Lebenssonden
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Lebenssonden von Michael McCollum
LESEPROBE
TEIL EINS
Sonde 53935
PROLOG
Die Schöpfer hatten noch nievom Homo sapiens Terra gehört;
sie wären allerdings auch nichtsonderlich beeindruckt gewesen,
wenn sie denn von ihm Kenntnisgehabt hätten. Nach ihren
Maßstäben gab es wenig, dessen dieMenschheit sich zu rühmen
vermocht hätte. Die Städte der Schöpferwaren bereits alt,
als Australopithecussich erstmals in die Ebenen Afrikas hinauswagte.
Und als Homo erectus Herrscherder Erde war, hatten die
Schöpfer längst Besitz von jedem der zwölf Planetenergriffen,
die ihre Sonne vom Typ K0umkreisten.
Die Schöpfer an und für sichwaren langlebig, fleißig und
recht zufrieden mit ihrem Dasein.Ihre Bevölkerung hatte sich
bei tragfähigen fünfzig MilliardenIndividuen stabilisiert, und
Krieg war ein uralter Albtraum, denin Gesellschaft zu thematisieren
als unschicklich galt. Als die Schöpfernun zu den Grenzen
ihres Sternsystems ausgriffen,geschah dies mit einem Sinn
für das Abenteuer, mit dem sie sichfür das Vordringen in die
große Dunkelheit jenseits ihresSystems rüsteten.
Die ersten Schiffe, die von der Schöpfer-Sonneablegten, waren
Slowboats - riesige Raumfahrzeuge, die für die Reise zu den
nächsten Sternen ein Lebensalter brauchten. Nach drei Dutzend
solch wagemutiger Flüge stellten dieSchöpfer fest, dass sie zwei
wichtige Entdeckungen gemachthatten.
Die erste war, dass das Universumvon Leben durchdrungen
war. Fast jedes erforschteSternsystem hatte einen Planeten in
der gemäßigten Zone, wo Wasserflüssig ist. Und auf solchen
Welten wimmelte es von Leben, wiesich herausstellte. Noch aufregender:
Auf zwölf Prozent der Welten hatteder Entwicklungs-
druck zur Entwicklung vonIntelligenz geführt. Und zwei Welten
waren gar die Heimat vonZivilisationen, die fast genauso
hoch entwickelt warenwie die der Schöpfer.
Die zweite große Entdeckung war dieErkenntnis, dass die
Galaxis sehr weiträumig ist: viel zugroß, um per Slowboat erforscht
zu werden. Also - neugierig, wie esneugieriger nicht
sein konnte - schickten die Schöpfersich an, die eine Hürde zu
überwinden, die ihren Fortschritthemmte: die Geschwindigkeit
des Lichts!
Eine Million Jahrewissenschaftlicher Arbeit hatten sie gelehrt,
dass der erste Schritt bei jedem neuenProjekt darin besteht,
eine plausible Theorie des zustudierenden Phänomens zu
entwickeln. Und die Schöpfer wärennicht die Schöpfer gewesen,
wenn sie sich nur mit einer Theorieder Möglichkeit der
überlichtschnellen Fortbewegungbegnügt hätten.
Sie entwickelten gleich zweiTheorien, die jeweils durch
einen eindrucksvollen Unterbauexperimenteller Beweise und
astronomischer Beobachtungengestützt wurden. Jede Theorie
hätte auf die Entwicklung eines FTL-Antriebs hinauslaufen sollen.
Dennoch blieben für hunderttausendJahre alle Anstrengungen
ohne Erfolg.
Der Quantität der Ressourcen, dieeine Zivilisation zur Befriedigung
ihrer Neugier aufzuwenden vermag,sind indes
Grenzen gesetzt. Das FTL-Programm hatte längst den Punkt der
wirtschaftlichen Tragfähigkeitüberschritten, und doch wurden
die Anstrengungen fortgeführt.Während die Schöpfer an der
Überwindung der Licht-Schrankearbeiteten, ergab sich nämlich
ein zwingendererGrund als bloße Neugierde, um aus ihrem
Gefängnis auszubrechen: In ihremSternsystem gingen die Rohstoffe
zur Neige, von der die Schöpfer-Zivilisationexistenziell
abhing.
Die ersten Anzeichen waren kaumsichtbar; nicht einmal für
die Wirtschaftswissenschaftler, diesich schließlich von Berufs
wegen mit dieser Materie befassten.Doch dann prognostizierten
weit in die Zukunft projizierteKurven den Zusammenbruch
der Zivilisation wegenRohstoffmangels. Um diese Katastrophe
abzuwenden, würden die Schöpfer neueRessourcen erschließen
müssen - entweder durch die Einfuhrvon Rohstoffen von nahe
gelegenen Sternen oder durch denAufbruch ihrer Zivilisation
zu neuen Ufern.
Leider verlangten beide Optioneneinen funktionsfähigen
Überlichtantrieb.
Die frustrierten Wissenschaftlerverdoppelten ihre Anstrengungen.
Weitere hundert Millennienverstrichen erfolglos, bevor
ein Philosoph sich die Fragestellte, ob sie sich überhaupt die
richtigen Fragen stellten. Der GroßeDenker hatte nämlich sein
Leben dem Studium der Periodegewidmet, die auf die Rückkehr
der Slowboatsvon den Sternen gefolgt war. Er konstatierte, die
Wissenschaft der Schöpfer habein jenen Jahren große intuitive
Sprünge gemacht. Die Aufzeichnungenkündeten von vielen Fällen,
wo das kombinierte Wissen zweierRassen zu Entdeckungen
geführt hatte, die keine von beidenjemals für möglich gehalten
hätte.
Seine Fragestellung war ebensoradikal wie einfach: »Wäre
es nicht möglich, dass unsereVorstellungen davon, wie FTL,
also Überlichtgeschwindigkeit, zuerreichen ist, schlicht und
einfach falsch sind? Ist dasScheitern beim Überwinden der
Licht-Barriere nicht vielleichtdarauf zurückzuführen, dass wir
den Wald vor lauter Bäumen nichtgesehen haben? Falls ja,
könnte nicht eine andereZivilisation unseren Fehler vermieden
und den richtigen Weg zu FTLgefunden haben?«
Nachdem diese Fragen erst einmalgestellt worden waren,
vermochte man sie nicht mehr zuignorieren. Es wurde unverzüglich
ein Programm aufgelegt, um eineAntwort zu finden.
Zuerst war es nur ein kleinerAbkömmling des FTL-Forschungsprojekts.
Als die zunächst viel versprechendenHerangehensweisen
an FTL sich schließlich alsSackgassen erwiesen, nahm
das Programm Gestalt an, am Wissenfremder Zivilisationen zu
partizipieren.
Als die Menschheit den Ackerbauentdeckte, war es nunmehr
das einzige Programm.
1
Leider werden Ereignisse, die zu denwahrhaft wichtigen Meilensteinen
in der Geschichte der Menschheitführen, durch den Zeitablauf
oftmals so verschleiert, dass siefür immer verloren sind. Zum Glück ist
dies bei der Pathfinder-Missionnicht der Fall. Rückblickend sind wir
imstande, das auslösende Ereignismit hinreichender Genauigkeit zu
identifizieren. Es soll deshalbfestgehalten werden, dass der 15. Januar
2065 vielleicht der wichtigste Tagüberhaupt für die Menschheit
gewesen ist. Natürlich dauerte eseine Zeit lang, bis die Menschen
sich dieser Tatsache bewusst wurden.
Aus Präludium für Pathfinder: eine Offizielle Geschichte,
Pathfinder-Gedächtnisausgabe.
New York und Luna: Aurelius Publications, 2096.
Mit freundlicher Genehmigung derHerausgeber.
SONDE erwachte in einerkaleidoskopartigen Abfolge verwirrender
Eindrücke und diffuser Erinnerungen.
DieIntegrations-Gleichgewichtsstörung hielt für zehn Nanosekunden
an; in dieser Zeitspanneorganisierte ihr Gehirn sich
erneut zu einer funktionsfähigenEinheit. Schließlich war die
Benommenheit verflogen, und sie warwieder wach und voll
präsent.
Der nächste Schritt in derprogrammierten Aufwachsequenz
war ein kompletter Sensorscan des Himmels. Wie erwartet fand
SONDE sich im interstellaren Raumwieder. Die Sterne waren
kalte Punkte harter Strahlung,eingeätzt in die unergründliche
Schwärze des Weltalls. Alle außereinem.
SONDE überprüfte das Chronometer undstellte fest, dass es
inzwischen zehntausend Jahre herwar, seit die Schöpfer sie im
All ausgesetzt und auf die Suchegeschickt hatten. Es war eine
lange Reise gewesen, wie Jurul vorhergesagt hatte.
Der Gedanke an Jurulflutete die Hauptprozessoren der
SONDE mit längst verschüttetenErinnerungen. Jurul war der
Schöpfer, der für die Konstruktion derLebenssonde Modell
XVI, Version III, Hüllennummer 53935verantwortlich zeichnete.
Und die Stimme von Jurul war das Letzte, was SONDE vor
dem Start gehört hatte.
Ein verhältnismäßig kleiner Planetaus dunklen Blau- und
Purpurtönen war still an ihrvorbeigezogen, während ein volles
Dutzend von SONDEsBrüdern in verschiedenen Phasen der
Fertigstellung ihm auf seinerUmlaufbahn folgte. Die Szene in
den Außensensoren wirkte ruhig, fastbeschaulich. Aber die
Außenansichten zeigten nichts vonder hektischen Aktivität im
Innern von SONDE, als die Schöpferdie Systeme vor dem Start
ausprüften.
Dann hatte das Stochern und Gefummelder Bodencontroller
endlich aufgehört, und die Stimmevon Jurul hatte den Laserstrahl
geritten, der SONDE mit seinenSchöpfern verband.
JURUL: Endstatus-Kontrolle.Neun-drei-fünf.
SONDE: Status ist klar, Jurul. Bereit zum Start.
JURUL: Vorstart-Sequenz hatbegonnen. Wiederhole deine
Missionsziele, Neun-drei-fünf.
SONDE: Ich soll eine technologischfortgeschrittene Zivilisation
inmitten der Sterne suchen undKontakt herstellen. Ich
werde alles lernen, was ich mir ausihrem wissenschaftlichen
Fundus anzueignen vermag, und dannihre Hilfe erlangen, um
nach Hause zurückzukehren undBericht zu erstatten.
JURUL: Und wenn du zufällig eineZivilisation entdecken
solltest, die eine Möglichkeitgefunden hat, schneller zu reisen
als das Licht?
SONDE: Dann werde ich alle Hinweiseauf meine Ursprünge
verbergen, bis ich mich davonüberzeugt habe, dass diese Wesen
vertrauenswürdig sind. Wenn ichsicher bin, dass es mit
keinem Risiko verbunden ist, werdeich sie hierher zur Heimatwelt
leiten, um mit ihnen ins Geschäft zukommen.
JURUL: Sehr gut. Wie lange bis zurStartzündung?
SONDE: In acht hoch zwei Sekunden.
JURUL: Viel Glück und Waidmannsheil,Neun-drei-fünf!
SONDE: Ich wünsche auch dir Glück, Jurul.
SONDE war bis ein Jahr nach demStart mit den Schöpfern
in Verbindung geblieben, doch derKontakt hatte allein aus
dem Austausch technischer Daten mitden Boden-Computern
bestanden. Nie wieder hatte dieStimme von Jurul - oder die
eines anderen Schöpfers - denLaserstrahl geritten. Und kurz
nachdem SONDE dieReisegeschwindigkeit erreicht hatte, war
selbst diese brüchige Verbindung mitder Heimat abgebrochen.
Damit war auch die Hoffnung zunichtegemacht worden, jemals
wieder mit Jurulzu sprechen.
Wenn SONDE nämlich zum Ausgangspunktzurückkehrte
(falls sie zurückkehrte), wäre Jurul längst zu Staub zerfallen,
und es würde einem seiner Nachkommenobliegen, den Bericht
entgegenzunehmen.
Doch um Bericht zu erstatten, mussteSONDE erst einmal
nach Hause zurückkehren. Das erwiessich als keine leichte
Aufgabe. Sie hatte das Risikoakzeptiert, das jede Lebenssonde
auf sich nahm, wenn sie die Reiseins Unbekannte unternahm
- eine Wette, bei der fünf von sechsSonden verloren. Es
hatte nun den Anschein, als ob SONDEdiese traurige Statistik
ergänzen würde.
Lebenssonden, die unmittelbarenNachkommen der alten
Slowboats, waren das Nonplusultra der vielenEntwicklungen
der Schöpfer. Angetrieben vonGravitationssingularitäten be-
schleunigten sie fast auf ein Zehntel derLichtgeschwindigkeit,
bevor sie die Booster abschalteten.Somit war es SONDE bestimmt,
den größten Teil ihres Lebensunterwegs zu sein und
sich langsam zum Rand der Galaxisvorzuarbeiten - wobei die
Ewigkeit zwischen den Sternen diegrößte Gefahr für sie darstellte.
Kein intelligentes Konstrukt, oborganisch oder Maschine,
vermochte seine geistige Gesundheitauf einer solchen
Reise zu bewahren. IhreSpeicherbänke würden lange vor der
ersten Wegmarken-Sonne überfließen,wenn keine Schutzmaßnahmen
getroffen wurden. Aus diesem Grundhatten die Schöpfer
den WÄCHTER und den Tiefschlaferschaffen.
WÄCHTER war das Alter Ego von SONDE.Sein Gehirn verfügte
über die gleichen elementarenSchaltkreise wie SONDE.
Der Unterschied bestand jedoch inder Art und Weise, wie diese
Schaltkreise miteinander verknüpftwaren. SONDE war voll empfindungsfähig
und hatte ein ausgeprägtesIch-Bewusstsein.
WÄCHTER war jedoch nur ein Computer,ein Fachidiot - zwar
mit perfekter Funktionalität, dochbar jeder Vorstellungskraft.
Es war die Aufgabe von WÄCHTER, denHimmel während der
langen Flüge zwischen den Sonnen zubeobachten und auf das
eine Energie-Streusignal zu achten,das seine Urheber als intelligente
Wesen auswies.
Und wenn er eins fand, gab er SONDE dasWecksignal. Das
hatte er bisher viermal getan. Dieerste Sichtung hatte weniger
als zweihundert Jahre nach dem Startder Mission stattgefunden,
als SONDE ihr eigentlichesSuchgebiet kaum erreicht
hatte. Aufregung durchströmteplötzlich ihre Schaltkreise wie
eine Sonne, die abrupt zur Novawurde. Mit zunehmender
Spannung scannte sie den fraglichenStern und erkannte deutliche
Anzeichen einer fortgeschrittenenZivilisation. Jedoch war
die Position des Sterns außerhalbdes schmalen Kegels im Raum,
der die Manövrierfähigkeit von SONDEmarkierte.
Das war die erste herbe Enttäuschungfür SONDE. Von den
folgenden zwei Kontakten war einereine in die Barbarei zurückfallende
Rasse, die nicht mehr imstande war,die wenigen
noch funktionierenden Maschinen zureparieren, und der andere
ließ sich nur weit außerhalb ihrerReichweite lokalisieren.
Und nun war es an der Zeit, sich mitKontakt Nummer vier
zu befassen. ( )
© Heyne Verlag
Übersetzung: Martin Gilbert
- Autor: Michael McCollum
- 2006, 748 Seiten, Maße: 12 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Gilbert, Martin
- Übersetzer: Martin Gilbert
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453522052
- ISBN-13: 9783453522053
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