Phi Phi Island
Phi Phi Island. Ein Bericht von JosefHaslinger
LESEPROBE
1
ein paar monate lang war ich ziemlich sicher, dass ich dieses
buch nicht schreiben würde.schon deshalb nicht, weil
ich oft danach gefragtwurde: du arbeitest doch nicht etwa
an einem tsunami-buch? - nein, keine angst.
oder: mensch, du hast da was erlebt, da musst du dir
keine sorgen um dein nächstesbuch machen.
das waren unangenehme situationen. ich wollte darüber
schreiben, aber ichwollte es auch wiederum nicht. ich
konnte das, was icherlebt hatte, nicht abwägen, ich konnte
es nicht von außenanschauen. es war wie ein tief in mir
sitzender knoten, dersich nicht lösen ließ.
der tsunamivom 26. dezember 2004 und seine verheerenden
auswirkungen blieben einige monate lang ein medienthema.
ich sah die bilder, ich las die vielen augenzeugenberichte,
und ich erzählte, wennich gefragt wurde, wie
es uns ergangen war.zwar sagte ich bei jedem interview zu
mir selbst: wenn die tsunami-frage kommt, solltest du gar
nicht darauf eingehen.du hast überlebt. und du hast keine
angehörigen verloren.warum nicht einfach froh sein und
schweigen? dann kam das gespräch auf den tsunami, und
ich merkte, dass ichdoch auch das bedürfnis hatte, darü-
ber zu reden.
dabei stellte sich einemerkwürdige unschärfe ein. es waren
immer details, die mir in den sinn kamen, bilder,die
sich in der erinnerung festgesaugt hatten, die mir aber den
blick auf diese paartage mehr trübten als schärften. die bilder
gruppierten sich um zweimomente, die mit dem tsunami
nur äußerlich zu tunhatten, die auch bei ganz anderen
ereignissen hätten auftreten können.um den einen
moment, als ich plötzlich zuwissen meinte, das werde ich
nicht überleben, und umden anderen, als es danach aussah,
als hätten wir unserebeiden kinder verloren.
meine erinnerung an die flutwelle warwie eine barrikade,
die mir in den weggestellt war, obwohl ich sie eigentlich
hinter mir lassenwollte. es schien keinen weg um diese
barrikade herum zu geben. dasvergangene lag hinter mir,
aber es lag zugleichauch vor mir, es umzingelte mich.
ich hatte ein schreibjahr in aussicht undbegann mir gedanken
über einen neuen roman zu machen. aber ich kam
nicht vom fleck. ganzgleich, welche figur ich zu entwickeln
versuchte, ihr hauptzweck schien zu sein, das zu erledigen,
was in wirklichkeit ich selbst zu erledigen hatte. eine weile
blieb ich bei dem vorsatz, nicht direkt von mir selbst zu
schreiben, sondern die geschichte literarisch zu verarbeiten.
als hätte es etwas anstößiges,von jenen zufällen zu berichten,
die einem das leben zunehmen schienen, und den
anderen, die es einemdann doch noch ließen.
das manöverwar zu durchsichtig. anstatt mich in andere
figuren hineinzuversetzen,entstand in mir der
wunsch, an den ort des geschehens zurückzukehren und
den ablaufder katastrophe zu rekonstruieren. und so ist
aus dem romanprojekt ein bericht über einen kurzen abschnitt
meines eigenen lebens geworden. bald nachdem
ich angefangen hatte,daran zu arbeiten, war es mir auch
wieder möglich, anderetexte zu schreiben.
erzählungen, die davon handeln, wiejemand in die
ferne reist, es dort mitunerwarteten vorgängen zu tun bekommt,
die es ungewiss machen,ob er überleben wird, heißen
abenteuergeschichten. häufig sind sie in derich-form
geschrieben. wer so wie kara ben nemsiseine eigene geschichte
erzählt, versichertdamit von vorneherein, dass sie
letztlich gut ausgehenwird. ich habe die zufallsbekanntschaft
mit einer abenteuergeschichte gemacht.
der bericht in einem satz: wir sind zu viert auf der thail-
ändischen inselkoh phi phiin einem resort abgestiegen,
von dem zwei tage späternur noch ein verwaltungsgebäude,
der swimmingpoolund das auf acht betonsäulen ruhende
dach des speisepavillons übrig waren. die einhundertzehn
bungalows, von denen wir zweigemietet hatten,
waren verschwunden.
im grundeist es die geschichte vieler tsunami-überlebender,
die das glück hatten,vom schlimmsten verschont
worden zu sein. auchwenn sie verletzt waren und
ohne geld,papiere und reisegepäckdastanden, ist ihr schaden
nicht zu vergleichen mitder situation derer, die ihre
angehörigen und ihrgesamtes hab und gut verloren haben.
wir waren dieglücklichen überlebenden. aber dieses glück
hat einen bitteren geschmack. ich habe es bislang nicht genießen
können. wenn ich vom tsunami erzählte, drückten
sich mir lange zeit tränenin die augen.
die erinnerungdaran, eine immense katastrophe nur zu-
fällig überlebt zu haben,folgt einer eigenen logik. man
kann es sich immerwieder sagen, welches glück man hatte,
es kommt darüber keine genugtuung auf. es ist vor allem
eine erinnerungan den schrecken.
als dieses glückerstmals für mich fassbar wurde, klammerten
edith und ich uns gerade anden fassadenvorsprung
eines gebäudes, an das wir angeschwemmt worden
waren, und unterschiedendie menschen, die sich bewegten,
von denen, die sichnicht mehr bewegten. die sich, so
wie wir, bewegenkonnten, hielten nach angehörigen und
freunden ausschau. sie nahmen die herumliegenden und
die aus dem müll herausragenden toten körperwahr. sie
begannen zu schreienoder zu weinen, oder sie starrten regungslos
vor sich hin.
ein dreivierteljahrspäter bekam ich eine nachricht von
magdalena, einer jungen frau, die mit ihrem freund am tag
des tsunamiszufällig im selben hotel wie wir, im phi phi
princess, gewohnt hatte. sieschrieb, ihr freund und sie hätten
uns beim frühstückgesehen. ihr sei ein großer stein
vom herzen gefallen, alssie aus den medien erfahren habe,
dass die haslingers noch lebten. sie habe das bedürfnis,mit
jenen menschen kontakt aufzunehmen, andie sie so viel
gedacht habe, ohne sieeigentlich zu kennen.
wir trafen uns zum weihnachtsmarkt in der stadt steyr.
ihr freund wollte nichtmitkommen. von anfang an, so sagte
magdalena, habe er mit niemandemüber das, was er erlebt
hat, reden wollen, auchnicht mit ihr. er sei der festen überzeugung,
die tage zwischen dem26. dezember 2004 und
dem ersten jänner 2005, dem tag, an dem sie nach österreich
zurückkehrten, einfachvergessen zu können.
bei ihr, so erzähltesie, während wir glühwein tranken,
sei es anders gewesen.sie habe in den ersten monaten, als
der tsunamiin aller munde war, selbst nicht darüber sprechen
können. erst später seidas bedürfnis erwacht, davon
zu erzählen, aber dainteressierte es niemanden mehr. sie
gehe allen mit ihrem tsunami nur noch auf die nerven.
ich sagte, wir werdeneinen tsunami-überlebenden-verband
gründen und einanderalle jahre bei der hauptversammlung
die rührendstentsunami-geschichten erzählen.
wir werden tsunami-videos austauschen und die schärfsten
opferbilder auf eine website stellen.
die ironiewar trotz des glühweins nur mühsamaufrechtzuerhalten.
wir mussten uns nicht erzählen,wie diese
fremde welt, in die wir geraten waren, aussah. wir sprachen
darüber, was wir taten,als das wasser kam, und wie wir uns
verhielten, als esunversehens gefährlich wurde. wir redeten
von den stunden danach.
magdalena hatte sich dassprunggelenk gebrochen. ihr
freund nahm sie auf denrücken und trug sie durch die
trümmerlandschaft. sie stießen auf einen mann, der unter
der schulterein weit auseinanderklaffendes loch hatte,
durch das man in den brustraum hineinschauen konnte.
das ist eines der ganzwenigen bilder, die ihr vom ort des
geschehens in erinnerunggeblieben sind. später, als sie einen
bergweg hinaufgetragen wurde,waren sie schon eine
gruppe von etwa zehn personen, darunter ein franzose,
dem am rechten fuß die zehen fehlten. entlang des weges
standen bungalows. einer schien unbewohnt zu sein. sie
brachen ihn auf undquartierten sich ein. doch der bungalow
stand nicht leer. esfanden sich darin die habseligkeiten
anderer urlauber, die nicht mehr zurückkamen. am nächsten
tag wurde magdalena von ihrem freund erneut durch
die müllhaldengetragen, bis zum tennisplatz vor dem ca-
bana-hotel, wo ein hubschrauber gelandet war. an bord
dieses hubschraubers war ein reportervon epa, der european
pressphoto agency.er fotografierte einen mann, der
sich mit einer frau auf dem rücken einen weg durch eine
landschaft aus müllbergenbahnt. dieses foto erschien einen
tag später in einer österreichischentageszeitung. magdalenas
eltern wussten, dass ihre tochter lebt, noch bevor
sie kontaktmit ihnen aufnehmen konnte.
unsere verwandtendurchwachten die nacht vor deutschen
fernsehsendern - dem österreichischenfernsehen
schien das ausmaß der katastrophe noch nicht bewusst zu
sein - und schriebenverzweifelt sms und e-mails, die nicht
beantwortet wurden. esgab einen moment der beruhigung,
als an der hotline des österreichischen außenministeriums,
wo junge präsenzdiener aushalfen, zu erfahren war,
koh phiphi sei nicht von der flutwellebetroffen. die stimmung
schlug ins schiere gegenteil um, als einer meiner brü-
der, der selbst schon öfterin thailand gewesen war, im internet
die lageunseres hotels recherchierte und dabei auf
die informationstieß, dass es völlig zerstört worden sei.
bevor wir eine möglichkeit fanden, anzurufen, war das ausmaß
der hoffnungslosigkeitunter unseren verwandten so
groß geworden, dass sieernsthaft darüber redeten, wo unsere
leichen zu bestatten wären,sollten sie jemals überführt
werden. bis dann der anruf kam, der bei so vielen anderen
ausblieb.wir konnten die insel nicht verlassen, wir wollten aber
auch nicht mit den totenzusammenleben. und so verbrachten
viele, die sich bewegenkonnten, ihre zeit damit,
tote und lebende zutrennen und getrennt zu halten. als
das große gericht zu ende war, fand sich die hälfte der gäste
des phiphi princess auf der seite der lebenden. der rest ge-
hörte zu denen, deren körper zur seite geschafft undzugedeckt
wurden.
© S. Fischer Verlag
- Autor: Josef Haslinger
- 2007, 2. Aufl., 208 Seiten, Maße: 12,5 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3100300599
- ISBN-13: 9783100300591
- Erscheinungsdatum: 12.03.2007
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