New York
Immer noch gibt es neue, faszinierende Facetten der US-Metropole zu entdecken, wie dieser prachtvolle Bildband zeigt. Beeindruckend!
Der frisch renovierte City Hall Park, eine nostalgische Oase der Ruhe im Norden des Finance Districts;...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „New York “
Immer noch gibt es neue, faszinierende Facetten der US-Metropole zu entdecken, wie dieser prachtvolle Bildband zeigt. Beeindruckend!
Der frisch renovierte City Hall Park, eine nostalgische Oase der Ruhe im Norden des Finance Districts; der kleine Markt auf dem Union Square, auf dem samstags Landwirte aus Upstate New York ihr Gemüse verkaufen; die legendäre Radio City Music Hall, wo heute noch bekannte Rockbands auftreten. Tolle Bilder einer einzigartigen Stadt!
Lese-Probe zu „New York “
New York von Christian Heeb und Stefan NinkNEW YORK - EINE VISION, EIN MYTHOS
New York gibt es nicht. Die Stadt ist eine Erfindung. Eine Vision. Ein Mythos. Deshalb lassen sich über New York die schönsten Geschichten erzählen und die unglaublichsten dazu. Geschichten, die man auch dann glaubt, wenn sie nicht wahr sind. Sie glauben das nicht? Stimmt aber! Alles stimmt, was man sich über New York erzählt.
Diese Geschichte hier zum Beispiel: Ein junger Mann aus Hoboken, New Jersey, sitzt an einem lauen Frühlingsabend auf der Fähre über den Hudson. Raucht eine Zigarette, inhaliert tief, schickt den Rauch Richtung Abendhimmel. Sitzt da und betrachtet stumm die Skyline vor sich: Das Auf und Ab der Wolkenkratzer, hoch und runter, flache, schmale Gipfel und Schluchten wie mit dem Tortenmesser geschnitten. Dann versinkt rechts über dem Hafen die Sonne. Das ist der Moment, in dem vor ihm auf Cinemascope- Breite die Lichter angehen: Hunderte, Tausende, Hunderttausende, Millionen, ein Flickenteppich aus gleich großen, illuminierten Rechtecken. Seit Tagen schwirren im Kopf des Mannes eine Melodie und ein paar Zeilen umher, und hier, auf der Fahrt hinüber nach Manhattan, hier passt auf einmal alles zusammen. Dann legt die Fähre an, und der Mann schnippt die Zigarette ins Wasser. Er war eh längst am Filter angelangt. Als er von Bord geht, singt Frank Sinatra die ersten Zeilen von „New York, New York". Ganz leise.
Acht Millionen Geschichten - in einer einzigen Stadt
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„There are eight million stories in the Naked City": Dass aus einem einfachen Filmzitat ein Motto werden kann - auch das hat New York der Welt vorgemacht. Vielleicht mehr als in jeder anderen Stadt lässt sich das Chaos hier nur dann ordnen, wenn man die Weitwinkelperspektive verlässt und herunter zoomt auf die eigene, persönliche Wahrnehmung. Dann stellt man erstaunt fest, wie sich alles um einen herum plötzlich wie von Zauberhand arrangiert. Wie alles plötzlich seinen Platz hat, alles und man selbst auch, und wie man - sobald man sich als Mosaiksteinchen in diesem gigantischen Puzzle versteht - diese Stadt allmählich zu begreifen beginnt (was bei vielen Menschen die Vorstufen zur NYC-Liebe ist, bei einigen aber auch die zum NYC-Hass). Und dass Jeder sein eigenes New York hat - das begreift man auch.
„There are eight million stories in the city", und seit dem 11. September 2001 hat auch die Stadt selbst eine. Der Tag, an dem New York in Trümmern versank und auf tragische Weise entdecken musste, dass nichts auf der Welt unverwundbar ist und auch es selbst nicht, dieser Tag war gleichzeitig der Tag seiner Wiedergeburt - auch, wenn dies damals niemand geahnt und erst recht nicht zu sagen gewagt hätte. Seit dem 11. September 2001 ist nicht nur die Skyline - einst die schönste, weil vollkommendste der Welt - eine andere. Auch New York ist nicht mehr das alte. Die Stadt hat sich verändert. Nach außen hin mag sie längst zur Normalität zurückgekehrt sein, mag protzen und blenden und wie früher der felsenfesten Überzeugung sein, sie habe mit dem kümmerlichen Rest der USA nichts zu schaffen - der Schock jenes Septembermorgens aber sitzt ihr noch immer in den Knochen. Eine Zeitlang war das so offensichtlich wie selbstverständlich; Menschen, die einmal gemeinsam an einer Mahnwache für 2823 Tote teilgenommen haben, brüllen sich nicht mehr so einfach an, wenn der eine dem anderen soeben den vermeintlich letzte Parkplatz in SoHo weggeschnappt hat. Mittle weile sind die Veränderung feiner, Nuancen nur noch, feine Schwingungen, die man fühlt, wenn man die New Yorker genauer beobachtet. Sie sind ein wenig nachdenklicher geworden. Besorgte Besonnener. Vielleicht sogar ein wenig ruhiger.
Und das neue New York? So sarkastisch das auch klingen mag: Wenn man von der Lücke in der Downtown-Skyline einmal absieht, sieht th Big Apple heute besser aus als je zuvor. Die Stad mag - mal wieder - vor dem Konkurs stehe aber sie hat lange Jahre des Wohlstands und de Rekorde hinter sich, jedes Jahr mehr Besuche (die jedes Jahr mehr Geld in die Kassen brachten jedes Jahr neue Parks und Museen und andere Großprojekte, und was in diese Boom-Jahre nicht komplett neu gebaut wurde, ließ Ex-Bürgermeister Rudi Giuliani zumindest renovieren Coney Island, Harlem und vor allem der Time Square: alles nicht mehr wiederzuerkennen. I diesen Jahren ist New York immer größer geworden, hat sich gereckt, hat sich gestreckt, ha verloren gegangenes Gebiet zurück erobert. ABC-City zum Beispiel, die Straßenzüge rund um die Avenues A, B und C ganz im Südosten Manhattans, vor zehn Jahren noch Drogenhölle und Schlachtfeld der Gangs - heute Ausgeh-Viertel. Das ehemalige Schlachterviertel Meat District, bis Ende der Neunziger noch eine Gegend, bei der man ab Einbruch der Dunkelheit nichts mehr zu suchen hatte - heute angesagter Treff der Szene. Brooklyn? Ist mittlerweile so beliebt, dass die Stadtmagazine schon witzeln, Manhattan könne mit etwas Mühe irgendwann „the new Brooklyn" werden.
New York ändert sich, und vielleicht tut es das schneller, als es gut für es ist: New York läuft Gefahr, seine Unverwechselbarkeit zu verlieren. Natürlich ist es noch immer einzigartig - die Kanten aber werden abgeschliffen, und hört man das Wort von der „Decaff City", der entkoffeinierten Metropole. New York denkt ein paar Grad normaler als noch vor ein paar Jahren. Die öffentlich zur Schau getragene Zurückhaltung mag an der zum Modetrend gehypten Neuen Enthaltsamkeit liegen, an der demographischen Verschiebung (die Vororte und ihre familiären Wertvorstellungen dringen immer mehr in die Stadt der Singles), oder auch am Bewusstsein, nicht noch einmal sehenden Auges in die Katastrophe in Form einer neuen Rezession hinein schlittern zu wollen. „Alle großen Parties stehen jedenfalls im Zeichen wohltätiger Zwecke, der Indianer oder des Regenwaldes", klagt der New Yorker Kolumnist Alastair Gordon, „und alle Gäste gehen um neun Uhr nach einem Glas Chardonnay."
„Je mehr sie New York runtermachen, desto größer wird es!"
Ach ja: Das große Jammern, auch so etwas typisch New Yorkerisches. Da können Sie den Menschen hier noch so viele Umfrage-Ergebnisse vorsetzen, die ihnen ihr Lebensglück statistisch bestätigen (seit kurzem gibt es dafür sogar einen urban happiness quotient, eine Art demoskopische Zauberformel für die Befindlichkeiten der New Yorker Volksseele) - manchmal hat man den Eindruck, ein nicht unerheblicher Teil der New Yorker Bevölkerung hätte lieber heute als morgen das Chelsea einer Edith Wharton zurück oder wenigstens das Manhattan eines John Dos Passos. Ja ja, früher war am Hudson alles besser, nicht nur die Partys, sondern auch die Sonntagsausgabe der New York Times und die tibetischen Haarspitzenkuren beim Wellness-Guru und der winter sale bei Macy's sowieso. Und obwohl man sie jahrzehntelang verflucht hat, ist whole New York plötzlich der festen Überzeugung, dass auch die gelben Taxen eigentlich doch ein Stück Erbe seien, das man nicht einfach so gegen diesen neuen Hybridfahrzeuge eintauschen dürfe, trotz ausgeleierter Stoßdämpfer, ohrenbetäubender Motorgeräusche und mindestens einer Million Meilen auf dem Tacho.
Aber wie sagte schon Will Rogers: „Wisst Ihr, je mehr sie New York runtermachen, desto größer wird es!" Und wahrscheinlich hat er recht: Man muss sich nur die Preise der Szene-Coiffeure anschauen (wo man sich für 750 Dollar für jene Partys frisieren lassen kann, die es angeblich schon längst nicht mehr gibt), um festzustellen, dass die Stadt sehr wohl noch vom Höher!Schneller!- Weiter!-Diktat regiert wird. Ein Restaurant wie das „Masa", in dem das Dinner für Zwei um die 600 Dollar kostet, nimmt täglich etwa 500 telefonische Reservierungsanfragen von „Don'tyou- know-who-I-am's?" entgegen. 500! Und das sind nur die, die durchkommen! Und ein winziges Appartement in einem Hochhaus im West Village ist nicht mehr unter einer Million zu haben, und dann muss man aufpassen, dass man nicht zunimmt, sonst kann man sich nicht mehr im neuen Zuhause umdrehen, so eng ist es. Natürlich kann einem das egal sein, weil man ja nur zu Besuch da ist. Allerdings muss man auch für das Abschleppen des versehentlich vor einem Hydranten geparkten Mietwagens hinaus nach Red Hook, einer gottverlassenen Ecke drüben in Brooklyn, mittlerweile 295$ hinlegen. Plus 5% tax.
Nein: New York ist einzigartig, und wenn schon nicht die Hauptstadt der USA, dann wenigstens die der Welt, und wenn schon nicht mehr die Metropole mit der vollkommensten Skyline, dann zumindest die einzige Stadt, die man selbst an ihrem Geräusch allein erkennen würde: An jener klanggewordenen Energie, die aus den Tiefen der Hochhaus-Canyons hinaufsteigt, diesem tönenden Malstrom aus Alarmanlagen, Feuerwehr- hörnern, hupenden Taxen und den Trillerpfeifen der Fahrradkuriere, aus aufheulenden Motoren an der roten Ampel unten, dem Knattern des Hubschraubers, dem Zischen der Busbremsen. Und aus diesem Brummen, das immer zu hören ist und deshalb von niemandem gehört wird: Diesem tiefen, seltsam ruhigen Summen, einem Ton, als ob alle zigmillionen Herzschläge dieser Stadt, alle gerade in diesem Augenblick gesprochenen Worte, alle Schritte auf dem Asphalt, als ob das alles zusammenkommen würde zu einem Geräusch: Das ist New York.
Eine Bühne für das Fegefeuer der Eitelkeiten
Und natürlich ist auch das alte New York noch da, das klassische, das Mythen beladene und schwer an den eigenen Klischees tragende. Die Fifth Avenue zum Beispiel: Marmor gewordener american dream, boulevard of golden credit cards, so hell, so glitzernd, so funkelnd, dass hier alle den lieben langen Tag Sonnenbrillen tragen müssen. Eine Bühne, auf der von früh bis spät ein Fegefeuer der Eitelkeiten abgebrannt wird, mit „Diamonds are a girl's best friend" als Hintergrundmusik. Der Broadway, schräge Hauptschlagader Manhattans, the great white way, dessen einst weiße Theaterbeleuchtung mittlerweile in allen Farben der Welt flackert und blitzt, computergesteuert natürlich. Die Wall Street, Synonym für in Erfüllung gegangene Träume und geplatzte Illusionen, für Millionengewinne und Verluste im Handumdrehen. Oder der Times Square, nicht mehr wiederzuerkennen nach einer Komplettsanierung, die in Wirklichkeit natürlich nichts anderes war als eine Komplett-Disneyfizierung. Denn auch daran hat sich nichts geändert: New York ist nach wie vor Meister im Vorgaukeln einer Authentizität, deren perfekte Abziehbild-Vollkommenheit alles überklebt, was an Geschichte und Geschichten dahinter steckt. Der neue Times Square beschwört lediglich die Illusion herauf, der wahre Times Square zu sein. In Wirklichkeit ist er nur mehr das, was wir nach Auffassung seiner Investoren von ihm sehen sollen.
Und auch das hat sich nicht geändert: New York ist immer noch die übertaktetste, hysterischste und wahrscheinlich auch neurotischste Stadt der westlichen Welt. Und natürlich ist es laut. Und rasend schnell. Und erbarmungslos hektisch. New York ist aber auch romantisch, liebenswert, idyllisch, New York kann genau jenes New York sein, wie man es aus alten Filmen kennt, wenn der Himmel über den Wolkenkratzern aufreißt, wenn die Sonne untergeht und die Bürofenster wie in Flammen stehen, wenn es geschneit hat und der Schnee sekundenlang wie ein weißes Streicheln über die Stadt gebreitet ist. Wenn der Nebel in (ja: in!) den Hochhaus-Schluchten hängt, die immense Geräuschkulisse dämpft und die gleißenden Lichter schluckt. Wenn New York ein klein wenig greifbarer ist als sonst, weil es spätestens im 8. Stock aufhört und nicht bis in alle Ewigkeit nach oben schießt.
„There are eight million stories in the Naked City" - und jährlich kommen 41 Millionen weitere hinzu. Jeder, der New York besucht, hat seine eigene, und jeder hat sein eigenes NYC. New York ist ein getoasteter Bagel mit Cream Cheese, die Druckfarbe der „Village Voice" an den Fingern und kitschige Herbstsonnenuntergänge. New York ist der Martini in einer Hotelbar, defekte Telefone an ruhigen Straßenecken und funktionierende an ohrenbetäubend lauten, die Wassertürme auf den Hochhäusern, Schlittschuhfahren vor dem Rockefeller Center. New York ist der Dampf aus den Leitungslecks, die Flohmärkte am Sonntag, die Gargoyles auf den Hausdächern, der Augenaufschlag im Vorübergehen und ein Spaziergang über die zweitschönste Brücke der Welt. New York ist Shakespeare im Park, die Zeitung für andere in der Subway liegen zu lassen, Coffee und Donuts im Gehen, die klemmenden Hintertüren in den Bussen, sibirische Winterstürme und Frauen in Chanel-Kostüm und Joggingschuhen. Ist der Obdachlose in der Subway und der Fahrradkurier auf dem Bürgersteig, ist der blauweiße Pappkaffeebecher mit den griechischen Motiven und dass einen 267 Passanten täglich anrempeln, mindestens. Ist die Aussichtsplattform des Empire State Buidings und der erste Schnee im Central Park und King Kong und Batman und Spiderman. New York - das ist vor allem das Bewusstsein, sich im Zentrum des Universums zu befinden.
New York gibt es nicht. New York ist ein Mythos. Etwas, das nie gewesen war und niemals sein wird, das Leben in der Stadt aber trotzdem stärker prägt als die erbarmungslosungen homeless und social-welfare-Zahlen, die die City Hall monatlich bekanntgibt, mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit: Wo es um den Mythos geht, haben Statistiken nichts verloren. Also verwandeln sich weiterhin jeden Tag Tellerwäscher zu Millionären, werden aus hunderten Niemands Wers - dass gleichzeitig aus tausend Wers Niemands werden, die fortan mit ramponierten Einkaufswagen büchsensammelnd durch Manhattan ziehen und an der Straßenecke auf den Erfolg ihrer „Can you spare some change?"-Litanei hoffen, davon weiß er nichts, der Mythos. Oder er will zumindest nichts davon wissen. Dann breitet er sein schwarzes Cape aus und entschwindet fledermausgleich in den Skyscraper-Schluchten von Gotham City. Und wenn es ihn wirklich einmal erwischt, wenn er zerschossen von der Spitze des Empire State Buildings hinunter in den Urban Jungle fällt, dann lebt er trotzdem weiter: Ein Mythos ist schließlich unsterblich.
„There are eight million stories in the Naked City" - so ganz stimmt der Satz heute nicht mehr. New York City hat offiziell längst mehr Einwohner, 8,2 Millionen bei der letzten Zählung.
2025, vierhundert Jahre nach der Gründung von Nieuw Amsterdam, werden es 9,4 Millionen sein.
DOWNTOWN - FINANCIAL DISTRICT, LITTLE ITALY, CHINA TOWN UND NEUE TRENDVIERTEL
Nach Norden, immer nur nach Norden: Seit New York irgendwann vor langer Zeit über die Wall Street hinaus gewachsen war, zählte in dieser Stadt immer nur das, was jeweils ein paar Straßenzüge weiter nördlich lag: zuerst das feine Gramercy, dann Midtown, dann der Central Park, dann Upper West und Upper East. Am Ende der Insel Manhattan hatten sich Börse und Banken etabliert, hier schlug das Herz der Weltwirtschaft, aber außer Bankern und Brokern interessierte sich längst niemand mehr für den südlichsten Zipfel der Stadt. Dann kam der 11. September 2001, und fast schien in den Straßen, in denen einst alles begonnen hatte, auch alles sein Ende zu finden. Heute vereint dieser Teil der Stadt auf tragische Weise zwei New Yorks. Das der europäischen Gründerväter. Und das jener Stadtplaner und Architektenbüros, die der Stadt am Ground Zero ein neues Gesicht geben wollen.
Als New York begann
In ihren Anfangsjahren hieß die Siedlung an der Südspitze Manhattans noch Nieuw Amsterdam, hatte die holländische Staatsbürgerschaft und endete an einem hölzernen Wall, der Indianer und Engländer aus der Stadt halten sollte. Heute markiert die Wall Street den früheren Verlauf dieser Befestigung. Die Straßen hier sind eng und düster, aus unzähligen Lecks in den unterirdisch verlegten Leitungen quillt Wasserdampf, und wenn man nach oben schaut, ist nicht viel Himmel zu sehen. Wer ein Stück Ur-New York sucht, ein Viertel, an dem die Zeitläufe zumindest äußerlich so ein bisschen vorüber gegangen sind, der findet es hier, in den Wall Street Canyons des Financial Districts.
Überall sonst nämlich hat sich Downtown Manhattan in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren stärker verändert als die meisten anderen Bezirke der Stadt. Viele der Neighborhoods, die in diesem Teil New Yorks heute ganz oben auf der touristischen Besuchsliste stehen, waren bis Mitte der Neunziger Jahre Gegenden, in denen man tagsüber Angst um seine Brieftasche haben musste und nach Einbruch der Dunkelheit Angst um sein Leben. Der Meat Packing District im Westen und ABC-City im Osten von Downtown Manhattan zum Beispiel: damals absolute „no go" areas, heute Trendviertel des Sehens und Gesehenwerdens. Der South Street Seaport, einst ein sicherer Ort für eine Schlägerei unter Matrosen und Hafenarbeitern: heute Touristentreff und Flaniermeile für junge New Yorker Familien. Im East Village sitzen nicht mehr nur Punks auf den Treppen vor den Hauseingängen, sondern auch Models in den kleinen Cafés und Restaurants. Und in TriBeCa läuft einem heute eher Robert De Niro über den Weg als eine Guardian Angel- Patrouille, die früher in diesem Teil von Downtown nötig war.
Ach so: Downtown. Alles südlich der 14th Street, sagt der New Yorker. Besagter Financial District also, TriBeCa und SoHo mit seinen Galerien und Designerläden, aber natürlich auch die Lower East Side, wo heute überwiegend hispanische Einwanderer leben. Und natürlich Chinatown und Little Italy. Beziehungsweise, was von ihm noch übrig geblieben ist. Manchmal hat es den Eindruck, als würden Straßen wie die einst ehrenwerte Mulberry Street nur noch künstlich am Leben erhalten, eine billige Touristenattraktion mit Restaurants, in denen mittelamerikanisches Küchenpersonal mediokre Nudelgerichte zubereitet, die draußen dann als original italienische Pasta-Spezialitäten verkauft werden. Nein, Little Italy ist eigentlich schon komplett verschwunden. Stattdessen ist Chinatown immer größer geworden, hat sich gestreckt und gereckt und mit seiner pulsierenden, lauten Quirligkeit alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
Greenwich Village ist noch ein bisschen Dorf geblieben
Und dann ist da noch Greenwich Village, das schönste Viertel der Stadt: mit verwinkelten Gassen, Hinterhöfen, efeubewachsenen Mauern, begrünten Straßen und einer auch für New Yorker Verhältnisse ungewöhnlichen Dichte an Cafés, Bars und Restaurants. Natürlich hat sich auch hier viel verändert in den letzten Jahren: Das Village ist bürgerlich geworden. Aber auch wenn der unorthodox-anarchische Flair jetzt anderswo in New York weht - von ihrem pittoresken Charme hat die Gegend zwischen 14th Street und Houston sowie zwischen Hudson und Broadway (hinter dem sich das East Village anschließt, der raue Bruder) nur wenig verloren. So ein bisschen ist jenes Dorf geblieben, was es war, als sich reiche New Yorker hier draußen Landsitze auf der grünen Wiese errichteten.
Bis heute ist Greenwich Village übrigens auch der einzige Teil Manhattans, in dem die Straßen nicht nach dem berühmten Rasterplan der Stadt verlaufen. Als der 1811 eingeführt wurde, mussten die Stadtplaner das Village außen vor lassen: Hier bestand bereits ein komplettes Netz an Straßen und Gassen, die zum Missfallen der Planer auch noch krumm und bucklig verliefen. Weshalb das Village neben dem Straßengewirr südlich der Wall Street heute das einzige Viertel Manhattans ist, in dem man sich ein bisschen verlaufen kann - und als Taxifahrer ziemlich verfahren.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
„There are eight million stories in the Naked City": Dass aus einem einfachen Filmzitat ein Motto werden kann - auch das hat New York der Welt vorgemacht. Vielleicht mehr als in jeder anderen Stadt lässt sich das Chaos hier nur dann ordnen, wenn man die Weitwinkelperspektive verlässt und herunter zoomt auf die eigene, persönliche Wahrnehmung. Dann stellt man erstaunt fest, wie sich alles um einen herum plötzlich wie von Zauberhand arrangiert. Wie alles plötzlich seinen Platz hat, alles und man selbst auch, und wie man - sobald man sich als Mosaiksteinchen in diesem gigantischen Puzzle versteht - diese Stadt allmählich zu begreifen beginnt (was bei vielen Menschen die Vorstufen zur NYC-Liebe ist, bei einigen aber auch die zum NYC-Hass). Und dass Jeder sein eigenes New York hat - das begreift man auch.
„There are eight million stories in the city", und seit dem 11. September 2001 hat auch die Stadt selbst eine. Der Tag, an dem New York in Trümmern versank und auf tragische Weise entdecken musste, dass nichts auf der Welt unverwundbar ist und auch es selbst nicht, dieser Tag war gleichzeitig der Tag seiner Wiedergeburt - auch, wenn dies damals niemand geahnt und erst recht nicht zu sagen gewagt hätte. Seit dem 11. September 2001 ist nicht nur die Skyline - einst die schönste, weil vollkommendste der Welt - eine andere. Auch New York ist nicht mehr das alte. Die Stadt hat sich verändert. Nach außen hin mag sie längst zur Normalität zurückgekehrt sein, mag protzen und blenden und wie früher der felsenfesten Überzeugung sein, sie habe mit dem kümmerlichen Rest der USA nichts zu schaffen - der Schock jenes Septembermorgens aber sitzt ihr noch immer in den Knochen. Eine Zeitlang war das so offensichtlich wie selbstverständlich; Menschen, die einmal gemeinsam an einer Mahnwache für 2823 Tote teilgenommen haben, brüllen sich nicht mehr so einfach an, wenn der eine dem anderen soeben den vermeintlich letzte Parkplatz in SoHo weggeschnappt hat. Mittle weile sind die Veränderung feiner, Nuancen nur noch, feine Schwingungen, die man fühlt, wenn man die New Yorker genauer beobachtet. Sie sind ein wenig nachdenklicher geworden. Besorgte Besonnener. Vielleicht sogar ein wenig ruhiger.
Und das neue New York? So sarkastisch das auch klingen mag: Wenn man von der Lücke in der Downtown-Skyline einmal absieht, sieht th Big Apple heute besser aus als je zuvor. Die Stad mag - mal wieder - vor dem Konkurs stehe aber sie hat lange Jahre des Wohlstands und de Rekorde hinter sich, jedes Jahr mehr Besuche (die jedes Jahr mehr Geld in die Kassen brachten jedes Jahr neue Parks und Museen und andere Großprojekte, und was in diese Boom-Jahre nicht komplett neu gebaut wurde, ließ Ex-Bürgermeister Rudi Giuliani zumindest renovieren Coney Island, Harlem und vor allem der Time Square: alles nicht mehr wiederzuerkennen. I diesen Jahren ist New York immer größer geworden, hat sich gereckt, hat sich gestreckt, ha verloren gegangenes Gebiet zurück erobert. ABC-City zum Beispiel, die Straßenzüge rund um die Avenues A, B und C ganz im Südosten Manhattans, vor zehn Jahren noch Drogenhölle und Schlachtfeld der Gangs - heute Ausgeh-Viertel. Das ehemalige Schlachterviertel Meat District, bis Ende der Neunziger noch eine Gegend, bei der man ab Einbruch der Dunkelheit nichts mehr zu suchen hatte - heute angesagter Treff der Szene. Brooklyn? Ist mittlerweile so beliebt, dass die Stadtmagazine schon witzeln, Manhattan könne mit etwas Mühe irgendwann „the new Brooklyn" werden.
New York ändert sich, und vielleicht tut es das schneller, als es gut für es ist: New York läuft Gefahr, seine Unverwechselbarkeit zu verlieren. Natürlich ist es noch immer einzigartig - die Kanten aber werden abgeschliffen, und hört man das Wort von der „Decaff City", der entkoffeinierten Metropole. New York denkt ein paar Grad normaler als noch vor ein paar Jahren. Die öffentlich zur Schau getragene Zurückhaltung mag an der zum Modetrend gehypten Neuen Enthaltsamkeit liegen, an der demographischen Verschiebung (die Vororte und ihre familiären Wertvorstellungen dringen immer mehr in die Stadt der Singles), oder auch am Bewusstsein, nicht noch einmal sehenden Auges in die Katastrophe in Form einer neuen Rezession hinein schlittern zu wollen. „Alle großen Parties stehen jedenfalls im Zeichen wohltätiger Zwecke, der Indianer oder des Regenwaldes", klagt der New Yorker Kolumnist Alastair Gordon, „und alle Gäste gehen um neun Uhr nach einem Glas Chardonnay."
„Je mehr sie New York runtermachen, desto größer wird es!"
Ach ja: Das große Jammern, auch so etwas typisch New Yorkerisches. Da können Sie den Menschen hier noch so viele Umfrage-Ergebnisse vorsetzen, die ihnen ihr Lebensglück statistisch bestätigen (seit kurzem gibt es dafür sogar einen urban happiness quotient, eine Art demoskopische Zauberformel für die Befindlichkeiten der New Yorker Volksseele) - manchmal hat man den Eindruck, ein nicht unerheblicher Teil der New Yorker Bevölkerung hätte lieber heute als morgen das Chelsea einer Edith Wharton zurück oder wenigstens das Manhattan eines John Dos Passos. Ja ja, früher war am Hudson alles besser, nicht nur die Partys, sondern auch die Sonntagsausgabe der New York Times und die tibetischen Haarspitzenkuren beim Wellness-Guru und der winter sale bei Macy's sowieso. Und obwohl man sie jahrzehntelang verflucht hat, ist whole New York plötzlich der festen Überzeugung, dass auch die gelben Taxen eigentlich doch ein Stück Erbe seien, das man nicht einfach so gegen diesen neuen Hybridfahrzeuge eintauschen dürfe, trotz ausgeleierter Stoßdämpfer, ohrenbetäubender Motorgeräusche und mindestens einer Million Meilen auf dem Tacho.
Aber wie sagte schon Will Rogers: „Wisst Ihr, je mehr sie New York runtermachen, desto größer wird es!" Und wahrscheinlich hat er recht: Man muss sich nur die Preise der Szene-Coiffeure anschauen (wo man sich für 750 Dollar für jene Partys frisieren lassen kann, die es angeblich schon längst nicht mehr gibt), um festzustellen, dass die Stadt sehr wohl noch vom Höher!Schneller!- Weiter!-Diktat regiert wird. Ein Restaurant wie das „Masa", in dem das Dinner für Zwei um die 600 Dollar kostet, nimmt täglich etwa 500 telefonische Reservierungsanfragen von „Don'tyou- know-who-I-am's?" entgegen. 500! Und das sind nur die, die durchkommen! Und ein winziges Appartement in einem Hochhaus im West Village ist nicht mehr unter einer Million zu haben, und dann muss man aufpassen, dass man nicht zunimmt, sonst kann man sich nicht mehr im neuen Zuhause umdrehen, so eng ist es. Natürlich kann einem das egal sein, weil man ja nur zu Besuch da ist. Allerdings muss man auch für das Abschleppen des versehentlich vor einem Hydranten geparkten Mietwagens hinaus nach Red Hook, einer gottverlassenen Ecke drüben in Brooklyn, mittlerweile 295$ hinlegen. Plus 5% tax.
Nein: New York ist einzigartig, und wenn schon nicht die Hauptstadt der USA, dann wenigstens die der Welt, und wenn schon nicht mehr die Metropole mit der vollkommensten Skyline, dann zumindest die einzige Stadt, die man selbst an ihrem Geräusch allein erkennen würde: An jener klanggewordenen Energie, die aus den Tiefen der Hochhaus-Canyons hinaufsteigt, diesem tönenden Malstrom aus Alarmanlagen, Feuerwehr- hörnern, hupenden Taxen und den Trillerpfeifen der Fahrradkuriere, aus aufheulenden Motoren an der roten Ampel unten, dem Knattern des Hubschraubers, dem Zischen der Busbremsen. Und aus diesem Brummen, das immer zu hören ist und deshalb von niemandem gehört wird: Diesem tiefen, seltsam ruhigen Summen, einem Ton, als ob alle zigmillionen Herzschläge dieser Stadt, alle gerade in diesem Augenblick gesprochenen Worte, alle Schritte auf dem Asphalt, als ob das alles zusammenkommen würde zu einem Geräusch: Das ist New York.
Eine Bühne für das Fegefeuer der Eitelkeiten
Und natürlich ist auch das alte New York noch da, das klassische, das Mythen beladene und schwer an den eigenen Klischees tragende. Die Fifth Avenue zum Beispiel: Marmor gewordener american dream, boulevard of golden credit cards, so hell, so glitzernd, so funkelnd, dass hier alle den lieben langen Tag Sonnenbrillen tragen müssen. Eine Bühne, auf der von früh bis spät ein Fegefeuer der Eitelkeiten abgebrannt wird, mit „Diamonds are a girl's best friend" als Hintergrundmusik. Der Broadway, schräge Hauptschlagader Manhattans, the great white way, dessen einst weiße Theaterbeleuchtung mittlerweile in allen Farben der Welt flackert und blitzt, computergesteuert natürlich. Die Wall Street, Synonym für in Erfüllung gegangene Träume und geplatzte Illusionen, für Millionengewinne und Verluste im Handumdrehen. Oder der Times Square, nicht mehr wiederzuerkennen nach einer Komplettsanierung, die in Wirklichkeit natürlich nichts anderes war als eine Komplett-Disneyfizierung. Denn auch daran hat sich nichts geändert: New York ist nach wie vor Meister im Vorgaukeln einer Authentizität, deren perfekte Abziehbild-Vollkommenheit alles überklebt, was an Geschichte und Geschichten dahinter steckt. Der neue Times Square beschwört lediglich die Illusion herauf, der wahre Times Square zu sein. In Wirklichkeit ist er nur mehr das, was wir nach Auffassung seiner Investoren von ihm sehen sollen.
Und auch das hat sich nicht geändert: New York ist immer noch die übertaktetste, hysterischste und wahrscheinlich auch neurotischste Stadt der westlichen Welt. Und natürlich ist es laut. Und rasend schnell. Und erbarmungslos hektisch. New York ist aber auch romantisch, liebenswert, idyllisch, New York kann genau jenes New York sein, wie man es aus alten Filmen kennt, wenn der Himmel über den Wolkenkratzern aufreißt, wenn die Sonne untergeht und die Bürofenster wie in Flammen stehen, wenn es geschneit hat und der Schnee sekundenlang wie ein weißes Streicheln über die Stadt gebreitet ist. Wenn der Nebel in (ja: in!) den Hochhaus-Schluchten hängt, die immense Geräuschkulisse dämpft und die gleißenden Lichter schluckt. Wenn New York ein klein wenig greifbarer ist als sonst, weil es spätestens im 8. Stock aufhört und nicht bis in alle Ewigkeit nach oben schießt.
„There are eight million stories in the Naked City" - und jährlich kommen 41 Millionen weitere hinzu. Jeder, der New York besucht, hat seine eigene, und jeder hat sein eigenes NYC. New York ist ein getoasteter Bagel mit Cream Cheese, die Druckfarbe der „Village Voice" an den Fingern und kitschige Herbstsonnenuntergänge. New York ist der Martini in einer Hotelbar, defekte Telefone an ruhigen Straßenecken und funktionierende an ohrenbetäubend lauten, die Wassertürme auf den Hochhäusern, Schlittschuhfahren vor dem Rockefeller Center. New York ist der Dampf aus den Leitungslecks, die Flohmärkte am Sonntag, die Gargoyles auf den Hausdächern, der Augenaufschlag im Vorübergehen und ein Spaziergang über die zweitschönste Brücke der Welt. New York ist Shakespeare im Park, die Zeitung für andere in der Subway liegen zu lassen, Coffee und Donuts im Gehen, die klemmenden Hintertüren in den Bussen, sibirische Winterstürme und Frauen in Chanel-Kostüm und Joggingschuhen. Ist der Obdachlose in der Subway und der Fahrradkurier auf dem Bürgersteig, ist der blauweiße Pappkaffeebecher mit den griechischen Motiven und dass einen 267 Passanten täglich anrempeln, mindestens. Ist die Aussichtsplattform des Empire State Buidings und der erste Schnee im Central Park und King Kong und Batman und Spiderman. New York - das ist vor allem das Bewusstsein, sich im Zentrum des Universums zu befinden.
New York gibt es nicht. New York ist ein Mythos. Etwas, das nie gewesen war und niemals sein wird, das Leben in der Stadt aber trotzdem stärker prägt als die erbarmungslosungen homeless und social-welfare-Zahlen, die die City Hall monatlich bekanntgibt, mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit: Wo es um den Mythos geht, haben Statistiken nichts verloren. Also verwandeln sich weiterhin jeden Tag Tellerwäscher zu Millionären, werden aus hunderten Niemands Wers - dass gleichzeitig aus tausend Wers Niemands werden, die fortan mit ramponierten Einkaufswagen büchsensammelnd durch Manhattan ziehen und an der Straßenecke auf den Erfolg ihrer „Can you spare some change?"-Litanei hoffen, davon weiß er nichts, der Mythos. Oder er will zumindest nichts davon wissen. Dann breitet er sein schwarzes Cape aus und entschwindet fledermausgleich in den Skyscraper-Schluchten von Gotham City. Und wenn es ihn wirklich einmal erwischt, wenn er zerschossen von der Spitze des Empire State Buildings hinunter in den Urban Jungle fällt, dann lebt er trotzdem weiter: Ein Mythos ist schließlich unsterblich.
„There are eight million stories in the Naked City" - so ganz stimmt der Satz heute nicht mehr. New York City hat offiziell längst mehr Einwohner, 8,2 Millionen bei der letzten Zählung.
2025, vierhundert Jahre nach der Gründung von Nieuw Amsterdam, werden es 9,4 Millionen sein.
DOWNTOWN - FINANCIAL DISTRICT, LITTLE ITALY, CHINA TOWN UND NEUE TRENDVIERTEL
Nach Norden, immer nur nach Norden: Seit New York irgendwann vor langer Zeit über die Wall Street hinaus gewachsen war, zählte in dieser Stadt immer nur das, was jeweils ein paar Straßenzüge weiter nördlich lag: zuerst das feine Gramercy, dann Midtown, dann der Central Park, dann Upper West und Upper East. Am Ende der Insel Manhattan hatten sich Börse und Banken etabliert, hier schlug das Herz der Weltwirtschaft, aber außer Bankern und Brokern interessierte sich längst niemand mehr für den südlichsten Zipfel der Stadt. Dann kam der 11. September 2001, und fast schien in den Straßen, in denen einst alles begonnen hatte, auch alles sein Ende zu finden. Heute vereint dieser Teil der Stadt auf tragische Weise zwei New Yorks. Das der europäischen Gründerväter. Und das jener Stadtplaner und Architektenbüros, die der Stadt am Ground Zero ein neues Gesicht geben wollen.
Als New York begann
In ihren Anfangsjahren hieß die Siedlung an der Südspitze Manhattans noch Nieuw Amsterdam, hatte die holländische Staatsbürgerschaft und endete an einem hölzernen Wall, der Indianer und Engländer aus der Stadt halten sollte. Heute markiert die Wall Street den früheren Verlauf dieser Befestigung. Die Straßen hier sind eng und düster, aus unzähligen Lecks in den unterirdisch verlegten Leitungen quillt Wasserdampf, und wenn man nach oben schaut, ist nicht viel Himmel zu sehen. Wer ein Stück Ur-New York sucht, ein Viertel, an dem die Zeitläufe zumindest äußerlich so ein bisschen vorüber gegangen sind, der findet es hier, in den Wall Street Canyons des Financial Districts.
Überall sonst nämlich hat sich Downtown Manhattan in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren stärker verändert als die meisten anderen Bezirke der Stadt. Viele der Neighborhoods, die in diesem Teil New Yorks heute ganz oben auf der touristischen Besuchsliste stehen, waren bis Mitte der Neunziger Jahre Gegenden, in denen man tagsüber Angst um seine Brieftasche haben musste und nach Einbruch der Dunkelheit Angst um sein Leben. Der Meat Packing District im Westen und ABC-City im Osten von Downtown Manhattan zum Beispiel: damals absolute „no go" areas, heute Trendviertel des Sehens und Gesehenwerdens. Der South Street Seaport, einst ein sicherer Ort für eine Schlägerei unter Matrosen und Hafenarbeitern: heute Touristentreff und Flaniermeile für junge New Yorker Familien. Im East Village sitzen nicht mehr nur Punks auf den Treppen vor den Hauseingängen, sondern auch Models in den kleinen Cafés und Restaurants. Und in TriBeCa läuft einem heute eher Robert De Niro über den Weg als eine Guardian Angel- Patrouille, die früher in diesem Teil von Downtown nötig war.
Ach so: Downtown. Alles südlich der 14th Street, sagt der New Yorker. Besagter Financial District also, TriBeCa und SoHo mit seinen Galerien und Designerläden, aber natürlich auch die Lower East Side, wo heute überwiegend hispanische Einwanderer leben. Und natürlich Chinatown und Little Italy. Beziehungsweise, was von ihm noch übrig geblieben ist. Manchmal hat es den Eindruck, als würden Straßen wie die einst ehrenwerte Mulberry Street nur noch künstlich am Leben erhalten, eine billige Touristenattraktion mit Restaurants, in denen mittelamerikanisches Küchenpersonal mediokre Nudelgerichte zubereitet, die draußen dann als original italienische Pasta-Spezialitäten verkauft werden. Nein, Little Italy ist eigentlich schon komplett verschwunden. Stattdessen ist Chinatown immer größer geworden, hat sich gestreckt und gereckt und mit seiner pulsierenden, lauten Quirligkeit alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
Greenwich Village ist noch ein bisschen Dorf geblieben
Und dann ist da noch Greenwich Village, das schönste Viertel der Stadt: mit verwinkelten Gassen, Hinterhöfen, efeubewachsenen Mauern, begrünten Straßen und einer auch für New Yorker Verhältnisse ungewöhnlichen Dichte an Cafés, Bars und Restaurants. Natürlich hat sich auch hier viel verändert in den letzten Jahren: Das Village ist bürgerlich geworden. Aber auch wenn der unorthodox-anarchische Flair jetzt anderswo in New York weht - von ihrem pittoresken Charme hat die Gegend zwischen 14th Street und Houston sowie zwischen Hudson und Broadway (hinter dem sich das East Village anschließt, der raue Bruder) nur wenig verloren. So ein bisschen ist jenes Dorf geblieben, was es war, als sich reiche New Yorker hier draußen Landsitze auf der grünen Wiese errichteten.
Bis heute ist Greenwich Village übrigens auch der einzige Teil Manhattans, in dem die Straßen nicht nach dem berühmten Rasterplan der Stadt verlaufen. Als der 1811 eingeführt wurde, mussten die Stadtplaner das Village außen vor lassen: Hier bestand bereits ein komplettes Netz an Straßen und Gassen, die zum Missfallen der Planer auch noch krumm und bucklig verliefen. Weshalb das Village neben dem Straßengewirr südlich der Wall Street heute das einzige Viertel Manhattans ist, in dem man sich ein bisschen verlaufen kann - und als Taxifahrer ziemlich verfahren.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Bibliographische Angaben
- Autoren: Christian Heeb , Stefan Nink
- 224 Seiten, durchgehend farbige Abbildungen, Maße: 23,6 x 29,1 cm, Gebunden
- Verlag: VERLAGSHAUS WÜRZBURG
- ISBN-10: 382893269X
- ISBN-13: 9783828932692
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