Lämmerweid / Robert Walcher Bd.9
Ein neuer Fall für Robert Walcher
Auf jeder idyllischen Lämmerweide grast ein besonders schwarzes Schaf
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Lämmerweid / Robert Walcher Bd.9 “
Auf jeder idyllischen Lämmerweide grast ein besonders schwarzes Schaf
Klappentext zu „Lämmerweid / Robert Walcher Bd.9 “
Robert Walcher gerät unter Mordverdacht, als sein Informant tot am Rande einer Schafswiese aufgefunden wird. Wusste das Opfer zu viel über die Machenschaften eines Agrarkonzerns? In einer Situation, in der Walcher dringend Freunde bräuchte, kämpft er allein - gegen maßlose Gier und tödliche Skrupellosigkeit. Wem kann Walcher noch trauen?
Lese-Probe zu „Lämmerweid / Robert Walcher Bd.9 “
Joachim Rangnick von Lämmerweid PROLOG
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Kaum war der letzte Schnee geschmolzen, kamen die Lämmer zur Welt. Zwölf an der Zahl, alle in einer Nacht, als ob sich die Mutterschafe abgesprochen hätten.
Das Interesse der beiden Böcke, die seit vergangenem Sommer für frische Gene in der kleinen Herde zu sorgen hatten, galt allerdings nicht so sehr ihrem Nachwuchs, sondern dem Umstand, dass sie sich plötzlich an den Rand des Geschehens gedrängt sahen. Kümmerten sich doch die Mutterschafe ausschließlich um ihren Nachwuchs und duldeten keinerlei Annäherungen. Ja, sogar der bis dahin gemeinsame Schlafplatz in der Schutzhütte wurde ihnen rigoros verwehrt.
Da war es verständlich, dass die beiden weder dem Nachwuchs noch dem sprießenden Frühlingsgras, den warmen Temperaturen oder gar der herrlichen Landschaft etwas abgewinnen konnten. Während die Kleinen mit ungelenken Hüpfern und Sprüngen herumtollten und die Welt der Schafsweide mit unbeschwerter Neugier entdeckten, verdichtete sich bei den Böcken die Erkenntnis, dass die Zeit der Enthaltsamkeit noch lange nicht vorbei war. Missmutig schlenderten sie durch ihr Reich, kontrollierten den Zaun und taten wichtig dabei, als hinge die Sicherheit der Herde allein von ihnen ab. Nur die obere Ecke in nördlicher Richtung, dort, wo die Weide an den Fichtenwald grenzte, mieden sie, schnupperten kurz in die Luft und wandten sich eilig dem südlichen Teil zu. Es lag nicht an der herrlichen Aussicht, die sich ihnen vom südlichen Zaun auf die Allgäuer Landschaft bot, eher hing es mit dem seltsamen Geruch zusammen, der über der nördlichen Ecke wie eine dunkle Wolke schwebte. Überdies schwirrten dort Fliegen unterschiedlicher Arten herum, die sich in Schwarmgröße auf alles stürzten, was sich der Ecke näherte. Nun waren die beiden Böcke ja nicht unbedingt empfindlich, was Fliegen und Gerüche betraf, aber aus der nördlichen Ecke duftete es weder nach Bock, Schaf, Lämmern und schon gar nicht nach würzigen Kräutern oder Gräsern, sondern es roch seltsam intensiv nach Zweibeinern. Nicht einmal die unbedarften Lämmer wagten sich in die Ecke, sondern kehrten ebenfalls kurz davor um und flüchteten unter die Fellzotteln ihrer Mütter, wo es köstliche Milch gab.
Zwar fürchteten sich weder die Mutterschafe noch die beiden Böcke vor den Zweibeinern, immerhin kamen immer wieder mal welche vorbei und brachten trockenes Brot, Heu, Äste, manchmal auch Äpfel und Rübenschnitze oder nahmen ihnen einmal im Jahr den schweren Wollpelz ab, aber dieses Mal stimmte etwas nicht, es war anders als sonst. Der Zweibeiner, der seit Tagen am Stamm der Fichte lehnte, die zwei, drei Meter neben dem Eckpfosten des Maschendrahts stand, glotzte unentwegt auf ihre Weide und hatte sich noch kein einziges Mal bewegt. Der starre Blick irritierte, ja ängstigte die Tiere ebenso wie der Gestank, der ständig an Intensität zunahm. Nur die Elstern und Krähen näherten sich unbefangen, hatten sie doch eine ergiebige Nahrungsquelle entdeckt.
Unter Verdacht
Die ungewohnte Ruhe im Haus machte Walcher mehr zu schaffen, als er sich eingestehen wollte. Tochter Irmi schickte zwar hie und da eine SMS aus Paris, sie erhielt dort - hoffentlich - zusammen mit ihrer Französischklasse vor dem Abi den sprachlich letzten Schliff, aber das brachte auch kein Leben ins einsame Haus, denn auch Mathilde besuchte gleichzeitig eine befreundete Kräuterhexe in Tirol. Das hätte Walcher ja noch verwunden, schließlich war er sein halbes Leben ohne die liebenswerte Haushälterin und Ersatz-Oma ausgekommen; dass aber auch Theresa sich just zu dieser Zeit in ein Schullandheim abgemeldet hatte, empfand er nicht als schicksalhafte Fügung, sondern als persönliche Kränkung. Das Programm, an dem er mit wachsender Vorfreude genussvoll gefeilt hatte, um Theresa in dieser quasi sturmfreien Woche zu überraschen, erwies sich als Makulatur. Theater am Kornmarkt in Bregenz, schlemmen bei Albert Bouley in Ravensburg, ein Shopping-Ausfl ug nach München mit anschließendem Konzert der Münchner Symphoniker und natürlich ungestörte Abende und Nächte ... Alles für die Katz. Stattdessen unternahm er ausgedehnte Spaziergänge mit dem Hund, ließ all- morgendlich die Hühner samt Hahn aus dem Stall, sammelte und markierte die Eier mit dem Legedatum und trieb die Schar vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück. Er trank etwas mehr Sherry als gewöhnlich und saß bis spät in die Nächte am Computer. Kurz gesagt, er führte das Leben eines Eremiten, bis am Mittwochnachmittag Kommissar Brunner vorbeikam, allerdings nicht wie sonst üblich bei seinen unangemeldeten Besuchen mit einer Flasche Wein in der Hand, sondern mit einer ausgesprochen dienstlichen Miene.
Walcher saß auf der Terrasse, genoss die schon sommerlich warme Sonne und arbeitete einen Stapel von Ausdrucken durch für seine derzeit laufende Recherche über Chemie in Lebensmitteln.
»Wie wär's mit einem Gläschen?«, bot er dem Kommissar an, die Flasche zu teilen, die er vor einer halben Stunde entkorkt hatte. »Von einem guten Freund aus Amerika, ein Redbird aus dem Süden Kaliforniens, recht ordentlich.« Walcher verschwieg, dass die Flasche von seinem Freund Hinteregger stammte, der sich vergangenes Jahr ein kleines Weingut gekauft hatte. Brunner gegenüber hatte er bisher Hinteregger nie erwähnt und sah auch keinen Sinn darin, dem Kommissar die Quelle unglaublicher Informationen - Hinteregger leitete in einem Weltkonzern die Sicherheitsabteilung, deren Netzwerk und Kommunikationstechnologie durchaus mit der CIA vergleichbar waren - zu verraten.
Kommissar Brunner, der vor einem halben Jahr zum Ersten Kriminalhauptkommissar befördert, aber immer noch nur mit Kommissar angesprochen werden wollte, lehnte Walchers Angebot mit einem Kopfschütteln ab.
»Sagt Ihnen der Name Schonauer, Georg Schonauer, etwas?«, kam Brunner ohne Umschweife zum Grund seines Besuchs.
Walcher verneinte.
»Dann kennen Sie aber vielleicht diesen Mann?« Brunner hatte seine Stimme auf ein verschwörerisches Flüstern reduziert, als er Walcher das Foto reichte.
Die toten Augen des Mannes starrten Walcher unangenehm direkt an, das Gesicht war aufgedunsen, als habe er sich einen bösen Sonnenbrand geholt. Hinzu kamen einige Verletzungen der Haut, die verdächtig nach Fraßspuren aussahen.
»Das ist Julian Koenig, der Pressesprecher von Eufoodic, so eine Art Presseagentur«, stellte Walcher, um eine sachliche Stimme bemüht, fest und reichte dem Kommissar das Foto zurück. »Sieht nicht gut aus.«
»Wo waren Sie am vergangenen Freitag zwischen 16 und 20 Uhr?«
»Ach, kommen Sie, sagen Sie mir doch einfach, was los ist. Eine Tasse Kaffee, ein Glas Wein, oder sind Sie ausschließlich in dienstlicher Mission hier?«, lächelte Walcher.
Brunner fixierte ihn mit einem Blick, der schwer zu deuten war. Walcher glaubte allerdings, eine Mischung aus Melancholie und peinlicher Berührtheit zu erkennen. Wieder ging Brunner nicht auf Walchers Angebot ein, sondern wiederholte seine Frage, reduziert auf ein Wort: »Wo?«
»Dann ist das also ein richtiges Verhör, und Sie verdächtigen mich, oder was?« Auf Walchers Stirn hatten sich Runzeln gebildet, die allerdings noch mit dem Lächeln im Wettstreit lagen, das seine Mundpartie umspielte.
»Ich habe lediglich eine simple Frage gestellt, Sie kennen das doch. Also, wo waren Sie vergangenen Freitag zwischen 16 und 20 Uhr?«, wiederholte Brunner.
»Sagen Sie mir erst, ob der Mann tot ist, und wenn ja, ob er eines unnatürlichen Todes gestorben ist. Dann werde ich Ihnen erklären, dass ich ohne meinen Anwalt ...« Walcher ließ den Rest seines Satzes in der Allgäuer Frühlingsluft hängen und zog eine Grimasse, die so etwas wie ein Lächeln hätte werden können. Einen kurzen Moment schien es, als ob der Kommissar irgendetwas Kränkendes loswerden wollte, dann bekam er sich wieder in den Griff, atmete durch und nickte: »Tot, erschlagen.«
Walcher nickte und streckte Brunner seine Hände entgegen, wie um sich Handschellen anlegen zu lassen. »Dann bin ich höchst verdächtig. Ich hatte nämlich genau um 17 Uhr am vergangenen Freitag einen Termin mit diesem Mann, und zwar wollten wir uns bei der Stephanskapelle in Genhofen treffen. Das ist ein kleines Dorf bei Oberstaufen.«
»Ich weiß, wo Genhofen liegt, und ... Weiter!«
»Nichts weiter«, stellte Walcher fest, »Koenig tauchte nicht auf. Ich habe versucht, ihn auf dem Handy zu erreichen, erfolglos, und bin wieder hergefahren. Nein ... ich musste davor noch tanken und habe die Strecke über Oberstaufen genommen, um sicher zu sein, eine Tankstelle zu finden. Aber das wird wohl nicht gerade als wasserdichtes Alibi gewertet, oder? Wie kommen Sie eigentlich gerade auf mich?«
»Ihre Visitenkarte steckte in der Geldbörse des Mannes, neben seinem Ausweis, der ihn allerdings als einen gewissen Georg Schonauer ausweist.«
Bulle und Journalist
Brunners Miene hatte sich im Laufe des Gesprächs nicht sonderlich verändert, im Gegenteil, nun sah er auch noch misstrauisch und gekränkt aus. Der Kommissar wollte nämlich wissen, wie es denn sein könnte, dass an der Kleidung des Toten Hundehaare hingen, die von einem schwarzen Labrador stammten. Dabei deutete er auf Rolli, der natürlich bei Herrchen und Besuch stand und nur hie und da irritiert von einem zum anderen blickte.
Walcher hatte dann vorgeschlagen, gleich eine Haarprobe zu entnehmen, um zweifelsfrei festzustellen, dass es sich nicht um die Haare seines Hundes handelte, der sei nämlich weder an dem besagten Freitag noch sonst irgendwann einmal mit dem Pressesprecher zusammengekommen und scheide somit als potentieller Mittäter wohl aus. Im Übrigen, hatte Walcher argumentiert, durchaus heftiger als gewöhnlich bei Auseinandersetzungen mit dem Kommissar, könnte an einer Freundschaft ja wohl nicht viel dran sein, wenn ihm allen Ernstes bei solch simplen Fakten wie einer Visitenkarte und einem vereinbarten Treffen gleich eine Täterschaft unterstellt würde.
Das war dann der Moment, in dem Brunner nach Luft schnappte, sich abrupt abwandte, im Stechschritt die Terrasse verließ und Sekunden später mit heulendem Motor vom Hof preschte. Walcher konnte es vom Garten aus zwar nicht sehen, vermutete aber, dass der Kommissar ihm nicht nur die Laune versaut, sondern auch noch mit einer dicken Staubfahne die Luft verpestet hatte.
Erst nach einem kräftigen Schluck Redbird beruhigte er sich. Er war wirklich sauer auf Brunner. Ihn zu verhören, ohne dabei zu signalisieren, dass er die Hinweise auf Walcher bestenfalls als Zufall abtat, störte die freundschaftlichen Gefühle, die er für Brunner empfand, doch sehr. Vielleicht bewahrheitete sich ja in solchen Krisensituationen die Unvereinbarkeit von Bulle und Journalist, über die sie immer wieder mal miteinander flachsten.
Walcher war sich auch nicht so ganz darüber im Klaren, warum er dem Kommissar nicht von seiner Recherche erzählt, sondern über den Grund des geplanten Treffens mit dem Pressesprecher geschwiegen hatte. Nachdem Julian Koenig nun tot war, hätte er eigentlich die Identität seines Informanten nicht mehr schützen müssen. Walcher notierte den Namen »Georg Schonauer«, prostete mit einem Glas Redbird in Gedanken Freund Hinteregger zu und nahm sich vor, ihn über seine jüngste Recherche zu informieren. Auch seinem Freund Johannes, der noch immer mit seiner Magdalena auf deren Ziegenalm im Safiental in der Schweiz lebte, würde er eine Nachricht schicken. Es gab ihm ein Gefühl von Sicherheit, die Freunde informiert zu wissen, auch wenn Johannes seine E-Mails nur sporadisch las.
Niemandsfreund
Lange stand er am Zaun, sah über die Schafsweide und über die grüne Hügellandschaft zur Alpenkette, die sich von Osten her in den Westen zog. Ein gewaltiger Schutzwall, aber gegen seine Feinde war er nutzlos. Zum ersten Mal fühlte sich Schonauer müde und ausgelaugt. Sie hatten ihm einen Toten auf die Schafsweide gesetzt. Zufall? Unbewusst schüttelte er den Kopf. Nein, das war kein Zufall, sondern ein deutliches Zeichen. Aber er würde trotzdem nicht aufgeben. Er liebte dieses Land, nicht nur, weil er es von den Eltern geerbt hatte. Er liebte seine kleine Landwirtschaft und seinen Kräutergarten, war immer schon sorgsam mit dem Boden und den Tieren umgegangen. Er wollte sein Land so weitergeben, wie er es von den Eltern bekommen hatte, gesund, nicht vergiftet oder ausgelaugt. Aber das kostete Kraft und Selbstbewusstsein. Bisher hatte er es geschafft. Keine chemischen Düngemittel, keine Spritzgifte, kein genmanipuliertes Saatgut, kein Zusatzfutter und auch keine Turbokühe; nichts von alledem fand sich auf seinem Land. Auch keiner der monströsen Traktoren, die mit ebenso riesigen Pflügen bestückt die Erde tief aufbrachen und das Leben darin zerstörten. Mit seinem für heutige Verhältnisse lächerlich kleinen Traktor war schon der Vater.
Kaum war der letzte Schnee geschmolzen, kamen die Lämmer zur Welt. Zwölf an der Zahl, alle in einer Nacht, als ob sich die Mutterschafe abgesprochen hätten.
Das Interesse der beiden Böcke, die seit vergangenem Sommer für frische Gene in der kleinen Herde zu sorgen hatten, galt allerdings nicht so sehr ihrem Nachwuchs, sondern dem Umstand, dass sie sich plötzlich an den Rand des Geschehens gedrängt sahen. Kümmerten sich doch die Mutterschafe ausschließlich um ihren Nachwuchs und duldeten keinerlei Annäherungen. Ja, sogar der bis dahin gemeinsame Schlafplatz in der Schutzhütte wurde ihnen rigoros verwehrt.
Da war es verständlich, dass die beiden weder dem Nachwuchs noch dem sprießenden Frühlingsgras, den warmen Temperaturen oder gar der herrlichen Landschaft etwas abgewinnen konnten. Während die Kleinen mit ungelenken Hüpfern und Sprüngen herumtollten und die Welt der Schafsweide mit unbeschwerter Neugier entdeckten, verdichtete sich bei den Böcken die Erkenntnis, dass die Zeit der Enthaltsamkeit noch lange nicht vorbei war. Missmutig schlenderten sie durch ihr Reich, kontrollierten den Zaun und taten wichtig dabei, als hinge die Sicherheit der Herde allein von ihnen ab. Nur die obere Ecke in nördlicher Richtung, dort, wo die Weide an den Fichtenwald grenzte, mieden sie, schnupperten kurz in die Luft und wandten sich eilig dem südlichen Teil zu. Es lag nicht an der herrlichen Aussicht, die sich ihnen vom südlichen Zaun auf die Allgäuer Landschaft bot, eher hing es mit dem seltsamen Geruch zusammen, der über der nördlichen Ecke wie eine dunkle Wolke schwebte. Überdies schwirrten dort Fliegen unterschiedlicher Arten herum, die sich in Schwarmgröße auf alles stürzten, was sich der Ecke näherte. Nun waren die beiden Böcke ja nicht unbedingt empfindlich, was Fliegen und Gerüche betraf, aber aus der nördlichen Ecke duftete es weder nach Bock, Schaf, Lämmern und schon gar nicht nach würzigen Kräutern oder Gräsern, sondern es roch seltsam intensiv nach Zweibeinern. Nicht einmal die unbedarften Lämmer wagten sich in die Ecke, sondern kehrten ebenfalls kurz davor um und flüchteten unter die Fellzotteln ihrer Mütter, wo es köstliche Milch gab.
Zwar fürchteten sich weder die Mutterschafe noch die beiden Böcke vor den Zweibeinern, immerhin kamen immer wieder mal welche vorbei und brachten trockenes Brot, Heu, Äste, manchmal auch Äpfel und Rübenschnitze oder nahmen ihnen einmal im Jahr den schweren Wollpelz ab, aber dieses Mal stimmte etwas nicht, es war anders als sonst. Der Zweibeiner, der seit Tagen am Stamm der Fichte lehnte, die zwei, drei Meter neben dem Eckpfosten des Maschendrahts stand, glotzte unentwegt auf ihre Weide und hatte sich noch kein einziges Mal bewegt. Der starre Blick irritierte, ja ängstigte die Tiere ebenso wie der Gestank, der ständig an Intensität zunahm. Nur die Elstern und Krähen näherten sich unbefangen, hatten sie doch eine ergiebige Nahrungsquelle entdeckt.
Unter Verdacht
Die ungewohnte Ruhe im Haus machte Walcher mehr zu schaffen, als er sich eingestehen wollte. Tochter Irmi schickte zwar hie und da eine SMS aus Paris, sie erhielt dort - hoffentlich - zusammen mit ihrer Französischklasse vor dem Abi den sprachlich letzten Schliff, aber das brachte auch kein Leben ins einsame Haus, denn auch Mathilde besuchte gleichzeitig eine befreundete Kräuterhexe in Tirol. Das hätte Walcher ja noch verwunden, schließlich war er sein halbes Leben ohne die liebenswerte Haushälterin und Ersatz-Oma ausgekommen; dass aber auch Theresa sich just zu dieser Zeit in ein Schullandheim abgemeldet hatte, empfand er nicht als schicksalhafte Fügung, sondern als persönliche Kränkung. Das Programm, an dem er mit wachsender Vorfreude genussvoll gefeilt hatte, um Theresa in dieser quasi sturmfreien Woche zu überraschen, erwies sich als Makulatur. Theater am Kornmarkt in Bregenz, schlemmen bei Albert Bouley in Ravensburg, ein Shopping-Ausfl ug nach München mit anschließendem Konzert der Münchner Symphoniker und natürlich ungestörte Abende und Nächte ... Alles für die Katz. Stattdessen unternahm er ausgedehnte Spaziergänge mit dem Hund, ließ all- morgendlich die Hühner samt Hahn aus dem Stall, sammelte und markierte die Eier mit dem Legedatum und trieb die Schar vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück. Er trank etwas mehr Sherry als gewöhnlich und saß bis spät in die Nächte am Computer. Kurz gesagt, er führte das Leben eines Eremiten, bis am Mittwochnachmittag Kommissar Brunner vorbeikam, allerdings nicht wie sonst üblich bei seinen unangemeldeten Besuchen mit einer Flasche Wein in der Hand, sondern mit einer ausgesprochen dienstlichen Miene.
Walcher saß auf der Terrasse, genoss die schon sommerlich warme Sonne und arbeitete einen Stapel von Ausdrucken durch für seine derzeit laufende Recherche über Chemie in Lebensmitteln.
»Wie wär's mit einem Gläschen?«, bot er dem Kommissar an, die Flasche zu teilen, die er vor einer halben Stunde entkorkt hatte. »Von einem guten Freund aus Amerika, ein Redbird aus dem Süden Kaliforniens, recht ordentlich.« Walcher verschwieg, dass die Flasche von seinem Freund Hinteregger stammte, der sich vergangenes Jahr ein kleines Weingut gekauft hatte. Brunner gegenüber hatte er bisher Hinteregger nie erwähnt und sah auch keinen Sinn darin, dem Kommissar die Quelle unglaublicher Informationen - Hinteregger leitete in einem Weltkonzern die Sicherheitsabteilung, deren Netzwerk und Kommunikationstechnologie durchaus mit der CIA vergleichbar waren - zu verraten.
Kommissar Brunner, der vor einem halben Jahr zum Ersten Kriminalhauptkommissar befördert, aber immer noch nur mit Kommissar angesprochen werden wollte, lehnte Walchers Angebot mit einem Kopfschütteln ab.
»Sagt Ihnen der Name Schonauer, Georg Schonauer, etwas?«, kam Brunner ohne Umschweife zum Grund seines Besuchs.
Walcher verneinte.
»Dann kennen Sie aber vielleicht diesen Mann?« Brunner hatte seine Stimme auf ein verschwörerisches Flüstern reduziert, als er Walcher das Foto reichte.
Die toten Augen des Mannes starrten Walcher unangenehm direkt an, das Gesicht war aufgedunsen, als habe er sich einen bösen Sonnenbrand geholt. Hinzu kamen einige Verletzungen der Haut, die verdächtig nach Fraßspuren aussahen.
»Das ist Julian Koenig, der Pressesprecher von Eufoodic, so eine Art Presseagentur«, stellte Walcher, um eine sachliche Stimme bemüht, fest und reichte dem Kommissar das Foto zurück. »Sieht nicht gut aus.«
»Wo waren Sie am vergangenen Freitag zwischen 16 und 20 Uhr?«
»Ach, kommen Sie, sagen Sie mir doch einfach, was los ist. Eine Tasse Kaffee, ein Glas Wein, oder sind Sie ausschließlich in dienstlicher Mission hier?«, lächelte Walcher.
Brunner fixierte ihn mit einem Blick, der schwer zu deuten war. Walcher glaubte allerdings, eine Mischung aus Melancholie und peinlicher Berührtheit zu erkennen. Wieder ging Brunner nicht auf Walchers Angebot ein, sondern wiederholte seine Frage, reduziert auf ein Wort: »Wo?«
»Dann ist das also ein richtiges Verhör, und Sie verdächtigen mich, oder was?« Auf Walchers Stirn hatten sich Runzeln gebildet, die allerdings noch mit dem Lächeln im Wettstreit lagen, das seine Mundpartie umspielte.
»Ich habe lediglich eine simple Frage gestellt, Sie kennen das doch. Also, wo waren Sie vergangenen Freitag zwischen 16 und 20 Uhr?«, wiederholte Brunner.
»Sagen Sie mir erst, ob der Mann tot ist, und wenn ja, ob er eines unnatürlichen Todes gestorben ist. Dann werde ich Ihnen erklären, dass ich ohne meinen Anwalt ...« Walcher ließ den Rest seines Satzes in der Allgäuer Frühlingsluft hängen und zog eine Grimasse, die so etwas wie ein Lächeln hätte werden können. Einen kurzen Moment schien es, als ob der Kommissar irgendetwas Kränkendes loswerden wollte, dann bekam er sich wieder in den Griff, atmete durch und nickte: »Tot, erschlagen.«
Walcher nickte und streckte Brunner seine Hände entgegen, wie um sich Handschellen anlegen zu lassen. »Dann bin ich höchst verdächtig. Ich hatte nämlich genau um 17 Uhr am vergangenen Freitag einen Termin mit diesem Mann, und zwar wollten wir uns bei der Stephanskapelle in Genhofen treffen. Das ist ein kleines Dorf bei Oberstaufen.«
»Ich weiß, wo Genhofen liegt, und ... Weiter!«
»Nichts weiter«, stellte Walcher fest, »Koenig tauchte nicht auf. Ich habe versucht, ihn auf dem Handy zu erreichen, erfolglos, und bin wieder hergefahren. Nein ... ich musste davor noch tanken und habe die Strecke über Oberstaufen genommen, um sicher zu sein, eine Tankstelle zu finden. Aber das wird wohl nicht gerade als wasserdichtes Alibi gewertet, oder? Wie kommen Sie eigentlich gerade auf mich?«
»Ihre Visitenkarte steckte in der Geldbörse des Mannes, neben seinem Ausweis, der ihn allerdings als einen gewissen Georg Schonauer ausweist.«
Bulle und Journalist
Brunners Miene hatte sich im Laufe des Gesprächs nicht sonderlich verändert, im Gegenteil, nun sah er auch noch misstrauisch und gekränkt aus. Der Kommissar wollte nämlich wissen, wie es denn sein könnte, dass an der Kleidung des Toten Hundehaare hingen, die von einem schwarzen Labrador stammten. Dabei deutete er auf Rolli, der natürlich bei Herrchen und Besuch stand und nur hie und da irritiert von einem zum anderen blickte.
Walcher hatte dann vorgeschlagen, gleich eine Haarprobe zu entnehmen, um zweifelsfrei festzustellen, dass es sich nicht um die Haare seines Hundes handelte, der sei nämlich weder an dem besagten Freitag noch sonst irgendwann einmal mit dem Pressesprecher zusammengekommen und scheide somit als potentieller Mittäter wohl aus. Im Übrigen, hatte Walcher argumentiert, durchaus heftiger als gewöhnlich bei Auseinandersetzungen mit dem Kommissar, könnte an einer Freundschaft ja wohl nicht viel dran sein, wenn ihm allen Ernstes bei solch simplen Fakten wie einer Visitenkarte und einem vereinbarten Treffen gleich eine Täterschaft unterstellt würde.
Das war dann der Moment, in dem Brunner nach Luft schnappte, sich abrupt abwandte, im Stechschritt die Terrasse verließ und Sekunden später mit heulendem Motor vom Hof preschte. Walcher konnte es vom Garten aus zwar nicht sehen, vermutete aber, dass der Kommissar ihm nicht nur die Laune versaut, sondern auch noch mit einer dicken Staubfahne die Luft verpestet hatte.
Erst nach einem kräftigen Schluck Redbird beruhigte er sich. Er war wirklich sauer auf Brunner. Ihn zu verhören, ohne dabei zu signalisieren, dass er die Hinweise auf Walcher bestenfalls als Zufall abtat, störte die freundschaftlichen Gefühle, die er für Brunner empfand, doch sehr. Vielleicht bewahrheitete sich ja in solchen Krisensituationen die Unvereinbarkeit von Bulle und Journalist, über die sie immer wieder mal miteinander flachsten.
Walcher war sich auch nicht so ganz darüber im Klaren, warum er dem Kommissar nicht von seiner Recherche erzählt, sondern über den Grund des geplanten Treffens mit dem Pressesprecher geschwiegen hatte. Nachdem Julian Koenig nun tot war, hätte er eigentlich die Identität seines Informanten nicht mehr schützen müssen. Walcher notierte den Namen »Georg Schonauer«, prostete mit einem Glas Redbird in Gedanken Freund Hinteregger zu und nahm sich vor, ihn über seine jüngste Recherche zu informieren. Auch seinem Freund Johannes, der noch immer mit seiner Magdalena auf deren Ziegenalm im Safiental in der Schweiz lebte, würde er eine Nachricht schicken. Es gab ihm ein Gefühl von Sicherheit, die Freunde informiert zu wissen, auch wenn Johannes seine E-Mails nur sporadisch las.
Niemandsfreund
Lange stand er am Zaun, sah über die Schafsweide und über die grüne Hügellandschaft zur Alpenkette, die sich von Osten her in den Westen zog. Ein gewaltiger Schutzwall, aber gegen seine Feinde war er nutzlos. Zum ersten Mal fühlte sich Schonauer müde und ausgelaugt. Sie hatten ihm einen Toten auf die Schafsweide gesetzt. Zufall? Unbewusst schüttelte er den Kopf. Nein, das war kein Zufall, sondern ein deutliches Zeichen. Aber er würde trotzdem nicht aufgeben. Er liebte dieses Land, nicht nur, weil er es von den Eltern geerbt hatte. Er liebte seine kleine Landwirtschaft und seinen Kräutergarten, war immer schon sorgsam mit dem Boden und den Tieren umgegangen. Er wollte sein Land so weitergeben, wie er es von den Eltern bekommen hatte, gesund, nicht vergiftet oder ausgelaugt. Aber das kostete Kraft und Selbstbewusstsein. Bisher hatte er es geschafft. Keine chemischen Düngemittel, keine Spritzgifte, kein genmanipuliertes Saatgut, kein Zusatzfutter und auch keine Turbokühe; nichts von alledem fand sich auf seinem Land. Auch keiner der monströsen Traktoren, die mit ebenso riesigen Pflügen bestückt die Erde tief aufbrachen und das Leben darin zerstörten. Mit seinem für heutige Verhältnisse lächerlich kleinen Traktor war schon der Vater.
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Autoren-Porträt von Joachim Rangnick
Rangnick, JoachimJoachim Rangnick, geboren 1947, ist studierter Grafiker und lebt in Weingarten. Heute widmet er sich ganz dem Schreiben. In seinen Kriminalromanen bringt sich Journalist Robert Walcher im beschaulichen Allgäu immer wieder in höchste Gefahr.
Bibliographische Angaben
- Autor: Joachim Rangnick
- 2013, 381 Seiten, Maße: 12,5 x 18,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: List TB.
- ISBN-10: 3548611222
- ISBN-13: 9783548611228
- Erscheinungsdatum: 15.02.2013
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