Meine besten Geschichten als Landhebamme
Fast 40 Jahre lang war Rosalie Linner Hebamme. Für viele Frauen war sie Geburtshelferin und auch zugleich Seelentrösterin. Oft musste sie sogar den Doktor ersetzen, um eine dramatische Geburt zu einem guten Ende zu bringen.
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Fast 40 Jahre lang war Rosalie Linner Hebamme. Für viele Frauen war sie Geburtshelferin und auch zugleich Seelentrösterin. Oft musste sie sogar den Doktor ersetzen, um eine dramatische Geburt zu einem guten Ende zu bringen.
Dieser Jubiläumsband vereint Geschichten aus ihrem Berufsleben.
Meine besten Geschichten als Landhebamme von Rosalie Linner
LESEPROBE
Geburtshilfe überflüssig?
Ein Jahr ging wieder einmal zu Ende. Die Nacht vor Silvester war sternenklar und bitterkalt. Hohe Schneewände türmten sich zu beiden Seiten der Straße, als bei der Thalhauserbäuerin das erste Kind kam. Toni, der Knecht, holte mich mit Pferden und Schlitten ab, denn die Schlucht zum Waldwinkel war meist verweht und deshalb nur mit Schlittengespannen befahrbar. Der Toni schien es gar nicht eilig zu haben. Auf meine Frage, ob denn das Kind so lange warten könne, meinte er: »Es pressiert nicht, jetzt nimmer, weil das Kind schon da ist. « Ich glaubte mich verhört zu haben und wollte wissen, warum man mich denn erst so spät geholt habe. »Ja weißt, der alte Bauer kennt sich mit den Viechern aus, und da meint er, er kann das selbst. Dann kommt es ihn auch nicht so teuer, denk ich mir. « Welche Logik, dachte ich meinerseits.
Nach einer schier endlosen Fahrt hielten wir hinter einer Wegbiegung plötzlich vor den weitläufigen Gebäuden der Thalhausers. Ein stolzer Besitz! Hier in diesem Winkel schien die Welt zu Ende zu sein.
Die junge Bäuerin sah mir lachend entgegen und zeigte mir das abgenabelte Kind in ihrem Arm - eine für mich ungewöhnliche Situation. Auf meine Frage, wer denn dies alles so perfekt besorgt hätte, antwortete der alte Bauer, er sei es gewesen, der die Nabelschnur mit zwei Schuhbändern abgebunden und mit der Schere aus dem Nähkorb durchtrennt hätte. Bei näherer Betrachtung der Schere sah ich, dass sie reichlich Rost angesetzt hatte. Und die Schuhbänder, nur Gott weiß, woher sie stammten! Mir lief ein Schauer über den Rücken, wenn ich an die Gefahren einer Sepsis dachte. Eine nochmalige keimfreie Abnabelung war nicht möglich, weil die Nabelschnur zu dicht am Körper durchgetrennt worden war. Aber ich hatte die stabile Konstitution dieser jungen Bäuerin und ihres Kindes unterschätzt. Mutter und Kind ging es bestens, und am dritten Wochenbetttag fiel der Nabelschnurrest ab. Eine geschlossene Narbe zeugte vom abgeschlossenen Heilungsprozess. Es war alles noch einmal gutgegangen - für dieses Mal.
Nach einem Jahr wurde ich wieder in den Waldwinkel geholt. Meine eindringliche Warnung vom vergangenen Jahr, mich rechtzeitig zu rufen, schien man vergessen oder überhört zu haben: Abermals lag das abgenabelte Kind schon in Mutters Armen. Das kleine Mädchen sah gesund aus und war wohlauf. Aber beim Baden sah ich, dass es in Steißlage geboren worden war. Das blaurote Gesäß und der flache Kopf zeugten davon. Die Mutter muss mein Erstaunen wohl bemerkt haben, denn sie sagte: »Ich mein, das Kind ist verkehrt herum gekommen, denn auf
einmal hab ich die Füße gesehen, und länger gedauert hat’s diesmal auch. «
Sie sagte das ganz ruhig und gelassen, nur so nebenbei. Ich musste dieser sorglosen Mutter erst erklären, dass eine solche Lage des Kindes immer ein Risiko darstelle, ganz besonders dann, wenn keine fachliche Hilfe zur Stelle sei. Aber was sollte es, alles war in Ordnung.
Nach einigen Jahren, als sich der Waldwinkel im ersten Frühlingsgrün zeigte, wurde ich abermals zur Thalhauserbäuerin gerufen. Auf einiges gefasst, betrat ich die Schlafstube.
Der Großvater, der sich bei den ersten Kindern als Geburtshelfer betätigt hatte, war inzwischen verstorben. Der junge Bauer aber hatte die Kenntnisse seines Vaters nicht übernommen. Er hatte zwar die Nabelschnur durchtrennt, jedoch vergessen, sie vorher abzubinden. Eine heftige Blutung bei Mutter und Kind war die Folge. Rasch klemmte ich die Nabelschnur ab, um das Schlimmste zu verhindern. Blass und erschöpft lagen Mutter und Kind in ihren Kissen. Meinen Rat, ärztliche Hilfe hinzuzuziehen, ignorierte man trotzdem. Die junge Mutter glaubte, dass sich alles von selbst wieder einrenken würde, und sie behielt recht. Immerhin beachtete sie meine Anweisung, viel zu trinken, um den Blutverlust auszugleichen, und auch dem Kind viel Flüssigkeit zuzuführen. Schon am nächsten Tag fühlten sich beide sichtlich besser.
Als ich am dritten Tag zur Wochenpflege kam, marschierte die junge Bäuerin gerade zum Häuschen mit dem Herzen, das hinten auf dem Misthaufen stand. Ich gewöhnte mich allmählich an Dinge, die man in der sterilen Welt einer Klinik für ausgeschlossen halten würde.
Nach mehreren Jahren kam ich noch einmal auf den Hof. Diesmal hatte man mich rechtzeitig geholt, wohl deswegen, weil sich diese Geburt lang hinzog. Ein Tag und eine Nacht gingen nach sehr schmerzhaften Wehen zu Ende, und als dann der Sonntagmorgen heraufzog und die Glocken von der Benediktinerabtei am anderen Flussufer zum Frühgottesdienst läuteten, war wieder ein neues Leben geboren worden. Ein zartes, schwächliches Kind tat seinen ersten dünnen Schrei.
»Ich versteh’s nicht«, meinte die Mutter, »so ein kümmerliches Kind und dann so viele Schmerzen! Na hoffentlich hat’s wenigstens Verstand, wenn’s sonst schon nichts hat.«
Bereits nach zwei Tagen wurde der kleine Bub zur Taufe getragen, weil man in sein Weiterleben keine rechte Hoffnung setzte. Er erhielt den Namen seiner Urahnen: Andreas. Aber der Junge blieb allen Unkenrufen zum Trotz am Leben. Als er zur Schule kam, war er noch immer etwas klein und zart, dafür aber ausgesprochen aufgeweckt. Er glich, wie die Mutter es ihm gewünscht hatte, seine körperlichen Mängel durch überdurchschnittliche Geistesgaben aus.
Nach vielen Jahren sah ich Andreas wieder, am Tag seiner Priesterweihe. Blond und hoch gewachsen war er jetzt, mit einem ernsten, durchgeistigten Gesicht. Nein, zum Bauern hätte er wohl wirklich nicht getaugt.
© Rosenheimer Verlagshaus
Was hat Sie eigentlich veranlasst, den Beruf der Landhebamme zu ergreifen?
Das kam so: Es war im Jahre 1943, also im Krieg. Da war ich im Luftschutzkeller mit mehreren Leuten, als zufällig eine hochschwangere Frau in den Keller kam. Bald darauf setzten die Wehen ein, und dieses Kind wollte unbedingt im Luftschutzkeller, während draußen die Bomben fielen, zur Welt kommen. So gut es ging - ich hatte noch keine Ausbildung, nur was man halt so im Roten Kreuz gelernt hatte - wollte ich ihr beistehen, sie trösten, ihre Hand halten. Aber plötzlich hatte ich dieses kleine Menschenkind in meinen Händen. Und es war ein so wunderbarer Augenblick, so schön, dass dies das Schlüsselerlebnis zu meinem späteren Beruf war.
Wie hat sich der Arbeitsbereich einer Landhebamme verändert im Laufe der letzten Jahrzehnte?
Der Wandel der Zeit hat sich hier sehr ausgewirkt, weil ja die Hausgeburten nicht mehr so gefragt waren. Das Krankenhaus war nun zuständig und die meisten Frauen haben es nun vorgezogen, zur Geburt ihrer Kinder das Krankenhaus aufzusuchen. Oft hatten Sie auch Angst daheim zu bleiben, weil es ja vielleicht Komplikationen geben könnte.
Aber ich muss immer wieder dazu sagen, dass die Zeit der Hausgeburten eine wunderbare Zeit war. Es gab sehr, sehr wenig Schwierigkeiten bei der Geburt eines Kindes, wenn die Kinder im eigenen Haus zur Welt kamen. Es war wirklich eine sehr schöne Zeit damals.
Eine Geburt ist immer etwas Wunderbares. Immer wieder muss man staunen, muss man sehen wie es nur so etwas gibt. Das Kind, es schreit, es bewegt sich, es lebt. Es ist immer wieder ein wunderbares Erlebnis, wenn man darüber nachdenkt.
Damals, nach dem Krieg, waren es sehr schwierige Zeiten. Da kamen die Heimkehrer aus Russland, aus der Kriegsgefangenschaft. Da gab’s auch wirklich manchmal Dinge, die man lieber vergessen möchte.
Sie feiern ja nun in diesem Jahr Ihren 90. Geburtstag – gibt es ein großes Fest oder werden Sie einen ruhigen Geburtstag erleben?
Ganz leise, würde ich sagen, kein Tam Tam. Ich glaube, in meinem Alter sollte man nicht mehr so viel Aufhebens um einen Geburtstag machen. Vielleicht mach’ ich mir ein Flascher’l auf und blicke zurück auf die wunderschöne Zeit, die ich als Landhebamme erleben durfte.
- Autor: Rosalie Linner
- 2015, 3. Aufl., 413 Seiten, Maße: 13,4 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: ROSENHEIMER VERLAGSHAUS
- ISBN-10: 3475539349
- ISBN-13: 9783475539343
- Erscheinungsdatum: 06.03.2008
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