Liebeswut
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Liebeswut von Fernanda Eberstadt
LESEPROBE
Sonntag im Central Park.
Ein ungemütlicher, windiger Nachmittag im September, für dieJahreszeit zu kalt. Windböen rissen die bräunlichen Blätter von den Eichen undPlatanen. Der Herbst lag in der Luft.
An diesem Sonntagnachmittag Mitte der neunziger Jahre saß GwendolenLewis am Modellbootteich, wo sie sich mit einer Freundin treffen wollte. Wieimmer war Gwen zu früh dran; und wie immer war ihre Freundin zu spät.
Sie hatte sich durch die restlichen Seiten derSonntagszeitung gequält (keine Neuigkeiten, nur irgendwelche blöden Storys darüber,wie man am besten sein Geld ausgibt); sie hatte sich Notizen zu ihrerGeschäftsreise gemacht, die sie am nächsten Tag antreten würde, hatte dieNachrichten auf ihrer Mailbox abgehört - darunter eine von Constance, in dersie wortreich ankündigte, sie würde sich verspäten. Sie hatte eine Tasse Kaffeehinuntergestürzt, und jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als zu warten.
Schweißglänzende Jogger. Rollerblader auf Kollisionskurs. Fahrradanhängerfür Kleinkinder mit bunten Dächern wie kleine römische Streitwagen, von Elternvorsichtig durch den Park manövriert. Und Hunde. Hunde, die schnüffelten,herumtobten, sich gegenseitig bestiegen; ihre gut aufgelegten Besitzer,zerknirscht
und in ihrSchicksal ergeben, diese flüchtige Vertrautheit mit wildfremden Leuten, mitdenen man nichts anderes gemeinsam hat, als dass sich der eigene Hund von demanderen gnädig das Hinterteil beschnüffeln lässt.
Scheißsonntage.Constance, die immer zu spät kommt. Und dieser verdammte Park mit seiner kaltenGeometrie, ausgerichtet auf die Bedürfnisse von Geschöpfen - Hunden, kleinenKindern, Sportlern -, die in einer Großstadt sowieso nichts zu suchen haben.
Constancewar Engländerin, lebte in Singapur und war drei Blocks weiter im Carlyleabgestiegen. Warum hatten sie und Gwen sich eigentlich nicht gleich in derBemelmans Bar unten im Hotel verabredet - einem dunklen, verschwiegenen Platz,in dem weder Tiere noch Männer auf Rollerskates zugelassen waren? Außerdem würdees gleich anfangen zu regnen.
Und da kamsie, zweiundzwanzig Minuten nach der verabredeten Uhrzeit: Constance.
Gwen sah,wie sie oben auf dem Hügel durch die Menschenmenge zu ihr herunterkam: denlangen, rotblonden Zopf lässig über einer Schulter, mit ihren weißen Kordhosenganz im Schulmädchen-Look, und wie immer war da etwas unfassbar Provokantes,Spöttisches an der Art, wie sie mit dem Hintern wackelte. Diese heitereSorglosigkeit, die verkündete: Es gibt nur zwölf Leute auf der ganzen Welt,die mir wirklich etwas bedeuten ...
Ein dickerSchmatz auf den Mund, eine feste Umarmung; einen Moment lang schmiegten sie dasGesicht in das Haar der anderen, als wollten sie ihren ganzen Kummer darüber,dass sie Tausende von Kilometern voneinander weg wohnten und sich nur dreimal imJahr sahen, ungeschehen machen.
«Warumkommst du so spät?»
Constance ließ sich neben ihr auf die Bank fallen. «Ichhabe den Fehler gemacht, die Kinder anzurufen. (Sie sind bei meinen Eltern.)Ruby wollte unbedingt, dass ich ihr was von Noddy vorlese. Ich sage zu ihr:<Liebling, ich weiß auch nicht, warum, aber ich habe kein einzigesNoddy-Buch mit nach New York genommen.> Da sagt sie: <Hier ist das Buch.Lies doch.> Ziemlich schwierig, einer Zweijährigen ein technischesHilfsmittel zu erklären, mit dem du zwar hören kannst, aber nicht sehen. Wasmöchtest du - noch einen Kaffee?»
Die beidenFrauen kauften am Kiosk Cappuccinos und schlenderten gegen den Uhrzeigersinnum den Teich. Bei der Statue von Alice im Wunderland, auf der Gwen und ihrBruder als Kinder herumgeklettert waren, blieben sie stehen. Zwanzig MillionenJahre war das her. Gwen betrachtete die bronzene Alice und war, ohne es zuwollen, beeindruckt von der ausladenden Anmut der beschürzten Riesin. Eineliegende Sphinx, mit Augen so groß wie Bälle. Unsere Alice, die du bist imWunderland; lebendige Kinder, die von ihren Gliedmaßen herabhingen wie dieVerdammten und die Geretteten aus der Bibel.
«Sollen wiruns hinsetzen?» Constance, die offenbar ihre eigenen Sprösslinge vermisste,wollte den Kindern anderer Leute beim Spielen zusehen.
Sie setztensich. Auf der nächsten Bank lag ein bärtiger Mann und schlief, eine Zeitungunter dem Kopf. Was war das wohl für einer - ein Penner oder jemand, der amhelllichten Tag seinen Rausch ausschlief? Er schlief, beschloss Gwen. Pennersah man fast keine mehr in der City. Giuliani hatte sie alle verfrachtet - wohineigentlich? Vielleicht war ja geplant, mit ihnen ein neues Australien zubesiedeln.
«Du fährstalso morgen nach Russland. Ich bin froh, dass ich dich noch sehe.»
Gwen nahmeinen Schluck und nickte. «Ich auch. Du fehlst mir. Ich hab das Gefühl, ich habgar keine Freunde mehr. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich mit meinemComputer rede.» (...)
© KindlerVerlag
Übersetzung:Judith Schwaab
- Autor: Fernanda Eberstadt
- 2005, 1, 688 Seiten, Maße: 14,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Schwaab, Judith
- Verlag: Kindler
- ISBN-10: 3463404648
- ISBN-13: 9783463404646
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