Maralinga - Pfade der Träume
Ein junge mutige Frau, die zwischen Wahrheit, Leidenschaft und Intrigen steht.
Damit hat Elisabeth nicht gerechnet. Gerade hat sich die junge Journalistin in den 1950er Jahren in Daniel verliebt, da muss er nach Australien. Was ist...
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Produktinformationen zu „Maralinga - Pfade der Träume “
Ein junge mutige Frau, die zwischen Wahrheit, Leidenschaft und Intrigen steht.
Damit hat Elisabeth nicht gerechnet. Gerade hat sich die junge Journalistin in den 1950er Jahren in Daniel verliebt, da muss er nach Australien. Was ist das für eine Aufgabe, die er in der Wüste von Maralinga übernehmen muss und über die er ihr nichts erzählen darf? Elizabeth wird misstrauisch und macht sich selbst in die Wüste auf. Dort stößt sie auf ein geheimes Projekt, das die Traumpfade der Aborigines bedroht. Und das letztlich die ganze Welt aus ihrer Ordnung bringen könnte.
"Die dramatische Handlung ist wunderbar mit einer großen Liebesgeschichte verwoben."
WOMENS'S WEEKLY
Klappentext zu „Maralinga - Pfade der Träume “
1956: Die junge Engländerin Elizabeth begegnet Daniel, der sie stürmisch umwirbt, bevor er nach Australien geht. Er darf Elizabeth nichts über seine Aufgabe in der Wüste von Maralinga sagen. Er muss auch über das Unrecht schweigen, das dort geschieht. Als Elizabeth plötzlich die Nachricht von seinem Tod erhält, bricht sie selbst auf nach Maralinga, um Antworten zu suchen. Sie stößt auf ein Geheimprojekt, das nicht nur die uralten Traumpfade der Aborigines zu vernichten droht, sondern die ganze Welt aus den Fugen heben könnte.
Lese-Probe zu „Maralinga - Pfade der Träume “
Maralinga - Pfade der Träume von Judy Nunn... mehr
Sein Name ist Amitu, und er ist ein Kokatha aus der südlichen Wüste des Landes der Vorfahren. Er steht allein da, die Sohle des rechten Fußes ans linke Knie gedrückt, den Speer in der rechten Hand, der ihm das perfekte Gleichgewicht verleiht. Er wartet. Seit dem Morgengrauen wartet er, fühlt aber keine Müdigkeit; er ist ein starker Mann, Vater zweier strammer Söhne, ein ausgezeichneter Jäger und in seinem Stamm hoch geschätzt. Jetzt aber ist er weit entfernt von seinem Stamm. Viele Tagesmärsche trennen ihn vom Süden.
Im Traum hat die Regenbogenschlange Amitu zu den heiligen Felsen gerufen. Zehn Tage lang ist er nach Norden gezogen und dabei einem der zahlreichen Tjurkurpa-Pfade gefolgt, die nach Kata Tjuta und Uluru führen, und jetzt steht er in Pitjantjatjara, knapp einen Tagesmarsch vom Mutterfelsen aller Menschen entfernt. Die Geister wollen nicht, dass er noch weiter geht. Er weiß, dass er hier an diesem Wasserloch warten muss.
Nicht der leiseste Windhauch regt sich an diesem Tag. Das Land ist ein glatter, roter Teppich, und die Blätter der Wüstenweide hängen reglos und schlaff über dem fast ausgetrockneten Wasserloch. Die Sonne steht hoch am Himmel, die Hitze brennt, und alles ist atemlos still. Kein Vogel fliegt über ihm, kein Insekt wirbelt Staub auf, kein Tier raschelt im harten Gras in der Nähe.
Das Land wartet, denkt Amitu. Die Geister sind nah. Er spürt ihre Gegenwart und hat seine Atmung auf ein Minimum reduziert, alle Gedanken aus dem Kopf vertrieben, um die Geister zu empfangen. Er ist wie in Trance, dennoch vermag er die aufkeimende Angst nicht zu ersticken. Was ist, wenn die Geister mamu sind? Im Grunde seines Herzens glaubt er, dass die Regenbogenschlange ihn nicht gerufen hat, um ihn zu vernichten, denn er hat kein Unrecht getan, durch das er die Strafe böser Geister auf sich ziehen würde. Trotzdem fürchtet er sich.
Jetzt sieht er sie, von Westen her über die wellenförmigen Sandebenen kommend, dunkle Schatten, die in der wabernden heißen Luft tanzen. Sie kommen näher. Immer näher, bis sein gesamtes Blickfeld mit ihren tanzenden Gestalten ausgefüllt ist. Sie singen, während sie ihn umzingeln, und ihre Stimmen sind der Gesang des Landes selbst, das Echo allen Lebens. Züngelnden Flammen gleich umfangen sie seinen Körper, und das Lied, das sie singen, hüllt seinen Verstand ein. Amitu wird verschlungen. Aber er fürchtet sich nicht mehr. Er freut sich. Diese Geisterwesen sind nicht mamu. Sie sind freundliche Geisterwesen, die ihm Gutes wünschen.
Ho! Amitu, du bist geduldig,
wartest schweigend mit deinem Gesang,
wir sind vom Träumenden Wesen,
bringen dir den neuen Gesang.
Tanzen vor dir und um dich herum.
Lausche unserem tanzenden Gesang.
Tanze in uns, tanze mit uns,
Amitu, lerne diesen tanzenden Gesang.
Amitu, lerne diesen Gesang der Warnung.
Lehre deine Kinder diesen neuen Gesang.
Ho! Amitu, lehre Anangu,
lehre sie alle diesen Schicksalsgesang.
Amitu überlässt sich den Geistern. Er schließt sich ihrem Corroboree an, tanzt und singt, bis der Abend anbricht, immer weiter, die ganze Nacht hindurch. Er wiederholt den Gesang, der ihm beigebracht wird, das Lied von den Sieben Sternen, das ihm die Geistwesen vorsingen. Er versteht den Sinn des Liedes nicht, fragt aber nicht nach seiner Bedeutsamkeit. Immer wieder singt er die Wörter, bis er jedes einzelne auswendig kann.
Den ganzen nächsten Tag tanzt und singt Amitu. Dann, als die Sonne untergeht, verliert er das Bewusstsein, und die Geistwesen kommen im Traum zu ihm. Eins nach dem anderen kniet neben ihm nieder, und er hört zu, wie sie ihre Prophezeiung singend vervollständigen.
Die Geistwesen in Amitus Traum sagen eine Reihe von katastrophalen Ereignissen voraus, die in ferner Zukunft über das Land und seine Einwohner hereinbrechen werden. Zu einer Zeit, in der Männer mit weißer Haut die Welt der Kokatha bewohnen werden, die Welt der Pitjantjatjara und Yankuntjatjara, sowie vieler anderer, die durch das Land der Vorfahren streifen.
Sieben Sterne werden geboren, erzählen die Geister Amitu: sieben Geburten, und eine jede wird die anderen an zerstörerischer Kraft überbieten wollen. Licht wird aufblitzen, so hell, dass alle, die direkt hineinschauen, ihr Augenlicht verlieren werden, und jeder in den Himmel aufsteigende Stern wird eine Wolke aus Geburtsstaub nach sich ziehen, der alle tötet, auf die er fällt.
Die Geistwesen sagen voraus, dass die Erde verflucht werden wird, eine kahle Landschaft, in der kein Geschöpf überleben kann. Denn diese Sterne, so sagen sie, sind mamu. Diese neugeborenen mamu werden große Macht besitzen und vielen aus Amitus Volk den Tod bringen. Auch die Ungeborenen aus Amitus Volk werden sterben und dem Geburtsstaub zum Opfer fallen. Und das Land selbst wird mamu werden.
Amitu erwacht und ist allein. Er weint um sein Volk. Er streckt die Arme aus und fleht die Geistwesen an, bei der Großen Schlange Fürbitte einzulegen und sein Volk zu retten. Alles ist still. Er weint, und der Wüstenstaub trinkt seine Tränen.
Eine Brise bewegt die Blätter der Weide. Das Gras raschelt, und er vernimmt die Stimmen der Geistwesen, herangetragen vom Wind:
Das Lied, Amitu. Lehre deine Kinder das Lied von den Sieben Sternen. Du hast die Wörter dieses Tanzliedes gut gelernt. Einer, der weder gedemütigt noch verflucht werden kann, wird den Staub von dem Land schütteln. Ein Kind deines Volkes muss dieses Lied singen, Amitu. Erst dann werden die mamu ihren Griff lockern.
Eins
Elizabeth konnte die Begeisterung ihres Vaters für Oleander nicht begreifen. Alfred Hoffmann war von London in die grüne Grafschaft Surrey gezogen, in der prächtige Blütensträucher aller Arten gediehen, und doch hatte er sich entschieden, im imposanten Wintergarten an der Rückseite seines Hauses ausschließlich Oleander zu züchten. Einen wahren Wald aus diesen Pflanzen, in allen Formen und Größen. Einige blieben zarte Büsche, während andere bis fünf Meter in die Höhe schossen und mit ihren ledrigen Blättern an der gewölbten Kuppel des Wintergartens entlangstrichen. Ihre rosafarbenen und weißen Blüten waren nicht unattraktiv, insgesamt aber bot sich dem Betrachter ein Bild der Unordnung. Die Pflanzen waren unansehnlich, das war nicht zu leugnen, und passten überhaupt nicht zur Landschaft ringsum.
Elizabeth fand das alles verwirrend. Solange sie denken konnte, war ihr Vater Geschäftsmann gewesen, noch dazu ein äußerst erfolgreicher. Wenn er in seinem Vorruhestand ein Interesse für Gartenbau entwickelt hatte, was an sich schon überraschend war, warum beschränkte er sich dann nur auf eine Sorte? Und warum eine so einfache Pflanzenart wie Oleander, die für manche nicht viel mehr war als ein schädliches Unkraut - womöglich sogar giftig, wenn sie ihrem Kollegen bei der Zeitung Aldershot Courier-Mail Glauben schenken wollte.
»Kau bloß nicht auf den Blättern, Elizabeth«, hatte Walter sie in einer Teepause am Nachmittag gewarnt, »dir wird am Ende hundeelend.« Sie hatte gelacht, doch er hatte ihr versichert, dass er es ernst meinte.
»Was um alles in der Welt findet Daddy bloß an Oleander?«, fragte sie schließlich ihre Mutter.
»Ich habe keine Ahnung.« Marjorie Hoffmann hatte das eigenwillige Verhalten ihres Mannes fraglos hingenommen, wie immer. »Vielleicht liegt es an seiner Reiselust.« Sie bemerkte den verwirrten Blick ihrer Tochter und vollzog ihre typische, vage Handbewegung, als dirigiere sie einen Himmelschor. »Ich meine, sie sind so ... mediterran, findest du nicht?«
Mutter und Tochter waren sich äußerlich sehr ähnlich. Beide waren überdurchschnittlich groß, hatten eine stolze Haltung, dunkle Augen und rotbraunes Haar, das einen verblüffenden Kontrast zu ihrem sehr hellen Teint bildete. Sie gehörten zu den Frauen, die man im Allgemeinen als hübsch bezeichnete. Charakterlich hätten sie allerdings unterschiedlicher nicht sein können. Elizabeth fragte sich bereits, warum sie ihre Mutter überhaupt nach dem Oleander gefragt hatte. Sie hätte es besser wissen müssen.
»Die gibt es überall in Europa«, fuhr Marjorie vergnügt fort, »besonders in Italien und Griechenland. Mir selbst wäre es lieber gewesen, wenn er sich für Olivenbäume entschieden hätte - Symbolkraft und Schönheit in sich vereint. Olivenbäume hätte ich gern gemalt.« Marjorie war eine sehr begabte Aquarellmalerin; ihre Landschaften zierten die Wände so mancher kleinerer Galerie in London. »Aber was will man machen, so ist Alfred.«
Elizabeth schüttelte ungeduldig den Kopf, ließ ihre Mutter stehen und fragte ihren Vater direkt, dessen Antwort letzten Endes ebenso unergründlich, wenn auch weniger unbestimmt war als die seiner Frau.
»Ich bewundere den Oleander«, sagte er, nachdem sie ihn im Wintergarten aufgetrieben hatte, wo er mit einem Glas Rotwein saß. »So widerstandsfähig. So leidenschaftlich dem Leben zugewandt. Er widersteht Hitze und Trockenheit, weißt du, und kann überall überleben.« Anscheinend freute er sich sehr über ihr Interesse. »Dazu noch vielseitig. Ist er ein Busch oder ein Baum?« Nachdenklich strich er sich über seinen gestutzten grauen Bart und schaute zur größten Pflanze auf. »Wie du siehst, Elizabeth, kann er beides sein. Je nachdem, wie er beschnitten wird. Findest du diese Anpassungsfähigkeit nicht bewundernswert?«
Nein, dachte Elizabeth, und sie verstand auch nicht, warum ihr Vater dieser Meinung war. »Ich habe gehört, dass er giftig ist«, sagte sie auf die ihr eigene, direkte Art, »aber das stimmt wahrscheinlich nicht.«
»O doch. Die ganze Pflanze ist höchst giftig. Blätter, Zweige, Rinde - besonders der Saft. Wenn man sie isst, kann es zu Schädigungen des Magen-Darm-Trakts und des Herzens führen, die, glaube ich, sogar tödlich verlaufen können - auf jeden Fall bei Kindern, und ganz bestimmt bei Tieren.«
»Aha, das ist es also.«
Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Elizabeth grinste triumphierend. Die Apothekenkette ihres Vaters, deren Vorstandsvorsitzender er nach wie vor war, machte ihn zuallererst zu einem Geschäftsmann, änderte aber nichts an der Tatsache, dass er als bescheidener und höchst engagierter Chemiker angefangen hatte. Da war es nur natürlich, dass ein solcher Mann sich für die chemische Zusammensetzung einer womöglich tödlichen Pflanze interessierte.
»Das ist was?«
»Der Oleander. Du führst eine Studie über seine chemischen Eigenschaften durch.«
»Nein, nein.« Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Ich bezweifle, dass die toxischen Eigenschaften des Oleanders je einem medizinischen oder pharmazeutischen Zweck dienen können.« Er erwiderte jedoch ihr Lächeln mit leuchtenden Augen. »Aber du hast recht, sein Gift trägt auf jeden Fall zu seinem Reiz bei. Es ist noch ein weiteres Werkzeug in seiner Überlebensausrüstung, verstehst du. Der Oleander vergiftet alle, die ihm Schaden zufügen könnten - außerordentlich widerstandsfähig, findest du nicht?« Seine Frage war offenbar rein rhetorischer Art. »Andererseits ist Widerstandsfähigkeit der Schlüssel zum Überleben«, sagte er. »Ich glaube, ich trinke noch ein Glas Rotwein.« Ihm war deutlich anzumerken, dass er ihre Frage als beantwortet betrachtete. »Trinkst du ein Glas mit, Elizabeth?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein danke, Daddy.« Inmitten der Oleander blieb sie etwas ratlos stehen und unterdrückte einen Seufzer.
...
Übersetzung: Marion Balkenhol
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Sein Name ist Amitu, und er ist ein Kokatha aus der südlichen Wüste des Landes der Vorfahren. Er steht allein da, die Sohle des rechten Fußes ans linke Knie gedrückt, den Speer in der rechten Hand, der ihm das perfekte Gleichgewicht verleiht. Er wartet. Seit dem Morgengrauen wartet er, fühlt aber keine Müdigkeit; er ist ein starker Mann, Vater zweier strammer Söhne, ein ausgezeichneter Jäger und in seinem Stamm hoch geschätzt. Jetzt aber ist er weit entfernt von seinem Stamm. Viele Tagesmärsche trennen ihn vom Süden.
Im Traum hat die Regenbogenschlange Amitu zu den heiligen Felsen gerufen. Zehn Tage lang ist er nach Norden gezogen und dabei einem der zahlreichen Tjurkurpa-Pfade gefolgt, die nach Kata Tjuta und Uluru führen, und jetzt steht er in Pitjantjatjara, knapp einen Tagesmarsch vom Mutterfelsen aller Menschen entfernt. Die Geister wollen nicht, dass er noch weiter geht. Er weiß, dass er hier an diesem Wasserloch warten muss.
Nicht der leiseste Windhauch regt sich an diesem Tag. Das Land ist ein glatter, roter Teppich, und die Blätter der Wüstenweide hängen reglos und schlaff über dem fast ausgetrockneten Wasserloch. Die Sonne steht hoch am Himmel, die Hitze brennt, und alles ist atemlos still. Kein Vogel fliegt über ihm, kein Insekt wirbelt Staub auf, kein Tier raschelt im harten Gras in der Nähe.
Das Land wartet, denkt Amitu. Die Geister sind nah. Er spürt ihre Gegenwart und hat seine Atmung auf ein Minimum reduziert, alle Gedanken aus dem Kopf vertrieben, um die Geister zu empfangen. Er ist wie in Trance, dennoch vermag er die aufkeimende Angst nicht zu ersticken. Was ist, wenn die Geister mamu sind? Im Grunde seines Herzens glaubt er, dass die Regenbogenschlange ihn nicht gerufen hat, um ihn zu vernichten, denn er hat kein Unrecht getan, durch das er die Strafe böser Geister auf sich ziehen würde. Trotzdem fürchtet er sich.
Jetzt sieht er sie, von Westen her über die wellenförmigen Sandebenen kommend, dunkle Schatten, die in der wabernden heißen Luft tanzen. Sie kommen näher. Immer näher, bis sein gesamtes Blickfeld mit ihren tanzenden Gestalten ausgefüllt ist. Sie singen, während sie ihn umzingeln, und ihre Stimmen sind der Gesang des Landes selbst, das Echo allen Lebens. Züngelnden Flammen gleich umfangen sie seinen Körper, und das Lied, das sie singen, hüllt seinen Verstand ein. Amitu wird verschlungen. Aber er fürchtet sich nicht mehr. Er freut sich. Diese Geisterwesen sind nicht mamu. Sie sind freundliche Geisterwesen, die ihm Gutes wünschen.
Ho! Amitu, du bist geduldig,
wartest schweigend mit deinem Gesang,
wir sind vom Träumenden Wesen,
bringen dir den neuen Gesang.
Tanzen vor dir und um dich herum.
Lausche unserem tanzenden Gesang.
Tanze in uns, tanze mit uns,
Amitu, lerne diesen tanzenden Gesang.
Amitu, lerne diesen Gesang der Warnung.
Lehre deine Kinder diesen neuen Gesang.
Ho! Amitu, lehre Anangu,
lehre sie alle diesen Schicksalsgesang.
Amitu überlässt sich den Geistern. Er schließt sich ihrem Corroboree an, tanzt und singt, bis der Abend anbricht, immer weiter, die ganze Nacht hindurch. Er wiederholt den Gesang, der ihm beigebracht wird, das Lied von den Sieben Sternen, das ihm die Geistwesen vorsingen. Er versteht den Sinn des Liedes nicht, fragt aber nicht nach seiner Bedeutsamkeit. Immer wieder singt er die Wörter, bis er jedes einzelne auswendig kann.
Den ganzen nächsten Tag tanzt und singt Amitu. Dann, als die Sonne untergeht, verliert er das Bewusstsein, und die Geistwesen kommen im Traum zu ihm. Eins nach dem anderen kniet neben ihm nieder, und er hört zu, wie sie ihre Prophezeiung singend vervollständigen.
Die Geistwesen in Amitus Traum sagen eine Reihe von katastrophalen Ereignissen voraus, die in ferner Zukunft über das Land und seine Einwohner hereinbrechen werden. Zu einer Zeit, in der Männer mit weißer Haut die Welt der Kokatha bewohnen werden, die Welt der Pitjantjatjara und Yankuntjatjara, sowie vieler anderer, die durch das Land der Vorfahren streifen.
Sieben Sterne werden geboren, erzählen die Geister Amitu: sieben Geburten, und eine jede wird die anderen an zerstörerischer Kraft überbieten wollen. Licht wird aufblitzen, so hell, dass alle, die direkt hineinschauen, ihr Augenlicht verlieren werden, und jeder in den Himmel aufsteigende Stern wird eine Wolke aus Geburtsstaub nach sich ziehen, der alle tötet, auf die er fällt.
Die Geistwesen sagen voraus, dass die Erde verflucht werden wird, eine kahle Landschaft, in der kein Geschöpf überleben kann. Denn diese Sterne, so sagen sie, sind mamu. Diese neugeborenen mamu werden große Macht besitzen und vielen aus Amitus Volk den Tod bringen. Auch die Ungeborenen aus Amitus Volk werden sterben und dem Geburtsstaub zum Opfer fallen. Und das Land selbst wird mamu werden.
Amitu erwacht und ist allein. Er weint um sein Volk. Er streckt die Arme aus und fleht die Geistwesen an, bei der Großen Schlange Fürbitte einzulegen und sein Volk zu retten. Alles ist still. Er weint, und der Wüstenstaub trinkt seine Tränen.
Eine Brise bewegt die Blätter der Weide. Das Gras raschelt, und er vernimmt die Stimmen der Geistwesen, herangetragen vom Wind:
Das Lied, Amitu. Lehre deine Kinder das Lied von den Sieben Sternen. Du hast die Wörter dieses Tanzliedes gut gelernt. Einer, der weder gedemütigt noch verflucht werden kann, wird den Staub von dem Land schütteln. Ein Kind deines Volkes muss dieses Lied singen, Amitu. Erst dann werden die mamu ihren Griff lockern.
Eins
Elizabeth konnte die Begeisterung ihres Vaters für Oleander nicht begreifen. Alfred Hoffmann war von London in die grüne Grafschaft Surrey gezogen, in der prächtige Blütensträucher aller Arten gediehen, und doch hatte er sich entschieden, im imposanten Wintergarten an der Rückseite seines Hauses ausschließlich Oleander zu züchten. Einen wahren Wald aus diesen Pflanzen, in allen Formen und Größen. Einige blieben zarte Büsche, während andere bis fünf Meter in die Höhe schossen und mit ihren ledrigen Blättern an der gewölbten Kuppel des Wintergartens entlangstrichen. Ihre rosafarbenen und weißen Blüten waren nicht unattraktiv, insgesamt aber bot sich dem Betrachter ein Bild der Unordnung. Die Pflanzen waren unansehnlich, das war nicht zu leugnen, und passten überhaupt nicht zur Landschaft ringsum.
Elizabeth fand das alles verwirrend. Solange sie denken konnte, war ihr Vater Geschäftsmann gewesen, noch dazu ein äußerst erfolgreicher. Wenn er in seinem Vorruhestand ein Interesse für Gartenbau entwickelt hatte, was an sich schon überraschend war, warum beschränkte er sich dann nur auf eine Sorte? Und warum eine so einfache Pflanzenart wie Oleander, die für manche nicht viel mehr war als ein schädliches Unkraut - womöglich sogar giftig, wenn sie ihrem Kollegen bei der Zeitung Aldershot Courier-Mail Glauben schenken wollte.
»Kau bloß nicht auf den Blättern, Elizabeth«, hatte Walter sie in einer Teepause am Nachmittag gewarnt, »dir wird am Ende hundeelend.« Sie hatte gelacht, doch er hatte ihr versichert, dass er es ernst meinte.
»Was um alles in der Welt findet Daddy bloß an Oleander?«, fragte sie schließlich ihre Mutter.
»Ich habe keine Ahnung.« Marjorie Hoffmann hatte das eigenwillige Verhalten ihres Mannes fraglos hingenommen, wie immer. »Vielleicht liegt es an seiner Reiselust.« Sie bemerkte den verwirrten Blick ihrer Tochter und vollzog ihre typische, vage Handbewegung, als dirigiere sie einen Himmelschor. »Ich meine, sie sind so ... mediterran, findest du nicht?«
Mutter und Tochter waren sich äußerlich sehr ähnlich. Beide waren überdurchschnittlich groß, hatten eine stolze Haltung, dunkle Augen und rotbraunes Haar, das einen verblüffenden Kontrast zu ihrem sehr hellen Teint bildete. Sie gehörten zu den Frauen, die man im Allgemeinen als hübsch bezeichnete. Charakterlich hätten sie allerdings unterschiedlicher nicht sein können. Elizabeth fragte sich bereits, warum sie ihre Mutter überhaupt nach dem Oleander gefragt hatte. Sie hätte es besser wissen müssen.
»Die gibt es überall in Europa«, fuhr Marjorie vergnügt fort, »besonders in Italien und Griechenland. Mir selbst wäre es lieber gewesen, wenn er sich für Olivenbäume entschieden hätte - Symbolkraft und Schönheit in sich vereint. Olivenbäume hätte ich gern gemalt.« Marjorie war eine sehr begabte Aquarellmalerin; ihre Landschaften zierten die Wände so mancher kleinerer Galerie in London. »Aber was will man machen, so ist Alfred.«
Elizabeth schüttelte ungeduldig den Kopf, ließ ihre Mutter stehen und fragte ihren Vater direkt, dessen Antwort letzten Endes ebenso unergründlich, wenn auch weniger unbestimmt war als die seiner Frau.
»Ich bewundere den Oleander«, sagte er, nachdem sie ihn im Wintergarten aufgetrieben hatte, wo er mit einem Glas Rotwein saß. »So widerstandsfähig. So leidenschaftlich dem Leben zugewandt. Er widersteht Hitze und Trockenheit, weißt du, und kann überall überleben.« Anscheinend freute er sich sehr über ihr Interesse. »Dazu noch vielseitig. Ist er ein Busch oder ein Baum?« Nachdenklich strich er sich über seinen gestutzten grauen Bart und schaute zur größten Pflanze auf. »Wie du siehst, Elizabeth, kann er beides sein. Je nachdem, wie er beschnitten wird. Findest du diese Anpassungsfähigkeit nicht bewundernswert?«
Nein, dachte Elizabeth, und sie verstand auch nicht, warum ihr Vater dieser Meinung war. »Ich habe gehört, dass er giftig ist«, sagte sie auf die ihr eigene, direkte Art, »aber das stimmt wahrscheinlich nicht.«
»O doch. Die ganze Pflanze ist höchst giftig. Blätter, Zweige, Rinde - besonders der Saft. Wenn man sie isst, kann es zu Schädigungen des Magen-Darm-Trakts und des Herzens führen, die, glaube ich, sogar tödlich verlaufen können - auf jeden Fall bei Kindern, und ganz bestimmt bei Tieren.«
»Aha, das ist es also.«
Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Elizabeth grinste triumphierend. Die Apothekenkette ihres Vaters, deren Vorstandsvorsitzender er nach wie vor war, machte ihn zuallererst zu einem Geschäftsmann, änderte aber nichts an der Tatsache, dass er als bescheidener und höchst engagierter Chemiker angefangen hatte. Da war es nur natürlich, dass ein solcher Mann sich für die chemische Zusammensetzung einer womöglich tödlichen Pflanze interessierte.
»Das ist was?«
»Der Oleander. Du führst eine Studie über seine chemischen Eigenschaften durch.«
»Nein, nein.« Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Ich bezweifle, dass die toxischen Eigenschaften des Oleanders je einem medizinischen oder pharmazeutischen Zweck dienen können.« Er erwiderte jedoch ihr Lächeln mit leuchtenden Augen. »Aber du hast recht, sein Gift trägt auf jeden Fall zu seinem Reiz bei. Es ist noch ein weiteres Werkzeug in seiner Überlebensausrüstung, verstehst du. Der Oleander vergiftet alle, die ihm Schaden zufügen könnten - außerordentlich widerstandsfähig, findest du nicht?« Seine Frage war offenbar rein rhetorischer Art. »Andererseits ist Widerstandsfähigkeit der Schlüssel zum Überleben«, sagte er. »Ich glaube, ich trinke noch ein Glas Rotwein.« Ihm war deutlich anzumerken, dass er ihre Frage als beantwortet betrachtete. »Trinkst du ein Glas mit, Elizabeth?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein danke, Daddy.« Inmitten der Oleander blieb sie etwas ratlos stehen und unterdrückte einen Seufzer.
...
Übersetzung: Marion Balkenhol
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Autoren-Porträt von Judy Nunn
Judy Nunn ist eine der bekanntesten Schauspielerinnen Australiens und spielte Hauptrollen in zahlreichen TV-Serien. Auch als Bühnenschauspielerin machte sie sich in England und Australien einen Namen. Inzwischen ist sie als Romanautorin international erfolgreich. Nach "Feuerpfad", "Herzenssturm", "Traumwind" und "Gezeiten des Schicksals" ist "Maralinga" ihr neuer Erfolgsroman in Deutschland.
Bibliographische Angaben
- Autor: Judy Nunn
- 512 Seiten, Maße: 13,6 x 21,5 cm, Hochw. Broschur mit Klappeinb.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863651499
- ISBN-13: 9783863651497
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