Nachspielzeit
Eine unvollendete Fußballkarriere. Vorw. v. Thomas Müller
Wenn der Lebenstraum zerplatzt: vom Abseits ins Abenteuer.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Nachspielzeit “
Wenn der Lebenstraum zerplatzt: vom Abseits ins Abenteuer.
Klappentext zu „Nachspielzeit “
"Seinen Traum aufzugeben, ist immer verdammt schwer. Egal, ob im Sport oder im normalen Leben.Wohl jeder hat diese Erfahrung in irgendeinem Rahmen schon einmal gemacht. Sei es beruflich oder privat. Doch so schmerzhaft sie auch sein mag, man muss irgendwann loslassen können. Um Platz zu machen für etwas Neues im Leben."
Timo Heinzes Traum ist es, Fußballprofi zu werden. Und nach Jahren beim FC Bayern München und in der Jugendnationalmannschaft scheint sich dieser tatsächlich zu erfüllen. Doch dann folgt der abrupte sportliche Absturz - in nur wenigen Monaten vom heißgehandelten Nachwuchstalent zum fast vergessenen Auswechselspieler. Timo Heinze hängt schließlich die Fußballschuhe an den Nagel und macht sich allein auf nach Bali. Hier blickt er zurück auf die Höhen und Tiefen seiner allzu kurzen Karriere, und er macht seinen Frieden damit, dass es eben nicht sein sollte.
Ein beeindruckend ehrlicher Einblick in die Welt des Profifußballs, in der es nur sehr wenige nach ganz oben schaffen.Mit einem Vorwort von Nationalspieler Thomas Müller.
Lese-Probe zu „Nachspielzeit “
Nachspielzeit von Timo Heinze Vorwort
Zum ersten Mal traf ich Timo 2008. Damals bestritt ich meine erste Partie für die zweite Mannschaft des FC Bayern. Nicht nur in der Kabine drückten wir beide uns in dieser Zeit den einen oder anderen scherzhaften Spruch, auch auf dem Platz hatten wir zwangsläufig viel miteinander zu tun. Denn wir spielten meistens gemeinsam auf der rechten Seite. Im Gegensatz zu heute muss ich gestehen, dass damals in so manchen Spielen das Wort «Defensive» in meinem Wortschatz nicht vorkam. So stand Timo nicht selten allein auf weiter Flur gegen zwei Angreifer und war darüber natürlich nicht immer glücklich. Wenn er die Sache aber mal dezent ansprach, konnte ich häufig mit dem Argument dagegenhalten, dass ich dafür nach vorne umso mehr für die Mannschaft geleistet hätte. Für mich ging danach alles rasend schnell, und ich bin dankbar, nun meinen Traum beim FC Bayern leben zu dürfen. Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass meine Entwicklung alles andere als normal war und die Sache auch anders hätte kommen können. Denn auch wenn ich meine Chance schlicht und ergreifend zu nutzen wusste - ohne das berühmte Quäntchen Glück wäre ich nicht dort, wo ich heute bin. Ich habe viele Mitspieler scheitern sehen und weiß nur zu gut, wie wenige tatsächlich den Sprung schaffen. Timo hätte ich den Durchbruch auf jeden Fall zugetraut. Gleichzeitig aber war mir immer klar, dass er auch so zurechtkommen würde.
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Schon damals hatte er mir erzählt, dass er ein Studium beginnen werde, sollte die Sache schiefgehen. Ähnlich habe ich übrigens auch in meinem Fall gedacht. Und Schreiben, das tat er schon immer gern. Auf einer Mannschaftsreise nach Indien berichtete er zum Beispiel regelmäßig für unsere Website von unseren Erlebnissen. Dass er nun ein ganzes Buch verfasst hat, war zwar nicht zu erwarten, aber es freut mich sehr für ihn. Eingerahmt von einer abenteuerlichen Reise nach Bali, gewährt sein Beispiel einen sehr lebendigen und realistischen Blick in das Leben eines aufstrebenden Fußballers mit den verschiedensten Facetten des Geschäfts und zeigt gleichzeitig, dass leider nicht alle Träume in Erfüllung gehen können, die Welt aber trotzdem nicht untergeht. In diesem Sinne wünsche ich nun viel Spaß beim Lesen! Ihr Thomas Müller
11. 5. - 12. 5. 2010
Adler auf der Brust
Dienstag, Flughafen München. Ich stehe in der Wartehalle mit meinem prallgefüllten Rucksack auf den Schultern, und auch mein Kopf ist voll. Überladen von Gedanken und Erinnerungen, die sich permanent im Kreis drehen. Ich selbst dagegen, mein Innerstes, ist einfach nur leer. Seit dem letzten Spiel der Saison sind drei Tage vergangen. Mein Flieger ist nicht einmal zu einem Viertel gefüllt, und ich habe mächtig Platz. Was auch gut so ist, wenn ich den Herrn mit augenscheinlich indischer Abstammung schräg vor mir in seinem Sitz sehe. Eigentlich sind es fast zwei Plätze, die er besetzt. Sagen wir einfach, der gute Mann ist wohlbeleibt. Er erinnert mich aufgrund seiner Statur stark an Reiner Calmund. Und während sich unser indischer Calli über sein mittlerweile zweites Essen hermacht, schreibe ich mir ein paar nützliche Vokabeln aus meinem Reiseführer auf. Zumindest einigermaßen möchte ich vorbereitet und in der Lage sein, auf Indonesisch zu grüßen oder mich zu bedanken. Als ich also ganz strebsam gerade ein paar Begriffe notiere, werde ich plötzlich in meinem Augenwinkel geblendet. Die Sonne geht unter und reflektiert in hellrosa Farben auf dem Flugzeugflügel direkt neben meinem Fenster. Ich genieße dieses Bild und weiß gar nicht genau, warum, aber für einen kurzen Moment spüre ich ein Gefühl von Freiheit und Grenzenlosigkeit. Überhaupt bin ich mit einem Schlag sehr gespannt und erwartungsfroh, was in den kommenden drei Wochen auf mich zukommen wird. Aber auch nervös. Scheint wohl das Reisefieber zu sein, das mir alle schon viel früher prognostiziert hatten. Der erste Teil ist jedenfalls bald geschafft, und der Flieger landet in Doha, Katar. Doha? Da war doch was, fällt mir ein, als ich durch den Flughafen schlendere. Hier war ich schon mal, im Januar 2004. Für ein Wintertrainingslager mit der Jugendnationalmannschaft. Ich erinnere mich an Trainingseinheiten in sengender Hitze, ein Testspiel vor Ort gegen die Mannschaft des älteren Jahrgangs mit Mario Gomez und René Adler, vor allem aber an das unglaublich pompöse Hotel, in dem wir untergebracht waren. Von der U16- bis zur U19-Jugend bestritt ich insgesamt dreiundzwanzig Länderspiele für Deutschland. Es war eine sehr schöne Erfahrung, sein Land voller Stolz gegen die größten Fußballnationen der Welt zu vertreten. Ich hatte das Glück, gegen nahezu jeden reizvollen Gegner antreten zu dürfen - unter anderem Brasilien, Argentinien, Spanien, Frankreich, Italien, Niederlande und England. Dort standen Spieler im Kader wie etwa David Silva, Yoann Gourcuff, Ibrahim Afellay, Giuseppe Rossi, Aaron Lennon oder James Milner, die wohl alle bei der WM 2010 dabei sein werden. Auch aus unserer Mannschaft haben es ein paar Jungs inzwischen in die Bundesliga geschafft, beispielsweise Manuel Neuer, Florian Fromlowitz, Thomas Kessler, Eugen Polanski, Ashkan Dejagah, Aaron Hunt oder Georg Niedermeier. Sie verdienen vermutlich allesamt Millionen in den kommenden Jahren. Aber das Gefühl, mit dem Adler auf der Brust während der Nationalhymne auf dem Platz zu stehen und mitzusingen, kann mir, genau wie ihnen, keiner mehr nehmen. Oft bekomme ich heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke oder mir ein Länderspiel im Fernsehen anschaue. Ein wahrhaft erhabener Moment. Das Abspielen der Nationalhymne. Bis hin zu meinem eigenen ersten Länderspiel im Alter von fünfzehn Jahren war es eine kleine Odyssee. Startpunkt war die bayerische Landesauswahl. Hierfür musste ich mich zunächst über mehrere Trainingslehrgänge qualifizieren. Als ich das geschafft hatte, ging es mit der Mannschaft nach Duisburg. Dort findet in der Sportschule Wedau jedes Jahr die inoffizielle Deutsche Meisterschaft der Landesverbände statt, und wir vertraten unseren Freistaat Bayern. Wir, das war ein bunter Mix aus Spielern des FC Bayern, der Münchner Löwen, vom Club aus Nürnberg und anderen kleineren Vereinen. Nie wieder habe ich erlebt, dass sich innerhalb einer Mannschaft binnen kürzester Zeit ein solcher Zusammenhalt entwickelte. Es passte einfach menschlich von Beginn an in dieser Truppe. Die Charaktere ergänzten sich nahezu perfekt. Wir waren in der wohl kargsten Ecke der Sportschule untergebracht. Ohne Fernseher auf den Zimmern, Duschen und Toiletten gab es nur in Gemeinschaftsbädern. Es wurde wahnsinnig viel gelacht beim abendlichen Kartenspielen oder bei den Mahlzeiten im Essensraum. Doch wenn es auf den Platz ging, dann brannten wir. Wir waren ein verschworener Haufen mit einem super Trainer, und so spielten wir auch. In der letzten Begegnung fehlte uns noch ein einziger Sieg für den Titel. Wir spielten den Gegner Sachsen-Anhalt förmlich an die Wand und behielten mit acht zu eins überdeutlich die Oberhand. Der Rest war großer Jubel. Das Turnier an sich dient allerdings in erster Linie nicht dem Ausspielen der Meisterschaft, es ist vielmehr ein Sichtungsturnier. Aus all den Spielern soll die Jugendnationalmannschaft gebildet werden. Die Begegnungen waren nicht öffentlich, Fans am Spielfeldrand gab es nicht. Dafür umso mehr Beobachter. Bei jedem Spiel standen diverse Trainer des DFB mit Stift in der Hand an der Seitenlinie und notierten sich ihre Eindrücke zu den Akteuren. Nach dem Turnier erhielten dann von den mehreren hundert Spielern genau neununddreißig eine Einladung für den ersten Lehrgang der Nationalmannschaft, der ein paar Wochen danach abgehalten wurde. Auch ich bekam Post und war fürchterlich aufgekratzt, als ich das Kuvert aus dem Briefkasten fischte, öffnete und den Brief erst nach dem dritten Durchlesen mit einem breiten Lächeln wieder weglegte. In einem mehrtätigen Trainingslager wurde dann weiter selektiert. In verschiedenen Trainingseinheiten und Testspielen wurden wir auf Herz und Nieren geprüft. Diverse Technikübungen am Ball, Zweikämpfe, Flanken, Torschüsse, die verschiedensten Spielformen, eben die gesamte Palette. Das Niveau hier war noch einmal einen Tick höher als zu Hause im Verein, vor allem das Spieltempo empfand ich anfangs als sehr rasant. Aber ich hatte den Eindruck, dass ich mich sehr beachtlich geschlagen hatte, und machte mir Hoffnungen, den Trainerstab überzeugt zu haben. Sicher sein konnte ich mir dennoch bei weitem nicht, dafür war die Leistungsdichte unter den Jungs einfach zu hoch. Im Prinzip hätte jeder von uns zumindest das Potenzial gehabt, es in das Team zu schaffen. Dann war es so weit. Am Ende waren zwanzig Spieler die letztlich Auserwählten für das erste Länderspiel der neuformierten U16-Nationalmannschaft. Nationaltrainer Bernd Stöber rief nacheinander jeden Spieler zu sich. Auch wenn er es möglichst zwanglos und unförmlich gestaltete, die Situation war vergleichbar mit dem Herausgeben einer Klassenarbeit, die sich jeder Schüler persönlich vom Lehrerpult abholt. Als ich an der Reihe war, versuchte ich möglichst unbeeindruckt zu wirken. Ich bezweifle, dass mir dies gelang. Ich achtete wie in Trance auf jedes einzelne Wort des Trainers, als müsste ich seine Ausführungen danach auswendig aufsagen können. Zum Glück fasste er sich kurz und machte mir unmissverständlich klar, dass er mich in der Mannschaft sieht. In mir stieg eine gewaltige Freude auf, die ich am liebsten noch vor dem Coach laut herausgeschrien hätte. Aber ich begnügte mich mit ein paar Anrufen direkt im Anschluss bei meinen Eltern und den engsten Freunden. Dann ging alles ganz schnell. Schon am folgenden Tag reisten die aussortierten Spieler nach Hause. Wie sie dort mit ihren Taschen ein wenig verloren vor dem Hotel auf den Bus warteten, taten sie mir leid. Denn ich konnte mich nur zu leicht in ihre Lage versetzen, schließlich hätte es mich ebenso gut erwischen können. Bereits am übernächsten Tag machte ich in der Nähe von Schwerin mein erstes Länderspiel gegen Dänemark, ein weiteres gegen denselben Gegner folgte zwei Tage darauf. Von nun an durfte ich mich voller Stolz Nationalspieler nennen. In Doha habe ich Probleme, meinen Anschlussflug zu finden. Die Flugnummer stimmt, aber Singapur? Davon wüsste ich aber. Leicht irritiert fragt mich ein älteres, liebenswürdiges Pärchen, ob ich wisse, was hier los sei. Ein Mann fällt ihnen ins Wort und klärt uns auf, dass die Maschine in Singapur aufgetankt wird, wir aus dem Flieger rausmüssen und es dann erst etwa drei Stunden später weitergeht. Mittwochabend Ortszeit lande ich schlussendlich auf Bali. Es ist bereits dunkel. Inzwischen sind rund fünfundzwanzig Stunden vergangen, seitdem ich meine Haustür im beschaulichen Unterhaching zugezogen habe. Dafür werde ich aber auch anständig begrüßt. Im Landeanflug sehe ich neben dem Rollfeld ein paar kleine Leuchtraketen aufsteigen. Als wollte mir jemand sagen: «Willkommen auf Bali, Timo.» Ich will mit dem Taxi nach Kuta, nur wenige Kilometer vom Flughafen entfernt. Aber zuvor heißt es zum ersten Mal handeln. Dieses nervige Gefeilsche sollte mich noch die ganze Reise über verfolgen. Ein guter Freund von mir war bereits zweimal für längere Zeit auf Bali, von ihm habe ich mir einige nützliche Tipps mit auf den Weg geben lassen. So lande ich einigermaßen günstig kurze Zeit später im Zentrum von Kuta, und mich trifft erst mal der Schlag. Die Stadt ist die reinste Touristenhochburg. Also genau das, was ich eigentlich meiden wollte. Hier reiht sich Geschäft an Geschäft, flankiert von zahlreichen Bars und Restaurants, in denen feierwütige Partycliquen sitzen. Und das alles im westlichen Stil. Also wenn das Bali ist, dann Prost Mahlzeit. Am liebsten würde ich sofort auf meinem nicht vorhandenen Flip-Flop-Absatz kehrtmachen und das Weite suchen. Aber es ist schon spät, und ich brauche einen Schlafplatz. Nach langer Suche finde ich ein für balinesische Verhältnisse überteuertes Zimmer in der letzten Ecke der Hotelanlage. Waschbecken? Fehlanzeige. Toilettenspülung? Zonk. Ventilator? Zwar da, aber funktioniert ungefähr so gut wie eine Abseitsfalle mit Sammy Kuffour. Ich hole tief Luft und setze mich erst mal auf das Bett und dessen verdrecktes Laken. Es ist unfassbar heiß hier drin. Als ich anschließend ein paar Sachen aus meinem Rucksack räume, bin ich innerhalb einer Minute schweißgebadet. Raus hier. Ich habe ohnehin Hunger. Völlig übermüdet und mit leichtem Jetlag kämpfend, schleppe ich mich in das nächste Lokal. So alleine an einem Tisch umgeben von Partyvolk fühle ich mich äußerst unwohl, und es kommen große Zweifel auf. Was mache ich hier eigentlich? Und vor allem alleine? Ich wollte das ja so, um mal für mich zu sein und Abstand bekommen zu können. Aber jetzt, in diesem Moment, frage ich mich, ob die Reise wirklich so eine gute Idee war. Ich fürchte, nicht. Mich beschleicht das unangenehme Gefühl, dass ich doch lieber im heimischen Deutschland hätte bleiben sollen. Die folgenden Jahre gehörte ich zum festen Stamm der Jugendnationalmannschaft Deutschlands. Zu meinem Trainer Bernd Stöber hatte ich ein außergewöhnlich gutes Verhältnis. Er legte keinen sonderlichen Wert auf die Körpergröße, ganz im Gegensatz zu vielen anderen Auswahltrainern, sondern achtete auf das fußballerische Potenzial eines Akteurs. Ich war immer einer der Kleinsten gewesen und dazu eher ein Spätzünder in meiner Entwicklung. So waren die meisten meiner Gegner in dieser Zeit einen Kopf größer als ich. Doch ich wusste mich zu wehren und vor allem durchzusetzen, und das schien Stöber zu gefallen. Ich war zwar nicht sein Kapitän, doch nahm er mich immer mal wieder zur Seite und fragte mich nach meiner persönlichen Meinung zu anderen Spielern, wenn er sich nicht ganz sicher war, wie er sie einschätzen sollte. Einen Tag vor dem Abflug zur ersten Runde der EM-Qualifikation brach ich mir in einem bedeutungslosen Trainingsspiel gegen eine ortsansässige Mannschaft den Knöchel. Ich stieg hoch zum Kopfballduell, erwischte auch den Ball, doch bei der Landung trat ich in ein kleines Loch im Platz und verdrehte mir den rechten Fuß. Den Schmerz empfand ich dabei als gar nicht mal sonderlich schlimm, vielmehr das Geräusch im Moment des Umknickens schockierte mich. Selbst Mitspieler, die zwanzig Meter oder mehr von mir entfernt standen, hörten dieses fiese, alles durchdringende Knacken. Man will es zwar in diesem Augenblick nicht wahrhaben und versucht, sich etwas anderes einzureden, aber ich wusste sofort, dass etwas kaputt war. Noch im verdreckten Spieloutfit wurde ich umgehend ins Krankenhaus gefahren. Es war meine erste erwähnenswerte Verletzung, und ich war sehr gefrustet. Nach meiner Rückkehr besuchte mich der Trainer höchstpersönlich auf meinem Hotelzimmer, mein Fuß war bereits eingegipst worden. Er unterhielt sich mit mir über die Mannschaft und die kommenden Monate, als wäre ich nicht am Fuß lädiert, sondern immer noch Teil der Truppe. Von da an wusste ich, dass er auf mich setzt und ich wieder dabei sein würde, sobald ich fit wäre. So kam es dann auch, und ich zahlte das Vertrauen mit konstant guten Leistungen zurück. Unter den vielen Länderspielreisen war der «Mundialito» 2002 im italienischen Salerno ein ganz besonderes Highlight. Allein schon weil das Turnier äußerst namhaft besetzt war. Im Auftaktspiel gegen Frankreich zogen wir denkbar knapp den Kürzeren. Wir waren zwar spielerisch keinesfalls schlechter, aber die Franzosen hatten uns athletisch einiges voraus, besonders die dunkelhäutigen Spieler waren einfach in dem jungen Alter schon größer und körperlich robuster als wir. In der zweiten Partie wartete ein fußballerischer Leckerbissen auf uns: kein Geringerer als der Rekordweltmeister aus Brasilien. Am Vortag wurden wir gemeinsam mit unserem Gegner zu den Trainingsplätzen kutschiert, die nur einen Katzensprung auseinanderlagen. Kaum hatte der Fahrer den Motor angelassen, da ging auch schon die Party los unter den Brasilianern, die sich vorne im Bus niedergelassen hatten. Das gesamte Team fing an, lautstark fröhlich zu singen und dabei einträchtig Sambarhythmen auf den Sitzarmaturen zu klopfen. Wir, im hinteren Teil des Busses, sahen uns ungläubig und verwirrt an. Für die Brasilianer schien es aber ganz normal zu sein, den Bus in eine fahrende Disco zu verwandeln. Ich kam mir vor wie beim Karneval in Rio und hätte am liebsten angefangen zu tanzen, so einladend klang der Gesang. Nach einer Weile wollten wir das Ganze so nicht auf uns sitzenlassen. Irgendeiner von uns fing tatsächlich an, «Wahnsinn » von Wolfgang Petry zu grölen. Ich hoffe, er schämt sich noch heute dafür. Wie auch immer, wir stimmten alle ein und brüllten die schöne Sambamusik mit mehrmaligem «Hölle Hölle Hölle» binnen kürzester Zeit nieder. Die Brasilianer waren erst erschrocken, was man auch verstehen kann, letztendlich aber mussten beide Lager laut lachen, und die restliche Fahrt über wechselten wir uns freundschaftlich ab mit unseren Darbietungen. Später im Hotel kamen wir mit einigen der Jungs ins Gespräch, und ich tauschte ein Trainingsshirt mit einem Spieler aus Rio. Auf dem Platz kannten wir allerdings keine Freundschaft und ließen den Sambakickern, die selbst beim Aufwärmen rhythmisch klatschten und sich tänzelnd fortbewegten, keine Chance. Nachdem wir im abschließenden Spiel auch noch Argentinien bezwingen konnten, stand am Ende ein ehrenwerter dritter Platz. Und eine Menge neue Erfahrungen auf internationalem Parkett nahmen wir ebenfalls mit in die deutsche Heimat.
Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Schon damals hatte er mir erzählt, dass er ein Studium beginnen werde, sollte die Sache schiefgehen. Ähnlich habe ich übrigens auch in meinem Fall gedacht. Und Schreiben, das tat er schon immer gern. Auf einer Mannschaftsreise nach Indien berichtete er zum Beispiel regelmäßig für unsere Website von unseren Erlebnissen. Dass er nun ein ganzes Buch verfasst hat, war zwar nicht zu erwarten, aber es freut mich sehr für ihn. Eingerahmt von einer abenteuerlichen Reise nach Bali, gewährt sein Beispiel einen sehr lebendigen und realistischen Blick in das Leben eines aufstrebenden Fußballers mit den verschiedensten Facetten des Geschäfts und zeigt gleichzeitig, dass leider nicht alle Träume in Erfüllung gehen können, die Welt aber trotzdem nicht untergeht. In diesem Sinne wünsche ich nun viel Spaß beim Lesen! Ihr Thomas Müller
11. 5. - 12. 5. 2010
Adler auf der Brust
Dienstag, Flughafen München. Ich stehe in der Wartehalle mit meinem prallgefüllten Rucksack auf den Schultern, und auch mein Kopf ist voll. Überladen von Gedanken und Erinnerungen, die sich permanent im Kreis drehen. Ich selbst dagegen, mein Innerstes, ist einfach nur leer. Seit dem letzten Spiel der Saison sind drei Tage vergangen. Mein Flieger ist nicht einmal zu einem Viertel gefüllt, und ich habe mächtig Platz. Was auch gut so ist, wenn ich den Herrn mit augenscheinlich indischer Abstammung schräg vor mir in seinem Sitz sehe. Eigentlich sind es fast zwei Plätze, die er besetzt. Sagen wir einfach, der gute Mann ist wohlbeleibt. Er erinnert mich aufgrund seiner Statur stark an Reiner Calmund. Und während sich unser indischer Calli über sein mittlerweile zweites Essen hermacht, schreibe ich mir ein paar nützliche Vokabeln aus meinem Reiseführer auf. Zumindest einigermaßen möchte ich vorbereitet und in der Lage sein, auf Indonesisch zu grüßen oder mich zu bedanken. Als ich also ganz strebsam gerade ein paar Begriffe notiere, werde ich plötzlich in meinem Augenwinkel geblendet. Die Sonne geht unter und reflektiert in hellrosa Farben auf dem Flugzeugflügel direkt neben meinem Fenster. Ich genieße dieses Bild und weiß gar nicht genau, warum, aber für einen kurzen Moment spüre ich ein Gefühl von Freiheit und Grenzenlosigkeit. Überhaupt bin ich mit einem Schlag sehr gespannt und erwartungsfroh, was in den kommenden drei Wochen auf mich zukommen wird. Aber auch nervös. Scheint wohl das Reisefieber zu sein, das mir alle schon viel früher prognostiziert hatten. Der erste Teil ist jedenfalls bald geschafft, und der Flieger landet in Doha, Katar. Doha? Da war doch was, fällt mir ein, als ich durch den Flughafen schlendere. Hier war ich schon mal, im Januar 2004. Für ein Wintertrainingslager mit der Jugendnationalmannschaft. Ich erinnere mich an Trainingseinheiten in sengender Hitze, ein Testspiel vor Ort gegen die Mannschaft des älteren Jahrgangs mit Mario Gomez und René Adler, vor allem aber an das unglaublich pompöse Hotel, in dem wir untergebracht waren. Von der U16- bis zur U19-Jugend bestritt ich insgesamt dreiundzwanzig Länderspiele für Deutschland. Es war eine sehr schöne Erfahrung, sein Land voller Stolz gegen die größten Fußballnationen der Welt zu vertreten. Ich hatte das Glück, gegen nahezu jeden reizvollen Gegner antreten zu dürfen - unter anderem Brasilien, Argentinien, Spanien, Frankreich, Italien, Niederlande und England. Dort standen Spieler im Kader wie etwa David Silva, Yoann Gourcuff, Ibrahim Afellay, Giuseppe Rossi, Aaron Lennon oder James Milner, die wohl alle bei der WM 2010 dabei sein werden. Auch aus unserer Mannschaft haben es ein paar Jungs inzwischen in die Bundesliga geschafft, beispielsweise Manuel Neuer, Florian Fromlowitz, Thomas Kessler, Eugen Polanski, Ashkan Dejagah, Aaron Hunt oder Georg Niedermeier. Sie verdienen vermutlich allesamt Millionen in den kommenden Jahren. Aber das Gefühl, mit dem Adler auf der Brust während der Nationalhymne auf dem Platz zu stehen und mitzusingen, kann mir, genau wie ihnen, keiner mehr nehmen. Oft bekomme ich heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke oder mir ein Länderspiel im Fernsehen anschaue. Ein wahrhaft erhabener Moment. Das Abspielen der Nationalhymne. Bis hin zu meinem eigenen ersten Länderspiel im Alter von fünfzehn Jahren war es eine kleine Odyssee. Startpunkt war die bayerische Landesauswahl. Hierfür musste ich mich zunächst über mehrere Trainingslehrgänge qualifizieren. Als ich das geschafft hatte, ging es mit der Mannschaft nach Duisburg. Dort findet in der Sportschule Wedau jedes Jahr die inoffizielle Deutsche Meisterschaft der Landesverbände statt, und wir vertraten unseren Freistaat Bayern. Wir, das war ein bunter Mix aus Spielern des FC Bayern, der Münchner Löwen, vom Club aus Nürnberg und anderen kleineren Vereinen. Nie wieder habe ich erlebt, dass sich innerhalb einer Mannschaft binnen kürzester Zeit ein solcher Zusammenhalt entwickelte. Es passte einfach menschlich von Beginn an in dieser Truppe. Die Charaktere ergänzten sich nahezu perfekt. Wir waren in der wohl kargsten Ecke der Sportschule untergebracht. Ohne Fernseher auf den Zimmern, Duschen und Toiletten gab es nur in Gemeinschaftsbädern. Es wurde wahnsinnig viel gelacht beim abendlichen Kartenspielen oder bei den Mahlzeiten im Essensraum. Doch wenn es auf den Platz ging, dann brannten wir. Wir waren ein verschworener Haufen mit einem super Trainer, und so spielten wir auch. In der letzten Begegnung fehlte uns noch ein einziger Sieg für den Titel. Wir spielten den Gegner Sachsen-Anhalt förmlich an die Wand und behielten mit acht zu eins überdeutlich die Oberhand. Der Rest war großer Jubel. Das Turnier an sich dient allerdings in erster Linie nicht dem Ausspielen der Meisterschaft, es ist vielmehr ein Sichtungsturnier. Aus all den Spielern soll die Jugendnationalmannschaft gebildet werden. Die Begegnungen waren nicht öffentlich, Fans am Spielfeldrand gab es nicht. Dafür umso mehr Beobachter. Bei jedem Spiel standen diverse Trainer des DFB mit Stift in der Hand an der Seitenlinie und notierten sich ihre Eindrücke zu den Akteuren. Nach dem Turnier erhielten dann von den mehreren hundert Spielern genau neununddreißig eine Einladung für den ersten Lehrgang der Nationalmannschaft, der ein paar Wochen danach abgehalten wurde. Auch ich bekam Post und war fürchterlich aufgekratzt, als ich das Kuvert aus dem Briefkasten fischte, öffnete und den Brief erst nach dem dritten Durchlesen mit einem breiten Lächeln wieder weglegte. In einem mehrtätigen Trainingslager wurde dann weiter selektiert. In verschiedenen Trainingseinheiten und Testspielen wurden wir auf Herz und Nieren geprüft. Diverse Technikübungen am Ball, Zweikämpfe, Flanken, Torschüsse, die verschiedensten Spielformen, eben die gesamte Palette. Das Niveau hier war noch einmal einen Tick höher als zu Hause im Verein, vor allem das Spieltempo empfand ich anfangs als sehr rasant. Aber ich hatte den Eindruck, dass ich mich sehr beachtlich geschlagen hatte, und machte mir Hoffnungen, den Trainerstab überzeugt zu haben. Sicher sein konnte ich mir dennoch bei weitem nicht, dafür war die Leistungsdichte unter den Jungs einfach zu hoch. Im Prinzip hätte jeder von uns zumindest das Potenzial gehabt, es in das Team zu schaffen. Dann war es so weit. Am Ende waren zwanzig Spieler die letztlich Auserwählten für das erste Länderspiel der neuformierten U16-Nationalmannschaft. Nationaltrainer Bernd Stöber rief nacheinander jeden Spieler zu sich. Auch wenn er es möglichst zwanglos und unförmlich gestaltete, die Situation war vergleichbar mit dem Herausgeben einer Klassenarbeit, die sich jeder Schüler persönlich vom Lehrerpult abholt. Als ich an der Reihe war, versuchte ich möglichst unbeeindruckt zu wirken. Ich bezweifle, dass mir dies gelang. Ich achtete wie in Trance auf jedes einzelne Wort des Trainers, als müsste ich seine Ausführungen danach auswendig aufsagen können. Zum Glück fasste er sich kurz und machte mir unmissverständlich klar, dass er mich in der Mannschaft sieht. In mir stieg eine gewaltige Freude auf, die ich am liebsten noch vor dem Coach laut herausgeschrien hätte. Aber ich begnügte mich mit ein paar Anrufen direkt im Anschluss bei meinen Eltern und den engsten Freunden. Dann ging alles ganz schnell. Schon am folgenden Tag reisten die aussortierten Spieler nach Hause. Wie sie dort mit ihren Taschen ein wenig verloren vor dem Hotel auf den Bus warteten, taten sie mir leid. Denn ich konnte mich nur zu leicht in ihre Lage versetzen, schließlich hätte es mich ebenso gut erwischen können. Bereits am übernächsten Tag machte ich in der Nähe von Schwerin mein erstes Länderspiel gegen Dänemark, ein weiteres gegen denselben Gegner folgte zwei Tage darauf. Von nun an durfte ich mich voller Stolz Nationalspieler nennen. In Doha habe ich Probleme, meinen Anschlussflug zu finden. Die Flugnummer stimmt, aber Singapur? Davon wüsste ich aber. Leicht irritiert fragt mich ein älteres, liebenswürdiges Pärchen, ob ich wisse, was hier los sei. Ein Mann fällt ihnen ins Wort und klärt uns auf, dass die Maschine in Singapur aufgetankt wird, wir aus dem Flieger rausmüssen und es dann erst etwa drei Stunden später weitergeht. Mittwochabend Ortszeit lande ich schlussendlich auf Bali. Es ist bereits dunkel. Inzwischen sind rund fünfundzwanzig Stunden vergangen, seitdem ich meine Haustür im beschaulichen Unterhaching zugezogen habe. Dafür werde ich aber auch anständig begrüßt. Im Landeanflug sehe ich neben dem Rollfeld ein paar kleine Leuchtraketen aufsteigen. Als wollte mir jemand sagen: «Willkommen auf Bali, Timo.» Ich will mit dem Taxi nach Kuta, nur wenige Kilometer vom Flughafen entfernt. Aber zuvor heißt es zum ersten Mal handeln. Dieses nervige Gefeilsche sollte mich noch die ganze Reise über verfolgen. Ein guter Freund von mir war bereits zweimal für längere Zeit auf Bali, von ihm habe ich mir einige nützliche Tipps mit auf den Weg geben lassen. So lande ich einigermaßen günstig kurze Zeit später im Zentrum von Kuta, und mich trifft erst mal der Schlag. Die Stadt ist die reinste Touristenhochburg. Also genau das, was ich eigentlich meiden wollte. Hier reiht sich Geschäft an Geschäft, flankiert von zahlreichen Bars und Restaurants, in denen feierwütige Partycliquen sitzen. Und das alles im westlichen Stil. Also wenn das Bali ist, dann Prost Mahlzeit. Am liebsten würde ich sofort auf meinem nicht vorhandenen Flip-Flop-Absatz kehrtmachen und das Weite suchen. Aber es ist schon spät, und ich brauche einen Schlafplatz. Nach langer Suche finde ich ein für balinesische Verhältnisse überteuertes Zimmer in der letzten Ecke der Hotelanlage. Waschbecken? Fehlanzeige. Toilettenspülung? Zonk. Ventilator? Zwar da, aber funktioniert ungefähr so gut wie eine Abseitsfalle mit Sammy Kuffour. Ich hole tief Luft und setze mich erst mal auf das Bett und dessen verdrecktes Laken. Es ist unfassbar heiß hier drin. Als ich anschließend ein paar Sachen aus meinem Rucksack räume, bin ich innerhalb einer Minute schweißgebadet. Raus hier. Ich habe ohnehin Hunger. Völlig übermüdet und mit leichtem Jetlag kämpfend, schleppe ich mich in das nächste Lokal. So alleine an einem Tisch umgeben von Partyvolk fühle ich mich äußerst unwohl, und es kommen große Zweifel auf. Was mache ich hier eigentlich? Und vor allem alleine? Ich wollte das ja so, um mal für mich zu sein und Abstand bekommen zu können. Aber jetzt, in diesem Moment, frage ich mich, ob die Reise wirklich so eine gute Idee war. Ich fürchte, nicht. Mich beschleicht das unangenehme Gefühl, dass ich doch lieber im heimischen Deutschland hätte bleiben sollen. Die folgenden Jahre gehörte ich zum festen Stamm der Jugendnationalmannschaft Deutschlands. Zu meinem Trainer Bernd Stöber hatte ich ein außergewöhnlich gutes Verhältnis. Er legte keinen sonderlichen Wert auf die Körpergröße, ganz im Gegensatz zu vielen anderen Auswahltrainern, sondern achtete auf das fußballerische Potenzial eines Akteurs. Ich war immer einer der Kleinsten gewesen und dazu eher ein Spätzünder in meiner Entwicklung. So waren die meisten meiner Gegner in dieser Zeit einen Kopf größer als ich. Doch ich wusste mich zu wehren und vor allem durchzusetzen, und das schien Stöber zu gefallen. Ich war zwar nicht sein Kapitän, doch nahm er mich immer mal wieder zur Seite und fragte mich nach meiner persönlichen Meinung zu anderen Spielern, wenn er sich nicht ganz sicher war, wie er sie einschätzen sollte. Einen Tag vor dem Abflug zur ersten Runde der EM-Qualifikation brach ich mir in einem bedeutungslosen Trainingsspiel gegen eine ortsansässige Mannschaft den Knöchel. Ich stieg hoch zum Kopfballduell, erwischte auch den Ball, doch bei der Landung trat ich in ein kleines Loch im Platz und verdrehte mir den rechten Fuß. Den Schmerz empfand ich dabei als gar nicht mal sonderlich schlimm, vielmehr das Geräusch im Moment des Umknickens schockierte mich. Selbst Mitspieler, die zwanzig Meter oder mehr von mir entfernt standen, hörten dieses fiese, alles durchdringende Knacken. Man will es zwar in diesem Augenblick nicht wahrhaben und versucht, sich etwas anderes einzureden, aber ich wusste sofort, dass etwas kaputt war. Noch im verdreckten Spieloutfit wurde ich umgehend ins Krankenhaus gefahren. Es war meine erste erwähnenswerte Verletzung, und ich war sehr gefrustet. Nach meiner Rückkehr besuchte mich der Trainer höchstpersönlich auf meinem Hotelzimmer, mein Fuß war bereits eingegipst worden. Er unterhielt sich mit mir über die Mannschaft und die kommenden Monate, als wäre ich nicht am Fuß lädiert, sondern immer noch Teil der Truppe. Von da an wusste ich, dass er auf mich setzt und ich wieder dabei sein würde, sobald ich fit wäre. So kam es dann auch, und ich zahlte das Vertrauen mit konstant guten Leistungen zurück. Unter den vielen Länderspielreisen war der «Mundialito» 2002 im italienischen Salerno ein ganz besonderes Highlight. Allein schon weil das Turnier äußerst namhaft besetzt war. Im Auftaktspiel gegen Frankreich zogen wir denkbar knapp den Kürzeren. Wir waren zwar spielerisch keinesfalls schlechter, aber die Franzosen hatten uns athletisch einiges voraus, besonders die dunkelhäutigen Spieler waren einfach in dem jungen Alter schon größer und körperlich robuster als wir. In der zweiten Partie wartete ein fußballerischer Leckerbissen auf uns: kein Geringerer als der Rekordweltmeister aus Brasilien. Am Vortag wurden wir gemeinsam mit unserem Gegner zu den Trainingsplätzen kutschiert, die nur einen Katzensprung auseinanderlagen. Kaum hatte der Fahrer den Motor angelassen, da ging auch schon die Party los unter den Brasilianern, die sich vorne im Bus niedergelassen hatten. Das gesamte Team fing an, lautstark fröhlich zu singen und dabei einträchtig Sambarhythmen auf den Sitzarmaturen zu klopfen. Wir, im hinteren Teil des Busses, sahen uns ungläubig und verwirrt an. Für die Brasilianer schien es aber ganz normal zu sein, den Bus in eine fahrende Disco zu verwandeln. Ich kam mir vor wie beim Karneval in Rio und hätte am liebsten angefangen zu tanzen, so einladend klang der Gesang. Nach einer Weile wollten wir das Ganze so nicht auf uns sitzenlassen. Irgendeiner von uns fing tatsächlich an, «Wahnsinn » von Wolfgang Petry zu grölen. Ich hoffe, er schämt sich noch heute dafür. Wie auch immer, wir stimmten alle ein und brüllten die schöne Sambamusik mit mehrmaligem «Hölle Hölle Hölle» binnen kürzester Zeit nieder. Die Brasilianer waren erst erschrocken, was man auch verstehen kann, letztendlich aber mussten beide Lager laut lachen, und die restliche Fahrt über wechselten wir uns freundschaftlich ab mit unseren Darbietungen. Später im Hotel kamen wir mit einigen der Jungs ins Gespräch, und ich tauschte ein Trainingsshirt mit einem Spieler aus Rio. Auf dem Platz kannten wir allerdings keine Freundschaft und ließen den Sambakickern, die selbst beim Aufwärmen rhythmisch klatschten und sich tänzelnd fortbewegten, keine Chance. Nachdem wir im abschließenden Spiel auch noch Argentinien bezwingen konnten, stand am Ende ein ehrenwerter dritter Platz. Und eine Menge neue Erfahrungen auf internationalem Parkett nahmen wir ebenfalls mit in die deutsche Heimat.
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Autoren-Porträt von Timo Heinze
Heinze, TimoTimo Heinze, geboren 1986, kam mit zwölf Jahren zum FC Bayern München, wo er daraufhin alle Jugendmannschaften durchlief. Ab 2005 spielte er in der Amateurmannschaft, bis er 2009 zur SpVgg Unterhaching wechselte. Er spielte außerdem in der U-16-, U-17- und U-19-Nationalmannschaft. Seit 2010 studiert er an der Deutschen Sporthochschule in Köln.
Bibliographische Angaben
- Autor: Timo Heinze
- 2012, 3. Aufl., 235 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 12,5 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499630117
- ISBN-13: 9783499630118
- Erscheinungsdatum: 01.12.2012
Rezension zu „Nachspielzeit “
?Ein sehr lebendiger und realistischer Blick in das Leben eines aufstrebenden Fußballers Thomas Müller
Kommentar zu "Nachspielzeit"
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