Landleben
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Jetzt, nach 25 Jahren, rumort sie morgens in der Küche, es riecht nach Kaffee. Owen hat sein ganzes Leben in kleinen Orten verbracht.
Updike porträtiert dieses Middle America liebevoll und unsentimental.
Landleben von John Updike
LESEPROBE
Ehemann
Wenn Owenaufwacht und entdeckt, dass Julia nicht mehr im Bett ist, macht er sich auf dieSuche nach ihr, und beide führen eine halb-komische Szene auf, in der siebewusst mit der Senilität flirten - wie um ihrem Fortschreiten besänftigendentgegenzuwirken.
«Wo bistdu nur, Süße?»,ruft er.
«Hier, Liebling», antwortet sie aus einemweit entlegenen Zimmer, aber seines nachlassenden Gehörs wegen kann er nichtsagen, ob sie oben oder unten ist.
«Wo isthier?», ruft er, zunehmend irritiert.
Auch ihrGehör ist nicht mehr das, was es einmal war, und das Gleiche gilt für ihrBedürfnis, ihm zu antworten. Sie verstummt, wie ein Autoradio in einem Tunnel. Wasfür ein Kind sie doch ist, denkt er bei sich, dass sie glaubt, «hier» erklärealles, als wäre sie der Mittelpunkt des Universums. Wie erstaunlich egoistisch!
Andererseits- wäre sie nicht egoistisch gewesen, hätte sie ihm nicht das gehen können, waser sich zu der Zeit, als sie sich kennen lernten, so sehr ersehnte: einen neuenMittelpunkt für sein Leben. Die Eigenliebe im anderen zu entdecken war ihrerbeider point de départ gewesen. Seine erste Frau war vergleichsweiseselbstlos gewesen, als wäre ihr Selbst etwas, das sie gedankenverloren in einemanderen Zimmer hatte liegen lassen, wie eine Lesebrille.
Vielleichtist Julia in ihren Flip-Flops nach draußen gewandert. Sie ist gern draußen, wodas Wetter ist und der Verkehr. Im Sommer wandert sie hinaus in ihren Garten, fängtan, Unkraut zu jäten, im Nachthemd, sodass der Saum feucht wird vom Morgentauund ihre Flip-Flops schmutzig. Owen muss nach unten gehen, im Schlafanzug, umeine Reaktion zu bekommen. Er watschelt sogar mit bloßen Füßen nach draußen,auf die asphaltierte Einfahrt, die am frühen Morgen noch nicht heiß genug ist,um ihm die Füße zu versengen. In den zwei Jahrzehnten, seit sie hier wohnen, istOwen bei dem einen oder anderen kleinen Notfall (eine nicht geschlosseneAutotür, sodass die Innenbeleuchtung langsam den Saft der Batterie verschlang,oder eine Zeitung, sorglos ins Gebüsch geworfen, als der Zusteller im Dunkelvor der Morgendämmerung rasend die Runde drehte, oder ein Gartenschlauch,versehentlich nicht abgedreht, als sie zu Bett gingen, sodass sein Plätschernin ihrem Schlafzimmer hörbar war wie ein murmelndes Herz) -, ist er beiunterschiedlichstem Wetter barfuß hinaus auf den Asphalt getreten, sogar beizentimeterhohem Neuschnee, und stellte fest, dass ein paar Schritte lang fastalles zu ertragen war, dass Schnee und Hitze den abgestumpften, meist vonSchuhen fest umschlossenen Nerven einen kräftigenden, elementaren Schockversetzten.
Er möchteihr seinen Traum erzählen. Er erwacht öfter mit einem solchen Wunsch, obwohlJulia schon seit langem beträchtlichen Mangel an Interesse für seine nächtlicheGehirnaktivität bekundet. Wichtig ist, dass man es gleich in den ersten Minutennach dem Erwachen tut, bevor das zarte Traumgebilde vom Gewicht derstumpfsinnigen Realität zerdrückt wird.
In derNacht hat er geträumt, dass er auf dem Rasen an der dem Meer zugewandten Seiteihres weißen Hauses stand und ihr nachsah, wie sie mit ihrem schwarzen BMW davonfuhr,zu einer ihrer unzähligen Besorgungen oder Fluchten nach Boston. Er sah ihrAuto vorbeirauschen, glänzend wie Lackleder, und unmittelbar dahinter seinenschäbigen maronenbraunen Mitsubishi, der nicht von ihm gefahren wurde, sondernwieder von Julia - das blasse Profil besorgt. Auch seine erste Frau, Phyllis,hatte, wenn sie am Steuer saß, den Kopf in dieser angespannten auffälligen Artgehalten, leicht zurückgeneigt, als erwartete sie jeden Moment, dass der Motorexplodierte.
In seinemTraum sah er nichts Befremdliches in der verdoppelten Julia, aber er empfanddie Geschwindigkeit, mit der sie fuhr, als kopflos und gefährlich. Langsam,Liebling, fahr langsam. Jetzt kamen mehrere Autos die Auffahrt herauf, die zu schmal war, als dass zweiAutos aneinander vorbeifahren konnten. Um diese Schwierigkeit zu bewältigen,veranstalteten die Männer, die am Steuer saßen, ungewöhnliche Manöver - einVolkswagen-Käfer, dieses legendäre und berüchtigt unsichereSechziger-Jahre-Gefährt der Gegenkultur-Rebellion und augenfälligen Sparsamkeit,fuhr rückwärts von der Auffahrt auf eine mit Gras bewachsene Rampe, die Owennoch nie bemerkt hatte. Ein anderes Vehikel zog einen klappernden Anhänger, undihm wurde klar: Diese Männer waren sein wöchentliches Rasenteam. Doch soeinfach war es nicht, denn als er wieder ins Haus kam, saß eine Familie vondrei Chinesen, alle gleich schwammig, wie aufgeblasene Puppen oder geschwollenegraue Zecken, schweigend, aber erwartungsvoll in seinem Wohnzimmer. Sie und dasRasenteam - Männer mit ungesund bräunlicher Haut, die Zigaretten rauchen,während sie geräuschvoll ihre Mäher immer im Kreis herumfahren, wobei sie vieleEcken auslassen und viel Hochgewachsenes köpfen - schienen irrtümlichanzunehmen, dass er, wenn Julia nicht da ist (sie ist in doppelter Ausführungnach Boston gefahren), schon weiß, was er zu tun hat, welche Höflichkeiten erzeigen, welche Anweisungen er geben muss. Er war der Besitzer, der Gastgeber, derEigentümer, der Boss - eine Rolle, in die er nie richtig hineingewachsen ist. Jungzur Welt gekommen, ist er jung geblieben: Ein unter einem glücklichen Sternstehendes Leben hat ihn so erhalten. Irritiert wachte er auf.
(...)
© RowohltVerlag GmbH
Übersetzung:Susanne Höbel und Helmut Frielinghaus
- Autor: John Updike
- 2006, 5. Neuausg., 416 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Höbel, Susanne; Frielinghaus, Helmut
- Übersetzer: Helmut Frielinghaus, Susanne Höbel
- Verlag: Rowohlt
- ISBN-10: 3498068830
- ISBN-13: 9783498068837
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