Nenn es Himmel
Es ist ein ganz normaler Tag im Herbst. Und doch verändert er das Leben von Paul Iverson mit einem Schlag: Die Polizei teilt ihm mit, dass seine Frau Lexy bei einem Sturz vom Apfelbaum ums Leben gekommen ist. Nach dem ersten Schock beginnt Paul...
Es ist ein ganz normaler Tag im Herbst. Und doch verändert er das Leben von Paul Iverson mit einem Schlag: Die Polizei teilt ihm mit, dass seine Frau Lexy bei einem Sturz vom Apfelbaum ums Leben gekommen ist. Nach dem ersten Schock beginnt Paul jedoch daran zu zweifeln, dass Lexy einen Unfall hatte. Seine wunderschöne, lebenslustige Frau hatte auch eine geheimnisvolle und verborgene Seite. Die düsteren Masken, die sie fertigte, ließen etwas erahnen. Kannte er den Menschen, den er mehr geliebt hat als sein Leben, eigentlich gar nicht richtig? In seiner Verzweiflung versucht Paul, der Linguistik-Professor ist, sogar seinem Hund Lorelei das Sprechen beizubringen. Denn Lorelei war bei Lexy, als sie starb. So sondert Paul sich immer mehr von seiner Umwelt ab. Und allmählich entdeckt er letzte Botschaften, die seine Frau hinterlassen hat. Paul begreift nach und nach das Geheimnis um Lexys Tod.
"Parkhurst ist eine begnadete Stilistin, und dieser Roman ist voller unvergesslicher Momente und wunderbarer Charaktere."
Publishers Weekly
Nenn esHimmel von Carolyn Parkhurst
LESEPROBE
Folgendes wissen wir - diejenigen unter uns, die sprechenund eine Geschichte erzählen können:
Am Nachmittag des 24. Oktober kletterte meine Frau, Lexy Ransome, auf denApfelbaum in unserem Garten und stürzte in den Tod. Es gab keine Zeugen, außerunserer Hündin Lorelei. Das Ganze geschah an einem Werktag, und keiner unsererNachbarn war zu Hause, saß womöglich bei offenem Fenster in der Küche und bekammit, ob meine Frau in diesem kurzen Augenblick in der Luft aufschrie oderkeuchte oder ob sie gar keinen Laut von sich gab. Keiner der Nachbarn arbeiteteim Garten, genoss womöglich einen der letzten warmen Tage und sah, ob ihrKörper zusammensackte, bevor sie auf dem Boden aufschlug, ob sie sich in derLuft aufzurichten versuchte oder ob sie einfach nur die Arme zum Himmelhochriss und sich fallen ließ.
Ich war in der Universitätsbibliothek, als es passierte, und bereitete einenVortrag vor, den ich auf einem Symposium halten sollte. Ich hatte abends nocheine Lehrveranstaltung, und hätte ich nicht zu Hause angerufen, um Lexy etwasInteressantes über einen Film zu erzählen, den sie sich schon seit längeremansehen wollte, dann hätte ich womöglich mein Seminar abgehalten, wäre danachwie jede Woche mit meinen Studenten ein Bier trinken gegangen und hätte infröhlicher Ahnungslosigkeit noch ein paar letzte Stunden Normalität erlebt,während in meinem Garten schon die Polizisten im Dreck knieten.
So aber wählte ich unsere Telefonnummer, und ein Mann nahm ab. »Bei Ransome«,sagte er.
Einen Moment lang schwieg ich verwirrt. Ich ging im Geiste die Stimmensämtlicher männlicher Freunde und Verwandter durch, die sich aus irgendeinemGrunde bei uns zu Hause aufhalten könnten, aber keine davon entsprach derStimme am anderen Ende der Leitung. Außerdem irritierten mich die Worte »beiRansome« - ich heiße mit Nachnamen Iverson, und einen Fremden von meinemZuhause so sprechen zu hören, als wohnte bloß Lexy dort, gab mir das seltsameGefühl, im Laufe des Nachmittags aus dem Drehbuch meines eigenen Lebensgestrichen worden zu sein.
»Könnte ich bitte mit Lexy sprechen?«, bat ich schließlich.
»Darf ich fragen, wer am Apparat ist?«, erwiderte der Mann.
»Ich bin ihr Mann. Paul Iverson.«
»Mr. Iverson, ich bin Detective Anthony Stack. Ich muss Sie leider bitten,sofort nach Hause zu kommen. Es ist etwas passiert.«
Offenbar hat Loreleis Verhalten dazu geführt, dass die Polizei gerufen wurde.Als unsere Nachbarn einer nach dem anderen von der Arbeit zurückkamen, hörtensie aus unserem Garten Loreleis endloses, klagendes Heulen. Die meisten kanntensie und waren ihr tiefes, volltönendes Bellen gewohnt, wenn sie im Gartenhinter Vögeln und Eichhörnchen herjagte. Doch so ein Geräusch hatten sie vonihr noch nie gehört. Unser Nachbar zur Linken, Jim Perasso, war der erste, derüber unseren Zaun schaute, er machte die Entdeckung. Es war schon dunkeldraußen - in der vorangegangenen Woche war die Zeit umgestellt worden, so dasses jetzt immer schon um fünf dunkel war -, doch da Lorelei aufgeregt zwischendem Apfelbaum und unserer Hintertür hin und her rannte, schaltete derBewegungsmelder immer wieder die Sicherheitsbeleuchtung ein. Jedesmal wenn sieeine Runde gedreht hatte, stupste sie Lexys Leiche mit der Schnauze an undblieb lang genug stehen, um die Beleuchtung wieder ausgehen zu lassen; sobaldsie dann ihre wilde Jagd durch den Garten wieder aufnahm, von einer Ecke zuranderen, ging die Beleuchtung erneut an. In diesem surrealen,stroboskoplichtartigen Geflacker sah Jim Lexy unter dem Baum liegen und riefdie Polizei.
Als ich zu Hause eintraf, war der Garten mit gelbem Absperrband abgeriegelt,und ein Mann kam mir über den Rasen entgegen. Er stellte sich als derjenigevor, mit dem ich am Telefon gesprochen hatte, führte mich ins Wohnzimmer undhieß mich Platz nehmen. Ich ahnte wohl, was kommen würde. Schon jetzt fühltesich das Haus still und nackt an, so als wäre es des ganzen Lebens, von dem esmorgens noch erfüllt gewesen war, beraubt. Selbst Lorelei war nicht mehr da,man hatte ihr ein Beruhigungsmittel gegeben und sie über Nacht in ein Tierheimgebracht.
Ich saß wie betäubt da, während Detective Stack mir erzählte, was passiert war.
»Haben Sie irgendeine Vorstellung, was Ihre Frau auf dem Baum gemacht habenkönnte?«, fragte er.
»Keine Ahnung«, sagte ich. Sie hatte, solange ich sie kannte, nie das geringsteInteresse daran gezeigt, auf Bäume zu klettern, und gerade dieser kann alserster nicht einfach gewesen sein. Der Apfelbaum in unserem Garten istungewöhnlich groß, ein Monstrum im Vergleich zu den Zwergbäumen, die aufObstplantagen wachsen. Wir hatten ihn vernachlässigt, hatten ihn in der ganzenZeit, die wir dort wohnten, kein einziges Mal zurückgeschnitten, so dass er inzwischenungebührliche acht oder neun Meter hoch war. Ich konnte mir nicht einmalansatzweise vorstellen, was sie dort oben gemacht hatte. Detective Stackbeobachtete mich genau. »Vielleicht wollte sie ein paar Äpfel pflücken«, sagteich kläglich.
»Nun ja, das scheint die logische Antwort zu sein.« Er schaute mich an, dannsah er zu Boden. »Es scheint uns ziemlich offensichtlich, dass Ihre Frau durcheinen Unfall zu Tode gekommen ist, aber wir müssen in Fällen wie diesem, wo eskeine Zeugen gibt, eine kurze Ermittlung durchführen, um ganz ausschließen zukönnen, dass es sich um einen Selbstmord handelt. Deshalb muss ich Sie fragen:Kam Ihnen Ihre Frau in letzter Zeit irgendwie niedergeschlagen vor? Hat siejemals, und sei es nur beiläufig, von Selbstmord gesprochen?«
Ich schüttelte den Kopf. (...)
© Goldmann Verlag
Übersetzung: Kathrin Razum
- Autor: Carolyn Parkhurst
- 2007, 1, 318 Seiten, Maße: 13,2 x 19,1 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3828988164
- ISBN-13: 9783828988163
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