Scheibenwelt Band 18: Mummenschanz
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"Die Energie von `Per Anhalter durch die GalaxisŽ und der Einfallsreichtum von `Alice im WunderlandŽ!" -- Sunday Times
"Er ist zum Schreien komisch. Er ist weise. Er hat Stil." -- Daily Telegraph
Mummenschanz vonTerry Pratchett
LESEPROBE
Wind heulte. Gewitter prasselte undkrachte über den Bergen.
Blitze tastetenüber die Gipfel wie ein alter Mann, der versuchte,
einen widerspenstigen Brombeerkernaus seinem Gebiss
zu entfernen.
Zwischen den zischendenStechginsterbüschen züngelten
die Flammen eines Feuers in den Böenhin und her.
Eine unheimliche Stimme kreischte:»Wann werdn wir
zwei uns wiedersehen?«
Donner grollte.
Eine weitaus normaler klingendeStimme erwiderte: »Warum schreist
du so? Mir ist die Scheibe Brot ins Feuergefallen.«
Nanny Oggsetzte sich wieder.
»Entschuldige, Esme.Ich dachte dabei nur an die du
weißt schon die gute alte Zeit.Tja, es kommt nicht glatt
über die Zunge, oder?«
»Sie war gerade hübsch braun.«
»Tut mir Leid.«
»Es gab überhaupt keinen Grund, solaut zu schreien.«
»Bitte um Verzeihung.«
»Ich meine, schließlich bin ichnicht taub. Du hättest mich
in normalem Tonfall fragen können.Dann hätte ich geantwortet:
Nächsten Mittwoch.«
»Ich bin untröstlich, Esme.«
»Schneid mir eine neue Scheibe ab.«
Nanny Oggnickte und drehte den Kopf. »Magrat, schneid
Oma eine Oh. Die Macht derGewohnheit. Ich schätze, ich
sollte mich selbst darum kümmern.«
»Ha!«,machte Oma Wetterwachs und starrte ins Feuer.
Eine Zeit lang blieb alles still,abgesehen vom Heulen des
Winds und den charakteristischenGeräuschen, die eine Brot
schneidende Nanny Ogg verursachte. Sie legte dabei ebenso
viel Geschick an den Tag wie jemand,der versuchte, mit einer
Kettensäge eine Matratze zusezieren.
»Ich dachte, der Ausflug hierherwürde dich ein wenig aufmuntern
«, sagte Nanny nach einer Weile.
»Ach.« Das klang nicht nach einerFrage.
»Ich habe gehofft, dich damit einwenig ablenken zu können
«, meinte Nanny Oggund beobachtete ihre Freundin aufmerksam.
»Wovon denn?«, entgegnete OmaWetterwachs. Sie blickte
weiter verdrießlich ins Feuer.
Meine Güte, dachte Nanny. Das hätteich nicht sagen sollen.
Eigentlich lief alles darauf hinaus,dass Nanny Ogg besorgt
war. Sogar sehr besorgt. Sie fragtesich immer wieder, ob Esme
vielleicht ob bei ihr die Gefahrbestand, dass sie in gewisser
Weise zu einer schwarzen Esme wurde.
Bei den wirklich mächtigen Hexengeschah das recht häufig.
Und Oma Wetterwachs zähltezweifellos zu den besonders
mächtigen Exemplaren. Vermutlichgingen ihre Fähigkeiten
selbst über die der berüchtigtenSchwarzen Aliss hinaus,
und alle wussten, was mit der zumSchluss passiert war: Zwei
Kinder hatten sie in ihren eigenenBackofen gesperrt. Und alle
fanden, das sei auch ganz gut so -obgleich es eine Woche dauerte,
den Ofen zu reinigen.
Bis zu jenem schrecklichen Tag hatteAliss die Spitzhornberge
terrorisiert. Sie konnte so gut mitMagie umgehen, dass
es in ihrem Kopf für etwas andereskeinen Platz mehr gab.
Es hieß, dass Waffen nichts gegensie ausrichteten. Messer
prallten einfach an ihrer Haut ab.Angeblich hörte man ihr irres
Lachen schon aus einer Entfernungvon anderthalb Kilometern.
Irres Lachen gehörte unter gewissenUmständen zum
normalen Handwerkszeug einer Hexe, aber inihrem Fall war
es verrücktes irres Lachen,die schlimmste Sorte. Außerdem
verwandelte sie Leute in Lebkuchenund besaß ein Haus aus
Fröschen. Ja, zum Ende hin wurde dieSache wirklich übel.
Wie immer, wenn eine Hexedurchdrehte.
Nun, manchmal drehten sie nicht indem Sinne durch, sondern
rasteten nur aus und verschwanden.
Omas Intellekt brauchte Beschäftigung.Auf Langeweile
reagierte sie kritisch. Zum Beispiellegte sie sich ins Bett und
begann mit dem Borgen: Sie schickteihren Geist auf die Reise
und kroch ins Selbst irgendeinesWaldgeschöpfs, um mit
seinen Ohren zu hören, mit seinenAugen zu sehen. Im Großen
und Ganzen gab es daran nichtsauszusetzen, aber Oma
Wetterwachs verstand sich zu gutdarauf. Sie konnte länger
fortbleiben als alle anderen Hexen,die Nanny kannte.
Vielleicht hielt sie es irgendwanneinfach nicht mehr für nötig,
von einem solchen Streifzugzurückzukehren Und dies
war die schlimmste Jahreszeit. JedenAbend zogen Wildgänse
über den Himmel, und auch die kühleHerbstluft lud zu einer
Reise ein. Die gesamte Atmosphärehatte etwas sehr Verlockendes.
Nanny Oggahnte die Ursache des Problems.
Sie hüstelte.
»Neulich habe ich Magrat gesehen«, sagte sie und warf
Oma einen kurzen Blick zu.
Keine Reaktion.
»Sie sah gut aus. Das Leben alsKönigin scheint ihr zu bekommen.«
»Hmm.«
Nanny stöhnte innerlich. Wenn sichOma nicht einmal zu
einer bissigen Bemerkungherausfordern ließ, musste sie Magrat
wirklich vermissen.
Zu Anfang hätte Nanny Ogg es nicht für möglich gehalten,
aber jetzt stellte sich heraus, dassMagrat als Hexe nicht nur
feucht, sondern klatschnass hinterden Ohren war, was sie je-
doch nicht daran hinderte, in einemwichtigen Punkt Recht
zu haben - die ideale Anzahl vonHexen belief sich auf drei.
Und wir haben eine verloren, dachte Nanny Ogg.Nun,
nicht direkt verloren. Magrat war jetzt Königin, und Königinnen
verlegte man nicht so einfach. Aberes bedeutete, dass
ihr Zirkel nur noch aus zwei Hexenbestand.
Wenn es drei Hexen waren, konnte eine Streit schlichten.
Darin hatte Magratgroßes Talent bewiesen. Ohne sie liefen
Nanny Oggund Oma Wetterwachs Gefahr, sich immer stärker
auf die Nerven zu gehen. Mit Magrat waren sie allen anderen
Bewohnern der Welt auf die Nerven gefallen, was viel
mehr Spaß gemacht hatte.
Und sie konnten Magratnicht zurückbekommen. Besser
gesagt: Sie konnten sie noch nichtzurückbekommen.
Der Grund dafür Drei war zwar diegeeignete Zahl für
Hexen, aber es mussten die richtigendrei sein, die richtige
Art.
Es machte Nanny Oggverlegen, auch nur darüber nachzudenken,
und das war bereits erstaunlichgenug, denn sie tendierte
ebenso zu Verlegenheit wie eineKatze zu Altruismus.
Als Hexe glaubte sie natürlich nichtan okkulten Unsinn.
Aber tief im Fundament jeder Seelesteckten einige Grundwahrheiten,
denen sich selbst Nanny Ogg nicht entziehen
konnte. Dazu gehörte auch die Sachemit Maid, Mutter
und der anderen.
Na bitte. Sie hatte es umschrieben.
Natürlich war es nur ein alterAberglaube, der aus jener
dunklen Epoche stammte, als »Maid«,»Mutter« und die
andere das Leben aller Frauen überzwölf bestimmten, abgesehen
vielleicht von gewissen neunMonaten. Heutzutage
musste ein Mädchen nur zählen könnenund Nannys Rat beherzigen,
um zumindest eine der dreiMöglichkeiten zu vermeiden.
Wie dem auch sei: Es handelte sichum einen alten Aber-
glauben. Er war älter als Bücher,älter als die Schrift Solche
Überzeugungen waren wie Gewichte aufder Gummifläche
menschlicher Erfahrungen und neigtendazu, Menschen in ihren
Einflussbereich zu ziehen.
Seit drei Monaten war Magrat nun verheiratet, was bedeutete,
dass sie nicht mehr zur erstenKategorie gehörte. Nannys
Gedanken verharrten kurz und glittendann in eine neue
Richtung Sehr wahrscheinlich gehörteMagrat nicht mehr
zur ersten Kategorie. O ja, mit ziemlicherSicherheit. Immerhin
hatte sich der junge Verence ein hilfreiches Buch bestellt,
mit Bildern und nummeriertenAbschnitten. Nanny wusste
davon, weil sie sich einmal, währendeines Besuchs, ins königliche
Schlafzimmer geschlichen und zehnaufschlussreiche
Minuten damit verbracht hatte,einige Gestalten mit gezeichneten
Schnurrbärten und Brillen zuversehen. Selbst Magrat
und Verencemussten früher oder später verstehen, worauf es
bei gewissen Dingen ankam Ja,zweifellos wussten sie Bescheid,
obwohl sich Verenceangeblich danach erkundigt hatte,
wo man falsche Schnurrbärte kaufenkonnte. Vermutlich
dauerte es nicht lange, bis Magrat für die zweite Kategorie in
Frage kam, auch wenn sie und ihrAngetrauter langsame Leser
waren.
Natürlich wies Oma Wetterwachs immerwieder auf ihre
Unabhängigkeit und Selbstständigkeithin. Aber um richtig
unabhängig und selbstständig zusein, brauchte man jemanden,
dem man es zeigen konnte.Leute, die keine anderen Leute
brauchten, mussten anderen Leutenzeigen, dass sie Leute
waren, die keine anderen Leutebrauchten.
Ähnlich sah es mit Eremiten aus.Welchen Sinn hatte es,
sich etwas abzufrieren, während manauf irgendeinem Berg
hockte und mit dem Unendlichenkommunizierte, wenn
nicht gelegentlich leicht zubeeindruckende Frauen kamen
und »Donnerwetter« sagten?
Es mussten wieder drei sein. Eswurde richtig aufregend,
wenn ein Hexenzirkel aus drei Hexenbestand. Dann gab es
Streitereien und Abenteuer undDinge, über die sich Oma ärgern
konnte. Und Oma Wetterwachs war nurzufrieden,
wenn sie sich ärgerte. Nanny glaubtesogar, dass ihr vor allem
der Ärger ermöglichte, OmaWetterwachs zu sein.
Ja. Sie brauchten eine dritte Hexe.
Die Alternative waren graue Flügelin der Nacht oder die
zuknallende Backofenklappe.
Das Manuskript fiel sofortauseinander, als Herr Ziegenberger
danach griff.
Es bestand nicht einmal ausrichtigem Papier. Jemand hatte
es auf leere Zuckertütengeschrieben, auf die Rückseite von
Briefumschlägen und alte Kalender.
Er brummte und griff nach einigenmodrigen Seiten, um sie
ins Feuer zu werfen.
Ein Wort fiel ihm auf.
Er las es, und sein Blick glitt zumEnde des Satzes.
Er las bis zum Ende der Seite undlas einige Stellen noch
mal, weil er es kaum fassen konnte.
Er blätterte. Und blätterte erneut.Und las weiter. Einmal
nahm er ein Lineal aus der Schubladeund sah nachdenklich
darauf hinab.
Er öffnete das Getränkefach desSchranks. Die Flasche
klirrte fröhlich am Rand des Glases,als er einzuschütten versuchte.
Anschließend starrte er aus demFenster zum Opernhaus
auf der anderen Straßenseite. Einekleine Gestalt fegte dort die
Treppe.
»Meine Güte«, sagte er.
Nach einer Weile ging er zur Tür undöffnete sie. »Wenn du
einen Augenblick Zeit hättest, HerrReinfall «
Der Chefdrucker kam mit einigenKorrekturfahnen herein.
»Herr Kratzgut muss die Seite 11noch einmal gravieren«,
klagte er. »Er hat Hunger mitsieben Buchstaben geschrieben
«
»Lies das«, sagte Herr Ziegenberger.
»Ich wollte gerade zum Mittage«
»Lies das.«
»In der Gildenvereinbarung heißt es«
»Lies das. Mal sehen, ob du dannnoch Hunger hast.«
Herr Reinfall nahm verdrießlichPlatz und sah auf die erste
Seite.
Kurz darauf blätterte er zurzweiten.
Einige Minuten später zog er dieSchublade auf, holte ein
Lineal hervor und sah nachdenklichdarauf hinab.
»Hast du gerade von derBananensuppenüberraschung gelesen?
«, fragte Herr Ziegenberger.
»Ja!«
»Warte nur, bis du zum Kochpuddingkommst.«
»Meine Großmutter kannte ein Rezeptfür leckeren Kochpudding«
»Dies ist ein anderes«, sagte Ziegenberger, und seinTonfall
kündete von absoluter Gewissheit.
Herr Reinfall blätterte schneller. »Potzblitz! Glaubst du,
dieses Zeug funktioniert tatsächlich?«
»Wen kümmerts?Lauf zur Gilde und stell alle verfügbaren
Graveure ein. Vorzugsweise ältere.«
»Aber der Almanach fürs nächste Jahrist noch in Arbeit.
Ich muss die Vorhersagen für Gruni, Juni, August und Spuni
hinzufügen «
»Verlier keine Zeit damit. Nimm alte.«
»Das merken die Leute.«
»Sie haben noch nie wasgemerkt«, erwiderte Herr Ziegenberger.
»Du weißt ja, was da rein muss:erstaunlicher Curry-
Regen in Klatsch, plötzlicher Tod des Serifen von Iieeh, Wespenplage
Im WiewunderlandDieseSache ist viel wichtiger.«
Er blickte erneut aus dem Fenster.
»Viel wichtiger.«
Und er träumte den Traum all jener,die Bücher publizieren:
Er träumte davon, die Taschen sovoller Gold zu haben,
dass er zwei Leute einstellenmusste, die ihm die Hose festhielten.
()
© GoldmannVerlag
Übersetzung:Andreas Brandhorst
Terry Pratchett, geboren 1948, schrieb 1983 seinen ersten Scheibenwelt-Roman - ein großer Schritt auf seinem Weg, einer der erfolgreichsten Autoren Großbritanniens und einer der populärsten Fantasy-Autoren der Welt zu werden. Von Pratchetts Romanen wurden weltweit rund 80 Millionen Exemplare verkauft, seine Werke sind in 38 Sprachen übersetzt. Für seine Verdienste um die englische Literatur verlieh ihm Queen Elizabeth sogar die Ritterwürde. Terry Pratchett starb am 12.3.2015 im Alter von 66 Jahren. Brandhorst, Andreas
Andreas Brandhorst, geboren 1956 im norddeutschen Sielhorst, hat mit seinen Romanen die deutsche Science-Fiction-Literatur der letzten Jahre entscheidend geprägt. Spektakuläre Zukunftsvisionen verbunden mit einem atemberaubenden Thrillerplot sind zu seinem Markenzeichen geworden. Etliche seiner Romane wurden preisgekrönt und zu Bestsellern. Andreas Brandhorst hat viele Jahre in Italien gelebt und ist inzwischen in seine alte Heimat in Norddeutschland zurückgekehrt.
- Autor: Terry Pratchett
- 2002, 351 Seiten, Maße: 11,9 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Andreas Brandhorst
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442452600
- ISBN-13: 9783442452606
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