Mein Iran
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Mit nicht einmal 30 Jahren wurde Shirin Ebadi als erste Frau im Iran zur Richterin ernannt und übernahm schließlich den Vorsitz des Teheraner Gerichts. 1979 wurde sie im Zuge der islamischen Revolution ihres Amtes enthoben und zur Sekretärin degradiert. Sie entschloss sich, Anwältin zu werden. Im Jahr 2000 wurde sie aufgrund ihrer Tätigkeit als Verteidigerin vor Gericht angeklagt. Doch weder Einzelhaft noch Berufsverbot konnten Shirin Ebadi von ihrem Kampf für Freiheit und Menschenrechte abhalten. Ihr besonderes Engagement gilt dabei den Rechten von Frauen und Kindern. Ein dramatisches Leben zwischen Verfolgung, Demütigung und Verhaftung und das beeindruckende Zeugnis politischen Muts und Engagements: Das Buch der ersten Richterin des Iran und der ersten muslimischen Friedensnobelpreisträgerin die Geschichte einer beeindruckenden Frau und Politikerin.
Mein Iran von Shirin Ebadi
LESEPROBE
Vorwort
Im Herbst2000, beinahe ein Jahrzehnt nachdem ich meine Arbeit als Anwältin aufgenommenund damit begonnen hatte, vor den Gerichten des Irans Gewaltopfer zuverteidigen, durchlebte ich die zehn quälendsten Tage meines gesamtenBerufslebens. Die Fälle, mit denen ich es normalerweise zu tun hatte -misshandelte Kinder, missbrauchte Ehefrauen, politische Gefangene -, führtenmir täglich menschliche Grausamkeit vor Augen, doch bei dem Fall, um den es nunging, hatte ich es mit einer Bedrohung ganz anderer Art zu tun.
DieRegierung hatte vor kurzem eine Mittäterschaft bei den Ende der Neunzigerjahrevorsätzlich verübten Morden an Dutzenden von Intellektuellen eingestanden.Einige waren erdrosselt worden, während sie Besorgungen machten, andere warenin ihren Häusern erschlagen worden. Ich vertrat die Familien von zweien derOpfer und hatte dringend darauf gewartet, die Akten der richterlichenErmittlungen einsehen zu können. Der vorsitzende Richter hatte den Anwälten derOpfer nur zehn Tage Zeit gegeben, die gesamte Akte zu lesen - nur zehn Tage, indenen wir Zugang zu den Ermittlungsergebnissen haben würden - und die unsereeinzige Chance waren, Beweismaterial zusammenzutragen. Das Durcheinander derErmittlungen, die Versuche, die Beteiligung des Staates zu verschleiern, dermysteriöse Selbstmord eines Hauptverdächtigen im Gefängnis, machten es uns nochschwerer, zu rekonstruieren, was tatsächlich geschehen war, von den fatwas, religiösenEdikten, die die Morde anordneten, bis zur Hinrichtung der Betroffenen. Eshätte nicht mehr auf dem Spiel stehen können.
Zum erstenMal in der Geschichte der Islamischen Republik hatte der Staat zugegeben, seineKritiker ermordet zu haben, und zum ersten Mal sollte ein Prozess stattfinden,um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Die Regierung selbst hatte zugegeben,dass eine Gruppe eigenmächtig handelnder Mitarbeiter desInformationsministeriums für die Morde verantwortlich sei, doch der Fall warbislang noch nicht vor Gericht gekommen. Als es schließlich so weit war, trafenwir nahezu bebend vor Entschlossenheit im Gerichtsgebäude ein. Nachdem wir denUmfang der Akten gesehen hatten - mannshohe Berge -, war uns klar, dass wir siegleichzeitig würden lesen müssen und nur einer von uns sich an diechronologische Reihenfolge halten konnte. Diesen Part überließ man mir. DieSonne schien durch die schmutzige Fensterscheibe und ihre Strahlen schienenviel zu schnell durch den Raum zu wandern, während wir schweigend Schulter anSchulter über den kleinen Tisch gebeugt saßen und nur das Geraschel von Papier undgelegentlich das dumpfe Schaben der Stuhlbeine auf dem Fußboden zu hören war. Dieentscheidenden Passagen in den Akten, die Abschriften der Verhöre mit denangeklagten Mördern, waren überall verstreut, vergraben zwischen Seiten vollerbürokratischer Worthülsen. Diese Abschriften enthielten Beschreibungen derbrutalen Morde, Absätze, in denen der Mörder anscheinend mit Vergnügen davonberichtet, bei jedem Stoß, als düstere Hommage an die Schwester des ProphetenMohammed, »Ya Zahra« ausgerufen zu haben.
Im Raumnebenan saßen die Anwälte der Angeklagten und lasen andere Teile des Dossiers,und durch die Wand hindurch spürten wir beständig die Anwesenheit dieserMänner, die jene verteidigten, die im Namen Gottes gemordet hatten. Die meistender von ihnen Vertretenen waren Funktionäre des Informationsministeriums vonniederem Rang, Handlanger, die die Todeslisten auf Geheiß ranghöherer Beamterunterzeichnet hatten. Um die Mittagszeit ließ unsere Energie nach, und einerder Anwälte bat den jungen Soldaten im Gang, uns Tee zu bringen. Sobald uns dasTeetablett gebracht worden war, beugten wir die Köpfe wieder über die Akten.Ich war bei einer Seite angelangt, auf der die Dinge detaillierter undflüssiger geschildert wurden als in anderen Passagen, und las deshalb langsamerund konzentrierter. Es war die Abschrift einer Unterhaltung zwischen einemRegierungsminister und einem Mitglied des Todeskommandos. Als mein Blick aufden Satz fiel, der mich viele Jahre lang verfolgen sollte, glaubte ich, michverlesen zu haben. Ich blinzelte einmal, doch der Satz stand noch immer da:»Die nächste Person, die getötet werden soll, ist Shirin Ebadi.« Ich. Mein Halswar plötzlich wie ausgetrocknet. Ich las diese Zeile immer und immer wieder.Die gedruckten Wörter verschwammen vor meinen Augen. Die einzige weitere Frauim Raum, Parastou Forouhar, deren Eltern zu den Ersten gehört hatten, die in ihremTeheraner Haus mitten in der Nacht getötet - erstochen und verstümmelt - wordenwaren, saß neben mir. Ich fasste sie am Arm und deutete mit dem Kopf auf die vormir liegende Seite. Sie neigte ihr verschleiertes Haupt herüber und ließ dieAugen über den Text wandern. »Hast du das gelesen? Hast du das gelesen? «,flüsterte sie immer wieder. Wir lasen gemeinsam weiter, lasen, wie der Mann,der mein Mörder werden wollte, zum Informationsminister ging und um dieErlaubnis bat, mich ermorden zu dürfen. Nicht im Fastenmonat Ramadan (im persischen Tamazan),hatte der Minister geantwortet, aber jederzeit danach. Aber sie fasten dochsowieso nicht, hatte der Söldner argumentiert, diese Leute haben sich von Gottabgewandt. Dieses Argument - dass die Intellektuellen, dass ich, mich von Gottabgewandt hätte -, diente ihnen dazu, die Morde als ihre religiöse Pflicht zu rechtfertigen.In der grausigen Terminologie derjenigen, die den Islam als eine Religioninterpretieren, die Gewalt duldet, war es halal, von Gott gestattet,unser Blut zu vergießen. In diesem Moment öffnete sich knarrend die Tür. Wirbekamen noch einmal Tee, der zwar nach nichts schmeckte, uns aber wach hielt.Ich lenkte mich damit ab, die vor mir liegenden Papiere neu zu ordnen, völligbenommen von dem, was ich gelesen hatte. Ich hatte keine Angst, wirklich nicht,und ich war auch nicht wütend. Ich erinnere mich vor allem an dasüberwältigende Gefühl, es nicht glauben zu können. Warum hassen sie mich sosehr?, fragte ich mich. Was habe ich getan, um einen solchen Hass auszulösen?Wie ist es möglich, dass ich mir Feinde gemacht habe, die so begierig darauf sind,mein Blut zu vergießen, dass sie nicht einmal bis zum Ende des Ramadan warten können?
Wir sprachen damals nicht sofort darüber. Wirhatten keine Zeit für Pausen oder mitfühlende Worte, etwa: »Wie schrecklich, dassdu die Nächste auf der Liste warst.« Wir konnten es uns nicht erlauben, diebegrenzte, kostbare Zeit, die uns für das Studium der Akten zur Verfügungstand, zu vergeuden. Ich nippte an meinem Tee und las weiter, obwohl meineFinger wie gelähmt waren und ich nur mit Mühe die Seiten umblättern konnte.Gegen zwei Uhr hörten wir auf, und erst dann, während wir über den Hof nachdraußen gingen, erzählte ich es den anderen Anwälten. Sie schüttelten den Kopfund murmelten Alhamdulellah, Gott sei Dank, dass ich im Unterschied zu den Opfern derFamilien, die wir verteidigten, dem Tod entkommen war. Als ich auf die Straßehinaustrat, empfing mich die willkommene Kakophonie des Teheraner Verkehrs. Zudieser Tageszeit waren die breiten, von niedrigen Häusern gesäumten Straßen derStadt überfüllt von schnaufenden alten Autos. Ich nahm ein Taxi und ließ michvom Rütteln des staubigen Wagens einlullen, bis wir mein Haus erreichten. Ichrannte hinein, zog mich aus und blieb eine Stunde lang unter der Dusche, ließdas kalte Wasser an mir herabströmen, damit es den Schmutz dieser Aktenwegwusch, der sich in meinem Kopf und unter meinen Fingernägeln eingenistethatte. Erst nach dem Abendessen, nachdem meine Töchter ins Bett gegangen waren,erzählte ich es meinem Mann. Heute ist mir bei der Arbeit etwas Interessantespassiert, begann ich.
© PendoVerlag
Übersetzung:Ursula Pesch
- Autor: Shirin Ebadi
- 2006, 294 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Mitarbeit: Moaveni, Azadeh; Übersetzung: Pesch, Ursula
- Übersetzer: Ursula Pesch
- Verlag: Pendo
- ISBN-10: 386612080X
- ISBN-13: 9783866120808
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