Nackt unter Krabben / Küsten Roman Bd.1
Ein Küsten-Roman
Schachmatt im Watt
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Produktinformationen zu „Nackt unter Krabben / Küsten Roman Bd.1 “
Klappentext zu „Nackt unter Krabben / Küsten Roman Bd.1 “
Schachmatt im WattAls Falk den Strandkorbverleih auf der schönen Nordseeinsel Heisterhoog erbt, freut er sich auf Sonne, Strand und dicke Kohle. Doch weit gefehlt. Das Ganze artet in Arbeit aus. Ältere Damen aus Bottrop liegen nun mal nicht gerne neben Berliner Nudisten. Wenn Nachbar Thies, der Einsiedlerkrebs aus dem DLRG-Häuschen, nicht wäre, Falk könnte schon am ersten Tag einpacken. Sollte er das Grundstück nicht doch lieber an Hubsi von Boistern, den schwerreichen Inselinvestor, verkaufen? Und dann verliebt sich Falk auch noch. Unversehens gerät er zwischen alle Fronten - und das in der Hauptsaison.
Bestsellerautorin Marie Matisek unterwegs auf Heisterhoog - der schönsten aller Nordseeinseln
Lese-Probe zu „Nackt unter Krabben / Küsten Roman Bd.1 “
Nackt unter Krabben von Marie Matisek1.
Die Amsel vor seinem Fenster sang aus voller Kehle, und der alte Sten freute sich über das Ständchen. Durch das geöffnete Fenster strömte die noch frische Luft des Sommermorgens in sein Zimmer. Er atmete tief ein, aber die See konnte er nicht riechen. Nicht auf dem Festland, gut fünfzig Kilometer vom Wasser entfernt. Das wurmte ihn. Es hätte so ein schöner schneller Tod sein können. Allein vor seiner Hütte, das Rauschen des Meeres in den Ohren, die Abendsonne war langsam in den Dünen versunken. Er hatte sich gerade auf der Bank seiner Strandkate ausgestreckt, die Pfeife angesteckt und einen Schluck Whisky genommen, da hatte ihn der Herzinfarkt erwischt. Aber er hatte keinen Schmerz gespürt und gedacht: So soll es sein. Dass ausgerechnet in diesem Moment der verdammte Jörn Krümmel vorbeigekommen war! Der Idiot hatte den Notarzt gerufen, und Sten war mit dem Hubschrauber von seiner geliebten Insel Heisterhoog in ein Spital auf dem Festland geflogen worden. Und da lag er nun, wie ein Fisch auf dem Trockenen.
... mehr
Die Tür seines Zimmers flog mit einem Krachen auf, und Sten wusste schon bei diesem Geräusch, dass das niemand vom Krankenhauspersonal sein konnte. Und tatsächlich. Die Cowboystiefel, der angeberische weiße Stetson und der Hundertkilobauch, der sich über einem protzigen Westerngürtel wölbte, konnten nur einem gehören: Bernd Frekksen, seinem erbitterten Widersacher. Sten war nicht überrascht. Dass Frekksen die Lage ausnutzen würde, lag auf der Hand. Aber Sten würde nicht einen Millimeter weichen. Nicht er, Kapitän Sten Thomsen!
»Na, Sten, bist du dem Tod ja noch mal von der Schippe gesprungen, was?!« Frekksens dickes Gesicht verzog sich zu einem breiten Lächeln, und seine Schweinsäuglein blitzten.
Sten zog es vor zu schweigen. Die Amsel hatte aufgehört zu singen, als hätte sie gespürt, dass mit dem Erscheinen von Bernd Frekksen jedes frohe Lied enden musste. Dieser zog sich jetzt einen Besucherstuhl neben Stens Bett und ließ sich schwungvoll mit seinem ganzen Gewicht darauf fallen. Der Stuhl ächzte unter dem schweren Mann.
»Herzinfarkt, soso.« Frekksen wischte sich die Schweißperlen von der Stirn, aber das falsche Lächeln war noch nicht verschwunden. »Da sollte man schön auf seine Gesundheit achten, Sten.« Genussvoll holte Bernd Frekksen einen Zigarillo aus einem Etui, das er in der Tasche seiner cremefarbenen Lederjacke stecken hatte. Er hob das braune Röllchen unter seine Nase und atmete den herben Tabakgeruch tief ein. »Und du willst doch gerne noch ein bisschen leben, was, Sten? Schon allein, um dein kleines Häuschen zu behalten und die paar Quadratmeter drumherum.«
Sten schloss die Augen. Der Frekksen konnte sich querlegen, wie er wollte. Er würde auf Durchzug schalten.
»Oder hast du schon aufgegeben? In dem Fall ...« Frekksen kramte in seiner Herrenhandtasche, holte etwas daraus hervor und schmiss es Sten auf die Bettdecke.
Der alte Sten spürte das Gewicht und wusste genau, worum es sich handelte. Der Zankapfel, um den seit Jahren ein erbitterter Streit auf Heisterhoog brannte. Und der die idyllische nordfriesische Insel in zwei verfeindete Lager gespalten hatte. Außerhalb der Saison, versteht sich. Sobald die Sommergäste kamen, legte sich ein trügerischer Frieden über die Insel. Da hielten sie alle zusammen, eine Notgemeinschaft. Aber kaum waren als Letztes in Bayern die Ferien zu Ende, entbrannte der Zwist von neuem. Die Dokumente, die nun auf seiner Decke lagen, sollte der alte Sten seit Jahren unterschreiben. Hinter seiner Unterschrift war Bernd Frekksen her wie der Teufel hinter der armen Seele.
Doch Stens Gedanken nahmen jetzt eine ganz andere Richtung. In zwei Wochen würden in einigen Bundesländern die Ferien beginnen. Und über drei Monate lang würde er jeden seiner Strandkörbe vermietet haben. Er war bestens darauf vorbereitet: Die Schlösser waren vom Rost befreit und geölt, die Polster gewaschen, die Löcher geklebt. Der Auszugsmechanismus für die hölzernen Fußstützen überprüft und ebenfalls gefettet, das Korbgeflecht ausgebessert. Und auf jedem seiner 350 Strandkörbe hatte Sten mit leuchtend blauer Farbe die Nummer nachgemalt und den stolzen Schriftzug »Thomsens Strandkörbe«.
»Wenn du das Zeitliche segnest, kannst du das ebenso gut unterschreiben«, sagte Frekksen gerade. Er hatte sich den Zigarillo angezündet und blies eine dicke Rauchwolke in Stens Gesicht. »Dann kann dir doch egal sein, was auf der Insel passiert. Hier, unterschreib, du oller Sturkopf.« Frekksen piekste ihn mit einem Kugelschreiber in die Seite. Sten zog es vor, nicht zu reagieren. Der konnte ihm gar nichts, dieser aufgeblasene Möchtegern-Deichgraf.
Frekksen hatte offenbar nicht damit gerechnet, dass der kranke Sten sich ihm sogar auf dem Krankenbett noch entgegenstellen würde. Er stand auf und beugte sich dicht über Stens Gesicht. Der alte Kapitän hielt die Augen fest geschlossen, aber er roch den Zigarilloatem. Stens Brust wurde ganz eng, als sich Frekksen fast auf ihn legte.
»Hör mal Sten, sei doch vernünftig. Wir auf der Insel müssen mit der Zeit gehen. Arbeitsplätze schaffen. Du kannst dich dem nicht entgegenstellen. Was juckt's dich denn, was mit deinem Grund passiert, wenn du tot bist? Du hast doch keine Erben.«
Wenn du dich da mal nicht täuschst, Frekksen, dachte der alte Sten, wenn du dich da mal nicht täuschst. Er hörte das fröhliche Tirilieren der Amsel, dann tat er friedlich seinen letzten Atemzug.
2.
Der linke Blinker von Falks Simson-Schwalbe war schon seit Wochen kaputt, also winkte er lässig mit der Hand und bog mit ohrenbetäubendem Geknatter in die Stresemannstraße ein. Der Audi, der ihm entgegenkam, musste abbremsen und hupte ihm hinterher. »Reg dich ab«, lachte Falk und jagte die Schwalbe auf fünfundsechzig Kilometer pro Stunde hoch. Lerchenstraße, Schulterblatt, schließlich die Schanzenstraße, über den Bordstein und die letzten Meter auf dem Bürgersteig zurückgelegt. Falk bremste quietschend vor der Hausnummer 9a und grinste. In nur siebzehneinhalb Minuten vom Institut nach Hause, das war Rekordzeit! Er zog sich den grellgrünen Helm mit den FC-St.-Pauli-Aufklebern vom Kopf, schloss sein Moped ab und warf einen Blick auf das Fenster im zweiten Stock. Es stand offen, die Holzjalousie war hochgezogen. Das hieß, Bille war schon aufgestanden. Falk kramte in seiner Hosentasche und klimperte mit den losen Münzen darin. Zwei Euro fünfzig, dafür konnte er etwas zum Frühstück besorgen, jetzt, um halb drei am Nachmittag. Die türkische Bäckerei unten im Haus hatte die besten Sesamkringel, jede Stunde zog Yasemin frische aus dem Ofen.
Kurz darauf lief Falk die ausgetretenen Treppen des Altbaus hinauf, immer zwei Stufen auf einmal. Die Tüte mit drei Sesamkringeln und O-Saft schlenkerte gegen seinen Oberschenkel. Oben angekommen, entschied er sich, nicht zu klingeln, Bille war ein bis zwei Stunden nach dem Aufstehen immer wahnsinnig empfindlich. Meistens hatte sie sich zuvor die ganze Nacht um die Ohren geschlagen, sie war DJane im »Xtreme«, einem Club hier auf St. Pauli. Leise schloss er auf. Aus der Küche hörte Falk schon das Zischen der Espressomaschine. Er schmiss seinen Rucksack in die Ecke und stieß die dunkelrot lackierte Holztür auf. Bille saß mit dem Rücken zu ihm vor ihrem Laptop. Die Haare hatte sie in einem lockeren Knoten nach oben gezwirbelt und Falk konnte einen Blick auf ihre wunderschön geschwungene Nackenlinie werfen. Sanft hauchte er ihr einen Kuss auf den winzigen Leberfleck unterhalb des linken Ohres.
»Morgen, du Schöne. Guck mal, was ich mitgebracht habe!« Er hob seine Einkäufe hoch.
Bille dreht sich zu ihm um und strahlte ihn mit leuchtenden grünen Augen an. Falk sah schon an ihrem Blick, dass sie in Gedanken ganz woanders war. Nicht bei ihm und auch nicht bei dem Frühstück, das er in der Tüte trug.
»Ich weiß, wo wir hinfahren!« Billes Stimme bebte vor Spannung, und Falk musste schlucken. Dieses Beben bedeutete meist, dass Bille eine Idee hatte, auf die Falk keine Lust hatte. Das letzte Mal hatte Billes Stimme so gebebt, als sie Mao Tse-tung, den kleinen Straßenkater, aufgelesen hatte. Sie hatte ihn vor dem Kältetod gerettet, und in der Folge hatte Mao Tse-tung die ganze Wohnung als Katzenklo missbraucht, sich an Falks Klamotten die scharfen Krallen gewetzt und Falk den Platz im Bett streitig gemacht. Falk seufzte.
»Goa«, hauchte Bille bedeutungsvoll. »Das ist so was von abgefahren.« Sie drehte sich wieder zum Laptop und schob ihn etwas zu Falk. »Guck mal.«
Vor Falks Augen zog sich ein strahlend weißer Sandstrand, nur partiell beschattet von einigen hochgewachsenen schlanken Palmen, über den gesamten Bildschirm.
»Goa«, dachte Falk laut. »Ist das nicht in Indien?«
»Ja, klar. Die Leute da sind so was von lässig, man kann sich kleine Strohhütten mieten, direkt am Strand. Den ganzen Tag abhängen und Mangos essen, abends trifft man sich, trinkt was, und nachts ist Party am Strand.« Bille klickte weitere Goabilder an, alle zeigten idyllische Strände und lächelnde, sehr entspannt wirkende junge Rucksacktouristen.
Falk überlegte. Fernreisen waren echt nicht sein Ding. Lange Flüge, die Hitze, Essen, von dem man Durchfall bekam, und jede Menge Ungeziefer. Wie konnte er Bille nur diese Schnapsidee ausreden?
»Bille, Süße«, begann Falk locker, während er die Sesamkringel auspackte, Orangensaft eingoss und Bille einen Latte macchiato zubereitete. »Ich hab kein Geld mehr. Goa, also das ist echt nicht drin bei mir.«
Falk spürte Billes bohrende Blicke im Rücken.
»So ein Quatsch! Du hast bloß keinen Bock! Du kannst doch deinen Vater mal anpumpen, der hat doch genug.«
»Bille, das Thema haben wir schon durch.« Falks gute Sommerlaune, die Rekordzeit und die Sesamkringel waren vergessen. Ein Gewitter zog auf, das konnte Falk deutlich spüren. Besser, er lenkte das Gespräch auf ein anderes Thema.
»Kommst du nachher mit in den Park? Hannes und Tina wollen grillen.«
»Lenk jetzt nicht ab, Falk Thomsen.« Wenn Bille bloß nicht so süß aussehen würde, wenn sie sauer war.
»Ich lenk nicht ab.«
»Ich kenn dich.«
Ja, leider, dachte Falk, und weil das so war, wusste er auch, dass Ablenken jetzt keinen Zweck hatte. Bille wollte nach Goa, und sie würde so lange nicht nachlassen, bis er mit seinem Rucksack den Check-in am Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel passiert hatte. Bille ließ nie nach, und das faszinierte Falk auch so an seiner Freundin. Sie war die treibende Kraft in ihrer Beziehung, und Falk, von Haus aus eher entspannt, lässig und etwas faul, hätte ohne Bille vieles in seinem Leben verpasst. Aber seit einiger Zeit hatte er das Gefühl, als hätte er die Entscheidungsgewalt über sein Leben aus der Hand gegeben, und er fand, er sollte das schleunigst ändern.
Falk setzte noch mal an: »Du weißt doch, dass Mama mir die Miete für das Zimmer nicht mehr zahlen kann. Also Urlaub ... Das sieht echt nicht gut aus.«
Billes Augen sprühten grüne Blitze.
»Das kommt dir ja gerade recht, was? Immer, wenn du keinen Bock auf was hast, sagst du, du hast kein Geld. Wie wär's denn mal mit Arbeit, Falk? Das würde 'ne Menge Probleme lösen.«
»Ich jobbe ja dauernd!«, widersprach Falk. »Aber das Studium gibt es schließlich auch noch«, wandte Falk ärgerlich ein. »Soziologie!« Bille rollte mit den Augen. »Andere studieren Medizin und jobben nebenher. Die können dann auch nach Goa fahren.«
Müssen, dachte Falk, die müssen dann nach Goa. Bille wandte sich wieder dem Laptop zu und gab Falk damit zu verstehen, dass für sie die Debatte beendet war. Sie würde nach Goa fahren und er auch. Basta.
Gerade als Falk darüber nachdachte, ob es nicht doch einen Ausweg aus der verfahrenen Situation gab, klingelte es. Der Briefträger stand vor der Tür, er hatte ein Einschreiben für Falk. Es war ein Schreiben von einer Hamburger Kanzlei. Falk war skeptisch, ob er das Schreiben überhaupt annehmen sollte, und ging im Geiste seine Verfehlungen der letzten Woche durch. Wie oft war er beim Schwarzfahren erwischt worden? Hatte er irgendjemandem den Stinkefinger gezeigt? Der Briefträger trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und hielt Falk fordernd den Stift für die Unterschrift entgegen. Schließlich siegte Falks Neugier, er unterzeichnete und ging mit dem Kuvert in die Küche zurück.
© by Ullstein Taschenbuchverlag
Die Tür seines Zimmers flog mit einem Krachen auf, und Sten wusste schon bei diesem Geräusch, dass das niemand vom Krankenhauspersonal sein konnte. Und tatsächlich. Die Cowboystiefel, der angeberische weiße Stetson und der Hundertkilobauch, der sich über einem protzigen Westerngürtel wölbte, konnten nur einem gehören: Bernd Frekksen, seinem erbitterten Widersacher. Sten war nicht überrascht. Dass Frekksen die Lage ausnutzen würde, lag auf der Hand. Aber Sten würde nicht einen Millimeter weichen. Nicht er, Kapitän Sten Thomsen!
»Na, Sten, bist du dem Tod ja noch mal von der Schippe gesprungen, was?!« Frekksens dickes Gesicht verzog sich zu einem breiten Lächeln, und seine Schweinsäuglein blitzten.
Sten zog es vor zu schweigen. Die Amsel hatte aufgehört zu singen, als hätte sie gespürt, dass mit dem Erscheinen von Bernd Frekksen jedes frohe Lied enden musste. Dieser zog sich jetzt einen Besucherstuhl neben Stens Bett und ließ sich schwungvoll mit seinem ganzen Gewicht darauf fallen. Der Stuhl ächzte unter dem schweren Mann.
»Herzinfarkt, soso.« Frekksen wischte sich die Schweißperlen von der Stirn, aber das falsche Lächeln war noch nicht verschwunden. »Da sollte man schön auf seine Gesundheit achten, Sten.« Genussvoll holte Bernd Frekksen einen Zigarillo aus einem Etui, das er in der Tasche seiner cremefarbenen Lederjacke stecken hatte. Er hob das braune Röllchen unter seine Nase und atmete den herben Tabakgeruch tief ein. »Und du willst doch gerne noch ein bisschen leben, was, Sten? Schon allein, um dein kleines Häuschen zu behalten und die paar Quadratmeter drumherum.«
Sten schloss die Augen. Der Frekksen konnte sich querlegen, wie er wollte. Er würde auf Durchzug schalten.
»Oder hast du schon aufgegeben? In dem Fall ...« Frekksen kramte in seiner Herrenhandtasche, holte etwas daraus hervor und schmiss es Sten auf die Bettdecke.
Der alte Sten spürte das Gewicht und wusste genau, worum es sich handelte. Der Zankapfel, um den seit Jahren ein erbitterter Streit auf Heisterhoog brannte. Und der die idyllische nordfriesische Insel in zwei verfeindete Lager gespalten hatte. Außerhalb der Saison, versteht sich. Sobald die Sommergäste kamen, legte sich ein trügerischer Frieden über die Insel. Da hielten sie alle zusammen, eine Notgemeinschaft. Aber kaum waren als Letztes in Bayern die Ferien zu Ende, entbrannte der Zwist von neuem. Die Dokumente, die nun auf seiner Decke lagen, sollte der alte Sten seit Jahren unterschreiben. Hinter seiner Unterschrift war Bernd Frekksen her wie der Teufel hinter der armen Seele.
Doch Stens Gedanken nahmen jetzt eine ganz andere Richtung. In zwei Wochen würden in einigen Bundesländern die Ferien beginnen. Und über drei Monate lang würde er jeden seiner Strandkörbe vermietet haben. Er war bestens darauf vorbereitet: Die Schlösser waren vom Rost befreit und geölt, die Polster gewaschen, die Löcher geklebt. Der Auszugsmechanismus für die hölzernen Fußstützen überprüft und ebenfalls gefettet, das Korbgeflecht ausgebessert. Und auf jedem seiner 350 Strandkörbe hatte Sten mit leuchtend blauer Farbe die Nummer nachgemalt und den stolzen Schriftzug »Thomsens Strandkörbe«.
»Wenn du das Zeitliche segnest, kannst du das ebenso gut unterschreiben«, sagte Frekksen gerade. Er hatte sich den Zigarillo angezündet und blies eine dicke Rauchwolke in Stens Gesicht. »Dann kann dir doch egal sein, was auf der Insel passiert. Hier, unterschreib, du oller Sturkopf.« Frekksen piekste ihn mit einem Kugelschreiber in die Seite. Sten zog es vor, nicht zu reagieren. Der konnte ihm gar nichts, dieser aufgeblasene Möchtegern-Deichgraf.
Frekksen hatte offenbar nicht damit gerechnet, dass der kranke Sten sich ihm sogar auf dem Krankenbett noch entgegenstellen würde. Er stand auf und beugte sich dicht über Stens Gesicht. Der alte Kapitän hielt die Augen fest geschlossen, aber er roch den Zigarilloatem. Stens Brust wurde ganz eng, als sich Frekksen fast auf ihn legte.
»Hör mal Sten, sei doch vernünftig. Wir auf der Insel müssen mit der Zeit gehen. Arbeitsplätze schaffen. Du kannst dich dem nicht entgegenstellen. Was juckt's dich denn, was mit deinem Grund passiert, wenn du tot bist? Du hast doch keine Erben.«
Wenn du dich da mal nicht täuschst, Frekksen, dachte der alte Sten, wenn du dich da mal nicht täuschst. Er hörte das fröhliche Tirilieren der Amsel, dann tat er friedlich seinen letzten Atemzug.
2.
Der linke Blinker von Falks Simson-Schwalbe war schon seit Wochen kaputt, also winkte er lässig mit der Hand und bog mit ohrenbetäubendem Geknatter in die Stresemannstraße ein. Der Audi, der ihm entgegenkam, musste abbremsen und hupte ihm hinterher. »Reg dich ab«, lachte Falk und jagte die Schwalbe auf fünfundsechzig Kilometer pro Stunde hoch. Lerchenstraße, Schulterblatt, schließlich die Schanzenstraße, über den Bordstein und die letzten Meter auf dem Bürgersteig zurückgelegt. Falk bremste quietschend vor der Hausnummer 9a und grinste. In nur siebzehneinhalb Minuten vom Institut nach Hause, das war Rekordzeit! Er zog sich den grellgrünen Helm mit den FC-St.-Pauli-Aufklebern vom Kopf, schloss sein Moped ab und warf einen Blick auf das Fenster im zweiten Stock. Es stand offen, die Holzjalousie war hochgezogen. Das hieß, Bille war schon aufgestanden. Falk kramte in seiner Hosentasche und klimperte mit den losen Münzen darin. Zwei Euro fünfzig, dafür konnte er etwas zum Frühstück besorgen, jetzt, um halb drei am Nachmittag. Die türkische Bäckerei unten im Haus hatte die besten Sesamkringel, jede Stunde zog Yasemin frische aus dem Ofen.
Kurz darauf lief Falk die ausgetretenen Treppen des Altbaus hinauf, immer zwei Stufen auf einmal. Die Tüte mit drei Sesamkringeln und O-Saft schlenkerte gegen seinen Oberschenkel. Oben angekommen, entschied er sich, nicht zu klingeln, Bille war ein bis zwei Stunden nach dem Aufstehen immer wahnsinnig empfindlich. Meistens hatte sie sich zuvor die ganze Nacht um die Ohren geschlagen, sie war DJane im »Xtreme«, einem Club hier auf St. Pauli. Leise schloss er auf. Aus der Küche hörte Falk schon das Zischen der Espressomaschine. Er schmiss seinen Rucksack in die Ecke und stieß die dunkelrot lackierte Holztür auf. Bille saß mit dem Rücken zu ihm vor ihrem Laptop. Die Haare hatte sie in einem lockeren Knoten nach oben gezwirbelt und Falk konnte einen Blick auf ihre wunderschön geschwungene Nackenlinie werfen. Sanft hauchte er ihr einen Kuss auf den winzigen Leberfleck unterhalb des linken Ohres.
»Morgen, du Schöne. Guck mal, was ich mitgebracht habe!« Er hob seine Einkäufe hoch.
Bille dreht sich zu ihm um und strahlte ihn mit leuchtenden grünen Augen an. Falk sah schon an ihrem Blick, dass sie in Gedanken ganz woanders war. Nicht bei ihm und auch nicht bei dem Frühstück, das er in der Tüte trug.
»Ich weiß, wo wir hinfahren!« Billes Stimme bebte vor Spannung, und Falk musste schlucken. Dieses Beben bedeutete meist, dass Bille eine Idee hatte, auf die Falk keine Lust hatte. Das letzte Mal hatte Billes Stimme so gebebt, als sie Mao Tse-tung, den kleinen Straßenkater, aufgelesen hatte. Sie hatte ihn vor dem Kältetod gerettet, und in der Folge hatte Mao Tse-tung die ganze Wohnung als Katzenklo missbraucht, sich an Falks Klamotten die scharfen Krallen gewetzt und Falk den Platz im Bett streitig gemacht. Falk seufzte.
»Goa«, hauchte Bille bedeutungsvoll. »Das ist so was von abgefahren.« Sie drehte sich wieder zum Laptop und schob ihn etwas zu Falk. »Guck mal.«
Vor Falks Augen zog sich ein strahlend weißer Sandstrand, nur partiell beschattet von einigen hochgewachsenen schlanken Palmen, über den gesamten Bildschirm.
»Goa«, dachte Falk laut. »Ist das nicht in Indien?«
»Ja, klar. Die Leute da sind so was von lässig, man kann sich kleine Strohhütten mieten, direkt am Strand. Den ganzen Tag abhängen und Mangos essen, abends trifft man sich, trinkt was, und nachts ist Party am Strand.« Bille klickte weitere Goabilder an, alle zeigten idyllische Strände und lächelnde, sehr entspannt wirkende junge Rucksacktouristen.
Falk überlegte. Fernreisen waren echt nicht sein Ding. Lange Flüge, die Hitze, Essen, von dem man Durchfall bekam, und jede Menge Ungeziefer. Wie konnte er Bille nur diese Schnapsidee ausreden?
»Bille, Süße«, begann Falk locker, während er die Sesamkringel auspackte, Orangensaft eingoss und Bille einen Latte macchiato zubereitete. »Ich hab kein Geld mehr. Goa, also das ist echt nicht drin bei mir.«
Falk spürte Billes bohrende Blicke im Rücken.
»So ein Quatsch! Du hast bloß keinen Bock! Du kannst doch deinen Vater mal anpumpen, der hat doch genug.«
»Bille, das Thema haben wir schon durch.« Falks gute Sommerlaune, die Rekordzeit und die Sesamkringel waren vergessen. Ein Gewitter zog auf, das konnte Falk deutlich spüren. Besser, er lenkte das Gespräch auf ein anderes Thema.
»Kommst du nachher mit in den Park? Hannes und Tina wollen grillen.«
»Lenk jetzt nicht ab, Falk Thomsen.« Wenn Bille bloß nicht so süß aussehen würde, wenn sie sauer war.
»Ich lenk nicht ab.«
»Ich kenn dich.«
Ja, leider, dachte Falk, und weil das so war, wusste er auch, dass Ablenken jetzt keinen Zweck hatte. Bille wollte nach Goa, und sie würde so lange nicht nachlassen, bis er mit seinem Rucksack den Check-in am Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel passiert hatte. Bille ließ nie nach, und das faszinierte Falk auch so an seiner Freundin. Sie war die treibende Kraft in ihrer Beziehung, und Falk, von Haus aus eher entspannt, lässig und etwas faul, hätte ohne Bille vieles in seinem Leben verpasst. Aber seit einiger Zeit hatte er das Gefühl, als hätte er die Entscheidungsgewalt über sein Leben aus der Hand gegeben, und er fand, er sollte das schleunigst ändern.
Falk setzte noch mal an: »Du weißt doch, dass Mama mir die Miete für das Zimmer nicht mehr zahlen kann. Also Urlaub ... Das sieht echt nicht gut aus.«
Billes Augen sprühten grüne Blitze.
»Das kommt dir ja gerade recht, was? Immer, wenn du keinen Bock auf was hast, sagst du, du hast kein Geld. Wie wär's denn mal mit Arbeit, Falk? Das würde 'ne Menge Probleme lösen.«
»Ich jobbe ja dauernd!«, widersprach Falk. »Aber das Studium gibt es schließlich auch noch«, wandte Falk ärgerlich ein. »Soziologie!« Bille rollte mit den Augen. »Andere studieren Medizin und jobben nebenher. Die können dann auch nach Goa fahren.«
Müssen, dachte Falk, die müssen dann nach Goa. Bille wandte sich wieder dem Laptop zu und gab Falk damit zu verstehen, dass für sie die Debatte beendet war. Sie würde nach Goa fahren und er auch. Basta.
Gerade als Falk darüber nachdachte, ob es nicht doch einen Ausweg aus der verfahrenen Situation gab, klingelte es. Der Briefträger stand vor der Tür, er hatte ein Einschreiben für Falk. Es war ein Schreiben von einer Hamburger Kanzlei. Falk war skeptisch, ob er das Schreiben überhaupt annehmen sollte, und ging im Geiste seine Verfehlungen der letzten Woche durch. Wie oft war er beim Schwarzfahren erwischt worden? Hatte er irgendjemandem den Stinkefinger gezeigt? Der Briefträger trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und hielt Falk fordernd den Stift für die Unterschrift entgegen. Schließlich siegte Falks Neugier, er unterzeichnete und ging mit dem Kuvert in die Küche zurück.
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Autoren-Porträt von Marie Matisek
Marie Matisek führt einen chaotischen Haushalt mit Mann, Kindern und Tieren im idyllischen Umland von München. Neben dem Muttersein und dem Schreiben pflegt sie ihre Hobbys: kochen, ihren Acker umgraben und Kröten über die Straße helfen.
Autoren-Interview mit Marie Matisek
Fragebogen an Marie Matisek
1. Wer sind Sie? Wie würden Sie Ihre Biographie erzählen?
Ich bin eine Frau, Mitte vierzig, verheiratet, zwei Kinder. Obwohl ich schon einige andere Sachen beruflich gemacht habe, würde ich rückblickend sagen, dass ich mich all die Jahre auf das Schreiben vorbereitet habe. Ich war am Theater und habe viele Jahre für das Fernsehen geschrieben - eine solide Ausbildung für die Schriftstellerei.
2. Wieso schreiben Sie? Wollten Sie schon immer Schriftsteller werden oder gab es einen Auslöser für Ihr Schreiben?
Ich habe immer schon gerne Geschichten erfunden, aber auch gelesen. Die Zeit am Theater war in dieser Hinsicht ein Traum; mit der Beschäftigung mit Figuren und Stücken habe ich diese Leidenschaft zum Beruf gemacht. Als ich dann zum Fernsehen wechselte, habe ich gelernt, meine Phantasien und Geschichten nicht nur zu Papier zu bringen, sondern sie auch so aufzuschreiben, dass sie ein größeres Publikum interessieren. Aber ich hätte mich NIEMALS an ein Buch getraut! Erst als die Agentin meines Mannes mich ansprach, habe ich mich an ein Exposé gewagt.
3. Es gibt diverse Angebote, kreatives Schreiben zu lernen, sei es an Unis oder bei Schriftstellern. Ist alles Handwerk, kann man alles daran lernen oder sitzt es in einem? Wie haben Sie gelernt zu schreiben?
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Wie oben schon erwähnt: Grundlage war die Beschäftigung mit Dramen. Ich bin Dramaturgin und erkenne (bei anderen :-)) schnell, ob ein Spannungsbogen stimmt, wo ein Wendepunkt sein müsste, wie man am höchsten Punkt aus einer Szene geht etc. Das ist Handwerk. Und wie jedes Handwerk in vielen Jahren gereift, erprobt und professionalisiert. Dennoch glaube ich, dass man mehr braucht, um schreiben zu können. Empathie, Leidenschaft, Phantasie, Intuition... Und Durchhaltevermögen! Vor allem dann, wenn einen gerade alles verlassen hat: Handwerk, Empathie, Leidenschaft, Phantasie, Intuition...
4. Wie sieht Ihr Schreibprozess aus? Schreiben Sie einfach drauf los oder recherchieren Sie erst, planen, legen Notizen an, bevor Sie zu schreiben beginnen?
Ich habe eine Geschichte und die Figuren im Kopf. Dazu gibt es meistens eine drei bis fünf Seiten lange Skizze. Dann schreibe ich drauflos, völlig planlos und bekomme spätestens in der Mitte totale Panik, ob und wie ich das Buch fertig bringe. Und nehme mir fest vor, das nächste Mal aber einen genauen Plan zu machen. Aber dann... s.o.
5. Wann und wo schreiben Sie?
Wenn die Kinder zur Schule gehen, gehe ich mit dem Hund eine Stunde Gassi. Das ist eigentlich der Arbeitsbeginn. Ohne diese mentale Vorbereitung kann ich nur sehr schlecht schreiben. Sobald ich nach Hause komme, gibt es eine Kanne Kaffee, Obst und Schokolade. Das brauche ich zum Schreiben. Ebenso einen Strauß Blumen und eine Kerze. Das steht dann alles auf dem Esstisch, um mein
Laptop drapiert. Ich gucke beim Schreiben in den Garten, höre das Schnarchen von Hund und Katze, dann geht es los. Es ist immer das gleiche Ritual, jeden Tag zur gleichen Zeit, außer am Wochenende. Ich brauche diese Gleichförmigkeit. Am Nachmittag, Abend oder Wochenende arbeite ich auch, aber nicht kreative Schreibarbeit. Dann werden E-Mails geschrieben, die Facebook-Seite gepflegt, recherchiert, redigiert, Fragebögen ausgefüllt...
6. Hat ein Schriftsteller je Feierabend oder Ferien? Wie schalten Sie ab?
Ich trage immer Figuren und Geschichten mit mir herum. Ich höre aufmerksam zu, bekomme die Inspiration für meine Geschichten eigentlich von überall. Also arbeite ich genaugenommen zu jeder Zeit. Das Bedürfnis, abzuschalten habe ich eigentlich nicht. Entspannen kann ich aber durchaus! Geben Sie mir ein Sofa und ich schlafe ein.
7. Was bedeutet es für Sie, Autor zu sein? Womit kämpfen Sie als Schriftsteller, was sind die Freuden?
Es ist für mich die Erfüllung schlechthin. Ich schreibe seit knapp vier Jahren. Seit einem Jahr ausschließlich, d.h. ohne mit etwas anderem Geld zu verdienen. Das ist nicht einfach, der Buchmarkt ist sehr schnellebig geworden, die Halbwertzeit eines Buches ist leider kurz. Es gibt so viele Titel, man geht schnell unter. Das finde ich schwierig. Die äußeren Umstände - Vertrieb, Marketing, Anforderungen des Verlags - das ist alles nicht einfach. Dafür habe ich beim Schreiben die größte Freiheit - und das lässt mich auch die Unanehmlichkeiten aushalten.
Autor sein bedeutet für mich: ganz bei sich sein. Es ist mein Traumberuf, ich möchte nichts anderes mehr machen, bis ich eines Tages in Grab falle - an meine Tastatur gekrallt.
8. Woher holen Sie die Ideen für Ihr Schreiben? Natürlich erlebt man viel, sieht man viel. Aber wie
entsteht plötzlich eine Geschichte daraus? Was inspiriert Sie?
Alles! Alles! Alles! Es ist Selbsterlebtes, Gelesenes, Gehörtes, Gesehenes. Ich habe keine Notizbücher, schreibe nichts auf. Weil ich glaube, dass die Geschichten oder Figuren, Namen und Orte, die bei mir hängen bleiben, irgendwann den Weg in ein Buch finden. Manchmal gibt es nur einen Namen, manchmal eine Figur, die man im Kopf hat. Jahre später kommt eine andere Figur hinzu, eine Geschichte setzt sich zusammen. Es muss in mir lebendig werden, nur dann kann ich ein Buch daraus machen. Ich verbringe schließlich viel Zeit damit, da muss es stimmig sein.
9. Selfpublishing und E-Books haben den Buchmarkt in Aufregung versetzt. Man
hört kritische Stimmen gegen Verlage wie auch abschätzige gegen
Selfpublisher. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Ich kann gut verstehen, dass jemand, der entweder keinen Verlag gefunden hat oder mit seinem Ärger hatte, den Weg des Selfpublishing geht. Das ist richtig und es ist auch wichtig, dass es heute mit finziell geringerem Aufwand möglich ist, als früher mit Books on Demand o.ä. Trotzdem wäre das für mich kein Weg. Der Verlag hält mir den Rücken frei und macht all die Sachen für mich, die ich nicht tun möchte. Ich muss mich (fast) nur mit dem Schreiben beschäftigen. Alles andere belastet mich und lähmt den kreativen Prozess. Die Vorstellung, dass ich ein Buch selbst vertreiben und bewerben müsste, wäre ein Horror für mich und würde Energien verbrauchen, die ich lieber ins Schreiben investiere. Außerdem bin ich existenziell auf die Vorschüsse der Verlage angewiesen -
mein Mann ist ebenfalls Autor und wir müssen davon eine vierköpfige Familie durchbringen. Ein Buch komplett zu schreiben, ohne dafür bezahlt zu werden, könnte ich mir gar nicht leisten. Insofern finde ich den Selfpublishing Markt auch etwas bedrohlich.
10. Goethe sagte, alles Schreiben sei autobiographisch. Das stimmt sicher in Bezug
darauf, dass man immer in dem drin steckt in Gedanken, was man schreibt. Wie
viel Marie Matisek steckt in ihren Geschichten? Stecken Sie auch in Ihren
Figuren? Gibt es eine, mit der Sie sich speziell identifizieren?
Keine meiner Figuren ist autobiografisch, aber in jeder steckt Marie Matisek. Ich muss in die Rollen schlüpfen, um die Figuren schreiben zu können. Ich liebe sie alle! Auch die vermeintlich "Bösen" wie Hubsi von Boistern.
11. Ihre letzten beiden Romane, Nackt unter Krabben und Mutter bei die Fische, handeln vom Leben auf einer Nordseeinsel, von Familienschwierigkeiten und Liebesdramen, alles aber immer mit viel Humor beschrieben. Ist Humor, wenn man trotzdem lacht, oder was bewegt Sie zu dieser kunterbunten Mischung?
Ich versuche auch im Leben, jeder Situation etwas Komisches abzugewinnen - ohne etwas lächerlich machen zu wollen. Brachialkomik kann und will ich nicht schreiben, Drama schon eher. Aber kaum habe ich eine zu Herzen gehende Szene geschrieben, schleicht sich schon wieder etwas Komisches ein, da kann ich gar nichts gegen machen.
12. Wieso schreiben Sie über die Nordsee, wieso erbte Falk einen Strandkorbverleih und keinen Münchner Biergarten?
Weil mein Mann und ich die Idee zu dem Buch bei einem Nordseeurlaub hatten. Im Strandkorb.
13. Gibt es neue Projekte? Bleiben Sie Ihrem Genre treu oder finden wir uns bald in einem Krimi von Marie Matisek wieder?
Marie Matisek ist nicht nur ein Name und eine Autorin, sondern auch eine Marke. Und die steht für Nordseegeschichten. Ich habe natürlich auch ganz andere Geschichten auf Lager, aber ein Genrewechsel ist für Autoren sehr, sehr schwer und wird von den Verlagen nicht gerne gesehen. Das wird dann unter anderem Namen sein müssen.
Im Moment habe ich den dritten Nordseeroman abgeschlossen, im nächsten Jahr schreibe ich Nummer vier. Was danach kommt - mal sehen.
14. Nackt unter Krabben spricht nebenbei die Lokalpolitik der Insel Heisterhoog an, wenn auch immer mit einem Augenzwinkern. Wollten Sie eine politische Botschaft vermitteln? Viele Autoren heute und auch in der Vergangenheit haben sich (nicht nur in ihrer Literatur) politisch geäußert. Hat ein Autor einen politischen Auftrag in Ihren Augen?
Nackt unter Krabben ist natürlich zuallererst Unterhaltung. Ich wollte damit keine politische Botschaft vermitteln, aber meine Haltung vermittelt sich indirekt. Ich habe sehr großen Respekt vor Autoren, die radikal gesellschaftspolitisch schreiben, man macht sich dadurch ja auch immer angreifbar. Und man darf die Kraft des Wortes nicht unterschätzen - wie viele Schriftsteller wurden
und werden wegen ihrer Werke verfolgt! Tatsächlich sind aber oft gerade radikal persönliche Werke, in denen gesellschaftliche Realitäten einfach nur geschildert und nicht bewertet werden, sehr politisch. Ich glaube kaum, dass es einem Schriftsteller gelingt, seine Meinung vollkommen zu verbergen. Warum auch?
15. Was muss ein Buch haben, damit es Sie anspricht?
Wumms.
16. Gibt es Bücher/Schriftsteller, die Sie speziell mögen, die sie geprägt haben?
Ich hatte immer Phasen, in denen ich alles verschlungen habe, was ein Autor geschrieben hat. Das fing mit Agatha Christie an, ging über Dostojewski zu Siegfried Lenz und Paul Auster bis zu Arne Dahl. Sie sehen schon: alles dabei!
17. Wenn Sie einem angehenden Schriftsteller fünf Tipps geben müssten, welche wären es?
Nein, das kann ich nicht. Schriftstellerei ist etwas zutiefst Persönliches, es gibt so viele Werdegänge die dorthin führen, die unterschiedlichsten Biografien... Ich glaube, wer schreiben will, wird seinen Weg finden, so oder so.
Quelle ist http://denkzeiten.com/2013/08/25/marie-matisek-nachgefragt/,
die Fragen wurden gestellt von Sandra Matteotti
Wie oben schon erwähnt: Grundlage war die Beschäftigung mit Dramen. Ich bin Dramaturgin und erkenne (bei anderen :-)) schnell, ob ein Spannungsbogen stimmt, wo ein Wendepunkt sein müsste, wie man am höchsten Punkt aus einer Szene geht etc. Das ist Handwerk. Und wie jedes Handwerk in vielen Jahren gereift, erprobt und professionalisiert. Dennoch glaube ich, dass man mehr braucht, um schreiben zu können. Empathie, Leidenschaft, Phantasie, Intuition... Und Durchhaltevermögen! Vor allem dann, wenn einen gerade alles verlassen hat: Handwerk, Empathie, Leidenschaft, Phantasie, Intuition...
4. Wie sieht Ihr Schreibprozess aus? Schreiben Sie einfach drauf los oder recherchieren Sie erst, planen, legen Notizen an, bevor Sie zu schreiben beginnen?
Ich habe eine Geschichte und die Figuren im Kopf. Dazu gibt es meistens eine drei bis fünf Seiten lange Skizze. Dann schreibe ich drauflos, völlig planlos und bekomme spätestens in der Mitte totale Panik, ob und wie ich das Buch fertig bringe. Und nehme mir fest vor, das nächste Mal aber einen genauen Plan zu machen. Aber dann... s.o.
5. Wann und wo schreiben Sie?
Wenn die Kinder zur Schule gehen, gehe ich mit dem Hund eine Stunde Gassi. Das ist eigentlich der Arbeitsbeginn. Ohne diese mentale Vorbereitung kann ich nur sehr schlecht schreiben. Sobald ich nach Hause komme, gibt es eine Kanne Kaffee, Obst und Schokolade. Das brauche ich zum Schreiben. Ebenso einen Strauß Blumen und eine Kerze. Das steht dann alles auf dem Esstisch, um mein
Laptop drapiert. Ich gucke beim Schreiben in den Garten, höre das Schnarchen von Hund und Katze, dann geht es los. Es ist immer das gleiche Ritual, jeden Tag zur gleichen Zeit, außer am Wochenende. Ich brauche diese Gleichförmigkeit. Am Nachmittag, Abend oder Wochenende arbeite ich auch, aber nicht kreative Schreibarbeit. Dann werden E-Mails geschrieben, die Facebook-Seite gepflegt, recherchiert, redigiert, Fragebögen ausgefüllt...
6. Hat ein Schriftsteller je Feierabend oder Ferien? Wie schalten Sie ab?
Ich trage immer Figuren und Geschichten mit mir herum. Ich höre aufmerksam zu, bekomme die Inspiration für meine Geschichten eigentlich von überall. Also arbeite ich genaugenommen zu jeder Zeit. Das Bedürfnis, abzuschalten habe ich eigentlich nicht. Entspannen kann ich aber durchaus! Geben Sie mir ein Sofa und ich schlafe ein.
7. Was bedeutet es für Sie, Autor zu sein? Womit kämpfen Sie als Schriftsteller, was sind die Freuden?
Es ist für mich die Erfüllung schlechthin. Ich schreibe seit knapp vier Jahren. Seit einem Jahr ausschließlich, d.h. ohne mit etwas anderem Geld zu verdienen. Das ist nicht einfach, der Buchmarkt ist sehr schnellebig geworden, die Halbwertzeit eines Buches ist leider kurz. Es gibt so viele Titel, man geht schnell unter. Das finde ich schwierig. Die äußeren Umstände - Vertrieb, Marketing, Anforderungen des Verlags - das ist alles nicht einfach. Dafür habe ich beim Schreiben die größte Freiheit - und das lässt mich auch die Unanehmlichkeiten aushalten.
Autor sein bedeutet für mich: ganz bei sich sein. Es ist mein Traumberuf, ich möchte nichts anderes mehr machen, bis ich eines Tages in Grab falle - an meine Tastatur gekrallt.
8. Woher holen Sie die Ideen für Ihr Schreiben? Natürlich erlebt man viel, sieht man viel. Aber wie
entsteht plötzlich eine Geschichte daraus? Was inspiriert Sie?
Alles! Alles! Alles! Es ist Selbsterlebtes, Gelesenes, Gehörtes, Gesehenes. Ich habe keine Notizbücher, schreibe nichts auf. Weil ich glaube, dass die Geschichten oder Figuren, Namen und Orte, die bei mir hängen bleiben, irgendwann den Weg in ein Buch finden. Manchmal gibt es nur einen Namen, manchmal eine Figur, die man im Kopf hat. Jahre später kommt eine andere Figur hinzu, eine Geschichte setzt sich zusammen. Es muss in mir lebendig werden, nur dann kann ich ein Buch daraus machen. Ich verbringe schließlich viel Zeit damit, da muss es stimmig sein.
9. Selfpublishing und E-Books haben den Buchmarkt in Aufregung versetzt. Man
hört kritische Stimmen gegen Verlage wie auch abschätzige gegen
Selfpublisher. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Ich kann gut verstehen, dass jemand, der entweder keinen Verlag gefunden hat oder mit seinem Ärger hatte, den Weg des Selfpublishing geht. Das ist richtig und es ist auch wichtig, dass es heute mit finziell geringerem Aufwand möglich ist, als früher mit Books on Demand o.ä. Trotzdem wäre das für mich kein Weg. Der Verlag hält mir den Rücken frei und macht all die Sachen für mich, die ich nicht tun möchte. Ich muss mich (fast) nur mit dem Schreiben beschäftigen. Alles andere belastet mich und lähmt den kreativen Prozess. Die Vorstellung, dass ich ein Buch selbst vertreiben und bewerben müsste, wäre ein Horror für mich und würde Energien verbrauchen, die ich lieber ins Schreiben investiere. Außerdem bin ich existenziell auf die Vorschüsse der Verlage angewiesen -
mein Mann ist ebenfalls Autor und wir müssen davon eine vierköpfige Familie durchbringen. Ein Buch komplett zu schreiben, ohne dafür bezahlt zu werden, könnte ich mir gar nicht leisten. Insofern finde ich den Selfpublishing Markt auch etwas bedrohlich.
10. Goethe sagte, alles Schreiben sei autobiographisch. Das stimmt sicher in Bezug
darauf, dass man immer in dem drin steckt in Gedanken, was man schreibt. Wie
viel Marie Matisek steckt in ihren Geschichten? Stecken Sie auch in Ihren
Figuren? Gibt es eine, mit der Sie sich speziell identifizieren?
Keine meiner Figuren ist autobiografisch, aber in jeder steckt Marie Matisek. Ich muss in die Rollen schlüpfen, um die Figuren schreiben zu können. Ich liebe sie alle! Auch die vermeintlich "Bösen" wie Hubsi von Boistern.
11. Ihre letzten beiden Romane, Nackt unter Krabben und Mutter bei die Fische, handeln vom Leben auf einer Nordseeinsel, von Familienschwierigkeiten und Liebesdramen, alles aber immer mit viel Humor beschrieben. Ist Humor, wenn man trotzdem lacht, oder was bewegt Sie zu dieser kunterbunten Mischung?
Ich versuche auch im Leben, jeder Situation etwas Komisches abzugewinnen - ohne etwas lächerlich machen zu wollen. Brachialkomik kann und will ich nicht schreiben, Drama schon eher. Aber kaum habe ich eine zu Herzen gehende Szene geschrieben, schleicht sich schon wieder etwas Komisches ein, da kann ich gar nichts gegen machen.
12. Wieso schreiben Sie über die Nordsee, wieso erbte Falk einen Strandkorbverleih und keinen Münchner Biergarten?
Weil mein Mann und ich die Idee zu dem Buch bei einem Nordseeurlaub hatten. Im Strandkorb.
13. Gibt es neue Projekte? Bleiben Sie Ihrem Genre treu oder finden wir uns bald in einem Krimi von Marie Matisek wieder?
Marie Matisek ist nicht nur ein Name und eine Autorin, sondern auch eine Marke. Und die steht für Nordseegeschichten. Ich habe natürlich auch ganz andere Geschichten auf Lager, aber ein Genrewechsel ist für Autoren sehr, sehr schwer und wird von den Verlagen nicht gerne gesehen. Das wird dann unter anderem Namen sein müssen.
Im Moment habe ich den dritten Nordseeroman abgeschlossen, im nächsten Jahr schreibe ich Nummer vier. Was danach kommt - mal sehen.
14. Nackt unter Krabben spricht nebenbei die Lokalpolitik der Insel Heisterhoog an, wenn auch immer mit einem Augenzwinkern. Wollten Sie eine politische Botschaft vermitteln? Viele Autoren heute und auch in der Vergangenheit haben sich (nicht nur in ihrer Literatur) politisch geäußert. Hat ein Autor einen politischen Auftrag in Ihren Augen?
Nackt unter Krabben ist natürlich zuallererst Unterhaltung. Ich wollte damit keine politische Botschaft vermitteln, aber meine Haltung vermittelt sich indirekt. Ich habe sehr großen Respekt vor Autoren, die radikal gesellschaftspolitisch schreiben, man macht sich dadurch ja auch immer angreifbar. Und man darf die Kraft des Wortes nicht unterschätzen - wie viele Schriftsteller wurden
und werden wegen ihrer Werke verfolgt! Tatsächlich sind aber oft gerade radikal persönliche Werke, in denen gesellschaftliche Realitäten einfach nur geschildert und nicht bewertet werden, sehr politisch. Ich glaube kaum, dass es einem Schriftsteller gelingt, seine Meinung vollkommen zu verbergen. Warum auch?
15. Was muss ein Buch haben, damit es Sie anspricht?
Wumms.
16. Gibt es Bücher/Schriftsteller, die Sie speziell mögen, die sie geprägt haben?
Ich hatte immer Phasen, in denen ich alles verschlungen habe, was ein Autor geschrieben hat. Das fing mit Agatha Christie an, ging über Dostojewski zu Siegfried Lenz und Paul Auster bis zu Arne Dahl. Sie sehen schon: alles dabei!
17. Wenn Sie einem angehenden Schriftsteller fünf Tipps geben müssten, welche wären es?
Nein, das kann ich nicht. Schriftstellerei ist etwas zutiefst Persönliches, es gibt so viele Werdegänge die dorthin führen, die unterschiedlichsten Biografien... Ich glaube, wer schreiben will, wird seinen Weg finden, so oder so.
Quelle ist http://denkzeiten.com/2013/08/25/marie-matisek-nachgefragt/,
die Fragen wurden gestellt von Sandra Matteotti
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Bibliographische Angaben
- Autor: Marie Matisek
- 2013, 8. Aufl., 272 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548285473
- ISBN-13: 9783548285474
- Erscheinungsdatum: 10.04.2013
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