Polarsturm / Dirk Pitt Bd.20
Ein Dirk-Pitt-Roman
Ein skrupelloser Geschäftemacher schürt einen bewaffneten Konflikt zwischen Kanada und den USA. Dirk Pitt ist der Einzige, der einen für die ganze Welt verheerenden Krieg jetzt noch verhindern könnte. Doch als er einem Hinweis auf die...
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Produktinformationen zu „Polarsturm / Dirk Pitt Bd.20 “
Ein skrupelloser Geschäftemacher schürt einen bewaffneten Konflikt zwischen Kanada und den USA. Dirk Pitt ist der Einzige, der einen für die ganze Welt verheerenden Krieg jetzt noch verhindern könnte. Doch als er einem Hinweis auf die Hintermänner dieser Verschwörung ins ewige Eis der Arktis folgt, wird Pitt bereits von einem brutalen Killerkommando erwartet. Und während er noch um sein Leben kämpft, dringt ein US-Bomber mit seiner todbringenden Fracht in den kanadischen Luftraum ein.
Klappentext zu „Polarsturm / Dirk Pitt Bd.20 “
Ein skrupelloser Geschäftemacher schürt einen bewaffneten Konflikt zwischen Kanada und den USA. Dirk Pitt ist der Einzige, der einen für die ganze Welt verheerenden Krieg jetzt noch verhindern könnte. Doch als er einem Hinweis auf die Hintermänner dieser Verschwörung ins ewige Eis der Arktis folgt, wird Pitt bereits von einem brutalen Killerkommando erwartet. Und während er noch um sein Leben kämpft, dringt ein US-Bomber mit seiner todbringenden Fracht in den kanadischen Luftraum ein ...
Lese-Probe zu „Polarsturm / Dirk Pitt Bd.20 “
Polarsturm von Clive Cussler und Dirk CusslerAPRIL 1848
VIKTORIASTRASSE
NORDPOLARMEER
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Der Schrei gellte wie das Heulen eines weidwunden Dschungeltieres durch das Schiff, ein klagendes Jaulen, das wie ein Todesflehen klang. Eine zweite Stimme fiel in das Jammern ein, dann eine dritte, bis ein grausiger Chor durch die Dunkelheit hallte. Als die schaurigen Schreie verklangen, kehrte ein paar Sekunden lang eine bedrückende Stille ein, bis dann erneut ein Gepeinigter die Stimme erhob. Ein paar entfernt sitzenden Seeleuten, die noch halbwegs bei Sinnen waren, entgingen die Laute nicht. So beteten sie darum, dass ihnen ein leichterer Tod vergönnt sein möge.
Kommandant James Fitzjames hörte in seiner Kabine zu, während er so etwas wie einen silbrigen Felsbrocken in seinen Händen knetete. Er hielt sich das kalte, schimmernde Mineral vor die Augen und verfluchte seinen Glanz. Dieses Zeug, aus was immer es bestehen mochte, hatte allem Anschein nach dies Unheil über das Schiff gebracht. Schon bevor es an Bord geschafft worden war, hatte das Mineral den Pesthauch des Todes an sich gehabt. Zwei Besatzungsmitglieder in einem Walfangboot waren beim Transport der ersten Gesteinsproben über Bord gegangen und in den eisigen arktischen Gewässern binnen kürzester Zeit erfroren. Ein weiterer Seemann war bei einer Messerstecherei umgekommen, als er ein paar der Steine bei einem durchgedrehten Zimmermannsmaat gegen Tabak eintauschen wollte. Mittlerweile war in den letzten paar Wochen mehr als die Hälfte seiner Besatzung langsam, aber unaufhaltsam dem Wahnsinn anheimgefallen. Dass wir in diesem ewigen Winter festsitzen, ist zweifellos auch daran schuld, dachte er, aber diese Steine spielen gewiss ebenfalls eine Rolle.
Von einem lauten Klopfen an der Kabinentür wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Da er seine Kräfte sparen wollte, stand er nicht auf, sondern antwortete lediglich mit einem krächzenden »Ja?«.
Ein kleiner Mann in einem verdreckten Sweater, das Gesicht hager und schmutzig, öffnete die Tür.
»Käpt'n, ein oder zwei von denen versuchen wieder die Barrikade zu durchbrechen.« Es war der Quartiermeister des Schiffes, der dies mit schwerem schottischen Akzent meldete.
»Holen Sie Lieutenant Fairholme«, erwiderte Fitzjames, während er sich langsam erhob. »Er soll seine Männer zusammentrommeln.«
Fitzjames warf den Steinbrocken auf seine Koje und folgte dem Quartiermeister nach draußen. Sie stiegen einen dunklen, muffigen Niedergang hinab, der nur von ein paar mit Kerzen bestückten Laternen beleuchtet wurde. Als sie die Hauptluke passierten, verschwand der Quartiermeister, während Fitzjames weiter in Richtung Vorschiff ging. Kurz darauf blieb er vor einem großen Trümmerhaufen stehen, der ihm den Weg versperrte. Eine Unmenge von Fässern, Kisten und Tonnen war in dem Gang verkeilt und bis zu dem darüber liegenden Deck so aufgetürmt worden, dass all dies eine Barrikade zu den vorderen Abteilungen bildete. Irgendwo auf der anderen Seite des Hindernisses hörte man das Scharren der Kisten und das Schnauben der Männer.
»Sie machen sich schon wieder dran zu schaffen«, sagte ein schläfrig wirkender Seesoldat, der mit einer Steinschlossmuskete an dem Trümmerhaufen Wache stand. Der kaum neunzehn Jahre alte Posten hatte einen schmutzigen Bart, der wie Dornengestrüpp aus seinem Kinn wucherte.
»Wir überlassen ihnen das Schiff noch früh genug«, erwiderte Fitzjames mit müder Stimme.
Die hölzerne Leiter hinter ihnen knarrte, als drei Männer vom darunter liegenden Orlopdeck zur Hauptluke emporkletterten. Ein Schwall eisiger Luft zog durch den Gang, bis einer der Männer eine Segeltuchplane über die Luke zog. Ein ausgemergelter Mann in einer schweren wollenen Offiziersjacke trat aus dem Schatten und wandte sich an Fitzjames.
»Sir, der Waffenschrank ist nach wie vor gesichert«, meldete Lieutenant Fairholme, von dessen Mund beim Sprechen eine dichte Dampfwolke aufstieg. »Quartiermeister McDonald lässt die Männer in der großen Offizierskabine antreten.« Er hob eine kleine Perkussionspistole und fügte hinzu: »Wir haben drei Waffen für uns rausgeholt.«
Fitzjames nickte, während er die beiden anderen Männer betrachtete, ausgezehrt wirkende königliche Marineinfanteristen, die mit Musketen bewaffnet waren.
»Danke, Lieutenant. Geschossen wird nur auf meinen ausdrücklichen Befehl«, sagte der Kommandant leise.
Ein schriller Schrei ertönte hinter der Barriere, gefolgt von einem lauten Scheppern von Töpfen und Pfannen. Der Lärm wird immer wilder, dachte Fitzjames. Er konnte nur mutmaßen, was für Abscheulichkeiten auf der anderen Seite der Barrikade vor sich gingen.
»Sie werden zusehends gewalttätiger«, sagte der Lieutenant mit gedämpfter Stimme.
Fitzjames nickte grimmig. Als er sich zum Polarforschungsdienst gemeldet hatte, hätte er sich niemals vorstellen können, dass er einmal eine wahnsinnig gewordene Besatzung zur Räson bringen musste. Er war ein kluger und umgänglicher Mann, der bei der Royal Navy rasch aufgestiegen war und mit dreißig Jahren das Kommando über eine Korvette erhalten hatte. Jetzt, da er sechsunddreißig war und ums nackte Überleben kämpfte, stand der Offizier, der man einst als »bestaussehender Mann der Marine« bezeichnet hatte, vor seiner schwersten Prüfung.
Vielleicht war es gar nicht so überraschend, dass ein Teil der Besatzung den Verstand verloren hatte. Den arktischen Winter auf einem im Eis eingeschlossenen Schiff zu überleben, war eine furchtbare Herausforderung. Die Männer, die der Dunkelheit und erbarmungslosen Kälte monatelang ausgesetzt waren, saßen in den engen Verschlägen des Unterdecks fest, wo sie gegen Ratten, Platzangst und Einsamkeit kämpften und zudem unter Skorbut und Erfrierungen litten. Einen Winter zu überstehen war schon schwer genug, aber Fitzjames' Besatzung brachte gerade den dritten arktischen Winter in Folge hinter sich, und ihr Leiden wurde durch Nahrungs- und Brennstoffknappheit noch verschlimmert. Der vorzeitige Tod von Sir John Franklin, dem Leiter der Expedition, trug ein Weiteres dazu bei, dass ihre Zuversicht schwand.
Doch Fitzjames wusste, dass noch etwas wesentlich Unheilvolleres am Werk war. Als sich ein Bootsmannsmaat die Kleider vom Leib riss, aufs Oberdeck stieg und schreiend über das Treibeis rannte, hätte man dies als einen einzelnen Fall von geistiger Umnachtung abtun können. Aber als drei Viertel der Besatzung anfingen, im Schlaf zu brüllen, teilnahmslos umhertorkelten, unverständliches Zeug vor sich hin brabbelten und unter Hirngespinsten litten, wurde ihm klar, dass noch etwas anderes im Spiel war. Als die Betroffenen allmählich immer gewalttätiger wurden, ließ Fitzjames sie heimlich ins Vorschiff bringen und unter Quarantäne stellen.
»Irgendetwas auf dem Schiff treibt sie in den Wahnsinn«, sagte Fairholme leise, als könnte er Fitzjames' Gedanken lesen.
Fitzjames wollte gerade nicken, als eine kleine Kiste über die Barrikade geflogen kam und ihn beinahe am Kopf getroffen hätte. Das fahle Gesicht eines ausgezehrten Mannes, dessen Augen im flackernden Kerzenschein rot glühten, tauchte in dem Spalt zwischen Barriere und Oberdeck auf. Rasch zwängte er sich durch die Lücke und stürzte dann die Barrikade herab. Als sich der Mann wieder aufrappelte, erkannte Fitzjames, dass es sich um einen der Heizer handelte, die die Dampfmaschine des Schiffes mit Kohle versorgten. Der Heizer trug trotz der frostigen Temperaturen im Schiff kein Hemd und hatte ein schweres Schlachtermesser in der Hand, das er sich in der Kombüse besorgt haben musste.
»Wo sind die Schlachtlämmer?«, schrie er und hob das Messer.
Ehe er zustechen konnte, parierte einer der königlichen Marineinfanteristen den Angriff mit dem Kolben seiner Muskete und traf den Heizer seitlich am Kopf. Das Messer schlug gegen eine Kiste, als der Mann zu Boden ging und mit blutendem Gesicht liegen blieb.
Fitzjames riss sich von dem bewusstlosen Heizer los und wandte sich an die Besatzungsmitglieder, die ihn umstanden. Müde, abgemagert und von der mangelhaften Kost ausgezehrt schauten ihn alle an, als warteten sie auf eine Anweisung von seiner Seite.
»Wir verlassen sofort das Schiff. Noch haben wir über eine Stunde Tageslicht. Wir schlagen uns zur Terror durch. Lieutenant, lassen Sie die Schlechtwetterausrüstung in die große Kabine bringen.«
»Wie viele Schlitten soll ich vorbereiten?«
»Keinen. Lassen Sie so viel Proviant einpacken, wie jeder Mann tragen kann, aber keine weitere Ausrüstung.«
»Ja, Sir«, erwiderte Fairholme, nahm zwei Männer mit und verschwand durch die Hauptluke. Tief im Laderaum des Schiffes lagerten Parkas, Stiefel und Handschuhe, die die Besatzung trug, wenn sie an Deck arbeitete oder mit Schlitten abseits des Schiffes auf Erkundung ging. Fairholme und seine Männer schleppten eilends Schlechtwetterausrüstung nach oben und schafften sie in die geräumige Offiziersmesse im Achterschiff.
Fitzjames begab sich in seine Kajüte, wo er einen Kompass, eine goldene Uhr und ein paar Briefe holte, die er an seine Familie geschrieben hatte. Er schlug das Logbuch auf und machte mit zittriger Hand einen letzten Eintrag, kniff dann niedergeschlagen die Augen zu und schloss das in Leder gebundene Buch. Die Marinetradition gebot, dass er das Logbuch mitzunehmen hatte, doch er legte es stattdessen auf eine Mappe mit Daguerreotypien in seinen Schreibtisch und schloss es ein.
Elf Besatzungsmitglieder, der bei Verstand gebliebene Überrest von ursprünglich achtundsechzig Mann, erwarteten ihn in der großen Kabine. Der Kommandant schlüpfte in einen Parka und ein Paar Stiefel, dann führte er seine Besatzung durch den Hauptaufgang nach oben. Sie stießen die Lukenabdeckung auf und stiegen aufs Oberdeck, wo sie den Elementen schutzlos ausgesetzt waren. Es war, als träten sie durch die Pforten einer eisigen Hölle.
Aus dem dunklen, dumpfigen Inneren des Schiffes kamen sie in eine beißende, knochenweiße Welt. Ein heulender Wind deckte die Männer mit einem Hagel aus Eiskristallen ein und fegte mit vierzig Grad Kälte über sie hinweg. In dem schwindelerregend wirbelnden Weiß konnte man Himmel und Erde, Oben und Unten nicht mehr voneinander unterscheiden. Fitzjames stemmte sich gegen die wilden Böen und tastete sich über das verschneite Oberdeck und ein Fallreep hinab aufs Packeis.
Eine halbe Meile entfernt saß das Schwesterschiff der Erebus, die HMS Terror, im gleichen Eisfeld fest. Doch der erbarmungslose Wind schränkte die Sicht auf ein paar wenige Meter ein. Wenn sie die Terror in dieser weißen Hölle verpassten, würden sie ziellos auf dem Eis umherwandern und sterben. Deshalb waren im Abstand von hundert Schritten hölzerne Markierungspfosten zwischen den Schiffen aufgestellt worden, doch unter diesen Witterungsbedingungen bedeutete es schon eine mörderische Herausforderung, die nächste Markierung zu finden.
Fitzjames zückte seinen Kompass und nahm eine Peilung auf zwölf Grad vor, denn in dieser Richtung lag, wie er wusste, die Terror. Das Schwesterschiff befand sich eigentlich genau östlich von ihnen, aber die Nähe des magnetischen Nordpols führte zu einer Kompassdeviation. Im Stillen betete er darum, dass sich das Packeis seit den letzten Peilungen nicht verschoben hatte, beugte sich dann über den Kompass und trottete in die von der Nadel gewiesene Richtung. Ein Seil wurde von Mann zu Mann weitergereicht, worauf sich der Trupp wie ein riesiger Tausendfüßler über das Eis bewegte.
Der junge Kommandant schlurfte mit gesenktem Kopf dahin, ohne den Blick vom Kompass zu wenden, während ihm der eisige Wind und der wehende Schnee im Gesicht brannten. Er zählte hundert Schritte ab, blieb stehen und blickte sich um. Erleichtert atmete er auf, als er inmitten der wattigen Wirbel die erste Markierung entdeckte. Er begab sich zu dem Pfosten, nahm eine weitere Peilung vor und marschierte zur nächsten Markierung. So schleppten sich die Männer von einem Pfosten zum nächsten und kletterten über Schneehügel, die sich oftmals bis zu zehn, zwölf Meter auftürmten. Fitzjames konzentrierte sich mit aller Kraft auf seinen Weg und verdrängte die Enttäuschung darüber, dass er sein Schiff einer Horde Wahnsinniger überlassen musste. Er war sich dessen nur zu sehr bewusst, dass es eine Frage des Überlebens war. Und das war alles, worauf es nach drei Jahren in der Arktis noch ankam.
Ein tiefes Donnern erschütterte seine Hoffnung: ein ohrenbetäubendes Geräusch, trotz des heulenden Windes. Es klang wie der Schuss einer großen Kanone, aber der Kommandant wusste, worum es sich handelte. Es rührte von dem Eis unter seinen Füßen her, das in dicken Schichten übereinanderlag, die sich regelmäßig zusammenzogen und ausdehnten.
Übersetzung: Oswald Olms
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2009 by Blanvalet Verlag,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Der Schrei gellte wie das Heulen eines weidwunden Dschungeltieres durch das Schiff, ein klagendes Jaulen, das wie ein Todesflehen klang. Eine zweite Stimme fiel in das Jammern ein, dann eine dritte, bis ein grausiger Chor durch die Dunkelheit hallte. Als die schaurigen Schreie verklangen, kehrte ein paar Sekunden lang eine bedrückende Stille ein, bis dann erneut ein Gepeinigter die Stimme erhob. Ein paar entfernt sitzenden Seeleuten, die noch halbwegs bei Sinnen waren, entgingen die Laute nicht. So beteten sie darum, dass ihnen ein leichterer Tod vergönnt sein möge.
Kommandant James Fitzjames hörte in seiner Kabine zu, während er so etwas wie einen silbrigen Felsbrocken in seinen Händen knetete. Er hielt sich das kalte, schimmernde Mineral vor die Augen und verfluchte seinen Glanz. Dieses Zeug, aus was immer es bestehen mochte, hatte allem Anschein nach dies Unheil über das Schiff gebracht. Schon bevor es an Bord geschafft worden war, hatte das Mineral den Pesthauch des Todes an sich gehabt. Zwei Besatzungsmitglieder in einem Walfangboot waren beim Transport der ersten Gesteinsproben über Bord gegangen und in den eisigen arktischen Gewässern binnen kürzester Zeit erfroren. Ein weiterer Seemann war bei einer Messerstecherei umgekommen, als er ein paar der Steine bei einem durchgedrehten Zimmermannsmaat gegen Tabak eintauschen wollte. Mittlerweile war in den letzten paar Wochen mehr als die Hälfte seiner Besatzung langsam, aber unaufhaltsam dem Wahnsinn anheimgefallen. Dass wir in diesem ewigen Winter festsitzen, ist zweifellos auch daran schuld, dachte er, aber diese Steine spielen gewiss ebenfalls eine Rolle.
Von einem lauten Klopfen an der Kabinentür wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Da er seine Kräfte sparen wollte, stand er nicht auf, sondern antwortete lediglich mit einem krächzenden »Ja?«.
Ein kleiner Mann in einem verdreckten Sweater, das Gesicht hager und schmutzig, öffnete die Tür.
»Käpt'n, ein oder zwei von denen versuchen wieder die Barrikade zu durchbrechen.« Es war der Quartiermeister des Schiffes, der dies mit schwerem schottischen Akzent meldete.
»Holen Sie Lieutenant Fairholme«, erwiderte Fitzjames, während er sich langsam erhob. »Er soll seine Männer zusammentrommeln.«
Fitzjames warf den Steinbrocken auf seine Koje und folgte dem Quartiermeister nach draußen. Sie stiegen einen dunklen, muffigen Niedergang hinab, der nur von ein paar mit Kerzen bestückten Laternen beleuchtet wurde. Als sie die Hauptluke passierten, verschwand der Quartiermeister, während Fitzjames weiter in Richtung Vorschiff ging. Kurz darauf blieb er vor einem großen Trümmerhaufen stehen, der ihm den Weg versperrte. Eine Unmenge von Fässern, Kisten und Tonnen war in dem Gang verkeilt und bis zu dem darüber liegenden Deck so aufgetürmt worden, dass all dies eine Barrikade zu den vorderen Abteilungen bildete. Irgendwo auf der anderen Seite des Hindernisses hörte man das Scharren der Kisten und das Schnauben der Männer.
»Sie machen sich schon wieder dran zu schaffen«, sagte ein schläfrig wirkender Seesoldat, der mit einer Steinschlossmuskete an dem Trümmerhaufen Wache stand. Der kaum neunzehn Jahre alte Posten hatte einen schmutzigen Bart, der wie Dornengestrüpp aus seinem Kinn wucherte.
»Wir überlassen ihnen das Schiff noch früh genug«, erwiderte Fitzjames mit müder Stimme.
Die hölzerne Leiter hinter ihnen knarrte, als drei Männer vom darunter liegenden Orlopdeck zur Hauptluke emporkletterten. Ein Schwall eisiger Luft zog durch den Gang, bis einer der Männer eine Segeltuchplane über die Luke zog. Ein ausgemergelter Mann in einer schweren wollenen Offiziersjacke trat aus dem Schatten und wandte sich an Fitzjames.
»Sir, der Waffenschrank ist nach wie vor gesichert«, meldete Lieutenant Fairholme, von dessen Mund beim Sprechen eine dichte Dampfwolke aufstieg. »Quartiermeister McDonald lässt die Männer in der großen Offizierskabine antreten.« Er hob eine kleine Perkussionspistole und fügte hinzu: »Wir haben drei Waffen für uns rausgeholt.«
Fitzjames nickte, während er die beiden anderen Männer betrachtete, ausgezehrt wirkende königliche Marineinfanteristen, die mit Musketen bewaffnet waren.
»Danke, Lieutenant. Geschossen wird nur auf meinen ausdrücklichen Befehl«, sagte der Kommandant leise.
Ein schriller Schrei ertönte hinter der Barriere, gefolgt von einem lauten Scheppern von Töpfen und Pfannen. Der Lärm wird immer wilder, dachte Fitzjames. Er konnte nur mutmaßen, was für Abscheulichkeiten auf der anderen Seite der Barrikade vor sich gingen.
»Sie werden zusehends gewalttätiger«, sagte der Lieutenant mit gedämpfter Stimme.
Fitzjames nickte grimmig. Als er sich zum Polarforschungsdienst gemeldet hatte, hätte er sich niemals vorstellen können, dass er einmal eine wahnsinnig gewordene Besatzung zur Räson bringen musste. Er war ein kluger und umgänglicher Mann, der bei der Royal Navy rasch aufgestiegen war und mit dreißig Jahren das Kommando über eine Korvette erhalten hatte. Jetzt, da er sechsunddreißig war und ums nackte Überleben kämpfte, stand der Offizier, der man einst als »bestaussehender Mann der Marine« bezeichnet hatte, vor seiner schwersten Prüfung.
Vielleicht war es gar nicht so überraschend, dass ein Teil der Besatzung den Verstand verloren hatte. Den arktischen Winter auf einem im Eis eingeschlossenen Schiff zu überleben, war eine furchtbare Herausforderung. Die Männer, die der Dunkelheit und erbarmungslosen Kälte monatelang ausgesetzt waren, saßen in den engen Verschlägen des Unterdecks fest, wo sie gegen Ratten, Platzangst und Einsamkeit kämpften und zudem unter Skorbut und Erfrierungen litten. Einen Winter zu überstehen war schon schwer genug, aber Fitzjames' Besatzung brachte gerade den dritten arktischen Winter in Folge hinter sich, und ihr Leiden wurde durch Nahrungs- und Brennstoffknappheit noch verschlimmert. Der vorzeitige Tod von Sir John Franklin, dem Leiter der Expedition, trug ein Weiteres dazu bei, dass ihre Zuversicht schwand.
Doch Fitzjames wusste, dass noch etwas wesentlich Unheilvolleres am Werk war. Als sich ein Bootsmannsmaat die Kleider vom Leib riss, aufs Oberdeck stieg und schreiend über das Treibeis rannte, hätte man dies als einen einzelnen Fall von geistiger Umnachtung abtun können. Aber als drei Viertel der Besatzung anfingen, im Schlaf zu brüllen, teilnahmslos umhertorkelten, unverständliches Zeug vor sich hin brabbelten und unter Hirngespinsten litten, wurde ihm klar, dass noch etwas anderes im Spiel war. Als die Betroffenen allmählich immer gewalttätiger wurden, ließ Fitzjames sie heimlich ins Vorschiff bringen und unter Quarantäne stellen.
»Irgendetwas auf dem Schiff treibt sie in den Wahnsinn«, sagte Fairholme leise, als könnte er Fitzjames' Gedanken lesen.
Fitzjames wollte gerade nicken, als eine kleine Kiste über die Barrikade geflogen kam und ihn beinahe am Kopf getroffen hätte. Das fahle Gesicht eines ausgezehrten Mannes, dessen Augen im flackernden Kerzenschein rot glühten, tauchte in dem Spalt zwischen Barriere und Oberdeck auf. Rasch zwängte er sich durch die Lücke und stürzte dann die Barrikade herab. Als sich der Mann wieder aufrappelte, erkannte Fitzjames, dass es sich um einen der Heizer handelte, die die Dampfmaschine des Schiffes mit Kohle versorgten. Der Heizer trug trotz der frostigen Temperaturen im Schiff kein Hemd und hatte ein schweres Schlachtermesser in der Hand, das er sich in der Kombüse besorgt haben musste.
»Wo sind die Schlachtlämmer?«, schrie er und hob das Messer.
Ehe er zustechen konnte, parierte einer der königlichen Marineinfanteristen den Angriff mit dem Kolben seiner Muskete und traf den Heizer seitlich am Kopf. Das Messer schlug gegen eine Kiste, als der Mann zu Boden ging und mit blutendem Gesicht liegen blieb.
Fitzjames riss sich von dem bewusstlosen Heizer los und wandte sich an die Besatzungsmitglieder, die ihn umstanden. Müde, abgemagert und von der mangelhaften Kost ausgezehrt schauten ihn alle an, als warteten sie auf eine Anweisung von seiner Seite.
»Wir verlassen sofort das Schiff. Noch haben wir über eine Stunde Tageslicht. Wir schlagen uns zur Terror durch. Lieutenant, lassen Sie die Schlechtwetterausrüstung in die große Kabine bringen.«
»Wie viele Schlitten soll ich vorbereiten?«
»Keinen. Lassen Sie so viel Proviant einpacken, wie jeder Mann tragen kann, aber keine weitere Ausrüstung.«
»Ja, Sir«, erwiderte Fairholme, nahm zwei Männer mit und verschwand durch die Hauptluke. Tief im Laderaum des Schiffes lagerten Parkas, Stiefel und Handschuhe, die die Besatzung trug, wenn sie an Deck arbeitete oder mit Schlitten abseits des Schiffes auf Erkundung ging. Fairholme und seine Männer schleppten eilends Schlechtwetterausrüstung nach oben und schafften sie in die geräumige Offiziersmesse im Achterschiff.
Fitzjames begab sich in seine Kajüte, wo er einen Kompass, eine goldene Uhr und ein paar Briefe holte, die er an seine Familie geschrieben hatte. Er schlug das Logbuch auf und machte mit zittriger Hand einen letzten Eintrag, kniff dann niedergeschlagen die Augen zu und schloss das in Leder gebundene Buch. Die Marinetradition gebot, dass er das Logbuch mitzunehmen hatte, doch er legte es stattdessen auf eine Mappe mit Daguerreotypien in seinen Schreibtisch und schloss es ein.
Elf Besatzungsmitglieder, der bei Verstand gebliebene Überrest von ursprünglich achtundsechzig Mann, erwarteten ihn in der großen Kabine. Der Kommandant schlüpfte in einen Parka und ein Paar Stiefel, dann führte er seine Besatzung durch den Hauptaufgang nach oben. Sie stießen die Lukenabdeckung auf und stiegen aufs Oberdeck, wo sie den Elementen schutzlos ausgesetzt waren. Es war, als träten sie durch die Pforten einer eisigen Hölle.
Aus dem dunklen, dumpfigen Inneren des Schiffes kamen sie in eine beißende, knochenweiße Welt. Ein heulender Wind deckte die Männer mit einem Hagel aus Eiskristallen ein und fegte mit vierzig Grad Kälte über sie hinweg. In dem schwindelerregend wirbelnden Weiß konnte man Himmel und Erde, Oben und Unten nicht mehr voneinander unterscheiden. Fitzjames stemmte sich gegen die wilden Böen und tastete sich über das verschneite Oberdeck und ein Fallreep hinab aufs Packeis.
Eine halbe Meile entfernt saß das Schwesterschiff der Erebus, die HMS Terror, im gleichen Eisfeld fest. Doch der erbarmungslose Wind schränkte die Sicht auf ein paar wenige Meter ein. Wenn sie die Terror in dieser weißen Hölle verpassten, würden sie ziellos auf dem Eis umherwandern und sterben. Deshalb waren im Abstand von hundert Schritten hölzerne Markierungspfosten zwischen den Schiffen aufgestellt worden, doch unter diesen Witterungsbedingungen bedeutete es schon eine mörderische Herausforderung, die nächste Markierung zu finden.
Fitzjames zückte seinen Kompass und nahm eine Peilung auf zwölf Grad vor, denn in dieser Richtung lag, wie er wusste, die Terror. Das Schwesterschiff befand sich eigentlich genau östlich von ihnen, aber die Nähe des magnetischen Nordpols führte zu einer Kompassdeviation. Im Stillen betete er darum, dass sich das Packeis seit den letzten Peilungen nicht verschoben hatte, beugte sich dann über den Kompass und trottete in die von der Nadel gewiesene Richtung. Ein Seil wurde von Mann zu Mann weitergereicht, worauf sich der Trupp wie ein riesiger Tausendfüßler über das Eis bewegte.
Der junge Kommandant schlurfte mit gesenktem Kopf dahin, ohne den Blick vom Kompass zu wenden, während ihm der eisige Wind und der wehende Schnee im Gesicht brannten. Er zählte hundert Schritte ab, blieb stehen und blickte sich um. Erleichtert atmete er auf, als er inmitten der wattigen Wirbel die erste Markierung entdeckte. Er begab sich zu dem Pfosten, nahm eine weitere Peilung vor und marschierte zur nächsten Markierung. So schleppten sich die Männer von einem Pfosten zum nächsten und kletterten über Schneehügel, die sich oftmals bis zu zehn, zwölf Meter auftürmten. Fitzjames konzentrierte sich mit aller Kraft auf seinen Weg und verdrängte die Enttäuschung darüber, dass er sein Schiff einer Horde Wahnsinniger überlassen musste. Er war sich dessen nur zu sehr bewusst, dass es eine Frage des Überlebens war. Und das war alles, worauf es nach drei Jahren in der Arktis noch ankam.
Ein tiefes Donnern erschütterte seine Hoffnung: ein ohrenbetäubendes Geräusch, trotz des heulenden Windes. Es klang wie der Schuss einer großen Kanone, aber der Kommandant wusste, worum es sich handelte. Es rührte von dem Eis unter seinen Füßen her, das in dicken Schichten übereinanderlag, die sich regelmäßig zusammenzogen und ausdehnten.
Übersetzung: Oswald Olms
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2009 by Blanvalet Verlag,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Clive Cussler, Dirk Cussler
Cussler, CliveSeit er 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand, ist jeder Roman von Clive Cussler ein New-York-Times-Bestseller. Auch auf der deutschen Spiegel-Bestsellerliste ist jeder seiner Romane vertreten. 1979 gründete er die reale NUMA, um das maritime Erbe durch die Entdeckung, Erforschung und Konservierung von Schiffswracks zu bewahren. Er lebt in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados.
Cussler, Dirk
Dirk Cussler arbeitete nach seinem Studium in Berkeley viele Jahre lang in der Finanzwelt, bevor er sich hauptberuflich dem Schreiben widmete. Darüber hinaus nahm er an mehreren der über achtzig Expeditionen der NUMA teil.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Clive Cussler , Dirk Cussler
- 2011, 506 Seiten, Maße: 11,5 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Olms, Oswald
- Übersetzer: Oswald Olms
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442374693
- ISBN-13: 9783442374694
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