Perry Rhodan / Band 28: Lemuria
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Lemuria vonPerry Rhodan
LESEPROBE
1
Die Sterne riefen ihn.
Venron hatte sie noch nie gesehen, nicht inWirklichkeit, nur in alten Aufzeichnungen. Heimlich und verstohlen, immer inder Angst davor, dass die Tenoy ihn und die übrigen Sternensucher überraschenwürden. Staunend hatten sie sich ihrem Glanz hingegeben. Hatten versucht, siezu zählen und schließlich aufgegeben. Es waren zu viele; niemandem konnte es jegelingen, ihre Zahl zu erfassen. Wozu auch? Die Sterne waren selbst in derDarstellung, die die langsam, aber unweigerlich zerfallenden Speicher hergaben,das Schönste, das sie je erblickt hatten.
Venron musste sie sehen.
Mit eigenen Augen.
Er musste Gewissheit haben, dass er sich nicht nacheinem Trugbild sehnte. Venron legte die dicke Plastikschürze und die Handschuheab, die ihn in den vergangenen Stunden vor den Stacheln der Eiweißpflanzengeschützt hatten. Das Protein der Pflanzen war das Hochwertigste, das ihnen zurVerfügung stand, hochwertiger als selbst das der wenigen Tiere. Warum aberausgerechnet die Eiweißpflanzen sich nur so widerwillig von ihren Früchten trennten,blieb für Venron ein Geheimnis. Beherrschten die Tenkren, die sie entworfenhatten, ihr Handwerk nicht? Oder verfolgten sie eine Absicht, die ihm entging?
Eine Stimme riss ihn aus den Gedanken.
»Schon was vor nach der Schicht?«, fragte Melenda.
Venron sah überrascht auf. Melenda hatte denMaterialverschlag unbemerkt betreten. Sie war in seinem Alter, eine üppige,lebensfreudige junge Frau mit langen Haaren und einem Hüftschwung, von dem ereinige Nächte lang geträumt hatte, nachdem sie seinem Metachton zugeteiltworden war. Aber die Sterne hatten die Oberhand behalten. Er träumte nur nochselten von Melenda. »Ja. Ich ich wollte noch etwas lesen«, log er. »Du weißtschon, lernen.«
Melenda runzelte die Stirn. »Hast du nie etwas anderesim Kopf, als dich vor dem Rest der Welt zu verstecken?« Sie trat zu ihm,streckte die Hand aus, als wolle sie nach seiner greifen, ließ es aber sein.»Wieso kommst du nicht mal raus aus dem Loch, das du dir gegraben hast? Ichtreffe mich mit den anderen am Bug. Delders Pflanzen haben neue Blüten. EinKick, wie du ihn noch nie gespürt hast, sagt er, wenn du dir den Saft spritzt.Und Delder hat es drauf! Eines Tages wird er Tenkren, wetten? Ich weiß, dieanderen mögen dich nicht besonders, aber wenn ich ein gutes Wort für dicheinlege «
»Danke«,sagte Venron. »Aber es geht nicht. Vielleicht ein andermal?«
»Ein andermal? Daran glaubst du doch selbst nicht!«Melenda ließ ihre Schürze achtlos auf die Bank fallen und stürmte aus demVerschlag. Die Tür knallte hinter ihr zu, ließ die gesamte Konstruktion wanken.
Venron starrte einige Augenblicke lang auf den Zugang,legte dann seine Schürze sorgfältig zusammen und schob sie und die Handschuhein die dafür vorgesehenen Fächer. Dann ging er zu Melendas achtloshingeworfener Schürze und wiederholte den Vorgang.
Er tat es wider besseres Wissen. Niemand würde denMaterialraum vor der nächsten Schicht betreten, und die begann erst am Morgen.Doch Venron brachte es nicht fertig, über seinen Schatten zu springen.»Verschwendung ist unser Untergang!«, hatte man ihm von Kindesbeinen angelehrt. »Unsere Ressourcen sind endlich - und knapp!« Du gibst einenschönen Verräter ab!, dachte er. Räumst vorher nochmal auf!
Venron verließ den Verschlag. Es dämmerte bereits. Aneinen Pfosten in der Nähe lehnte ein Fahrrad. Er tippte auf das Lenkerdisplayund bekam ein Freizeichen. Gut. Auf diese Weise würde es schneller gehen.Venron fuhr los, kreuzte mit der Vertrautheit langer Jahre durch das Gewirr derWege, das sich durch die Felder und Gärten des Außendecks zog. Er genoss denFahrtwind, der ihm über die Haut und durch die Haare strich. Auf dem Rad war eseinfach, die hohe Schwerkraft zu vergessen, die ihn zu Boden ziehen wollte. DieSchwerkraft ließ die Glieder bei der Arbeit rasch ermüden. Ab Mittag dachtendie meisten Metach nur noch daran, Luft zu schöpfen, und an das Mitteldeck, aufdas sie nach ihrer Schicht zurückkehren durften.
Venron begegnete in langen Abständen anderen Metach.Um diese Zeit waren nur wenige unterwegs, man saß beim ausgedehnten Abendessenim Kreis des Metachton. Wieso die Zeit auf dem Außendeck verschwenden, wo esnur Schweiß und harte Arbeit gab? Er winkte den Passanten grüßend zu. Venrons Pulsschlug hart, beruhigte sich erst wieder, als er um eine Biegung fuhr und der Ruf»Halt, was treibst du da eigentlich?« ausblieb.
Und er unterblieb nicht nur einmal, sondern mehrmals. Mannahm ihm ab, was zu sein er vorgab: ein etwas versponnener Metach, der sichnach seiner Schicht die Zeit mit einer Spritztour vertrieb. Schlimmstenfallseine harmlose Laune.
Niemand sah in ihm den Verräter.
Venron bemerkte in der Ferne den Umriss einer jungenFrau auf einem Rad. Sie hatte den Oberkörper weit nach vorn gebeugt, um einengeringeren Luftwiderstand zu bieten.
Er riss auf der Stelle den Lenker herum und schoss aufdem bockenden Rad zwischen die Reihen der Sträucher, die zu seiner Linkenstanden. Er glitt aus dem Sattel, drehte sich so, dass er den Weg sehen konnte,ohne selbst gesehen zu werden, und rührte sich nicht mehr, bis die Frau ihnpassiert hatte.
Es war Denetree. Sie hatte ihr Haar zu einem Knotenzusammengebunden, wie üblich, wenn sie ihre Runden drehte. Ihre Beine hoben undsenkten sich in schnellem Rhythmus. Sie fuhr einen hohen Gang, um denMuskelaufbau zu fördern, aber auch um jederzeit ruckartig beschleunigen zukönnen.
Venron wartete beinahe eine halbe Stunde, bis er sichwieder aus den Sträuchern wagte. Er hätte es nicht geschafft, seiner Schwestergegenüberzutreten.
Sie hätte seinen Plan erraten, ihn aus seinem Gesichtabgelesen, aus seiner Körpersprache. Und hätte darauf bestanden, ihn zubegleiten
Doch das war unmöglich. Venron wusste nicht, was ihnerwartete. Er würde Denetree später aufsuchen. Und sich bei ihr dafürentschuldigen, dass er sich nicht verabschiedet hatte.
Ich habe für sie getan, was ich konnte, versuchteer sich zu trösten. Er würde gehen, aber sein Fortgang würde nicht spurlosbleiben, dafür hatte er gesorgt. Venron setzte seinen Weg fort, machteschließlich an einem Unterstand halt. Es war eine simple Plastikkonstruktion;ein Dach, das auf vier dünnen, ungefähr mannshohen Pfosten stand. Selbst einleichter Sturm hätte den Unterstand davongerissen, aber Stürme waren unbekannt.Der Unterstand musste vor dem künstlichen Regen schützen, das genügte.
Venron lehnte das Rad gegen einen der Pfosten,schaltete es frei, damit jemand anders, der zufällig vorbeikam, es benutzenkonnte, und ging in die Knie. Eine dünne Schicht aus vermoderndem Gras undanderen Pflanzenhalmen bedeckte den Boden des Unterstands. Venron strich siezur Seite und entblößte das nackte Metall. Nahe der Mitte der Fläche fand er,wonach er suchte: ein zerkratztes Display. Selbst in der inzwischenhereingebrochenen Nacht genügte seine Leuchtkraft, um es lesbar zu machen.
Er spreizte Daumen- und Zeigefinger beider Hände undpresste sie gleichzeitig gegen die Ecken des Displays. Eine Tastatur erschienauf dem verkratzten Schirm. Venron gab eine zufällige Zeichenfolge ein.
Das genügte. Die Abfrage fand nur statt, damit derMechanismus nicht zufällig ausgelöst wurde. Sie öffnete die Schotte zu denDruckkammern, die im Notfall das Überleben sichern sollten. Soweit Venronwusste, war ein solcher Notfall noch nie eingetreten - und er bezweifeltestark, dass die Kammern viel nützen würden, wenn es dazu käme. Man konnte einenTag oder eine Woche in ihnen überleben - aber was dann?
Venron hörte ein Klicken. Ein Teil des Bodens hob sichknirschend an, klappte hoch und verharrte schließlich im rechten Winkel. DasNetz hatte das Schott freigegeben. Gut. Das Netz war darüber informiert, dasseine Schottöffnung angefragt worden war. Weniger gut. Alles kam jetzt daraufan, wie das Netz den Vorgang deutete. Es kam immer wieder vor, dass spielendeKinder die Schotte öffneten. Das Netz ließ sie für gewöhnlich gewähren. Esgehörte zu der norma- len Entwicklung von Kindern, die Grenzen des Erlaubtenund ihrer Welt auszuloten. In Maßen.
Hatte Venron das Pech, dass dieser Zugang in letzterZeit häufig von Kindern genutzt worden war, würde das Netz ihn in der Kammereinsperren, bis die Tenoy eintrafen. Es würde ihm schwerfallen, eine Erklärungdafür zu finden, was er dort suchte. Er war ein Erwachsener, der es besserwissen musste, als seine Nase in Dinge zu stecken, die ihn nichts angingen.
Venron stieg eine enge Metallleiter hinunter in diedunkle Kammer. Die Leiter gab jedes Mal, wenn er eine neue Sprosse mit seinemGewicht belastete, quietschend nach. Das Schott über ihm schloss sich.Gedämpftes Licht ging an, machte Umrisse sichtbar. Venron sah zur Decke. Nurjeder dritte Leuchtkörper hatte sich eingeschaltet.
Unsere Ressourcen sind endlich.
Venron hatte seit seiner Kindheit keine Druckkammermehr betreten. Er war überrascht darüber, wie klein und eng sie war. Im Grundegenommen handelte es sich um einen langen, schmalen Gang mit niedriger Decke,an beiden Seiten von Bänken gesäumt. In Aussparungen in den Wänden hingen weitgeschnittene Schutzanzüge. Sie erinnerten eher an Ponchos oder Säcke, an dieman einen Helm geflanscht hatte. Sie eigneten sich für jede Körpergröße, jedenKörperbau, waren selbst für Ungeübte in wenigen Sekunden überzustreifen - undverurteilten ihren Träger zur Immobilität. Es würde unmöglich sein, sich miteinem solchen Schutzanzug durch den engen Gang zu bewegen, schon gar nicht,wenn er vollgestopft mit Menschen war.
Venron wollte es sich nicht vorstellen. Er empfand dieEnge bereits jetzt bedrückend. Er ging los, zählte dabei die Schutzanzüge ab.Als er bei 63 angekommen war, klaffte eine Lücke in der offenbar endlosenReihe. Ein schmaler Durchgang befand sich an der Stelle, an der eigentlich einweiterer Schutzanzug hängen sollte. Venron zwängte sich hinein. Nach einigenMetern mündete der Durchgang in einen weiteren von Schutzanzügen gesäumtenKorridor. Venron wandte sich nach links, zählte wieder die Anzüge ab. Bei 96fand er einen neuen Spalt und zwängte sich wieder hinein.
Das Gefühl, in einer Falle zu sitzen, das ihm dieKehle zuschnürte, ließ langsam nach. Die tatsächlichen Begebenheiten stimmtenbislang mit seiner Beschreibung überein, was in ihm die Hoffnung nährte, dasssie zur Gänze zutraf.
Die schweren Schritte der Tenoy, die durch die Gängehasteten, um ihn zu fassen, waren ausgeblieben, ebenso wie die Ermahnungen desNetzes.
Wieder zählte Venron durch. Bei 33 blieb er stehen.Diesmal blickte er auf einen Schutzanzug, der sich in nichts von den hundertenanderen unterschied, die er bislang passiert hatte. Er griff den Anzug amHalsring, hob ihn hoch und setzte ihn auf der gegenüberliegenden Seite ab. DerAnzug war überraschend leicht. Als Kind hatte er einmal einen von ihnenübergestreift, aus Durchtriebenheit, ohne zu verstehen, womit er eigentlichspielte. Die anderen Kinder hatten ihn danach noch wochenlang damit gehänselt,dass der Anzug beinahe straff gesessen hatte. »Bist du fett!«, hatten sie immerwieder gerufen. »Fett! Fett! Fett!« Nur Denetree hatte ihn nicht ausgelacht,sondern ihn einfach nur wortlos in die Arme genommen, bis er sich wiederberuhigt hatte. (...)
© HeyneVerlag
- 1. Auflage, 416 Seiten, Maße: 13,2 x 19,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Herausgegeben: William Voltz
- Verlag: Moewig - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
- ISBN-10: 3811820435
- ISBN-13: 9783811820432
- Erscheinungsdatum: 01.01.1987
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