Rabensturm
Märchenerzähler Mahmut fesselt seine Zuhörer mit der atemberaubenden Geschichte von Omar und Melikae, einem ungleichen Liebespaar. Denn Omar, ein ehemaliger Sklave, der zum Krieger des Kalifen aufgestiegen ist, muss seine Geliebte retten. Eine gefährliche...
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Märchenerzähler Mahmut fesselt seine Zuhörer mit der atemberaubenden Geschichte von Omar und Melikae, einem ungleichen Liebespaar. Denn Omar, ein ehemaliger Sklave, der zum Krieger des Kalifen aufgestiegen ist, muss seine Geliebte retten. Eine gefährliche Mission, denn die Tänzerin geriet in die Fänge eines Schwarzmagiers.
Dies ist die atemberaubende Geschichte des Sklaven Omar, der mit der Tochter seines Herrn in die Wüste flieht - verfolgt von einem finsteren Magier, der nicht eher ruhen wird, bis er Omar für diesen Frevel bestraft hat ...
Rabensturm vonBernhard Hennen
LESEPROBE
Lichtstrahlen stachen wie goldeneSpeere durch die Löcher in den Sonnensegeln und durchzogen das Zwielicht derengen Gasse mit einem gleißenden Gitterwerk. Die Sonne stand jetzt im Zenitüber den weiß gekalkten Häusern der großen Stadt. Und es war ruhig, wie immerzur Mittagszeit. Die Hitze duldete keine Bewegung und keinen Laut. Mensch undTier hatten sich in die Schatten zurückgezogen und warteten darauf, dass dieSonne weiter zum Horizont wanderte. Die Basare waren fast menschenleer. Nur einalter Mann irrte durch die engen Gassen, die noch vor einer Stunde vor Lebenpulsiert hatten. Müde setzte er einen Fuß vor den anderen und stützte sichdabei schwer auf einen Wanderstab, an dem mit einer Lederschnur die flacheHolzschale des Bettlers befestigt war.
Für einen Augenblick verharrte derAlte und wischte sich mit dem Ärmel seines weit geschnittenen Kaftans denSchweiß von der Stirn. Es war offensichtlich, dass dieses prächtige, mitSilberfäden durchwirkte Kleidungsstück nicht schon immer ihm gehört hatte. Anden Säumen war es mit verschlungenen aufgesticktenOrnamenten verziert. Doch der Kaftan hatte schon bessere Tage erlebt. Derdunkelblaue Stoff war abgewetzt und an den Ärmeln so dünn, dass die Ellenbogendes Alten hindurchschimmerten. Schnaufend hatte sich der Mann wieder inBewegung gesetzt und bog jetzt in dem unübersichtlichen Gewirr von Gässchen,das jedem Fremden wie ein Labyrinth erscheinen musste, nach links ab, um denBasar der Kupferschmiede zu betreten.
Hier und da funkelte es rötlich ausdem Zwielicht, wo ein Sonnenstrahl auf eine der Metallarbeiten fiel. Große rundeTeller, auf denen in reicheren Häusern am Abend Berge von Reis und Gemüseaufgetürmt wurden, lagen auf den Holzbänken der Händler und Schmiede und botensich jedem Vorübergehenden mit dem Versprechen an, auch in die bescheidensteLehmhütte einen Hauch von Wohlstand zu bringen. Daneben standen Öllampen, feinziseliert oder bar jeden Schmucks, hier schlank und länglich, dort üppig undausladend. Doch auch banalere Dinge stapelten sich in den Auslagen.Türbeschläge und Nägel, Schlüssel und schlichter Schmuck für all jene, die essich nicht leisten konnten, kostbarere Metalle als Kupfer zu tragen.
Wieder machte der Alte eine Pauseund schöpfte Luft. Es war schwer zu schätzen, wie viele Sommer der Mann schonerlebt haben mochte. Sein Gesicht war von der Sonne verbrannt und so dunkel,dass es im Zwielicht fast schon schwarz wirkte. In sonderbarem Kontrast dazu standder dünne schlohweiße Bart, der ihm vom Kinn bis weit auf die Brusthinabreichte.
Das Alter hatte den Bettlerausgezehrt. Seine Waden, die unter dem Kaftan hervorstachen, waren fast so dürrund sehnig wie die Beine einer Wüstengazelle. So wirkte der Alte, obwohl er umeiniges größer war als die meisten anderen Männer aus den Völkern der Tulamiden, keineswegs einschüchternd, sondernzerbrechlich.
Nach kurzer Pause schlurfte erweiter. Vorbei an den Ständen der Kupferschmiede zu den Teppichwebern und Färbern.Plötzlich zerriss eine Kinderstimme die Stille der Mittagshitze.
»Mahmud ist wieder da! Seht nur, erist wirklich zurückgekommen!« Für einen Augenblickspielte ein Lächeln um die Mundwinkel des alten Mannes. Er betrachtete mitgroßer Aufmerksamkeit einen Stapel bunter Teppiche, der sich unmittelbarneben der Eingangstür eines der weiß gekalkten Lehmhäuser türmte.
Mit einem Seufzer der Erleichterungließ er sich darauf nieder, lehnte sich gegen die warme Hauswand und schlossdie Augen. Es war schwer, alt zu werden. Nichts, was einem Rastullahschenkte, hatte Bestand. Etwas wehmütig dachte er an frühere Zeiten. An seineJugend und seine Kraft, die er damals für so selbstverständlich gehaltenhatte.
Sanft schüttelte er den Kopf und sahauf. Eine Schar Kinder mit schwarzen Haaren und großen Augen hatte ihn umringt.
»Erzählst du uns wieder eineGeschichte?«
Der Junge, der ihn gefragt hatte,mochte höchstens vier Jahre alt sein. Die anderen hatten ihn ein wenig vorgeschoben,so als sei von vornherein ausgemacht gewesen, dass er und kein anderer dieFrage stellen sollte.
Der Alte lächelte und strich sich ingespielt würdevoller Geste, als sei er der Großwesir des Kalifen, über denBart.
»Gern werde ich Euch Eure Wünscheerfüllen, mein Prinz. Doch zuerst fragt Euren Mundschenk, ob er nicht einenTropfen Wein und eine Schale voll Obst erübrigen kann, denn ich bin weitgereist, und meine Kehle ist fast so trocken wie der Salzsee vor Unau.«
Die Kinder lachten laut auf, nur derkleine Junge blickte hilflos zu Boden, als überlege er fieberhaft, wo er zusammenstehlen könnte, worum der Bettler ihn gebeten hatte.
»Nimmsdir nicht zu Herzen, mein Kleiner.« Der Fremdestreckte die dürre Hand aus und strich dem Jungen über die schwarzen Locken.»Das war doch nur ein Spaß. Wenn du mir einen Schluck Wasser und ein StückMelone oder eine andere Kleinigkeit besorgen könntest, dann hättest du michdamit schon mehr als zufriedengestellt.«
Mahmud blickte in die Runde. »Ihranderen solltet auch nicht untätig herumstehen. Wenn ihr eine gute Geschichtehören wollt, dann schaut nach, was ihr aus den Vorratskammern eurer Müttermausen könnt, denn ein halb verhungerter Märchenerzähler ist so schwach bei Stimme,dass es wahrlich keine Freude sein wird, ihm zuzuhören.«
Eilig verschwanden die Kinder inHinterhöfe und schattige Hauseingänge. Ihre Stimmen und ihr ausgelassenes Lachenverklangen. Nur das Geschrei eines Esels irgendwo im Labyrinth des Basarsdurchbrach die Stille. Müde ließ der alte Mann den Kopf gegen die Hauswandsinken und schloss erneut die Lider.
Irgendetwas stieß gegen seinen Arm.Zuerst war es nur ein undeutliches Gefühl, und Mahmud wusste nicht recht, obder leichte Knuff nicht zu seinem Traum gehört hatte. Doch dann wurde dasTraumbild des Gartens unscharf. Das Plätschern des Brunnens verklang
Mahmud öffnete die Augen. Geradehatte ihn sein kleiner Freund wieder leicht gegen den Arm gestoßen, undirgendwo sagte jemand: »Seht ihr, er hat doch nur geschlafen.«
Blinzelnd schaute sich der Bettlerum. Ein Krug voll frischen Brunnenwassers und ein kleiner Becher aus Ton standenvor ihm auf dem Teppich. Außerdem hatte man ihm eine flache hölzerne Schale miteinem Apfel, einem halben Brotfladen und ein paar getrocknete Feigen gebracht.Genug, um über zwei Tage zu kommen, wenn man genügsam war.
Jetzt waren nicht mehr nur Kinderunter seinen erwartungsvollen Zuhörern. Auch einige Frauen standen im Hintergrundund gaben sich alle Mühe, sehr beschäftigt zu wirken. Doch Mahmud wusste genau,wenn er erst einmal mit seiner Geschichte begonnen hätte, würden auch sie sichbald zu ihm setzen und seinen Worten lauschen.
»Ich hab dir auch etwas besorgt.« Der kleine Junge, der ihn geweckt hatte, trat vorAufregung von einem Bein auf das andere. Mit der Rechten versteckte er etwashinter dem Rücken.
»Und, darf ich sehen, was du da vormir verbirgst?« Der Kleine zögerte kurz, dann zog erstolz eine halbe Honigmelone hervor.
»Beim Barte meines Oheims! Wo hastdu denn dieses Prachtstück aufgetrieben?«
Der alte Mann griff nach der gelbenMelone, schnupperte daran und verdrehte lustvoll die Augen, so als hätte geradedie berühmteste aller Sharisad nur für ihn getanzt.
Die Kinder kicherten.
»Wo hast du denn diese vollkommenstealler Melonen hergenommen, die jemals unter RastullahsAugen gedieh?«
Der Kleine blickte verlegen zu Bodenund musterte seine nackten Zehen.
»Nun, mir kannst du es doch sagen.Flüstere es mir ruhig ins Ohr, dann bleibt es ein Geheimnis zwischen uns beiden,und keiner deiner Freunde hier kann dich verraten.«
Noch einen Herzschlag lang zögerteder Junge. Doch dann beugte er sich vor und flüsterte leise: »Mein Vater solltesie zum Abendessen bekommen Aber er ist ohnehin schon so dick wie ein Eunuchim Harem des Sultans Ich glaube, er wird es nicht merken, wenn sie fehlt.«
»So, so « Mahmud hatte sich wiederzurückgelehnt und strich sich über den Bart. »Aus dem Garten der ungläubigenSonnenanbeter hast du sie gestohlen, jener närrischen Priester, die nicht anden Einen glauben, sondern in ihren verdrehten Reden behaupten, gleich zwölfGötter würden über unser Schicksal wachen.«
Ein Raunen ging durch die Reihen derKinder. Mit großen Augen und offenen Mündern bestaunten sie ihren Spielkameraden.
»Das war eine edle Tat! Ich finde,diese Götzenanbeter haben eine so vollendete Frucht nicht verdient. Weil du aberso viel Mut gezeigt hast, sollst du hier neben mir sitzen, wenn ich dasMärchen erzähle, mein Freund.«
Mahmud stutzte.
»Sag, wie heißt du eigentlich?«
»Omar«, antwortete der Kleineschüchtern.
»Gut, Omar, dann nimm jetzt denEhrenplatz zu meiner Rechten ein. Und nun geduldet euch bitte noch einen Augenblickund lasst mich von den köstlichen Leckereien probieren, die ihr mir sogroßzügig überlassen habt.«
Mahmud zog ein schartiges altesMesser aus den Falten seines Kaftans hervor und schnitt die Melone in vier Stücke.Wer mochte schon wissen, ob nicht jeden Augenblick Omars Vater erschien, umzurückzufordern, was ihm gehörte? Allein, was er einmal gegessen hatte, könnteihm niemand mehr nehmen.
Geduldig sahen die Kinder ihm zu,bis Mahmud sein Mahl vollendet hatte. Der alte Mann wischte sich zufrieden mitdem Ärmel des Kaftans über den Mund.
» und nun sagt mir, was für eineGeschichte ihr hören möchtet.«
»Es soll ein mutiger Kriegervorkommen. Erzähl uns von den stolzen Wüstenreitern, die die AlAnfaner vertrieben haben.«
»Nein, es soll ein Märchen sein mit einer Prinzessin und einem Prinzen, der sie auf seinem prächtigenHengst, einem weißen Shadif, holen kommt « Ein kleinesMädchen mit geflicktem Kittel schaute erwartungsvoll zu Mahmud auf.
»Nein, keine langweiligeLiebesgeschichte«, grölten einige Jungen. »Wir wollen ein Abenteuer und keinerfundenes Märchen.«
»Erzähl von einem Zauberer und einemSchatz «
Mahmud breitete die Arme aus. »Gut,gut, meine kleinen Freunde. Ich fürchte, es wird schwierig, alle eure Wünsche aufeinmal zu erfüllen.«
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© Heyne Verlag
- Autor: Bernhard Hennen
- 2007, Überarb. Neuausg., 909 Seiten, Maße: 11,7 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453523172
- ISBN-13: 9783453523173
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