Ohne ein Wort
"Ich wollte, ihr wärt tot!" Das wünscht die 14-jährige Cynthia ihren Eltern. Als sie am nächsten Tag aufwacht, sind ihr Vater und ihre Mutter verschwunden. Auch ihr Bruder ist weg. Spurlos. Ohne ein Wort. Kein Hinweis, keine...
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"Ich wollte, ihr wärt tot!" Das wünscht die 14-jährige Cynthia ihren Eltern. Als sie am nächsten Tag aufwacht, sind ihr Vater und ihre Mutter verschwunden. Auch ihr Bruder ist weg. Spurlos. Ohne ein Wort. Kein Hinweis, keine Nachricht bleiben für Cynthia zurück.
Erst 25 Jahre später, als sie selbst verheiratet und Mutter einer Tochter ist, beschließt sie, nach ihrer Familie zu suchen. Plötzlich tauchen geheimnisvolle Hinweise aus ihrer Vergangenheit auf.
Mysteriös, gefährlich, tödlich.
Das wünscht die 14-jährige Cynthia ihren Eltern. Als sie am nächsten Tag aufwacht, sind ihr Vater und ihre Mutter verschwunden. Auch ihr Bruder ist weg. Spurlos. Ohne ein Wort. Kein Hinweis, keine Nachricht bleiben für Cynthia zurück. Erst 25 Jahre später, als sie selbst eine Familie hat, tauchen geheimnisvolle Hinweise aus ihrer Vergangenheit auf.
Mysteriös, gefährlich, tödlich - etwas Böses kehrt zurück.
Ohne ein Wort von Linwood Barclay
LESEPROBE
MAI 1982
AlsCynthia erwachte, war es so still im Haus wie sonst nur samstags. Ach, wenndoch nur Samstag gewesen wäre. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich sehnlichergewünscht, es sei ein schulfreier Samstag. Ihr war immer noch speiübel, ihrKopf fühlte sich an wie Beton, und es kostete sie einige Mühe, ihn überhauptvom Kissen zu heben.
Igitt, waswar denn bitte das da im Papierkorb? Sie konnte sich nicht mal daran erinnern,sich letzte Nacht übergeben zu haben, aber die verräterischen Spuren ließenkeinen anderen Schluss zu. Die Sauerei musste sie unbedingt wegmachen, ehe ihreEltern etwas bemerkten. Cynthia stieg aus dem Bett, schwankte einen Augenblick,nahm den kleinen Plastikeimer und öffnete die Zimmertür einen Spalt. Auf demFlur war niemand zu sehen. Sie schlich am Zimmer ihres Bruders und demElternschlafzimmer vorbei - beide Türen standen offen -, schlüpfte ins Bad undschloss die Tür hinter sich.
Sie leerteden Inhalt in die Toilette, wusch den Papierkorb in der Badewanne aus undmusterte sich müde im Spiegel. So also sah eine Vierzehnjährige mit Kater aus.Kein schöner Anblick. Sie erinnerte sich kaum, was Vince ihr alles zu trinkenangeboten hatte, lauter Zeug aus der Hausbar seiner Eltern. Zwei DosenBudweiser, Wodka, Gin und eine bereits angebrochene Flasche Rotwein. Sie hatteversprochen, eine Flasche Rum von zu Hause mitzubringen, hatte sich am Endeaber nicht getraut.
Irgendetwaswar merkwürdig. Sie kam nur nicht drauf, was es war. Cynthia spritzte sichkaltes Wasser ins Gesicht und trocknete sich ab. Sie holte tief Luft und nahmall ihren Mut zusammen, für den Fall, dass ihre Mutter bereits auf der anderenSeite der Badezimmertür auf sie wartete. Tat sie aber nicht.
Cynthiaeilte zurück in ihr Zimmer, dessen Wände zum Unmut ihrer Eltern mit Postern vonKISS undanderen Seelenzerstörern gepflastert waren; unter ihren nackten Füßen spürtesie den dicken Teppich. Sie warf einen Blick in Todds Zimmer, lugte insSchlafzimmer ihrer Eltern. Die Betten waren gemacht. Normalerweise kam ihreMutter erst später am Morgen dazu, sie aufzuschütteln. Todd machte sein Bettsowieso nie, und Mom ließ es ihm auch noch durchgehen, aber heute sahen dieBetten aus, als hätte überhaupt niemand in ihnen geschlafen.
Cynthiaspürte leise Panik in sich aufkommen. War es schon so spät? Wie spät war esüberhaupt? Der Wecker auf Todds Nachttisch zeigte gerade mal zehn vor acht an.Gewöhnlich verließ sie das Haus erst zwanzig Minuten später, um zur Schule zugehen. Im Haus war es totenstill.
Normalerweisekonnte sie ihre Eltern um diese Uhrzeit unten in der Küche hören. Selbst wennsie nicht miteinander sprachen, was öfter vorkam, hörte sie, wie derKühlschrank geöffnet und wieder geschlossen wurde, wie der Pfannenheber in derPfanne kratzte oder Geschirr in die Spüle gestellt wurde, während jemand -üblicherweise ihr Vater - die Seiten der Morgenzeitung umblätterte und deneinen oder anderen verwunderten Kommentar vor sich hin murmelte. Seltsam.
Ihr Blickstreifte die Matheaufgaben, die auf dem Schreibtisch lagen. Sie hatte nur dieHälfte der Aufgaben gemacht, bevor sie gestern Abend losgezogen war, und sichgedacht, den Rest könne sie ja auch morgen erledigen, wenn sie früh genugaufstand. Falsch gedacht. Sonst war Todd um diese Uhrzeit nicht zu überhören.Rein und raus aus dem Badezimmer, während Led Zeppelin aus seinen Lautsprecherndröhnte; zwischendurch rief er lautstark nach einer frischen Hose und rülpstevor Cynthias Tür herum. Er hatte kein Wort davon gesagt, dass er früher zurSchule musste, aber das hätte sie auch eher gewundert. Sie gingen nur seltenzusammen zur Schule. In seinen Augen war sie eine uncoole Neuntklässlerin, auchwenn sie ihr Bestes tat, um ihr Image aufzupolieren. Er würde ganz schönstaunen, wenn sie ihm erzählte, dass sie zum ersten Mal so richtigsturzbesoffen gewesen war. Aber vielleicht hielt sie doch besser die Klappe,sonst verpetzte er sie noch, wenn er das nächste Mal etwas ausgefressen hatte.
Okay.Möglich, dass Todd früher zur Schule gegangen war - aber wo waren ihre Eltern?Vielleicht war ihr Vater am frühen Morgen zu einer Geschäftsreise aufgebrochen.Er war immer irgendwohin unterwegs, da verlor man völlig den Überblick. AmAbend zuvor war er allerdings leider zu Hause gewesen. Und ihre Mutter? Hmm,vermutlich hatte sie Todd zur Schule gefahren.
Sie zogsich an. Jeans, Pullover. LegteMake-up auf. Genug, um nicht völlig fertig auszusehen, aber nicht so viel,dass ihre Mutter wieder mal einen ihrer »Flittchen «-Anfälle kriegen würde. Alssie die Küche betrat, blieb sie wie angewurzelt stehen.
KeineFrühstücksflocken, kein Saft, kein Kaffee in der Maschine. Keine Teller, keinBrot im Toaster, keine Tassen, weder Milch noch Rice Krispies. Die Küche sahgenauso aus wie am Abend zuvor, nachdem ihre Mutter aufgeräumt hatte. Cynthiasah sich nach einem Zettel um. Ihre Mom hinterließ immer eine Notiz, wenn siedas Haus verließ, selbst wenn sie sauer war. »Bin heute nicht da«, stand danndort, »Mach dir Rührei, muss Todd fahren«, oder einfach »Bin unterwegs, bisspäter«. Wenn sie böse auf Cynthia war, unterschrieb sie statt mit »AllesLiebe, Mom« nur mit »Mom«. Aber es war weit und breit kein Zettel zu sehen. Cynthianahm ihren Mut zusammen und rief: »Mom?« Ihre eigene Stimme klang fremd inihren Ohren. Vielleicht weil etwas darin mitklang, was sie sich nichteingestehen wollte. Als keineAntwort von ihrer Mutter kam, rief sie: »Dad?«
Wiedernichts. Sie kam zu dem Schluss, dass es sich offenbar um eine Strafe handelte,die sie sich für sie ausgedacht hatten. Sie hatte ihre Eltern enttäuscht, undjetzt taten die so, als sei sie Luft, bestraften sie auf die ganz miese Tourmit Schweigen.
Okay, esgab Schlimmeres. Immer noch besser als jetzt gleich Riesenzoff am Morgen.Außerdem stand ihr ohnehin nicht der Sinn nach Frühstück; sehrunwahrscheinlich, dass sie es bei sich behalten würde. Sie nahm ihreSchulsachen und trat aus der Haustür. Der Journal Courier, mit Gummibandzusammengerollt, lag auf der Fußmatte. Cynthia stieß die Zeitung mit dem Fußbeiseite, ohne weiter darüber nachzudenken, ging die leere Einfahrt hinunter -sowohl der Dodge ihres Vaters als auch der Ford Escort ihrer Mutter warennirgends zu sehen - und machte sich auf zur Jonathan Law Highschool. Vielleichtkonnte sie ja aus ihrem Bruder herauskriegen, was los war und was sie sonstnoch erwartete.
Jede MengeStress, dachte sie. Sie hätte um Punkt acht Uhr zu Hause sein sollen. Erstens,weil es ein ganz normaler Schultag war, und zweitens hatte am frühen Abend auchnoch Mrs Asphodel angerufen und ihre Mutter informiert, dass sie wiederholt dieEnglischhausaufgaben vergessen hatte und ihre Versetzung gefährdet war. IhrenEltern hatte sie vorgeschwindelt, sie würde zu Pam rübergehen und mit ihr zusammen Hausaufgabenmachen, obwohl das ohnehin reine Zeitverschwendung gewesen wäre, und ihreEltern hatten eingewilligt, aber darauf bestanden, dass sie um acht wieder zuHause war. Cynthia hatte gemault, das sei doch viel zu wenig Zeit, ob sie etwadurchfallen solle?
Acht Uhr,hatte ihr Vater gesagt. Acht Uhr und keine Sekunde später. Mir doch egal, hattesie gedacht. Ich komme, wann es mir passt. Als Cynthia um Viertel nach achtnoch nicht zu Hause gewesen war, hatte ihre Mutter bei Pam zu Hause angerufen.»Hi, hier ist Patricia Bigge«, hatte sie zu Pams Mutter gesagt. »Kann ich malkurz mit Cynthia sprechen? « Und als Pams Mutter überhaupt nicht wusste, wovondie Rede war, hatte Cynthias Vater den alten Filzhut aufgesetzt, ohne den ernie aus dem Haus ging, und in den umliegenden Straßen nach ihr Ausschaugehalten. Er argwöhnte nämlich, dass sie sich mit Vince Fleming herumtrieb,einem siebzehnjährigen Jungen aus der elften Klasse, der bereits einenFührerschein hatte und einen verrosteten roten Ford Mustang Baujahr 1 0 fuhr.Clayton und Patricia Bigge hielten nicht viel von ihm. Problematischer Bursche,zweifelhafte Familienverhältnisse, schlechter Einfluss. Vor einiger Zeit hatteCynthia ihre Eltern abends über Vince Vater sprechen hören, der ihrer Meinungnach irgendwie Dreck am Stecken hatte, was Cynthia aber für totalen Schwachsinnhielt.
Es warreiner Zufall, dass ihr Vater den Wagen im hintersten Winkel des Parkplatzes amEinkaufszentrum in der Post Road erspähte, einen Steinwurf von den MilforderKinos entfernt. Er zog direkt vor den Mustang und versperrte Vince den Weg. Siewusste gleich, dass er es war, als sie den Filzhut erblickte. »Scheiße«, sagteCynthia. Gut, dass er nicht schon zwei Minuten vorher aufgetaucht war, als siegeknutscht hatten und Vince ihr sein nagelneues Springmesser gezeigt hatte.Gnadenlos - ein leichter Knopfdruck und urplötzlich schoss eine zehn Zentimeterlange Klinge heraus. Vince hatte das Teil im Schoß gehalten und gegrinst, als wärees gar kein Messer, sondern etwas ganz anderes. Dann hatte Cynthia das Messerausprobiert, es durch die Luft geschwungen und gekichert. »Hey, Vorsicht«,hatte Vince gesagt. Clayton Bigge marschierte schnurstracks zur Beifahrertürund öffnete sie. Die Tür quietschte in den rostigen Angeln.
»Hey,Meister, keine Panik«, sagte Vince, der mittlerweile zwar kein Messer mehr inder Hand hielt, dafür aber eine Bierflasche, was fast genauso schlimm war.»Quatsch mich bloß nicht blöd an«, sagte Clayton Bigge, fasste seine Tochter amArm und zerrte sie mit sich zu seinem Dodge. »O Gott, du stinkst ja wie eineganze Kneipe«, sagte er.
Cynthiawäre am liebsten auf der Stelle gestorben. Sie sah ihren Vater nicht an undsagte kein Wort, auch dann nicht, als er sie anherrschte, mit ihr hätte manbloß noch Ärger, sie solle endlich zur Besinnung kommen, sonst würde sie ihrganzes Leben verpfuschen, was er denn falsch gemacht hätte, er habe doch nurgewollt, dass sie glücklich sei, bla, bla, bla, und obwohl er stinksauer war,fuhr er immer noch, als hätte er gerade erst den Füh- rerschein gemacht, hielt sich sturan die Geschwindigkeitsbegrenzung und schaltete beim Abbiegen jedes Mal denBlinker an - es war schlicht nicht zu fassen. Als sie in die Einfahrt einbogen,war sie schon ausgestiegen, bevor er den Wagen zum Stillstand gebracht hatte.Sie stieß die Haustür auf und stürmte ins Haus, vorbei an ihrer Mutter, dieweniger aufgebracht als besorgt wirkte.
»Cynthia!«,sagte sie. »Wo warst du « Sie ließ ihre Mutter einfach stehen und stürzte dieTreppe hinauf in ihr Zimmer. Von unten rief ihr Vater: »Komm sofort wiederrunter! Wir müssen miteinander reden!« »Ich wünschte, ihr wärt tot!«, schriesie und knallte die Tür zu. Daran entsann sie sich nun wieder ganz deutlich. Anden Rest des Abends konnte sie sich allerdings nach wie vor nur verschwommenerinnern.
Sieerinnerte sich, wie sie sich auf ihr Bett gesetzt hatte, dass ihr ziemlichschwindlig gewesen war. Sie war zu müde, um sich zu schämen. Dann beschlosssie, sich hinzulegen und ihren Rausch auszuschlafen; bis sie wieder aufstehenmusste, waren ja immerhin noch fast zehn Stunden Zeit. Zehn Stunden, in denenalles Mögliche passieren konnte.
Sie meintesich zu erinnern, dass sie im Halbschlaf jemanden an der Tür gehört hatte. EinGeräusch, als ob jemand vor der Tür verharren würde. Später hatte sie dasGeräusch noch einmal gehört. Glaubte sie jedenfalls. War sie aufgestanden, umnachzusehen? Hatte sie überhaupt aufzustehen versucht? Sie konnte sich beimbesten Willen nicht erinnern. Inzwischen war sie fast vor der Schuleangekommen. Und nun meldete sich auch noch ihr schlechtes Gewissen. An einemeinzigen Abend hatte sie gegen sämtliche Spielregeln verstoßen. Sie war zu spätnach Hause gekommen. Hatte ihre Eltern angelogen. Mit einem Jungenherumgeknutscht. Einem Siebzehnjährigen! Der letztes Jahr ein paar Schulfenstereingeworfen und eine Spritztour mit dem Wagen des Nachbarn unternommen habensollte.
Außerdemwaren ihre Eltern gar nicht so schlimm. Meistens jedenfalls. Vor allem ihreMom. Und ihr Dad, na ja, eigentlich war er ja ganz passabel, wenn er nichtgerade hinter ihr herspionierte. Vielleicht hatte ihre Mutter Todd zur Schulegefahren. Wenn er Training hatte und unter Zeitdruck stand, brachte sie ihnmanchmal zur Schule und ging anschließend in den Supermarkt. Ab und an tranksie auch einen Kaffee im Howard Johnsons. In der ersten Stunde - Geschichte -bekam sie so gut wie nichts mit, und in Mathe konnte sie sich erst recht nichtkonzentrieren. Sie hatte immer noch Kopfschmerzen. Als der Mathematiklehrer siefragte, ob sie alles verstanden hätte, sah sie nicht mal auf. Während derMittagspause verließ sie die Cafeteria und rief von einem Münztelefon zu Hausean, um sich bei ihrer Mutter zu entschuldigen und ihr zu sagen, wie leid ihralles tat. Außerdem wollte sie nach Hause, denn ihr war hundeelend. Ihre Mutterwürde sich um siekümmern und ihr eine Suppe kochen. Sie konnte nie lange böse bleiben.
Nachdem esfünfzehnmal geläutet hatte, gab Cynthia auf, dachte dann aber, sie hätte sichvielleicht verwählt. Doch auch beim nächsten Versuch ging niemand ans Telefon.Die Firmennummer ihres Vaters wusste sie nicht auswendig. Außerdem war er sooft auf Geschäftsreise, dass er meist nur von unterwegs dort anrief. Sie hingmit ein paar Freundinnen vor der Schule herum, als Vince Fleming in seinemMustang vorbeifuhr. »Ganz schön blöd gelaufen gestern Abend«, sagte er. »DeinAlter hat ja ziemlich genervt.« »Ja, hat er«, sagte Cynthia. »Was ist denndanach noch passiert?«, fragte Vince. Irgendwie klang er, als wüsste er esbereits. Cynthia zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Sie wolltenicht darüber reden. »Wo ist eigentlich dein Bruder?«, fragte Vince. »Ist erkrank?«
»Was?«,stieß Cynthia hervor. Niemand hatte Todd gesehen. Vince sagte, er hätte ihnunter vier Augen fragen wollen, wie groß der Stunk zu Hause sei, ob sieHausarrest bekommen hätte, weil er nämlich am Wochenende mit ihr um die Häuserziehen wollte, sein Kumpel Kyle würde ihm Bier besorgen, und dann könnten siedoch rauf in die Hügel fahren, ein bisschen im Auto sitzen und sich die Sterneangucken, oder?
Cynthialief nach Hause. Sie vergaß sogar, Vince zu fragen, ob er sie fahren konnte.Sie meldete sich auch nicht imSekretariat ab. Sie lief, so schnell sie konnte, und die ganze Zeit über dachtesie: Bitte, lieber Gott, mach, dass Moms Wagen in der Einfahrt steht. Bitte.Doch als sie von der Pumpkin Delight Road in die Hickory Lane einbog undihr einstöckiges Elternhaus in Sicht kam, war von dem gelben Ford Escort ihrerMutter weit und breit nichts zu sehen. Trotzdem rief sie laut und atemlos nachihrer Mutter, als sie ins Haus stürzte. Und dann nach ihrem Bruder. Sie begannzu zittern, riss sich dann aber mit aller Macht zusammen.
Nunverstand sie überhaupt nichts mehr. Egal wie stinksauer ihre Eltern auch aufsie sein mochten - deswegen würden sie nicht einfach abhauen, ohne ihr etwas zusagen, und obendrein noch Todd mitnehmen. Cynthia kam sich total bescheuertvor, klingelte aber nebenan bei den Jamisons. Wahrscheinlich gab es eine ganzeinfache Erklärung; vielleicht hatte sie ja bloß vergessen, dass ihre Muttereinen Zahnarzttermin hatte. Wenn sie jetzt um die Ecke bog, würde Cynthia wieeine Vollidiotin dastehen. Egal.
Als MrsJamison öffnete, platzte Cynthia mit allem heraus. Dass niemand zu Hausegewesen sei, als sie aufgewacht war, und dass sie dann zur Schule gegangen sei,aber Todd sei auch dort nicht aufgetaucht, und ihre Mutter
MrsJamison war zwar überrascht, meinte aber, sie solle sich keine Sorgen machen,ihre Mom sei bestimmt nur zum Einkaufen gefahren. Sie ging mit Cynthia hinüberund warf einen Blick auf die Zeitung, die immer noch vor der Haustür lag. Zusammen sahen sie in allenZimmern, der Garage und im Garten nach. Mrs Jamison gefiel die Sache nicht. Sierief die Polizei. Kurz darauf kam ein Streifenbeamter vorbei, dem das Ganzeaber kein großes Kopfzerbrechen zu bereiten schien. Bald aber trafen weitereBeamte und Streifenwagen ein und am Abend wimmelte es auf der Straße nur so vonPolizisten. Cynthia hörte, wie sie über Funk Beschreibungen der Autos ihrerEltern durchgaben und im Krankenhaus von Milford anriefen. Die Polizistenklingelten bei den Nachbarn und stellten auch Cynthia jede Menge Fragen.
»Bist dusicher, dass sie nicht jemanden besuchen wollten?«, fragte ein Mann, der sichals Detective vorgestellt hatte und im Gegensatz zu den anderen Polizistenkeine Uniform trug. Er hieß Findley oder Finlay, wenn sie ihn richtigverstanden hatte. Hielt er sie allen Ernstes für derart vergesslich? Glaubteer, sie würde gleich herausplatzen: »Na klar, jetzt erinnere ich mich! Siewollten ja Tante Tess besuchen! Moms Schwester.« »Nun ja«, sagte der Detective.»Deine Eltern und dein Bruder haben offensichtlich nichts gepackt. Soweit wirfeststellen konnten, sind all ihre Sachen noch da, und die Koffer stehen untenim Keller.«
Die Fragen wollten schier kein Ende nehmen. Wann hatte sieihre Eltern zuletzt gesehen? Wann war sie ins Bett gegangen? Was war das fürein Junge, mit dem sie aus gewesen war? Sie bemühte sich, nichts auszulassen,gab sogar zu, dass sie Streit mit ihren Eltern gehabt hatte, auch wenn sie verschwieg,dass sie betrunken gewesen war und ihnen den Tod gewünscht hatte. Der Detectivewar ein netter Mann, doch stellte er keine einzige der Fragen, die Cynthiaunablässig durch den Kopf gingen. Wieso waren ihre Eltern und ihr Brudereinfach verschwunden? Wo waren sie hingefahren? Und warum hatten sie sie nichtmitgenommen? In einem Anfall von Panik begann sie die Küche auf den Kopf zu stellen.Sie hob Platzdeckchen hoch und warf sie beiseite, sah unter die Stühle, spähtehinter den Herd, während ihr Tränen über die Wangen liefen.
»Was ist denn los, Kleine?«, fragte der Detective. »Wasmachst du da?« »Wo ist bloß der Zettel?«, fragte Cynthia mit flehendem Blick.»Hier muss irgendwo ein Zettel sein! Meine Mom geht nie aus dem Haus, ohne eineNachricht zu hinterlassen!«
© Ullstein Buchverlage
Übersetzung: Nina Pallandt
- Autor: Linwood Barclay
- 2007, 491 Seiten, Maße: 12 x 18,9 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Engl. v. Nina Pallandt
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548267432
- ISBN-13: 9783548267432
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