Nur dein Leben
Psychothriller
Ein cleverer page-turner! The Times
Sie haben nur einen Wunsch: Sie wollen ein gesundes Kind. Doch dann fordern sie das Schicksal heraus .
Der vierjährige Sohn von Naomi und John Klaesson ist tot. Er starb an einer seltenen Genkrankheit. Die letzte...
Sie haben nur einen Wunsch: Sie wollen ein gesundes Kind. Doch dann fordern sie das Schicksal heraus .
Der vierjährige Sohn von Naomi und John Klaesson ist tot. Er starb an einer seltenen Genkrankheit. Die letzte...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Nur dein Leben “
Ein cleverer page-turner! The Times
Sie haben nur einen Wunsch: Sie wollen ein gesundes Kind. Doch dann fordern sie das Schicksal heraus .
Der vierjährige Sohn von Naomi und John Klaesson ist tot. Er starb an einer seltenen Genkrankheit. Die letzte Hoffnung der verzweifelten Eltern ist Dr. Leo Dettore. Er soll eine Kapazität auf dem Gebiet der Genforschung sein. Und ihnen zu einem gesunden Kind verhelfen. Einem Kind mit besonderen Fähigkeiten.
Doch als Naomi schwanger wird, ist nichts mehr so, wie es einmal war. Und Leo Dettore ist verschwunden. Ein wahrer Alptraum beginnt.
Sie haben nur einen Wunsch: Sie wollen ein gesundes Kind. Doch dann fordern sie das Schicksal heraus .
Der vierjährige Sohn von Naomi und John Klaesson ist tot. Er starb an einer seltenen Genkrankheit. Die letzte Hoffnung der verzweifelten Eltern ist Dr. Leo Dettore. Er soll eine Kapazität auf dem Gebiet der Genforschung sein. Und ihnen zu einem gesunden Kind verhelfen. Einem Kind mit besonderen Fähigkeiten.
Doch als Naomi schwanger wird, ist nichts mehr so, wie es einmal war. Und Leo Dettore ist verschwunden. Ein wahrer Alptraum beginnt.
Klappentext zu „Nur dein Leben “
Ein cleverer page-turner! The TimesSie haben nur einen Wunsch: Sie wollen ein gesundes Kind. Doch dann fordern sie das Schicksal heraus .
Der vierjährige Sohn von Naomi und John Klaesson ist tot. Er starb an einer seltenen Genkrankheit. Die letzte Hoffnung der verzweifelten Eltern ist Dr. Leo Dettore. Er soll eine Kapazität auf dem Gebiet der Genforschung sein. Und ihnen zu einem gesunden Kind verhelfen. Einem Kind mit besonderen Fähigkeiten.
Doch als Naomi schwanger wird, ist nichts mehr so, wie es einmal war. Und Leo Dettore ist verschwunden. Ein wahrer Alptraum beginnt.
Lese-Probe zu „Nur dein Leben “
Nur dein Leben von James Peter 1
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An einem späten Aprilnachmittag steht dreißig Seemeilen östlich von Cape Cod ein junges Ehepaar mit besorgten Gesichtern neben seinem Gepäck auf dem Hubschrauberlandedeck eines umgebauten Kreuzfahrtschiffs und umklammert im heftigen Wind die Reling.
Beide wissen, dass es für Reue zu spät ist.
Die Serendipity Rose ist vierzig Jahre alt und eine dicke Farbschicht bedeckt ihre Beulen, Risse und Nieten wie Make-up das Gesicht einer alten Nutte. Vom Heck flattert aus praktischen Gründen eine panamaische Flagge, und der gelbe Schornstein stößt eine Rauchfahne aus, die innerhalb von Sekunden vom Wind zerfetzt wird, während die Rose durch den aufkommenden Seegang pflügt. Sie macht gerade so viel Fahrt, dass die Stabilisatoren funktionieren. Ohne Eile, ohne festes Ziel kreuzt sie gemächlich außerhalb der Zwölf-Seemeilen-Zone, jenseits der Hoheitsgewässer der Vereinigten Staaten und damit außerhalb der Reichweite ihrer Gesetze.
John Klaesson trägt eine fleecegefütterte Jacke, Chinos und Ledersegelschuhe. Er ist Mitte dreißig, und man würde ihn eher für einen robusten Bergsteiger oder Forschungsreisenden als einen Wissenschaftler halten. Er ist einen Meter achtzig groß, schlank und durchtrainiert, hat kurze blonde Haare und freundliche blaue Augen hinter kleinen ovalen Brillengläsern. Sein Gesicht ist attraktiv und ernst, mit resoluten nordischen Zügen und einer leichten kalifornischen Bräune.
Seine Frau Naomi, die sich darauf konzentriert, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, wird von einem langen Kamelhaarmantel gewärmt. Ihr Haar ist mittellang und modisch durchgestuft. Wirre Strähnen wehen ihr in das hübsche Gesicht und betonen ihren etwas jungenhaften Typ, obwohl ihr Teint gerade wesentlich blasser wirkt als normalerweise.
Einige Meter über ihnen schwebt der Hubschrauber, der sie soeben abgesetzt hat. Er bläst fettige Abgase in die wirbelnde Luft und schleppt seinen Schatten über den Schiffsaufbau wie einen großen, leeren Sack. Und genauso fühlt sich John gerade: als sei er aus einem Sack gekippt worden. Er hält den Kopf gesenkt, um sich vor dem Lärm und den Luftwirbeln zu schützen, streckt den Arm aus und stützt seine Frau. Unter dem weichen Kamelhaarmantel umfängt er ihre schmale Gestalt. Er fühlt sich ihr verbunden und verzweifelt nahe, erfüllt von Beschützerinstinkt.
Und Verantwortungsgefühl.
Der Wind bläst so stark, dass er in kurzen Zügen nach Luft schnappen muss. Durch das Salz beschlägt seine Brille und die Gischt trocknet seine vor Nervosität raue Kehle noch weiter aus. Strähnen von Naomis Haaren geißeln sein Gesicht wie schneidende Peitschenstränge. Das Deck unter ihm senkt sich und hebt sich gleich darauf wieder, drückt seine Füße empor wie ein Aufzug, drängt seinen Magen gegen seinen Brustkorb.
Zu dem Dröhnen des Rotors über seinem Kopf gesellt sich jetzt ein Schlurfgeräusch. Es war Johns erster Hubschrauberflug, und nachdem er eine Stunde lang in einem atlantischen Tiefdruckgebiet durchgeschüttelt und -geschaukelt worden ist, hat er keine große Lust, diese Erfahrung zu wiederholen. Ihm ist ein wenig übel und schwindelig wie nach einer wilden Achterbahnfahrt, bei der das Gehirn zur einen und die inneren Organe zur anderen Seite geschleudert wurden. Die Abgase machen es auch nicht besser, geschweige denn der stechende Geruch von Farbe und Bootslack oder das vibrierende Deck unter seinen Füßen.
Naomi legt den Arm um seine Taille und drückt ihn, so dass er es trotz seiner dick gefütterten Lederjacke deutlich spürt. Er kann sich ziemlich genau vorstellen, was ihr durch den Kopf geht. Es muss fast zwangsläufig dasselbe sein, was er denkt. Dieses unbehagliche Gefühl von Endgültigkeit. Bisher ist alles nur eine Idee gewesen, ein Gedankenspiel, das sie jederzeit unterbrechen konnten. Doch das ist jetzt vorbei. Als er sie ansieht, denkt er: Ich liebe dich so sehr, Naomi. Du bist so mutig! Manchmal glaube ich, du bist viel mutiger als ich.
Der Hubschrauber stellt sich schräg, das Dröhnen des Motors schwillt an, der Scheinwerfer auf der Unterseite blinkt, dann schwenkt die Maschine in einem spitzen Winkel ab, flappt über das Wasser, steigt hoch auf und lässt sie zurück. Einige Augenblicke lang sieht John ihr nach; dann senkt er den Blick auf die gischtbrodelnde graue See, die sich weit bis zum diesigen Horizont erstreckt.
»Alles okay? Bitte folgen Sie mir.«
Vor ihnen steht der höfliche, sehr ernst dreinblickende Philippino in weißem Overall, der herausgekommen ist, um sie willkommen zu heißen und ihnen das Gepäck abzunehmen. Er hält eine Tür auf.
Sie überschreiten die Schwelle zur Kajüttreppe und folgen ihm. Hinter ihnen schlägt der Wind mit lautem Knall die Tür wieder zu. In der plötzlichen Stille sehen sie eine eingerahmte Seekarte an der Wand, spüren die Wärme und riechen die Farbe und den Bootslack noch deutlicher als draußen. Der Boden unter ihnen dröhnt. Naomi drückt Johns Hand. Schiffsreisen liegen ihr nicht, so ist es schon immer gewesen - ihr wird schon auf einem Teich in einem Ruderboot schlecht -, und jetzt kann sie nicht einmal etwas gegen ihre Seekrankheit einnehmen. Keine Tabletten, keine Arznei - sie wird allein damit zurechtkommen müssen. John erwidert den Druck ihrer Hand, um sie zu trösten. Und auch sich selbst.
Tun wir das Richtige?
Diese Frage hat er sich tausendmal gestellt und wird noch viele Jahre lang damit hadern. Doch ihm bleibt nichts anderes übrig, als Naomi und sich selbst zu versichern, dass dies wirklich das Richtige ist. Das ist es. Nichts anderes. Das Richtige.
Ja, das tun wir.
2
In der Werbebroschüre für diese schwimmende Klinik war die Kabine, die für den kommenden Monat die ihre sein sollte, als Luxusunterkunft gepriesen worden. Die Einrichtung bestand aus einem Kingsize-Bett, einem winzigen Sofa, zwei ebenso kleinen Sesseln und
einem runden Tisch, auf dem eine Obstschale stand. Hoch oben in einer Ecke liefen auf einem Fernseher mit schlechtem Empfang die CNN-Nachrichten. Präsident Obama hielt eine Rede, die man durch die atmosphärischen Störungen nur zur Hälfte verstehen konnte.
Das marmorverkleidete Badezimmer bot trotz seiner Enge tatsächlich gehobenen Komfort - jedenfalls hätte es das getan, so dachte Naomi, wenn es nicht so geschaukelt hätte und sie darin hätte stehen können, ohne sich an irgendetwas festhalten zu müssen. Sie kniete sich hin, um den Inhalt von Johns Reisenecessaire aufzusammeln, der auf dem Boden umherrollte. Dann stand sie rasch auf, weil eine schwindelerregende Welle der Übelkeit sie überfiel.
»Brauchst du Hilfe?«, fragte John.
Sie schüttelte den Kopf. Dann brachte sie die nächste große Woge aus dem Gleichgewicht. Sie stolperte in die Kabine und ließ sich schwer auf das Bett fallen, ganz knapp neben Johns Computer. »Ich habe das Gefühl, mir bleiben nur noch etwa vier Minuten zum Auspacken, bis ich schrecklich seekrank werde.«
»Mir ist auch ein bisschen übel«, gestand John, der gerade einen Blick auf die Sicherheitsvorschriften warf. Sie zeigten die Sammelpunkte und eine Anleitung zum Anlegen einer Rettungsweste.
»Warum nimmst du keine Reisetablette?«, fragte sie. »Du darfst es doch.«
»Wenn du keine nehmen darfst, will ich auch keine. Ich leide mit dir.«
»Märtyrer!« Sie beugte sich nach vorn und küsste ihn auf die Wange, getröstet von seiner warmen, rauen Haut und seinem betörenden, leicht nach Moschus duftenden Eau de Toilette, ja, schon allein von der seelischen und körperlichen Stärke, die er ausstrahlte. Bereits als junges Mädchen im Kino hatte sie sich stets zu den starken, unauffällig intelligenten Helden der Leinwand hingezogen gefühlt - die Art von Vater, den sie gerne gehabt hätte. Als sie John vor acht Jahren zum ersten Mal erblickt hatte, in einer Schlange vor einem Skilift in Jackson Hole, Wyoming, hatte sie in ihm genau diese begehrenswerte Kombination von gutem Aussehen und innerer Stärke erkannt.
Sie küsste ihn noch einmal. »Ich liebe dich, John.«
Als er ihr in die Augen sah, die manchmal grün, manchmal braun funkelten, lebendig und von tiefem Vertrauen erfüllt, empfand er großes Mitgefühl mit ihr. »Und ich bete dich an, Naomi. Ich bete dich an und bewundere dich.«
Sie lächelte wehmütig. »Ich bewundere dich auch. Du ahnst nicht, wie sehr.«
Für einige Augenblicke herrschte ein behagliches Schweigen zwischen ihnen. Nach Halleys Tod hatte es lange Zeit gedauert, bis zwischen ihnen wieder alles in Ordnung war, und in diesen ersten beiden sehr schlimmen Jahren hatte Naomi mehr als einmal befürchtet, ihre Ehe sei zerrüttet.
Er war ein kräftiges Kind gewesen. Sie hatten ihn nach dem Kometen benannt, weil John sagte, er sei etwas Besonderes und Kinder wie er würden höchstens alle fünfundsiebzig Jahre einmal geboren - vielleicht sogar noch seltener. Sie hatten beide nicht gewusst, dass er eine tickende Zeitbombe in sich trug.
Naomi bewahrte noch immer sein Foto in ihrer Handtasche auf. Es zeigte einen drei Jahre alten Jungen in Latzhosen, mit weichen blonden Haaren, die so zerstrubbelt waren, als sei er gerade aus einem Trockner gekrabbelt. Schelmisch grinste er in die Kamera und man sah, dass zwei Vorderzähne fehlten - er hatte sie sich ausgeschlagen, als er von einer Schaukel gefallen war.
Noch lange nach Halleys Tod wollte - oder konnte - John nicht trauern oder darüber reden und hatte sich stattdessen in seine Arbeit, sein Schachspiel und seine Fotografie vergraben. Stundenlang war er bei jedem Wetter mit seiner Kamera losgezogen und hatte alles fotografiert, was ihm vor die Linse kam, ziellos und wie besessen.
Naomi hatte versucht, wieder ins Arbeitsleben einzusteigen. Über einen Freund in Los Angeles hatte sie eine gute Stelle in einer PR-Agentur erhalten, aber schon nach ein paar Wochen wieder gekündigt, weil sie sich einfach nicht konzentrieren konnte. Ohne Halley erschien ihr alles andere hohl und sinnlos.
Schließlich hatten sie beide eine Therapie begonnen und erst vor wenigen Monaten beendet.
John fragte: »Wie geht es dir, jetzt, wo wir ...«
»Hier sind?«
»Ja. Jetzt, wo wir tatsächlich hier sind.«
Ein Tablett auf der Kommode, auf dem eine Flasche Mineralwasser und zwei Gläser standen, rutschte einige Zentimeter über die Oberfläche.
»Alles rückt plötzlich so nah. Ich bin furchtbar nervös. Und du?«
Sanft streichelte er ihre Haare. »Liebling, wenn du an irgendeinem Punkt nicht mehr weitermachen willst ...«
Sie hatten einen astronomisch hohen Kredit aufgenommen, um diese Unternehmung zu finanzieren, und sich zusätzlich hundertfünfzigtausend Dollar borgen müssen. Naomis Mutter und ihre Schwester Harriet in England hatten darauf bestanden, ihnen die Summe zu leihen. Das Geld, insgesamt vierhunderttausend Dollar, war bereits überwiesen worden und nicht rückzahlbar.
»Wir haben unsere Entscheidung getroffen«, sagte Naomi. »Wir müssen weitermachen. Wir müssen aber nicht ...«
Sie wurden von einem Klopfen an der Tür unterbrochen, und eine Stimme sagte: »Zimmerservice!«
Die Tür ging auf und ein zierliches, sympathisch aussehendes philippinisches Zimmermädchen in einem weißen Overall und Turnschuhen lächelte sie an. »Willkommen an Bord, Dr. und Mrs. Klaesson. Ich bin Leah, Ihre Kabinenstewardess auf dieser Reise. Kann ich irgendetwas für Sie tun?«
»Uns ist beiden ziemlich übel«, sagte John. »Gibt es irgendetwas, was meine Frau nehmen darf?«
»Ja, natürlich - ich besorge Ihnen sofort etwas.«
»Ach, wirklich?«, fragte er überrascht. »Ich dachte, sie dürfe keine Medikamente ...«
Das Zimmermädchen schloss die Tür und kehrte weniger als eine Minute später mit zwei Paar Armbändern und zwei winzigen Klebepunkten zurück. Sie zog die Ärmel hoch und zeigte ihnen erst, dass sie ähnliche Bänder trug, dann den Klebepunkt hinter dem Ohr. »Tragen Sie diese, und Ihnen wird nicht schlecht«, sagte sie und erklärte ihnen die richtige Anwendung.
Naomi war sich nicht sicher, ob es vielleicht nur ein Placebo-Effekt war, aber schon wenige Minuten, nachdem das Zimmermädchen gegangen war, fühlte sie sich ein wenig besser. Jedenfalls gut genug, um mit dem Auspacken fortzufahren. Sie stand auf und starrte eine Weile lang aus einem der beiden Zwillingsbullaugen auf den dunkler werdenden Ozean. Dann drehte sie sich weg, weil ihre Übelkeit beim Anblick der Wellen sofort zurückkehrte.
John wandte sich wieder seinem Laptop zu. Wenn sie zusammen verreisten, galt die Regel: Naomi packte aus und John blieb ihr aus den Füßen. Er war der schlechteste Kofferpacker der Welt und ein noch schlechterer Auspacker. Mit wachsender Verzweiflung starrte Naomi auf den Inhalt seines Koffers, der nach seiner Suche nach einem Adapter überall verstreut war. Einige seiner Kleider lagen auf der Tagesdecke, andere hatte er über einen Stuhl geworfen, wieder andere lagen auf dem Boden. John fixierte seinen Bildschirm und war sich des Chaos gar nicht bewusst, das er angerichtet hatte.
Naomi grinste, hob einen Knäuel Krawatten auf und schüttelte den Kopf. Zwecklos, sich aufzuregen.
John fummelte an seinen neuen Armbändern herum und berührte den Klebepunkt hinter seinem Ohr. Bisher hatte sich seine Übelkeit noch nicht merklich gebessert. Er versuchte, das Stampfen des Schiffes zu ignorieren und konzentrierte sich auf seine Schachpartie mit einem Mann namens Gus Santiago, den er in einem Schach-Chatroom getroffen hatte und der im australischen Brisbane lebte.
Schon seit ein paar Jahren spielte er mit diesem Mann, doch sie waren sich außerhalb des Cyberspaces nie begegnet und John wusste nicht einmal, wie sein Gegner aussah. Der Aussie war ein hervorragender Spieler, doch in letzter Zeit benötigte er für seine Züge immer mehr Zeit und zögerte hoffnungslose Positionen hinaus, aus denen es kein Entkommen mehr gab, einfach aus reiner Sturheit. John wurde langsam langweilig, und er dachte darüber nach, sich einen anderen Gegner zu suchen. Jetzt hatte der Mann schon wieder einen vollkommen sinnlosen Zug gemacht.
»Rutsch mir den Buckel runter, Mr. Santiago!«
Santiago stand kurz vor dem Schachmatt - er lag eine Königin, beide Läufer und einen Turm im Rückstand, er hatte keine Chance -, also warum gab er sich nicht einfach geschlagen und basta? John unterbreitete ihm in einer E-Mail diesen Vorschlag und stöpselte sein Handy in den Computer ein, um sie zu senden, doch er fand kein Netz.
Er erkannte, dass sie zu weit draußen auf See waren. Zwar stand neben dem Bett ein Telefon mit Satellitenverbindung zum Festland, aber die Gebühr von neun Dollar pro Minute, wie der Informationsaufkleber angab, war ihm zu hoch. Er würde Gus Santiago ein wenig auf die Folter spannen müssen.
John schloss seine Schachdatei und öffnete sein E-Mail-Postfach, um die Dutzenden Nachrichten zu bearbeiteten, die er heute Morgen heruntergeladen hatte, aber noch nicht hatte lesen können. Eine leichte Panik beschlich ihn bei der Frage, wie er E-Mails senden und empfangen sollte, wenn sie für den kommenden Monat keinen Empfang hatten. An der Universität von Südkalifornien, an der er sein Forschungslabor leitete, erhielt er durchschnittlich hundertfünfzig E-Mails pro Tag. Heute waren es sogar eher an die zweihundert gewesen.
»Wie interessant, Schatz! Kannst du dich daran erinnern, das hier gelesen zu haben?«
John blickte auf und sah, dass sie die Broschüre aufgeschlagen hatte.
»Es gibt nur zwanzig Privatkabinen für die Klienten. Ein netter Euphemismus. Gut zu wissen, dass wir als Klienten und nicht als Patienten betrachtet werden.« Sie las weiter.
»Früher transportierte das Schiff fünfhundert Passagiere, jetzt sind die beiden Hauptdecks, auf denen sich die Kabinen befanden, vollständig mit Computern belegt. Sie haben fünfhundert Supercomputer an Bord! Das ist ja unglaublich! Wozu brauchen sie so viel Rechenkapazität? «
»Die Genetik erfordert die Verarbeitung großer Datenmengen. Das ist ein Grund, warum wir so viel Geld bezahlen mussten. Lass mich mal sehen.«
Sie reichte ihm die Broschüre. Er betrachtete das Foto einer langen, schmalen Reihe von blauen Computergehäusen und einem weißgekleideten Techniker, der etwas auf einem Monitor kontrollierte. Dann blätterte er zum Anfang der Broschüre und starrte auf das Foto, das er sofort wiedererkannte: von der Website des Forschers, den Interviews mit ihm im Fernsehen und den zahlreichen Bildern, die sowohl in der wissenschaftlichen als auch der Tagespresse erschienen waren. Dann las er die Biographie des Forschers, obwohl er sie größtenteils schon kannte.
Dr. Leo Dettore war ein Wunderkind gewesen. Nachdem er mit sechzehn sein Biologiestudium am MIT mit Magna cum laude abgeschlossen hatte, machte er seinen Doktor in Philosophie und Medizin an der Stanfort University, gefolgt von biotechnologischen Postdoc- Forschungen an der USC und anschließend am Pasteur-Institut in Frankreich, bevor er die Modifikation eines entscheidenden Enzyms entdeckte und patentieren ließ, das die Vervielfältigung von Genen unter Laborbedingungen erlaubte. Seine Entdeckung machte ihn zum Milliardär und zum Empfänger des hochdotierten Geniepreises der MacArthur Stiftung. Sogar den Nobelpreis wollte man ihm verleihen, doch er nahm ihn nicht an. Er beleidigte die wissenschaftliche Gemeinschaft, indem er behauptete, alle Preise seien von der Politik beschmutzt.
Der Wundergenetiker hatte das medizinische Establishment umso mehr schockiert, als er zu den Ersten gehörte, die sich menschliche Gene patentieren ließen und er aktiv die Gesetzgebung bekämpfte, die daraufhin Patente auf menschliches Erbgut untersagt hatte.
Leo Dettore gehörte augenblicklich zu den reichsten Wissenschaftlern der Welt und vermutlich auch zu den umstrittensten. Er wurde von religiösen Führern in den ganzen USA und zahlreichen anderen Ländern angeprangert und hatte in den Vereinigten Staaten die Approbation als Arzt verloren, weil er öffentlich zugegeben hatte, genetische Experimente an Embryonen durchgeführt zu haben, die anschließend ausgetragen wurden. Dennoch stand er unerschütterlich zu seinen Überzeugungen.
Und jetzt klopfte er an ihre Kabinentür.
An einem späten Aprilnachmittag steht dreißig Seemeilen östlich von Cape Cod ein junges Ehepaar mit besorgten Gesichtern neben seinem Gepäck auf dem Hubschrauberlandedeck eines umgebauten Kreuzfahrtschiffs und umklammert im heftigen Wind die Reling.
Beide wissen, dass es für Reue zu spät ist.
Die Serendipity Rose ist vierzig Jahre alt und eine dicke Farbschicht bedeckt ihre Beulen, Risse und Nieten wie Make-up das Gesicht einer alten Nutte. Vom Heck flattert aus praktischen Gründen eine panamaische Flagge, und der gelbe Schornstein stößt eine Rauchfahne aus, die innerhalb von Sekunden vom Wind zerfetzt wird, während die Rose durch den aufkommenden Seegang pflügt. Sie macht gerade so viel Fahrt, dass die Stabilisatoren funktionieren. Ohne Eile, ohne festes Ziel kreuzt sie gemächlich außerhalb der Zwölf-Seemeilen-Zone, jenseits der Hoheitsgewässer der Vereinigten Staaten und damit außerhalb der Reichweite ihrer Gesetze.
John Klaesson trägt eine fleecegefütterte Jacke, Chinos und Ledersegelschuhe. Er ist Mitte dreißig, und man würde ihn eher für einen robusten Bergsteiger oder Forschungsreisenden als einen Wissenschaftler halten. Er ist einen Meter achtzig groß, schlank und durchtrainiert, hat kurze blonde Haare und freundliche blaue Augen hinter kleinen ovalen Brillengläsern. Sein Gesicht ist attraktiv und ernst, mit resoluten nordischen Zügen und einer leichten kalifornischen Bräune.
Seine Frau Naomi, die sich darauf konzentriert, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, wird von einem langen Kamelhaarmantel gewärmt. Ihr Haar ist mittellang und modisch durchgestuft. Wirre Strähnen wehen ihr in das hübsche Gesicht und betonen ihren etwas jungenhaften Typ, obwohl ihr Teint gerade wesentlich blasser wirkt als normalerweise.
Einige Meter über ihnen schwebt der Hubschrauber, der sie soeben abgesetzt hat. Er bläst fettige Abgase in die wirbelnde Luft und schleppt seinen Schatten über den Schiffsaufbau wie einen großen, leeren Sack. Und genauso fühlt sich John gerade: als sei er aus einem Sack gekippt worden. Er hält den Kopf gesenkt, um sich vor dem Lärm und den Luftwirbeln zu schützen, streckt den Arm aus und stützt seine Frau. Unter dem weichen Kamelhaarmantel umfängt er ihre schmale Gestalt. Er fühlt sich ihr verbunden und verzweifelt nahe, erfüllt von Beschützerinstinkt.
Und Verantwortungsgefühl.
Der Wind bläst so stark, dass er in kurzen Zügen nach Luft schnappen muss. Durch das Salz beschlägt seine Brille und die Gischt trocknet seine vor Nervosität raue Kehle noch weiter aus. Strähnen von Naomis Haaren geißeln sein Gesicht wie schneidende Peitschenstränge. Das Deck unter ihm senkt sich und hebt sich gleich darauf wieder, drückt seine Füße empor wie ein Aufzug, drängt seinen Magen gegen seinen Brustkorb.
Zu dem Dröhnen des Rotors über seinem Kopf gesellt sich jetzt ein Schlurfgeräusch. Es war Johns erster Hubschrauberflug, und nachdem er eine Stunde lang in einem atlantischen Tiefdruckgebiet durchgeschüttelt und -geschaukelt worden ist, hat er keine große Lust, diese Erfahrung zu wiederholen. Ihm ist ein wenig übel und schwindelig wie nach einer wilden Achterbahnfahrt, bei der das Gehirn zur einen und die inneren Organe zur anderen Seite geschleudert wurden. Die Abgase machen es auch nicht besser, geschweige denn der stechende Geruch von Farbe und Bootslack oder das vibrierende Deck unter seinen Füßen.
Naomi legt den Arm um seine Taille und drückt ihn, so dass er es trotz seiner dick gefütterten Lederjacke deutlich spürt. Er kann sich ziemlich genau vorstellen, was ihr durch den Kopf geht. Es muss fast zwangsläufig dasselbe sein, was er denkt. Dieses unbehagliche Gefühl von Endgültigkeit. Bisher ist alles nur eine Idee gewesen, ein Gedankenspiel, das sie jederzeit unterbrechen konnten. Doch das ist jetzt vorbei. Als er sie ansieht, denkt er: Ich liebe dich so sehr, Naomi. Du bist so mutig! Manchmal glaube ich, du bist viel mutiger als ich.
Der Hubschrauber stellt sich schräg, das Dröhnen des Motors schwillt an, der Scheinwerfer auf der Unterseite blinkt, dann schwenkt die Maschine in einem spitzen Winkel ab, flappt über das Wasser, steigt hoch auf und lässt sie zurück. Einige Augenblicke lang sieht John ihr nach; dann senkt er den Blick auf die gischtbrodelnde graue See, die sich weit bis zum diesigen Horizont erstreckt.
»Alles okay? Bitte folgen Sie mir.«
Vor ihnen steht der höfliche, sehr ernst dreinblickende Philippino in weißem Overall, der herausgekommen ist, um sie willkommen zu heißen und ihnen das Gepäck abzunehmen. Er hält eine Tür auf.
Sie überschreiten die Schwelle zur Kajüttreppe und folgen ihm. Hinter ihnen schlägt der Wind mit lautem Knall die Tür wieder zu. In der plötzlichen Stille sehen sie eine eingerahmte Seekarte an der Wand, spüren die Wärme und riechen die Farbe und den Bootslack noch deutlicher als draußen. Der Boden unter ihnen dröhnt. Naomi drückt Johns Hand. Schiffsreisen liegen ihr nicht, so ist es schon immer gewesen - ihr wird schon auf einem Teich in einem Ruderboot schlecht -, und jetzt kann sie nicht einmal etwas gegen ihre Seekrankheit einnehmen. Keine Tabletten, keine Arznei - sie wird allein damit zurechtkommen müssen. John erwidert den Druck ihrer Hand, um sie zu trösten. Und auch sich selbst.
Tun wir das Richtige?
Diese Frage hat er sich tausendmal gestellt und wird noch viele Jahre lang damit hadern. Doch ihm bleibt nichts anderes übrig, als Naomi und sich selbst zu versichern, dass dies wirklich das Richtige ist. Das ist es. Nichts anderes. Das Richtige.
Ja, das tun wir.
2
In der Werbebroschüre für diese schwimmende Klinik war die Kabine, die für den kommenden Monat die ihre sein sollte, als Luxusunterkunft gepriesen worden. Die Einrichtung bestand aus einem Kingsize-Bett, einem winzigen Sofa, zwei ebenso kleinen Sesseln und
einem runden Tisch, auf dem eine Obstschale stand. Hoch oben in einer Ecke liefen auf einem Fernseher mit schlechtem Empfang die CNN-Nachrichten. Präsident Obama hielt eine Rede, die man durch die atmosphärischen Störungen nur zur Hälfte verstehen konnte.
Das marmorverkleidete Badezimmer bot trotz seiner Enge tatsächlich gehobenen Komfort - jedenfalls hätte es das getan, so dachte Naomi, wenn es nicht so geschaukelt hätte und sie darin hätte stehen können, ohne sich an irgendetwas festhalten zu müssen. Sie kniete sich hin, um den Inhalt von Johns Reisenecessaire aufzusammeln, der auf dem Boden umherrollte. Dann stand sie rasch auf, weil eine schwindelerregende Welle der Übelkeit sie überfiel.
»Brauchst du Hilfe?«, fragte John.
Sie schüttelte den Kopf. Dann brachte sie die nächste große Woge aus dem Gleichgewicht. Sie stolperte in die Kabine und ließ sich schwer auf das Bett fallen, ganz knapp neben Johns Computer. »Ich habe das Gefühl, mir bleiben nur noch etwa vier Minuten zum Auspacken, bis ich schrecklich seekrank werde.«
»Mir ist auch ein bisschen übel«, gestand John, der gerade einen Blick auf die Sicherheitsvorschriften warf. Sie zeigten die Sammelpunkte und eine Anleitung zum Anlegen einer Rettungsweste.
»Warum nimmst du keine Reisetablette?«, fragte sie. »Du darfst es doch.«
»Wenn du keine nehmen darfst, will ich auch keine. Ich leide mit dir.«
»Märtyrer!« Sie beugte sich nach vorn und küsste ihn auf die Wange, getröstet von seiner warmen, rauen Haut und seinem betörenden, leicht nach Moschus duftenden Eau de Toilette, ja, schon allein von der seelischen und körperlichen Stärke, die er ausstrahlte. Bereits als junges Mädchen im Kino hatte sie sich stets zu den starken, unauffällig intelligenten Helden der Leinwand hingezogen gefühlt - die Art von Vater, den sie gerne gehabt hätte. Als sie John vor acht Jahren zum ersten Mal erblickt hatte, in einer Schlange vor einem Skilift in Jackson Hole, Wyoming, hatte sie in ihm genau diese begehrenswerte Kombination von gutem Aussehen und innerer Stärke erkannt.
Sie küsste ihn noch einmal. »Ich liebe dich, John.«
Als er ihr in die Augen sah, die manchmal grün, manchmal braun funkelten, lebendig und von tiefem Vertrauen erfüllt, empfand er großes Mitgefühl mit ihr. »Und ich bete dich an, Naomi. Ich bete dich an und bewundere dich.«
Sie lächelte wehmütig. »Ich bewundere dich auch. Du ahnst nicht, wie sehr.«
Für einige Augenblicke herrschte ein behagliches Schweigen zwischen ihnen. Nach Halleys Tod hatte es lange Zeit gedauert, bis zwischen ihnen wieder alles in Ordnung war, und in diesen ersten beiden sehr schlimmen Jahren hatte Naomi mehr als einmal befürchtet, ihre Ehe sei zerrüttet.
Er war ein kräftiges Kind gewesen. Sie hatten ihn nach dem Kometen benannt, weil John sagte, er sei etwas Besonderes und Kinder wie er würden höchstens alle fünfundsiebzig Jahre einmal geboren - vielleicht sogar noch seltener. Sie hatten beide nicht gewusst, dass er eine tickende Zeitbombe in sich trug.
Naomi bewahrte noch immer sein Foto in ihrer Handtasche auf. Es zeigte einen drei Jahre alten Jungen in Latzhosen, mit weichen blonden Haaren, die so zerstrubbelt waren, als sei er gerade aus einem Trockner gekrabbelt. Schelmisch grinste er in die Kamera und man sah, dass zwei Vorderzähne fehlten - er hatte sie sich ausgeschlagen, als er von einer Schaukel gefallen war.
Noch lange nach Halleys Tod wollte - oder konnte - John nicht trauern oder darüber reden und hatte sich stattdessen in seine Arbeit, sein Schachspiel und seine Fotografie vergraben. Stundenlang war er bei jedem Wetter mit seiner Kamera losgezogen und hatte alles fotografiert, was ihm vor die Linse kam, ziellos und wie besessen.
Naomi hatte versucht, wieder ins Arbeitsleben einzusteigen. Über einen Freund in Los Angeles hatte sie eine gute Stelle in einer PR-Agentur erhalten, aber schon nach ein paar Wochen wieder gekündigt, weil sie sich einfach nicht konzentrieren konnte. Ohne Halley erschien ihr alles andere hohl und sinnlos.
Schließlich hatten sie beide eine Therapie begonnen und erst vor wenigen Monaten beendet.
John fragte: »Wie geht es dir, jetzt, wo wir ...«
»Hier sind?«
»Ja. Jetzt, wo wir tatsächlich hier sind.«
Ein Tablett auf der Kommode, auf dem eine Flasche Mineralwasser und zwei Gläser standen, rutschte einige Zentimeter über die Oberfläche.
»Alles rückt plötzlich so nah. Ich bin furchtbar nervös. Und du?«
Sanft streichelte er ihre Haare. »Liebling, wenn du an irgendeinem Punkt nicht mehr weitermachen willst ...«
Sie hatten einen astronomisch hohen Kredit aufgenommen, um diese Unternehmung zu finanzieren, und sich zusätzlich hundertfünfzigtausend Dollar borgen müssen. Naomis Mutter und ihre Schwester Harriet in England hatten darauf bestanden, ihnen die Summe zu leihen. Das Geld, insgesamt vierhunderttausend Dollar, war bereits überwiesen worden und nicht rückzahlbar.
»Wir haben unsere Entscheidung getroffen«, sagte Naomi. »Wir müssen weitermachen. Wir müssen aber nicht ...«
Sie wurden von einem Klopfen an der Tür unterbrochen, und eine Stimme sagte: »Zimmerservice!«
Die Tür ging auf und ein zierliches, sympathisch aussehendes philippinisches Zimmermädchen in einem weißen Overall und Turnschuhen lächelte sie an. »Willkommen an Bord, Dr. und Mrs. Klaesson. Ich bin Leah, Ihre Kabinenstewardess auf dieser Reise. Kann ich irgendetwas für Sie tun?«
»Uns ist beiden ziemlich übel«, sagte John. »Gibt es irgendetwas, was meine Frau nehmen darf?«
»Ja, natürlich - ich besorge Ihnen sofort etwas.«
»Ach, wirklich?«, fragte er überrascht. »Ich dachte, sie dürfe keine Medikamente ...«
Das Zimmermädchen schloss die Tür und kehrte weniger als eine Minute später mit zwei Paar Armbändern und zwei winzigen Klebepunkten zurück. Sie zog die Ärmel hoch und zeigte ihnen erst, dass sie ähnliche Bänder trug, dann den Klebepunkt hinter dem Ohr. »Tragen Sie diese, und Ihnen wird nicht schlecht«, sagte sie und erklärte ihnen die richtige Anwendung.
Naomi war sich nicht sicher, ob es vielleicht nur ein Placebo-Effekt war, aber schon wenige Minuten, nachdem das Zimmermädchen gegangen war, fühlte sie sich ein wenig besser. Jedenfalls gut genug, um mit dem Auspacken fortzufahren. Sie stand auf und starrte eine Weile lang aus einem der beiden Zwillingsbullaugen auf den dunkler werdenden Ozean. Dann drehte sie sich weg, weil ihre Übelkeit beim Anblick der Wellen sofort zurückkehrte.
John wandte sich wieder seinem Laptop zu. Wenn sie zusammen verreisten, galt die Regel: Naomi packte aus und John blieb ihr aus den Füßen. Er war der schlechteste Kofferpacker der Welt und ein noch schlechterer Auspacker. Mit wachsender Verzweiflung starrte Naomi auf den Inhalt seines Koffers, der nach seiner Suche nach einem Adapter überall verstreut war. Einige seiner Kleider lagen auf der Tagesdecke, andere hatte er über einen Stuhl geworfen, wieder andere lagen auf dem Boden. John fixierte seinen Bildschirm und war sich des Chaos gar nicht bewusst, das er angerichtet hatte.
Naomi grinste, hob einen Knäuel Krawatten auf und schüttelte den Kopf. Zwecklos, sich aufzuregen.
John fummelte an seinen neuen Armbändern herum und berührte den Klebepunkt hinter seinem Ohr. Bisher hatte sich seine Übelkeit noch nicht merklich gebessert. Er versuchte, das Stampfen des Schiffes zu ignorieren und konzentrierte sich auf seine Schachpartie mit einem Mann namens Gus Santiago, den er in einem Schach-Chatroom getroffen hatte und der im australischen Brisbane lebte.
Schon seit ein paar Jahren spielte er mit diesem Mann, doch sie waren sich außerhalb des Cyberspaces nie begegnet und John wusste nicht einmal, wie sein Gegner aussah. Der Aussie war ein hervorragender Spieler, doch in letzter Zeit benötigte er für seine Züge immer mehr Zeit und zögerte hoffnungslose Positionen hinaus, aus denen es kein Entkommen mehr gab, einfach aus reiner Sturheit. John wurde langsam langweilig, und er dachte darüber nach, sich einen anderen Gegner zu suchen. Jetzt hatte der Mann schon wieder einen vollkommen sinnlosen Zug gemacht.
»Rutsch mir den Buckel runter, Mr. Santiago!«
Santiago stand kurz vor dem Schachmatt - er lag eine Königin, beide Läufer und einen Turm im Rückstand, er hatte keine Chance -, also warum gab er sich nicht einfach geschlagen und basta? John unterbreitete ihm in einer E-Mail diesen Vorschlag und stöpselte sein Handy in den Computer ein, um sie zu senden, doch er fand kein Netz.
Er erkannte, dass sie zu weit draußen auf See waren. Zwar stand neben dem Bett ein Telefon mit Satellitenverbindung zum Festland, aber die Gebühr von neun Dollar pro Minute, wie der Informationsaufkleber angab, war ihm zu hoch. Er würde Gus Santiago ein wenig auf die Folter spannen müssen.
John schloss seine Schachdatei und öffnete sein E-Mail-Postfach, um die Dutzenden Nachrichten zu bearbeiteten, die er heute Morgen heruntergeladen hatte, aber noch nicht hatte lesen können. Eine leichte Panik beschlich ihn bei der Frage, wie er E-Mails senden und empfangen sollte, wenn sie für den kommenden Monat keinen Empfang hatten. An der Universität von Südkalifornien, an der er sein Forschungslabor leitete, erhielt er durchschnittlich hundertfünfzig E-Mails pro Tag. Heute waren es sogar eher an die zweihundert gewesen.
»Wie interessant, Schatz! Kannst du dich daran erinnern, das hier gelesen zu haben?«
John blickte auf und sah, dass sie die Broschüre aufgeschlagen hatte.
»Es gibt nur zwanzig Privatkabinen für die Klienten. Ein netter Euphemismus. Gut zu wissen, dass wir als Klienten und nicht als Patienten betrachtet werden.« Sie las weiter.
»Früher transportierte das Schiff fünfhundert Passagiere, jetzt sind die beiden Hauptdecks, auf denen sich die Kabinen befanden, vollständig mit Computern belegt. Sie haben fünfhundert Supercomputer an Bord! Das ist ja unglaublich! Wozu brauchen sie so viel Rechenkapazität? «
»Die Genetik erfordert die Verarbeitung großer Datenmengen. Das ist ein Grund, warum wir so viel Geld bezahlen mussten. Lass mich mal sehen.«
Sie reichte ihm die Broschüre. Er betrachtete das Foto einer langen, schmalen Reihe von blauen Computergehäusen und einem weißgekleideten Techniker, der etwas auf einem Monitor kontrollierte. Dann blätterte er zum Anfang der Broschüre und starrte auf das Foto, das er sofort wiedererkannte: von der Website des Forschers, den Interviews mit ihm im Fernsehen und den zahlreichen Bildern, die sowohl in der wissenschaftlichen als auch der Tagespresse erschienen waren. Dann las er die Biographie des Forschers, obwohl er sie größtenteils schon kannte.
Dr. Leo Dettore war ein Wunderkind gewesen. Nachdem er mit sechzehn sein Biologiestudium am MIT mit Magna cum laude abgeschlossen hatte, machte er seinen Doktor in Philosophie und Medizin an der Stanfort University, gefolgt von biotechnologischen Postdoc- Forschungen an der USC und anschließend am Pasteur-Institut in Frankreich, bevor er die Modifikation eines entscheidenden Enzyms entdeckte und patentieren ließ, das die Vervielfältigung von Genen unter Laborbedingungen erlaubte. Seine Entdeckung machte ihn zum Milliardär und zum Empfänger des hochdotierten Geniepreises der MacArthur Stiftung. Sogar den Nobelpreis wollte man ihm verleihen, doch er nahm ihn nicht an. Er beleidigte die wissenschaftliche Gemeinschaft, indem er behauptete, alle Preise seien von der Politik beschmutzt.
Der Wundergenetiker hatte das medizinische Establishment umso mehr schockiert, als er zu den Ersten gehörte, die sich menschliche Gene patentieren ließen und er aktiv die Gesetzgebung bekämpfte, die daraufhin Patente auf menschliches Erbgut untersagt hatte.
Leo Dettore gehörte augenblicklich zu den reichsten Wissenschaftlern der Welt und vermutlich auch zu den umstrittensten. Er wurde von religiösen Führern in den ganzen USA und zahlreichen anderen Ländern angeprangert und hatte in den Vereinigten Staaten die Approbation als Arzt verloren, weil er öffentlich zugegeben hatte, genetische Experimente an Embryonen durchgeführt zu haben, die anschließend ausgetragen wurden. Dennoch stand er unerschütterlich zu seinen Überzeugungen.
Und jetzt klopfte er an ihre Kabinentür.
... weniger
Autoren-Porträt von Peter James
Peter James, geb. 1948, ist Schriftsteller und Filmproduzent. Er hat lange Jahre in den USA gelebt und war dort als Drehbuchautor und Filmproduzent tätig. Seit seiner Rückkehr nach England widmet er sich vorrangig dem Schreiben. Seine Thriller-Serie mit Detective Superintendent Roy Grace ist mittlerweile in 33 Sprachen übersetzt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Peter James
- 2012, 448 Seiten, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Schäfer, Stefanie
- Übersetzer: Stefanie Schäfer
- Verlag: FISCHER Scherz
- ISBN-10: 3651000370
- ISBN-13: 9783651000377
- Erscheinungsdatum: 13.12.2012
Rezension zu „Nur dein Leben “
Dieser fesselnde Roman ist super-spooky und total spannend. (Closer Magazine)Peter James ist ein meisterlicher Erzähler seine Fähigkeit, beim Leser ein Gefühl für echten Horror in einer realen Welt zu erzeugen, ist unübertroffen. Hier geht es um die Kostbarkeit des Lebens, die Zufälligkeit des Überlebens und, letztlich, um Menschlichkeit. (The Mirror)
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