Nah am Herzen
1. Das Geheimlabor; 2. Tödliche Spritzen; 3. Die Meisterdiebin; 4. Verrat in Paris
Vier Krimis der Bestseller-Autorin in einem Band:
...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Nah am Herzen “
Vier Krimis der Bestseller-Autorin in einem Band:
- Tödliche Spritzen: Dr. Kate Chesne wird wegen eines tödlichen Kunstfehlers angeklagt. Als eine weitere Frau stirbt, glaubt ihr Anwalt David, dass Kate selbst in Gefahr ist.
- Verrat in Paris
- Die Meisterdiebin
- Das Geheimlabor
Klappentext zu „Nah am Herzen “
Das Geheimlabor:Brisantes Material über illegale Forschungen bringt Cathy Weaver in Lebensgefahr nur durch seine Schuld. In Dr. Victor Holland erwacht der Beschützerinstinkt für die Frau, die er liebt
Tödliche Spritzen:
Dr. Kate Chesne wird wegen eines tödlichen Kunstfehlers angeklagt doch ist sie wirklich schuldig? Als eine weitere Frau stirbt, wächst in Anwalt David Ransom die Sorge, dass die schöne Kate selbst in Gefahr ist
Die Meisterdiebin:
Clea Rice kann es nicht fassen: Sie ist nicht die einzige Einbrecherin in dem Herrenhaus! Bevor sie jedoch fliehen kann, findet sie sich in den Armen des Fremden wieder Wer ist dieser faszinierende Mann?
Verrat in Paris:
Beryl Travistock muss es wissen: Wie sind ihre Eltern, französische Geheimagenten, damals in Paris wirklich ums Leben gekommen? Richard Wolf hilft ihr nicht nur bei ihren Nachforschungen
1. Das Geheimlabor: Brisantes Material über illegale Forschungen bringt Cathy Weaver in Lebensgefahr - nur durch seine Schuld. In Dr. Victor Holland erwacht der Beschützerinstinkt für die Frau, die er liebt ...
2. Tödliche Spritzen: Dr. Kate Chesne wird wegen eines tödlichen Kunstfehlers angeklagt - doch ist sie wirklich schuldig? Als eine weitere Frau stirbt, wächst in Anwalt David Ransom die Sorge, dass die schöne Kate selbst in Gefahr ist ...
3. Die Meisterdiebin: Clea Rice kann es nicht fassen: Sie ist nicht die einzige Einbrecherin in dem Herrenhaus! Bevor sie jedoch fliehen kann, findet sie sich in den Armen des Fremden wieder ... Wer ist dieser faszinierende Mann?
4. Verrat in Paris: Beryl Travistock muss es wissen: Wie sind ihre Eltern, französische Geheimagenten, damals in Paris wirklich ums Leben gekommen? Richard Wolf hilft ihr nicht nur bei ihren Nachforschungen ...
2. Tödliche Spritzen: Dr. Kate Chesne wird wegen eines tödlichen Kunstfehlers angeklagt - doch ist sie wirklich schuldig? Als eine weitere Frau stirbt, wächst in Anwalt David Ransom die Sorge, dass die schöne Kate selbst in Gefahr ist ...
3. Die Meisterdiebin: Clea Rice kann es nicht fassen: Sie ist nicht die einzige Einbrecherin in dem Herrenhaus! Bevor sie jedoch fliehen kann, findet sie sich in den Armen des Fremden wieder ... Wer ist dieser faszinierende Mann?
4. Verrat in Paris: Beryl Travistock muss es wissen: Wie sind ihre Eltern, französische Geheimagenten, damals in Paris wirklich ums Leben gekommen? Richard Wolf hilft ihr nicht nur bei ihren Nachforschungen ...
Lese-Probe zu „Nah am Herzen “
Nah am Herzen von Tess GerritsenVerrat in Paris
PROLOG
Paris, 1973
... mehr
Sie war zu spät. Das war so gar nicht Madelines Art.
Bernard Tavistock bestellte sich noch einen Milchkaffee und trank ihn in aller Ruhe. Dabei schaute er sich immer wieder um, ob er seine Frau irgendwo entdecken konnte. Doch alles, was er sah, war die typische Szenerie des linken Seine-Ufers: Touristen und Einheimische, rot karierte Tischdecken, ein Sammelsurium an Sommerfarben. Und noch immer keine Spur von seiner Frau. Mittlerweile war sie schon eine halbe Stunde überfällig; dahinter steckte mehr als ein Verkehrsstau. Er bemerkte, dass er begonnen hatte, nervös mit dem Fuß zu wippen. In all den Jahren, in denen sie nun verheiratet waren, war Madeline kaum jemals zu einer Verabredung zu spät gekommen, und wenn, dann höchstens ein paar Minuten. Andere Männer mochten über ihre ewig unpünktlichen Gattinnen stöhnen und die Augen rollen, doch Bernard konnte sich nicht beschweren -- er war mit einer Frau verheiratet, die immer pünktlich war. Einer schönen, schwarzhaarigen Frau. Einer Frau, die ihn auch nach fünfzehn Jahren Ehe noch zu überraschen, zu faszinieren, zu verführen vermochte.
Aber wo zum Teufel blieb sie?
Er schaute den Boulevard Saint-Germain hinauf und hinunter. Seine Nervosität wich langsam echter Sorge. Ob sie einen Unfall gehabt hatte? Oder ob sie in letzter Minute von ihrem Kontaktmann Claude Daumier beim französischen Geheimdienst alarmiert worden war? Schließlich hatten sich in den letzten zwei Wochen die Ereignisse überschlagen. Die Gerüchte über eine NATO-Sicherheitslücke -- einen Maulwurf in ihren eigenen Reihen -- hatten für allgemeines Unbehagen gesorgt, man fragte sich, wem man noch trauen konnte und wem nicht. Seit Tagen wartete Madeline auf Instruktionen vom MI 6 aus London. Vielleicht hatte man sie ja gerade kontaktiert.
Aber dann hätte sie sich gemeldet.
Er stand auf und wollte gerade zum Telefon gehen, als er sah, wie Mario, sein Kellner, ihm zuwinkte. Der junge Mann bahnte sich geschickt seinen Weg durch die Tische.
"Monsieur Tavistock, gerade hat Madame für Sie angerufen."
Bernard seufzte erleichtert. "Wo ist sie?"
"Sie sagte, sie kann nicht zum Lunch kommen. Sie möchte sich aber mit Ihnen treffen."
"Wo?"
"Hier ist die Adresse." Der Kellner gab ihm einen Zettel, auf dem sich allem Anschein nach Spritzer einer Tomatensuppe befanden. Die Adresse war mit Bleistift notiert: Rue Myrha 66, Wohnung 5.
Bernard runzelte die Stirn. "Ist das nicht am Pigalle? Was um Himmels willen hat sie denn da zu suchen?"
Mario zuckte die Schultern in typisch französischer Manier, mit geneigtem Kopf und hoch gezogenen Brauen. "Keine Ahnung. Sie hat mir die Adresse genannt, und ich habe sie aufgeschrieben."
"Vielen Dank." Bernard griff nach seinem Portemonnaie und gab dem Kellner das Geld für seine zwei Milchkaffee und ein großzügiges Trinkgeld.
"Merci", sagte der Kellner lächelnd. "Sehen wir Sie zum Abendessen, Monsieur Tavistock?"
"Wenn ich meine Frau finde", brummte Bernard und machte sich auf den Weg zu seinem Mercedes.
Während er zum Place Pigalle fuhr, schimpfte er die ganze Zeit vor sich hin. Was um alles in der Welt war in sie gefahren? Was wollte sie da? Es war nicht gerade der sicherste Ort in Paris für eine Frau -- oder auch für einen Mann. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass seine liebe Madeline ganz gut auf sich aufpassen konnte. Sie war eine viel bessere Schützin als er, und die automatische Pistole, die sie in ihrer Handtasche hatte, war immer geladen -- eine Vorsichtsmaßnahme, auf der er seit der Beinahe-Katastrophe in Berlin bestand. Es war beunruhigend, dass man heute nicht einmal mehr seinen eigenen Leuten trauen konnte. Überall saßen unfähige Leute, im MI 6, in der NATO, beim französischen Geheimdienst. Und damals war Madeline ganz allein gewesen in diesem Haus in der DDR, ohne jegliche Verstärkung. Wenn ich nicht gerade noch rechtzeitig aufgetaucht wäre ...
Nein, so einen Horror wollte er nicht noch mal erleben.
Und sie hatte ihre Lektion gelernt. Die geladene Pistole war seitdem ihr ständiger Begleiter.
Er bog in die Rue de Chapelle ein und schüttelte angewidert den Kopf angesichts der heruntergekommenen Straße, der schäbigen Nightclubs, der leicht bekleideten Frauen, die an jeder Straßenecke standen. Sie sahen seinen Mercedes und boten ihre Dienste an. Verzweifelt. Die Amerikaner nannten diese Ecke "Pig Alley" statt Pigalle, "Schweinestraße". Hierher kam man, wenn man auf ein schnelles Abenteuer und sündiges Vergnügen aus war. Madeline, dachte er, bist du total verrückt geworden? Was machst du bloß hier? Er bog auf den Boulevard Bayes, dann auf die Rue Myrha ab und parkte vor der Hausnummer 66. Ungläubig starrte er das Gebäude an und zählte drei Stockwerke -- drei Stockwerke, nicht sehr vertrauenserweckend, aus bröckelndem Beton mit altersschwachen Balkonen. Und in dieser Feuerfalle wollte sie sich mit ihm treffen? Er schloss den Mercedes ab und dachte: Ich kann mich glücklich schätzen, wenn das Auto nachher noch da ist. Widerwillig betrat er das Haus.
Von innen sah das Gebäude bewohnt aus: Kinderspielzeug im Treppenhaus, Radiogedudel aus einer der Wohnungen. Er stieg die Treppe hoch. Der Geruch nach gebratenen Zwiebeln und Zigarettenrauch hing vermutlich ständig in der Luft. Die Wohnungen drei und vier befanden sich im ersten Stock. Er stieg durch das enge Treppenhaus weiter ins oberste Stockwerk. Nummer fünf war eine Mansardenwohnung; die niedrige Tür war im Dachvorsprung eingelassen.
Er klopfte. Keine Antwort.
"Madeline?" rief er. "Ist das ein Scherz?"
Immer noch keine Antwort.
Er versuchte, die Tür zu öffnen; sie war nicht abgeschlossen. Bernard schob sich in die Mansarde. Die Jalousien waren heruntergelassen. An der Wand stand ein großes Messingbett, dessen Laken noch zerwühlt waren. Auf einem Nachttisch standen zwei Gläser, eine leere Champagnerflasche und mehrere Plastikgegenstände, die man vorsichtig als "Sexspielzeug" bezeichnen würde. Das Zimmer roch nach Alkohol, nach der Hitze der Leidenschaft und nach Lust.
Bernards Blick wanderte zum Fußende des Messingbettes, neben dem ein hochhackiger Damenschuh auf dem Boden lag. Er runzelte die Stirn, ging einen Schritt näher und sah, dass der Schuh in einer purpurrot schimmernden Lache lag. Als er das Bett umrundet hatte, blieb er ungläubig stehen.
Da lag seine Frau auf dem Boden, ihr ebenholzschwarzes Haar umgab sie wie schwarze Federn. Ihre Augen waren aufgerissen. Drei kleine Blutflecken beschmutzten ihre weiße Bluse.
Er fiel neben ihr auf die Knie. "Nein", sagte er. "Nein." Er berührte ihr Gesicht, fühlte, dass ihre Wangen noch warm waren. Er presste sein Ohr auf ihre Brust, ihre blutbeschmierte Brust, und hörte keinen Herzschlag mehr, keinen Atem. Aus seinem Mund vernahm er ein Schluchzen, einen Laut ungläubiger Trauer. "Madeline!"
Plötzlich hörte er hinter sich ein anderes Geräusch -- Schritte. Leise kamen sie näher ...
Bernard drehte sich um. Irritiert starrte er auf die Pistole -- Madelines Pistole -- , die jetzt auf ihn gerichtet war. Er sah auf und blickte in das Gesicht der Person, die auf ihn zielte. Das alles ergab keinen Sinn, überhaupt keinen Sinn!
"Warum?" fragte Bernard.
Die Antwort war der dumpfe Knall der schallgedämpften Automatic. Die Wucht der Kugel schleuderte ihn zu Boden, neben Madeline. Für ein paar Sekunden war er sich der Nähe ihres Körpers bewusst, der Nähe ihres Haares, das wie Seide durch seine Finger glitt. Er streckte die Hand aus und streichelte schwach ihren Kopf. Meine Liebe, dachte er. Meine Allerliebste.
Dann fiel seine Hand schlaff herunter.
1. Kapitel
Buckinghamshire, England Zwanzig Jahre später
Jordan Tavistock lümmelte sich in Onkel Hughs Sessel und betrachtete amüsiert das Porträt seines Vorfahrens, des unglückseligen Grafen von Lovat. Es hatte schon eine gewisse Komik, dachte er, dass sie Lord Lovat den Ehrenplatz über dem Kaminsims zugeteilt hatten. Ein Paradebeispiel für ihre skurrile Art. Sie stellten ausgerechnet denjenigen ihrer Ahnen aus, der im wahrsten Sinne des Wortes seinen Kopf im Tower Hill verloren hatte. Er war der Letzte gewesen, den man in England offiziell enthauptet hatte -- inoffizielle Enthauptungen zählten nicht. Jordan erhob sein Glas und trank einen Schluck Sherry auf das Wohl des glücklosen Grafen. Er war geneigt, sich ein zweites Glas einzugießen, aber es war schon halb sechs, und bald würden die Gäste zum Empfang anlässlich des "Sturms auf die Bastille" eintreffen. Ich sollte wenigstens ein paar meiner grauen Zellen übrig lassen, ermahnte er sich. Vielleicht brauche ich sie noch für den Smalltalk. Smalltalk rangierte unter Jordans meistgehassten Beschäftigungen ganz oben.
Meistens gelang es ihm, sich vor den Kaviar- und Krawattenrunden seines Onkels Hugh zu drücken, zu denen dieser so gern einlud. Aber der heutige Abend -- veranstaltet zu Ehren seiner Hausgäste Sir Reggie und Lady Helena Vane -- versprach, etwas interessanter zu werden als die üblichen Empfänge. Es war die erste große Party, die Onkel Hugh seit seinem Ausscheiden aus dem britischen Geheimdienst gab, und eine Reihe seiner ehemaligen Kollegen vom MI 6 wurde erwartet. Dazu kamen ein paar alte Bekannte aus seiner Zeit in Paris, die alle wegen des Wirtschaftsgipfels gerade in London weilten. Es könnte also ein spannender Abend werden. Denn immer, wenn Diplomaten und ehemalige Agenten aufeinander trafen, kamen überraschende Geheimnisse ans Licht.
Jordan sah auf, als sein Onkel leise vor sich hin schimpfend ins Arbeitszimmer
kam. Er trug bereits seinen Smoking und versuchte erfolglos, seine Fliege zu binden;
schließlich gelang es ihm, eine Art störrischen Kreuzknoten zu machen.
"Jordan, hilf mir doch bitte mal mit diesem verdammten Ding", bat Hugh. Jordan erhob sich aus seinem Sessel und löste den Knoten wieder. "Wo ist Davis? Er kann so was viel besser als ich."
"Ich habe ihn gerade deine Schwester holen geschickt."
"Ist Beryl schon wieder weg?"
"Natürlich. Erwähne das Wort ‘Cocktailparty', und weg ist sie."
Jordan band seinem Onkel die Fliege. "Beryl mochte Partys noch nie. Mal ganz unter uns: Ich glaube, sie hat genug von den Vanes."
"Meinst du? Aber sie sind so nette Gäste. Sie passen so gut dazu --" "Es sind die kleinen Gemeinheiten, die sie austauschen."
"Ach, das meinst du. So waren sie schon immer. Mir fällt das schon gar nicht mehr auf."
"Ist dir aufgefallen, dass Reggie Beryl nachläuft wie ein Hündchen?"
Hugh lachte. "Bei hübschen Frauen wird Reggie zu einem Hündchen." "Kein Wunder, dass Helena ihn dauernd anmeckert."
Jordan ging einen Schritt zurück und betrachtete die Fliege seines Onkels mit einem Stirnrunzeln.
"Wie sehe ich aus?"
"Das muss reichen."
Hugh sah auf die Uhr. "Ich sehe besser noch mal in der Küche nach, ob alles in Ordnung ist. Und warum sind die Vanes noch nicht unten?"
Wie aufs Stichwort hörten sie zwei streitende Stimmen im Treppenhaus. Lady Helena schimpfte wie so oft mit ihrem Mann. "Irgendjemand muss es dir ja mal sagen", rief sie gerade aus.
"Ja, und dieser Jemand bist immer du."
Sir Reggie flüchtete sich ins Arbeitszimmer, seine Frau folgte ihm. Jordan war bei jedem Treffen wieder aufs Neue erstaunt darüber, wie wenig die beiden zueinander passten. Der grauhaarige und gut aussehende Sir Reggie überragte seine unscheinbare Frau um Längen. Vielleicht lag es an Helenas Erbe, dass die beiden zusammengefunden hatten; mit Geld ließen sich gewisse Defizite schon seit jeher ausgleichen.
Als es kurz vor sechs war, schenkte Hugh vier Gläschen Sherry ein und reichte sie seinen Gästen. "Bevor die Massen ankommen", sagte er. "Ich trinke auf eure sichere Rückkehr nach Paris." Sie tranken. Dieser letzte Abend im Kreise alter Freunde hatte etwas von einer feierlichen Zeremonie.
Jetzt erhob Reggie sein Glas in Richtung des Gastgebers. "Auf die englische Gastfreundschaft, die wir immer wieder zu schätzen wissen!"
Von der Einfahrt hörte man einen Wagen auf dem Schotter vorfahren. Alle spähten aus dem Fenster, um zu sehen, wer die ersten Ankömmlinge waren. Der Chauffeur öffnete die Wagentür, und eine Dame in den Fünfzigern stieg aus, ihren reifen Körper umschmeichelte ein grünes Kleid, das über und über mit Perlen besetzt war. Hinter ihr tauchte ein junger Mann in einem lilafarbenen Seidenhemd auf. Er nahm ihren Arm.
"Ach du lieber Himmel, Nina Sutherland mit ihrem unmöglichen Sohn", murmelte Helena. "Auf welchem Besen ist die hierher geflogen?"
Nina Sutherland bemerkte, dass die vier am Fenster standen. "Hallo Reggie! Helena!" rief sie mit einer Stimme, tief wie ein Fagott.
Hugh setzte sein Sherryglas ab. "Zeit, die Barbaren zu begrüßen", murmelte er seufzend. Und er und die Vanes verschwanden Richtung Vordertür, um die Gäste willkommen zu heißen.
Jordan ließ sich noch etwas Zeit, trank seinen Sherry aus, setzte ein Lächeln auf und machte sich bereit fürs Händeschütteln. Die Stürmung der Bastille -- was für ein Vorwand für eine Party! Er strich noch einmal über seine Frackschöße und über sein Rüschenhemd und machte sich dann resignierend auf den Weg zum Eingang. Der Zirkus konnte losgehen.
Die Frage war nur, wo um Himmels willen seine Schwester war.
...
Übersetzung: Gisela Schmitt
© MIRA Taschenbuch
Sie war zu spät. Das war so gar nicht Madelines Art.
Bernard Tavistock bestellte sich noch einen Milchkaffee und trank ihn in aller Ruhe. Dabei schaute er sich immer wieder um, ob er seine Frau irgendwo entdecken konnte. Doch alles, was er sah, war die typische Szenerie des linken Seine-Ufers: Touristen und Einheimische, rot karierte Tischdecken, ein Sammelsurium an Sommerfarben. Und noch immer keine Spur von seiner Frau. Mittlerweile war sie schon eine halbe Stunde überfällig; dahinter steckte mehr als ein Verkehrsstau. Er bemerkte, dass er begonnen hatte, nervös mit dem Fuß zu wippen. In all den Jahren, in denen sie nun verheiratet waren, war Madeline kaum jemals zu einer Verabredung zu spät gekommen, und wenn, dann höchstens ein paar Minuten. Andere Männer mochten über ihre ewig unpünktlichen Gattinnen stöhnen und die Augen rollen, doch Bernard konnte sich nicht beschweren -- er war mit einer Frau verheiratet, die immer pünktlich war. Einer schönen, schwarzhaarigen Frau. Einer Frau, die ihn auch nach fünfzehn Jahren Ehe noch zu überraschen, zu faszinieren, zu verführen vermochte.
Aber wo zum Teufel blieb sie?
Er schaute den Boulevard Saint-Germain hinauf und hinunter. Seine Nervosität wich langsam echter Sorge. Ob sie einen Unfall gehabt hatte? Oder ob sie in letzter Minute von ihrem Kontaktmann Claude Daumier beim französischen Geheimdienst alarmiert worden war? Schließlich hatten sich in den letzten zwei Wochen die Ereignisse überschlagen. Die Gerüchte über eine NATO-Sicherheitslücke -- einen Maulwurf in ihren eigenen Reihen -- hatten für allgemeines Unbehagen gesorgt, man fragte sich, wem man noch trauen konnte und wem nicht. Seit Tagen wartete Madeline auf Instruktionen vom MI 6 aus London. Vielleicht hatte man sie ja gerade kontaktiert.
Aber dann hätte sie sich gemeldet.
Er stand auf und wollte gerade zum Telefon gehen, als er sah, wie Mario, sein Kellner, ihm zuwinkte. Der junge Mann bahnte sich geschickt seinen Weg durch die Tische.
"Monsieur Tavistock, gerade hat Madame für Sie angerufen."
Bernard seufzte erleichtert. "Wo ist sie?"
"Sie sagte, sie kann nicht zum Lunch kommen. Sie möchte sich aber mit Ihnen treffen."
"Wo?"
"Hier ist die Adresse." Der Kellner gab ihm einen Zettel, auf dem sich allem Anschein nach Spritzer einer Tomatensuppe befanden. Die Adresse war mit Bleistift notiert: Rue Myrha 66, Wohnung 5.
Bernard runzelte die Stirn. "Ist das nicht am Pigalle? Was um Himmels willen hat sie denn da zu suchen?"
Mario zuckte die Schultern in typisch französischer Manier, mit geneigtem Kopf und hoch gezogenen Brauen. "Keine Ahnung. Sie hat mir die Adresse genannt, und ich habe sie aufgeschrieben."
"Vielen Dank." Bernard griff nach seinem Portemonnaie und gab dem Kellner das Geld für seine zwei Milchkaffee und ein großzügiges Trinkgeld.
"Merci", sagte der Kellner lächelnd. "Sehen wir Sie zum Abendessen, Monsieur Tavistock?"
"Wenn ich meine Frau finde", brummte Bernard und machte sich auf den Weg zu seinem Mercedes.
Während er zum Place Pigalle fuhr, schimpfte er die ganze Zeit vor sich hin. Was um alles in der Welt war in sie gefahren? Was wollte sie da? Es war nicht gerade der sicherste Ort in Paris für eine Frau -- oder auch für einen Mann. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass seine liebe Madeline ganz gut auf sich aufpassen konnte. Sie war eine viel bessere Schützin als er, und die automatische Pistole, die sie in ihrer Handtasche hatte, war immer geladen -- eine Vorsichtsmaßnahme, auf der er seit der Beinahe-Katastrophe in Berlin bestand. Es war beunruhigend, dass man heute nicht einmal mehr seinen eigenen Leuten trauen konnte. Überall saßen unfähige Leute, im MI 6, in der NATO, beim französischen Geheimdienst. Und damals war Madeline ganz allein gewesen in diesem Haus in der DDR, ohne jegliche Verstärkung. Wenn ich nicht gerade noch rechtzeitig aufgetaucht wäre ...
Nein, so einen Horror wollte er nicht noch mal erleben.
Und sie hatte ihre Lektion gelernt. Die geladene Pistole war seitdem ihr ständiger Begleiter.
Er bog in die Rue de Chapelle ein und schüttelte angewidert den Kopf angesichts der heruntergekommenen Straße, der schäbigen Nightclubs, der leicht bekleideten Frauen, die an jeder Straßenecke standen. Sie sahen seinen Mercedes und boten ihre Dienste an. Verzweifelt. Die Amerikaner nannten diese Ecke "Pig Alley" statt Pigalle, "Schweinestraße". Hierher kam man, wenn man auf ein schnelles Abenteuer und sündiges Vergnügen aus war. Madeline, dachte er, bist du total verrückt geworden? Was machst du bloß hier? Er bog auf den Boulevard Bayes, dann auf die Rue Myrha ab und parkte vor der Hausnummer 66. Ungläubig starrte er das Gebäude an und zählte drei Stockwerke -- drei Stockwerke, nicht sehr vertrauenserweckend, aus bröckelndem Beton mit altersschwachen Balkonen. Und in dieser Feuerfalle wollte sie sich mit ihm treffen? Er schloss den Mercedes ab und dachte: Ich kann mich glücklich schätzen, wenn das Auto nachher noch da ist. Widerwillig betrat er das Haus.
Von innen sah das Gebäude bewohnt aus: Kinderspielzeug im Treppenhaus, Radiogedudel aus einer der Wohnungen. Er stieg die Treppe hoch. Der Geruch nach gebratenen Zwiebeln und Zigarettenrauch hing vermutlich ständig in der Luft. Die Wohnungen drei und vier befanden sich im ersten Stock. Er stieg durch das enge Treppenhaus weiter ins oberste Stockwerk. Nummer fünf war eine Mansardenwohnung; die niedrige Tür war im Dachvorsprung eingelassen.
Er klopfte. Keine Antwort.
"Madeline?" rief er. "Ist das ein Scherz?"
Immer noch keine Antwort.
Er versuchte, die Tür zu öffnen; sie war nicht abgeschlossen. Bernard schob sich in die Mansarde. Die Jalousien waren heruntergelassen. An der Wand stand ein großes Messingbett, dessen Laken noch zerwühlt waren. Auf einem Nachttisch standen zwei Gläser, eine leere Champagnerflasche und mehrere Plastikgegenstände, die man vorsichtig als "Sexspielzeug" bezeichnen würde. Das Zimmer roch nach Alkohol, nach der Hitze der Leidenschaft und nach Lust.
Bernards Blick wanderte zum Fußende des Messingbettes, neben dem ein hochhackiger Damenschuh auf dem Boden lag. Er runzelte die Stirn, ging einen Schritt näher und sah, dass der Schuh in einer purpurrot schimmernden Lache lag. Als er das Bett umrundet hatte, blieb er ungläubig stehen.
Da lag seine Frau auf dem Boden, ihr ebenholzschwarzes Haar umgab sie wie schwarze Federn. Ihre Augen waren aufgerissen. Drei kleine Blutflecken beschmutzten ihre weiße Bluse.
Er fiel neben ihr auf die Knie. "Nein", sagte er. "Nein." Er berührte ihr Gesicht, fühlte, dass ihre Wangen noch warm waren. Er presste sein Ohr auf ihre Brust, ihre blutbeschmierte Brust, und hörte keinen Herzschlag mehr, keinen Atem. Aus seinem Mund vernahm er ein Schluchzen, einen Laut ungläubiger Trauer. "Madeline!"
Plötzlich hörte er hinter sich ein anderes Geräusch -- Schritte. Leise kamen sie näher ...
Bernard drehte sich um. Irritiert starrte er auf die Pistole -- Madelines Pistole -- , die jetzt auf ihn gerichtet war. Er sah auf und blickte in das Gesicht der Person, die auf ihn zielte. Das alles ergab keinen Sinn, überhaupt keinen Sinn!
"Warum?" fragte Bernard.
Die Antwort war der dumpfe Knall der schallgedämpften Automatic. Die Wucht der Kugel schleuderte ihn zu Boden, neben Madeline. Für ein paar Sekunden war er sich der Nähe ihres Körpers bewusst, der Nähe ihres Haares, das wie Seide durch seine Finger glitt. Er streckte die Hand aus und streichelte schwach ihren Kopf. Meine Liebe, dachte er. Meine Allerliebste.
Dann fiel seine Hand schlaff herunter.
1. Kapitel
Buckinghamshire, England Zwanzig Jahre später
Jordan Tavistock lümmelte sich in Onkel Hughs Sessel und betrachtete amüsiert das Porträt seines Vorfahrens, des unglückseligen Grafen von Lovat. Es hatte schon eine gewisse Komik, dachte er, dass sie Lord Lovat den Ehrenplatz über dem Kaminsims zugeteilt hatten. Ein Paradebeispiel für ihre skurrile Art. Sie stellten ausgerechnet denjenigen ihrer Ahnen aus, der im wahrsten Sinne des Wortes seinen Kopf im Tower Hill verloren hatte. Er war der Letzte gewesen, den man in England offiziell enthauptet hatte -- inoffizielle Enthauptungen zählten nicht. Jordan erhob sein Glas und trank einen Schluck Sherry auf das Wohl des glücklosen Grafen. Er war geneigt, sich ein zweites Glas einzugießen, aber es war schon halb sechs, und bald würden die Gäste zum Empfang anlässlich des "Sturms auf die Bastille" eintreffen. Ich sollte wenigstens ein paar meiner grauen Zellen übrig lassen, ermahnte er sich. Vielleicht brauche ich sie noch für den Smalltalk. Smalltalk rangierte unter Jordans meistgehassten Beschäftigungen ganz oben.
Meistens gelang es ihm, sich vor den Kaviar- und Krawattenrunden seines Onkels Hugh zu drücken, zu denen dieser so gern einlud. Aber der heutige Abend -- veranstaltet zu Ehren seiner Hausgäste Sir Reggie und Lady Helena Vane -- versprach, etwas interessanter zu werden als die üblichen Empfänge. Es war die erste große Party, die Onkel Hugh seit seinem Ausscheiden aus dem britischen Geheimdienst gab, und eine Reihe seiner ehemaligen Kollegen vom MI 6 wurde erwartet. Dazu kamen ein paar alte Bekannte aus seiner Zeit in Paris, die alle wegen des Wirtschaftsgipfels gerade in London weilten. Es könnte also ein spannender Abend werden. Denn immer, wenn Diplomaten und ehemalige Agenten aufeinander trafen, kamen überraschende Geheimnisse ans Licht.
Jordan sah auf, als sein Onkel leise vor sich hin schimpfend ins Arbeitszimmer
kam. Er trug bereits seinen Smoking und versuchte erfolglos, seine Fliege zu binden;
schließlich gelang es ihm, eine Art störrischen Kreuzknoten zu machen.
"Jordan, hilf mir doch bitte mal mit diesem verdammten Ding", bat Hugh. Jordan erhob sich aus seinem Sessel und löste den Knoten wieder. "Wo ist Davis? Er kann so was viel besser als ich."
"Ich habe ihn gerade deine Schwester holen geschickt."
"Ist Beryl schon wieder weg?"
"Natürlich. Erwähne das Wort ‘Cocktailparty', und weg ist sie."
Jordan band seinem Onkel die Fliege. "Beryl mochte Partys noch nie. Mal ganz unter uns: Ich glaube, sie hat genug von den Vanes."
"Meinst du? Aber sie sind so nette Gäste. Sie passen so gut dazu --" "Es sind die kleinen Gemeinheiten, die sie austauschen."
"Ach, das meinst du. So waren sie schon immer. Mir fällt das schon gar nicht mehr auf."
"Ist dir aufgefallen, dass Reggie Beryl nachläuft wie ein Hündchen?"
Hugh lachte. "Bei hübschen Frauen wird Reggie zu einem Hündchen." "Kein Wunder, dass Helena ihn dauernd anmeckert."
Jordan ging einen Schritt zurück und betrachtete die Fliege seines Onkels mit einem Stirnrunzeln.
"Wie sehe ich aus?"
"Das muss reichen."
Hugh sah auf die Uhr. "Ich sehe besser noch mal in der Küche nach, ob alles in Ordnung ist. Und warum sind die Vanes noch nicht unten?"
Wie aufs Stichwort hörten sie zwei streitende Stimmen im Treppenhaus. Lady Helena schimpfte wie so oft mit ihrem Mann. "Irgendjemand muss es dir ja mal sagen", rief sie gerade aus.
"Ja, und dieser Jemand bist immer du."
Sir Reggie flüchtete sich ins Arbeitszimmer, seine Frau folgte ihm. Jordan war bei jedem Treffen wieder aufs Neue erstaunt darüber, wie wenig die beiden zueinander passten. Der grauhaarige und gut aussehende Sir Reggie überragte seine unscheinbare Frau um Längen. Vielleicht lag es an Helenas Erbe, dass die beiden zusammengefunden hatten; mit Geld ließen sich gewisse Defizite schon seit jeher ausgleichen.
Als es kurz vor sechs war, schenkte Hugh vier Gläschen Sherry ein und reichte sie seinen Gästen. "Bevor die Massen ankommen", sagte er. "Ich trinke auf eure sichere Rückkehr nach Paris." Sie tranken. Dieser letzte Abend im Kreise alter Freunde hatte etwas von einer feierlichen Zeremonie.
Jetzt erhob Reggie sein Glas in Richtung des Gastgebers. "Auf die englische Gastfreundschaft, die wir immer wieder zu schätzen wissen!"
Von der Einfahrt hörte man einen Wagen auf dem Schotter vorfahren. Alle spähten aus dem Fenster, um zu sehen, wer die ersten Ankömmlinge waren. Der Chauffeur öffnete die Wagentür, und eine Dame in den Fünfzigern stieg aus, ihren reifen Körper umschmeichelte ein grünes Kleid, das über und über mit Perlen besetzt war. Hinter ihr tauchte ein junger Mann in einem lilafarbenen Seidenhemd auf. Er nahm ihren Arm.
"Ach du lieber Himmel, Nina Sutherland mit ihrem unmöglichen Sohn", murmelte Helena. "Auf welchem Besen ist die hierher geflogen?"
Nina Sutherland bemerkte, dass die vier am Fenster standen. "Hallo Reggie! Helena!" rief sie mit einer Stimme, tief wie ein Fagott.
Hugh setzte sein Sherryglas ab. "Zeit, die Barbaren zu begrüßen", murmelte er seufzend. Und er und die Vanes verschwanden Richtung Vordertür, um die Gäste willkommen zu heißen.
Jordan ließ sich noch etwas Zeit, trank seinen Sherry aus, setzte ein Lächeln auf und machte sich bereit fürs Händeschütteln. Die Stürmung der Bastille -- was für ein Vorwand für eine Party! Er strich noch einmal über seine Frackschöße und über sein Rüschenhemd und machte sich dann resignierend auf den Weg zum Eingang. Der Zirkus konnte losgehen.
Die Frage war nur, wo um Himmels willen seine Schwester war.
...
Übersetzung: Gisela Schmitt
© MIRA Taschenbuch
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Autoren-Porträt von Tess Gerritsen
Die chinesischstämmige Tess Gerritsen arbeitete erfolgreich als Ärztin, bevor sie sich ihrer Jugendleidenschaft besann und anfing, Romane zu schreiben. Kaum jemand vereint seit vielen Jahren so gekonnt wie sie erzählerische Raffinesse mit medizinischer Detailgenauigkeit und psychologischer Glaubwürdigkeit der Figuren. Tess Gerritsen lebt mit ihrer Familie in Maine.
Bibliographische Angaben
- Autor: Tess Gerritsen
- 2012, 716 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Softcover
- Übersetzer: Gisela Schmitt
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3862783227
- ISBN-13: 9783862783229
Rezension zu „Nah am Herzen “
"Tess Gerritsen kombiniert in ihren Medical-Thrillern auf unübertreffliche Weise große Romantik mit atemberaubender Spannung."- Ingram
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