Niemand hört dich, wenn du schreist
Randall Gyre hatte alles, was sich ein Mann wünschen kann. Und trotzdem wurde er wegen Vergewaltigung verurteilt. Jetzt ist er freigekommen, obwohl Gerichtspsychologin Karen Taylor überzeugt ist: Er wird wieder zuschlagen. Tatsächlich...
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Produktinformationen zu „Niemand hört dich, wenn du schreist “
Randall Gyre hatte alles, was sich ein Mann wünschen kann. Und trotzdem wurde er wegen Vergewaltigung verurteilt. Jetzt ist er freigekommen, obwohl Gerichtspsychologin Karen Taylor überzeugt ist: Er wird wieder zuschlagen. Tatsächlich werden bald Tatzeugen ermordet. Ist es Gyres Rache, oder steckt jemand anderes dahinter?
Lese-Probe zu „Niemand hört dich, wenn du schreist “
Niemand hört dich, wenn du schreist von Natasha CooperProlog
Dienstag, 23. Dezember 2003
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Schmerzen haben einen Nutzen, überlegt Lizzie. Sie ängstigen dich so sehr, dass du tust, was von dir verlangt wird. Und sie lassen dich spüren, dass du trotz allem noch am Leben bist. Aber sie wecken dich auch immer wieder auf, und wenn sie sehen, dass deine Augen offen sind, glauben sie, dass du ihnen gehörst.
»Sagen Sie uns, was er getan hat, und wir werden ihn schnappen«, hatte der Cop beim letzten Mal gesagt, als sie diesen Fehler begangen hatte. »Sie müssen es uns sagen. Wie hat er sich genannt? Wie sieht er aus ? Wer ist er ? Sie kennen ihn, richtig? Sie wissen, wer er ist. Sie müssen es uns sagen. Verdammt, reden Sie mit mir.«
Lizzie weiß, dass dieser Cop heute wieder hier ist, denn sie erkennt den Geruch von Rauch in seinem Atem und an seiner Kleidung, doch er ist es nicht, der jetzt spricht.
»Eindeutig die gleiche Vorgehensweise, Sarge.« Das ist die Stimme einer Frau, vernünftig und ruhig. »Allerdings sind die Verletzungen dieses Mal wesentlicher schlimmer. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass es sich wieder um Randall Gyre handelt.«
Das stimmt, denkt Lizzie. Er hat es mir selbst gesagt.
Sie betrat das Pub kurz nach neun, immer noch zitternd nach einem weiteren Streit mit ihrer Mutter, und sah sich nach ihrem Vater um. Das Eagle and Dumpling in Cowes war seine Stammkneipe. Hierher flüchtete er sich, um den häuslichen Auseinandersetzungen zu entgehen. Aber heute Abend war er nicht hier.
Lizzie blieb an der Türschwelle stehen und sah sich in der Hoffnung um, ihn doch noch zu entdecken.
Ein großer, gut aussehender junger Mann an der Bar sah zu ihr hinüber und hob sein Glas. Lizzie lächelte und beobachtete, wie sich seine Miene entspannte und er sie so freundlich willkommen hieß, dass sie beinahe all die Ausdrücke vergaß, die ihre Mutter ihr soeben lautstark an den Kopf geworfen hatte. Er richtete sich auf und schlenderte zu ihr herüber.
»Hi, ich bin Randall Gyre. Darf ich dich auf einen Drink einladen?«
»Danke. Ich bin Lizzie - Lizzie Fane. Ein Wodka Tonic wäre super.«
»Kommt sofort.«
Als einer der Ärzte ihr noch eine Nadel in den Arm sticht, schüttelt ein weiterer Schmerz ihren Körper, anders und noch beängstigender. Ihre Körperteile scheinen so lose aneinandergefügt zu sein, als könnten sie jederzeit in den Händen des Arztes auseinanderfallen, so wie die matschigen Hähnchenkeulen, die sie einmal zu lange im Kühlschrank hat liegen lassen.
Lizzie fühlt sich am ganzen Körper zerschrammt und brüchig. Alles, was sie zusammengehalten hat, ist zerrissen und zerfetzt, ebenso wie ihre Verbindung zu der Zeit davor.
Sie weiß nicht einmal, wann das war. Immer, wenn sie zu sich kommt, hat sie keine Ahnung, ob es sich um denselben Tag handelt, oder um morgen oder sogar um gestern.
Aus dem Quietschen und Rattern der Wägelchen schließt sie jedoch, dass sie sich immer noch im Krankenhaus befindet. Und auch aus den Gerüchen : Desinfektionsmittel und Alkohol. Aber das ist reiner, medizinischer Alkohol, nicht das süßliche Zeug, das Randall ihr gekauft hat. Das Zeug, das sich in ihrem Mund festsetzte, ihre Kehle hinunterglitt und ihr Gespür für Gefahr einlullte.
Ihr Kummer war verfl ogen, und sie zitterte nicht mehr. Sogar die Enttäuschung darüber, ihren Dad nicht gefunden zu haben, war leichter zu ertragen. Sie hatte das Gefühl, als würde ihr gesamter Körper Randall anlächeln. Die harten Bänke des Pubs waren plötzlich herrlich bequem. Seine lachende Stimme war wie dunkelblaue Seide, sanft, aber bestimmt, schön und sehr stark.
»Du bist fantastisch, Lizzie. Warum haben wir uns bisher noch nie getroffen? Wenn du auf der Insel lebst, dann muss dich jemand vor mir versteckt haben. Ich verbringe schon seit eh und je meine Ferien hier. Das ist nicht fair - ich hätte dich im Sand spielen sehen können, mit dir Fußball spielen, mich wegen deiner Puppen lustig machen und zusehen können, wie du immer schöner wirst und die Welt eroberst. Jetzt bist du hier, bereits erwachsen, und ich habe die Hälfte meines Lebens ohne dich vergeudet.«
»Ich hätte dich nicht gemocht, wenn du meinen Puppen wehgetan hättest.« Sie lächelte ihn an. »Ich habe sie mehr geliebt als irgendeinen lebendigen Menschen. Es ist viel besser, dass wir uns erst als Erwachsene kennengelernt haben. Möchtest du noch ein Bier?«
»Später. Warum gehen wir nicht ein wenig nach draußen? Irgendwohin, wo wir ungestört sind. Hier sind zu viele Leute, Lizzie. «
Draußen legte er ihr seinen Arm um die Schultern und zog sie näher an sich heran, sodass er sie küssen konnte. Es gefiel ihr, und sie mochte sein Rasierwasser - zitronig, mit einer pfefferigen Note.
»Oh, du bist umwerfend! Komm her. «
Sie würgt, als ihr der Geruch in die Nase steigt und ihr die Kehle zuschnürt. Ihre Lungen brennen, ihr wird schwindlig, und das Bett scheint sich zu drehen. Jemand zupft wieder an ihren Infusionsschläuchen. Ein schweres Gewicht drückt ihren Hals nach unten. Sie öffnet die Augen, sieht Randalls Gesicht vor sich und schreit. Aber sie bringt keinen Ton hervor.
Sekunden später, oder Stunden oder Tage, nähern sich rasche Schritte.
Stimmen dringen durch den heißen, stinkenden Nebel an ihr Ohr. Eine ist weiblich und bestimmt, die andere männlich und jung, aber nicht bedrohlich, da in ihr Sorge schwingt, sie nicht laut ist oder aalglatt vor falschem Charme.
»Ihre Temperatur dürfte nicht so hoch sein. Ich verstehe das nicht. Die Wunden sind alle gesäubert und genäht worden. Sie heilen, sogar die inneren. Die Infektion ist seit Tagen unter Kontrolle. Sie dürfte kein Fieber mehr haben.«
»Aber ... «
»Eis«, befiehlt der Mann. Seine Stimme klingt jetzt so hoch, dass sie beinahe einem Schrei gleicht. »Holen Sie Eisbeutel, Schwester. Nein, zuerst einen Ventilator. Ja, so ist es richtig. Wir fangen mit einem Ventilator an. Beeilen Sie sich. Worauf warten Sie noch? Los! Tun Sie, was ich Ihnen sage!«
»Holen Sie die Fachärztin.« Die Stimme klingt ruhig und fest, und für Lizzie ist sie so beruhigend, als würde jemand ihre Hand halten. »Damit werden Sie nicht allein fertig.«
»Ich schaffe das schon. Wir werden ihre Temperatur senken, und Dr. Franklin kann sie sich dann morgen früh anschauen. Holen Sie einen Ventilator.«
»Das reicht nicht. Sie hat eine Blutvergiftung.« Die Stimme der Krankenschwester klingt immer noch respektvoll, aber nur noch mühsam beherrscht.
Lizzie spürt, wie die Bettdecke am Fußende angehoben wird. Dann hört sie wieder die Stimme der Krankenschwester, dieses Mal energischer.
»Schauen Sie. Ihre Füße sind ebenso bleich wie ihre Hände. Blutvergiftung.«
Das Laken wird wieder festgesteckt - zu fest, sodass Lizzies Zehen nach unten gebogen werden.
»Das kann nicht sein. Sie bekommt seit fünf Tagen intravenös Antibiotika.«
»Sehen Sie sich den Tropf an, Doktor.« Jetzt schwingt auch in der Stimme der Schwester Panik. »Jemand hat die Infusion abgestellt.«
Sie zupfen wieder an ihr. Lizzie schreit in Gedanken: Nein, nein, nein, nein, nein !
Sie kämpfte, trat und schlug um sich und biss. Aber Randall war so stark, dass sie ihn nicht abschütteln konnte. Je mehr sie sich wehrte, umso heftiger stach er auf sie ein. Das Blut der ersten Schnitte war bereits klebrig, als frisches nachfloss.
Am Ende war seine Stimme so kalt und hart wie das zerbrochene Glas. »Wenn du jemals darüber sprichst, wenn du jemals jemandem verrätst, wer ich bin, dann werde ich dich finden und töten. Wo immer du auch bist, ich werde dich finden. Und ich werde dich töten. Vergiss das nie. «
Dann durchfuhr sie ein besonders scharfer Schmerz, der durch ihre Vagina nach oben ganz tief in ihren Körper schoss.
»Es liegt nicht nur an der Infusion. Da steckt noch etwas drin«, meinte die Krankenschwester. »Sie müssen noch einmal eine innere Untersuchung vornehmen, Doktor.«
Es riecht nach den gepuderten Gummihandschuhen, und sie hört, wie sie gegen seine Finger schnalzen. Lizzie weiß, was jetzt kommt. Das Laken wird wieder weggezogen, und dieses Mal zerrt es an ihrem großen Zeh, der sich an einem Riss im Stoff verfängt. Seine Hände schieben ihre angespannten Knie auseinander.
In ihrem Kopf werden Schreie laut. Die Kälte des Stahlspekulums an ihrer wunden, vernähten Haut warnt sie, kurz bevor die Schmerzen wieder einsetzen.
Sie muss sie aus ihren Gedanken verbannen. Sie kann sie nicht aufhalten, ebenso wenig, wie sie ihn aufhalten konnte.
»Glas«, sagt der Arzt. »Gütiger Himmel! Da ist noch eine Glasscherbe, direkt am Gebärmutterhals.«
»Rufen Sie Dr. Franklin.«
»Das kann ich nicht.« Jetzt klingt der Arzt noch ängstlicher.
»Sie kann es nicht leiden, wenn ich sie aufwecke. Sie ist der Meinung, dass ich allein zurechtkommen sollte und dass ich mich oft wegen Nichtigkeiten aufrege.«
»Dieses Mal nicht«, erwidert die Schwester grimmig. »Sie muss kommen. Holen Sie sie. Sofort. Ich werde die Eltern verständigen. Sie sollten auch hier sein.«
Viel später hört Lizzie die Stimme ihrer Mutter, drängend und wütend. Die Ärztin erklärt ihr, warum sie auf die Intensivstation gebracht wird. Das Bett schaukelt, als es von der Wand weggeschoben wird. Lizzie ist übel ; sie hält die Augen fest geschlossen.
Die Veränderung der Lufttemperatur verrät ihr, dass sie sich von der Station entfernt haben. Das Bett steht wieder still. Niemand spricht. Sie hebt ihre schweren Augenlider und sieht einen Pfl eger, der über ihren Kopf hinwegblickt und wartet. Als sie zur Seite schaut, sieht sie ihre Mutter ; sie weint und lehnt sich an einen großen Mann in einem weißen Kittel. Ist das der Arzt, der in Panik geraten ist ? Lizzie öffnet ihre Augen noch weiter. An seinem Aufschlag befi ndet sich kein Namensschild. Sie lässt ihren Blick nach oben gleiten, damit sie sein Gesicht sehen kann. Der Schrei in ihrer Kehle erstickt sie beinahe, aber sie bringt keinen Ton hervor.
Randall bemerkt, dass sie ihn erkannt hat. Seine Augen glitzern. Er verzieht die Lippen zu einem Lächeln, das pure, triumphierende Befriedigung verrät.
»Du stirbst, Lizzie. Du hättest nicht reden sollen.«
Übersetzung: Ulrike Laszlo
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2011 by
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Schmerzen haben einen Nutzen, überlegt Lizzie. Sie ängstigen dich so sehr, dass du tust, was von dir verlangt wird. Und sie lassen dich spüren, dass du trotz allem noch am Leben bist. Aber sie wecken dich auch immer wieder auf, und wenn sie sehen, dass deine Augen offen sind, glauben sie, dass du ihnen gehörst.
»Sagen Sie uns, was er getan hat, und wir werden ihn schnappen«, hatte der Cop beim letzten Mal gesagt, als sie diesen Fehler begangen hatte. »Sie müssen es uns sagen. Wie hat er sich genannt? Wie sieht er aus ? Wer ist er ? Sie kennen ihn, richtig? Sie wissen, wer er ist. Sie müssen es uns sagen. Verdammt, reden Sie mit mir.«
Lizzie weiß, dass dieser Cop heute wieder hier ist, denn sie erkennt den Geruch von Rauch in seinem Atem und an seiner Kleidung, doch er ist es nicht, der jetzt spricht.
»Eindeutig die gleiche Vorgehensweise, Sarge.« Das ist die Stimme einer Frau, vernünftig und ruhig. »Allerdings sind die Verletzungen dieses Mal wesentlicher schlimmer. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass es sich wieder um Randall Gyre handelt.«
Das stimmt, denkt Lizzie. Er hat es mir selbst gesagt.
Sie betrat das Pub kurz nach neun, immer noch zitternd nach einem weiteren Streit mit ihrer Mutter, und sah sich nach ihrem Vater um. Das Eagle and Dumpling in Cowes war seine Stammkneipe. Hierher flüchtete er sich, um den häuslichen Auseinandersetzungen zu entgehen. Aber heute Abend war er nicht hier.
Lizzie blieb an der Türschwelle stehen und sah sich in der Hoffnung um, ihn doch noch zu entdecken.
Ein großer, gut aussehender junger Mann an der Bar sah zu ihr hinüber und hob sein Glas. Lizzie lächelte und beobachtete, wie sich seine Miene entspannte und er sie so freundlich willkommen hieß, dass sie beinahe all die Ausdrücke vergaß, die ihre Mutter ihr soeben lautstark an den Kopf geworfen hatte. Er richtete sich auf und schlenderte zu ihr herüber.
»Hi, ich bin Randall Gyre. Darf ich dich auf einen Drink einladen?«
»Danke. Ich bin Lizzie - Lizzie Fane. Ein Wodka Tonic wäre super.«
»Kommt sofort.«
Als einer der Ärzte ihr noch eine Nadel in den Arm sticht, schüttelt ein weiterer Schmerz ihren Körper, anders und noch beängstigender. Ihre Körperteile scheinen so lose aneinandergefügt zu sein, als könnten sie jederzeit in den Händen des Arztes auseinanderfallen, so wie die matschigen Hähnchenkeulen, die sie einmal zu lange im Kühlschrank hat liegen lassen.
Lizzie fühlt sich am ganzen Körper zerschrammt und brüchig. Alles, was sie zusammengehalten hat, ist zerrissen und zerfetzt, ebenso wie ihre Verbindung zu der Zeit davor.
Sie weiß nicht einmal, wann das war. Immer, wenn sie zu sich kommt, hat sie keine Ahnung, ob es sich um denselben Tag handelt, oder um morgen oder sogar um gestern.
Aus dem Quietschen und Rattern der Wägelchen schließt sie jedoch, dass sie sich immer noch im Krankenhaus befindet. Und auch aus den Gerüchen : Desinfektionsmittel und Alkohol. Aber das ist reiner, medizinischer Alkohol, nicht das süßliche Zeug, das Randall ihr gekauft hat. Das Zeug, das sich in ihrem Mund festsetzte, ihre Kehle hinunterglitt und ihr Gespür für Gefahr einlullte.
Ihr Kummer war verfl ogen, und sie zitterte nicht mehr. Sogar die Enttäuschung darüber, ihren Dad nicht gefunden zu haben, war leichter zu ertragen. Sie hatte das Gefühl, als würde ihr gesamter Körper Randall anlächeln. Die harten Bänke des Pubs waren plötzlich herrlich bequem. Seine lachende Stimme war wie dunkelblaue Seide, sanft, aber bestimmt, schön und sehr stark.
»Du bist fantastisch, Lizzie. Warum haben wir uns bisher noch nie getroffen? Wenn du auf der Insel lebst, dann muss dich jemand vor mir versteckt haben. Ich verbringe schon seit eh und je meine Ferien hier. Das ist nicht fair - ich hätte dich im Sand spielen sehen können, mit dir Fußball spielen, mich wegen deiner Puppen lustig machen und zusehen können, wie du immer schöner wirst und die Welt eroberst. Jetzt bist du hier, bereits erwachsen, und ich habe die Hälfte meines Lebens ohne dich vergeudet.«
»Ich hätte dich nicht gemocht, wenn du meinen Puppen wehgetan hättest.« Sie lächelte ihn an. »Ich habe sie mehr geliebt als irgendeinen lebendigen Menschen. Es ist viel besser, dass wir uns erst als Erwachsene kennengelernt haben. Möchtest du noch ein Bier?«
»Später. Warum gehen wir nicht ein wenig nach draußen? Irgendwohin, wo wir ungestört sind. Hier sind zu viele Leute, Lizzie. «
Draußen legte er ihr seinen Arm um die Schultern und zog sie näher an sich heran, sodass er sie küssen konnte. Es gefiel ihr, und sie mochte sein Rasierwasser - zitronig, mit einer pfefferigen Note.
»Oh, du bist umwerfend! Komm her. «
Sie würgt, als ihr der Geruch in die Nase steigt und ihr die Kehle zuschnürt. Ihre Lungen brennen, ihr wird schwindlig, und das Bett scheint sich zu drehen. Jemand zupft wieder an ihren Infusionsschläuchen. Ein schweres Gewicht drückt ihren Hals nach unten. Sie öffnet die Augen, sieht Randalls Gesicht vor sich und schreit. Aber sie bringt keinen Ton hervor.
Sekunden später, oder Stunden oder Tage, nähern sich rasche Schritte.
Stimmen dringen durch den heißen, stinkenden Nebel an ihr Ohr. Eine ist weiblich und bestimmt, die andere männlich und jung, aber nicht bedrohlich, da in ihr Sorge schwingt, sie nicht laut ist oder aalglatt vor falschem Charme.
»Ihre Temperatur dürfte nicht so hoch sein. Ich verstehe das nicht. Die Wunden sind alle gesäubert und genäht worden. Sie heilen, sogar die inneren. Die Infektion ist seit Tagen unter Kontrolle. Sie dürfte kein Fieber mehr haben.«
»Aber ... «
»Eis«, befiehlt der Mann. Seine Stimme klingt jetzt so hoch, dass sie beinahe einem Schrei gleicht. »Holen Sie Eisbeutel, Schwester. Nein, zuerst einen Ventilator. Ja, so ist es richtig. Wir fangen mit einem Ventilator an. Beeilen Sie sich. Worauf warten Sie noch? Los! Tun Sie, was ich Ihnen sage!«
»Holen Sie die Fachärztin.« Die Stimme klingt ruhig und fest, und für Lizzie ist sie so beruhigend, als würde jemand ihre Hand halten. »Damit werden Sie nicht allein fertig.«
»Ich schaffe das schon. Wir werden ihre Temperatur senken, und Dr. Franklin kann sie sich dann morgen früh anschauen. Holen Sie einen Ventilator.«
»Das reicht nicht. Sie hat eine Blutvergiftung.« Die Stimme der Krankenschwester klingt immer noch respektvoll, aber nur noch mühsam beherrscht.
Lizzie spürt, wie die Bettdecke am Fußende angehoben wird. Dann hört sie wieder die Stimme der Krankenschwester, dieses Mal energischer.
»Schauen Sie. Ihre Füße sind ebenso bleich wie ihre Hände. Blutvergiftung.«
Das Laken wird wieder festgesteckt - zu fest, sodass Lizzies Zehen nach unten gebogen werden.
»Das kann nicht sein. Sie bekommt seit fünf Tagen intravenös Antibiotika.«
»Sehen Sie sich den Tropf an, Doktor.« Jetzt schwingt auch in der Stimme der Schwester Panik. »Jemand hat die Infusion abgestellt.«
Sie zupfen wieder an ihr. Lizzie schreit in Gedanken: Nein, nein, nein, nein, nein !
Sie kämpfte, trat und schlug um sich und biss. Aber Randall war so stark, dass sie ihn nicht abschütteln konnte. Je mehr sie sich wehrte, umso heftiger stach er auf sie ein. Das Blut der ersten Schnitte war bereits klebrig, als frisches nachfloss.
Am Ende war seine Stimme so kalt und hart wie das zerbrochene Glas. »Wenn du jemals darüber sprichst, wenn du jemals jemandem verrätst, wer ich bin, dann werde ich dich finden und töten. Wo immer du auch bist, ich werde dich finden. Und ich werde dich töten. Vergiss das nie. «
Dann durchfuhr sie ein besonders scharfer Schmerz, der durch ihre Vagina nach oben ganz tief in ihren Körper schoss.
»Es liegt nicht nur an der Infusion. Da steckt noch etwas drin«, meinte die Krankenschwester. »Sie müssen noch einmal eine innere Untersuchung vornehmen, Doktor.«
Es riecht nach den gepuderten Gummihandschuhen, und sie hört, wie sie gegen seine Finger schnalzen. Lizzie weiß, was jetzt kommt. Das Laken wird wieder weggezogen, und dieses Mal zerrt es an ihrem großen Zeh, der sich an einem Riss im Stoff verfängt. Seine Hände schieben ihre angespannten Knie auseinander.
In ihrem Kopf werden Schreie laut. Die Kälte des Stahlspekulums an ihrer wunden, vernähten Haut warnt sie, kurz bevor die Schmerzen wieder einsetzen.
Sie muss sie aus ihren Gedanken verbannen. Sie kann sie nicht aufhalten, ebenso wenig, wie sie ihn aufhalten konnte.
»Glas«, sagt der Arzt. »Gütiger Himmel! Da ist noch eine Glasscherbe, direkt am Gebärmutterhals.«
»Rufen Sie Dr. Franklin.«
»Das kann ich nicht.« Jetzt klingt der Arzt noch ängstlicher.
»Sie kann es nicht leiden, wenn ich sie aufwecke. Sie ist der Meinung, dass ich allein zurechtkommen sollte und dass ich mich oft wegen Nichtigkeiten aufrege.«
»Dieses Mal nicht«, erwidert die Schwester grimmig. »Sie muss kommen. Holen Sie sie. Sofort. Ich werde die Eltern verständigen. Sie sollten auch hier sein.«
Viel später hört Lizzie die Stimme ihrer Mutter, drängend und wütend. Die Ärztin erklärt ihr, warum sie auf die Intensivstation gebracht wird. Das Bett schaukelt, als es von der Wand weggeschoben wird. Lizzie ist übel ; sie hält die Augen fest geschlossen.
Die Veränderung der Lufttemperatur verrät ihr, dass sie sich von der Station entfernt haben. Das Bett steht wieder still. Niemand spricht. Sie hebt ihre schweren Augenlider und sieht einen Pfl eger, der über ihren Kopf hinwegblickt und wartet. Als sie zur Seite schaut, sieht sie ihre Mutter ; sie weint und lehnt sich an einen großen Mann in einem weißen Kittel. Ist das der Arzt, der in Panik geraten ist ? Lizzie öffnet ihre Augen noch weiter. An seinem Aufschlag befi ndet sich kein Namensschild. Sie lässt ihren Blick nach oben gleiten, damit sie sein Gesicht sehen kann. Der Schrei in ihrer Kehle erstickt sie beinahe, aber sie bringt keinen Ton hervor.
Randall bemerkt, dass sie ihn erkannt hat. Seine Augen glitzern. Er verzieht die Lippen zu einem Lächeln, das pure, triumphierende Befriedigung verrät.
»Du stirbst, Lizzie. Du hättest nicht reden sollen.«
Übersetzung: Ulrike Laszlo
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2011 by
Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
... weniger
Bibliographische Angaben
- Autor: Natasha Cooper
- 2011, 1, 382 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3868007849
- ISBN-13: 9783868007848
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