Marco Polo, Der Besessene
''Ich habe nicht einmal die Hälfte von dem erzählt, was ich erlebt habe'', hat Marco Polo auf dem Sterbebett gesagt.
Gary Jennings zeichnet in diesen packenden Romanen den abenteuerlichen Weg Marco Polos nach: von den Palästen, Gassen und Kanälen im...
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''Ich habe nicht einmal die Hälfte von dem erzählt, was ich erlebt habe'', hat Marco Polo auf dem Sterbebett gesagt.
Gary Jennings zeichnet in diesen packenden Romanen den abenteuerlichen Weg Marco Polos nach: von den Palästen, Gassen und Kanälen im mittelalterlichen Venedig bis zum prächtigen Hof des Kubilai Khan.
- I: Von Venedig zum Dach der Welt
- II: Im Lande des Kubilai Khan
Marco Polo von GaryJennings
LESEPROBE
Kashgar erwies sich als eine Stadt vonbeachtlicher Größe mit festgebauten Herbergen, Läden undWohnhäusern. Letztere hatten nichts mit denLehmziegelunterkünften gemein, die wir in Tazhikistan gesehenhatten. In Kashgar hatte man beim Bauen Wert auf Dauerhaftigkeit gelegt, denn diese Stadt ist das WesttorKithais, durch das alle über dieSeidenstraße aus dem Westen kommenden oder dorthin ziehenden karwans hindurchmüssen. Und wir stellten fest, daß keine karwan hindurchkam, ohne zuvor angehalten worden zu sein.Ein paar farsakhs ehe wir die Stadtmauer erreichten, wurden wir voneiner Gruppe mongolischer Schildwachen an die Seite gewunken. Hinterihrer Unterkunft konnten wir unzählige rundeyurtu-Zelte erkennen; offenbar lagerte eine vollständige Armee um die Zugangswegenach Kashgar.
»Mendu, Ältere Brüder«, grüßte eine der Schildwachen, ein typischer muskulöser, häßlicher und über und über mit Waffen behängter mongolischer Krieger; doch seine Begrüßung war keineswegs unfreundlich.
»Mendu, sain bina«, antwortetemein Vater.
Ich konnte damals nicht allesverstehen, was gesprochen wurde, doch meinVater wiederholte das Gespräch später für mich auf venezianisch und erklärte mir, es habe sich um den üblichen Austausch von Höflichkeitengehandelt, zu dem es kommt, wenn zwei Gruppen einander in mongolischen Landen begegneten. Es mutete sonderbar an, derlei anmutige Höflichkeitsfloskeln aus dem Mundeines Mannes zu vernehmen, deraussah wie ein ungeschlachter, ungebildeter Kerl; denn die Wache erkundigte sich weiter höflich: »Auswelchen Landen unter dem Himmel kommtIhr?«
»Wir kommen aus den Landen weit unterdem Himmel des Westens«, antwortete mein Vater. »Und Ihr,Bruder, wo richtet Ihr Eure yurtu auf?«
»Wißt, daß mein armseliges Zelt im bok des Ilkhan Kaidu steht, deraugenblicklich hier sein Lager aufgeschlagen hat und seine Reiche von hier ausinspiziert. Älterer Bruder, auf welche Lande habt Ihr auf dem Weg hierher Euren wohltuenden Schatten geworfen?«
»Gerade jetzt kommen wir aus demhochgelegenen Pai-Mir, und zwar das Tal diesesPassagen-Flusses herunter. Überwintert haben wir in dem geschätzten Ort BuzaiGumbad, der gleichfalls unter der Herrschaft EuresHerrn Kaidu steht.«
»Wahrlich, seine Reiche erstrecken sichweit und breit, und es sind ihrer viele. Hat Friede Euren Weg begleitet?«
»Bis jetzt sind wir sicher gereist. Und Ihr, Älterer Bruder,stört nichts Euren Frieden? Sind Eure Stutenfruchtbar, und Eure Frauen?«
»Auf unseren friedlichen Weiden blühtund gedeiht es. Wohin gedenkt Eure karwan denn weiterzuziehen, Älterer Bruder?«
»Wir beabsichtigen, ein paar Tage inKashgar zu verweilen. Ist der Ort gesund?«
»Ihr mögt Euer Feuer dort in Ruhe undBehaglichkeit entzünden; die Schafe sind gemästet. Doch bevor Ihr weiterzieht,würde es den niedrigen Diener des Ilkhanerfreuen zu erfahren, welches denn das endgültige Ziel Eurer Reise sein soll.«
»Wir wollen weiter nach Osten, in die Hauptstadt Khanbalik,um unserem allerhöchsten Herrn, dem Khakhan Kubilai, unsere Aufwartung zu machen.« Mit diesen Worten nahm mein Vater denBrief heraus, den wir schon so langemit uns herumtrugen. »Hat mein Älterer Bruder sich herabgelassen, die bescheidene Kunst des Lesens zuerlernen?«
»Ach, Älterer Bruder, zu so hoher Bildung habe ich mich nieverstiegen«, sagte der Mann und nahm dasDokument an sich. »Doch selbst ichsehe und erkenne das Groß-Siegel des Khakhan. Ich bin untröstlich, erkennen zu müssen, die Weiterreise eines so hohenWürdenträgers, wie Ihr einer sein müßt, aufgehalten zu haben.«
»Ihr tut doch nur Eure Pflicht, ÄltererBruder. Aber wenn ich den Brief jetzt zurückbekommen könnte,würden wir gern weiterreiten.«
Doch die Schildwache gab ihn nichtzurück. »Mein Herr Kaidu ist zwar nur eine elende Hütte nebendem Pracht-Zelt seines Älteren Vetters, dem Khakhan Kubilai. Doch aus diesemGrunde wird es ihn verlangen, des Vorrechts teilhaftigzu werden, die geschriebenen Worte seinesVetters zu sehen und in Ehrfurcht durchzulesen. Zweifellos wird mein Herr auch den Wunsch äußern, die erlauchten Sendboten seines Herren Vetters zu empfangen und zu begrüßen. Wenn Ihr also gestattet, Älterer Bruder, werde ich ihm das Papier zeigen.«
»Wirklich, Älterer Bruder«, sagte meinVater ein wenig ungeduldig, »wir bedürfen keiner Pracht undkeiner feierlichen Begrüßung ... Wir wären dankbar, wenn wir einfach weiterreitendürften nach Kashgar, ohne irgendwelche Umstände hervorzurufen.«
Doch die Schildwache achtete seiner nicht. »Hier in Kashgarsind die Herbergen verschiedenen Arten vonGästen vorbehalten. Es gibt eine karwansarai für Pferdehändler, eine für Kornhändler ...«
»Das wissen wir bereits«, stöhnte meinOnkel Mafio. »Wir sind schon einmal hier gewesen.«
»Dann, Ältere Brüder, empfehle ichEuch jene für Durchreisende, die Herberge zuden Fünf Glückseligkeiten. Sie liegt in der Gasse der Duftenden Menschlichkeit. Jedermann in Kashgar kann Euch hin ...«
»Wir wissen, wo sie ist.«
»Dann seid bitte so freundlich, dortabzusteigen, bis der Ilkhan Kaidu Eurer Anwesenheit in seiner Pracht-yurtu erheischt.« Den Brief immer nochin der Hand, trat er einen Schritt zurück und winkte uns weiter.»Und jetzt reitet in Frieden, Ältere Brüder. Ich wünsche Euch eine gute Reise.«
Nachdem wir außer Hörweite der Schildwachegeritten waren, fluchte Onkel Mafio halblaut: »Merda mit Kruste! Müssen wir von allenmongolischen Armeen ausgerechnet auf die von Kaidu stoßen?«
»Ja«, sagte mein Vater. »OhneZwischenfall so weit gekommen zu sein, und dannausgerechnet ihm in dieArme zu laufen.«
Verdrossen nickte mein Onkel. Dann sagteer: »Wer weiß, ob wir überhaupt je weiterkommen!«
Um deutlich zu machen, warum mein Vaterund mein Onkel Ärger und Sorge bekundeten, muß ich einpaar Dinge über dieses Land Kithai erklären, indas wir nun gekommen waren. Zunächst einmal wird der Name des Landes im Abendland ganz allgemein fälschlich mit »Cathay« angegeben, woran ich nicht das geringste ändern kann. Ich würde nicht einmal einen Versuch machen, das zu tun, denn auch das richtig ausgesprochene »Kithai« ist ein Name, den die Mongolen dem Land erst vor vergleichsweise kurzer Zeit gegeben haben, nämlich fünfzig Jahre vormeiner Geburt. Dieses Land war das erste, das die Mongolen bei ihrem Sturm über die Erde eroberten; hierbeschloß Kubilai, seinen Thronaufzurichten; denn das Land ist die Nabe der vielen Speichen des weit sich dehnenden Mongolen-Reichs - genauso wie unser Venedig Dreh- und Angelpunkt für die vielen Besitzungenunserer Republik darstellt:Thessalien und Kreta, das Veneto genannte Festland und alle anderen. Dochgenauso wie die Veneti ursprünglich von anderswoher - irgendwo aus dem Norden - an die venezianische Lagune kamen, genauso kamen die Mongolen nach Kithai.
»Es gibt bei ihnen eine Legende«, sagte mein Vater, nachdemwir alle behaglich in der Kashgarer karwansarai Zu den FünfGlückseligkeiten untergekommen waren undunsere Lage besprachen. »Zwar müßte man eigentlich darüber lachen, aber die Mongolen glauben nun mal daran. Sie sagen, vor langer, langer Zeit habe einmaleine Witwe ganz allein auf denverschneiten Ebenen in einer yurtu gelebt. Da sie sich einsam fühlte,freundete sie sich mit einem blauen Wolf aus der Wildnis an, paarte sich schließlich mit ihm, und dieser Paarung entsprang der erste Ahn der Mongolen.«
Zu diesem legendären Anfang ihres Volkeskam es in einem Land, das weit nördlich von Kithai gelegen war und Sibirhieß. Ich habe Sibir nie aufgesucht und auch nie die Lust verspürt, es zu tun,denn es soll ein flaches und uninteressantesLand sein, das ewig unter Eis und Schneebegraben ist. In einem so unwirtlichen Land war es vielleicht nur natürlich,daß die verschiedenen mongolischen Stämme (von denen einer sich »die Kithai« nannte) glaubten,nichts Besseres zu tun zu haben, als sich ständig zu befehden. Ein Mann unterihnen jedoch, Temuchin mit Namen,scharte eine Reihe von Stämmen um sich und unterdrückte die restlichen einen nach dem anderen, bis alle Mongolen unter seinem Befehl standen und sie ihn Khannannten, was soviel heißt wie GroßerHerr; außerdem gaben sie ihm einen neuen Namen - Chinghiz - was soviel heißtwie Vollkommener Krieger.
© der deutschen Ausgabe: Meyster VerlagGmbH, München
Übersetzung: Werner Peterich
- Autor: Gary Jennings
- 2004, 4. Aufl., 1024 Seiten, 2 Abbildungen, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Werner Peterich
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596165237
- ISBN-13: 9783596165230
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