Liebesschmarrn und Erdbeerblues
Roman
Wie ist das eigentlich in Bayern mit der Liebe? Lene aus Passau hat gleich drei Männer, die ihr beweisen wollen, wie man auf bayerisch "Ich liebe dich" sagt. Der Sprachwissenschaftler Karl, der Spanier Ernesto und Michi. Das kann ein rechter Schmarrn werden!
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Produktinformationen zu „Liebesschmarrn und Erdbeerblues “
Wie ist das eigentlich in Bayern mit der Liebe? Lene aus Passau hat gleich drei Männer, die ihr beweisen wollen, wie man auf bayerisch "Ich liebe dich" sagt. Der Sprachwissenschaftler Karl, der Spanier Ernesto und Michi. Das kann ein rechter Schmarrn werden!
Lese-Probe zu „Liebesschmarrn und Erdbeerblues “
Liebesschmarrn und Erdbeerblues von Angelika Schwarzhuber1
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»Wenn du jetzt gehst...« Mehr hörte ich nicht mehr. Die Tür des Fahrstuhls schloss sich, und ich machte die Augen zu. Ich muss zu Claudia! Sofort!, dachte ich aufgeregt. »Lene? Geht's dir nicht gut?« Erschrocken riss ich die Augen auf. Verdammt, ich hatte nicht mal bemerkt, dass noch jemand auf dem Weg zur Tiefgarage war. Dr. Heribert König. Mein Zahnarzt, seit ich denken kann. Er hatte seine Praxis gleich neben Michaels Kanzlei im vierten Stock.
»O doch, doch... Mir geht's prächtig, Herr Doktor.«
Ein Blick in den Spiegel des Aufzugs, und mir war klar: Sollte Dr. König mir tatsächlich glauben, dann würde er in Zukunft ein Sexmonster in mir sehen. Im günstigsten Fall eine sehr aufgeschlossene junge Frau. Meine rotbraune Lockenmähne war wild zerzaust. Der rosa Lippenstift verschmiert und - o nein! Der farblich zum Lippenstift passende neue BH hing halb aus meiner Handtasche, in die ich ihn eilig gestopft hatte, bevor ich aus Michaels Büro geflüchtet war. Jetzt war es auch schon egal, dass ich die Bluse mit der Naht nach außen trug. Ich setzte mein breitestes Lächeln auf, um Dr. König von der Handtasche abzulenken. Schließlich war er immer sehr stolz auf meine prachtvollen Beißerchen, die er mit viel Draht von Zahnstellung »windschief« in ein Gebiss verwandelt hatte, für das jedes Model gestorben wäre. Puh. Es funktionierte. Dr. König sah nicht nach unten, bis der BH gänzlich in der Tasche verschwunden war. Bevor ich meine Haare so unauffällig wie möglich zurechtzupfen konnte, waren wir auch schon in der Tiefgarage angekommen.
Erleichtert verabschiedete ich mich und trippelte in den todschicken, aber völlig unbequemen neuen Sandalen zu meinem Wagen. Im Rücken spürte ich Dr. Königs Blicke. Ob ich mich jemals wieder unbefangen auf seinen Behandlungsstuhl setzen konnte? Der Gedanke an die ungewisse Zukunft meines Gebisses wurde rasch von der Erinnerung an die Erlebnisse der vergangenen halben Stunde verdrängt. Alles war schrecklich! Ich musste dringend zu Claudia.
Claudia Zanolla war meine beste Freundin. Wir arbeiteten für dieselbe Zeitung. Sie in der Lokalredaktion und ich in der Anzeigenannahme. Kennengelernt hatten wir uns auf den Tag genau am 13. Mai vor vier Jahren, als wir beide in der kleinen Kaffeeküche der Redaktion standen und jede einen Kuchen für die Kollegen anschnitt. Amüsiert stellten wir fest, dass wir Geburtstag hatten. Den fünfzigsten. Wenn wir ihre vierundzwanzig und meine sechsundzwanzig Lenze zusammenzählten. Da wir beide für den Abend nichts geplant hatten, verabredeten wir uns spontan ins Simone, eine kleine, aber feine Bar in den engen Gässchen der Passauer Altstadt, auf ein Glas Prosecco. Aus einem Gläschen wurden zwei Flaschen - für jede -,und wir hatten viel Spaß. Claudia ließ mich in diesem Zustand nicht mehr nach Hause fahren, und so verbrachte ich die Nacht auf dem grauen Ledersofa in ihrer Wohnung.
Auf genau diesem Sofa saß Claudia jetzt und schaute mir geduldig zu, wie ich, unruhig wie ein Raubtier vor der Fütterung, barfuß auf und ab tigerte. Sie kannte mich gut genug, um abzuwarten, und nippte an einer Tasse Ingwerwasser. Die kleinen Figuren, die Claudia von ihren Reisen in aller Herren Länder mit nach Hause brachte und die nahezu jeden freien Zentimeter ihrer Wohnung belagerten, schienen mich zu beobachten. Als ob die stummen kleinen Zeugen unserer Frauengeschichten es nicht erwarten konnten, den neuesten Klatsch über mein Liebesleben zu hören. Eines der Eskimofigürchen auf dem Bücherregal schaute mich so ungeduldig an, dass ich mein Schweigen endlich brach.
»Es ist was ziemlich schiefgelaufen!«
»Wie hast du es diesmal vermasselt?« Claudia war nicht überrascht. Warum auch? Es war ja nichts Neues. Ich war praktisch eine Meisterin darin, etwas zu vermasseln. Dabei war es meistens gar nicht meine Schuld, wie ich fand. Und diesmal schon gar nicht. Aber ob sie das verstand? Ich wand mich innerlich.
»Lene! Mach's nicht so spannend!« »Also. Er hat gesagt...« Ich konnte nicht. »Was? Dass deine Oberschenkel zu dick sind?«
»Nein!«, rief ich empört. Ich ging ja wohl nicht umsonst regelmäßig ins Fitnessstudio, seit ich mit Michi zusammen war, und hatte mir inzwischen fast fünf Kilos abgestrampelt. Meine Schenkel waren zwar nicht perfekt, aber zumindest alltagstauglich. Allerdings wirkten neben Claudias Gazellen- Beinen auch Normaloschenkel wie meine wie die eines grauen Dickhäuters. »Hat er dich... auch... betrogen?« Claudias Ton wurde ein wenig weicher, mitfühlender. Sie hatte ja schon einiges mit mir erlebt. »Nein! Hat er nicht.« Zumindest wusste ich nichts davon. »Ja was denn dann?« Jetzt wurde sie schon etwas ungeduldiger, und der Blick des Eskimos war frostig geworden.
»Er hat gesagt...«
Ich holte tief Luft und sprach die Worte genau im Wortlaut und bairischen Dialekt meines Freundes Michi aus: »I hab mi sakrisch in di valiabt!« Ich merkte genau, wie Claudias Mundwinkel zuckten. Sie verkniff sich ein Lachen. »Das ist doch super!«
»Aber man sagt doch nicht: I hab mi sakrisch i di valiabt!«, protestierte ich. Claudia schaute mich amüsiert an. »Nun ja. Wir sind hier in Passau. Und Passau ist in Bayern. Und in Bayern spricht man eben bairisch!« Das musste ausgerechnet sie sagen. Claudia war gebürtige Italienerin und als Teenager mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen. Sie sprach inzwischen ein perfektes Hochdeutsch mit einem entzückenden sizilianischen Akzent.
»Wie soll er es denn sonst sagen?«, hakte sie nach. »Ach, ich weiß auch nicht. Anders halt!«
Der Blick des Eskimos war inzwischen eisig. Mit so was hatte er sicher nicht gerechnet.
»Du erzählst mir jetzt, was los ist. Was wirklich los ist. Sofort!«
Ich drehte den verschnupften Eskimo mit dem Gesicht zum Buchrücken des ersten Harry-Potter-Bandes und ließ mich in den Sessel plumpsen. Und ich legte los. Mein Freund Michi und ich waren für den Abend zur Vernissage seines Mandanten Severin Bayerl eingeladen. »Kreationen in Kreditkarten«, so das etwas dümmliche Thema. Ich hatte auf die Ausstellung so viel Lust wie auf einen Besuch beim Steuerberater. Aber Michi zuliebe hatte ich zugesagt und mich dafür so richtig chic gemacht. So wie Michi das gefiel. »Zieh dich doch ein wenig femininer an«, hatte er mich in der letzten Zeit immer öfter gebeten. In Männersprache übersetzt heißt das so viel wie: »Röcke kürzer, Absätze höher und Ausschnitt tiefer.« Vor allem das mit dem Dekolleté war ihm wichtig. Sehr wichtig sogar, weil das meinen herrlichen Busen betone, meinte er. Mein Busen. Auf den konnte ich stolz sein. Das sagten die Männer immer. Denn der pralle Inhalt von Körbchengröße 75D war völlig echt!
Als ich in Michis Kanzlei kam, um ihn abzuholen, waren seine Bürodamen schon alle weg. Mein neues Outfit gefiel ihm. Richtig gut gefiel es ihm. Vor allem die neue Bluse mit dem tiefen Ausschnitt. Jedenfalls war unser Begrüßungskuss außer Kontrolle geraten, und plötzlich lag ich halb nackt auf dem Tisch im Besprechungszimmer.
Ich unterbrach meine Schilderung. Es war mir doch ein wenig peinlich, darüber zu reden. Doch Claudia ließ nicht locker. »Und dann? Jetzt erzähl schon!«, forderte sie mich auf. Seitdem sie nach zweijähriger Jo-Jo-Beziehung mit einem Universitätsprofessor der Philosophischen Fakultät wieder Single war, nahm sie noch mehr Anteil an meinen Männergeschichten.
Die Figürchen um uns herum schienen den Atem anzuhalten. Meine Stimme wurde leiser, ich flüsterte fast.
»Er hörte auf, mich zu küssen... und schaute mich seltsam an.« »Wie seltsam?« Sie wollte aber auch immer alles ganz genau wissen. »Seltsam eben. Dann sagte er diese Worte.« Ich sparte es mir, sie zu wiederholen. »Und dann?« Claudia war sichtlich gespannt. »Was und dann? Das war es dann. Ich bin vom Tisch runter, hab mich angezogen, und jetzt bin ich hier.« Die Sache mit Dr. König im Fahrstuhl ließ ich aus. Claudia war ohnehin bei einem anderen Zahnklempner. »Lene! Das kann doch nicht dein Ernst sein?! Dieser Mann hat dir heute gesagt, dass er dich liebt, und du lässt ihn einfach stehen?« »Ja, aber so sagt man das nicht!« »Hast du sonst keine Probleme?« Claudia schüttelte den Kopf. Sie wollte mich irgendwie nicht verstehen. »Es hat sich angehört, als ob ich einer von seinen Schafkopfbrüdern wäre«, rechtfertigte ich mich. »Sepp, des gfreit mi fei sakrisch, dass du de Oide jetz ghaut hast«, ahmte ich in tiefer Stimmlage die Unterhaltung der Männer beim Kartenspielen nach.
Wobei es sich beim »Oide haun« nicht um einen tätlichen Übergriff auf die Ehefrau, sondern um das Einkassieren der Eichel-Sau beim inoffiziellen bayerischen Nationalspiel, dem Schafkopfen, handelte.
»Jetzt mach aber halblang, Lene. Michi ist schließlich alles andere als ein Stammtischbruder.« Da musste ich ihr recht geben. Michi war ein wirklich gut aussehender Mann und als Anwalt für Vertragsrecht sehr erfolgreich. Warum er sich ausgerechnet mit mir eingelassen hatte, war mir heute noch ein Rätsel. Es war vor einem halben Jahr, als er lässig in seinem schicken Anzug in die Anzeigenabteilung der Zeitung geschlendert kam und eine Annonce für seine Kanzlei aufgab: »Freundliche, flexible Bürohilfe gesucht.« Mir blieb bei seinem Anblick fast die Luft weg. Und meine Konzentrationsfähigkeit glich der einer adipösen Seiltänzerin mit Gleichgewichtsstörungen, als er mich mit seinen eisblauen Augen anlächelte und sich dabei eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Meine Güte, was für ein Mann! Für einen kurzen Moment überlegte ich sogar selbst, mich bei ihm zu bewerben. Ich wurde nervös, als er beim Ausfüllen des Anzeigentextes mit mir flirtete. So nervös, dass ich seine Telefonnummer mit der eines anderen Kunden verwechselte. Der suchte auch Mitarbeiterinnen. Allerdings unterschieden sich sowohl die Arbeitszeiten als auch das Tätigkeitsprofil dieser Damen mehr als deutlich. Sie durften ihre Arbeit überwiegend in horizontaler Lage ausüben - hauptsächlich nachts.
Als herauskam, dass ich das verbockt hatte, gab es von meinem Chef eine ordentliche Standpauke. Ich wollte das natürlich wiedergutmachen und fuhr zu den Inserenten, um mich persönlich zu entschuldigen. Noch immer wurde ich rot, wenn ich an das breite Grinsen des Saunaklubbetreibers dachte, als ich mit einer Flasche des guten Verlagshausweins, der gewöhnlich nur zu Weihnachten an Großkunden verschenkt wurde, bei ihm auftauchte. Dabei hatte er meinem Chef bereits drei kostenlose Anzeigen abgeschwatzt. Und dann kam der Hammer: Der Boss des Arabian Nights hatte mir doch allen Ernstes einen Job in seinem Etablissement angeboten. Er sah großes Potenzial in mir. Vor allem in meinem appetitlichen Vorbau, von dem er kaum seinen Blick wenden konnte. Falls ich jemals über eine berufliche Veränderung nachdenken sollte, genüge ein Anruf und wir wären im Geschäft, meinte er augenzwinkernd und leckte sich dabei lüstern über die Lippen.
»Meine Telefonnummer hast du ja, Schätzchen. Aber pass auf, dass du sie nicht wieder vertauschst.« Er lachte schallend. Der Mann hatte immerhin Sinn für Humor. Vielleicht wäre er gar kein so übler Chef? Mein Abteilungsleiter war ja manchmal schon ein wenig trocken. Ob es im Klub auch Weihnachtsgeld gab? Und Mutterschutz und Erziehungsurlaub? Es hätte mich auch sehr interessiert, ob man sich an Brückentagen freinehmen durfte. Ich ersparte es mir aber dann doch, ihn danach zu fragen. Ein Blick in die abgeklärten Gesichter der Damen, die an der Theke auf Kundschaft warteten, genügte, um zu erkennen, dass es hier nicht viel zu lachen gab. Und dann stand ich auch nicht so wirklich auf rote Ledersofas und Reizwäsche als Arbeitsbekleidung. Nein, dieser Beruf war eindeutig nicht für mich geeignet. So freundlich es mir möglich war, schlug ich sein gut gemeintes Jobangebot aus.
Rechtsanwalt Michael Sommer hatte mich erst ein wenig zappeln lassen, bis ich bemerkte, dass er mich mit seinem strengen Blick nur necken wollte. Noch für denselben Abend hatte er mich zum Essen eingeladen. Anschließend teilten wir brüderlich den guten Verlagswein. Meine Entschuldigung nahm er entgegen und erklärte mir allen Ernstes, dass ich durch meinen Fehler eine Seele vor dem Fegefeuer gerettet hatte. Die neue Bürohilfe war eine der jungen Frauen, die sich eigentlich für den unmoralischen Job im Saunaklub bewerben wollte. Michi hatte die hübsche Blondine - Sabine ihr Name - auf Anhieb sympathisch gefunden. Sie war freundlich und flexibel. Und sie war eine Hilfe im Büro. Erst gestern hatte er sie vor meinen Augen als beste Sekretärin gelobt, die er je hatte. Das beruhigte mich. Sehr sogar. Allerdings fragte ich mich, ob stattdessen im Saunaklub eine der Bürokraftanwärterinnen gelandet war. Und ob meine Seele zukünftig im Fegefeuer dafür schmoren musste.
Insgeheim beschäftigte mich auch die Frage, ob ich im Arabian Nights wirklich eine so steile Karriere gemacht hätte, wie der Boss dort es mir prophezeit hatte. Doch mir schwante, dass ich das niemals herausfinden würde. »Wie sagst du denn einem Mann, dass du ihn liebst?«, riss Claudia mich aus meinen Gedanken.
»Ich... also, ich sage, nun ich...«,stotterte ich herum und starrte zur Kommode. Und erstarrte. Das konnte doch nicht möglich sein! Der kleine Eskimo stand wieder mit dem Gesicht zu uns, sein Blick unterkühlter denn je. Claudia musste ihn umgedreht haben, ohne dass ich es mitbekommen hatte.
»Was jetzt?« Claudia ließ nicht locker.
»Ich, ich... jetzt fällt mir auf die Schnelle nichts ein.« Sie schaute mich ungläubig an. Ich schaute ungläubig zurück. Mir fiel tatsächlich nichts ein. »Ich weiß, dass du deine letzten Beziehungen alle verbockt hast, aber sag jetzt nicht, dass du noch nie zu einem Mann gesagt hast, dass du ihn liebst?« »Natürlich hab ich das schon mal zu einem Mann gesagt«, protestierte ich heftig und lachte auf. Was dachte sie denn von mir?
»Zu wem?« Ihre Frage kam schnell. Und sie war sehr direkt. »Zu... äh...« Ich überlegte.Vier Monate vor Michi war ich drei Monate mit Daniel zusammen. Er war ganz nett, aber irgendwie kein Mann zum Lieben. Vor allem deshalb nicht, weil er zu anderen Frauen genauso nett war wie zu mir. In jeder Hinsicht.
Davor gab es Tittengrabscher-Eugen - nein, zu ihm hatte ich es auch nicht gesagt. Und vor ihm war da Johannes. Ihm wollte ich es sagen, aber da war mir meine Cousine Tina zuvorgekommen. Und dann war noch...
»Tim!« Ich wusste es doch! Tim hatte ich gesagt, dass ich ihn liebe. Nun, eigentlich hatte ich es nicht gesagt, sondern auf einen Zettel geschrieben. Mit mindestens neunundneunzig Herzchen drum herum. Aber das musste ich Claudia nicht unbedingt auf die Nase binden.
»Tim?« Claudia grinste amüsiert. »Du meinst jetzt aber nicht den Tim, in den du als Sechzehnjährige verschossen warst und der sich letztes Jahr für den Job in der Sportredaktion beworben hatte?«
»Äh, doch, ja, ja, doch.« Jedes Mal, wenn ich nur an ihn dachte, löste das bei mir ein unkontrollierbares Stottern aus. Tim. Er hatte damals nicht auf meine herzige Liebesnachricht reagiert. Wie ich später erfuhr, war er mit einer älteren Cabriofahrerin - sie war einundzwanzig und damit drei ganze Jahre älter als er - losgezogen.
Als er letzten Herbst mit seinem unwiderstehlichen Piratencharme das Büro in der Redaktion betrat, war ich sprachlos. Buchstäblich. Doch auch diesmal war uns Amor nicht gewogen. Nicht Tim wurde eingestellt, sondern der Sohn eines Freundes eines Onkels unseres Chefredakteurs. Und das, bevor ich die Möglichkeit hatte, überhaupt ein Wort mit Tim zu wechseln. Mein Traum von einer zweiten Chance war schneller zerplatzt, als man mit aufgespritzten Lippen einen Luftballon aufblasen konnte. Ich seufzte.
»Du musst das wieder ausbügeln, Lene. Geh sofort zu dieser Vernissage und sag Michael, dass du ihn auch liebst. Und dass du vorhin einfach nur kalte Füße bekommen hast.« »Nein. Das mach ich nicht!« Ich schüttelte heftig den Kopf. »Lene! Einen Mann wie ihn findest du nicht so schnell wieder.«
»Ich kann nicht...« »Warum nicht?« »Er war ziemlich sauer, als ich einfach so davon bin«, gestand ich kleinlaut. »Warum wundert mich das nicht?« Claudia seufzte. Sie nahm meine Hände, sah mich streng an. »Süße, worauf willst du eigentlich warten? Michi ist ein toller Mann, und er liebt dich. Was willst du mehr? Geh da hin und bring es wieder in Ordnung!« »Aber ich kann doch jetzt nicht einfach so da aufkreuzen.« Allein beim Gedanken daran bekam ich Bauchgrummeln. »Und wie du kannst!« Sie zog mich aus dem Sessel hoch und drückte mir mein Täschchen in die Hand.
»Zieh deinen Lippenstift nach, leg Parfum auf, und ich ruf inzwischen ein Taxi.« Schon hatte sie das Telefon in der Hand und wählte die Nummer. Claudia war schon immer ein Mann der Tat im Körper einer zierlichen dunkelhaarigen Frau. Der Eskimo grinste mich eiskalt an. Sobald Claudia mir den Rücken zudrehte, packte ich den kleinen Kerl und stopfte ihn in meine Handtasche.
Die Party war bereits voll im Gange, als ich den angesagten Klub Butts betrat. Im Hintergrund lief Musik von LaBrassBanda. Da stand ich normalerweise total drauf. Hierher passte der Sound jedoch so wenig wie ein Lebkuchen ins Osternest. In kleinen Gruppen unterhielten sich chic gekleidete Gäste, von denen ich die meisten aus dem Lokalteil unserer Zeitung kannte. Sie nippten an Getränken in scheckkartengroßen Plastikgefäßen, verziert mit dem Konterfei von Severin Bayerl. Vermögend, wie er war, konnte er sich solche Extravaganzen leisten.
Von Michi war nichts zu sehen. Was mich gar nicht so unglücklich machte. Da ohnehin niemand Notiz von mir nahm, beschloss ich, so schnell wie möglich wieder zu verschwinden. In dem Moment drückte mir eine der ausnahmslos blonden Bedienungen ein Getränk in die Hand. Na gut. Wenn ich schon mal hier war... Ich bemühte mich, den stechenden Blick des Künstlers auf dem Becher zu ignorieren, und nahm einen kräftigen Schluck. Hmm. Schmeckte ungewöhnlich, aber richtig fein. »Was ist das denn?« Ich musste fast schreien, damit die Bedienung mich verstand. Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Irgendwas mit Schampus und so Beeren aus Südamerika.«
»Wenn du jetzt gehst...« Mehr hörte ich nicht mehr. Die Tür des Fahrstuhls schloss sich, und ich machte die Augen zu. Ich muss zu Claudia! Sofort!, dachte ich aufgeregt. »Lene? Geht's dir nicht gut?« Erschrocken riss ich die Augen auf. Verdammt, ich hatte nicht mal bemerkt, dass noch jemand auf dem Weg zur Tiefgarage war. Dr. Heribert König. Mein Zahnarzt, seit ich denken kann. Er hatte seine Praxis gleich neben Michaels Kanzlei im vierten Stock.
»O doch, doch... Mir geht's prächtig, Herr Doktor.«
Ein Blick in den Spiegel des Aufzugs, und mir war klar: Sollte Dr. König mir tatsächlich glauben, dann würde er in Zukunft ein Sexmonster in mir sehen. Im günstigsten Fall eine sehr aufgeschlossene junge Frau. Meine rotbraune Lockenmähne war wild zerzaust. Der rosa Lippenstift verschmiert und - o nein! Der farblich zum Lippenstift passende neue BH hing halb aus meiner Handtasche, in die ich ihn eilig gestopft hatte, bevor ich aus Michaels Büro geflüchtet war. Jetzt war es auch schon egal, dass ich die Bluse mit der Naht nach außen trug. Ich setzte mein breitestes Lächeln auf, um Dr. König von der Handtasche abzulenken. Schließlich war er immer sehr stolz auf meine prachtvollen Beißerchen, die er mit viel Draht von Zahnstellung »windschief« in ein Gebiss verwandelt hatte, für das jedes Model gestorben wäre. Puh. Es funktionierte. Dr. König sah nicht nach unten, bis der BH gänzlich in der Tasche verschwunden war. Bevor ich meine Haare so unauffällig wie möglich zurechtzupfen konnte, waren wir auch schon in der Tiefgarage angekommen.
Erleichtert verabschiedete ich mich und trippelte in den todschicken, aber völlig unbequemen neuen Sandalen zu meinem Wagen. Im Rücken spürte ich Dr. Königs Blicke. Ob ich mich jemals wieder unbefangen auf seinen Behandlungsstuhl setzen konnte? Der Gedanke an die ungewisse Zukunft meines Gebisses wurde rasch von der Erinnerung an die Erlebnisse der vergangenen halben Stunde verdrängt. Alles war schrecklich! Ich musste dringend zu Claudia.
Claudia Zanolla war meine beste Freundin. Wir arbeiteten für dieselbe Zeitung. Sie in der Lokalredaktion und ich in der Anzeigenannahme. Kennengelernt hatten wir uns auf den Tag genau am 13. Mai vor vier Jahren, als wir beide in der kleinen Kaffeeküche der Redaktion standen und jede einen Kuchen für die Kollegen anschnitt. Amüsiert stellten wir fest, dass wir Geburtstag hatten. Den fünfzigsten. Wenn wir ihre vierundzwanzig und meine sechsundzwanzig Lenze zusammenzählten. Da wir beide für den Abend nichts geplant hatten, verabredeten wir uns spontan ins Simone, eine kleine, aber feine Bar in den engen Gässchen der Passauer Altstadt, auf ein Glas Prosecco. Aus einem Gläschen wurden zwei Flaschen - für jede -,und wir hatten viel Spaß. Claudia ließ mich in diesem Zustand nicht mehr nach Hause fahren, und so verbrachte ich die Nacht auf dem grauen Ledersofa in ihrer Wohnung.
Auf genau diesem Sofa saß Claudia jetzt und schaute mir geduldig zu, wie ich, unruhig wie ein Raubtier vor der Fütterung, barfuß auf und ab tigerte. Sie kannte mich gut genug, um abzuwarten, und nippte an einer Tasse Ingwerwasser. Die kleinen Figuren, die Claudia von ihren Reisen in aller Herren Länder mit nach Hause brachte und die nahezu jeden freien Zentimeter ihrer Wohnung belagerten, schienen mich zu beobachten. Als ob die stummen kleinen Zeugen unserer Frauengeschichten es nicht erwarten konnten, den neuesten Klatsch über mein Liebesleben zu hören. Eines der Eskimofigürchen auf dem Bücherregal schaute mich so ungeduldig an, dass ich mein Schweigen endlich brach.
»Es ist was ziemlich schiefgelaufen!«
»Wie hast du es diesmal vermasselt?« Claudia war nicht überrascht. Warum auch? Es war ja nichts Neues. Ich war praktisch eine Meisterin darin, etwas zu vermasseln. Dabei war es meistens gar nicht meine Schuld, wie ich fand. Und diesmal schon gar nicht. Aber ob sie das verstand? Ich wand mich innerlich.
»Lene! Mach's nicht so spannend!« »Also. Er hat gesagt...« Ich konnte nicht. »Was? Dass deine Oberschenkel zu dick sind?«
»Nein!«, rief ich empört. Ich ging ja wohl nicht umsonst regelmäßig ins Fitnessstudio, seit ich mit Michi zusammen war, und hatte mir inzwischen fast fünf Kilos abgestrampelt. Meine Schenkel waren zwar nicht perfekt, aber zumindest alltagstauglich. Allerdings wirkten neben Claudias Gazellen- Beinen auch Normaloschenkel wie meine wie die eines grauen Dickhäuters. »Hat er dich... auch... betrogen?« Claudias Ton wurde ein wenig weicher, mitfühlender. Sie hatte ja schon einiges mit mir erlebt. »Nein! Hat er nicht.« Zumindest wusste ich nichts davon. »Ja was denn dann?« Jetzt wurde sie schon etwas ungeduldiger, und der Blick des Eskimos war frostig geworden.
»Er hat gesagt...«
Ich holte tief Luft und sprach die Worte genau im Wortlaut und bairischen Dialekt meines Freundes Michi aus: »I hab mi sakrisch in di valiabt!« Ich merkte genau, wie Claudias Mundwinkel zuckten. Sie verkniff sich ein Lachen. »Das ist doch super!«
»Aber man sagt doch nicht: I hab mi sakrisch i di valiabt!«, protestierte ich. Claudia schaute mich amüsiert an. »Nun ja. Wir sind hier in Passau. Und Passau ist in Bayern. Und in Bayern spricht man eben bairisch!« Das musste ausgerechnet sie sagen. Claudia war gebürtige Italienerin und als Teenager mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen. Sie sprach inzwischen ein perfektes Hochdeutsch mit einem entzückenden sizilianischen Akzent.
»Wie soll er es denn sonst sagen?«, hakte sie nach. »Ach, ich weiß auch nicht. Anders halt!«
Der Blick des Eskimos war inzwischen eisig. Mit so was hatte er sicher nicht gerechnet.
»Du erzählst mir jetzt, was los ist. Was wirklich los ist. Sofort!«
Ich drehte den verschnupften Eskimo mit dem Gesicht zum Buchrücken des ersten Harry-Potter-Bandes und ließ mich in den Sessel plumpsen. Und ich legte los. Mein Freund Michi und ich waren für den Abend zur Vernissage seines Mandanten Severin Bayerl eingeladen. »Kreationen in Kreditkarten«, so das etwas dümmliche Thema. Ich hatte auf die Ausstellung so viel Lust wie auf einen Besuch beim Steuerberater. Aber Michi zuliebe hatte ich zugesagt und mich dafür so richtig chic gemacht. So wie Michi das gefiel. »Zieh dich doch ein wenig femininer an«, hatte er mich in der letzten Zeit immer öfter gebeten. In Männersprache übersetzt heißt das so viel wie: »Röcke kürzer, Absätze höher und Ausschnitt tiefer.« Vor allem das mit dem Dekolleté war ihm wichtig. Sehr wichtig sogar, weil das meinen herrlichen Busen betone, meinte er. Mein Busen. Auf den konnte ich stolz sein. Das sagten die Männer immer. Denn der pralle Inhalt von Körbchengröße 75D war völlig echt!
Als ich in Michis Kanzlei kam, um ihn abzuholen, waren seine Bürodamen schon alle weg. Mein neues Outfit gefiel ihm. Richtig gut gefiel es ihm. Vor allem die neue Bluse mit dem tiefen Ausschnitt. Jedenfalls war unser Begrüßungskuss außer Kontrolle geraten, und plötzlich lag ich halb nackt auf dem Tisch im Besprechungszimmer.
Ich unterbrach meine Schilderung. Es war mir doch ein wenig peinlich, darüber zu reden. Doch Claudia ließ nicht locker. »Und dann? Jetzt erzähl schon!«, forderte sie mich auf. Seitdem sie nach zweijähriger Jo-Jo-Beziehung mit einem Universitätsprofessor der Philosophischen Fakultät wieder Single war, nahm sie noch mehr Anteil an meinen Männergeschichten.
Die Figürchen um uns herum schienen den Atem anzuhalten. Meine Stimme wurde leiser, ich flüsterte fast.
»Er hörte auf, mich zu küssen... und schaute mich seltsam an.« »Wie seltsam?« Sie wollte aber auch immer alles ganz genau wissen. »Seltsam eben. Dann sagte er diese Worte.« Ich sparte es mir, sie zu wiederholen. »Und dann?« Claudia war sichtlich gespannt. »Was und dann? Das war es dann. Ich bin vom Tisch runter, hab mich angezogen, und jetzt bin ich hier.« Die Sache mit Dr. König im Fahrstuhl ließ ich aus. Claudia war ohnehin bei einem anderen Zahnklempner. »Lene! Das kann doch nicht dein Ernst sein?! Dieser Mann hat dir heute gesagt, dass er dich liebt, und du lässt ihn einfach stehen?« »Ja, aber so sagt man das nicht!« »Hast du sonst keine Probleme?« Claudia schüttelte den Kopf. Sie wollte mich irgendwie nicht verstehen. »Es hat sich angehört, als ob ich einer von seinen Schafkopfbrüdern wäre«, rechtfertigte ich mich. »Sepp, des gfreit mi fei sakrisch, dass du de Oide jetz ghaut hast«, ahmte ich in tiefer Stimmlage die Unterhaltung der Männer beim Kartenspielen nach.
Wobei es sich beim »Oide haun« nicht um einen tätlichen Übergriff auf die Ehefrau, sondern um das Einkassieren der Eichel-Sau beim inoffiziellen bayerischen Nationalspiel, dem Schafkopfen, handelte.
»Jetzt mach aber halblang, Lene. Michi ist schließlich alles andere als ein Stammtischbruder.« Da musste ich ihr recht geben. Michi war ein wirklich gut aussehender Mann und als Anwalt für Vertragsrecht sehr erfolgreich. Warum er sich ausgerechnet mit mir eingelassen hatte, war mir heute noch ein Rätsel. Es war vor einem halben Jahr, als er lässig in seinem schicken Anzug in die Anzeigenabteilung der Zeitung geschlendert kam und eine Annonce für seine Kanzlei aufgab: »Freundliche, flexible Bürohilfe gesucht.« Mir blieb bei seinem Anblick fast die Luft weg. Und meine Konzentrationsfähigkeit glich der einer adipösen Seiltänzerin mit Gleichgewichtsstörungen, als er mich mit seinen eisblauen Augen anlächelte und sich dabei eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Meine Güte, was für ein Mann! Für einen kurzen Moment überlegte ich sogar selbst, mich bei ihm zu bewerben. Ich wurde nervös, als er beim Ausfüllen des Anzeigentextes mit mir flirtete. So nervös, dass ich seine Telefonnummer mit der eines anderen Kunden verwechselte. Der suchte auch Mitarbeiterinnen. Allerdings unterschieden sich sowohl die Arbeitszeiten als auch das Tätigkeitsprofil dieser Damen mehr als deutlich. Sie durften ihre Arbeit überwiegend in horizontaler Lage ausüben - hauptsächlich nachts.
Als herauskam, dass ich das verbockt hatte, gab es von meinem Chef eine ordentliche Standpauke. Ich wollte das natürlich wiedergutmachen und fuhr zu den Inserenten, um mich persönlich zu entschuldigen. Noch immer wurde ich rot, wenn ich an das breite Grinsen des Saunaklubbetreibers dachte, als ich mit einer Flasche des guten Verlagshausweins, der gewöhnlich nur zu Weihnachten an Großkunden verschenkt wurde, bei ihm auftauchte. Dabei hatte er meinem Chef bereits drei kostenlose Anzeigen abgeschwatzt. Und dann kam der Hammer: Der Boss des Arabian Nights hatte mir doch allen Ernstes einen Job in seinem Etablissement angeboten. Er sah großes Potenzial in mir. Vor allem in meinem appetitlichen Vorbau, von dem er kaum seinen Blick wenden konnte. Falls ich jemals über eine berufliche Veränderung nachdenken sollte, genüge ein Anruf und wir wären im Geschäft, meinte er augenzwinkernd und leckte sich dabei lüstern über die Lippen.
»Meine Telefonnummer hast du ja, Schätzchen. Aber pass auf, dass du sie nicht wieder vertauschst.« Er lachte schallend. Der Mann hatte immerhin Sinn für Humor. Vielleicht wäre er gar kein so übler Chef? Mein Abteilungsleiter war ja manchmal schon ein wenig trocken. Ob es im Klub auch Weihnachtsgeld gab? Und Mutterschutz und Erziehungsurlaub? Es hätte mich auch sehr interessiert, ob man sich an Brückentagen freinehmen durfte. Ich ersparte es mir aber dann doch, ihn danach zu fragen. Ein Blick in die abgeklärten Gesichter der Damen, die an der Theke auf Kundschaft warteten, genügte, um zu erkennen, dass es hier nicht viel zu lachen gab. Und dann stand ich auch nicht so wirklich auf rote Ledersofas und Reizwäsche als Arbeitsbekleidung. Nein, dieser Beruf war eindeutig nicht für mich geeignet. So freundlich es mir möglich war, schlug ich sein gut gemeintes Jobangebot aus.
Rechtsanwalt Michael Sommer hatte mich erst ein wenig zappeln lassen, bis ich bemerkte, dass er mich mit seinem strengen Blick nur necken wollte. Noch für denselben Abend hatte er mich zum Essen eingeladen. Anschließend teilten wir brüderlich den guten Verlagswein. Meine Entschuldigung nahm er entgegen und erklärte mir allen Ernstes, dass ich durch meinen Fehler eine Seele vor dem Fegefeuer gerettet hatte. Die neue Bürohilfe war eine der jungen Frauen, die sich eigentlich für den unmoralischen Job im Saunaklub bewerben wollte. Michi hatte die hübsche Blondine - Sabine ihr Name - auf Anhieb sympathisch gefunden. Sie war freundlich und flexibel. Und sie war eine Hilfe im Büro. Erst gestern hatte er sie vor meinen Augen als beste Sekretärin gelobt, die er je hatte. Das beruhigte mich. Sehr sogar. Allerdings fragte ich mich, ob stattdessen im Saunaklub eine der Bürokraftanwärterinnen gelandet war. Und ob meine Seele zukünftig im Fegefeuer dafür schmoren musste.
Insgeheim beschäftigte mich auch die Frage, ob ich im Arabian Nights wirklich eine so steile Karriere gemacht hätte, wie der Boss dort es mir prophezeit hatte. Doch mir schwante, dass ich das niemals herausfinden würde. »Wie sagst du denn einem Mann, dass du ihn liebst?«, riss Claudia mich aus meinen Gedanken.
»Ich... also, ich sage, nun ich...«,stotterte ich herum und starrte zur Kommode. Und erstarrte. Das konnte doch nicht möglich sein! Der kleine Eskimo stand wieder mit dem Gesicht zu uns, sein Blick unterkühlter denn je. Claudia musste ihn umgedreht haben, ohne dass ich es mitbekommen hatte.
»Was jetzt?« Claudia ließ nicht locker.
»Ich, ich... jetzt fällt mir auf die Schnelle nichts ein.« Sie schaute mich ungläubig an. Ich schaute ungläubig zurück. Mir fiel tatsächlich nichts ein. »Ich weiß, dass du deine letzten Beziehungen alle verbockt hast, aber sag jetzt nicht, dass du noch nie zu einem Mann gesagt hast, dass du ihn liebst?« »Natürlich hab ich das schon mal zu einem Mann gesagt«, protestierte ich heftig und lachte auf. Was dachte sie denn von mir?
»Zu wem?« Ihre Frage kam schnell. Und sie war sehr direkt. »Zu... äh...« Ich überlegte.Vier Monate vor Michi war ich drei Monate mit Daniel zusammen. Er war ganz nett, aber irgendwie kein Mann zum Lieben. Vor allem deshalb nicht, weil er zu anderen Frauen genauso nett war wie zu mir. In jeder Hinsicht.
Davor gab es Tittengrabscher-Eugen - nein, zu ihm hatte ich es auch nicht gesagt. Und vor ihm war da Johannes. Ihm wollte ich es sagen, aber da war mir meine Cousine Tina zuvorgekommen. Und dann war noch...
»Tim!« Ich wusste es doch! Tim hatte ich gesagt, dass ich ihn liebe. Nun, eigentlich hatte ich es nicht gesagt, sondern auf einen Zettel geschrieben. Mit mindestens neunundneunzig Herzchen drum herum. Aber das musste ich Claudia nicht unbedingt auf die Nase binden.
»Tim?« Claudia grinste amüsiert. »Du meinst jetzt aber nicht den Tim, in den du als Sechzehnjährige verschossen warst und der sich letztes Jahr für den Job in der Sportredaktion beworben hatte?«
»Äh, doch, ja, ja, doch.« Jedes Mal, wenn ich nur an ihn dachte, löste das bei mir ein unkontrollierbares Stottern aus. Tim. Er hatte damals nicht auf meine herzige Liebesnachricht reagiert. Wie ich später erfuhr, war er mit einer älteren Cabriofahrerin - sie war einundzwanzig und damit drei ganze Jahre älter als er - losgezogen.
Als er letzten Herbst mit seinem unwiderstehlichen Piratencharme das Büro in der Redaktion betrat, war ich sprachlos. Buchstäblich. Doch auch diesmal war uns Amor nicht gewogen. Nicht Tim wurde eingestellt, sondern der Sohn eines Freundes eines Onkels unseres Chefredakteurs. Und das, bevor ich die Möglichkeit hatte, überhaupt ein Wort mit Tim zu wechseln. Mein Traum von einer zweiten Chance war schneller zerplatzt, als man mit aufgespritzten Lippen einen Luftballon aufblasen konnte. Ich seufzte.
»Du musst das wieder ausbügeln, Lene. Geh sofort zu dieser Vernissage und sag Michael, dass du ihn auch liebst. Und dass du vorhin einfach nur kalte Füße bekommen hast.« »Nein. Das mach ich nicht!« Ich schüttelte heftig den Kopf. »Lene! Einen Mann wie ihn findest du nicht so schnell wieder.«
»Ich kann nicht...« »Warum nicht?« »Er war ziemlich sauer, als ich einfach so davon bin«, gestand ich kleinlaut. »Warum wundert mich das nicht?« Claudia seufzte. Sie nahm meine Hände, sah mich streng an. »Süße, worauf willst du eigentlich warten? Michi ist ein toller Mann, und er liebt dich. Was willst du mehr? Geh da hin und bring es wieder in Ordnung!« »Aber ich kann doch jetzt nicht einfach so da aufkreuzen.« Allein beim Gedanken daran bekam ich Bauchgrummeln. »Und wie du kannst!« Sie zog mich aus dem Sessel hoch und drückte mir mein Täschchen in die Hand.
»Zieh deinen Lippenstift nach, leg Parfum auf, und ich ruf inzwischen ein Taxi.« Schon hatte sie das Telefon in der Hand und wählte die Nummer. Claudia war schon immer ein Mann der Tat im Körper einer zierlichen dunkelhaarigen Frau. Der Eskimo grinste mich eiskalt an. Sobald Claudia mir den Rücken zudrehte, packte ich den kleinen Kerl und stopfte ihn in meine Handtasche.
Die Party war bereits voll im Gange, als ich den angesagten Klub Butts betrat. Im Hintergrund lief Musik von LaBrassBanda. Da stand ich normalerweise total drauf. Hierher passte der Sound jedoch so wenig wie ein Lebkuchen ins Osternest. In kleinen Gruppen unterhielten sich chic gekleidete Gäste, von denen ich die meisten aus dem Lokalteil unserer Zeitung kannte. Sie nippten an Getränken in scheckkartengroßen Plastikgefäßen, verziert mit dem Konterfei von Severin Bayerl. Vermögend, wie er war, konnte er sich solche Extravaganzen leisten.
Von Michi war nichts zu sehen. Was mich gar nicht so unglücklich machte. Da ohnehin niemand Notiz von mir nahm, beschloss ich, so schnell wie möglich wieder zu verschwinden. In dem Moment drückte mir eine der ausnahmslos blonden Bedienungen ein Getränk in die Hand. Na gut. Wenn ich schon mal hier war... Ich bemühte mich, den stechenden Blick des Künstlers auf dem Becher zu ignorieren, und nahm einen kräftigen Schluck. Hmm. Schmeckte ungewöhnlich, aber richtig fein. »Was ist das denn?« Ich musste fast schreien, damit die Bedienung mich verstand. Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Irgendwas mit Schampus und so Beeren aus Südamerika.«
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Autoren-Porträt von Angelika Schwarzhuber
Angelika Schwarzhuber lebt mit ihrer Familie in einer kleinen Stadt an der Donau. Sie arbeitet auch als erfolgreiche Drehbuchautorin für Kino und TV und wurde für das Drama »Eine unerhörte Frau« unter anderem mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Zum Schreiben lebt sie gern auf dem Land, träumt aber davon, irgendwann einmal die ganze Welt zu bereisen.
Autoren-Interview mit Angelika Schwarzhuber
Angelika Schwarzhuber1) Wie kamen Sie zum Schreiben?
Schon seit ich denken kann, schwirren in meinem Kopf Geschichten herum. Als ich endlich lesen und schreiben gelernt hatte, begann ich, einige dieser Geschichten und Gedichte aufzuschreiben. Es fühlte sich stets einfach nur richtig und gut an, wenn ich einen Stift in der Hand hatte, oder später dann an der Schreibmaschine oder am Computer saß. Doch die Vorstellung, selber eine Autorin zu werden, war für mich damals ein unerreichbarer Traum. Ich erlernte einen kaufmännischen Beruf, gründete eine Familie und erfand weiterhin nur für mich oder meine Familie Geschichten.
Ich lernte über das Schreiben, was ich nur lernen konnte, wagte endlich auch, meine Ideen zu verschicken und als die ersten positiven Resonanzen kamen, bestärkten sie mich in dem Entschluss, diesen Weg weiter zu gehen. Es gab erste kleine Aufträge fürs Fernsehen, ich entwickelte Drehbücher für Image und Werbefilme und schrieb für die Zeitung. Lenes Suche nach den bairischen Worten für „Ich liebe dich" sah ich zunächst als Drehbuch. Doch als ich mich ans Exposé machte, bekam ich plötzlich große Lust, diese Geschichte als Roman zu schreiben.
2) Sie haben bereits langjährige Erfahrung im Drehbuchschreiben. „Liebesschmarrn und Erdbeerblues" ist Ihr erster Roman. Was war die große Herausforderung beim Schreiben des Romans?
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Die große Herausforderung war für mich die völlig andere Art, eine Geschichte zu schreiben. Während man in einem Drehbuch neben den Dialogen nur knapp beschreibt, was man auch im Film sehen kann, lebt ein Roman von der Beschreibung von Gefühlen, Farben, Düften, von den Gedanken der Figuren, usw. Diese Art zu schreiben verschaffte mir eine sehr große Freiheit, die ich zunehmend genoss.
3) Wie finden Sie Ihre Themen? Und wie sind Sie auf die Idee zu „Liebesschmarrn und Erdbeerblues" gekommen?
Das ist immer völlig unterschiedlich. Ich sehe etwas, zum Beispiel einen Zettel, der an einer Pinnwand im Supermarkt hängt oder höre ein Lied, lese einen Bericht in der Zeitung, beobachte Menschen in meiner Umgebung oder schöpfe einfach aus dem, was ich alles so erlebt habe oder wie ich mich gerade fühle und plötzlich ist eine Idee da.
Die Idee zu „Liebesschmarrn und Erdbeerblues" kam mir, während ich die Betten frisch bezog. Bei der Hausarbeit kann ich meine Gedanken immer besonders gut schweifen lassen. Ich dachte über mein Leben als alleinerziehende Singlefrau nach und dass es schön wäre, wieder einmal zu einem Mann „Ich liebe dich" zu sagen. Und da fiel mir plötzlich auf, wie schwer es mir sogar in Gedanken fiel, auf bayrisch „Ich liebe dich" zu sagen. In diesem Moment wusste ich, dass ich gerne eine Geschichte über eine Frau schreiben möchte, die auf der Suche nach den bayerischen Liebesworten von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpert und erst einmal etwas Wichtiges über sich selbst lernen muss, bevor sie sich wirklich auf die Liebe einlassen kann. Es sollte eine Komödie sein. Das ursprüngliche Exposé war innerhalb von zwei Tagen geschrieben, wobei sich beim Schreiben des Romans doch noch einiges geändert hat.
4) Lene ist ein sehr emotionaler, impulsiver Mensch. Sie ist auf dem Land aufgewachsen und kocht gerne. Wie viel Lene steckt in Ihnen?
Das Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, ist nicht so ländlich wie bei Lene. Wie viel von ihr tatsächlich in mir steckt, versuche ich selbst noch immer herauszufinden, wobei ich schon auch sehr impulsiv sein kann.
Natürlich fließen Erfahrungen, die man im Laufe des Lebens gemacht hat, in die Figuren mit ein. Auch ich habe ein Elternteil sehr früh verloren und das prägt einen Menschen. Was die Liebe zum Kochen betrifft, teile ich diese schon sehr mit Lene.
5) Lene verlässt ihren Freund, weil er ihr eine Liebeserklärung macht, die sie für unangemessen hält. In „Liebesschmarrn und Erdbeerblues" geht es letztlich darum, dass man auf Bayerisch nicht „Ich liebe Dich" sagt. Warum ist Ihr Buch auch für Leser jenseits des Weißwurstäquators eine lohnende Lektüre?
Mit ihrer Suche nach den bayerischen Worten für „Ich liebe Dich" lenkt Lene sich selbst nur von ihren Ängsten ab, sich auf die Liebe einzulassen. Doch letztlich möchte sie nichts anderes als ihre Geschlechtsgenossinnen in Hamburg, Leipzig, Wien oder überall auf dieser Welt: Sie möchte den richtigen Mann finden und ihm auf welche Weise auch immer sagen, dass sie ihn liebt, wenn der passende Zeitpunkt dafür da ist.
6) Wollen Sie uns ein wenig über sich erzählen - Ihre Hobbies, Lebenssituation, Ihren Traum vom Glück, was Sie ärgert, welche Gabe sie gerne besäßen...?
Ich lebe als alleinerziehende Mutter und mit einem gefräßigen Kater an einem kleinen Ort nahe der wunderschönen Donau. Für Hobbies habe ich nicht allzu viel Zeit, doch neben Lesen und Kinobesuchen schwimme ich sehr gerne und spiele ab und zu mit guten Freunden Schafkopf. Außerdem liebe ich es, mit meinem älteren Sohn gemeinsam neue Rezepte zu kreieren.
7) Ihr Traum vom Glück:
Mein Traum vom Glück ist die Summe von möglichst vielen großen und kleinen beruflichen und privaten Glücksmomenten in meinem Leben. Naja, und vielleicht gibt es auch nochmal eine neue glückliche Liebe für mich.
Die große Herausforderung war für mich die völlig andere Art, eine Geschichte zu schreiben. Während man in einem Drehbuch neben den Dialogen nur knapp beschreibt, was man auch im Film sehen kann, lebt ein Roman von der Beschreibung von Gefühlen, Farben, Düften, von den Gedanken der Figuren, usw. Diese Art zu schreiben verschaffte mir eine sehr große Freiheit, die ich zunehmend genoss.
3) Wie finden Sie Ihre Themen? Und wie sind Sie auf die Idee zu „Liebesschmarrn und Erdbeerblues" gekommen?
Das ist immer völlig unterschiedlich. Ich sehe etwas, zum Beispiel einen Zettel, der an einer Pinnwand im Supermarkt hängt oder höre ein Lied, lese einen Bericht in der Zeitung, beobachte Menschen in meiner Umgebung oder schöpfe einfach aus dem, was ich alles so erlebt habe oder wie ich mich gerade fühle und plötzlich ist eine Idee da.
Die Idee zu „Liebesschmarrn und Erdbeerblues" kam mir, während ich die Betten frisch bezog. Bei der Hausarbeit kann ich meine Gedanken immer besonders gut schweifen lassen. Ich dachte über mein Leben als alleinerziehende Singlefrau nach und dass es schön wäre, wieder einmal zu einem Mann „Ich liebe dich" zu sagen. Und da fiel mir plötzlich auf, wie schwer es mir sogar in Gedanken fiel, auf bayrisch „Ich liebe dich" zu sagen. In diesem Moment wusste ich, dass ich gerne eine Geschichte über eine Frau schreiben möchte, die auf der Suche nach den bayerischen Liebesworten von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpert und erst einmal etwas Wichtiges über sich selbst lernen muss, bevor sie sich wirklich auf die Liebe einlassen kann. Es sollte eine Komödie sein. Das ursprüngliche Exposé war innerhalb von zwei Tagen geschrieben, wobei sich beim Schreiben des Romans doch noch einiges geändert hat.
4) Lene ist ein sehr emotionaler, impulsiver Mensch. Sie ist auf dem Land aufgewachsen und kocht gerne. Wie viel Lene steckt in Ihnen?
Das Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, ist nicht so ländlich wie bei Lene. Wie viel von ihr tatsächlich in mir steckt, versuche ich selbst noch immer herauszufinden, wobei ich schon auch sehr impulsiv sein kann.
Natürlich fließen Erfahrungen, die man im Laufe des Lebens gemacht hat, in die Figuren mit ein. Auch ich habe ein Elternteil sehr früh verloren und das prägt einen Menschen. Was die Liebe zum Kochen betrifft, teile ich diese schon sehr mit Lene.
5) Lene verlässt ihren Freund, weil er ihr eine Liebeserklärung macht, die sie für unangemessen hält. In „Liebesschmarrn und Erdbeerblues" geht es letztlich darum, dass man auf Bayerisch nicht „Ich liebe Dich" sagt. Warum ist Ihr Buch auch für Leser jenseits des Weißwurstäquators eine lohnende Lektüre?
Mit ihrer Suche nach den bayerischen Worten für „Ich liebe Dich" lenkt Lene sich selbst nur von ihren Ängsten ab, sich auf die Liebe einzulassen. Doch letztlich möchte sie nichts anderes als ihre Geschlechtsgenossinnen in Hamburg, Leipzig, Wien oder überall auf dieser Welt: Sie möchte den richtigen Mann finden und ihm auf welche Weise auch immer sagen, dass sie ihn liebt, wenn der passende Zeitpunkt dafür da ist.
6) Wollen Sie uns ein wenig über sich erzählen - Ihre Hobbies, Lebenssituation, Ihren Traum vom Glück, was Sie ärgert, welche Gabe sie gerne besäßen...?
Ich lebe als alleinerziehende Mutter und mit einem gefräßigen Kater an einem kleinen Ort nahe der wunderschönen Donau. Für Hobbies habe ich nicht allzu viel Zeit, doch neben Lesen und Kinobesuchen schwimme ich sehr gerne und spiele ab und zu mit guten Freunden Schafkopf. Außerdem liebe ich es, mit meinem älteren Sohn gemeinsam neue Rezepte zu kreieren.
7) Ihr Traum vom Glück:
Mein Traum vom Glück ist die Summe von möglichst vielen großen und kleinen beruflichen und privaten Glücksmomenten in meinem Leben. Naja, und vielleicht gibt es auch nochmal eine neue glückliche Liebe für mich.
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Bibliographische Angaben
- Autor: Angelika Schwarzhuber
- 2012, Originalausgabe, 352 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442379555
- ISBN-13: 9783442379552
- Erscheinungsdatum: 11.07.2012
Rezension zu „Liebesschmarrn und Erdbeerblues “
"Der Regionalkrimi war gestern - Regionalromantik ist heute!"
Pressezitat
"Toller Roman mit viel Witz und Herz." Lea
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