten die Propagandamaschine über Presse, Plakate, Karikaturen und Volksreden lief, ist bemerkenswert, dass in den Briefen keinerlei Hasstiraden zu finden sind. Feindliche Soldaten werden selten erwähnt, und wenn, dann nicht bösartig, allenfalls herablassend oder mitleidig. Inmitten des industriellen Mordens, der offenkundigen Sinnlosigkeit des Massensterbens, versuchten viele Briefschreiber, dem Ganzen noch einen Sinn abzuringen. Die schon von Witkop angesprochene Vorbereitung auf ein neues, ein besseres, gerechteres Deutschland; die persönliche Reifung durch Bewährung im Fronterlebnis; die Verteidigung der deutschen Kultur; das Vermächtnis der Gefallenen, das die Überlebenden zu erfüllen hatten. Das Sterben wurde zum Opfertod stilisiert, zum Heldentod an sich, der keine Rechtfertigung brauchte; und schließlich die Pflicht, die wenig spezifischen Sinn und Zweck hatte außer dem Gehorsam gegenüber der Führung. Der eigene Tod war gefürchtet, und fast die Hälfte der Verfasser hielt ihn für wahrscheinlich genug, um einen tröstenden Abschiedsbrief zu schreiben.
1916 schrieb Witkop einem angesehenen deutschen Historiker, sein Buch sei vor allem zur Propaganda im neutralen Ausland gedacht, und in der Tat erschienen noch im selben Jahr mit Unterstützung durch das Auswärtige Amt Übersetzungen ins Schwedische und ins Niederländische. Welche Wirkung versprach man sich von diesem »nationalen Denkmal « dieser Verherrlichung des deutschen Geistes und der deutschen Seele in Skandinavien und Holland? Die Neutralen, zum Teil dem Deutschen Reich gegenüber kritisch eingestellt und Zielscheibe der oft gehässigen antideutschen Propaganda - Hunnen, Mörder, Schänder - konnten hier lesen, dass deutsche Soldaten keine gewissenlosen, gefühllosen Befehlsempfänger waren, sondern ganz normale Menschen mit differenzierten Gefühlen und Gedanken, die Grauen und Todesangst inmitten des Gemetzels empfanden und so Sympathie und Mitleid erwecken konnten.
Hält man dagegen die chauvinistischen Elemente, den Heldentod fürs Vaterland, die Heroisierung der Gefallenen und deren Vermächtnis, den trotzigen Durchhaltewillen, so wird ein charakteristischer Zug des Buches deutlich, den es mit vielen Kriegsromanen wie etwa Ernst Jüngers In Stahlgewittern teilt: Die Ambivalenz der Aussage. Man kann auch sagen: Jeder fand Gründe für einen positiven Eindruck. Es dürfte ziemlich einzigartig sein, dass von den über 80 Besprechungen, die in der - noch freien - Presse der Weimarer Republik erschienen, keine einzige sich gegen das Buch wandte. Das war auf der politischen Rechten - Deutschnationale, Völkische, Nationalsozialisten - nicht überraschend, auch wenn einige an der Kröte der grausig realistischen Kampfszenen heftig zu schlucken hatten. Aber auch auf der in Teilen zum Pazifismus tendierenden Linken wurden die Kriegsbriefe gut aufgenommen, der Hinweise auf Klassenschranken wegen, weil man die Hoffnung auf ein besseres, gerechteres Deutschland teilte, vor allem, weil hier das wahre Gesicht des Krieges mit all seiner Grausamkeit ohne Beschönigung gezeigt wurde.
Mit den verschiedenen Auflagen der Kriegsbriefe erwies Witkop sich als geschmeidig anpassungsfähig. Veränderungen des Textes wurden durchgehend nicht angezeigt - so auch das Weglassen von politisch missliebigen Briefserien seit 1933. Die vorliegende Ausgabe enthält noch die Briefe von Friedel Oehme und Kurt Peterson. Im selben Jahr, aber in der Auflage 151. bis 160. Tausend, fehlt Peterson, etwas später wurden auch Oehmes vier Briefe entfernt. Es liegt auf der Hand, warum eine Regierung, die bereits den nächsten Krieg vorbereitete, die Veröffentlichung solcher - bald sollte es heißen: »wehrkraftzersetzender« - Äußerungen unterband.
Witkops Geleitwort vom »Herbst 1933« hat nur noch wenig gemein mit dem von 1916. Er bekennt sich nicht offen zum Nationalsozialismus, aber begrüßt die neue Zeit, »die nationale Würde und Erneuerung« Deutschlands. Und er stellt eindeutig die Verbindung her zwischen den in seinem Buch verewigten Gefallenen und der hoffnungsfreudigen Gegenwart. Sie hätten »den Gedanken der nationalen und sittlichen Erneuerung [...] zuerst erlebt und verkündet«. Was seit dem 30. Januar vorgefallen war, hatte sein Vertrauen in die Verwirklichung des Vermächtnisses der toten Krieger, die Schaffung des »idealen Vaterlands«, offenbar nicht erschüttert: Reichstagsbrand und Massenverhaftungen, SA-Terror gegen Juden, Linke und Gewerkschaften, das erste KZ (Dachau), Verbot oder erzwungene Selbstauflösung aller Parteien außer der NSDAP, die Bücherverbrennungen und gewiss nicht zuletzt die Vertreibung jüdischer Deutscher aus dem öffentlichen Dienst und damit die Entlassung von Witkops nichtarischen Professorenkollegen (acht allein in seiner Philosophischen Fakultät). Das alles geschah bis zum Juli 1933, und es war nicht leicht, davor die Augen zu verschließen.
Kann dieses mit mancherlei Zweifeln behaftete Werk heute noch Leser interessieren? Natürlich nicht jeden. Wohl aber diejenigen, die sich gern über Geschichte, Politik, aber auch Psychologie und Soziologie möglichst aus erster Hand informieren, sich eigene Meinungen bilden. Ihnen eröffnet das Werk Perspektiven, die sie anderswo so authentisch kaum finden. So viel an den Briefen auch ausgewählt, gekürzt und »verdichtet« sein mag, eins hatten sie den zeitgenössischen Kriegsromanen, Kriegsberichten und der Kriegslyrik voraus: die Unmittelbarkeit und Authentizität. Die Briefe selbst bezeugen dies. Ihre Lektüre lässt keinen Augenblick daran zweifeln, dass sie im Unterstand, im Schützengraben, im Lazarett geschrieben wurden. Diese Briefe wurden unmittelbar unter dem Eindruck des Kriegsgeschehens verfasst, zeitgleich, nicht Jahre später durch die Erinnerung oder künstlerische Gestaltung geschönt oder verzerrt. Diese Qualität dürfte wesentlich zu dem ungewöhnlichen Verkaufserfolg von 200 000 Exemplaren bis 1942 beigetragen haben.
Dies ist Weltkriegsgeschichte aus der Sicht des Schützengrabens, nicht die aus den militärischen Chefetagen oder den Studierstuben von Historikern. Was kein Schulbuch auch nur annähernd vermittelt, die wahrhaft höllischen Szenen an der Front, werden schonungslos beschrieben. Sie enthüllen die absurde Sinnlosigkeit des Massensterbens.
Wer sich Einsichten über das Weltbild und die Gedankenwelt seiner Ur- oder Ururgroßväter wünscht, von denen es vielleicht noch Fotos in Uniform gibt - hier findet er sie. Doch über genealogisches Interesse hinaus ist faszinierend, wie und wie unterschiedlich die Briefschreiber reagierten auf das Inferno, das sie umgab. Geprägt waren sie alle von der Gesellschaft, in der sie aufgewachsen waren: von ihrer sozialen Position, ihrem privilegierten Bildungsweg, dem autoritären Staat, dem von der Obrigkeit eifrig gepflegten Nationalismus, mit dem die Überzeugung von der Überlegenheit der Deutschen und des Deutschtums einherging, dem Christentum und dessen Unsterblichkeitsglauben. An der Front gelang es manchen, die Zweifelhaftigkeit solcher Einflüsse zu durchschauen, auch jenen, die in dem Morden und Leiden einen Weg zu dem neuen, dem besseren Deutschland sahen. Aber auch das Hervortreten der Umrisse einer fast exotischen, fremden Kultur in den Briefen und möglicherweise der Vergleich mit unserer heutigen Kultur können faszinieren.
Witkop war kein Steigbügelhalter Hitlers. Aber Elemente der Kultur des Kaiserreichs, die er vertrat und förderte, begünstigten den Aufstieg des Nationalsozialismus - Klasseninteresse, Autoritätsgläubigkeit, Nationalismus, Deutschtümelei -, und auch deshalb dürften die Nazi-Kulturwächter das Buch und seine enorme Auflagenhöhe weitgehend toleriert haben. Der Gedanke des Opfertodes für ein neues Deutschland war wohl die deutlichste Verbindung und das stärkste Argument dafür, sich als Erben der Helden des Weltkrieges auszugeben. Gleichsam in einer parallelen Entwicklung glitt der deutschnationale Witkop immer weiter in Kompromissbereitschaft mit dem Regime. Es war ein keineswegs untypisches Verhalten deutscher Professoren.
Das bisher Gesagte dürfte klarmachen, warum man dem Leser keinen Lesespaß wünschen kann. Vielmehr sollten sich Leserinnen und Leser wappnen für das Schreckliche wie das Ergreifende und auch Tröstliche, das auf sie zukommt. Das Lesen dieses Werkes ist in vieler Hinsicht lohnend. Für viele wird es unvergesslich bleiben. Aber es ist definitiv keine Strandlektüre.
Schnepfenthal, den 6. Juli 2013
Prof. Dr. Wolfgang Helbich
Vorwort zur Volksausgabe
In den Tagen, da Deutschland verjüngt und verantwortungsvoll sich auf seine nationale Würde und Erneuerung besinnt, wird eine Volksausgabe der Kriegsbriefe gefallener Studenten zur vaterländischen Forderung. Haben diese doch den Gedanken der nationalen und sittlichen Erneuerung in Schlacht und Grauen und Todesbereitschaft zuerst erlebt und verkündet: »Wie ich es mir zum Troste sein lasse, in der uns aufgezwungenen Notwendigkeit des grauenhaften Krieges die Zukunft eines neuen, reinen Lebensideals zu erkennen, neu gebildet und begründet durch den Gedanken der Gleichachtung und Kameradschaft, des Gottvertrauens und der Zuversicht, durch reinen sittlichen Ernst, durch Vertiefung und Wiedergeburt des Geistes« [Fritz Wagner]. »Ich will kämpfen und vielleicht auch sterben für den Glauben an ein schönes, großes, erhabenes Deutschland, in dem Schlechtheit und Eigennutz verbannt, wo Treue und Ehre wieder in ihre alten Rechte eingesetzt sind« [Emil Alefeld]. »Es wird eine große Aufgabe sein für unser gesamtes Volk, nach dem Ausgange des Krieges praktisch zu verwerten, was wir innerlich durchlebt haben« [Fritz Franke].
Diese Briefe sind ein Vermächtnis an uns, das ideale Vaterland zu verwirklichen, das ihre Schreiber sehnend geschaut, dafür sie ihr Leben gelassen haben. Die Frühgefallenen sind Blutzeugen nicht eines verlorenen, sondern eines neuen Deutschland, dessen Schöpfer und Bürger wir werden wollen.
Deutschland! Vaterland! Nie sind diese Worte, diese Werte glühender, erhabener, in religiöser Weihe erlebt worden. Über 20 000 Briefe gefallener Studenten wurden mir 1917/18 durch Vermittlung der deutschen Unterrichtsministerien und Universitäten von Eltern und Freunden zur Auswahl gesandt. Fast die Hälfte aller Briefschreiber bringt - beim Abmarsch ins Feld oder am Vorabend einer Schlacht - in erschütternden Abschiedsbriefen an die Eltern ihr Leben dem Vaterland als Opfer dar, sieht ihren Tod voraus und nimmt ihn frei in ihren Willen auf.
Diese Seelenhaltung sub specie aeternitatis verbürgt den Schriftstücken tiefer als allen Kriegsromanen und -historien untrügliche persönliche und historische Wahrheit.
Die alten Volksepen: Ilias, Odyssee und Nibelungenlied, galten den Forschern lange als naturhaft gewachsene Dichtung, geboren aus der ursprünglichen Kraft des Volksgeistes. Solche ursprüngliche, schöpferische Kraft des deutschen Volksgeistes offenbaren diese Briefe, die wie Materialien, wie erste Strophen zu einem großen deutschen Lied und Mythos des Weltkriegs anmuten. Alle Tiefen des deutschen Geistes, aller Adel der deutschen Seele sind vor den Horizonten des Krieges, des Todes, des Vaterlandes in diesen jungen Helden Gestalt und Wort geworden. Religiöse Innerlichkeit, künstlerische Anschauungs- und Darstellungskraft, ein strahlendes Gefühl für die Schönheit und Fülle der Natur, noch im Trichterfeld und im Schützengraben, eine klassen-überwindende, todestreue Kameradschaft verbinden sich eiserner Tapferkeit, heroischer Ausdauer, heiliger Opferbereitschaft.
In diesen Tagen nationaler Selbstbesinnung beugen wir uns vor ihnen und schwören ihrem Andenken, daß sie nicht vergebens gefallen sein sollen, daß wir ihr Testament einlösen, daß wir in unablässiger Arbeit an uns und dem Volksganzen ihrer wert werden wollen.
Freiburg i. B., im Herbst 1933.
Prof. Dr. Philipp Witkop
Walter Limmer, stud. iur., Leipzig,
geb. 22. August 1890 zu Thiergarten bei Plauen im Vogtl.,
gest. 24. September 1914 in Luxemburg an einer Verwundung vom 16. bei Châlons-sur-Marne.
Leipzig (leider immer noch!), 3. August 1914.
Hurra! endlich habe ich meine Beorderung: morgen vormittag 11 Uhr in einem hiesigen Lokal. Stunde um Stunde habe ich auf meinen Befehl gewartet. Heute vormittag traf ich eine junge bekannte Dame; ich schämte mich fast, mich in Zivilkleidern vor ihr sehen zu lassen. - Auch Ihr, meine guten Eltern, werdet mir recht geben: ich gehöre nicht mehr ins friedliche Leipzig. Leibe Mutter, halte Dir bitte, bitte immer vor Augen, was ich seit gestern [dem Abschied von daheim] im Wechsel der Stimmungen gelernt: Wenn wir in diesen Zeiten an uns und unsere Angehörigen denken, werden wir klein, schwach. Denken wir an unser Volk, ans Vaterland, an Gott, an alles Umfassende, so werden wir mutig und stark.
Leipzig, 7. August 1914.
Ich bin doch froh, daß wir noch einige Tage hiergeblieben sind. So habe ich Zeit gewonnen, meine Gedanken zu ordnen und aus den schwankenden Stimmungen wieder in die Gewalt zu bekommen. Die ersten Vorstellungen vor nun acht Tagen über die nicht mehr nur möglichen, sondern wirklich und leibhaftig herannahenden Schrecken haben gewiß jeden Soldaten etwas beklemmt, und am ersten Schlachttag wird sicherlich das Grausen im Herzen wieder Posto fassen wollen. Aber jetzt kommt es nicht mehr in unvorbereitete, unsichere Gemüter. Ich persönlich habe meine volle Ruhe wiedergewonnen. Ich habe mir meine Situation so zurechtgelegt, als müßte ich schon jetzt mit dieser Welt abschließen, als käme ich bestimmt nicht wieder heim. Und das gibt mir Ruhe und Sicherheit. Lieber Vater, gute Mutter, herzliebe Geschwister, nehmt es bitte, bitte nicht für Grausamkeit, aber es wird gut sein, wenn auch Ihr Euch schon jetzt voll tapferen Mutes und fester Selbstbeherrschung mit dem Gedanken vertraut macht, daß Ihr mich oder einen meiner Brüder nicht wiederseht. Kommt dann eine wirkliche Unglücksnachricht, so werdet Ihr sie viel gefaßter aufnehmen. Kehren wir aber alle wieder heim, so dürfen wir das dann als ein unerwartetes, um so gütigeres und herrliches Geschenk Gottes hinnehmen. Ihr werdet mir glauben, daß mir die Sache in ihrem Ernst viel zu heilig ist, als daß ich eben etwas Phrasenhaftes ausgesprochen hätte.
Jedenfalls habe ich die Absicht, draufzugehen »wie Blücher«. Das ist jetzt einfach unser aller Pflicht. Und die Stimmung ist allgemein so unter den Soldaten, besonders seit Englands Kriegserklärung die Nacht in der Kaserne bekannt wurde. Damals haben wir vor Aufregung, Wut und Begeisterung bis früh 3 Uhr nicht geschlafen. Es ist eine Lust, mit solchen Kameraden zu ziehen. Wir werden siegen! Das ist bei solch kraftvollem Willen zum Sieg gar nicht anders möglich. Meine Teuren, seid stolz, daß Ihr in solcher Zeit und solchem Volke lebt und daß Ihr auch mehrere Eurer Lieben in diesen stolzen Kampf mitsenden dürft.
Im Eisenbahnzug.
Erhebend und packend war unser Abmarsch. Die Bedeutung und zugleich die Gefahren, die den Hintergrund eines solchen Ausmarsches bilden, gaben ihm eine wunderbare Weihe. In jedem der Abziehenden und der Zurückbleibenden drängen sich die Gedanken und Empfindungen. Es ist, als erlebte man in einer Stunde soviel als sonst in Monaten und Jahren - diese Begeisterung! Das ganze Bataillon hatte Uniform und Helm mit Blumen geschmückt. Unermüdlich Tücherschwenken aus allen Fenstern und Straßen, tausend Hurras! Hüben und drüben, und dazu die immer und immer wiederholte, ewig neue und wunderbare Versicherung der Soldaten: »Fest steht und treu die Wacht am Rhein!« Diese Stunde, die selten schlägt im Leben der Völker, ist so gewaltig und ergreifend, daß sie allein viele Anstrengungen und Entbehrungen aufwiegt.
Südlich von Châlons, 9. September 1914.
Immer noch wütet diese fürchterliche Schlacht, nun schon den vierten Tag! Bis jetzt bestand sie, wie fast jedes Gefecht in diesem Krieg, beinahe nur in furchtbaren Artilleriekämpfen. - Diesen Brief schreibe ich in einem grabartigen, etwa 40 cm tiefen, selbstgeschaufelten Lager der Schützenlinie. Die Granaten schlugen heute vor und hinter uns so häufig ein, daß man es als ein Geschenk Gottes betrachten muß, wenn man heil davonkam.
Attigny, 20. September 1914.
Meine lieben, guten Eltern, teure Geschwister! Ja, ich kann es selbst noch nicht recht fassen, aber es ist wahr, ich bin [verwundet] auf dem Wege zu Euch und zur Heimat. Oh, was ich glücklich bin, wieder eine lichtere Welt zu sehen als diese Welt des Schreckens! Endlich bin ich von dem dumpfen Gedanken erlöst, der mich stets umgarnte, daß ich Euch und Eure Welt nie wiedersehen würde. Wenn nicht ein besonderes, widerwärtiges Ereignis dazwischen tritt, habe ich vom Schicksal die Hoffnung wiedergeschenkt erhalten, Euch noch einmal in die lieben Augen schauen zu dürfen. [Vier Tage darauf starb er im Lazarett zu Luxemburg am Wundstarrkrampf.]
Benno Ziegler, stud. med., Freiburg i. B.,
geb. 29. Mai 1892 in Überlingen,
gef. 8. Oktober 1914 bei Annay.
Im Felde, den 14. September 1914.
Wolle nur die Hand Gottes, die mich bisher so gütig durch alle Fährnisse und Mühen als Unversehrter geführt, auch fürderhin über mir ruhen - und ich werde es an mir nicht fehlen lassen, auch ein Mann zu sein, wenn ich heimkehren sollte. Darauf hoffe ich mehr denn je - scheint doch tatsächlich der Höhepunkt des Kriegsschreckens erreicht zu sein. O Gott! waren das oft Stunden, wenn rechts und links der grausame Tod furchtbare Ernte hielt, wenn man einen fallen sah - vornüber aufs Gesicht - man kennt ihn nicht gleich - mit zitternder Hand kehrt man das blutüberströmte Gesicht um - o Gott! Du bist's! Warum auch gerade du! Und wie oft ist das geschehen! Ich hatte in solchen Augenblicken nur ein Bild vor meinem geistigen Auge: Ich sah Dich, mein lieber, herzensguter Vater, wie Du segnend Deine Hand auf mein Haupt legtest - an Deinem Bette war's, am Morgen, als ich fort zu müssen glaubte - und Gottes Gnade für mich erbatest. Vater! Dein Segen hat mir geholfen! Er war's, der mich stark gemacht hat, stärker als alle meine Kameraden, denn es hat Stunden gegeben, wo ich ihnen Mut und Trost zusprechen konnte, ich, der Schwache. - Ich hatte einen so guten Kameraden, einen Hauptlehrer von Landeck, der zog am ersten Tag, als er aus dem Lazarett kam, mit uns ins Gefecht. Er durfte als Gefreiter zum ersten Male einen ganzen Halbzug führen und war so stolz darauf. »Der zweite Halbzug folgt mir nach. Immer vor!« rief er laut, »nichts wie vor!« und schon hatte ein Granatsplitter ihm den Unterschenkel abgeschlagen. Er lag abseits, vier Stunden, lag und war dem Verbluten nahe - da hat einer ihn zufällig liegen sehen - noch dauerte das Gefecht an - noch sausten die feindlichen Infanteriegeschosse vom Waldrand in unsere Deckung. Keiner wollte aus der sicheren Stellung heraus, den armen Verwundeten zu holen. Ich hab's gewagt. Der ihn gefunden hatte, ging mit, und wir trugen ihn auf seinem Mantel in Sicherheit. Ich hab' ihn geschindelt, und noch in der Nacht haben wir ihn zu viert zwei Stunden weit ins Lazarett gebracht. Er hat mir zum Dank ein seidenes Hemd und seine Lieblingspfeife geschenkt. Der arme Kerl! Wahrscheinlich muß das Bein bis zum Knie amputiert werden - das sind solche einzelnen Erlebnisse, die mehr Eindruck auf einen machen als der Kampf gegen ein ganzes französisches Armeekorps.
Paul Brüdern, stud. med., Kiel,
geb. 26. Januar 1890 zu Hannover,
gef. 3. Oktober 1914 in Waelhem.
Penthy, Dienstag, 22. September 1914.
... Mittags wieder im Graben. Überall Artilleriegefecht. ½ 3 Uhr als Freiwillige Patrouille gegen den Feind. Mit vier Mann los. Begegnen einem Unteroffizier mit zwei Mann. Der sagt: »Es ist nicht vorzukommen; wir sind von Maschinengewehren und Infanterie beschossen.« Trotzdem natürlich weiter. Indianer gespielt, an feindliche Stellung herangepirscht, daß ich sie sprechen hörte, ihre Offiziere spazieren gehen sah und beobachtete, wie Wachen abgelöst wurden. Mit vorläufiger Meldung zwei Mann zurückgeschickt, die gut durchkommen. Wir beobachten weiter. Plötzlich erhalten wir Feuer und nehmen volle Deckung. Dann geht's sprungweise vor. Ich voran, einer folgt mir, einer zog es vor, liegenzubleiben in Deckung. An dem Tage habe ich zum ersten Male Angst kennengelernt. Drei Maschinengewehre sandten uns drei Leuten einen Hagel von Geschossen zu, sechs Kanonen schossen mit Granaten und Schrapnells auf uns. Und da waren wir nicht einige von vielen, sondern wir allein waren das Ziel. Ich wollte auch liegenbleiben, aber die Meldung mußte durch, also immer wieder weiter! Sobald ich mich aufrichtete, krachten die sechs Geschütze und knatterten die Maschinengewehre. Schon lag man wieder auf dem Bauch. Bei einer größeren Schlacht sind die Nerven durch die stundenlange Kanonade so abgestumpft, daß man sich der ungeheuren Größe der Gefahr gar nicht voll bewußt wird, aber hier ist man mit vollem Bewußtsein und ruhiger Überlegung im Schnellfeuer von anderthalb Batterien leichter Artillerie und einem Zug Maschinengewehren. Dazu gehört straffe Selbstdisziplin, da festzustehen auf Mensur ohne Wimperzucken. Dabei habe ich mir, ungesehen von irgendeinem Vorgesetzten, das Eiserne Kreuz vor mir selbst verdient.
Mittwoch, den 23. September 1914.
Mittags abgelöst, zurück wie vorgestern. Wir liegen in einem Schweinestall. Ausgemistet, Stroh rein, fertig! Finsterer Gestank. Da liegt man und trinkt mit großem Behagen aus schmutzigem Becher dünnen Kaffee, ißt Brot mit Marmelade dazu. Götteressen für unsere Verhältnisse. Im Nachbarhause schlagen drei Granaten ein. Man ist's gewohnt, niemand steht auf. Ich sage: »Wenn die nun hier eingeschlagen wären?« Mein Nachbar: »Dann würde es heller hier, und vor allem hätten wir bessere Luft.« Er hat recht. Ihr seht, mir geht's gut. Heut leben wir friedlich; was morgen kommt, weiß keiner, kümmert keinen. »Führt mich ins Feuer frisch hinein - der dritte Mann soll verloren sein - Wird' mich nicht lange sperren und zieren -.« So in der Kriegsstimmung aus dem Dreißigjährigen Kriege ist man auch.
Willi Böhne, stud. chem., Freiburg i. B.,
geb. 11. April 1895 zu Elberfeld,
gef. 24. Oktober 1914 bei Lille.
16. Oktober 1914.
Liebe Eltern und Geschwister!
Augenblicklich liege ich hier im Stroh und habe das in der Feldküche zubereitete, sehr schmackhafte Mittagessen zu mir genommen, dabei rauche ich eine der Zigarren, die soeben als Liebesgaben an uns verteilt sind. Doch -
20. Oktober.
Hier ist eine große Pause, die jedoch nicht so nichtssagend ist, wie diese paar Striche. Was ich schreiben wollte, ist: Doch die Mittagspause ist vorüber und wir müssen wieder an unsere Arbeit. - Arbeit? Ja, wenn Ihr das sähet; wir sind die reinsten Maulwürfe; wir werfen nämlich Schützengräben aus, damit die Herren Engländer hier nicht durchbrechen. So tut man allerlei, wovon man früher keine Ahnung gehabt hat. Aber man tut es gern. Wir machen es uns auch ganz gemütlich; bauen Unterstände, wo wir des Nachts unser müdes Haupt hinlegen und unterschlüpfen können, uns gegen Schrapnells zu schützen. Wir nehmen ab und zu auch ein Schlückchen Wein; denn Patrouillen von uns haben eine Anzahl Flaschen guten Rotweins mitgebracht! -
Erlaube mir, den von Ihrem lieben Sohn und Bruder begonnenen Brief zu vollenden, derselbe ist jetzt außerstande, dasselbe zu tun, denn er ist verwundet. Um Sie darauf vorzubereiten, teile ich Ihnen dieses ergebenst mit. Machen Sie sich auf das Schlimmste gefaßt. Die Kugel, die den Helden traf, hat leider zu gut getroffen, denn sie hat ihn getötet. Richten Sie sich aber auf in dem schönen Bewußtsein, daß er den schönsten Tod starb, nämlich den Heldentod fürs Vaterland. Mit freundlichem Gruß! Ein Kamerad, der es gut meint.
Martin Drescher, stud. phil., Berlin,
geb. 22. Juni 1893,
gest. 3. November 1914 an den Folgen seiner Verwundung in Cherbourg.
Das war ein Tag, an den ich nur mit Schrecken zurückdenken werde, dieser 21. Oktober. Unsere Artillerie war nicht zur Stelle und wir mußten gegen feindliche Artillerie, Infanterie und Maschinengewehre vorgehen, nein, vorspringen und Deckung suchen. Nicht einmal zum Schuß sind wir gekommen, es war ein Spießrutenlaufen. Am Abend haben wir uns dann noch eingraben müssen: die Minuten wurden zu Stunden, ein kleines Häuflein unserer Kompagnie fand sich zusammen: ich war auch zu einer anderen Kompagnie versprengt worden. Nun die Totenstille, ringsum brennende Dörfer, Stöhnen von Leicht- und Schwerverletzten; und dann noch mannstief sich eingraben. Um 2 Uhr nachts half ich noch, unseren schwerverwundeten Zugführer suchen.
So geht's Tag um Tag. Fürchterliche Märsche und tagelanges, untätiges Dahinvegetieren, Hitze und Kälte, zu viel Essen und wieder langes Hungern. Die Rede dreht sich nur noch um solche materiellen Dinge und um die Doktorfrage, ob wir morgen noch leben werden. Ich habe mich, so gut es geht, damit abgefunden. Zuerst natürlich befiel mich ein mächtiges Zittern: der Wille zum Leben ist doch zu groß, aber der Unsterblichkeitsgedanke ist ein erhabener Ersatz. Wenn ich auch nicht an die bekannte persönliche Unsterblichkeitsidee glaube, der Anblick der funkelnden Sterne gestern abend und sonstige Erinnerungen und Beobachtungen aus früherer Zeit, zumal aus Goethe, haben in mir wieder die alte Theorie von der Allseele, in der die Einzelseele aufgeht, belebt. Und so habe ich jetzt schon ruhiger die Granaten über mich hinsausen hören. Ich bin der festen Überzeugung, daß ich, d. h. meine Seele, nicht bloß dies eine Mal gelebt hat, sondern weiter und weiter leben wird; wie, male ich mir nicht aus, da es zwecklos ist. So bin ich beruhigt und gefeit.
Friedrich (Fidus) Sohnrey, stud. rer. pol., Berlin,
geb. 21. Dezember 1887 in Möllenden,
gef. 8. November 1914 bei Clamecy.
Im Schützengraben bei Clamecy, den 23. Oktober 1914.
Hier im Ort gehe ich jeden Tag zu einer Familie mit sechs Kindern. Der Mann ist im Kriege. Die Frau sagt, er sei Reserve- Dragoner. Sie glaubt naiverweise, er sei noch nicht im Feuer gewesen. Aber sie hat seit zwei Monaten fast keine Post bekommen. Sie weint, als sie das erzählt, und hört, wie wir täglich Post von zu Haus erhalten. Ich gehe dort immer hin und lasse mir warmes Wasser machen, um mich nach viertägiger Pause ordentlich zu waschen. Allerdings darf ich mich nicht zu lange aufhalten, denn ein verdächtiges Kratzen der Kinder weist auf unangenehme Hausbewohner. Aber die Leute tun einem leid, sie haben ja kaum noch ein Stück Wäsche zum Wechseln, geschweige denn etwas zu essen. Nur noch Kartoffeln; und die Frau fragt immer weinend, wie lange sie das noch mit ihren Kindern aushalten soll. Sie jammert über den Krieg: »il est triste pour nous et pour vous.« Die Schuld haben ihrer Meinung nach die Engländer, die sie verflucht. Ganz unglücklich ist sie, als ich ihr erzähle, daß wir uns auf den Winter vorbereiten und vielleicht hier das Christfest im Dorf feiern werden. Sie schluchzt nur noch vor sich hin. Meinen Dank statte ich ab, indem ich ihr Brot und Militärzwieback dalasse, über den die Kinder sich mit großem Jubel herstürzen. Das Jüngste ist fünf Monate. Es ist zwar auf Befehl des deutschen Ortskommandanten eine Kuh im Dorf geblieben, die den kleinen Kindern Milch liefert, aber es ist doch recht wenig. Am zweiten Tage gebe ich jedem der Kinder zwei Sous. Die Frau war durch mein teilnehmendes Wesen sehr gerührt und glücklich. Sie folgte mir zum Abschied bis vor die Haustür und versicherte, daß ihr Haus immer »à votre disposition« stände. Diese armen Menschen, die den Rest ihrer einst so schönen Anwesen zu halten suchen und dabei immer in Gefahr stehen, von ihrer eigenen Artillerie all ihr Hab und Gut in Brand und Klump geschossen zu sehen, werden allgemein recht bedauert, und ich glaube kaum, daß einer unserer Soldaten ihnen anders als mit Freundlichkeit begegnet. Viele geben ihnen regelmäßig von ihrem Brot ab. Um unsere Feldküche versammeln sich die Ortsbewohner, ihren ständigen Tribut abzuholen. So sorgen wir noch, daß die Angehörigen unserer Feinde nicht ganz zu verhungern brauchen. Das deutsche Gemüt ist wohl das Stück des Deutschtums, das ihm seine Größe einträgt. »An deutschem Wesen soll einst die Welt genesen« - hier ist wohl das deutsche Gemüt gemeint.
Alfred Buchalski, stud. phil., Gießen,
geb. 24. Oktober 1891 in Bromberg,
gef. 10. November 1914 bei Kortekeer.
Vor Dixmuiden, 28. Oktober 1914.
Mit welcher Freude, welcher Lust bin ich hinausgezogen in den Kampf, der mir als die schönste Gelegenheit erschien, Lebensdrang und Lebenslust sich austoben zu lassen. Mit welcher Enttäuschung sitze ich hier, das Grauen im Herzen. Und als krasser Gegensatz dazu: mit welchem Behagen sauge ich mit dieser köstlichen Luft das hundertmal verlorene Leben ein! Wie soll ich Dir alles das, was ich die letzten Tage erlebte, so recht erzählen. Ich möchte Dir in einem dieses ganze große Erlebnis: die Schlacht, berichten, und doch sind es wieder nur Einzelheiten, die sich jetzt in den Vordergrund drängen. - Es war furchtbar! Nicht das vergossene Blut, nicht auch der Umstand, daß es vergeblich vergossen war, auch nicht, daß in dunkler Nacht die eigenen Kameraden auf uns schossen, - nein, die ganze Kampfesweise ist es, die abstößt. Kämpfen wollen und sich nicht wehren können! Der Angriff, der mich so schön dünkte, was ist er anders als der Drang: hin zur nächsten Deckung da vorn gegen diesen Hagel tückischer Geschosse. Und der Feind, der sie entsendet, nicht zu sehen! Freilich, noch habe ich Hoffnung, daß man auch an diese Kampfesweise sich gewöhnen werde, und daß sich der Drang: Vorwärts, ran an den Feind! - wird betätigen lassen. Erst etwas leisten, dann schmerzt auch die Kugel gewiß nicht so sehr.
Paul Krebs, stud. arch., Danzig,
geb. 9. Oktober 1894 in Dißdorf,
gef. 21. November 1914 vor Lodz.
Oels, Ende Oktober 1914.
Vor meinem langersehnten Abrücken ins Feindesland schreibe ich diese Zeilen. Sie sollen Euch, falls Gott es so fügt, nach meinem Tode meine letzten Grüße bringen, sollen eine kleine redende Erinnerung sein. Was mich mächtig und immer mächtiger hinaustrieb, mit in den Reihen der Kämpfenden zu stehen, wißt Ihr. Es war nicht Ehrsucht; so groß ist meine Kraft und Gewandtheit nicht, daß ich auf besondere Lorbeeren hoffen könnte. Es war nicht Abenteuerlust, denn ich fühlte mich in meinem bisherigen Dasein so glücklich, daß ich Besseres kaum erhoffen konnte, und die Erfahrung der letzten Jahre hat mich einsehen gelehrt, daß auch die Erfüllung der idealsten Wünsche, der Sehnsucht, hinauszukommen, Welt und Menschen zu sehen und Schönes zu genießen, wertlos und entwertend auf den Menschen wirkt, wenn das Herz nicht fest wird. So spielt auch mein Entschluß, unter allen Umständen mitzuziehen, eine gewaltige Rolle im Kampfe um die Festigkeit des Herzens. Was mich hinaustrieb, war die auflodernde Männlichkeit (fast möchte ich sagen: das Fünkchen Männlichkeit, denn ein schlapper Kerl bin ich leider stets gewesen). Seit es mir in der Neujahrsnacht 1913 klargeworden war, daß der Heiland denen, die ihn aufnehmen, Kraft gibt, Gottes Kinder zu werden (Joh. 1,17 ist mir das köstlichste Wort der Bibel geworden), habe ich wenigstens Siegeszuversicht gehabt und ihm für viele Siege danken dürfen. Aber es fehlte mir noch so viel zur rechten, edlen Männlichkeit. Und ich danke dem Herrn, daß er mir gerade in der Zeit der Not des Vaterlandes dieses Verlangen nach dem Fehlenden brennend gemacht hat. Deshalb wird mir auch der Abschied nicht schwer werden. Denn zu dem hohen Ziel, der Freiheit des Vaterlandes, kommt bei mir noch das der Freiheit meiner selbst hinzu. Drum überwiegt die Enttäuschung über jedes Hinausschieben unseres Abmarsches auch die Freude über Eure Sonntagsbesuche. - Wie freue ich mich trotzdem, wenn ich Euch immer wieder sehen kann. Wie habt Ihr, liebe Eltern und Geschwister, kein Opfer gescheut an Geld, Zeit und Mühe. Und auch das Opfer der Fürbitte habt Ihr selbstlos und anhaltend gebracht. Ich kann es Euch jetzt nicht danken, dafür will ich dem Vaterland mit doppelter Treue dienen und Euch und unsere teure Heimat beschützen helfen. Danket auch dem treuen Vater im Himmel, daß er mir die ganze Zeit meines Lebens, besonders in den letzten Wochen, soviel Freude und Glück geschenkt hat. Ich habe den Ernst des Lebens nie zu kosten bekommen. Meine Kameraden beneiden mich um meine Jugend und mein Elternhaus. Ich habe manchem von diesem kostbaren Kapital abgeben, manchen in mein Elternhaus schauen lassen dürfen. Und viele sind dadurch froher und glücklicher geworden. Wenn ich jetzt dem Tode ins Antlitz schauen werde, so wird's mir erst wieder ganz klar werden, ob ich das mir anvertraute Gut meines Lebens gut verwaltet habe und dem Herrn aller Welten offenen Auges und mit fröhlichem Dank zurückgeben darf. Viele werden sich jetzt dessen bewußt werden, welche ein köstlicher Besitz eine reine Jugendzeit ist. Wir haben oft kurzsichtig mit ihr getändelt. Ich möchte mit den letzten Regungen meiner schwachen Kraft die Kämpfenden unterstützen und die Schwankenden vom Abgrund fernhalten. Doch was bin ich? Nur Jesus kann das. Er kann alle führen, wie er mich geführt hat. Unverdient hält und trägt er die, die sich ihm anvertrauen. Nur in ihm und durch ihn werden Siege erfochten. Weint nicht, wenn ich auf dem Felde der Ehre bleibe. Ihr hemmt unseren Siegeslauf. Die Zeit gebietet zu handeln und nicht zu trauern. Und Ihr wißt doch, daß ich glücklich bin und mir nichts mangelt. Der Heiland schenkt uns nach dieser Zeit ein seliges Wiedersehn.
Rudolf Fischer, stud. phil., Heidelberg,
geb. am 8. Dezember 1892 in Freiburg i. Br.,
gef. am 1. Dezember 1914 bei Vermelles.
Bauvin, den 18. November 1914.
Ich glaube, Ihr stellt Euch unser Leben viel schlimmer vor, als es ist. Für die Kälte gibt es Mäntel, Zelte, Decken, für den harten Boden reichlich Stroh, für den Durst Kaffee und selten etwas Wein. Für den Hunger geröstete Kartoffeln (Lekkerbissen, wenn nichts anderes zu erhalten), Schwellkartoffeln, wenn wie meist kein Fett aufzutreiben ist, außerdem das nicht schlechte Feldküchenessen. Wahre Feierstunden bedeutet immer der Postempfang für Herz und Magen, namentlich fürs Herz. Was man entbehren muß, wird aufgewogen durch manches, was ich vorher nicht geahnt. Nie habe ich solche Andacht bei einem Sternenhimmel empfunden und so mit er ganzen Natur gelebt. Morgen, Abend, Mittag, Nacht bedeuten hier etwas. Heute früh zum Beispiel hatte es gereift, ein kalter, dunstiger, weißer Wintermorgen. Ich ging mit Josef ums Dorf rum zum Bäcker. Die Sonne ging gerade winterrot auf. Leute gingen auch übers Feld, um Brot zu holen. Es war ganz heimatlich, die weißverschleierte Landschaft, Feld- und Baumgruppen und das liebliche Dorf, die frische, kalte Luft. Seelisch bin ich wieder ziemlich in Ordnung, bin stolz, mitwirken zu dürfen, kämpfen zu dürfen für Eltern, Geschwister, fürs liebe Vaterland, für alles, was mir bisher das Höchste war. Für Dichtung, Kunst, Philosophie, Kultur geht ja der Kampf. Er ist traurig, aber groß. Das ganze Leben hier im Feld durchdringt ein erhabener Ernst. Der Tod ist täglicher Genosse, der alles weiht. Man nimmt ihn nicht mehr feierlich und mit großen Klagen. Man wird einfach, schlicht gegenüber seiner Majestät. Er ist wie manche Menschen, die man liebt, wenn sie auch Ehrfurcht und Schauer einflößen. - Es kommt keiner aus dem Kriege, der nicht ein anderer geworden. Seid also fröhlich in Freiburg, wie wir im Feld es sind.
Rudolf Moldenhauer, Student der Handelshochschule in München,
geb. 8. März 1894 zu München,
gef. 13. Dezember 1914 zu Maricourt bei Péronne.
Halle bei Péronne, 9. Dezember 1914.
... Wenn uns ein schöner Sonnenuntergang an den Sumpfgewässern der Somme beschert wird, wenn ein schöner, kalter Dezembermorgen den Frühnebel bricht und die Sonne den roten Lehm des Schützengrabens hell strahlen läßt, so sind wir glücklich und freuen uns wie Kinder über die Schönheit. Dann sehen wir auf unsere Untergebenen in ihren feldgrauen Kleidern: sie kommen aus den Unterständen, dehnen sich, säubern sich und reinigen ihre Gewehre. Sie schauen über den Grabenrand, und ihre Augen leuchten, ihre Körper strotzen vor Gesundheit und Gradheit. Alles ist jung und freut sich der Natur und lebt in einem Ganzen, das gegenwärtig das stärkste ist: ein zum Schönen, Guten und Machtvollen erwachsenes Volk.
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Die Bausteine des künftigen Heldenepos seien die »Feldpostbriefe unserer Kämpfer draußen, in denen Geist und Seele des deutschen Volkes vor den großen Horizonten des Kampfes und Todes Wort und Gestalt geworden sind«, und so habe er nicht nach interessanten Ereignissen oder militärischen Geschehnissen ausgewählt, sondern »immer nach dem tiefsten, heimlichen Ausdruck des Geistes suchend, nach jenen schlichten, innersten Bekenntnissen [...]«.
Die veröffentlichten Briefe sind also nicht nach Zufalls- oder Repräsentativitätsgesichtspunkten ausgewählt, sondern bewusst nach jenem »Ausdruck des Geistes«, als Teil des ganzen Werkes, das nach Kriegsende erscheinen und »zum dauern den nationalen Denkmal werden soll.« Zweifellos ist diese Auswahl der massivste Eingriff in die Fülle der ihm vorliegenden Briefe; bis zum Frühjahr 1918 waren es 20 000. Warum er seine Sammlung auf Studierende, von der 2. Auflage an auf gefallene Studenten beschränkte, ist offenkundig. Von ihnen erwartete er jugendlichen Patriotismus, aber vor allem die Aussage der Gebildeten (0,2 % der männlichen Deutschen studierten 1914, heute 5 %), nicht eines Querschnitts der Bevölkerung. Auch die veröffentlichten Briefe wurden nicht immer in der ursprünglichen Form präsentiert. Witkop schildert seine Editionskriterien (1916) sehr offen: »Die einzelnen Briefe habe ich zu ihrem stärksten inneren Ausdruck gezwungen, kein Wort verändernd oder hinzufügend, nur durch Verdichtung, indem ich alles Unwesentliche fortstrich, sei es ein Abschnitt, ein Satz, ein Wort, manchmal auch - der Klarheit oder der Steigerung willen - durch Umgruppierung einzelner Sätze.«
Gelegentlich scheint Witkop seine selbstgesetzten Regeln allerdings ignoriert zu haben, wenn er etwa auf den Seiten 87-98 (Finke) eine ungewöhnlich lange Briefserie veröffentlicht, die keines der von ihm gewünschten Elemente enthält, dafür aber die packende Kampfschilderung eines schriftstellerisch ambitionierten Studenten.
Die Veröffentlichung von Kriegsbriefen war im 1. Weltkrieg nicht ganz neu. Ein dänischer Schriftsteller, Karl Larsen, hatte 1897 eine Sammlung dänischer Briefe von Front und Heimat aus dem Krieg von 1864 publiziert, die 1907 übersetzt als Ein modernes Volk im Kriege in Deutschland erschien. Von Larsen kam die Anregung, die von führenden deutschen Persönlichkeiten begeistert aufgegriffen wurde und dazu führte, dass 1911 der preußische Kultusminister mit einer Verfügung sämtliche Beamten und Geistlichen des Königreichs aufforderte, bei der Bevölkerung Briefe und Tagebücher aus den drei Kriegen 1864 bis 1870/71 einzuwerben. Bis zum 1. April 1914 waren gut 8000 solche Dokumente zusammengekommen. Zu Beginn des Krieges beauftragte auch der Generalstab militärische Dienststellen mit der Einforderung von Feldpostbriefen. Kriegsbriefe zogen also viel Aufmerksamkeit auf sich, auch die des Freiburger Professors, der mit Unterstützung von Außen- und Kultusministerien arbeitete, die ihm auch die Listen der bis Herbst 1917 gefallenen Studenten zur Verfügung stellten, so dass er sehr erfolgreich Briefe sammeln konnte. Stimmungsmäßig ordnete Witkop die Dokumente grob dem Kriegsverlauf entsprechend: von der jubelnden Kriegsbegeisterung der ersten Monate über Entsetzen und Resignation bis zur psychischen und physischen Erschöpfung 1918. Entsprechend nahm die Unzufriedenheit zu - mit der Verpflegung, dem Warten, dem Schlafmangel, der taktischen Führung. Hierzu gehört auch die Kritik an der vielfachen Privilegierung der Offiziere. Einerseits ist bemerkenswert, dass Studenten, die ja als Offiziere, Fahnenjunker oder Zugführer zu den Bevorzugten gehörten, das Problem der sozialen Klassen aufgriffen, andererseits erklärt ihre Stellung, warum dies nicht noch häufiger geschah.
An erster Stelle steht in den Briefen der Krieg, jener weltweite Krieg, in den die Staatsmänner der Großmächte, der britische Historiker Christopher Clark nennt sie »Schlafwandler «, hineingetaumelt sind. Die in der Weimarer Zeit so prominente »Kriegsschuldfrage« ist für die Briefschreiber kein Thema, und wenn indirekt doch, dann ist es Zorn gegen die Leute, die Kriege vom Zaun brechen, aber nie in die vorderste Linie kommen. Dort aber ist's fürchterlich. Tote überall, soeben erschossen oder seit Tagen verwesend, Kälte und knietiefer Schlamm, Schanzen und endlose Märsche, Grabenkämpfe und Bajonettangriffe, Maschinengewehre, die Infanterieangriffe im Blut ersticken. Am allerschlimmsten für die Soldaten war nicht enden wollender feindlicher Artilleriebeschluss, den sie über sich ergehen lassen mussten, in unzureichender Deckung, ohne sich wehren zu können, hilflos, im Bewusstsein ständiger Todesgefahr.
Kein Briefschreiber beschönigte das Entsetzen und das Grauen im Zielgebiet des Trommelfeuers oder beim Sturmangriff auf feindliche Stellungen, bei dem im Kugelhagel die Kameraden rechts und links fielen, die Angreifer zurückgeschlagen wurden und erneut stürmen mussten. Die Zahl der getöteten deutschen Soldaten lag bei über 2 Millionen (1870/71 waren es knapp 50 000), für die Mittelmächte zusammen 4,2 Millionen, für die Alliierten 5 Millionen. Auch die Angst um das eigene Leben und die Sehnsucht, die Familie wiederzusehen, wurden nicht verschwiegen.
Der selten erschütterte Glaube an Vaterland, Nation, Deutschtum und die allem überlegene deutsche Kultur sowie das absolute Gottvertrauen und die Sicherheit eines Lebens nach dem Tode treten in den Kriegsbriefen deutlich hervor. Bedenkt man, wie hemmungslos hurra-patriotisch und die Gegner diffamierend auf beiden Seiten die Propagandamaschine über Presse, Plakate, Karikaturen und Volksreden lief, ist bemerkenswert, dass in den Briefen keinerlei Hasstiraden zu finden sind. Feindliche Soldaten werden selten erwähnt, und wenn, dann nicht bösartig, allenfalls herablassend oder mitleidig. Inmitten des industriellen Mordens, der offenkundigen Sinnlosigkeit des Massensterbens, versuchten viele Briefschreiber, dem Ganzen noch einen Sinn abzuringen. Die schon von Witkop angesprochene Vorbereitung auf ein neues, ein besseres, gerechteres Deutschland; die persönliche Reifung durch Bewährung im Fronterlebnis; die Verteidigung der deutschen Kultur; das Vermächtnis der Gefallenen, das die Überlebenden zu erfüllen hatten. Das Sterben wurde zum Opfertod stilisiert, zum Heldentod an sich, der keine Rechtfertigung brauchte; und schließlich die Pflicht, die wenig spezifischen Sinn und Zweck hatte außer dem Gehorsam gegenüber der Führung. Der eigene Tod war gefürchtet, und fast die Hälfte der Verfasser hielt ihn für wahrscheinlich genug, um einen tröstenden Abschiedsbrief zu schreiben.
1916 schrieb Witkop einem angesehenen deutschen Historiker, sein Buch sei vor allem zur Propaganda im neutralen Ausland gedacht, und in der Tat erschienen noch im selben Jahr mit Unterstützung durch das Auswärtige Amt Übersetzungen ins Schwedische und ins Niederländische. Welche Wirkung versprach man sich von diesem »nationalen Denkmal « dieser Verherrlichung des deutschen Geistes und der deutschen Seele in Skandinavien und Holland? Die Neutralen, zum Teil dem Deutschen Reich gegenüber kritisch eingestellt und Zielscheibe der oft gehässigen antideutschen Propaganda - Hunnen, Mörder, Schänder - konnten hier lesen, dass deutsche Soldaten keine gewissenlosen, gefühllosen Befehlsempfänger waren, sondern ganz normale Menschen mit differenzierten Gefühlen und Gedanken, die Grauen und Todesangst inmitten des Gemetzels empfanden und so Sympathie und Mitleid erwecken konnten.
Hält man dagegen die chauvinistischen Elemente, den Heldentod fürs Vaterland, die Heroisierung der Gefallenen und deren Vermächtnis, den trotzigen Durchhaltewillen, so wird ein charakteristischer Zug des Buches deutlich, den es mit vielen Kriegsromanen wie etwa Ernst Jüngers In Stahlgewittern teilt: Die Ambivalenz der Aussage. Man kann auch sagen: Jeder fand Gründe für einen positiven Eindruck. Es dürfte ziemlich einzigartig sein, dass von den über 80 Besprechungen, die in der - noch freien - Presse der Weimarer Republik erschienen, keine einzige sich gegen das Buch wandte. Das war auf der politischen Rechten - Deutschnationale, Völkische, Nationalsozialisten - nicht überraschend, auch wenn einige an der Kröte der grausig realistischen Kampfszenen heftig zu schlucken hatten. Aber auch auf der in Teilen zum Pazifismus tendierenden Linken wurden die Kriegsbriefe gut aufgenommen, der Hinweise auf Klassenschranken wegen, weil man die Hoffnung auf ein besseres, gerechteres Deutschland teilte, vor allem, weil hier das wahre Gesicht des Krieges mit all seiner Grausamkeit ohne Beschönigung gezeigt wurde.
Mit den verschiedenen Auflagen der Kriegsbriefe erwies Witkop sich als geschmeidig anpassungsfähig. Veränderungen des Textes wurden durchgehend nicht angezeigt - so auch das Weglassen von politisch missliebigen Briefserien seit 1933. Die vorliegende Ausgabe enthält noch die Briefe von Friedel Oehme und Kurt Peterson. Im selben Jahr, aber in der Auflage 151. bis 160. Tausend, fehlt Peterson, etwas später wurden auch Oehmes vier Briefe entfernt. Es liegt auf der Hand, warum eine Regierung, die bereits den nächsten Krieg vorbereitete, die Veröffentlichung solcher - bald sollte es heißen: »wehrkraftzersetzender« - Äußerungen unterband.
Witkops Geleitwort vom »Herbst 1933« hat nur noch wenig gemein mit dem von 1916. Er bekennt sich nicht offen zum Nationalsozialismus, aber begrüßt die neue Zeit, »die nationale Würde und Erneuerung« Deutschlands. Und er stellt eindeutig die Verbindung her zwischen den in seinem Buch verewigten Gefallenen und der hoffnungsfreudigen Gegenwart. Sie hätten »den Gedanken der nationalen und sittlichen Erneuerung [...] zuerst erlebt und verkündet«. Was seit dem 30. Januar vorgefallen war, hatte sein Vertrauen in die Verwirklichung des Vermächtnisses der toten Krieger, die Schaffung des »idealen Vaterlands«, offenbar nicht erschüttert: Reichstagsbrand und Massenverhaftungen, SA-Terror gegen Juden, Linke und Gewerkschaften, das erste KZ (Dachau), Verbot oder erzwungene Selbstauflösung aller Parteien außer der NSDAP, die Bücherverbrennungen und gewiss nicht zuletzt die Vertreibung jüdischer Deutscher aus dem öffentlichen Dienst und damit die Entlassung von Witkops nichtarischen Professorenkollegen (acht allein in seiner Philosophischen Fakultät). Das alles geschah bis zum Juli 1933, und es war nicht leicht, davor die Augen zu verschließen.
Kann dieses mit mancherlei Zweifeln behaftete Werk heute noch Leser interessieren? Natürlich nicht jeden. Wohl aber diejenigen, die sich gern über Geschichte, Politik, aber auch Psychologie und Soziologie möglichst aus erster Hand informieren, sich eigene Meinungen bilden. Ihnen eröffnet das Werk Perspektiven, die sie anderswo so authentisch kaum finden. So viel an den Briefen auch ausgewählt, gekürzt und »verdichtet« sein mag, eins hatten sie den zeitgenössischen Kriegsromanen, Kriegsberichten und der Kriegslyrik voraus: die Unmittelbarkeit und Authentizität. Die Briefe selbst bezeugen dies. Ihre Lektüre lässt keinen Augenblick daran zweifeln, dass sie im Unterstand, im Schützengraben, im Lazarett geschrieben wurden. Diese Briefe wurden unmittelbar unter dem Eindruck des Kriegsgeschehens verfasst, zeitgleich, nicht Jahre später durch die Erinnerung oder künstlerische Gestaltung geschönt oder verzerrt. Diese Qualität dürfte wesentlich zu dem ungewöhnlichen Verkaufserfolg von 200 000 Exemplaren bis 1942 beigetragen haben.
Dies ist Weltkriegsgeschichte aus der Sicht des Schützengrabens, nicht die aus den militärischen Chefetagen oder den Studierstuben von Historikern. Was kein Schulbuch auch nur annähernd vermittelt, die wahrhaft höllischen Szenen an der Front, werden schonungslos beschrieben. Sie enthüllen die absurde Sinnlosigkeit des Massensterbens.
Wer sich Einsichten über das Weltbild und die Gedankenwelt seiner Ur- oder Ururgroßväter wünscht, von denen es vielleicht noch Fotos in Uniform gibt - hier findet er sie. Doch über genealogisches Interesse hinaus ist faszinierend, wie und wie unterschiedlich die Briefschreiber reagierten auf das Inferno, das sie umgab. Geprägt waren sie alle von der Gesellschaft, in der sie aufgewachsen waren: von ihrer sozialen Position, ihrem privilegierten Bildungsweg, dem autoritären Staat, dem von der Obrigkeit eifrig gepflegten Nationalismus, mit dem die Überzeugung von der Überlegenheit der Deutschen und des Deutschtums einherging, dem Christentum und dessen Unsterblichkeitsglauben. An der Front gelang es manchen, die Zweifelhaftigkeit solcher Einflüsse zu durchschauen, auch jenen, die in dem Morden und Leiden einen Weg zu dem neuen, dem besseren Deutschland sahen. Aber auch das Hervortreten der Umrisse einer fast exotischen, fremden Kultur in den Briefen und möglicherweise der Vergleich mit unserer heutigen Kultur können faszinieren.
Witkop war kein Steigbügelhalter Hitlers. Aber Elemente der Kultur des Kaiserreichs, die er vertrat und förderte, begünstigten den Aufstieg des Nationalsozialismus - Klasseninteresse, Autoritätsgläubigkeit, Nationalismus, Deutschtümelei -, und auch deshalb dürften die Nazi-Kulturwächter das Buch und seine enorme Auflagenhöhe weitgehend toleriert haben. Der Gedanke des Opfertodes für ein neues Deutschland war wohl die deutlichste Verbindung und das stärkste Argument dafür, sich als Erben der Helden des Weltkrieges auszugeben. Gleichsam in einer parallelen Entwicklung glitt der deutschnationale Witkop immer weiter in Kompromissbereitschaft mit dem Regime. Es war ein keineswegs untypisches Verhalten deutscher Professoren.
Das bisher Gesagte dürfte klarmachen, warum man dem Leser keinen Lesespaß wünschen kann. Vielmehr sollten sich Leserinnen und Leser wappnen für das Schreckliche wie das Ergreifende und auch Tröstliche, das auf sie zukommt. Das Lesen dieses Werkes ist in vieler Hinsicht lohnend. Für viele wird es unvergesslich bleiben. Aber es ist definitiv keine Strandlektüre.
Schnepfenthal, den 6. Juli 2013
Prof. Dr. Wolfgang Helbich
Vorwort zur Volksausgabe
In den Tagen, da Deutschland verjüngt und verantwortungsvoll sich auf seine nationale Würde und Erneuerung besinnt, wird eine Volksausgabe der Kriegsbriefe gefallener Studenten zur vaterländischen Forderung. Haben diese doch den Gedanken der nationalen und sittlichen Erneuerung in Schlacht und Grauen und Todesbereitschaft zuerst erlebt und verkündet: »Wie ich es mir zum Troste sein lasse, in der uns aufgezwungenen Notwendigkeit des grauenhaften Krieges die Zukunft eines neuen, reinen Lebensideals zu erkennen, neu gebildet und begründet durch den Gedanken der Gleichachtung und Kameradschaft, des Gottvertrauens und der Zuversicht, durch reinen sittlichen Ernst, durch Vertiefung und Wiedergeburt des Geistes« [Fritz Wagner]. »Ich will kämpfen und vielleicht auch sterben für den Glauben an ein schönes, großes, erhabenes Deutschland, in dem Schlechtheit und Eigennutz verbannt, wo Treue und Ehre wieder in ihre alten Rechte eingesetzt sind« [Emil Alefeld]. »Es wird eine große Aufgabe sein für unser gesamtes Volk, nach dem Ausgange des Krieges praktisch zu verwerten, was wir innerlich durchlebt haben« [Fritz Franke].
Diese Briefe sind ein Vermächtnis an uns, das ideale Vaterland zu verwirklichen, das ihre Schreiber sehnend geschaut, dafür sie ihr Leben gelassen haben. Die Frühgefallenen sind Blutzeugen nicht eines verlorenen, sondern eines neuen Deutschland, dessen Schöpfer und Bürger wir werden wollen.
Deutschland! Vaterland! Nie sind diese Worte, diese Werte glühender, erhabener, in religiöser Weihe erlebt worden. Über 20 000 Briefe gefallener Studenten wurden mir 1917/18 durch Vermittlung der deutschen Unterrichtsministerien und Universitäten von Eltern und Freunden zur Auswahl gesandt. Fast die Hälfte aller Briefschreiber bringt - beim Abmarsch ins Feld oder am Vorabend einer Schlacht - in erschütternden Abschiedsbriefen an die Eltern ihr Leben dem Vaterland als Opfer dar, sieht ihren Tod voraus und nimmt ihn frei in ihren Willen auf.
Diese Seelenhaltung sub specie aeternitatis verbürgt den Schriftstücken tiefer als allen Kriegsromanen und -historien untrügliche persönliche und historische Wahrheit.
Die alten Volksepen: Ilias, Odyssee und Nibelungenlied, galten den Forschern lange als naturhaft gewachsene Dichtung, geboren aus der ursprünglichen Kraft des Volksgeistes. Solche ursprüngliche, schöpferische Kraft des deutschen Volksgeistes offenbaren diese Briefe, die wie Materialien, wie erste Strophen zu einem großen deutschen Lied und Mythos des Weltkriegs anmuten. Alle Tiefen des deutschen Geistes, aller Adel der deutschen Seele sind vor den Horizonten des Krieges, des Todes, des Vaterlandes in diesen jungen Helden Gestalt und Wort geworden. Religiöse Innerlichkeit, künstlerische Anschauungs- und Darstellungskraft, ein strahlendes Gefühl für die Schönheit und Fülle der Natur, noch im Trichterfeld und im Schützengraben, eine klassen-überwindende, todestreue Kameradschaft verbinden sich eiserner Tapferkeit, heroischer Ausdauer, heiliger Opferbereitschaft.
In diesen Tagen nationaler Selbstbesinnung beugen wir uns vor ihnen und schwören ihrem Andenken, daß sie nicht vergebens gefallen sein sollen, daß wir ihr Testament einlösen, daß wir in unablässiger Arbeit an uns und dem Volksganzen ihrer wert werden wollen.
Freiburg i. B., im Herbst 1933.
Prof. Dr. Philipp Witkop
Walter Limmer, stud. iur., Leipzig,
geb. 22. August 1890 zu Thiergarten bei Plauen im Vogtl.,
gest. 24. September 1914 in Luxemburg an einer Verwundung vom 16. bei Châlons-sur-Marne.
Leipzig (leider immer noch!), 3. August 1914.
Hurra! endlich habe ich meine Beorderung: morgen vormittag 11 Uhr in einem hiesigen Lokal. Stunde um Stunde habe ich auf meinen Befehl gewartet. Heute vormittag traf ich eine junge bekannte Dame; ich schämte mich fast, mich in Zivilkleidern vor ihr sehen zu lassen. - Auch Ihr, meine guten Eltern, werdet mir recht geben: ich gehöre nicht mehr ins friedliche Leipzig. Leibe Mutter, halte Dir bitte, bitte immer vor Augen, was ich seit gestern [dem Abschied von daheim] im Wechsel der Stimmungen gelernt: Wenn wir in diesen Zeiten an uns und unsere Angehörigen denken, werden wir klein, schwach. Denken wir an unser Volk, ans Vaterland, an Gott, an alles Umfassende, so werden wir mutig und stark.
Leipzig, 7. August 1914.
Ich bin doch froh, daß wir noch einige Tage hiergeblieben sind. So habe ich Zeit gewonnen, meine Gedanken zu ordnen und aus den schwankenden Stimmungen wieder in die Gewalt zu bekommen. Die ersten Vorstellungen vor nun acht Tagen über die nicht mehr nur möglichen, sondern wirklich und leibhaftig herannahenden Schrecken haben gewiß jeden Soldaten etwas beklemmt, und am ersten Schlachttag wird sicherlich das Grausen im Herzen wieder Posto fassen wollen. Aber jetzt kommt es nicht mehr in unvorbereitete, unsichere Gemüter. Ich persönlich habe meine volle Ruhe wiedergewonnen. Ich habe mir meine Situation so zurechtgelegt, als müßte ich schon jetzt mit dieser Welt abschließen, als käme ich bestimmt nicht wieder heim. Und das gibt mir Ruhe und Sicherheit. Lieber Vater, gute Mutter, herzliebe Geschwister, nehmt es bitte, bitte nicht für Grausamkeit, aber es wird gut sein, wenn auch Ihr Euch schon jetzt voll tapferen Mutes und fester Selbstbeherrschung mit dem Gedanken vertraut macht, daß Ihr mich oder einen meiner Brüder nicht wiederseht. Kommt dann eine wirkliche Unglücksnachricht, so werdet Ihr sie viel gefaßter aufnehmen. Kehren wir aber alle wieder heim, so dürfen wir das dann als ein unerwartetes, um so gütigeres und herrliches Geschenk Gottes hinnehmen. Ihr werdet mir glauben, daß mir die Sache in ihrem Ernst viel zu heilig ist, als daß ich eben etwas Phrasenhaftes ausgesprochen hätte.
Jedenfalls habe ich die Absicht, draufzugehen »wie Blücher«. Das ist jetzt einfach unser aller Pflicht. Und die Stimmung ist allgemein so unter den Soldaten, besonders seit Englands Kriegserklärung die Nacht in der Kaserne bekannt wurde. Damals haben wir vor Aufregung, Wut und Begeisterung bis früh 3 Uhr nicht geschlafen. Es ist eine Lust, mit solchen Kameraden zu ziehen. Wir werden siegen! Das ist bei solch kraftvollem Willen zum Sieg gar nicht anders möglich. Meine Teuren, seid stolz, daß Ihr in solcher Zeit und solchem Volke lebt und daß Ihr auch mehrere Eurer Lieben in diesen stolzen Kampf mitsenden dürft.
Im Eisenbahnzug.
Erhebend und packend war unser Abmarsch. Die Bedeutung und zugleich die Gefahren, die den Hintergrund eines solchen Ausmarsches bilden, gaben ihm eine wunderbare Weihe. In jedem der Abziehenden und der Zurückbleibenden drängen sich die Gedanken und Empfindungen. Es ist, als erlebte man in einer Stunde soviel als sonst in Monaten und Jahren - diese Begeisterung! Das ganze Bataillon hatte Uniform und Helm mit Blumen geschmückt. Unermüdlich Tücherschwenken aus allen Fenstern und Straßen, tausend Hurras! Hüben und drüben, und dazu die immer und immer wiederholte, ewig neue und wunderbare Versicherung der Soldaten: »Fest steht und treu die Wacht am Rhein!« Diese Stunde, die selten schlägt im Leben der Völker, ist so gewaltig und ergreifend, daß sie allein viele Anstrengungen und Entbehrungen aufwiegt.
Südlich von Châlons, 9. September 1914.
Immer noch wütet diese fürchterliche Schlacht, nun schon den vierten Tag! Bis jetzt bestand sie, wie fast jedes Gefecht in diesem Krieg, beinahe nur in furchtbaren Artilleriekämpfen. - Diesen Brief schreibe ich in einem grabartigen, etwa 40 cm tiefen, selbstgeschaufelten Lager der Schützenlinie. Die Granaten schlugen heute vor und hinter uns so häufig ein, daß man es als ein Geschenk Gottes betrachten muß, wenn man heil davonkam.
Attigny, 20. September 1914.
Meine lieben, guten Eltern, teure Geschwister! Ja, ich kann es selbst noch nicht recht fassen, aber es ist wahr, ich bin [verwundet] auf dem Wege zu Euch und zur Heimat. Oh, was ich glücklich bin, wieder eine lichtere Welt zu sehen als diese Welt des Schreckens! Endlich bin ich von dem dumpfen Gedanken erlöst, der mich stets umgarnte, daß ich Euch und Eure Welt nie wiedersehen würde. Wenn nicht ein besonderes, widerwärtiges Ereignis dazwischen tritt, habe ich vom Schicksal die Hoffnung wiedergeschenkt erhalten, Euch noch einmal in die lieben Augen schauen zu dürfen. [Vier Tage darauf starb er im Lazarett zu Luxemburg am Wundstarrkrampf.]
Benno Ziegler, stud. med., Freiburg i. B.,
geb. 29. Mai 1892 in Überlingen,
gef. 8. Oktober 1914 bei Annay.
Im Felde, den 14. September 1914.
Wolle nur die Hand Gottes, die mich bisher so gütig durch alle Fährnisse und Mühen als Unversehrter geführt, auch fürderhin über mir ruhen - und ich werde es an mir nicht fehlen lassen, auch ein Mann zu sein, wenn ich heimkehren sollte. Darauf hoffe ich mehr denn je - scheint doch tatsächlich der Höhepunkt des Kriegsschreckens erreicht zu sein. O Gott! waren das oft Stunden, wenn rechts und links der grausame Tod furchtbare Ernte hielt, wenn man einen fallen sah - vornüber aufs Gesicht - man kennt ihn nicht gleich - mit zitternder Hand kehrt man das blutüberströmte Gesicht um - o Gott! Du bist's! Warum auch gerade du! Und wie oft ist das geschehen! Ich hatte in solchen Augenblicken nur ein Bild vor meinem geistigen Auge: Ich sah Dich, mein lieber, herzensguter Vater, wie Du segnend Deine Hand auf mein Haupt legtest - an Deinem Bette war's, am Morgen, als ich fort zu müssen glaubte - und Gottes Gnade für mich erbatest. Vater! Dein Segen hat mir geholfen! Er war's, der mich stark gemacht hat, stärker als alle meine Kameraden, denn es hat Stunden gegeben, wo ich ihnen Mut und Trost zusprechen konnte, ich, der Schwache. - Ich hatte einen so guten Kameraden, einen Hauptlehrer von Landeck, der zog am ersten Tag, als er aus dem Lazarett kam, mit uns ins Gefecht. Er durfte als Gefreiter zum ersten Male einen ganzen Halbzug führen und war so stolz darauf. »Der zweite Halbzug folgt mir nach. Immer vor!« rief er laut, »nichts wie vor!« und schon hatte ein Granatsplitter ihm den Unterschenkel abgeschlagen. Er lag abseits, vier Stunden, lag und war dem Verbluten nahe - da hat einer ihn zufällig liegen sehen - noch dauerte das Gefecht an - noch sausten die feindlichen Infanteriegeschosse vom Waldrand in unsere Deckung. Keiner wollte aus der sicheren Stellung heraus, den armen Verwundeten zu holen. Ich hab's gewagt. Der ihn gefunden hatte, ging mit, und wir trugen ihn auf seinem Mantel in Sicherheit. Ich hab' ihn geschindelt, und noch in der Nacht haben wir ihn zu viert zwei Stunden weit ins Lazarett gebracht. Er hat mir zum Dank ein seidenes Hemd und seine Lieblingspfeife geschenkt. Der arme Kerl! Wahrscheinlich muß das Bein bis zum Knie amputiert werden - das sind solche einzelnen Erlebnisse, die mehr Eindruck auf einen machen als der Kampf gegen ein ganzes französisches Armeekorps.
Paul Brüdern, stud. med., Kiel,
geb. 26. Januar 1890 zu Hannover,
gef. 3. Oktober 1914 in Waelhem.
Penthy, Dienstag, 22. September 1914.
... Mittags wieder im Graben. Überall Artilleriegefecht. ½ 3 Uhr als Freiwillige Patrouille gegen den Feind. Mit vier Mann los. Begegnen einem Unteroffizier mit zwei Mann. Der sagt: »Es ist nicht vorzukommen; wir sind von Maschinengewehren und Infanterie beschossen.« Trotzdem natürlich weiter. Indianer gespielt, an feindliche Stellung herangepirscht, daß ich sie sprechen hörte, ihre Offiziere spazieren gehen sah und beobachtete, wie Wachen abgelöst wurden. Mit vorläufiger Meldung zwei Mann zurückgeschickt, die gut durchkommen. Wir beobachten weiter. Plötzlich erhalten wir Feuer und nehmen volle Deckung. Dann geht's sprungweise vor. Ich voran, einer folgt mir, einer zog es vor, liegenzubleiben in Deckung. An dem Tage habe ich zum ersten Male Angst kennengelernt. Drei Maschinengewehre sandten uns drei Leuten einen Hagel von Geschossen zu, sechs Kanonen schossen mit Granaten und Schrapnells auf uns. Und da waren wir nicht einige von vielen, sondern wir allein waren das Ziel. Ich wollte auch liegenbleiben, aber die Meldung mußte durch, also immer wieder weiter! Sobald ich mich aufrichtete, krachten die sechs Geschütze und knatterten die Maschinengewehre. Schon lag man wieder auf dem Bauch. Bei einer größeren Schlacht sind die Nerven durch die stundenlange Kanonade so abgestumpft, daß man sich der ungeheuren Größe der Gefahr gar nicht voll bewußt wird, aber hier ist man mit vollem Bewußtsein und ruhiger Überlegung im Schnellfeuer von anderthalb Batterien leichter Artillerie und einem Zug Maschinengewehren. Dazu gehört straffe Selbstdisziplin, da festzustehen auf Mensur ohne Wimperzucken. Dabei habe ich mir, ungesehen von irgendeinem Vorgesetzten, das Eiserne Kreuz vor mir selbst verdient.
Mittwoch, den 23. September 1914.
Mittags abgelöst, zurück wie vorgestern. Wir liegen in einem Schweinestall. Ausgemistet, Stroh rein, fertig! Finsterer Gestank. Da liegt man und trinkt mit großem Behagen aus schmutzigem Becher dünnen Kaffee, ißt Brot mit Marmelade dazu. Götteressen für unsere Verhältnisse. Im Nachbarhause schlagen drei Granaten ein. Man ist's gewohnt, niemand steht auf. Ich sage: »Wenn die nun hier eingeschlagen wären?« Mein Nachbar: »Dann würde es heller hier, und vor allem hätten wir bessere Luft.« Er hat recht. Ihr seht, mir geht's gut. Heut leben wir friedlich; was morgen kommt, weiß keiner, kümmert keinen. »Führt mich ins Feuer frisch hinein - der dritte Mann soll verloren sein - Wird' mich nicht lange sperren und zieren -.« So in der Kriegsstimmung aus dem Dreißigjährigen Kriege ist man auch.
Willi Böhne, stud. chem., Freiburg i. B.,
geb. 11. April 1895 zu Elberfeld,
gef. 24. Oktober 1914 bei Lille.
16. Oktober 1914.
Liebe Eltern und Geschwister!
Augenblicklich liege ich hier im Stroh und habe das in der Feldküche zubereitete, sehr schmackhafte Mittagessen zu mir genommen, dabei rauche ich eine der Zigarren, die soeben als Liebesgaben an uns verteilt sind. Doch -
20. Oktober.
Hier ist eine große Pause, die jedoch nicht so nichtssagend ist, wie diese paar Striche. Was ich schreiben wollte, ist: Doch die Mittagspause ist vorüber und wir müssen wieder an unsere Arbeit. - Arbeit? Ja, wenn Ihr das sähet; wir sind die reinsten Maulwürfe; wir werfen nämlich Schützengräben aus, damit die Herren Engländer hier nicht durchbrechen. So tut man allerlei, wovon man früher keine Ahnung gehabt hat. Aber man tut es gern. Wir machen es uns auch ganz gemütlich; bauen Unterstände, wo wir des Nachts unser müdes Haupt hinlegen und unterschlüpfen können, uns gegen Schrapnells zu schützen. Wir nehmen ab und zu auch ein Schlückchen Wein; denn Patrouillen von uns haben eine Anzahl Flaschen guten Rotweins mitgebracht! -
Erlaube mir, den von Ihrem lieben Sohn und Bruder begonnenen Brief zu vollenden, derselbe ist jetzt außerstande, dasselbe zu tun, denn er ist verwundet. Um Sie darauf vorzubereiten, teile ich Ihnen dieses ergebenst mit. Machen Sie sich auf das Schlimmste gefaßt. Die Kugel, die den Helden traf, hat leider zu gut getroffen, denn sie hat ihn getötet. Richten Sie sich aber auf in dem schönen Bewußtsein, daß er den schönsten Tod starb, nämlich den Heldentod fürs Vaterland. Mit freundlichem Gruß! Ein Kamerad, der es gut meint.
Martin Drescher, stud. phil., Berlin,
geb. 22. Juni 1893,
gest. 3. November 1914 an den Folgen seiner Verwundung in Cherbourg.
Das war ein Tag, an den ich nur mit Schrecken zurückdenken werde, dieser 21. Oktober. Unsere Artillerie war nicht zur Stelle und wir mußten gegen feindliche Artillerie, Infanterie und Maschinengewehre vorgehen, nein, vorspringen und Deckung suchen. Nicht einmal zum Schuß sind wir gekommen, es war ein Spießrutenlaufen. Am Abend haben wir uns dann noch eingraben müssen: die Minuten wurden zu Stunden, ein kleines Häuflein unserer Kompagnie fand sich zusammen: ich war auch zu einer anderen Kompagnie versprengt worden. Nun die Totenstille, ringsum brennende Dörfer, Stöhnen von Leicht- und Schwerverletzten; und dann noch mannstief sich eingraben. Um 2 Uhr nachts half ich noch, unseren schwerverwundeten Zugführer suchen.
So geht's Tag um Tag. Fürchterliche Märsche und tagelanges, untätiges Dahinvegetieren, Hitze und Kälte, zu viel Essen und wieder langes Hungern. Die Rede dreht sich nur noch um solche materiellen Dinge und um die Doktorfrage, ob wir morgen noch leben werden. Ich habe mich, so gut es geht, damit abgefunden. Zuerst natürlich befiel mich ein mächtiges Zittern: der Wille zum Leben ist doch zu groß, aber der Unsterblichkeitsgedanke ist ein erhabener Ersatz. Wenn ich auch nicht an die bekannte persönliche Unsterblichkeitsidee glaube, der Anblick der funkelnden Sterne gestern abend und sonstige Erinnerungen und Beobachtungen aus früherer Zeit, zumal aus Goethe, haben in mir wieder die alte Theorie von der Allseele, in der die Einzelseele aufgeht, belebt. Und so habe ich jetzt schon ruhiger die Granaten über mich hinsausen hören. Ich bin der festen Überzeugung, daß ich, d. h. meine Seele, nicht bloß dies eine Mal gelebt hat, sondern weiter und weiter leben wird; wie, male ich mir nicht aus, da es zwecklos ist. So bin ich beruhigt und gefeit.
Friedrich (Fidus) Sohnrey, stud. rer. pol., Berlin,
geb. 21. Dezember 1887 in Möllenden,
gef. 8. November 1914 bei Clamecy.
Im Schützengraben bei Clamecy, den 23. Oktober 1914.
Hier im Ort gehe ich jeden Tag zu einer Familie mit sechs Kindern. Der Mann ist im Kriege. Die Frau sagt, er sei Reserve- Dragoner. Sie glaubt naiverweise, er sei noch nicht im Feuer gewesen. Aber sie hat seit zwei Monaten fast keine Post bekommen. Sie weint, als sie das erzählt, und hört, wie wir täglich Post von zu Haus erhalten. Ich gehe dort immer hin und lasse mir warmes Wasser machen, um mich nach viertägiger Pause ordentlich zu waschen. Allerdings darf ich mich nicht zu lange aufhalten, denn ein verdächtiges Kratzen der Kinder weist auf unangenehme Hausbewohner. Aber die Leute tun einem leid, sie haben ja kaum noch ein Stück Wäsche zum Wechseln, geschweige denn etwas zu essen. Nur noch Kartoffeln; und die Frau fragt immer weinend, wie lange sie das noch mit ihren Kindern aushalten soll. Sie jammert über den Krieg: »il est triste pour nous et pour vous.« Die Schuld haben ihrer Meinung nach die Engländer, die sie verflucht. Ganz unglücklich ist sie, als ich ihr erzähle, daß wir uns auf den Winter vorbereiten und vielleicht hier das Christfest im Dorf feiern werden. Sie schluchzt nur noch vor sich hin. Meinen Dank statte ich ab, indem ich ihr Brot und Militärzwieback dalasse, über den die Kinder sich mit großem Jubel herstürzen. Das Jüngste ist fünf Monate. Es ist zwar auf Befehl des deutschen Ortskommandanten eine Kuh im Dorf geblieben, die den kleinen Kindern Milch liefert, aber es ist doch recht wenig. Am zweiten Tage gebe ich jedem der Kinder zwei Sous. Die Frau war durch mein teilnehmendes Wesen sehr gerührt und glücklich. Sie folgte mir zum Abschied bis vor die Haustür und versicherte, daß ihr Haus immer »à votre disposition« stände. Diese armen Menschen, die den Rest ihrer einst so schönen Anwesen zu halten suchen und dabei immer in Gefahr stehen, von ihrer eigenen Artillerie all ihr Hab und Gut in Brand und Klump geschossen zu sehen, werden allgemein recht bedauert, und ich glaube kaum, daß einer unserer Soldaten ihnen anders als mit Freundlichkeit begegnet. Viele geben ihnen regelmäßig von ihrem Brot ab. Um unsere Feldküche versammeln sich die Ortsbewohner, ihren ständigen Tribut abzuholen. So sorgen wir noch, daß die Angehörigen unserer Feinde nicht ganz zu verhungern brauchen. Das deutsche Gemüt ist wohl das Stück des Deutschtums, das ihm seine Größe einträgt. »An deutschem Wesen soll einst die Welt genesen« - hier ist wohl das deutsche Gemüt gemeint.
Alfred Buchalski, stud. phil., Gießen,
geb. 24. Oktober 1891 in Bromberg,
gef. 10. November 1914 bei Kortekeer.
Vor Dixmuiden, 28. Oktober 1914.
Mit welcher Freude, welcher Lust bin ich hinausgezogen in den Kampf, der mir als die schönste Gelegenheit erschien, Lebensdrang und Lebenslust sich austoben zu lassen. Mit welcher Enttäuschung sitze ich hier, das Grauen im Herzen. Und als krasser Gegensatz dazu: mit welchem Behagen sauge ich mit dieser köstlichen Luft das hundertmal verlorene Leben ein! Wie soll ich Dir alles das, was ich die letzten Tage erlebte, so recht erzählen. Ich möchte Dir in einem dieses ganze große Erlebnis: die Schlacht, berichten, und doch sind es wieder nur Einzelheiten, die sich jetzt in den Vordergrund drängen. - Es war furchtbar! Nicht das vergossene Blut, nicht auch der Umstand, daß es vergeblich vergossen war, auch nicht, daß in dunkler Nacht die eigenen Kameraden auf uns schossen, - nein, die ganze Kampfesweise ist es, die abstößt. Kämpfen wollen und sich nicht wehren können! Der Angriff, der mich so schön dünkte, was ist er anders als der Drang: hin zur nächsten Deckung da vorn gegen diesen Hagel tückischer Geschosse. Und der Feind, der sie entsendet, nicht zu sehen! Freilich, noch habe ich Hoffnung, daß man auch an diese Kampfesweise sich gewöhnen werde, und daß sich der Drang: Vorwärts, ran an den Feind! - wird betätigen lassen. Erst etwas leisten, dann schmerzt auch die Kugel gewiß nicht so sehr.
Paul Krebs, stud. arch., Danzig,
geb. 9. Oktober 1894 in Dißdorf,
gef. 21. November 1914 vor Lodz.
Oels, Ende Oktober 1914.
Vor meinem langersehnten Abrücken ins Feindesland schreibe ich diese Zeilen. Sie sollen Euch, falls Gott es so fügt, nach meinem Tode meine letzten Grüße bringen, sollen eine kleine redende Erinnerung sein. Was mich mächtig und immer mächtiger hinaustrieb, mit in den Reihen der Kämpfenden zu stehen, wißt Ihr. Es war nicht Ehrsucht; so groß ist meine Kraft und Gewandtheit nicht, daß ich auf besondere Lorbeeren hoffen könnte. Es war nicht Abenteuerlust, denn ich fühlte mich in meinem bisherigen Dasein so glücklich, daß ich Besseres kaum erhoffen konnte, und die Erfahrung der letzten Jahre hat mich einsehen gelehrt, daß auch die Erfüllung der idealsten Wünsche, der Sehnsucht, hinauszukommen, Welt und Menschen zu sehen und Schönes zu genießen, wertlos und entwertend auf den Menschen wirkt, wenn das Herz nicht fest wird. So spielt auch mein Entschluß, unter allen Umständen mitzuziehen, eine gewaltige Rolle im Kampfe um die Festigkeit des Herzens. Was mich hinaustrieb, war die auflodernde Männlichkeit (fast möchte ich sagen: das Fünkchen Männlichkeit, denn ein schlapper Kerl bin ich leider stets gewesen). Seit es mir in der Neujahrsnacht 1913 klargeworden war, daß der Heiland denen, die ihn aufnehmen, Kraft gibt, Gottes Kinder zu werden (Joh. 1,17 ist mir das köstlichste Wort der Bibel geworden), habe ich wenigstens Siegeszuversicht gehabt und ihm für viele Siege danken dürfen. Aber es fehlte mir noch so viel zur rechten, edlen Männlichkeit. Und ich danke dem Herrn, daß er mir gerade in der Zeit der Not des Vaterlandes dieses Verlangen nach dem Fehlenden brennend gemacht hat. Deshalb wird mir auch der Abschied nicht schwer werden. Denn zu dem hohen Ziel, der Freiheit des Vaterlandes, kommt bei mir noch das der Freiheit meiner selbst hinzu. Drum überwiegt die Enttäuschung über jedes Hinausschieben unseres Abmarsches auch die Freude über Eure Sonntagsbesuche. - Wie freue ich mich trotzdem, wenn ich Euch immer wieder sehen kann. Wie habt Ihr, liebe Eltern und Geschwister, kein Opfer gescheut an Geld, Zeit und Mühe. Und auch das Opfer der Fürbitte habt Ihr selbstlos und anhaltend gebracht. Ich kann es Euch jetzt nicht danken, dafür will ich dem Vaterland mit doppelter Treue dienen und Euch und unsere teure Heimat beschützen helfen. Danket auch dem treuen Vater im Himmel, daß er mir die ganze Zeit meines Lebens, besonders in den letzten Wochen, soviel Freude und Glück geschenkt hat. Ich habe den Ernst des Lebens nie zu kosten bekommen. Meine Kameraden beneiden mich um meine Jugend und mein Elternhaus. Ich habe manchem von diesem kostbaren Kapital abgeben, manchen in mein Elternhaus schauen lassen dürfen. Und viele sind dadurch froher und glücklicher geworden. Wenn ich jetzt dem Tode ins Antlitz schauen werde, so wird's mir erst wieder ganz klar werden, ob ich das mir anvertraute Gut meines Lebens gut verwaltet habe und dem Herrn aller Welten offenen Auges und mit fröhlichem Dank zurückgeben darf. Viele werden sich jetzt dessen bewußt werden, welche ein köstlicher Besitz eine reine Jugendzeit ist. Wir haben oft kurzsichtig mit ihr getändelt. Ich möchte mit den letzten Regungen meiner schwachen Kraft die Kämpfenden unterstützen und die Schwankenden vom Abgrund fernhalten. Doch was bin ich? Nur Jesus kann das. Er kann alle führen, wie er mich geführt hat. Unverdient hält und trägt er die, die sich ihm anvertrauen. Nur in ihm und durch ihn werden Siege erfochten. Weint nicht, wenn ich auf dem Felde der Ehre bleibe. Ihr hemmt unseren Siegeslauf. Die Zeit gebietet zu handeln und nicht zu trauern. Und Ihr wißt doch, daß ich glücklich bin und mir nichts mangelt. Der Heiland schenkt uns nach dieser Zeit ein seliges Wiedersehn.
Rudolf Fischer, stud. phil., Heidelberg,
geb. am 8. Dezember 1892 in Freiburg i. Br.,
gef. am 1. Dezember 1914 bei Vermelles.
Bauvin, den 18. November 1914.
Ich glaube, Ihr stellt Euch unser Leben viel schlimmer vor, als es ist. Für die Kälte gibt es Mäntel, Zelte, Decken, für den harten Boden reichlich Stroh, für den Durst Kaffee und selten etwas Wein. Für den Hunger geröstete Kartoffeln (Lekkerbissen, wenn nichts anderes zu erhalten), Schwellkartoffeln, wenn wie meist kein Fett aufzutreiben ist, außerdem das nicht schlechte Feldküchenessen. Wahre Feierstunden bedeutet immer der Postempfang für Herz und Magen, namentlich fürs Herz. Was man entbehren muß, wird aufgewogen durch manches, was ich vorher nicht geahnt. Nie habe ich solche Andacht bei einem Sternenhimmel empfunden und so mit er ganzen Natur gelebt. Morgen, Abend, Mittag, Nacht bedeuten hier etwas. Heute früh zum Beispiel hatte es gereift, ein kalter, dunstiger, weißer Wintermorgen. Ich ging mit Josef ums Dorf rum zum Bäcker. Die Sonne ging gerade winterrot auf. Leute gingen auch übers Feld, um Brot zu holen. Es war ganz heimatlich, die weißverschleierte Landschaft, Feld- und Baumgruppen und das liebliche Dorf, die frische, kalte Luft. Seelisch bin ich wieder ziemlich in Ordnung, bin stolz, mitwirken zu dürfen, kämpfen zu dürfen für Eltern, Geschwister, fürs liebe Vaterland, für alles, was mir bisher das Höchste war. Für Dichtung, Kunst, Philosophie, Kultur geht ja der Kampf. Er ist traurig, aber groß. Das ganze Leben hier im Feld durchdringt ein erhabener Ernst. Der Tod ist täglicher Genosse, der alles weiht. Man nimmt ihn nicht mehr feierlich und mit großen Klagen. Man wird einfach, schlicht gegenüber seiner Majestät. Er ist wie manche Menschen, die man liebt, wenn sie auch Ehrfurcht und Schauer einflößen. - Es kommt keiner aus dem Kriege, der nicht ein anderer geworden. Seid also fröhlich in Freiburg, wie wir im Feld es sind.
Rudolf Moldenhauer, Student der Handelshochschule in München,
geb. 8. März 1894 zu München,
gef. 13. Dezember 1914 zu Maricourt bei Péronne.
Halle bei Péronne, 9. Dezember 1914.
... Wenn uns ein schöner Sonnenuntergang an den Sumpfgewässern der Somme beschert wird, wenn ein schöner, kalter Dezembermorgen den Frühnebel bricht und die Sonne den roten Lehm des Schützengrabens hell strahlen läßt, so sind wir glücklich und freuen uns wie Kinder über die Schönheit. Dann sehen wir auf unsere Untergebenen in ihren feldgrauen Kleidern: sie kommen aus den Unterständen, dehnen sich, säubern sich und reinigen ihre Gewehre. Sie schauen über den Grabenrand, und ihre Augen leuchten, ihre Körper strotzen vor Gesundheit und Gradheit. Alles ist jung und freut sich der Natur und lebt in einem Ganzen, das gegenwärtig das stärkste ist: ein zum Schönen, Guten und Machtvollen erwachsenes Volk.
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Bibliographische Angaben
- Autor: Philipp Witkop
- 448 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Gebunden
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828957730
- ISBN-13: 9783828957732
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