Liebeswunder und Männerzauber / Stephanie Plum. Holiday Novella Bd.2
...
Verzaubern und verzaubern lassen!
Expertin in Sachen Liebe ist Stephanie Plum eigentlich nicht, trotzdem soll ausgerechnet sie für die Partnervermittlerin Annie Hart einspringen. Eine Idee, die so absurd ist, dass sie eigentlich nur von ihrem speziellen Freund Diesel kommen kann. Dieser hat die Angewohnheit, unverhofft in Stephanies Leben aufzutauchen und es gründlich auf den Kopf zu stellen. Aber wenn es sein muss, wird Stephanie auch zur Liebesfee. Leider bleibt ihr nur noch wenig Zeit bis zum Valentinstag, und fünf schwerwiegende Fälle von chronischem Single-Dasein müssen bis dahin gelöst sein. Stephanie stürzt sich also mit Herz und Schwung in die Arbeit, bis sie merkt, dass das nicht jedem gefällt. Mit der Liebe sollte man eben nicht spaßen, schon gar nicht, wenn man Stephanie Plum heißt und einem das Chaos im Blut liegt.
1
Männer sind wie Schuhe. Manche passen besser als andere.
Manchmal macht man einen Einkaufsbummel und findet
rein gar nichts, was einem gefällt. Und dann, wie es der
Zufall so will, entdeckt man eine Woche später gleich zwei
Paar, die einfach perfekt sind - nur dass man sich alle beide
auf einmal nicht leisten kann. Genau in dieser Situation
befand ich mich im Augenblick - allerdings ging es nicht
um Schuhe, sondern um Männer. Und an diesem Morgen
wurde alles nur noch schlimmer.
Vor einiger Zeit war plötzlich ein Typ namens Diesel in
meiner Küche erschienen. Wusch, war er da. Wie durch
Zauberhand. Und dann, einige Tage später, war er, wusch,
wieder verschwunden. Und nun stand er ohne Vorwarnung
wieder vor mir.
»Überraschung«, sagte er. »Ich bin wieder hier.«
Der Kerl war mindestens einsachtzig groß, hatte einen
durchtrainierten Körper, breite Schultern, tiefliegende
braune Augen und einen prüfenden Blick. Er sah so aus, als
könnte er ordentlich Gas geben, ohne dabei ins Schwitzen
zu geraten. Seine blonde Lockenmähne hatte er zwischenzeitlich
abgeschnitten. Ich schätzte ihn auf Ende zwanzig,
Anfang dreißig. Viel mehr wusste ich nicht über ihn. Mit
dem Genpool hatte er jedoch eindeutig Glück gehabt. Er
war ein attraktiver Mann mit blendend weißen Zähnen und
einem Lächeln, bei dem es jeder Frau ganz anders wurde.
Es war ein kalter Februarmorgen, und als er in meiner
Wohnung auftauchte, trug er einen bunten Schal um den
Hals, eine dicke, schwarze Winterjacke, ein verwaschenes
Thermoshirt, alte Jeans und abgewetzte Boots. Er wirkte so
missmutig wie immer. Ich wusste, dass sich unter der Jacke
ein muskulöser, athletischer Körper befand. Allerdings
war ich mir nicht sicher, ob sich hinter seinem mürrischen
Auftreten auch ein netter Mensch verbarg. Ich heiße Stephanie
Plum. Ich bin mittelgroß, mittelschwer, und für jemanden,
der aus New Jersey kommt, geht auch mein Wortschatz
in Ordnung. Mein schulterlanges Haar ist entweder
gewellt oder gelockt, je nachdem, wie feucht die Luft ist.
Meine Augen sind blau. Ich habe ungarische und italienische
Vorfahren. Meine Familie ist zwar ein wenig gestört,
aber durchaus noch als normal zu bezeichnen. Es gibt eine
Menge Dinge, die ich in meinem Leben noch tun möchte,
im Augenblick bin ich allerdings schon zufrieden, wenn
ich einen Fuß vor den anderen setzen kann und mir keine
Speckrolle über den Bund quillt, wenn ich meine Jeans zugeknöpft
habe.
Ich arbeite als Kautionsdetektivin für meinen Cousin
Vinnie, mein beruflicher Erfolg hat jedoch mehr mit Glück
und Hartnäckigkeit als mit echtem Können zu tun. Ich
wohne in einer Mietwohnung am Stadtrand von Trenton,
und mein einziger Mitbewohner ist ein Hamster namens
Rex. Also fühlte ich mich verständlicherweise bedroht, als
dieser Typ plötzlich in meiner Küche stand.
»Ich kann es nicht ausstehen, wenn du so aus heiterem
Himmel vor mir auftauchst«, erklärte ich. »Kannst du nicht
an der Tür klingeln wie jeder normale Mensch?«
»Erstens bin ich nicht normal. Und zweitens solltest du
froh sein, dass ich nicht in dein Badezimmer spaziert bin,
als du nass und nackt warst.« Er schenkte mir sein unwiderstehliches
Lächeln. »Obwohl ich nichts dagegen hätte, dich
nass und nackt zu sehen.«
»Davon kannst du nur träumen.«
»Ja«, meinte Diesel. »Das ist schon vorgekommen.«
Er steckte seinen Kopf in meinen Kühlschrank und sah
sich um. Es war nicht viel darin, aber er fand schließlich
eine letzte Flasche Bier und ein paar Scheiben Käse. Er
verspeiste den Käse und schüttete sich das Bier hinterher.
»Triffst du dich immer noch mit diesem Bullen?«
»Joe Morelli. Ja.«
»Und was ist mit dem anderen Kerl?«
»Ranger? Ja, mit dem arbeite ich immer noch zusammen.«
Ranger war mein Kopfgeldjägermentor und mehr. Der Teil
mit dem ›mehr‹ war dummerweise nicht so genau definiert.
Ich hörte ein Schnauben und ein fragendes wuff aus meinem
angrenzenden Schlafzimmer.
»Was war das?«, wollte Diesel wissen.
»Morelli arbeitet Doppelschichten, und ich kümmere
mich um seinen Hund Bob.«
Wir hörten Hundepfoten über den Boden tappen, dann
kam Bob um die Ecke geschossen und schlitterte über das
Linoleum in der Küche, bis ihm endlich die Bremsung gelang.
Bob war ein struppiges Tier mit riesigen Pfoten, hellbraunem
Fell, Schlappohren und glücklichen braunen Au-
gen. Wahrscheinlich war er ein Golden Retriever, aber bei
einem Rassewettbewerb hätte er keine Chance auf einen
Preis gehabt. Er hockte sich vor Diesels Boots auf seinen
Hintern und wedelte mit dem Schwanz.
Diesel tätschelte zerstreut Bobs Kopf, und Bob sabberte
ein wenig auf Diesels Hosenbein, in der Hoffnung, ein
Stück Käse abzubekommen.
»Ist das ein Freundschaftsbesuch, oder kommst du aus
beruflichen Gründen?«, fragte ich Diesel.
»Beruflich. Ich suche einen gewissen Bernie Beaner. Ich
muss ihn unbedingt zu fassen kriegen.«
Wenn ich Diesel glauben darf, dann gibt es auf diesem
Planeten Menschen mit Fähigkeiten, die über die Grenzen
des Normalen hinausgehen. Diese Menschen sind nicht
gerade Superhelden, sondern ganz gewöhnliche Leute, die
jedoch etwas Abgedrehtes draufhaben. Sie können zum
Beispiel eine Kuh schweben lassen oder einen Blitz verlangsamen.
Einige von ihnen sind gut, andere böse. Diesel
ist hinter den Bösen her.Vielleicht ist Diesel aber auch nur
selbst ein Spinner.
»Wo liegt das Problem?«, erkundigte ich mich.
Diesel ließ einen kleinen Rest Käse in Rexs Käfig fallen
und gab Bob ein Stück. »Beaner ist ausgerastet. Seine Ehe
ist im Eimer, und er gibt einer anderen Unerwähnbaren die
Schuld daran. Jetzt will er sie sich schnappen.«
»Unerwähnbar?«
»So nennen wir uns selbst. Es klingt besser als komische
Käuze.«
Nur geringfügig.
Bob drückte sich an Diesel und versuchte, mehr Käse
von ihm zu bekommen. Bob war ein schlaksiger, vierzig
Kilo schwerer Hund, und Diesel brachte neunzig Kilo harte
Muskelmasse auf die Waage. Da musste schon ein anderer
als Bob kommen, um Diesel durch meine Küche zu schieben.
»Und was habe ich damit zu tun?«, fragte ich Diesel.
»Ich brauche deine Hilfe.«
»Nein. Nein, nein, nein, nein, nein.«
»Du hast keine Wahl, Süße. Die Frau, nach der Beaner
sucht, steht ganz oben auf deiner Liste mit Kautionsflüchtlingen.
Und sie steht unter meinem Schutz.Wenn du deine
nicht unerhebliche Kaution wiederhaben willst, dann musst
du mir helfen.«
»Das ist ja schrecklich. Das ist Erpressung oder Bestechung
oder so etwas in der Art.«
»Ja. Finde dich damit ab.«
»Wer ist die Frau?«, wollte ich wissen.
»Annie Hart.«
»Du machst wohl Witze.Vinnie tobt wegen ihr. Ich habe
gestern den ganzen Tag damit verbracht, sie zu suchen. Sie
wird wegen bewaffneten Raubüberfalls gesucht.«
»Alles Schwindel! Vergiss es!« Diesel durchstöberte systematisch
meine Küchenschränke auf der Suche nach etwas
Essbarem, und Bob blieb ihm dicht auf den Fersen. »Jedenfalls
musste ich sie vorerst aus dem Verkehr ziehen. Sie
bleibt so lange an einem geheimen Ort, bis ich die Sache
mit dem verrückten Bernie geklärt habe.«
»Bernie ist der ... äh, Unerwähnbare, der hinter Annie
her ist?«
»Ja. Das Problem ist nur, dass Annie eine von diesen
Überzeugungstätern ist, die ihren Job sehr ernst nehmen.
Sie sieht darin ihre Berufung. Ich konnte Annie deshalb nur
dazu überreden, sich versteckt zu halten, indem ich ihr versprach,
ihr sämtliche Arbeit abzunehmen. Allerdings liegt
mir das, was sie tut, überhaupt nicht. Also übertrage ich
ihre Fälle hiermit an dich.«
»Und was springt für mich dabei heraus?«
»Du bekommst Annie. Sobald ich Bernie gefunden habe,
übergebe ich dir Annie.«
»Ich verstehe nicht, womit du mir damit einen Gefallen
tust. Wenn ich dir nicht helfe, wird Annie irgendwann aus
ihrem Versteck kommen. Ich schnappe sie mir, und mein
Job ist erledigt.«
Diesel schob seine Daumen in die Taschen seiner Jeans.
Er sah mir tief in die Augen, und seine Miene wirkte ernst.
Wie viel willst du dafür haben? Ich brauche deine Hilfe,
und jeder hat seinen Preis.Wie wäre es mit zwanzig Dollar
für jeden Auftrag, den du übernimmst?«
»Hundert, und nichts Illegales oder Lebensgefährliches.«
»Abgemacht«, stimmte Diesel zu.
Und hier ist die bittere Wahrheit: Ich hatte nichts Besseres
zu tun. Und ich brauchte Geld. Die Kautionsagentur
lief nicht gerade gut. Ich war nur hinter einem einzigen
NVGler her - so nannten wir die Leute, die auf Kaution
raus und nicht ordnungsgemäß zu ihrem Gerichtstermin
erschienen waren -, und das war ausgerechnet die Frau, die
Diesel versteckt hielt.
»Und was genau soll ich tun?«, erkundigte ich mich. »In
der Kautionsvereinbarung wird ihr Beruf mit ›Beziehungsexpertin‹
angegeben.«
Diesel lachte bellend auf. »Beziehungsexpertin. Ich
schätze, das trifft es ganz gut.«
»Ich weiß nicht einmal, was das bedeutet! Was zum Teufel
ist eine Beziehungsexpertin?«
Diesel ging zu dem abgewetzten Lederrucksack, den er
auf die Arbeitsfläche in meiner Küche gepfeffert hatte, und
holte ein großes gelbes Kuvert heraus. Er reichte es mir.
»Steht alles hier drin.«
Ich öffnete den Umschlag und zog einen Packen Aktendeckel
heraus, aus denen Fotos und handbeschriebene
Blätter quollen.
»Auf den obersten Hefter hat Annie eine Zusammenfassung
für dich drangeheftet«, erklärte Diesel. »Die wichtigsten
Fälle zuerst. Sie meint, du solltest dich besser beeilen.
Bis zum Valentinstag ist es nicht mehr lange hin.«
»Und?«
»Nun ja, ich persönlich kann mit dem Valentinstag nicht
viel anfangen. All diese kitschigen Karten mit Liebespfeilen
drauf und die standardmäßigen Herzchen und Blumen -
das ist alles gar nicht mein Ding. Aber Annie ist für den
Valentinstag das, was der Weihnachtsmann für Weihnachten
ist. Sie sorgt für einen reibungslosen Ablauf. Natürlich
arbeitet Annie in einem kleineren Rahmen. Sie hat keine
zehntausend Elfen, die ihr zur Hand gehen.«
Diesel sah wirklich sehr sexy aus, aber ich hatte den Eindruck,
dass er möglicherweise nur einen Schritt von einer
dauerhaften Unterbringung in der Klapsmühle entfernt
war. »Ich verstehe immer noch nicht, welche Rolle ich dabei
spielen soll.«
»Ich habe dir gerade fünf offene Fälle gegeben. Es ist
deine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass diese fünf Personen
einen schönen Valentinstag erleben.«
Oh, Mann.
»Hör zu, ich weiß, das ist schwachsinnig«, meinte Diesel.
»Aber es lässt sich leider nicht ändern. Jetzt brauche ich
aber erst mal ein ordentliches Frühstück. Wenn ich nicht
sofort was zu essen kriege, geht mir der Saft aus. Lass uns
was frühstücken gehen. Danach werde ich Bernie suchen,
und du wirst dich schön brav durch Annies Liste arbeiten.«
Ich befestigte die Leine an Bobs Halsband, und wir drei
gingen die Treppe hinunter und hinaus zu meinem Wagen.
Ich fuhr einen gelben Ford Escape, der sich hervorragend
zum Transport von Verbrechern und Hunden wie Bob eignete.
»Nimmst du Bob überall mit hin?«, erkundigte sich Diesel.
»Beinahe.Wenn ich ihn zu Hause lasse, fühlt er sich einsam
und zerbeißt die Möbel.«
Vierzig Minuten später vertilgte Diesel den Rest eines
riesigen Bergs aus Rührei, Speck, Pfannkuchen, Bratkartoffeln
und Sauerteigtoast mit Marmelade ... alles in Ahornsirup
ertränkt.
Ich bestellte ein ähnliches Frühstück, musste aber nach
einem Drittel bereits aufgeben. Ich schob den Teller beiseite
und bat darum, mir den Rest zum Mitnehmen einzupacken.
Während ich meinen Kaffee trank, blätterte ich
in der ersten Akte. Charlene Klinger. Zweiundvierzig Jahre
alt. Geschieden. Vier Kinder im Alter von sieben, acht,
zehn und zwölf. Sie arbeitete im Kraftfahrzeugamt. Auf
dem beiliegenden, nicht sehr schmeichelhaften Schnappschuss
blinzelte sie in die Sonne. Sie trug Turnschuhe, eine
leger geschnittene Hose und einen Pullover, der kaum verbarg,
dass sie gut zehn Kilo Übergewicht hatte. Ihr Gesicht
wirkte sympathisch. Kein Make-up. Keine aufwändige Frisur.
Das kurze braune Haar war hinter die Ohren gestrichen.
Ihr Lächeln wirkte angespannt, so, als hätte sie Wichtigeres
zu tun, als für dieses Foto zu posieren. In Charlenes
Akte befanden sich weitere vier Seiten. Harvey Nolen,
Brian Seabeam, Lonnie Brownowski, Steven Klein. Auf
jedem Blatt war mit rotem Filzstift quer der Vermerk ABGELEHNT
angebracht. Auf der Rückseite der Akte klebte
eine Haftnotiz mit dem Spruch: FÜR JEDEN TOPF GIBT
ES EINEN DECKEL. Ich nahm an, dass Annie sich damit
selbst Mut machen wollte. Und unter dem ersten Zettel
klebte noch eine zweite Haftnotiz: CHARLENES WAHRE
LIEBE FINDEN!!! stand darauf. Ein Einsatzbefehl.
Ich seufzte tief und schlug die Akte zu.
»Hey, es hätte schlimmer kommen können«, meinte Diesel.
»Du könntest auch einen Ausreißer jagen müssen, der
glaubt, die Jagdzeit für Kopfgeldjäger sei eröffnet. Solange
du sie nicht total nervst, wird Charlene wahrscheinlich
nicht auf dich schießen.«
»Ich weiß nicht, womit ich anfangen soll.«
Diesel stand auf und warf ein paar Geldscheine auf den
Tisch. »Das wirst du schon noch herausfinden. Ich werde
später nach dir sehen.«
»Warte«, sagte ich rasch. »Wegen Annie Hart ...«
»Später«, erwiderte Diesel. Und mit drei Schritten durchquerte
er den Raum und marschierte zur Tür hinaus. Bis
ich auf dem Parkplatz eintrudelte, war von Diesel keine
Spur mehr zu sehen. Glücklicherweise hatte er sich meinen
Wagen nicht unter den Nagel gerissen. Es stand immer
noch auf dem Parkplatz, und Bob starrte mich durch
das Rückfenster an. Anscheinend begriff er, dass sich in der
Styroporschachtel in meiner Hand Essbares für ihn befand.
Das Kautionsbüro ist ein kleines Ladenlokal in der Hamilton
Avenue, mit dem Auto nur zehn Minuten von dem Restaurant
entfernt. Ich parkte direkt davor und ging hinein.
Connie Rosolli, die Büroleiterin, sah auf, als ich durch die
Tür trat. Connie ist ein paar Jahre älter als ich, einige Pfund
schwerer, einige Zentimeter kleiner, sieht wesentlich italienischer
aus und hat immer besser manikürte Fingernägel.
»Du kommst wie gerufen«, meinte Connie. »Ich wollte
dich gerade anrufen.Vinnie flippt aus wegen Annie Hart.«
Vinnies Frettchengesicht tauchte am Türrahmen seines
weiter hinten liegenden Büros auf. »Und?«, fragte er.
»Und was?«
»Sag mir, dass du sie geschnappt und hinter Gitter gebracht
hast. Sag mir, dass du mir eine Übergabebestätigung mitgebracht hast.«
»Ich habe eine Spur«, erklärte ich Vinnie.
»Nur eine Spur?« Vinnie schlug die Hände vors Gesicht.
»Du bringst mich noch um!«
Lula saß auf der Kunstledercouch und blätterte in
einer Zeitschrift. »Warum sollten wir so viel Glück haben?«,
fragte sie.
Lula ist schwarz, und ihre gut achtzig Kilo sind über
einen 1,65 Meter großen Körper verteilt. Im Augenblick
trug sie ein rotes, knallenges Shirt, auf dem in schillernder
goldfarbener Schrift LECK MICH stand, eine Jeans, die an
den Nähten mit Strasssteinen besetzt war und die so aussah,
als ob sie jeden Moment platzen würde, und Stiefel mit
zehn Zentimeter hohen Absätzen. Lula macht die Ablage
im Büro, wenn ihr danach zumute ist, und wenn ich Unterstützung
brauche, begleitet sie mich.
»Was steht sonst noch an?«, fragte ich Connie.
»Nichts Neues. Annie Harts Kaution ist die Einzige, die
aussteht. Um diese Zeit im Jahr herrscht immer Flaute. Die
Cracksüchtigen haben sich über Weihnachten allesamt umgebracht,
und für die Nutten und Drogendealer ist es noch
zu kalt, um an den Straßenecken rumzustehen. Die einzigen
Verbrechen, die im Augenblick begangen werden, sind
Schießereien zwischen Gangs, und diese Idioten wandern
ohne Kaution in den Knast.«
»Das Geschäft läuft so schlecht, dass Vinnie auf Kreuzfahrt
geht«, warf Lula ein.
»Ja, und die Reise ist nicht billig«, erklärte Vinnie. »Also
beweg deinen Arsch und find mir endlich diese Annie Hart.
Wenn das mit ihrer Kaution in die Hose geht, werde ich
einen Schlaganfall vortäuschen und meine Reiseversicherung
einkassieren müssen. Und das würde Lucille gar nicht
gefallen.«
Lucille ist Vinnies Frau. Ihr Vater ist Harry der Hammer,
und während Harry vielleicht noch Verständnis für ein verbotenes
Schäferstündchen aufbringen würde, würde er es
auf keinen Fall gern sehen, wenn Lucille um diese Kreuzfahrt
betrogen würde.
»Es ist eine dieser Champagnerfahrten zum Valentins
tag«, erklärte Vinnie. »Lucille hat ihre Koffer bereits gepackt.
Sie glaubt, dass die Reise unsere Ehe neu beleben wird.«
»Sie wird eure Ehe nur beleben, wenn Lucille Handschellen,
eine Peitsche und ihren Freudenspender mitnimmt«,
meinte Lula.
»Na und?«, erwiderte Vinnie. »Ich habe nun einmal einen
ausgefallenen Geschmack.«
Wir verdrehten alle die Augen.
»Ich muss los«, sagte ich zu Connie. »Ich bin auf meinem
Handy zu erreichen, falls du mich brauchst.«
»Ich komme mit dir«, verkündete Lula und griff nach
ihrer Umhängetasche, einem Prada-Imitat. »Ich habe das
Gefühl, als ob ich heute Glück haben könnte. Ich wette, ich
werde Annie Hart sofort aufspüren.«
»Danke«, sagte ich zu Lula, »aber ich schaffe das schon
allein.«
»Verdammt, stell dir vor, du musst dich in eins dieser
heruntergekommenen Stadtviertel wagen und brauchst jemanden,
der dich beschützt. Das würde ich dann übernehmen.
Oder du musst dich in dem neuen Laden an der State
Street für einen der vielen Donuts entscheiden. Auch dann
wäre ich die Richtige.«
Ich warf Lula einen Blick zu. »Du willst damit wohl sagen,
dass du den neuen Donut-Shop an der State Street ausprobieren
willst, richtig?«
»Ja«, gab Lula zu. »Aber nur, wenn du ganz dringend
einen Donut brauchst.«
Fünfzehn Minuten später startete ich den Wagen vor dem
Donut Delish und fuhr in Richtung Kraftfahrzeugamt.
»Ich kann es nicht fassen, dass du keinen dieser Donuts
essen willst«, meinte Lula und hielt die Tüte mit dem Gebäck
auf ihrem Schoß fest. »Die sind Spitzenklasse. Sieh dir
nur diesen mit den rosa und gelben Sprenkeln an. Das ist
mit Sicherheit der glücklichste Donut, den ich jemals gesehen
habe.«
»Ich hatte ein ziemlich üppiges Frühstück und bin immer
noch satt.«
»Schon, aber wir reden hier über erstklassige Donuts.«
Bob saß hinten auf der Ladefläche des Escape. Sein Kopf
hing über den Rücksitz, und er schnaufte in unsere Richtung.
»Dieser Hund könnte ein Pfefferminzbonbon vertragen«,
meinte Lula.
»Versuch es mit einem Donut.«
Lula warf Bob einen Donut zu, und Bob schnappte ihn
sich aus der Luft und hockte sich hin, um ihn genüsslich zu
verspeisen.
»Wo zur Hölle fahren wir hin?«, wollte Lula wissen. »Ich
dachte, wir machen uns auf die Suche nach Annie Hart.
Wohnt sie nicht in North Trenton?«
»So einfach ist das nicht. Ich musste mich auf einen Handel
einlassen. Annie Hart ist für mich unerreichbar, bis ich
ihre Fälle erledigt habe.«
»Willst du mich verarschen? Und was soll das überhaupt
bedeuten? Heißt das, dass du jetzt ihren Job machst? Das
kann ich mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen. Ich habe ihre
Akte gelesen. Sie hat ›Beziehungsexpertin‹ als ihren Beruf
angegeben, und für mich ist das ein anderer Ausdruck für
Nutte.«
»Falsch. Es geht eher um Partnervermittlung. Die erste
Kandidatin auf meiner Liste ist eine gewisse Charlene Klinger.
Sie ist zweiundvierzig und geschieden, und wir müssen
für sie ihre wahre Liebe finden.«
»Wahre Liebe, meine Güte. Das ist knifflig. Bist du sicher,
dass sie nicht mit schmutzigem, heißem Sex zufrieden
wäre? Dafür könnte ich mit ein paar Namen dienen.«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass es die wahre Liebe sein
muss.«
2
Charlene Klinger stand im Kraftfahrzeugamt hinter dem
Schalter für Zulassungen. In natura sah sie hübscher aus.
Ihr Haar brauchte einen neuen Schnitt, aber es war dicht
und glänzend und stand ihr gut. Sie hatte ein freundliches
Gesicht und lächelte häufig. Nach dreißig Minuten in der
Schlange hatten wir uns zentimeterweise zu ihr vorgeschoben.
Ich stellte mich als Charlene vor und erklärte, dass ich
für Annie Hart einsprang.
»Diese Frau ist irre«, verkündete Charlene. »Ich weiß
nicht, woher sie gekommen ist, aber es ist ein Glück, dass
ich sie los bin. Und ich brauche keinen Ersatz für diese Verrückte.
Mir geht es gut. Ich will keinen Mann in meinem
Leben - ich habe schon genügend Probleme am Hals.«
»Haben Sie denn Annie Hart nicht damit beauftragt?«
»Nein, verdammt. Sie ist eines Tages einfach in meiner
Küche aufgetaucht. Das passiert mir ständig. Die Kinder
lassen die Tür offen, und bevor ich mich versehe, schleichen
sich einige halbverhungerte Katzen in mein Haus und
lassen sich nicht mehr vertreiben.«
»Ich war der Meinung, Sie wollten Ihre wahre Liebe finden
«, hielt ich Charlene entgegen.
Charlene warf einen Blick auf den Puderzucker, der auf
Lulas Brust gerieselt war. »Eine Tüte Donuts wäre mir lie-
ber. Dafür muss man sich nicht die Beine rasieren.«
»Das können Sie laut sagen!«, stimmte Lula ihr zu.
»Wenn Sie kein Auto an- oder ummelden wollen, müssen
Sie jetzt Platz machen für den Nächsten in der Schlange«,
erklärte Charlene. »Sie halten sonst den Betrieb zu lange
auf, und dann werden die Leute ganz schnell ungeduldig
und fangen an zu maulen.«
Lula und ich verließen das Gebäude und eilten zurück zu
meinem Wagen. Es war eiskalt, und wir senkten die Köpfe,
um uns vor dem Wind zu schützen.
»Und nun?«, fragte Lula.
Ich schlüpfte hinter das Lenkrad und zog eine weitere
Akte aus dem Kuvert. »Ich habe noch mehr davon.«
Lula holte einen Donut aus der Tüte. »Ich auch.«
»Gestern hast du mir gesagt, dass du eine Diät machen
wolltest.«
»Ja, aber es handelt sich um etwas Neues. Es nennt sich
Nachmittagsdiät. Du darfst bis zum Mittag alles essen. Danach
beginnt die Diätphase.«
»Der Nächste ist Gary Martin. Er hat eine Tierarztpraxis
an der Route 1. War nie verheiratet. Der Mann sieht recht
nett aus.« Ich reichte Lula sein Foto.
»Er sieht aus wie ein Vollidiot«, erklärte Lula. »Er trägt
eine Fliege und hat sich die Haare quer über den Schädel
gekämmt. Der braucht keinen Partnervermittler, sondern
eine Frau mit einer Schere.«
Ich legte den ersten Gang ein und rollte langsam über
den Parkplatz. »In Annies Akte steht, dass er Hilfe dabei
braucht, seine Freundin zurückzugewinnen.«
»Und wir sollen ihm dabei helfen? Entschuldige bitte,
wenn ich das etwas skeptisch betrachte, aber es sieht nicht
so aus, als wären wir Experten, was Partnerschaften betrifft.
Ich verabrede mich nur mit Versagern, und du leidest
unter Bindungsproblemen. Du kannst dich noch nicht einmal
entscheiden, mit wem du eine feste Bindung eingehen
willst. Also treibst du es sowohl mit Morelli als auch mit
Ranger.«
»Das tue ich nicht.«
»In Gedanken treibst du es sehr wohl mit beiden.«
»Das zählt nicht. Jeder hat in Gedanken mehrere Liebhaber.
Halt die Augen nach der Städtischen Tierklinik offen.«
Das Wartezimmer der Städtischen Tierklinik war hell und
freundlich und glänzte vor Sauberkeit. Und es waren keine
Patienten da. Hinter einem großen, umlaufenden Schreibtisch
saß eine junge Frau. Auch sie war äußerst sauber gekleidet,
sah aber nicht sehr fröhlich aus.
»Hi«, grüßte Lula. »Ich bin Lula, und das ist die weltberühmte
Stephanie Plum. Wir würden gern Gary Martin
sprechen.«
»Er ist im Operationssaal«, erwiderte die Frau. »Die
Sprechstunde beginnt um ein Uhr.«
»Vielleicht könnte er sich zwischen den Operationen Zeit
für uns nehmen«, meinte Lula. »Es handelt sich um eine
persönliche Angelegenheit.«
»Dr. Martin wünscht nicht gestört zu werden, wenn er
operiert.«
»Schauen Sie, es geht um Folgendes«, begann Lula. »Drau
Copyright © der Originalausgabe
2007 by Evanovich, Inc.
All rights reserved.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Die Nutzung des Labels Manhattan erfolgt
mit freundlicher Genehmigung
des Hans-im-Glück-Verlags, München
Satz: Uhl + Massopust,Aalen
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
ISBN 978-3-442-54671-8
www.manhattan-verlag.de
- Autor: Janet Evanovich
- 2011, 188 Seiten, Maße: 13,6 x 20,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Laszlo, Ulrike
- Übersetzer: Ulrike Laszlo
- Verlag: MANHATTAN
- ISBN-10: 3442546710
- ISBN-13: 9783442546718
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 3Schreiben Sie einen Kommentar zu "Liebeswunder und Männerzauber / Stephanie Plum. Holiday Novella Bd.2".
Kommentar verfassen