Mit dem letzten Schiff
Der gefährliche Auftrag von Varian Fry. Roman
Frankreich, August 1940: Der junge amerikanische Journalist Varian Fry erhält vom Emergency Rescue Committee in Marseille den Auftrag, 200 verfolgten Künstlern die Ausreise in die USA zu ermöglichen. Die Arbeit Frys ist illegal und...
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Produktinformationen zu „Mit dem letzten Schiff “
Frankreich, August 1940: Der junge amerikanische Journalist Varian Fry erhält vom Emergency Rescue Committee in Marseille den Auftrag, 200 verfolgten Künstlern die Ausreise in die USA zu ermöglichen. Die Arbeit Frys ist illegal und brandgefährlich, denn das Vichy-Regime hat sich verpflichtet, Gegner des Nationalsozialismus an die deutsche Regierung auszuliefern.
Unter Einsatz seines Lebens verhilft er im Verlauf eines Jahres fast 2000 Menschen, vor allem Künstlern und Intellektuellen, aber auch vielen Unbekannten, zur Flucht vor den Nazis. Eveline Hasler erzählt die Geschichte dieses "amerikanischen Schindlers" und seiner Helfer mit großer Eindringlichkeit - ein mitreißendes Geschichtsdrama.
» Ein Schutzengel der ganzen Sippe exilierter Intellektueller.«
Walter Mehring
Als der 35-jährige Journalist Varian Fry im August 1940 Marseille erreicht, haben deutsche Truppen den Großteil Frankreichs schon besetzt. Sein Auftrag des Emergency Rescue Comittee: 200 verfolgten Künstlern die Ausreise in die USA zu ermöglichen. Die Arbeit Frys ist illegal und brandgefährlich, denn das Vichy-Regime hat sich verpflichtet, Nazigegner an die Deutschen auszuliefern.
Bald ist sein Büro von verzweifelten Flüchtlingen belagert; er treibt Geld auf und Schiffspassagen, kauft gefälschte Pässe und organisiert Fluchtrouten. Mit Unverfrorenheit, Einfallsreichtum und einem Stab von Helfern rettet er neben vielen anderen Hannah Arendt, Heinrich und Golo Mann, Lisa Fittko, Max Ernst, Lion Feuchtwanger, Franz und Alma Werfel und Walter Mehring.
Zur selben Zeit bewahren in Frys Umfeld zwei Schweizer Rotkreuzschwestern ein ganzes Kinderheim vor der Deportation - gegen die Weisung der offiziellen Schweiz. Die Geschichte dieses »amerikanischen Schindler« und seiner Mitarbeiter gestaltet Hasler in hoher szenischer Dichte und mit grandiosem Tempo.
Unter Einsatz seines Lebens verhilft er im Verlauf eines Jahres fast 2000 Menschen, vor allem Künstlern und Intellektuellen, aber auch vielen Unbekannten, zur Flucht vor den Nazis. Eveline Hasler erzählt die Geschichte dieses "amerikanischen Schindlers" und seiner Helfer mit großer Eindringlichkeit - ein mitreißendes Geschichtsdrama.
» Ein Schutzengel der ganzen Sippe exilierter Intellektueller.«
Walter Mehring
Als der 35-jährige Journalist Varian Fry im August 1940 Marseille erreicht, haben deutsche Truppen den Großteil Frankreichs schon besetzt. Sein Auftrag des Emergency Rescue Comittee: 200 verfolgten Künstlern die Ausreise in die USA zu ermöglichen. Die Arbeit Frys ist illegal und brandgefährlich, denn das Vichy-Regime hat sich verpflichtet, Nazigegner an die Deutschen auszuliefern.
Bald ist sein Büro von verzweifelten Flüchtlingen belagert; er treibt Geld auf und Schiffspassagen, kauft gefälschte Pässe und organisiert Fluchtrouten. Mit Unverfrorenheit, Einfallsreichtum und einem Stab von Helfern rettet er neben vielen anderen Hannah Arendt, Heinrich und Golo Mann, Lisa Fittko, Max Ernst, Lion Feuchtwanger, Franz und Alma Werfel und Walter Mehring.
Zur selben Zeit bewahren in Frys Umfeld zwei Schweizer Rotkreuzschwestern ein ganzes Kinderheim vor der Deportation - gegen die Weisung der offiziellen Schweiz. Die Geschichte dieses »amerikanischen Schindler« und seiner Mitarbeiter gestaltet Hasler in hoher szenischer Dichte und mit grandiosem Tempo.
Lese-Probe zu „Mit dem letzten Schiff “
Mr. Fry, Hotel Splendide, vierter Stock
Im Imperium des Hotels Splendide schien der vierte Stock ein ausgelagertes Reich zu sein, das nach eigenen Regeln funktionierte.
Im Flur saßen an diesem frühen Abend nur noch wenige Wartende. Eine Sekretärin erkundigte sich nach Miriams Anliegen. Sie nannte den Namen Mehring und wurde sofort zum Büro des Rettungsengels geführt.
Eine stickige Wärme erfüllte den schmalen Raum, das Fenster konnte wohl des Straßenlärms wegen nicht geöffnet werden. Da saß der Amerikaner in Hemdsärmeln. Sein Gesicht blieb trotz ihres Eintretens eine Weile lang weiter den Blättern auf der Tischplatte zugewandt, er studierte Listen.
Als er zu ihr hochblickte, sah Miriam in ein unbewegliches «Buster-Keaton-Face», wie sie es später einmal beschreiben wird.
Sie nannte ihren Namen und ihre Herkunft, darauf erhob sich Fry und schüttelte ihr die Hand. Er war großgewachsen und schlank, ein gut aussehender Mann mit intellektuellem Einschlag.
Er bot ihr jetzt einen Stuhl an und nahm die Hornbrille ab, um sie von nahem zu betrachten. «Schön, dass Sie kommen, Miss Davenport. Sie wissen, wo Walter Mehring ist?»
Miriam erzählte von ihrer Bekanntschaft mit dem Künstler, seinen Pechsträhnen, seinen Ängsten.
Fry zeigte sich sofort einverstanden, ihn am nächsten Tag im Café Pélican zu treffen. Mehring sei eine der am stärksten gefährdeten Personen, Joseph Goebbels, der Minister für Volksaufklärung und Propaganda, habe ihm persönlich Rache gedroht! «Wissen Sie, Mehring hat mutige Songs verfasst gegen den Terror, in Berlin und später in Wien haben diese Texte viele Leute in ihrer Antipathie gegen Hitler bestärkt.»
«Der Mut hat Herrn Mehring leider inzwischen verlassen», meinte die Davenport.
Fry schüttelte bedauernd
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den Kopf. «Ach, hätte er sich nur früher gemeldet, sofort nach seiner Ankunft in Marseille. Hertha Pauli konnte ich ein Notvisum für die USA und eine Schiffspassage verschaffen, wenn alles gutgeht, ist sie mit einigen meiner ersten Schützlinge schon in Sicherheit. Die Ausreise aus Frankreich wird täglich schwieriger, der Druck der Vichy-Regierung auf amtliche Stellen nimmt zu. Wer Frankreich verlassen will, braucht eine Ausreisebewilligung, der Ausländern nur ausnahmsweise gewährt wird, wenn alle Papiere en règle sind. Doch Flüchtlinge haben keine Papiere, und wenn, sind sie unbrauchbar, weil ihre Eigentümer gefährdet sind und sie ihre Identität wechseln müssen. Von Marseille aus fahren keine Schiffe mehr. Und für Lissabon, dem nächsten Hafen für Überseelinien, sind Transitpässe für Spanien und Portugal nötig.»
Fry hatte sich in Eifer geredet, die Bekümmerung war ihm jetzt anzusehen, trotz der halb geschlossenen Augen hinter der Hornbrille. Miriam teilte seine verzweifelte Sicht der Lage. «Sie haben sicher recht. Ich mache mir ebenfalls Sorgen um die vielen Flüchtlinge, für die Marseille die letzte Zuflucht war. Nun sind sie mit letzter Kraft hier angekommen und stehen hilflos mit dem Rücken zur Wand.»
«Mit dem Rücken zum Meer», verbesserte Fry ein bisschen lehrerhaft. «Wissen Sie, das Meer, auf dem man aus dieser Misere herauskam, ist jetzt vermint und wird scharf überwacht.»
Eine Weile lang schwiegen sie. Die lähmende Wärme der Abendsonne wurde im engen Raum spürbar. Schließlich wandte sich Fry wieder seinen Blättern zu.
«Hier», er wies auf eine der Listen, «sind gefährdete Menschen notiert, von denen ich keine Ahnung habe, wo sie sich aufhalten. Sind sie verhaftet worden? In Lagern verschwunden? Ein paar wenige können sich wohl aus dieser Lage befreien, so wie Lion Feuchtwanger, ein Autor, den ich schon lange verehre. Sein Bild hinter dem Stacheldraht von Les Milles ging um die halbe Welt. Wissen Sie, in Harvard habe ich Sprachen und Literatur studiert. Wenn andere Baseball spielten, habe ich gelesen. Ich bin deswegen oft belächelt worden. Ich war der verträumte Introvertierte.» Ein Lächeln umspielte Frys Lippen, und in seine Augen trat ein leises Funkeln.
«Es fällt Ihnen also vom Schicksal zu, Ihre Lieblingsautoren zu retten?», fragte Miriam ein bisschen spöttisch.
Er nickte. «Auch bildende Künstler wie Marc Chagall und Philosophen wie Walter Benjamin … Doch wie soll ich sie retten, wenn sie sich versteckt halten? Das Emergency Rescue Committee in New York konnte mir keine Ratschläge geben. Ich gelte hier bei den französischen Ämtern als naiver Amerikaner, zu recht, Miss Davenport. Meine Aufgabe erscheint mir in der Tat monströs!»
«Bekommen Sie Hilfe von den amerikanischen Behörden?»
«Misses Roosevelt steht hinter unserem Auftrag, eine echte Philantropin. Doch andere Politiker sind den Immigranten gegenüber skeptisch, fürchten eine Überschwemmung der USA von linken und jüdischen Elementen!» Er blickte einen Moment zum Fenster hinüber, wo sich die hohen Baumkronen der Chaussee im Mistral wiegten. Fuhr dann fort: «Die Linke in den USA hat sich kooperativer gezeigt, ein gewisser Mister Bohn ist von der American Federation of Labor nach Marseille gesandt worden. Seine Aufgabe ist es, sich um die Rettung der sozialistischen, von Hitler verfolgten Politiker zu kümmern. Wir arbeiten in getrennten Büros, denn ich bin ja vollauf damit beschäftigt, meine bedrohten Künstler und Denker aufzuspüren.»
«Sie werden auftauchen», tröstete Miriam. «In der Gefahr haben sie wohl da und dort Schutz gesucht.»
Fry nickte. «Gerade vorhin wurde mir zugetragen, Feuchtwanger befinde sich zusammen mit Golo, dem Sohn von Thomas Mann, in Sicherheit in Marseille. Der Ort und die Umstände sind noch geheim. Aber da sind ja noch viele andere, über deren Verbleib ich nichts weiß oder die ihre Situation komplett ignorieren. Zum Beispiel ist Heinrich Mann in Nizza nicht mehr erreichbar. Oder Walter Hasenclever, auch Chagall. In seinem Atelier auf dem Land ahnt er nicht, in welcher Gefahr er schwebt. Als ich ihm sagte, er müsse sich in Sicherheit bringen, nach Amerika, gab er zur Antwort: ‹Ach, Monsieur Fry, gibt es denn in Amerika auch Gras und Kühe?›»
Miriam lachte. Nun fiel ihr das Bild von Chagall über Frys Schreibtisch auf: ein schwebendes Liebespaar mit einer blauen Ziege. «Wartet zu Hause Ihre Familie auf Sie, Mister Fry?»
«Eine Frau wartet, noch keine Familie.» Er lehnte sich zurück, seufzte leise. «Meine Frau Eileen erwartet mich schon nach einem Monat zurück, doch mein Einsatz hier wird länger dauern. In Vichy-Frankreich funktioniert alles langsam, alles ist unübersichtlich. Wo finde ich meine Künstlervögel, zum Beispiel den unersetzlichen Franz Werfel?»
«Da kann ich vielleicht helfen», sagte Miriam. «Den Werfels bin ich in Toulouse begegnet. Und Mehring, der mit ihnen befreundet ist, hat sie auf der Flucht in Lourdes getroffen. Sie sollen erschöpft gewirkt haben. Einem Gerücht zufolge haben sie es aber in den letzten Tagen bis nach Marseille geschafft. Sie werden sehen, Mister Fry, Ihre Schützlinge sind hier irgendwo in der Stadt oder werden sich hierher durchschlagen.»
«Schön, dass Sie mir Mut machen.» Er blickte sie offen an. Sein Gesicht war jetzt nicht mehr so unbeweglich, sondern von innerer Anteilnahme erhellt. «Könnten Sie hier in Marseille einen Job brauchen, Miriam?»
«Einen Job? Oh, das könnte ich wohl!»
«Unser Komitee, es heißt hier Centre Américain de Secours – das klingt mehr nach Wohlfahrt als nach Politik, nicht wahr? –, braucht mehr Mitarbeiter. Ich habe zwar schon ein paar tüchtige Leute. Meine polnische Sekretärin, Lena Fishman, beherrscht sechs Sprachen in Wort und Schrift. Und mit den französischen Amtsstellen verhandelt Albert Hermant.» Fry zeigte durch die halbgeöffnete Tür auf einen dunkelhaarigen Mann, der eben im Flur auf einen der letzten Wartenden zuging. «Dann ist noch da Franzi von Hildebrand, ein freundlicher österreichischer Royalist, er nimmt wie Hermant den ersten Kontakt zu den Flüchtlingen auf. Doch von Tag zu Tag sitzen mehr Bittsteller im Flur, es fehlen Interviewer für die ersten Gespräche. Sie, Miriam, sprechen neben Englisch auch fließend Französisch und Deutsch. Kann ich mit Ihrer Hilfe rechnen? Wir bezahlen nicht gerade großzügig, aber immerhin anständig.»
Miriam strahlte. «Ein finanzieller Zustupf kommt mir gelegen », sagte sie. «Wir Amerikaner sind ja nicht alle Millionäre, wie man hier in Frankreich glaubt! Sehr gern möchte ich den Menschen helfen. Da ist nur noch … ein Problem …»
«Ich bitte Sie, sprechen Sie ungeniert.»
«Ich kümmere mich um einen fünfzehnjährigen Jungen aus Danzig. Er spricht Deutsch, fließend Französisch und auch ein bisschen Englisch. Hier in Marseille schleppt er am Bahnhof Koffer, ist aber ein schmächtiger Kerl.»
«Das ist doch ein gutes Zeichen – es zeigt, dass er bereit ist zuzupacken.»
«Ja. Er ist hilfsbereit, intelligent und verschwiegen.»
«Bringen Sie ihn einfach her. Wir können einen Laufjungen brauchen. Besonders in unserem neuen Büro, in das wir bald einziehen, beim alten Hafen an der Rue Grignan.»
Leseprobe
Eveline Hasler
Mit dem letzten Schiff
Der gefährliche Auftrag von Varian Fry
ISBN (Buch): 978-3-312-00553-6
ISBN (E-Book): 978-3-312-00563-5
Weitere Informationen oder Bestellungen unter
http://www.hanser-literaturverlage.de/978-3-312-00553-6
sowie im Buchhandel.
© Nagel und Kimche im Carl Hanser Verlag, München
Fry hatte sich in Eifer geredet, die Bekümmerung war ihm jetzt anzusehen, trotz der halb geschlossenen Augen hinter der Hornbrille. Miriam teilte seine verzweifelte Sicht der Lage. «Sie haben sicher recht. Ich mache mir ebenfalls Sorgen um die vielen Flüchtlinge, für die Marseille die letzte Zuflucht war. Nun sind sie mit letzter Kraft hier angekommen und stehen hilflos mit dem Rücken zur Wand.»
«Mit dem Rücken zum Meer», verbesserte Fry ein bisschen lehrerhaft. «Wissen Sie, das Meer, auf dem man aus dieser Misere herauskam, ist jetzt vermint und wird scharf überwacht.»
Eine Weile lang schwiegen sie. Die lähmende Wärme der Abendsonne wurde im engen Raum spürbar. Schließlich wandte sich Fry wieder seinen Blättern zu.
«Hier», er wies auf eine der Listen, «sind gefährdete Menschen notiert, von denen ich keine Ahnung habe, wo sie sich aufhalten. Sind sie verhaftet worden? In Lagern verschwunden? Ein paar wenige können sich wohl aus dieser Lage befreien, so wie Lion Feuchtwanger, ein Autor, den ich schon lange verehre. Sein Bild hinter dem Stacheldraht von Les Milles ging um die halbe Welt. Wissen Sie, in Harvard habe ich Sprachen und Literatur studiert. Wenn andere Baseball spielten, habe ich gelesen. Ich bin deswegen oft belächelt worden. Ich war der verträumte Introvertierte.» Ein Lächeln umspielte Frys Lippen, und in seine Augen trat ein leises Funkeln.
«Es fällt Ihnen also vom Schicksal zu, Ihre Lieblingsautoren zu retten?», fragte Miriam ein bisschen spöttisch.
Er nickte. «Auch bildende Künstler wie Marc Chagall und Philosophen wie Walter Benjamin … Doch wie soll ich sie retten, wenn sie sich versteckt halten? Das Emergency Rescue Committee in New York konnte mir keine Ratschläge geben. Ich gelte hier bei den französischen Ämtern als naiver Amerikaner, zu recht, Miss Davenport. Meine Aufgabe erscheint mir in der Tat monströs!»
«Bekommen Sie Hilfe von den amerikanischen Behörden?»
«Misses Roosevelt steht hinter unserem Auftrag, eine echte Philantropin. Doch andere Politiker sind den Immigranten gegenüber skeptisch, fürchten eine Überschwemmung der USA von linken und jüdischen Elementen!» Er blickte einen Moment zum Fenster hinüber, wo sich die hohen Baumkronen der Chaussee im Mistral wiegten. Fuhr dann fort: «Die Linke in den USA hat sich kooperativer gezeigt, ein gewisser Mister Bohn ist von der American Federation of Labor nach Marseille gesandt worden. Seine Aufgabe ist es, sich um die Rettung der sozialistischen, von Hitler verfolgten Politiker zu kümmern. Wir arbeiten in getrennten Büros, denn ich bin ja vollauf damit beschäftigt, meine bedrohten Künstler und Denker aufzuspüren.»
«Sie werden auftauchen», tröstete Miriam. «In der Gefahr haben sie wohl da und dort Schutz gesucht.»
Fry nickte. «Gerade vorhin wurde mir zugetragen, Feuchtwanger befinde sich zusammen mit Golo, dem Sohn von Thomas Mann, in Sicherheit in Marseille. Der Ort und die Umstände sind noch geheim. Aber da sind ja noch viele andere, über deren Verbleib ich nichts weiß oder die ihre Situation komplett ignorieren. Zum Beispiel ist Heinrich Mann in Nizza nicht mehr erreichbar. Oder Walter Hasenclever, auch Chagall. In seinem Atelier auf dem Land ahnt er nicht, in welcher Gefahr er schwebt. Als ich ihm sagte, er müsse sich in Sicherheit bringen, nach Amerika, gab er zur Antwort: ‹Ach, Monsieur Fry, gibt es denn in Amerika auch Gras und Kühe?›»
Miriam lachte. Nun fiel ihr das Bild von Chagall über Frys Schreibtisch auf: ein schwebendes Liebespaar mit einer blauen Ziege. «Wartet zu Hause Ihre Familie auf Sie, Mister Fry?»
«Eine Frau wartet, noch keine Familie.» Er lehnte sich zurück, seufzte leise. «Meine Frau Eileen erwartet mich schon nach einem Monat zurück, doch mein Einsatz hier wird länger dauern. In Vichy-Frankreich funktioniert alles langsam, alles ist unübersichtlich. Wo finde ich meine Künstlervögel, zum Beispiel den unersetzlichen Franz Werfel?»
«Da kann ich vielleicht helfen», sagte Miriam. «Den Werfels bin ich in Toulouse begegnet. Und Mehring, der mit ihnen befreundet ist, hat sie auf der Flucht in Lourdes getroffen. Sie sollen erschöpft gewirkt haben. Einem Gerücht zufolge haben sie es aber in den letzten Tagen bis nach Marseille geschafft. Sie werden sehen, Mister Fry, Ihre Schützlinge sind hier irgendwo in der Stadt oder werden sich hierher durchschlagen.»
«Schön, dass Sie mir Mut machen.» Er blickte sie offen an. Sein Gesicht war jetzt nicht mehr so unbeweglich, sondern von innerer Anteilnahme erhellt. «Könnten Sie hier in Marseille einen Job brauchen, Miriam?»
«Einen Job? Oh, das könnte ich wohl!»
«Unser Komitee, es heißt hier Centre Américain de Secours – das klingt mehr nach Wohlfahrt als nach Politik, nicht wahr? –, braucht mehr Mitarbeiter. Ich habe zwar schon ein paar tüchtige Leute. Meine polnische Sekretärin, Lena Fishman, beherrscht sechs Sprachen in Wort und Schrift. Und mit den französischen Amtsstellen verhandelt Albert Hermant.» Fry zeigte durch die halbgeöffnete Tür auf einen dunkelhaarigen Mann, der eben im Flur auf einen der letzten Wartenden zuging. «Dann ist noch da Franzi von Hildebrand, ein freundlicher österreichischer Royalist, er nimmt wie Hermant den ersten Kontakt zu den Flüchtlingen auf. Doch von Tag zu Tag sitzen mehr Bittsteller im Flur, es fehlen Interviewer für die ersten Gespräche. Sie, Miriam, sprechen neben Englisch auch fließend Französisch und Deutsch. Kann ich mit Ihrer Hilfe rechnen? Wir bezahlen nicht gerade großzügig, aber immerhin anständig.»
Miriam strahlte. «Ein finanzieller Zustupf kommt mir gelegen », sagte sie. «Wir Amerikaner sind ja nicht alle Millionäre, wie man hier in Frankreich glaubt! Sehr gern möchte ich den Menschen helfen. Da ist nur noch … ein Problem …»
«Ich bitte Sie, sprechen Sie ungeniert.»
«Ich kümmere mich um einen fünfzehnjährigen Jungen aus Danzig. Er spricht Deutsch, fließend Französisch und auch ein bisschen Englisch. Hier in Marseille schleppt er am Bahnhof Koffer, ist aber ein schmächtiger Kerl.»
«Das ist doch ein gutes Zeichen – es zeigt, dass er bereit ist zuzupacken.»
«Ja. Er ist hilfsbereit, intelligent und verschwiegen.»
«Bringen Sie ihn einfach her. Wir können einen Laufjungen brauchen. Besonders in unserem neuen Büro, in das wir bald einziehen, beim alten Hafen an der Rue Grignan.»
Leseprobe
Eveline Hasler
Mit dem letzten Schiff
Der gefährliche Auftrag von Varian Fry
ISBN (Buch): 978-3-312-00553-6
ISBN (E-Book): 978-3-312-00563-5
Weitere Informationen oder Bestellungen unter
http://www.hanser-literaturverlage.de/978-3-312-00553-6
sowie im Buchhandel.
© Nagel und Kimche im Carl Hanser Verlag, München
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Autoren-Porträt von Eveline Hasler
Eveline Hasler wurde in Glarus geboren, studierte Psychologie und Geschichte in Fribourg und Paris und war einige Zeit als Lehrerin tätig. Heute lebt sie im Tessin. Sie schreibt vor allem historische Romane, aber auch Lyrik, Kinderbücher, Kolumnen, Reportagen sowie Radio- und Zeitschriftenbeiträge. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Schubart-Literaturpreis, dem Meersburger Droste-Preis für Dichterinnen und dem Justinus-Kerner-Preis. 1990/91 war sie Guest Lecturer am German Department der City University in New York. Ihre Bücher wurden bisher in zwölf Sprachen übersetzt.Werke (Auswahl):
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- 1979 Novemberinsel. Roman
- 1982 Anna Göldin. Letzte Hexe. Roman
- 1985 Ibicaba. Das Paradies in den Köpfen. Roman. Nagel & Kimche Verlag, Frauenfeld
- 1988 Der Riese im Baum. Roman. Nagel & Kimche Verlag, Frauenfeld
- 1991 Die Wachsflügelfrau. Geschichte der Emily Kempin-Spyri. Roman. Nagel & Kimche Verlag, Frauenfeld
- 1994 Der Zeitreisende. Die Visionen des Henry Dunant. Roman. Nagel & Kimche Verlag, Frauenfeld
- 1997 Die Vogelmacherin. Die Geschichte von Hexenkindern. Roman. Nagel & Kimche Verlag, Frauenfeld
- 1998 Der Jubiläums-Apfel und andere Notizen vom Tage
- 1999 Die namenlose Geliebte. Geschichten und Gedichte. Nagel & Kimche Verlag, Zürich
- 2000 Sätzlinge. Gedichte. Nagel & Kimche Verlag, Zürich
- 2000 Aline und die Erfindung der Liebe. Roman. Nagel & Kimche Verlag, Zürich
- 2003 Spaziergänge durch mein Tessin. Sanssouci Verlag, München Wien
- 2004 Tells Tochter. Julie Bondeli und die Zeit der Freiheit. Roman. Nagel & Kimche Verlag, Zürich
- 2007 Stein bedeutet Liebe. Regina Ullmann und Otto Gross. Roman. Nagel & Kimche Verlag, Zürich
- 2009 Engel im zweiten Lehrjahr. Erzählung. Nagel & Kimche Verlag, Zürich
- 2010 Und werde immer Ihr Freund sein. Hermann Hesse, Emmy Hennings und Hugo Ball. Roman. Nagel & Kimche Verlag, Zürich
- 2012 Anna Göldin. Letzte Hexe. Neuauflage von 1982. Nagel & Kimche Verlag, Zürich
- 2012 Der Engel und das schwarze Herz. Nagel & Kimche Verlag, Zürich
- 2013 Mit dem letzten Schiff. Der gefährliche Auftrag von Varian Fry. Roman. Nagel & Kimche Verlag, Zürich
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Autoren-Interview mit Eveline Hasler
Wie sind sie auf dieses Thema gekommen und wer war dieser Varian Fry?Ich war immer sehr gerne in den Ferien in Sanary-Sur-Mer. Vor ungefähr 3 Jahren bin ich dort in einem Archiv immer wieder auf den Namen Varian Fry gestossen, ein junger Amerikaner, der unzählige jüdische Künstler vor der Deportation gerettet hat. Ich begann mich zu fragen, warum man ich nicht kennt und entschloss mich, seiner Geschichte nachzugehen.
Wo haben Sie recherchiert und hat der Roman einen Bezug zur Schweiz?
Mich interessierten vor allem die Originalquellen und ich versuchte, diese in den Archiven zu finden. Aber auch im Internet entdeckte ich zahlreiche Aufzeichnungen von Emigranten. Meine Recherchen eröffneten mir den Zugang zu vielen emigrierten Künstlern und mir wurde bewusst, welch schweren Schicksale sie zu tragen hatten. Ich hoffe, diese auch meinen Lesern näher zu bringen. Das Buch bezieht sich auch auf die damalige Situation in der Schweiz. Die Schwestern des Roten Kreuzes griffen sehr mutig ein und retteten viele Menschen unter Einsatz des eigenen Lebens. Und das, obwohl sie damit gegen die offizielle Flüchtlingspolitik der Schweiz verstiessen.
Woher kommt Ihr Interesse an historischen Geschichten?
Ich sehe, dass alle Dinge, die in der Vergangenheit passiert sind, immer noch mit uns heute zu tun haben. Wir sind nicht abgenabelt von der Vergangenheit und müssen uns anschauen was in ihr passiert ist, so dass wir in unserer Gegenwart freier sein können.
Bibliographische Angaben
- Autor: Eveline Hasler
- 2013, 224 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 12,8 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Nagel & Kimche
- ISBN-10: 3312005531
- ISBN-13: 9783312005536
Rezension zu „Mit dem letzten Schiff “
"Fast alles, was in literarischen Kreisen hierzulande ein wenig anrüchig ist, beherrscht sie mit grosser Virtuosität: Das Melodramatische verbindet sie mit Unterhaltung, das Faktische schmückt sie mit Fiktion aus, das psychologisch Komplexe reduziert sie ins eingängig Bildhafte. (...) Zu ihrem achtzigsten Geburtstag hat die Grand Old Lady des historischen Romans abermals einen Stoff gefunden, der ganz ihrem Temperament entspricht. In ihrem Buch "Mit dem letzten Schiff" erzählt sie (...) nichts Neues, aber sie erzählt es so, wie wir es noch nicht gelesen haben. (...) Entstanden ist ein ebenso berührendes wie packendes Buch." Roman Bucheli, Neue Zürcher Zeitung, 22.03.2013"Eindringlich, bewegend und unpathetisch schildert die Schweizer Autorin Eveline Hasler Verzweiflung und Ängste der Flüchtlinge, die aufopfernde Arbeit Frys sowie Hoffnung und Menschlichkeit in Zeiten des Grauens." Guy Lang, Sonntagszeitung, 10.02.13
"Ein spannendes Porträt - und ein bedrückendes Zeitbild. Die Autorin versteht es, einzelne Schützlinge Frys scharf, fast karikaturhaft herauszuarbeiten (...) und ein komplexes Handlungsgeflecht leicht lesbar zu machen." Tina Uhlmann, Berner Zeitung, 31.01.13
"Eveline Hasler setzt in ihrem neuen Buch dem Amerikaner Varian Fry ein Denkmal." Rolf App, St. Galler Tagblatt, 04.02.13
"Eveline Hasler ist bekannt für die Aufarbeitung historischer Stoffe. Sie tut dies auch hier faktengetreu. (...) Und es gelingt ihr, dieses dunkle Kapitel der jüngeren Geschichte in Romanform - spannend, leicht lesbar und trotzdem berührend - zu beleuchten. Für alle, die es nicht vergessen wollen." Sonja Kolb, dapd, 14.02.13
"Eveline Hasler hat diesem "introvertierten Rebellen" Varian Fry ein beherztes Denkmal gesetzt." Alexander Sury, Der Bund, 07.02.13
"Eveline Hasler greift einzelne Persönlichkeiten heraus, schildert deren Situation, schlüpft regelrecht in ihre Köpfe und lässt damit ihr Publikum unmittelbar am Geschehen teilnehmen." Luzia Stettler, SRF1
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Buchzeichen, 27.01.13
"Eine überaus geglückte Einstiegslektüre in das Thema Verfolgung und Rettung und eine wunderbare Huldigung an den Mut jener Menschen, die damals zu helfen wagten." Gabriele von Arnim, Norddeutscher Rundfunk, Bücherwelt, 26.03.13
"Eine überaus geglückte Einstiegslektüre in das Thema Verfolgung und Rettung und eine wunderbare Huldigung an den Mut jener Menschen, die damals zu helfen wagten." Gabriele von Arnim, Norddeutscher Rundfunk, Bücherwelt, 26.03.13
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