Rosenjahre
Meine Familie zwischen Persien und Deutschland
'Mit beeindruckenden Bildern und viel Humor erzählt Jasmin Tabatabai vom Zauber ihrer iranischen Heimat und von ihrer Familie zwischen zwei Welten. Mit nicht mal zwanzig Jahren beschließt Jasmins Mutter Rosemarie, ihrer ersten großen Liebe in den Iran zu...
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Produktinformationen zu „Rosenjahre “
'Mit beeindruckenden Bildern und viel Humor erzählt Jasmin Tabatabai vom Zauber ihrer iranischen Heimat und von ihrer Familie zwischen zwei Welten. Mit nicht mal zwanzig Jahren beschließt Jasmins Mutter Rosemarie, ihrer ersten großen Liebe in den Iran zu folgen. Plötzlich findet sie sich in einer anderen Welt wieder: in prächtigen Moscheen, einfachen Bauernhütten und auf den Bazaren Teherans. Fast überall begegnen ihr die Menschen mit einer liebenswerten Mischung aus Neugier und Herzlichkeit - vor allem in der Großfamilie Tabatabai. Angefangen hat alles auf dem Oktoberfest, wo die schüchterne Rosemarie 1957 den persischen Unternehmer Modjtaba kennenlernt. Allen Widerständen zum Trotz folgt sie ihm in seine Heimat - der Beginn einer faszinierenden Liebesgeschichte. In Teheran bringt sie vier Kinder zu Welt, darunter ihre Tochter Jasmin. Gemeinsam verbringt die Familie erlebnisreiche Jahre im Orient - bis die islamische Revolution alles verändert.
Lese-Probe zu „Rosenjahre “
Rosenjahre von Jasmin TabatabaiFrische Luft
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GINGE ES NACH MEINER Mutter, dann gäbe es keine Probleme auf der Welt, wenn alle Menschen jeden Tag nur eine Stunde an die frische Luft gingen. Manches Übel, ja manche Katastrophe ließe sich vermeiden, wenn sich die Menschheit an diese einfache Grund regel hielte, meint sie. Schlechte Laune, Depressionen, Streit? »Kein Wunder, ihr geht ja nie an die frische Luft!« Eheprobleme, Krankheiten, Krieg? »Kinder, geht an die frische Luft!«
»Frische Luft« ist in meiner Familie ein geflügeltes Wort geworden. Und jeder weiß: Wenn meine Mutter nicht genug davon bekommt, ist mit ihr nicht zu spaßen.
Tatsächlich meldet sich bis heute jedes Mal, wenn ich meinem orientalischen Phlegma nachgebe und faul mit einer Schüssel Popcorn und einem schönen Film ausgestattet auf dem Sofa liege, die Stimme meiner Mutter in mir. Dann bekomme ich ein schlechtes Gewissen und ermahne mich, wenigstens kurz an die frische Luft zu gehen.
Als meine deutsche Großmutter vor einigen Jahren im hohen Alter starb, fanden wir in ihrem Nachlass sämtliche Briefe, die ihr meine Mutter zwischen 1958 und 1978 aus dem Iran geschrieben hatte. Darunter diesen aus der Stadt Gorgan vom 27. Januar 1958:
Irgendwie habe ich schon seit Jahren darauf gewartet - auf eine solche Umstellung. Von geschlossenen Räumen und trockener Theorie auf ein Leben, das eng mit der Natur verbunden ist. Meine Ideale konnte und werde ich nie in der Stadt finden, und auf Stühlen sitzend werde ich mich auch nie entfalten können. Ich muss raus an die frische Luft und dort meine Kraft herauslassen.
Als ich diese Zeilen zum ersten Mal las, musste ich nicht nur schmunzeln, sondern hatte auch sofort das Bild eines verträumten deutschen Mädchens vor Augen, das barfuß durch die Felder der turkmenischen Steppe im Norden Irans läuft. Ihr Blick schweift über Weizenfelder und das Grün junger Baum wollstauden, und sie lässt sich von blaugrünen Wäldern verzaubern, hinter denen sich schneebedeckte Berge türmen. Vielleicht winkt sie auch einigen Turkmenen zu, jenen stolzen Nachfahren Dschingis Khans, die vorbeireiten und über diese Fremde, die ganz allein in der Wildnis spazierengeht, verwundert ihre fellbemützten Köpfe schütteln.
Meine Mutter im Alter von zwanzig Jahren.
Was hat sie in diese fremde Welt im Orient verschlagen? Das ist die Geschichte, die ich erzählen möchte.
Wo bitte ist der Damavand?
ALS DIE LUFTHANSA-MASCHINE endlich auf der Landebahn des Mehrabad-Flug hafens im Westen Teherans aufsetzte, war es früher Morgen. Rose streckte sich beim Aufstehen, um den langen Flug, der ihr ganz schön in den Knochen steckte, ein wenig abzuschütteln.
Etwas benommen blieb sie am Ausstieg oberhalb der Treppe stehen. Ihre Augen wurden von der Sonne geblendet, und sie versuchte, sich an das gleißende Tageslicht zu gewöhnen. Sie wusste zwar, dass Teheran in einer Höhe zwischen 1200 und 1700 Metern und etliche Breitengrade südlicher als München lag, aber das viel intensivere Strahlen des Lichts überraschte sie doch sehr.
Rose blickte nach oben. Das war er also, der tief azurblaue persische Himmel, von dem ihr Taba in seinen Briefen erzählt hatte.
Sie stieg die Treppe hinunter und betrat nun zum ersten Mal iranischen Boden. Während die anderen Fluggäste geschäftig an ihr vorbeieilten, blieb sie andächtig stehen, sog die trockene, dünne Luft ein, die hier am Flughafen freilich nach Kerosin roch, und versuchte, alles Fremde einzufangen. Im Norden konnte sie die deutlichen Konturen der schnee bedeckten hohen Gipfel des Elburs-Gebirges sehen, an dessen Fuß Teheran lag.
Vergeblich versuchte sie, unter all den Gipfeln den sagenumwobenen Berg Damavand auszumachen. Es handelte sich dabei, so hatte sie in einem ihrer Bücher gelesen, um einen erloschenen Vulkan, der mit seiner Höhe von 5671 Metern der größte Berg Irans und des gesamten Nahen Ostens war. Zudem war er einer der höchsten frei stehenden Berge der Welt.
Während Roses Blick den Damavand suchte, hatte sie plötzlich den Eindruck, als würde sie Stimmen hören, die ihren Namen riefen. Damals war der Mehrabad-Flughafen noch viel kleiner als heute, man stieg vom Flugzeug direkt auf die Rollbahn und ging dann zu Fuß zum Flughafenterminal. Hinter einer Absperrung entdeckte sie eine beachtliche Menschentraube. Es sah fast so aus, als würden sie allesamt in ihre Richtung winken.
Rose blieb stehen und blickte sich um. Sie konnte doch unmöglich gemeint sein. Oder etwa doch? Waren all diese Menschen ihretwegen hier?
Immer deutlicher wurden nun die Rufe. Ja, ohne Zweifel: »Rose, Rose!«, lauteten sie. In ihr stieg eine gewisse Panik hoch. Unter lauter Fremden hatte sie sich noch nie wohl gefühlt, und gerade jetzt fühlte sie sich müde, wie gerädert, und ihre Frisur saß nach dem langen Flug schon längst nicht mehr gut. Dieser vielköpfige Empfang passte ihr gar nicht.
Rose reagierte so, wie sie meistens auf unangenehme Situationen reagiert: mit Verdrängung. Sie drehte sich um und schaute sich noch einmal interessiert das Elburs-Gebirge an. Wo war denn jetzt dieser Damavand? Herrgott noch mal, wieso konnte man den bloß nirgends sehen?
Sie ließ sich Zeit.
Mit einem Mal hörte sie eine vertraute Stimme: »Meine Rose, da bist du ja endlich!«
Da stand er nun neben ihr: Taba. Und sie wusste überhaupt nicht mehr, warum sie jemals an der Reise gezweifelt hatte.
Taba sah noch genauso gut aus wie vor einem halben Jahr bei ihrem Abschied. Nur ein wenig magerer und noch braungebrannter als in München war er. Sie fielen sich in die Arme. Dann wandten sie sich dem Ausgang zu.
»Rose, komm! Meine Familie wartet auf dich. Sie freuen sich schon so, dich zu sehen! Komm!«
Mein Vater hatte vierzig seiner engsten Familienmitglieder und Freunde mitgebracht. Vierzig!
Im Iran ist es Sitte, jemanden, der zu einer weiten Reise aufbricht oder aus dem Ausland, aus der Fremde, aus Farang, zurückkommt, von einer großen Schar Verwandter, Freunde und Bekannter am Flughafen verabschieden oder begrüßen zu lassen. Je größer die Zahl, desto höher der Status des Reisenden. Da machten alle gerne mit, wenn sie es nur irgendwie einrichten konnten. Es war jedes Mal ein kleines Spektakel, das man sich nicht entgehen lassen wollte. Viel geflogen wurde damals ja noch nicht. Später, als man sich an die Weltreiserei der Leute gewöhnt hatte, wurden die Empfangskomitees merklich kleiner.
Für Rose, die aus einem Zwei-Personen-Haushalt kam, mit wenig Verwandtschaft und einem überschaubaren Freundeskreis, war es eine Herausforderung, plötzlich mit so vielen Leuten konfrontiert zu sein. Ihr Unbehagen drohte sogar ihre Wiedersehensfreude mit Taba zu überschatten. Unversehens sah sie sich umringt von einem Pulk ihr völlig unbekannter Menschen. Taba beeilte sich, ihr seine Familie vorzustellen:
»Sieh, das ist mein ältester Bruder Zia. Und das hier seine Frau Houri. Die Kleine ist Helis Schwester Goli, und das ist Houris Sohn Ali... Schau mal, und hier ist Zohre!«
Endlich jemand, den sie kannte. Zohre küsste Rose auf beide Wangen und umarmte sie.
»Siehst du«, sagte sie, »ich wusste, dass du kommst!«
Taba fuhr indessen unverdrossen fort. »Und das hier ist Zohres Mutter, meine Schwester Forugh. Und hier ist ihr Mann Habibollah, und das da sind Rokhi und Reza. Das Baby ist unsere kleine Setareh, der Name bedeutet ›Stern‹. Und hier sind noch meine Cousins ...«
Es folgten noch etliche fremde Namen und Gesichter. Rose hatte aber längst aufgeben, sich alle zu merken, ihr schwirrte der Kopf. Alle umarmten sie herzlich und küssten sie auf beide Wangen. Manche wussten, dass sie dabei war, Persisch zu lernen, und erwarteten nun eine Begrüßung. Das Einzige, was Rose herausbrachte, war aber: »Pas kuh-e Damavand kodscha ast? - Aber wo ist denn jetzt der Berg Damavand?« In feinstem Schriftpersisch, versteht sich.
Das war nun eine recht ungewöhnliche Begrüßung und wurde von der Menge nach kurzem Stutzen mit entsprechender Heiterkeit quittiert: Ein deutsches Mädchen, mutterseelenallein in Teheran, die als Erstes wie eine Forschungsreisende nach dem Berg Damavand fragt und auch noch Persisch wie aus dem Buche spricht! Das war ein Ereignis, von dem man sich in der Familie noch zwanzig Jahre später erzählte.
Rose wusste natürlich noch nicht, dass ihr Schriftpersisch die Familie an Tabas damals schon verstorbenen Vater Mir Sadreddin erinnerte. Der hatte nämlich als Einziger im Verwandten- und Bekanntenkreis tatsächlich noch wie gedruckt gesprochen, allen Sprachmoden zum Trotz. Dass das deutsche Mädchen so sprach wie er, schien den anderen ein gutes Zeichen.
Das waren sie also, Tabas Verwandte. Herzlich waren sie und unverkrampft. Und viele - sehr viele ...
© Ullstein HC
GINGE ES NACH MEINER Mutter, dann gäbe es keine Probleme auf der Welt, wenn alle Menschen jeden Tag nur eine Stunde an die frische Luft gingen. Manches Übel, ja manche Katastrophe ließe sich vermeiden, wenn sich die Menschheit an diese einfache Grund regel hielte, meint sie. Schlechte Laune, Depressionen, Streit? »Kein Wunder, ihr geht ja nie an die frische Luft!« Eheprobleme, Krankheiten, Krieg? »Kinder, geht an die frische Luft!«
»Frische Luft« ist in meiner Familie ein geflügeltes Wort geworden. Und jeder weiß: Wenn meine Mutter nicht genug davon bekommt, ist mit ihr nicht zu spaßen.
Tatsächlich meldet sich bis heute jedes Mal, wenn ich meinem orientalischen Phlegma nachgebe und faul mit einer Schüssel Popcorn und einem schönen Film ausgestattet auf dem Sofa liege, die Stimme meiner Mutter in mir. Dann bekomme ich ein schlechtes Gewissen und ermahne mich, wenigstens kurz an die frische Luft zu gehen.
Als meine deutsche Großmutter vor einigen Jahren im hohen Alter starb, fanden wir in ihrem Nachlass sämtliche Briefe, die ihr meine Mutter zwischen 1958 und 1978 aus dem Iran geschrieben hatte. Darunter diesen aus der Stadt Gorgan vom 27. Januar 1958:
Irgendwie habe ich schon seit Jahren darauf gewartet - auf eine solche Umstellung. Von geschlossenen Räumen und trockener Theorie auf ein Leben, das eng mit der Natur verbunden ist. Meine Ideale konnte und werde ich nie in der Stadt finden, und auf Stühlen sitzend werde ich mich auch nie entfalten können. Ich muss raus an die frische Luft und dort meine Kraft herauslassen.
Als ich diese Zeilen zum ersten Mal las, musste ich nicht nur schmunzeln, sondern hatte auch sofort das Bild eines verträumten deutschen Mädchens vor Augen, das barfuß durch die Felder der turkmenischen Steppe im Norden Irans läuft. Ihr Blick schweift über Weizenfelder und das Grün junger Baum wollstauden, und sie lässt sich von blaugrünen Wäldern verzaubern, hinter denen sich schneebedeckte Berge türmen. Vielleicht winkt sie auch einigen Turkmenen zu, jenen stolzen Nachfahren Dschingis Khans, die vorbeireiten und über diese Fremde, die ganz allein in der Wildnis spazierengeht, verwundert ihre fellbemützten Köpfe schütteln.
Meine Mutter im Alter von zwanzig Jahren.
Was hat sie in diese fremde Welt im Orient verschlagen? Das ist die Geschichte, die ich erzählen möchte.
Wo bitte ist der Damavand?
ALS DIE LUFTHANSA-MASCHINE endlich auf der Landebahn des Mehrabad-Flug hafens im Westen Teherans aufsetzte, war es früher Morgen. Rose streckte sich beim Aufstehen, um den langen Flug, der ihr ganz schön in den Knochen steckte, ein wenig abzuschütteln.
Etwas benommen blieb sie am Ausstieg oberhalb der Treppe stehen. Ihre Augen wurden von der Sonne geblendet, und sie versuchte, sich an das gleißende Tageslicht zu gewöhnen. Sie wusste zwar, dass Teheran in einer Höhe zwischen 1200 und 1700 Metern und etliche Breitengrade südlicher als München lag, aber das viel intensivere Strahlen des Lichts überraschte sie doch sehr.
Rose blickte nach oben. Das war er also, der tief azurblaue persische Himmel, von dem ihr Taba in seinen Briefen erzählt hatte.
Sie stieg die Treppe hinunter und betrat nun zum ersten Mal iranischen Boden. Während die anderen Fluggäste geschäftig an ihr vorbeieilten, blieb sie andächtig stehen, sog die trockene, dünne Luft ein, die hier am Flughafen freilich nach Kerosin roch, und versuchte, alles Fremde einzufangen. Im Norden konnte sie die deutlichen Konturen der schnee bedeckten hohen Gipfel des Elburs-Gebirges sehen, an dessen Fuß Teheran lag.
Vergeblich versuchte sie, unter all den Gipfeln den sagenumwobenen Berg Damavand auszumachen. Es handelte sich dabei, so hatte sie in einem ihrer Bücher gelesen, um einen erloschenen Vulkan, der mit seiner Höhe von 5671 Metern der größte Berg Irans und des gesamten Nahen Ostens war. Zudem war er einer der höchsten frei stehenden Berge der Welt.
Während Roses Blick den Damavand suchte, hatte sie plötzlich den Eindruck, als würde sie Stimmen hören, die ihren Namen riefen. Damals war der Mehrabad-Flughafen noch viel kleiner als heute, man stieg vom Flugzeug direkt auf die Rollbahn und ging dann zu Fuß zum Flughafenterminal. Hinter einer Absperrung entdeckte sie eine beachtliche Menschentraube. Es sah fast so aus, als würden sie allesamt in ihre Richtung winken.
Rose blieb stehen und blickte sich um. Sie konnte doch unmöglich gemeint sein. Oder etwa doch? Waren all diese Menschen ihretwegen hier?
Immer deutlicher wurden nun die Rufe. Ja, ohne Zweifel: »Rose, Rose!«, lauteten sie. In ihr stieg eine gewisse Panik hoch. Unter lauter Fremden hatte sie sich noch nie wohl gefühlt, und gerade jetzt fühlte sie sich müde, wie gerädert, und ihre Frisur saß nach dem langen Flug schon längst nicht mehr gut. Dieser vielköpfige Empfang passte ihr gar nicht.
Rose reagierte so, wie sie meistens auf unangenehme Situationen reagiert: mit Verdrängung. Sie drehte sich um und schaute sich noch einmal interessiert das Elburs-Gebirge an. Wo war denn jetzt dieser Damavand? Herrgott noch mal, wieso konnte man den bloß nirgends sehen?
Sie ließ sich Zeit.
Mit einem Mal hörte sie eine vertraute Stimme: »Meine Rose, da bist du ja endlich!«
Da stand er nun neben ihr: Taba. Und sie wusste überhaupt nicht mehr, warum sie jemals an der Reise gezweifelt hatte.
Taba sah noch genauso gut aus wie vor einem halben Jahr bei ihrem Abschied. Nur ein wenig magerer und noch braungebrannter als in München war er. Sie fielen sich in die Arme. Dann wandten sie sich dem Ausgang zu.
»Rose, komm! Meine Familie wartet auf dich. Sie freuen sich schon so, dich zu sehen! Komm!«
Mein Vater hatte vierzig seiner engsten Familienmitglieder und Freunde mitgebracht. Vierzig!
Im Iran ist es Sitte, jemanden, der zu einer weiten Reise aufbricht oder aus dem Ausland, aus der Fremde, aus Farang, zurückkommt, von einer großen Schar Verwandter, Freunde und Bekannter am Flughafen verabschieden oder begrüßen zu lassen. Je größer die Zahl, desto höher der Status des Reisenden. Da machten alle gerne mit, wenn sie es nur irgendwie einrichten konnten. Es war jedes Mal ein kleines Spektakel, das man sich nicht entgehen lassen wollte. Viel geflogen wurde damals ja noch nicht. Später, als man sich an die Weltreiserei der Leute gewöhnt hatte, wurden die Empfangskomitees merklich kleiner.
Für Rose, die aus einem Zwei-Personen-Haushalt kam, mit wenig Verwandtschaft und einem überschaubaren Freundeskreis, war es eine Herausforderung, plötzlich mit so vielen Leuten konfrontiert zu sein. Ihr Unbehagen drohte sogar ihre Wiedersehensfreude mit Taba zu überschatten. Unversehens sah sie sich umringt von einem Pulk ihr völlig unbekannter Menschen. Taba beeilte sich, ihr seine Familie vorzustellen:
»Sieh, das ist mein ältester Bruder Zia. Und das hier seine Frau Houri. Die Kleine ist Helis Schwester Goli, und das ist Houris Sohn Ali... Schau mal, und hier ist Zohre!«
Endlich jemand, den sie kannte. Zohre küsste Rose auf beide Wangen und umarmte sie.
»Siehst du«, sagte sie, »ich wusste, dass du kommst!«
Taba fuhr indessen unverdrossen fort. »Und das hier ist Zohres Mutter, meine Schwester Forugh. Und hier ist ihr Mann Habibollah, und das da sind Rokhi und Reza. Das Baby ist unsere kleine Setareh, der Name bedeutet ›Stern‹. Und hier sind noch meine Cousins ...«
Es folgten noch etliche fremde Namen und Gesichter. Rose hatte aber längst aufgeben, sich alle zu merken, ihr schwirrte der Kopf. Alle umarmten sie herzlich und küssten sie auf beide Wangen. Manche wussten, dass sie dabei war, Persisch zu lernen, und erwarteten nun eine Begrüßung. Das Einzige, was Rose herausbrachte, war aber: »Pas kuh-e Damavand kodscha ast? - Aber wo ist denn jetzt der Berg Damavand?« In feinstem Schriftpersisch, versteht sich.
Das war nun eine recht ungewöhnliche Begrüßung und wurde von der Menge nach kurzem Stutzen mit entsprechender Heiterkeit quittiert: Ein deutsches Mädchen, mutterseelenallein in Teheran, die als Erstes wie eine Forschungsreisende nach dem Berg Damavand fragt und auch noch Persisch wie aus dem Buche spricht! Das war ein Ereignis, von dem man sich in der Familie noch zwanzig Jahre später erzählte.
Rose wusste natürlich noch nicht, dass ihr Schriftpersisch die Familie an Tabas damals schon verstorbenen Vater Mir Sadreddin erinnerte. Der hatte nämlich als Einziger im Verwandten- und Bekanntenkreis tatsächlich noch wie gedruckt gesprochen, allen Sprachmoden zum Trotz. Dass das deutsche Mädchen so sprach wie er, schien den anderen ein gutes Zeichen.
Das waren sie also, Tabas Verwandte. Herzlich waren sie und unverkrampft. Und viele - sehr viele ...
© Ullstein HC
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Autoren-Porträt von Jasmin Tabatabai
Jasmin Tabatabai, 1967 in Teheran, ist eine leidenschaftliche Vorleserin. Die Musikerin und Schauspielerin, die ihren Durchbruch 1997 mit Katja von Garniers Musikfilm 'Bandits' hatte, wurde zuletzt für ihre Rolle in 'Fremde Haut' als beste Hauptdarstellerin für den Deutschen Filmpreis nominiert.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jasmin Tabatabai
- 2010, 287 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen, Maße: 14,6 x 22,3 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Ullstein HC
- ISBN-10: 355008837X
- ISBN-13: 9783550088377
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