Neues Lexikon der Rechtsirrtümer
Es gibt viel mehr Rechtsirrtümer als man sich träumen lässt. Haben Sie sich auch schon von Schildern wie ''Umtausch nur von original verpackter Ware'' einschüchtern lassen? Glauben Sie, dass es den ''Rufmord'' gibt?
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Es gibt viel mehr Rechtsirrtümer als man sich träumen lässt. Haben Sie sich auch schon von Schildern wie ''Umtausch nur von original verpackter Ware'' einschüchtern lassen? Glauben Sie, dass es den ''Rufmord'' gibt?
In bewährter Manier rückt der Autor diese und viele andere juristische Missverständnisse zurecht.
Neues Lexikon der Rechtsirrtümer von Ralf Höcker
LESEPROBE
Handtücherauf Liegestühlen, Jacken auf Barhockern
Irrtum:
Mit Handtüchern und Jacken kann man Liegestühle und Barhockerrechtswirksam blockieren.
Richtig ist:
Handtücher und Jacken allein vermitteln noch keine Besitzansprüche.
Der durchschnittlicheEngländer hat bei dem Stichwort »Deutschland und die Deutschen« drei spontaneAssoziationen, die das schlechte Image unseres Landes prägen:
1. Der Zweite Weltkrieg
2. Fußballspiele, die (angeblich) immer vonDeutschland gewonnen werden
3. Handtücher, mit denen deutsche Touristen umsechs Uhr morgens noch schnell vor dem Frühstück sämtliche Liegestühlemallorquinischer Bettenburgen blockieren, während die Engländer noch ihrenRausch ausschlafen
An der ersten Assoziation können wir leidernichts mehr ändern. Bei der zweiten wären wir froh, wenn sie wahr wäre. Und wasist mit der dritten? Da dürfte in der Tat Handlungsbedarf bestehen. Denn dasTerritorialgehabe der Deutschen ist tatsächlich sehr ausgeprägt. Wir blockierennicht nur verlassene Liegestühle mit Handtüchern, sondern auch leere Kinositzeund Bar- hocker mit Jacken (»Sorry,da kommt gleich noch einer!«) und schrecken als einziges Volk der Welt noch nichteinmal davor zurück, uns an fremden Stränden in muschelbewehrte Sandburgen einzugraben,ganz so, als erwarteten wir mal wieder eine Landung der Alliierten.
Um es ganz deutlich zu sagen: Handtücher,Jacken und Sandburgen allein vermitteln noch keine Besitzansprüche - und zwarweder bei uns noch in mallorquinischen Hotelanlagen. Unsere dem Frühaufsteheneher abgeneigten britischen Nachbarn haben alsovöllig recht, wenn sie sich über uns aufregen. Wersich von einem öffentlichen Liegestuhl, einem Barhocker oder »seinem« Platz amStrand entfernt, für den gilt nach deutschem wie spanischem Recht zunächsteinmal die alte Kinderweisheit: »Weggegangen, Platz vergangen!«Juristen sprechen in solchen Fällen etwas vornehmer von bloßem Kurzbesitz einerSache, der keine schützenswerte Rechtsposition verleiht. Jeder andere hat dahernun das Recht, den frei gewordenen Platz einzunehmen und das Handtuch oder dieJacke woanders hinzulegen. Man hätte allenfalls die Möglichkeit, die Hotel-oder Barbetreiber darum zu bitten, von ihrem Eigentums- oder Hausrecht Gebrauchzu machen. Ihnen gehören die Liegestühle und Barhocker schließlich. Also dürfensie auch bestimmen, wer darauf Platz nimmt.
Eine Ausnahme gilt dann, wenn zwischen Mensch undSitzgelegenheit eine deutlich dauerhaftere und festere Verbindung besteht.Wenn beispielsweise die Liegestühle im Hotel nichteinfach zu jedermanns freier Verfügung um den Pool herum stehen, sondern derBetreiber einen bestimmten Liegestuhl - zum Beispiel gegen eine Gebühr -ausschließlich an einen bestimmten Gast herausgibt, sieht die Sache natürlichanders aus. Der Entleiher gälte dann als notwehrberechtigter Besitzer undkönnte dem auf frischer Tat ertappten »Liegestuhldieb « das Corpus Delictisogar mit Gewalt wieder abnehmen.
Letztlich sollte eines jedoch klar sein: Ambesten löst man Streitigkeiten um Liegestühle und Barhocker natürlich nicht aufjuristischem Weg (und schon gar nicht mit Gewalt), sondern schlicht mitangemessenem Sozialverhalten. Warum eigentlich beweisen wir den verkaterten Langschläfernvon der Insel nicht einfach unsere menschliche Größe und überlassen ihnen dieLiegestühle freiwillig? Ein Volk, dessen Nationalelf seit 40 Jahren kein großesFußballturnier mehr gewonnen und den einzigen WM-Titel einem verwirrtenSchiedsrichter zu verdanken hat, soll wenigstens das Recht haben, sich unter SpaniensSonne in Ruhe auszustrecken und zu entspannen.
Bei Interesse siehe hierzu:
§ 227BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), »Notwehr«
§ 854Abs. 1 BGB, »Erwerb des Besitzes«
§ 858Abs. 1 BGB, »Verbotene Eigenmacht«
§ 859Abs. 1, 2 BGB, »Selbsthilfe des Besitzers«
Art. 460Código Civil español
Testamentauf Video
Irrtum:
Testamente können per Video verfasst werden.
Richtig ist:
Nur handschriftliche Testamente sind wirksam.
Vor allemaus amerikanischen Filmen kennt man die Situation: Die gesamte Verwandtschaftdes Verstorbenen sitzt vereint zur Testamentseröffnung beim Notar und siehtsich ein Video an, auf dem der Erblasser sich an die Hinterbliebenen wendet. Inder Regel überzieht er sie mit allerlei bösen Sprüchen und verkündet ihnen,dass sie entweder gar nichts erben oder dass sie nur dann etwas erhalten, wennsie irgendeine hinterhältig formulierte Aufgabe erfüllen.
Es soll bereits Erblasser gegeben haben, diesich durch solche Filme dazu haben inspirieren lassen, ihr Testament ebenfallsnur auf Video zu hinterlassen. Ein bloßes Videotestament ist jedoch null undnichtig. Das Gesetz schreibt eindeutig vor, dass Testamente grundsätzlich handschriftlichverfasst werden müssen. Nicht einmal auf der Schreibmaschine oder dem PCgeschriebene Testamente sind gültig. Der komplette Text muss tatsächlich vomErblasser selbst per Hand niedergeschrieben worden sein. Gewisse Ausnahmen vondieser Regel gibt es nur bei so genannten Nottestamenten, die Sterbenskranke zumBeispiel vor dem Bürgermeister zur Niederschrift erklären können. Auch inNotsituationen ist jedoch ein reines Videotestament nicht wirksam.
Übrigens hat auch die in Filmen beliebteTestaments- eröffnung vor dem Notar nichts mit derRealität zu tun. Mit der Testamentsvollstreckung wird in aller Regel das Nachlassgerichtbetraut und nicht der Notar. Und auch dort hat man Besseres zu tun, als lauterHinterbliebene zusammenzutelefonieren, die sich dann alle in freudiger Erwartungzu einer dramatisch inszenierten Testamentseröffnung einfinden. Solche Terminefinden in der Praxis schlichtweg nicht statt.
Bei Interesse siehe hierzu:
§ 2247Abs. 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), »Eigenhändiges Testament«
Zweitschlüsselfür den Vermieter
Irrtum:
Vermieter haben einen Anspruch auf einen Zweitschlüssel zur Wohnung.
Richtig ist:
Vermieter haben weder Anspruch auf einen Zweitschlüssel noch aufungenehmigten Zutritt zur Wohnung.
VieleVermieter gehen wie selbstverständlich davon aus, dass es ihr gutes Recht ist,einen Zweitschlüssel zur vermieteten Wohnung zu behalten. Wer weiß, wozu man dennoch mal braucht, denken sie sich wahrscheinlich. Die Mieter wissen hiervonentweder gar nichts oder aber sie glauben, der Vermieter habe tatsächlichAnspruch auf einen Zweitschlüssel.
Ein solcher Anspruch besteht jedoch nicht. DerVermieter darf nur dann einen Zweitschlüssel behalten, wenn der Mieter diesgenehmigt. Der Grund hierfür ist simpel: Der Vermieter kann ohne Zustimmung desMieters mit dem Schlüssel nichts anfangen. Denn auch dem Vermieter gegenüberkann sich der Mieter auf sein Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnungberufen. Der Vermieter ist daher nicht berechtigt, die Mieträume unerlaubt zubetreten. Tut er es doch, kann dem Mieter sogar ein fristloses Kündigungsrechtzustehen. Er hätte auch die Möglichkeit, auf Kosten des Vermieters ein neuesSchloss einbauen zu lassen.
Der Mieter sollte dennoch, wenn er zumBeispiel in Urlaub fährt, einer Person seines Vertrauens einen Zweit- schlüssel zur Wohnung überlassen und dies dem Vermieter auchmitteilen. Denn in (wirklichen!) Notfällen darf der Vermieter die Wohnungnatürlich schon betreten. Wenn er sie dann erst langwierig aufbrechen lassenmuss und dadurch weiterer Schaden entsteht, kann der Mieter hierfür unterUmständen haftbar gemacht werden. Als Notfälle gelten zum BeispielWasserrohrbrüche oder ein Gasaustritt. Offen stehende Fenster, nicht abgedrehteHeizungen oder die Notwendigkeit kleinerer Reparaturen sind dagegen sicherlichkeine Notfälle.
Wenn kein Notfall vorliegt, steht demVermieter nur in Ausnahmefällen ein Besichtigungsrecht zu. Ca. alle zwei Jahredarf er die Wohnung betreten, um ihren Zustand zu überprüfen. Auch wenn er sieverkaufen oder neu vermieten will, darf der Vermieter die Wohnung mitInteressenten besichtigen. Das Gleiche gilt, wenn die Wohnung saniert odermodernisiert werden soll. In all diesen Fällen darf der Vermieter seinBesichtigungsrecht jedoch nicht eigenmächtig mit Hilfe eines Zweitschlüssels durchsetzen,und zwar selbst dann nicht, wenn der Mieter sich unberechtigterweise weigert,eine Besichtigung zu dulden. In einem solchen Fall müsste der Vermieter stattdessengerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen.
Wichtig ist, dass der Vermieter seinen Besuchbzw. den Besuch der Handwerker oder Interessenten rechtzeitig ankündigt. Beider Wahl des Besuchstermins muss er außerdem auf die Berufstätigkeit desMieters Rücksicht nehmen und den Termin nur zu den üblichen Zeiten ansetzen, d.h.beispielsweise wochentags am frühen Abend, wenn der Mieter von der Arbeitzurück ist. Auch darf er den Mieter nicht mit zu häufigen Besuchen belasten. Nachdemein Mieter innerhalb von anderthalb Jahren über 50 Besichtigungen seinerWohnung über sich ergehen lassen musste, urteilte das Amtsgericht Hamburg, dass der Vermieter Interessenten nur noch einmal monatlich von18:00 bis 20:00 Uhr in die Wohnung führen durfte7.
Bei Interesse siehe hierzu:
§ 554 Abs.1, 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), »Duldung von Erhaltungs- undModernisierungsmaßnahmen«
Trinken bis zur Schuldunfähigkeit
Irrtum:
Wer völlig betrunken ist, kann sich nicht strafbar machen, weiler schuldunfähig ist.
Richtig ist:
Auch betrunkene Straftäter können zur Rechenschaft gezogenwerden. Notfalls werden sie dafür bestraft, dass sie sich überhaupt betrunkenhaben.
»Ich saufeeinfach so viel, bis ich schuldunfähig bin. Wenn ich dann eine Straftat begehe,kann ich dafür nicht belangt werden.« Es gibttatsächlich Zeitgenossen, die an diesen Unsinn glauben. Sie unterliegen einemMissverständnis. Es ist richtig, dass ein Täter grundsätzlich nicht wegen Straftatenzur Rechenschaft gezogen werden kann, die er im Zustand der Schuldunfähigkeitbegangen hat. Richtig ist auch, dass schwere Trunkenheit diesen Zustandherbeiführen kann. Als Faustregel gilt: Ab drei Promille Blutalkoholkonzentrationist ein Täter derart beeinträchtigt, dass er schuldunfähig ist. Die Grenze kannin Ausnahmefällen auch darüber oder darunter liegen. Es kommt insoweit ganz aufden Einzelfall an. Wer kein geübter Trinker ist und schon bei »nur« zweiPromille schwerste Ausfallerscheinungen zeigt, kannbereits als schuldunfähig gelten. Umgekehrt kann dieser Zustand auch bei mehrals drei Promille möglicherweise noch nicht erreicht sein. Das gilt vor allemfür besonders schwerwiegende Straftaten wie Mord und Totschlag. Denn auch dreiPromille im Blut enthemmen einen Menschen nicht unbedingt so weit, dass er ohneweiteres ein Tötungsdelikt begeht.
Selbst wenn man sich jedoch schuldunfähiggetrunken hat, bedeutet dies keineswegs, dass man einen Freibrief zur Begehungvon Straftaten hat.Wer sich ganz bewusst betrinkt, umdann zum Beispiel einen Einbruch zu begehen, kann ohnehin mit keinerStraffreiheit rechnen. Denn er hat die Tat ja noch im Zustand derSchuldfähigkeit geplant. Dies reicht aus, um ihn wegen des Einbruchs zubestrafen. Die Juristen sprechen von einer so genannten »vorsätzlichen actio libera in causa« - einer (noch)freien, d.h. nicht in schuldunfähigem Zustand begangenen, vorsätzlichen und fürdie Straftat ursächlichen Tathandlung.
Wegen einer »fahrlässigen actiolibera in causa« kann außerdem sogar bestraft werden,wer während des Sichbetrinkens fahrlässigerweisenicht bedacht hat, dass er in diesem Zustand eine bestimmte Tat begehen könnte.
Wie aber ist ein Täter zu behandeln, derüberhaupt nicht damit rechnen konnte, dass er im betrunkenen Zustand eineStraftat begehen könnte? Ein solcher Täter kann wegen der begangenen Tattatsächlich nicht bestraft werden, und zwar auch nicht über den Umweg dervorsätzlichen oder fahrlässigen actio libera in causa. Das heißt jedoch noch lange nicht, dass erungeschoren davonkommt. Für ihn sieht das Strafgesetzbuch noch einen speziellenAuffangtatbestand vor. Wer sich bis zur Schuldunfähigkeit betrinkt und danneine Straftat begeht, die für ihn vorher nicht absehbar war, kann immer nochdafür bestraft werden, dass er sich überhaupt betrunken hat. Er wird dann zwarnicht wegen Einbruchsdiebstahl, Mord oder Raub bestraft, wohl aber wegen des Deliktsdes »Vollrausches«. Sich zu betrinken ist in Deutschland also tatsächlich eineStraftat. Sie wird jedoch nur geahndet, wenn der Betrunkene in diesem Zustand andereStraftatbestände verwirklicht, für die er auf Grund seines Alkoholkonsums nichtzur Verantwortung gezogen werden kann. Der Vollrausch kann dann mit bis zu fünfJahren Gefängnis bestraft werden.
Fazit: Auch volltrunkene Straftäter müssenletztlich immer büßen. Sie werden entweder dafür bestraft, dass sie sichvorsätzlich betrunken haben, um dann eine Straftat zu begehen (= vorsätzliche actio libera in causa), oderdafür, dass sie beim Trinken fahrlässig nicht bedacht haben, dass sie eineStraftat begehen könnten (= fahrlässige actio libera in causa), oder aber zumindest dafür, dass sie sichüberhaupt betrunken haben (= Vollrausch). Ihre Schuldunfähigkeit gibt ihnendemnach in keinem Fall einen Freifahrtschein zum Begehen von Straftaten.
Bei Interesse siehe hierzu:
§ 20StGB (Strafgesetzbuch), »Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen«
§ 323aStGB, »Vollrausch«
Auffahrunfälle
Irrtum:
Werauffährt, hat Schuld.
Richtig ist:
Nicht immer hat der Auffahrende Schuld.
Die wohlbekannteste Schuldregel bei Auffahrunfällen im Straßenverkehr lautet: »Werauffährt, hat Schuld.« Doch so bekannt diese Regelist, so häufig wird sie auch missverstanden. Denn der simple Grundsatz vomAuffahrenden, der angeblich immer Schuld hat, gilt bei weitem nicht in allenFällen.
Wenn sich zwischen zwei Verkehrsteilnehmernein Unfall ereignet hat,mussdas Gericht zunächst einmal rekonstruieren, was eigentlich passiert ist. Schuldam Unfall hat derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig gegen Verkehrsregeln verstoßenund so den Unfall verursacht hat. Möglicherweise ist dies nur einer der beidenVerkehrsteilnehmer. Dann muss dieser den vollen Schaden tragen. Denkbar istaber auch, dass beide Verkehrsteilnehmer einen Fehler gemacht haben. Dann müssensie gemeinsam für den Schaden aufkommen. Das Gericht muss lediglich eineHaftungsquote festlegen, zum Beispiel im Verhältnis 50/50 oder 70/30. Alsdritte Möglichkeit kommt in Betracht, dass keiner der beiden Unfallbeteiligtenetwas falsch gemacht hat, sondern ein Dritter ausschließlich für den Unfallverantwortlich ist. Dann muss dieser sämtliche Kosten übernehmen.
Man kann es sich also nicht so einfach machen,immer pauschal dem Auffahrenden die Schuld am Unfall zu geben. Zuzugeben istjedoch, dass eine zu hohe Geschwindigkeit des Auffahrenden oder ein zu geringerSicherheitsabstand die häufigsten Unfallursachen sind. Wenn sich einAuffahrunfall ereignet hat, dann spricht deshalb zunächst einmal der sogenannte »Beweis des ersten Anscheins« dafür, dass der Hintermann zu schnellwar oder nicht genügend Sicherheitsabstand einhielt. Betrüger machen sichdiesen Umstand mitunter zu Nutze. Sie provozieren bewusst Auffahrunfälle, indemsie zum Beispiel ganz plötzlich und unerwartet bremsen.
Doch ein bloßer »Beweis des ersten Anscheins«ist noch lange kein endgültiger Beweis. Der erste Anschein kann vielmehr auchwiderlegt werden.Wenn der Vordermann zum Beispielgrundlos eine Vollbremsung hingelegt hat, kann er nicht damit rechnen, dass ihmsein gesamter Schaden ersetzt wird.
Recht erhielt daher eine Fahrerin, die auf einAuto auffuhr, weil sich dieses an einer grünen Ampel zunächst in Bewegungsetzte, dann aber plötzlich und unerwartet wieder bremste.
Schlechte Karten haben auch die allseitsbeliebten Verkehrserzieher, die dem Hintermann nur einmal eine Lehrstunde inStraßenverkehrsrecht erteilen wollten. Wer aus solch hobbypädagogischen Gründenbremst, verstößt selbst gegen die Straßenverkehrsordnung und muss nicht nur miteinem Bußgeld und Punkten in Flensburg rechnen, sondern auch mit einemZivilverfahren auf Schadensersatz und Schmerzensgeld oder gar mit einerStrafanzeige wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. Tötung, falls beim UnfallMenschen zu Schaden gekommen sind.
Tierfreunde mögen es verzeihen: Auch für Igel,Eichhörnchen oder sonstige Kleintiere darf man keine gefährliche Vollbremsungmachen. Tut man es doch, so muss man im Falle eines Unfalles zumindest einenTeil des Schadens selbst tragen. Anders sieht es allerdings aus, wenn man sichauf der Straße plötzlich einem kapitalen Rehbock gegenübersieht. In diesem Fallist man natürlich nicht gezwungen, einfach »draufzuhalten«.
Und noch ein letztes Beispiel soll zeigen,dass nicht immer der Auffahrende Schuld hat. Eine Autofahrerin fädelte sich voneiner Autobahnauffahrt kommend direkt auf die Überholspur ein. Ein sehr schnellfahrendes Auto konnte dort nicht mehr rechtzeitig bremsen und fuhr hinten auf.Auch diese Fahrerin musste natürlich für den kompletten Schaden aufkommen. DerAuffahrende musste nichts bezahlen.
Bei Interesse siehe hierzu:
§ 4 Abs.1 StVO (Straßenverkehrsordnung), »Abstand«
© UllsteinBuchverlage
Ralf Höcker, Jahrgang 1971, LL.M. (London) und Dr. jur., betreibt eine eigene Rechtsanwaltskanzlei in Köln. Er berät Unternehmen und Künstler in Fragen des Medien-, Marken-, Urheber- und Wettbewerbsrechts. Seit Sommer 2009 ist er Lehrbeauftragter an der Cologne Business School / EUFH Brühl. Wenn Sie Herrn Höcker als Redner buchen möchten, kontaktieren Sie bitte die Econ Referenten-Agentur. Falls Sie sich für eine Lesung interessieren, fragen Sie unser Veranstaltungsteam.
Interview mit RA Dr. jur. Ralf Höcker
Dass Sienun einen zweiten Band mit weiteren "Rechtsirrtümern" vorgelegt haben, zeigt,wie viele Vorurteile und Halbwahrheiten kursieren. Nach welchen Kriterien habenSie die neuen Themen ausgewählt?
DieIrrtümer sollten vor allem alltägliche Relevanz haben. Es ist natürlichbesonders interessant für die Leser, wenn sie z.B. erfahren, wie sie alsVerbraucher in Geschäften mit jahrzehntelang gepflegten rechtlichen Mythen indie Irre geführt werden. Zu nennen sind all die Schilder, auf denen z.B.behauptet wird, dass reduzierte Ware, Ware ohne Originalverpackung oder Ware,zu der der Kassenbon verloren gegangen ist, nicht mehr reklamiert werden kann.In solchen Fällen dienen meine Bücher als Orientierungs- aber auch als praktischeLebenshilfe, denn man kann sie im Geschäft ganz einfach vorlegen und demVerkäufer beweisen, dass man recht hat. Wichtig war mir ansonsten immer, dassein Aha-Effekt beim Leser entsteht. Er soll also ehrlich überrascht von dertatsächlichen Rechtslage sein.
Wiekommt es eigentlich, dass sich so viel Halbwissen verbreitet hat? Schließlichist doch Deutschland ein durch und durch "verrechtlichtes" Land, Prozessierenscheint Vielen schon zum Hobby geworden zu sein.
Diezunehmende Verrechtlichung trägt keineswegs dazu bei, dass wenigerRechtsirrtümer entstehen. Ganz im Gegenteil verwirrt das Gesetzesdickicht vielejuristische Laien noch zusätzlich. Die Ursachen dafür, dass sich Halbwissenverbreitet, sind vielfältig: Zum Teil beruhen Rechtsirrtümer auf simplenTäuschungen - ein Beispiel sind die bereits genannten Schilder in Geschäftenoder auch Schilder wie "Eltern haften für ihre Kinder" an Bauzäunen oder "FürGarderobe keine Haftung" in Gaststätten. All das ist juristischer Unfug, deraufrechterhalten wird, weil die Aufsteller der Schilder einen Vorteil davonhaben, dass jeder der Macht des geschriebenen Wortes glaubt - und sich damitirrt. Zum Teil sehen die Leute auch ganz einfach zu viele amerikanische - oderschlecht bei amerikanischen Vorbildern kopierte deutsche - Fernsehserien.So ist zu erklären, dass selbst im Vorspann deutscher Gerichtsshows Richter mitHämmerchen herumfuchteln, die es tatsächlich nur im angelsächsischen Rechtsraumgibt. Vielfach basteln sich die Menschen auch ihr eigenes Recht. Ein schönesBeispiel sind die zahlreichen "Dreier-Regeln", die es nach Auffassungjuristischer Laien geben soll: Wer drei Nachmieter stellt, komme aus demMietvertrag heraus. Dreimal müsse ein Arbeitnehmer abgemahnt werden, bevor erentlassen werden kann und dreimal habe man den Kellner nach der Rechnung zufragen, bevor man gehen darf, ohne zu bezahlen. All dies ist hanebüchenerUnsinn. Aber offenbar gefallen vielen Menschen simple Rechtsregeln, derenFolgen sie im wahrsten Sinne des Wortes an drei Fingern abzählen können.Schließlich gibt es Rechtsirrtümer, die darauf beruhen, dass die Änderung einerRechtslage sich nicht herumspricht. Ein schönes Beispiel ist die Abgrenzung vonMord und Totschlag. Fast jeder glaubt, ein Mord sei geplant und ein Totschlagpassiere im Affekt. Diese Abgrenzung gibt es jedoch seit 1941 nicht mehr.Seither hat der Unterschied von Mord und Totschlag rein gar nichts mehr mitFaktoren wie Planung und Affekt zu tun. Die meisten von uns befinden sich indieser Frage also auf dem Kenntnisstand unserer Großväter. FalscheVorstellungen sind einfach von Generation zu Generation weiter gegeben worden,und niemand hat sie je hinterfragt.
Sieerläutern juristische Sachverhalte verständlich und sind damit eineAusnahmeerscheinung. Hat das Halbwissen über Recht und Gesetz auch damit zutun, dass sich dieser Bereich sprachlich der allgemeinen Verständlichkeitverschließt? Sind hier auch die Juristen gefordert, die für ihren hermetischenSchreibstil berüchtigt sind?
Der oftsehr komplizierte, abstrakte und blutleere Schreibstil, wie man ihn in vielenGesetzen und vor allem in schlechten Anwaltsschriftsätzen findet, ist in derTat eine Plage. Er verhindert in vielen Fällen den Zugang einer breiterenÖffentlichkeit zum Recht. Juristen sollten wie jeder Mensch einfach, klar undverständlich schreiben.
EinigeIhrer Beispiele sind nahezu haarsträubend: etwa der Glaube, dass ein Polizistohne Mütze keine hoheitlichen Befugnisse hätte. Einmal anders herum gefragt:Fällt Ihnen ein besonders absurder Paragraph aus der juristischen Wirklichkeitein, dessen Existenz kein Laie für möglich halten würde?
Ausgesprochenabsurd ist sicherlich das "Bienenrecht" der §§ 961 bis 964 BGB. Dort ist allenErnstes geregelt, dass ein Imker das Eigentum an seinem Bienenschwarm verliert,wenn alle Bienen einfach wegfliegen. Ausnahme: Er verfolgt sie sofort undsignalisiert so, dass er das Eigentum behalten will. Damit er die Verfolgungauch aufnehmen kann, gibt es ein speziell gesetzlich geregeltesVerfolgungsrecht. Der Bieneneigentümer darf bei seiner Verfolgungsjagd fremdeGrundstücke betreten und sogar die neue Bienenwohnung öffnen und die dortigenWaben herausbrechen, wenn seine Bienen sich auf fremdem Grund neu eingenistethaben.
Sie sindInhaber einer Rechtsanwaltskanzlei. Sind die weit verbreiteten Rechtirrtümereher gut fürs Geschäft, oder erschweren sie die tägliche Arbeit, weil man denMandaten erst einmal den Irrglauben austreiben muss?
Rechtsirrtümerkönnen dafür sorgen, dass Rechtsstreitigkeiten entstehen - z.B., wenn einer derStreitenden sich irrig im Recht fühlt. Andererseits verhindern sie auchStreitigkeiten. Denn wer gar nicht weiß, dass er bestimmte Rechte hat, klagtauch nicht. Diese Effekte dürften sich im Ergebnis gegenseitig aufheben.
Was BastianSick für die deutsche Sprache ist, scheinen Sie für den juristischen Bereichgeworden zu sein. Was sagen die Zuschriften, die Sie bekommen? Haben IhreBücher schon Lesern zu ihrem Recht verholfen?
Ich bekommeviele erfreute Zuschriften von Lesern, die meine Bücher tatsächlich alspraktische Lebenshilfe nutzen und sie z.B. umtauschunwilligen Verkäufernvorlegen und so ihr Recht durchsetzen. Umgekehrt bekomme ich viele unschöneZuschriften von Händlern, die sich über das neue Selbstbewusstsein ihrer Kundenaufregen. Rechtsanwälte schreiben mir oft, dass sie sich über dieAufklärungsarbeit freuen. Auch ihnen gehen bestimmte verbreitete Rechtirrtümer,mit denen sie in ihrer Praxis immer wieder konfrontiert werden, schlicht aufdie Nerven. Meine Bücher haben in solchen Fällen auch eine gewisseVentilfunktion.
Die Fragen stellte Henrik Flor, Literaturtest.
- Autor: Ralf Höcker
- 318 Seiten, Maße: 11,5 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548367720
- ISBN-13: 9783548367729
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