Revenge - Eiskalte Täuschung
Ein neuer Fall für Special Agent Pendergast. Thriller
Als Agent Pendergast den mysteriösen Tod seiner Frau Helen aufzuklären versucht, stellt er fest: Sie lebt!
Doch dieser (an sich erfreuliche) Schock bringt Pendergast unmittelbar in höchste Lebensgefahr! Von einer Sekunde...
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Produktinformationen zu „Revenge - Eiskalte Täuschung “
Als Agent Pendergast den mysteriösen Tod seiner Frau Helen aufzuklären versucht, stellt er fest: Sie lebt!
Doch dieser (an sich erfreuliche) Schock bringt Pendergast unmittelbar in höchste Lebensgefahr! Von einer Sekunde zur anderen gerät Pendergasts Welt ins Wanken: Was steckt hinter dem eiskalten Täuschungsmanöver? Wer liegt wirklich in Helens Grab? Warum setzt Helens Bruder alles daran, Pendergast auszuschalten? Unter Hochdruck beginnt der Agent zu ermitteln und findet die Spur einer skrupellosen Bruderschaft. Erstmals droht der sonst kühle Pendergast die Kontrolle über sich zu verlieren - mit unabsehbaren Folgen.
Lese-Probe zu „Revenge - Eiskalte Täuschung “
Revenge - Eiskalte Täuschung von Douglas Preston und Lincoln Child1
Cairn Barrow, Schottland
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Während sie die kahle Flanke des Beinn Dearg hinaufstiegen, verlor sich das große, aus Feldstein erbaute Jagdhotel Kilchurn Lodge in der Dunkelheit, bis nur noch das sanfte gelbliche Licht hinter den Fenstern durch den dunstigen Nebel drang. Als Judson Esterhazy und Special Agent Aloysius Pendergast auf der Kuppe ankamen, blieben sie stehen, schalteten ihre Taschenlampen aus und horchten. Es war fünf Uhr morgens, das allererste Licht des Tages, kurz bevor die Rothirsche zu röhren begannen.
Keiner der beiden Männer sagte ein Wort. Der Wind strich säuselnd durch die Gräser und pfiff um die durch Frost rissig gewordenen Felsen. Sie warteten, doch nichts rührte sich.
»Wir sind früh dran«, sagte Esterhazy schließlich. »Kann sein«, antwortete Pendergast leise.
Reglos standen sie da, während im äußersten Osten ein leichter grauer Lichtschein am Horizont heraufzog, der die kargen Gipfel der Grampian Mountains wie Silhouetten erscheinen ließ und die Umgebung in ein fahles Licht tauchte. Langsam begann die Landschaft, sich aus dem Dunkel abzuzeichnen. Die von schweren und stummen Tannen umstandene Lodge lag weit hinter ihnen, die Türmchen und dicken Steinmauern waren von Nässe überzogen. Vor den beiden Männern erhoben sich die granitenen Berghänge des Beinn Dearg und verschwanden in der darüberliegenden Dunkelheit aus dem Blickfeld. Ein Bergbach floss die Hänge hinab und verwandelte sich in eine Reihe von Wasserfällen, die sich ins dunkle Wasser des dreihundert Meter unter ihnen gelegenen Loch an Duin ergossen, der in dem trüben Licht kaum sichtbar war. Zu ihrer Rechten und unterhalb von ihnen lag der Beginn einer ausgedehnten, als Foulmire, oder kurz: Mire, bekannten Moorlandschaft. Sie war überzogen von aufsteigenden Nebelschwaden, die den schwachen Geruch von Verwesung und Sumpfgas, vermischt mit dem unangenehmen Odeur verblühter Heide, zu ihnen heraufwehten.
Wortlos schulterte Pendergast wieder sein Jagdgewehr und ging, der Kontur des Berghangs folgend, leicht bergauf. Esterhazy folgte dichtauf, seine Gesichtszüge waren vom Deerstalker-Hut verdeckt und unergründlich. Je höher sie stiegen, desto deutlicher kam das Foulmire in Sicht. Begrenzt wurde das tückische Moor, das sich nach Westen bis zum Horizont erstreckte, von der glatten, dunklen Wasserfläche der ausgedehnten Insh-Marsch.
Nach einigen Minuten blieb Pendergast stehen und hob die Hand.
»Was ist denn?«, fragte Esterhazy.
Die Frage wurde beantwortet, allerdings nicht von Pendergast, sondern von einem seltsamen Laut, fremdartig und furchterregend, der aus einem nicht einsehbaren Glen heraufschallte: das Röhren eines brünftigen Rothirschs. Das Echo hallte über die Berge und Marschen wie der verlorene Schrei der Verdammten. Ein Laut voller Zorn und Angriffslust, der immer dann erklang, wenn die Hirsch böcke über die Fells und Moore zogen und oftmals bis zum Tode um den Besitz eines Harems von Hirschkühen kämpften.
Das Röhren wurde von einem zweiten beantwortet, das vom Ufer des Loch heraufschallte, und dann erhob sich in einem fernen Tal ein weiterer Ruf. Dröhnend erklang das brünftige Röhren der Hirsche, eines nach dem anderen, über die weite Landschaft. Die beiden Männer horchten schweigend, merkten sich jedes einzelne Röhren und bestimmten dessen Richtung, Timbre und Kraft.
Schließlich sagte Esterhazy, dessen Stimme in dem scharfen Wind kaum zu hören war: »Der in dem Glen, das ist der Riese.«
Keine Antwort von Pendergast.
»Ich würde vorschlagen, den schnappen wir uns.«
»Der im Foulmire«, sagte Pendergast leise, »ist noch größer.«
Stille.
»Du kennst doch die Vorschrift für die Jagd hier. Das Betreten des Mire ist verboten.«
Pendergast machte eine kurze, abfällige Handbewegung. »Ich bin keiner, der sich immer an die Vorschriften hält. Du etwa?«
Esterhazy verkniff sich eine Antwort.
Sie warteten. Plötzlich verfärbte sich im Osten die Morgendämmerung rot, und das Sonnenlicht zog langsam über die karge Landschaft der Highlands. Tief unter ihnen wirkte das Foulmire jetzt wie eine Wüste aus schwarzen Sumpflöchern und sumpfigen Wasserläufen, Schwingrasenmooren und Treibsandflächen, unterbrochen von trügerischen grasbedeckten Wiesen und Tors, Hügel aus schroffem, auseinandergebrochenem Granitfels. Pendergast zog ein kleines Fernglas aus der Tasche und ließ den Blick über das Mire schweifen. Nach einer Weile reichte er das Fernglas Esterhazy. »Er steht zwischen dem zweiten und dritten Tor, achthundert Meter im Moor. Ein Einzelgänger. Kein Harem.«
Esterhazy blickte durchs Glas. »Sieht aus wie ein Zwölfender.«
»Dreizehnender«, murmelte Pendergast.
»Die Pirsch auf den im Glen wäre viel leichter. Dort hätten wir mehr Deckung. Ich bezweifle, dass wir auch nur die geringste Aussicht haben, den im Mire zu erwischen. Einmal abgesehen von dem, äh, Risiko, dort reinzugehen, sieht der uns doch schon auf eine Meile Entfernung.«
»Wir nähern uns auf einer Sichtlinie, die durch den zweiten Tor verläuft, so dass der Felshügel zwischen uns und dem Hirsch liegt. Der Wind steht günstig für uns.« »Kann sein, aber in dem Sumpfgebiet da unten gibt es jede Menge tückische Flächen.«
Pendergast drehte sich zu Esterhazy um und schaute sekundenlang in dessen kultiviertes Gesicht mit der hohen Stirn. »Hast du etwa Angst, Judson?«
Esterhazy, der einen Augenblick lang überrascht wirkte, wischte die Frage mit einem gekünstelten Lachen beiseite. »Natürlich nicht. Aber ich überlege eben, welche Erfolgsaussichten wir haben. Warum wollen wir Zeit mit einer ergebnislosen Pirsch durchs Mire verschwenden, wenn uns da unten im Glen ein genauso kapitaler Bursche erwartet?« Ohne zu antworten, steckte Pendergast die Hand in die Hosentasche und zog eine Ein-Pfund-Münze heraus. »Kopf oder Zahl?«
»Kopf«, sagte Esterhazy widerstrebend.
Pendergast warf die Münze, fing sie auf und legte sie auf seinen Ärmel. »Zahl. Der erste Schuss gehört mir.«
Pendergast stieg als Erster die Flanke des Beinn Dearg hin unter. Es gab hier keinen Pfad, nur zerbrochene Felsen, kurzes Gras, winzige Wildblumen und Flechten. Während die Nacht dem Morgen wich, legten sich Nebelschwaden über das Moor, schwebten über die tiefliegenden Gebiete und strömten die kleinen Hügel und schroffen Felsen hinauf.
Leise und verstohlen gingen Pendergast und Esterhazy bis zum Rand des Sumpfs hinunter. Als sie am Fuß des Beinn auf einen Corrie, einen Gletschertopf, stießen, machte Pendergast Zeichen, dass sie stehen bleiben sollten. Rotwild besaß äußerst feine Sinne, weshalb sie enorm umsichtig vorgehen mussten, damit der Hirsch sie weder sah noch hörte oder roch.
Pendergast kroch auf allen vieren zum Rand des Gletschertopfs und spähte über dessen Rand hinweg.
Der Rothirsch befand sich ungefähr dreihundert Meter entfernt und schritt langsam in den Sumpf. Wie aufs Stichwort hob er den Kopf, schnüffelte und stieß abermals sein ohrenbetäubendes Röhren aus, das zwischen den Felsen widerhallte und erstarb, dann schüttelte er seine Mähne und begann erneut, am Boden zu schnüffeln und zu grasen. »Mein Gott«, flüsterte Esterhazy, »was für ein kapitaler Bursche.«
»Wir müssen uns beeilen«, sagte Pendergast leise. »Er geht weiter in den Sumpf.«
Unterhalb des Rands des Gletschertopfs machten sie kehrt und hielten sich außer Sichtweite, bis der Hirsch sich auf einer Linie mit einem Tor befand. Dann wandten sie sich um und pirschten sich an die Beute an, wobei sie den kleinen Felshügel als Deckung nutzten. Nach dem langen Sommer war der Boden in der Randzone des Mire einigermaßen fest, und Pendergast und Esterhazy bewegten sich schnell und leise, wobei ihnen kleine Erhebungen aus weichem Gras als Trittsteine dienten. Schließlich gelangten sie an die vom Wind abgewandte Seite des Felshügels und gingen dahinter in die Hocke. Der Wind begünstigte
sie immer noch. Erneut hörten sie den Hirsch röhren -das Zeichen, dass er sie nicht gewittert hatte. Pendergast
erschauderte, denn das Röhren ähnelte beim Ausklang auf unheimliche Weise dem Gebrüll eines Löwen. Er signalisierte Esterhazy, hinter dem Hügel zu bleiben, kroch den Hang hinauf und spähte vorsichtig zwischen einer Gruppe von Felsblöcken hindurch.
Der Rothirsch stand dreihundert Meter entfernt, hielt die Nase in die Luft und bewegte sich unruhig. Wieder schüttelte er die Mähne, das gefegte Geweih schimmerte. Er hob den Kopf und röhrte erneut. Ein Dreizehnender, mit mindestens einem Meter Geweihstangenlänge. Eigenartig, dass der Hirsch so spät in der Brunftzeit noch keinen größeren Harem um sich geschart hatte. Aber manche Hirsche waren eben Einzelgänger.
Pendergast und Esterhazy standen noch zu weit entfernt, um einen treffsicheren Schuss abgeben zu können. Ein einigermaßen guter Schuss würde nicht genügen; sie durften es auf keinen Fall riskieren, ein Tier von diesem Kaliber zu verwunden. Es musste ein Blattschuss sein.
Pendergast kroch den Hügel wieder hinunter, zurück zu Esterhazy. »Er ist dreihundert Meter weg, das ist zu weit.« »Genau das hatte ich befürchtet.«
»Er ist enorm selbstsicher«, sagte Pendergast. »Weil niemand im Foulmire jagt, ist er nicht so aufmerksam, wie er es sein sollte. Der Wind bläst uns ins Gesicht, der Hirsch bewegt sich von uns fort - ich denke, wir können eine offene Pirsch wagen.«
Esterhazy schüttelte den Kopf. »Da vorn sieht der Boden ziemlich tückisch aus.«
Pendergast deutete auf eine sandige Fläche unmittelbar neben ihrem Versteck, dort war die Fährte des Rothirschs zu erkennen. »Wir folgen seiner Fährte. Wenn sich jemand im Sumpf auskennt, dann er.«
Esterhazy streckte den Arm aus. »Geh du voran.«
Sie entsicherten ihre Gewehre, krochen hinter dem Tor hervor und setzten sich in Richtung des Hirschs in Bewegung. Und in der Tat, das Tier war abgelenkt, es roch den Luftstrom, der aus nördlicher Richtung kam, und achtete kaum darauf, was sich hinter ihm befand. Sein Schnüffeln und Röhren überdeckte die Geräusche, die Pendergast und Esterhazy auf ihrer Pirsch machten.
Sie rückten äußerst vorsichtig vor und verharrten jedesmal, wenn der Hirsch stehen blieb oder den Kopf wendete. Langsam begannen sie, ihn zu überholen. Der Hirsch schritt weiter ins Mire, offenbar einer Duftspur folgend. Sie gingen in völliger Stille weiter, sprachen kein einziges Wort, hielten sich geduckt, ihre Hochland-Tarnkleidung der sie umgebenden Moorlandschaft perfekt angepasst. Der Weg, den der Hirsch einschlug, folgte fast unsichtbaren Linien einigermaßen festen Bodens, schlängelte sich zwischen Teichen mit sirupartigem Sumpf, zitterndem Morast und grasbewachsenen Wattflächen hindurch. Ob nun wegen der wenig vertrauenerweckenden Bodenbeschaffenheit, der Jagd oder aus irgendeinem anderen Grund, es lag eine zunehmende Spannung in der Luft.
Allmählich kamen Pendergast und Esterhazy in Schussdistanz: hundert Meter. Abermals blieb der Hirsch stehen, wandte sich zur Seite, schnupperte die Luft. Mit kaum merklicher Handbewegung signalisierte Pendergast, dass sie anhalten sollten, und ging vorsichtig in eine liegende Stellung. Er holte die H&H 300 nach vorn, setzte das Fernrohr ans Auge und zielte sorgfältig. Esterhazy kauerte zehn Meter hinter ihm, reglos wie ein Fels.
Pendergast spähte durchs Zielfernrohr, nahm einen Punkt vor der Schulter des Tieres ins Visier, holte Luft und wollte abdrücken.
Da spürte er, wie ihn am Hinterkopf kalter Stahl berührte. »Tut mir leid, alter Junge«, sagte Esterhazy. »Halt das Gewehr mit einer Hand nach vorn und leg es hin. Langsam und ganz entspannt.«
Pendergast legte das Gewehr auf den Boden.
»Steh auf. Ganz langsam.«
Pendergast tat, wie ihm geheißen.
Esterhazy trat einen Schritt zurück und richtete seine Jagdwaffe auf den FBI-Agenten. Plötzlich stieß er ein Lachen aus, dessen rauher Klang über die Moorlandschaft hallte. Aus dem Augenwinkel sah Pendergast, wie der Hirsch erschrak, davonlief und schließlich im Nebel verschwand.
»Ich hatte gehofft, dass es nicht so weit kommen würde«, sagte Esterhazy. »Es ist schon verdammt tragisch, dass du auch nach zwölf Jahren keine Ruhe geben kannst.« Pendergast sagte kein Wort.
»Du fragst dich wahrscheinlich, worum es hier geht.« »Ehrlich gesagt, nein«, sagte Pendergast mit tonloser Stimme.
»Ich bin der Mann, nach dem du suchst. Der Unbekannte im Projekt Aves. Der, dessen Namen Charles Slade dir nicht nennen wollte.«
Keine Reaktion.
»Ich würde dir alles ja ausführlicher erklären, aber wozu? Ich mache das hier nicht gern. Aber dir ist sicher klar, dass es nicht persönlich gemeint ist.«
Immer noch keine Reaktion.
»Sag dein letztes Gebet, Schwager.«
Und dann hob Esterhazy langsam das Gewehr, zielte und drückte ab.
...
Übersetzung: Michael Benthack
© 2011 Droemer Verlag
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Während sie die kahle Flanke des Beinn Dearg hinaufstiegen, verlor sich das große, aus Feldstein erbaute Jagdhotel Kilchurn Lodge in der Dunkelheit, bis nur noch das sanfte gelbliche Licht hinter den Fenstern durch den dunstigen Nebel drang. Als Judson Esterhazy und Special Agent Aloysius Pendergast auf der Kuppe ankamen, blieben sie stehen, schalteten ihre Taschenlampen aus und horchten. Es war fünf Uhr morgens, das allererste Licht des Tages, kurz bevor die Rothirsche zu röhren begannen.
Keiner der beiden Männer sagte ein Wort. Der Wind strich säuselnd durch die Gräser und pfiff um die durch Frost rissig gewordenen Felsen. Sie warteten, doch nichts rührte sich.
»Wir sind früh dran«, sagte Esterhazy schließlich. »Kann sein«, antwortete Pendergast leise.
Reglos standen sie da, während im äußersten Osten ein leichter grauer Lichtschein am Horizont heraufzog, der die kargen Gipfel der Grampian Mountains wie Silhouetten erscheinen ließ und die Umgebung in ein fahles Licht tauchte. Langsam begann die Landschaft, sich aus dem Dunkel abzuzeichnen. Die von schweren und stummen Tannen umstandene Lodge lag weit hinter ihnen, die Türmchen und dicken Steinmauern waren von Nässe überzogen. Vor den beiden Männern erhoben sich die granitenen Berghänge des Beinn Dearg und verschwanden in der darüberliegenden Dunkelheit aus dem Blickfeld. Ein Bergbach floss die Hänge hinab und verwandelte sich in eine Reihe von Wasserfällen, die sich ins dunkle Wasser des dreihundert Meter unter ihnen gelegenen Loch an Duin ergossen, der in dem trüben Licht kaum sichtbar war. Zu ihrer Rechten und unterhalb von ihnen lag der Beginn einer ausgedehnten, als Foulmire, oder kurz: Mire, bekannten Moorlandschaft. Sie war überzogen von aufsteigenden Nebelschwaden, die den schwachen Geruch von Verwesung und Sumpfgas, vermischt mit dem unangenehmen Odeur verblühter Heide, zu ihnen heraufwehten.
Wortlos schulterte Pendergast wieder sein Jagdgewehr und ging, der Kontur des Berghangs folgend, leicht bergauf. Esterhazy folgte dichtauf, seine Gesichtszüge waren vom Deerstalker-Hut verdeckt und unergründlich. Je höher sie stiegen, desto deutlicher kam das Foulmire in Sicht. Begrenzt wurde das tückische Moor, das sich nach Westen bis zum Horizont erstreckte, von der glatten, dunklen Wasserfläche der ausgedehnten Insh-Marsch.
Nach einigen Minuten blieb Pendergast stehen und hob die Hand.
»Was ist denn?«, fragte Esterhazy.
Die Frage wurde beantwortet, allerdings nicht von Pendergast, sondern von einem seltsamen Laut, fremdartig und furchterregend, der aus einem nicht einsehbaren Glen heraufschallte: das Röhren eines brünftigen Rothirschs. Das Echo hallte über die Berge und Marschen wie der verlorene Schrei der Verdammten. Ein Laut voller Zorn und Angriffslust, der immer dann erklang, wenn die Hirsch böcke über die Fells und Moore zogen und oftmals bis zum Tode um den Besitz eines Harems von Hirschkühen kämpften.
Das Röhren wurde von einem zweiten beantwortet, das vom Ufer des Loch heraufschallte, und dann erhob sich in einem fernen Tal ein weiterer Ruf. Dröhnend erklang das brünftige Röhren der Hirsche, eines nach dem anderen, über die weite Landschaft. Die beiden Männer horchten schweigend, merkten sich jedes einzelne Röhren und bestimmten dessen Richtung, Timbre und Kraft.
Schließlich sagte Esterhazy, dessen Stimme in dem scharfen Wind kaum zu hören war: »Der in dem Glen, das ist der Riese.«
Keine Antwort von Pendergast.
»Ich würde vorschlagen, den schnappen wir uns.«
»Der im Foulmire«, sagte Pendergast leise, »ist noch größer.«
Stille.
»Du kennst doch die Vorschrift für die Jagd hier. Das Betreten des Mire ist verboten.«
Pendergast machte eine kurze, abfällige Handbewegung. »Ich bin keiner, der sich immer an die Vorschriften hält. Du etwa?«
Esterhazy verkniff sich eine Antwort.
Sie warteten. Plötzlich verfärbte sich im Osten die Morgendämmerung rot, und das Sonnenlicht zog langsam über die karge Landschaft der Highlands. Tief unter ihnen wirkte das Foulmire jetzt wie eine Wüste aus schwarzen Sumpflöchern und sumpfigen Wasserläufen, Schwingrasenmooren und Treibsandflächen, unterbrochen von trügerischen grasbedeckten Wiesen und Tors, Hügel aus schroffem, auseinandergebrochenem Granitfels. Pendergast zog ein kleines Fernglas aus der Tasche und ließ den Blick über das Mire schweifen. Nach einer Weile reichte er das Fernglas Esterhazy. »Er steht zwischen dem zweiten und dritten Tor, achthundert Meter im Moor. Ein Einzelgänger. Kein Harem.«
Esterhazy blickte durchs Glas. »Sieht aus wie ein Zwölfender.«
»Dreizehnender«, murmelte Pendergast.
»Die Pirsch auf den im Glen wäre viel leichter. Dort hätten wir mehr Deckung. Ich bezweifle, dass wir auch nur die geringste Aussicht haben, den im Mire zu erwischen. Einmal abgesehen von dem, äh, Risiko, dort reinzugehen, sieht der uns doch schon auf eine Meile Entfernung.«
»Wir nähern uns auf einer Sichtlinie, die durch den zweiten Tor verläuft, so dass der Felshügel zwischen uns und dem Hirsch liegt. Der Wind steht günstig für uns.« »Kann sein, aber in dem Sumpfgebiet da unten gibt es jede Menge tückische Flächen.«
Pendergast drehte sich zu Esterhazy um und schaute sekundenlang in dessen kultiviertes Gesicht mit der hohen Stirn. »Hast du etwa Angst, Judson?«
Esterhazy, der einen Augenblick lang überrascht wirkte, wischte die Frage mit einem gekünstelten Lachen beiseite. »Natürlich nicht. Aber ich überlege eben, welche Erfolgsaussichten wir haben. Warum wollen wir Zeit mit einer ergebnislosen Pirsch durchs Mire verschwenden, wenn uns da unten im Glen ein genauso kapitaler Bursche erwartet?« Ohne zu antworten, steckte Pendergast die Hand in die Hosentasche und zog eine Ein-Pfund-Münze heraus. »Kopf oder Zahl?«
»Kopf«, sagte Esterhazy widerstrebend.
Pendergast warf die Münze, fing sie auf und legte sie auf seinen Ärmel. »Zahl. Der erste Schuss gehört mir.«
Pendergast stieg als Erster die Flanke des Beinn Dearg hin unter. Es gab hier keinen Pfad, nur zerbrochene Felsen, kurzes Gras, winzige Wildblumen und Flechten. Während die Nacht dem Morgen wich, legten sich Nebelschwaden über das Moor, schwebten über die tiefliegenden Gebiete und strömten die kleinen Hügel und schroffen Felsen hinauf.
Leise und verstohlen gingen Pendergast und Esterhazy bis zum Rand des Sumpfs hinunter. Als sie am Fuß des Beinn auf einen Corrie, einen Gletschertopf, stießen, machte Pendergast Zeichen, dass sie stehen bleiben sollten. Rotwild besaß äußerst feine Sinne, weshalb sie enorm umsichtig vorgehen mussten, damit der Hirsch sie weder sah noch hörte oder roch.
Pendergast kroch auf allen vieren zum Rand des Gletschertopfs und spähte über dessen Rand hinweg.
Der Rothirsch befand sich ungefähr dreihundert Meter entfernt und schritt langsam in den Sumpf. Wie aufs Stichwort hob er den Kopf, schnüffelte und stieß abermals sein ohrenbetäubendes Röhren aus, das zwischen den Felsen widerhallte und erstarb, dann schüttelte er seine Mähne und begann erneut, am Boden zu schnüffeln und zu grasen. »Mein Gott«, flüsterte Esterhazy, »was für ein kapitaler Bursche.«
»Wir müssen uns beeilen«, sagte Pendergast leise. »Er geht weiter in den Sumpf.«
Unterhalb des Rands des Gletschertopfs machten sie kehrt und hielten sich außer Sichtweite, bis der Hirsch sich auf einer Linie mit einem Tor befand. Dann wandten sie sich um und pirschten sich an die Beute an, wobei sie den kleinen Felshügel als Deckung nutzten. Nach dem langen Sommer war der Boden in der Randzone des Mire einigermaßen fest, und Pendergast und Esterhazy bewegten sich schnell und leise, wobei ihnen kleine Erhebungen aus weichem Gras als Trittsteine dienten. Schließlich gelangten sie an die vom Wind abgewandte Seite des Felshügels und gingen dahinter in die Hocke. Der Wind begünstigte
sie immer noch. Erneut hörten sie den Hirsch röhren -das Zeichen, dass er sie nicht gewittert hatte. Pendergast
erschauderte, denn das Röhren ähnelte beim Ausklang auf unheimliche Weise dem Gebrüll eines Löwen. Er signalisierte Esterhazy, hinter dem Hügel zu bleiben, kroch den Hang hinauf und spähte vorsichtig zwischen einer Gruppe von Felsblöcken hindurch.
Der Rothirsch stand dreihundert Meter entfernt, hielt die Nase in die Luft und bewegte sich unruhig. Wieder schüttelte er die Mähne, das gefegte Geweih schimmerte. Er hob den Kopf und röhrte erneut. Ein Dreizehnender, mit mindestens einem Meter Geweihstangenlänge. Eigenartig, dass der Hirsch so spät in der Brunftzeit noch keinen größeren Harem um sich geschart hatte. Aber manche Hirsche waren eben Einzelgänger.
Pendergast und Esterhazy standen noch zu weit entfernt, um einen treffsicheren Schuss abgeben zu können. Ein einigermaßen guter Schuss würde nicht genügen; sie durften es auf keinen Fall riskieren, ein Tier von diesem Kaliber zu verwunden. Es musste ein Blattschuss sein.
Pendergast kroch den Hügel wieder hinunter, zurück zu Esterhazy. »Er ist dreihundert Meter weg, das ist zu weit.« »Genau das hatte ich befürchtet.«
»Er ist enorm selbstsicher«, sagte Pendergast. »Weil niemand im Foulmire jagt, ist er nicht so aufmerksam, wie er es sein sollte. Der Wind bläst uns ins Gesicht, der Hirsch bewegt sich von uns fort - ich denke, wir können eine offene Pirsch wagen.«
Esterhazy schüttelte den Kopf. »Da vorn sieht der Boden ziemlich tückisch aus.«
Pendergast deutete auf eine sandige Fläche unmittelbar neben ihrem Versteck, dort war die Fährte des Rothirschs zu erkennen. »Wir folgen seiner Fährte. Wenn sich jemand im Sumpf auskennt, dann er.«
Esterhazy streckte den Arm aus. »Geh du voran.«
Sie entsicherten ihre Gewehre, krochen hinter dem Tor hervor und setzten sich in Richtung des Hirschs in Bewegung. Und in der Tat, das Tier war abgelenkt, es roch den Luftstrom, der aus nördlicher Richtung kam, und achtete kaum darauf, was sich hinter ihm befand. Sein Schnüffeln und Röhren überdeckte die Geräusche, die Pendergast und Esterhazy auf ihrer Pirsch machten.
Sie rückten äußerst vorsichtig vor und verharrten jedesmal, wenn der Hirsch stehen blieb oder den Kopf wendete. Langsam begannen sie, ihn zu überholen. Der Hirsch schritt weiter ins Mire, offenbar einer Duftspur folgend. Sie gingen in völliger Stille weiter, sprachen kein einziges Wort, hielten sich geduckt, ihre Hochland-Tarnkleidung der sie umgebenden Moorlandschaft perfekt angepasst. Der Weg, den der Hirsch einschlug, folgte fast unsichtbaren Linien einigermaßen festen Bodens, schlängelte sich zwischen Teichen mit sirupartigem Sumpf, zitterndem Morast und grasbewachsenen Wattflächen hindurch. Ob nun wegen der wenig vertrauenerweckenden Bodenbeschaffenheit, der Jagd oder aus irgendeinem anderen Grund, es lag eine zunehmende Spannung in der Luft.
Allmählich kamen Pendergast und Esterhazy in Schussdistanz: hundert Meter. Abermals blieb der Hirsch stehen, wandte sich zur Seite, schnupperte die Luft. Mit kaum merklicher Handbewegung signalisierte Pendergast, dass sie anhalten sollten, und ging vorsichtig in eine liegende Stellung. Er holte die H&H 300 nach vorn, setzte das Fernrohr ans Auge und zielte sorgfältig. Esterhazy kauerte zehn Meter hinter ihm, reglos wie ein Fels.
Pendergast spähte durchs Zielfernrohr, nahm einen Punkt vor der Schulter des Tieres ins Visier, holte Luft und wollte abdrücken.
Da spürte er, wie ihn am Hinterkopf kalter Stahl berührte. »Tut mir leid, alter Junge«, sagte Esterhazy. »Halt das Gewehr mit einer Hand nach vorn und leg es hin. Langsam und ganz entspannt.«
Pendergast legte das Gewehr auf den Boden.
»Steh auf. Ganz langsam.«
Pendergast tat, wie ihm geheißen.
Esterhazy trat einen Schritt zurück und richtete seine Jagdwaffe auf den FBI-Agenten. Plötzlich stieß er ein Lachen aus, dessen rauher Klang über die Moorlandschaft hallte. Aus dem Augenwinkel sah Pendergast, wie der Hirsch erschrak, davonlief und schließlich im Nebel verschwand.
»Ich hatte gehofft, dass es nicht so weit kommen würde«, sagte Esterhazy. »Es ist schon verdammt tragisch, dass du auch nach zwölf Jahren keine Ruhe geben kannst.« Pendergast sagte kein Wort.
»Du fragst dich wahrscheinlich, worum es hier geht.« »Ehrlich gesagt, nein«, sagte Pendergast mit tonloser Stimme.
»Ich bin der Mann, nach dem du suchst. Der Unbekannte im Projekt Aves. Der, dessen Namen Charles Slade dir nicht nennen wollte.«
Keine Reaktion.
»Ich würde dir alles ja ausführlicher erklären, aber wozu? Ich mache das hier nicht gern. Aber dir ist sicher klar, dass es nicht persönlich gemeint ist.«
Immer noch keine Reaktion.
»Sag dein letztes Gebet, Schwager.«
Und dann hob Esterhazy langsam das Gewehr, zielte und drückte ab.
...
Übersetzung: Michael Benthack
© 2011 Droemer Verlag
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
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Autoren-Porträt von Douglas Preston, Lincoln Child
Douglas Preston, geb. 1956 in Cambridge, Massachusetts, studierte in Kalifornien zunächst Mathematik, Biologie, Chemie, Physik, Geologie, Anthropologie und Astrologie und später Englische Literatur. Nach dem Examen startete er seine Karriere beim 'American Museum of Natural History' in New York. Eines Nachts, als Preston seinen Freund Lincoln Child auf eine mitternächtliche Führung durchs Museum einlud, entstand dort die Idee zu ihrem ersten gemeinsamen Thriller 'Relic', dem viele weitere internationale Bestseller folgten. Douglas Preston schreibt auch Solo-Bücher und verfasst regelmäßig Artikel für diverse Magazine. Er lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern an der US-Ostküste.Lincoln Child, geb. 1957 in Westport, Connecticut, arbeitete nach seinem Studium der Englischen Literatur zunächst als Verlagslektor und später für einige Zeit als Programmierer und System-Analytiker. Während der Recherchen zu einem Buch über das American Museum of Natural History in New York lernte er Douglas Preston kennen und entschloss sich nach dem Erscheinen des gemeinsam verfassten Thrillers 'Relic', Vollzeit-Schriftsteller zu werden. Obwohl die beiden Erfolgsautoren 500 Meilen voneinander entfernt leben, schreiben sie ihre Megaseller gemeinsam: per Telefon, Fax und übers Internet. Lincoln Child publiziert darüber hinaus auch eigene Bücher . Er lebt er mit Frau und Tochter in New Jersey.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Douglas Preston , Lincoln Child
- 2011, 473 Seiten, Maße: 15 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Benthack, Michael
- Übersetzer: Michael Benthack
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426198991
- ISBN-13: 9783426198995
Rezension zu „Revenge - Eiskalte Täuschung “
"Hochspannung vom Feinsten." -- Magazin-koellefornia.de, 10.05.2013
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